Ziemlich alte Bekannte: Von Benz über Horch bis Mercedes

Die einst ruhmreichen deutschen Autoindustrie hat ziemlich Federn gelassen. Die wenigen verbliebenen Marken befinden sich in der Absatzkrise – teils wegen einseitiger Ausrichtung auf nicht massenmarktfähige Elektromodelle (noch dazu ohne eigene Wettbewerbsvorteile) , teils im Zuge des allgemeinen Niedergangs der Industrie hierzulande, deren Produktion entgegen dem internationalen Trend seit etlichen Jahren rückläufig ist.

Neben einer ausufernden Staatsquote (>50 % vs. 35 % in der Schweiz) ist es vor allem die irrationale Energiepolitik, welche der Industrie hierzulande immer stärker die Grundlage entzieht. Die Reaktion darauf sind Standortschließungen und Verlagerungen ins Ausland.

Ein Kurswechsel ist nicht annähernd in Sicht, von der aus meiner Sicht dringend gebotenen Kettensäge ganz zu schweigen. Da es deprimierend ist zuzuschauen, wie ein Land vor die Hunde geht, zumal das offenbar mehrheitsfähig ist, hilft nur der Blick zurück in eine Zeit, die in vielerlei Hinsicht ihre Schattenseiten hatte – aber in einem grandios war, nämlich in punkto automobiler Vielfalt und Größe.

Zur Illustration möchte ich heute diese Aufnahme aus deutschen Landen vorstellen, die frühestens 1930 entstanden sein kann:

Horch, Mercedes und Benz-Automobile; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Versammelt sind hier Vertreter der Marken, die einst das A und O des Serien-Automobilbaus in Deutschland markierten, so lässt sich mit einer gewissen Berechtigung sagen, wenngleich Nischenhersteller wie etwa Audi, Stoewer, Röhr und Maybach ähnliche Niveaus erreichten.

Am Anfang steht natürlich Benz, das Fabrikat welches am Anfang des Verbrennerautos stand, nicht zuletzt dank der Tat von Bertha Benz, die das ewige Tüfteln ihres Gatten satt hatte und der zeitlos zutreffenden Meinung war, dass ein innovatives Produkt kein Selbstzweck ist, sondern auf den Markt gehört. Eine realistische Frau, die ihre Mitgift im ziellosen Tun des Gatten dahinschmelzen sah.

Kommt Ihnen nun das Exemplar der Marke links auf diesem Bildausschnitt bekannt vor?

Ich hoffe doch, denn denselben Wagen hatte ich kürzlich hier bereits als Benz der frühen 1920er Jahre identifiziert, bevor ich das heute präsentierte Foto erwarb – ein merkwürdiger Zufall wie so vieles, das einem im Leben widerfährt.

Aus dieser Perspektive bin ich mir erst recht sicher, was die Markenidentität angeht, wenngleich das Benz-Emblem auch hier nicht klar lesbar ist.

Den Wagen in der Mitte – ein Horch ab 1930 – kommentieren wir noch später. Nur auf den enormen Unterschied in der Größe der Räder und speziell der Reifen möchte ich hinweisen. Hier sehen wir, was sich von Anfang der 1920er Jahre bis etwa 1930 getan hatte.

Die einstigen Ballonreifen, die bei Niederdruck erheblichen Komfort boten, aber auch eine wenig präzise Straßenlage mit sich brachten, waren kleineren Reifen gewichen. Denn inzwischen waren die Fahrwerke verbessert worden und mit geringerem Reifenquerschnitt bei höherem Druck hatte der Fahrer ein besseres Gefühl dafür, wie der Wagen auf der Straße lag.

Ganz rechts schließlich sehen wir, was aus dem Benz nach dem Zusammenschluss mit Daimler anno 1926 wurde – ein Mercedes-Benz mit ganz ähnlicher Proportion, aber dem nun gängigeren Flachkühler.

Doch wollen wir Daimler nicht einfach anhand dieses etwas brav wirkenden Gewächses abhandeln. Immerhin hatte der Hersteller 1902 mit seinem Modell „Mercedes“ einst den Auftakt zum eigentlich modernen Automobil gegeben, nachdem französische Hersteller das Auto vom Kuriosum zum alltagstauglichen Fahrzeug entwickelt hatten.

Nein, der Ruhm von Mercedes lässt sich doch weit besser anhand der beeindruckenden Limousine des 80 PS starken Typ „Nürburg“ (ab 1928) illustrieren, die wir hier auf der rechten Seite sehen:

Dieses Gerät war zum Aufnahmezeitpunkt zwar stilistisch nicht mehr auf der Höhe, stellte aber mit seiner enormen Präsenz selbst den Horch links daneben in den Schatten. Selbiger war ebenfalls ein Vertreter der luxuriösen 8-Zylinder-Fraktion, der wie der Mercedes mit 80 PS aufwartete, aber eine ganz neue Fahrzeuggeneration repräsentierte.

Der üppige Chromschmuck und die schrägstehende Frontscheibe stand in starkem Kontrast zu Strenge der 1920er Jahre – dabei lagen bloß zwei, drei Jahre zwischen den beiden Wagen.

Horch war damals neben Daimler der einzige deutsche Hersteller in der Luxusklasse, der größere Serien zustandebrachte – dabei rangierten die Sachsen dank ihrer frühzeitigen Offensive im 8-Zylindersegment sogar über den meist konservativen Stuttgartern.

Mit der Pracht und Größe dieser Schöpfungen aus den Häusern Horch und Daimler lässt sich heute nichts mehr vergleichen. Kurioserweise verschlief Audi die Gelegenheit, die einstige Schwestermarke Horch mit einem Produkt der absoluten Spitzenklasse zu ehren.

Stattdessen fabrizierte man eine Weile ohne großen Erfolg den kurios benamten „Phaeton“ – ein Oberklassefahrzeug ausgerechnet auf Volkswagen-Basis, das kaum noch einer mehr kennt. Auch Daimler griff mit seiner S-Klassen-Karikatur „Maybach“ gründlich daneben.

Man könnte meinen: Die Uhr ist auch in der Oberklasse abgelaufen für die deutsche Autoindustrie. Die Zukunft wird ohnehin in Asien definiert, wo der größte Teil der Menschheit lebt. Dort nabelt man sich gerade vom als arrogant und zunehmend inkompetenten wahrgenommenen Westen ab und ist wie einst Japan längst über das Stadium des Studierens und Kopierens hinaus. Selbst Porsche ist dort inzwischen abgemeldet.

Ob im Jahr 2125 ein Wiedergänger meinerselbst noch mit derselben Faszination auf die deutschen Autos der Gegenwart zurückschauen wird, wie wir heute auf von Benz über Horch bis Mercedes, das darf bezweifelt werden…

So lassen wir es für heute beim Studium und stillen Genuss dieser einstigen Kronen automobiler Schöpfung in Deutschland. Die Begegnung mit ziemlich alten Bekannten ist ohnehin irgendwann mit das Beste, was einem passieren kann.

Zum Glück gibt es noch jede Menge davon mit vier Rädern – weniger in natura, aber dafür auf alten Fotos. Mögen auch die Lichter im deutschen Autosektor der Gegenwart allmählich schwächer brennen und irgendwann ganz ausgehen – das großartige Material in Sachen Vorkriegsautos geht mir ganz gewiss nicht aus.

Copyright: Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Was für Typen!? Ein Benz Sport-Tourer um 1925

Heute unternehmen wir auf unserem gemeinsamen Trip durch die Autowelt der Vorkriegszeit eine Typenkunde der besonderen Art.

Dabei ist es am Ende gar nicht so wichtig, zu einem genauen Ergebnis zu kommen – denn das Dokument, um das es geht, ist auch so von großem Reiz. Klar ist dabei für mich nur eines: wir sehen hier einen Vertreter der Karosserieform des Sport-Tourers.

Damit bezeichnete man offene Aufbauten, die zwar wie ein klassischer Tourenwagen nur seitliche Steckfenster und ein ungefüttertes Verdeck besaßen, aber weniger Platz boten, meist niedriger gehalten waren und über ein sportlich wirkendes Heck verfügten.

Die Motorisierung blieb in der Regel unverändert, doch die deutliche Gewichtsersparnis dürfte sich fahrdynamisch schon bemerkbar gemacht haben – zumal bei dieser Ausführung die Passagierzahl von vornherein begrenzt war.

Die schwergewichtigen Schwiegereltern mussten also daheimbleiben und das war auch besser so, denn möglicherweise wären sie nicht mit allen dieser Typen als Partie für die Tochter aus gutem Hause einverstanden gewesen:

Benz Sport-Tourer um 1925; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Schon einmal gar nicht geht der Typ links – breitbeinig und mit den Händen in den Hosentaschen posieren, war vor 100 Jahren vielleicht bei Seeleuten üblich, doch bei jungen Männern aus gut betuchten Verhältnissen?

Dass wir es mit Sprösslingen aus „besserem Hause“ zu tun haben, lässt sich zwar nicht beweisen, aber wie Fabrikarbeiter oder Bauernbuben sehen die Jungs nicht gerade aus.

Der ganz rechts wirkt schon ganz so steif wie sein alter Herr mit Direktorposten in einer florierenden Firma oder Kanzlei.

Der in der Mitte schließlich könnte ein Student gewesen sein, eventuell aber auch ein angestellter Fahrer mit typischer Schirmmütze – damals ein klassischer Aufsteigertyp.

So oder so ist man geneigt, amüsiert auszurufen:“Was für Typen!“ Zugleich stellt sich aber auch die Frage „Was für Typen?“, denn davon kommen mit Blick auf den Sport-Tourer mit Spitzkühler mehrere in Frage.

Immerhin beim Hersteller bin ich mir ziemlich sicher – Benz- auch wenn auf den Nabenkappen das typische Emblem zu fehlen schein. Einen Mercedes aus dem Hause Daimler (mit dem Benz 1926 fusionieren sollte) möchte ich ausschließen – aber bilden Sie sich selbst ein Urteil:

Der Spitzkühler ohne Kühlerfigur, die Gestaltung der Vorderkotflügel und der Räder kommt einem jedenfalls ziemlich vertraut vor, wenn man schon viele Fotos eindeutiger Benz-Wagen der 1920er Jahre studiert hat (siehe meine Markengalerie).

Die Vorderradbremsen deuten auf eine Entstehungszeit ab 1925 hin – vorher verbauten deutsche Hersteller meist nur Bremsen an den Hinterrädern und am Antriebsstrang.

Von den Dimensionen her – auch der Räder kommen aus meiner Sicht vor allem zwei Typen in Betracht – der Benz 10/30 PS und der geringfügig längere 11/40 PS (mit 6 Zylindern).

Genau lässt sich das mangels publiziertem Vergleichsmaterial wohl nicht ermitteln. Leider zeigt das in der Online-Bildauswahl knauserige Mercedes-Benz-Archiv unter dem vielversprechenden Titel Benz 11/40 PS „Runabout“ (was einem Sport-Tourer nahekommt) nur einen ordinären Tourer, ansonsten Fehlanzeige.

Aber egal, was das für ein Typ ist – die Wirkung ist letzlich das, was einen hier einnimt.

Dasselbe kann man von Jean Rondeau aus Frankreich sagen – dem meines Erachtens besten Cembalo-Spieler überhaupt. Wie kein anderer bringt er das als langweilig und limitiert geltende Instrument so zum Klingen und Swingen, dass es eine reine Freude ist.

Und selbst wenn Sie mit Meister Bach nichts anfangen können – was ich für einen überwindenswerten Zustand halte – schauen sie sich diesen Typ an, wie er sich seinen Weg zur Arbeit in einer Ruine irgendwo auf dem Land in Frankeich bahnt.

In den nächsten 11 Minuten entführt er einen in eine Welt, in der es noch keine Maschinen gab, aber schöpferische Typen von unerreichter Klasse…

Ab Beginn der sechsten Minute kommt übrigens kurioserweise doch ein Vertreter der Verbrennerfraktion ins Bild – das vielleicht eine Motivation für manchen, „so lange“ durchzuhalten, danach beginnt ohnehin der Teil von Bach’s „Chaconne“ (aus Partita Nr. 2 für Violine), der jeden Jazzer glücklich machen sollte.

Übrigens: Unter bald 1000 Kommentaren unter dieser unerreichten Interpretation eines der großen Meisterwerke der Musikgeschichte fand ich nur zwei in deutscher Sprache…

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Kühler, kaum überraschend: Benz 11/40 bzw. 16/50 PS

Meinungsmache in den Mainstream-Medien hat – unabhängig vom Thema – einen Vorteil: hat man einmal die Absicht erkannt, kann man zuverlässig vom Gegenteil des Behaupteten ausgehen und liegt damit meist richtig.

Je wilder die Prognosen für den Sommer 2025 hierzulande ausfielen, je dunkelroter die Wetterkarten bei völlig normalen Temperaturen eingefärbt wurden und je absurder die Warnungen vor Sonne, Wärme und Betätigung im Freien, desto wahrscheinlicher, dass das Ganze mit der Realität nichts zu tun hat.

Wer seinen eigenen Erfahrungshorizont zugrundelegt und sich ein eigenes Bild von den Dingen zu machen pflegt, für den lautet das bisherige Fazit des diesjährigen Sommers in weiten Teilen Deutschlands: „Kühler, kaum überraschend.“

Das Wettergeschehen ist erratisch, chaotisch und bestenfalls zyklisch, von daher ist es kaum überraschend, dass es auch mal wieder kühler und regnerischer wird mitten im Hochsommer. Kein Grund zur Veranlassung, wie Spötter zu sagen pflegen.

Man muss sich halt passend kleiden, wenn die Wetterprognosen wieder mal danebenliegen und man dennoch einen Ausflug unternimmt. Dazu liefere ich heute das passende Foto:

Benz 11/40 PS Chauffeurlimousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Auch hier ist mit Blick auf die Frontpartie dieser Chauffeurlimousine festzustellen: „Kühler, kaum überraschend“.

Denn der Kenner deutscher Wagen der Zwischenkriegszeit wird hier sogleich einen Benz der ersten Hälfte der 1920er Jahre erkennen, noch also vor der Fusion mit Daimler.

Den markanten Spitzkühler gab es bei Benz wahlweise zwar schon ab 1913/14, doch die Kombination mit elektrischen Scheinwerfern lässt eher auf eine Entstehung nach dem 1. Weltkrieg schließen, als diese zum Standard geworden waren.

Die Proportionen der Motorhaube lassen vermuten, dass darunter ein 6-Zylinderaggregat sein Werk verrichtete. Das hat mich zu der Annahme veranlasst, dass wir hier einen Benz Typ 11/40 PS sehen – eventuell auch einen 16/50 PS.

Beide waren in der ersten Hälfte der 1920er eingeführt worden und gehörten damals zu den wenigen 6-Zylindern aus Deutschland. Eigentlich ist es aber auch egal, was für ein Motor genau verbaut war – denn der eigentliche Reiz dieses Fotos liegt für mich im Personal.

Von bunten Polyester-Fummeln unserer Tage denkbar weit entfernt ist man hier gewandet. Bei diesen Herrschaften (m/w/d usw.) ist zudem nichts von der Stange zu sehen, man ließ sich die Sachen auf den Leib schneidern oder zumindest entsprechend anpassen.

Das Ergebnis sind typgerecht gekleidete Zeitgenossen, die zwar damals wie heute keinen Schönheitspreis gewinnen würden – aber wer würde das heute? Verwegene Tätowierungen und kühne Bärte helfen nun einmal nicht, wenn einer dumm aus der Wäsche schaut.

Die Welt ist ungerecht, auch was die Verteilung von Schönheit betrifft. Umso schöner, wenn man ihr in so bezaubernder Form begegnet wie im Fall der jungen Dame am Steuer, die uns als einzige mit klarem und konzentriertem Blick begegnet.

Allein dafür lohnt sich schon das Studium dieser Aufnahme, über die wir sonst nichts wissen. Aber auch das nehmen wir als abgeklärte Betrachter solcher Zeugnisse längst vergangenen Lebens kühl zur Kennntis, kaum überrascht – oder doch nicht?

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Zeit zur Andacht: Im Tempel von Daimler&Benz

Wenn Sie Italien wirklich in aller Ruhe erfahren wollen, fahren Sie im Winter dorthin.

Während es um Weihnachten herum noch überall geschäftig zugeht, scheint das Leben im Januar und Februar fast stillzustehen. Draußen wird nur das Nötigste getan, wenn es irgend geht, bleibt man zuhause. Reisende sieht man so gut wie keine.

Nicht nur kommt man von Norden schneller denn je ans Ziel und zurück – 11 Stunden Autofahrt inkl. Tank- und Kaffeestops für 1200 km Strecke sind sonst kaum erreichbar – man hat auch die schönsten Orte für sich und wenn man es richtig anstellt, vergisst man die Zeit.

Am letzten Tag meines Aufenthalts in Umbrien besuchte ich wieder einmal das Städtchen Bevagna – in etwa auf halber Strecke zwischen Perugia im Norden und Spoleto im Süden in der Tiefebene „Valle Umbra“ gelegen.

Man denkt sich nicht, wieviel Großartiges ein umbrisches Städtchen mit 5.000 Einwohnern zu bieten hat und wie hingebungsvoll das architektonische und historische Erbe gepflegt wird. Erstmals erwähnt wird es als „Mevania“ beim römischen Historiker Livius anlässlich einer Schlacht zwischen römischen und umbrischen Truppen um 300 v. Chr.

Nach der Einigung Italiens unter römischer Herrschaft blühte der Ort für einige Jahrhunderte dank seiner verkehrstechnisch günstigen Lage an der Via Flaminia und dem damals schiffbaren Tiber-Zufluss Topino.

Der bis heute innerhalb des alten Mauergürtels liegende und praktisch ohne neuzeitliche Bauten erhaltene Ort bietet Reste römischer Tempel, Thermen und Theater, ein Geschichtsmuseum im Palazzo Lepri, ein sensationelles Bühnenhaus des späten 19. Jhs. (Teatro Torti) – und vor allem jede Menge mittelalterliche Bauten erlesener Qualität.

Man kann dafür durchaus einen Tag einplanen, sofern man sich länger in Umbrien aufhält oder dorthin zurückkehrt, weil man auch nach dem x-ten Mal nicht alles gesehen hat.

Geparkt wird – wie in italienischen Städten bewährt – außerhalb der Stadtmauern, etwa am südlichen Stadtrand, wo die Römerstraße von Montefalco kommend auf Bevagna stößt.

Vom Parkplatz aus geht es am Waschplatz vorbei über eine breite Brücke in die Altstadt:

Brücke in Bevagna (Umbrien); Bildrechte: Michael Schlenger

Beschaulich, nicht? Gestört wird das Idyll freilich, wenn man in der Brückenmitte das Schild liest: „Zerstört von den Deutschen im Juni 1944“.

Wie unzählige andere historische Brücken in ganz Italien wurden die Originale – oft römische und mittelalterliche, die Jahrhunderte überstanden hatten – von deutschen Truppen gesprengt, die gegen Kriegsende auf der Flucht vor den vorrückenden Alliierten waren.

Im vorliegenden Fall war dies besonders sinnlos, weil es in Sichtweite weitere Brücken gibt, die unbehelligt blieben. Zudem führt der Zugang über die gesprengte Brücke mitten in die verwinkelte Altstadt, während der schnellste Weg nach Norden um den Ort herum führt.

Vielleicht war eine deutsche Einheit wegen der alliierten Luftaufklärung bei Dunkelheit unterwegs oder irgendein frustrierter Kommandeur wollte unbedingt „ein Zeichen setzen“. Die Italiener bauten ihre Brücke 1946 jedenfalls wieder auf.

Verstimmt geht man weiter, leider gibt es solche Orte in Italien an jeder Ecke. Wollten wir nicht die Zeit vergessen? Ja, aber das klappt nicht immer so, wie man sich das wünscht.

Keine Sorge, es wird gleich besser. Von besagter Brücke kommend geht es durch diese Gasse auf die Piazza Silvestri, wo sich einem eine Kulisse wie aus einem Historienfilm darbietet und das Herz aufgeht:

Blick auf S. Michele in Bevagna (Umbrien); Bildrechte: Michael Schlenger

Die Schönheit des Platzes ist kaum mit dem Fotoapparat zu erfassen – man muss selbst dort gewesen sein. Also lasse ich es, mit einer schlechten Aufnahme den Versuch zu unternehmen.

Wie so oft verbergen sich die größten Wunder in Italien nicht in den Bauten, die den Blick als erste auf sich ziehen.

In der Hauptkirche San Michele gibt es nur wenig Aufregendes zu sehen – das Innere ist im Zeitverlauf stark verändert worden.

Doch dreht man sich um, erblickt man die unscheinbare Fassade von San Silvestro. Dort finden wir den ersehnten Raum zur Andacht:

S. Silvestro in Bevagna (Umbrien); Bildrechte: Michael Schlenger

Wer mit der Romanik dunkle und abweisend wirkende Kirchenbauten verbindet, wird in Italien regelmäßig eines Besseren belehrt.

Meist wurde in antiker Bautradition heller Kalkstein als Baumaterial gewählt und das Licht des Südens vermag selbst im Winter für noch mehr Helligkeit zu sorgen.

Im vorliegenden Fall hat man etwas mit dezenten Lampen im Gewölbe nachgeholfen, aber das ist auch die einzige Konzession an die Moderne. Die andächtige Stimmung stellt sich in diesem Raum ganz von alleine ein:

S. Silvestro in Bevagna (Umbrien); Bildrechte: Michael Schlenger

Ob man nun gläubiger Christ ist oder nicht – man verharrt für eine Weile in Ehrfurcht. Und sei es „nur“ in Bewunderung für die Kunst der Baumeister und Arbeiter, die solche Werke zu schaffen vermochten, die noch nach Jahrhunderten ihre Wirkung tun.

Ebenso gedenkt man der vielen Kaufleute, Handwerker und Bauern, deren Arbeit die Überschüsse abwarf, welche in diese Orte der Andacht flossen, an denen sich die Bürger der Stadt und des Umlands zum Gottesdienst einfanden.

Diese Menschen sind längst vergessen und verweht, doch die Früchte ihres Fleißes sind immer noch da und sind der Stolz ihrer Nachfahren.

Lassen wir es dabei, irgendwann wollen wir uns heute auch noch an Vorkriegsautos erbauen, für die das Gesagte ebenso gilt. Also sammeln wir uns und verlassen diesen Ort der Andacht, nicht ohne noch einen Blick auf San Michele gegenüber zu werfen:

S. Michele in Bevagna (Umbrien); Bildrechte: Michael Schlenger

Beglückt treten wir hinaus auf den Platz – abgesehen von zwei spielenden Kindern und einigen Einheimischen, die winterlich gekleidet rasch vorübergehen, ist niemand zu sehen.

Tatsächlich ist es draußen wärmer als in der tiefgekühlten Kirche – bei 10 Grad Plus genügt dem Barbaren aus dem Norden eine Übergangsjacke über dem Hemd.

Unternehmungslustig schauen wir uns um: Die Bar Colonna an der Ecke hat geöffnet und lockt sogar mit Eis – doch uns steht der Sinn nach dem Erlebten nach etwas Anderem.

Wir steigen in unsere bewährte Zeitmaschine, schließen kurz die Augen, und finden uns in einer Stadt nördlich der Alpen wider. Wo genau sie sich befindet, das wissen wir nicht genau, aber es muss eine sein, in der sich sehr viel Wohlstand angesammelt haben muss.

Denn dort betreten wir einen anderen Raum der Andacht, der zwar sehr irdischen Dingen geweiht war, aber für dessen Ausstattung es kaum weniger Fleißes bedurfte. Auch hier begegnen wir dem Materie gewordenen Ergebnis menschlicher Visionen und Anstrengungen – diesmal bloß auf leider vergänglichere Werke gerichtet:

Verkaufsniederlassung von Benz und Daimler; Originalfoto: Sammlung Jürgen Klein

Wenn Sie jetzt meinen, dass sich das Inneres eines Autohauses doch nicht mit einem Gotteshaus vergleichen lässt, dann sage ich: Alles lässt sich miteinander vergleichen, das heißt nicht, das alles gleich ist.

In der Moderne – also ab etwa 1920 – wurden keine Kirchen von dem phänomenalen Rang mehr gebaut wie in den rund tausend Jahren zuvor. Und auch der christliche Glaube – ob es einem gefällt oder nicht – hat nicht mehr die Kraft, ganze Gesellschaften dermaßen durchzuformen und zu beherrschen, wie das einst der Fall war.

Als Agnostiker sehe ich das gelassen, zumal die von unseren Vorfahren auf dem Fundament einer im Schwinden befindlichen Weltsicht geschaffenen Wunderwerke fortbestehen. Auch die klassischen Tempel der Griechen verlangen ja keinen Glauben an die einstige Götterwelt – wenngleich mir diese von jeher sympathisch ist.

Ein Meisterwerk menschlicher Kreativität steht für sich, nichts ist überflüssiger als endlose Erläuterungen von Gedichten, Epen, Gemälden oder Skulpturen.

Und da ich das Automobil der 1920er bis 1960er Jahre in seinen besten Exemplaren für bildende Kunst halte, meine ich, dass es seine Wirkung ohne viele Worte entfaltet.

So schreiten wir heute nun dank Leser Jürgen Klein schweigend durch die Hallen eines unbekannten Autogeschäfts, in dem einst unfassbare finanzielle Werte aus den damals noch separaten Häusern Daimler und Benz versammelt waren.

Beginnen wir im „Seitenschiff“ ganz links:

Verkaufsniederlassung von Benz und Daimler; Originalfoto: Sammlung Jürgen Klein

Hier haben wir den teuersten Aufbau auf Basis eines Benz-Spitzkühlwagens der frühen 1920er Jahre – eine Chauffeurlimousine.

Dahinter ein Daimler mit vermutlich ähnlichem Aufbau. Im Hintergrund ahnt man weitere solche Kaliber.

Beim Eintreten in diesen Tempel werden wir gleich vierer Gefährte ansichtig, davon die ersten drei mit offenem Aufbau.

Schön die grafischen Akzente, nicht nur in Form der Tapete im späten Jugenstil, sondern auch in Gestalt der sich wiederholenden Scheinwerferpaare, die zu leuchten scheinen:

Verkaufsniederlassung von Benz und Daimler; Originalfoto: Sammlung Jürgen Klein

Den unzweifelhaften Höhepunkt findet man indessen – ähnlich wie in mancher Kirche – in einer Nische oder sollte ich, um im Bild zu bleiben, sagen: Seitenkapelle?

Wie schon in antiken Tempeln waren in christlichen Kirchen reiche Stifter gern gesehen, spendierten sie doch oft das gewisse Extra an Ausstattung in Verbindung mit der Auflage, gesondert hervorgehoben zu werden.

In dem Sinne hat hier der „Dekorateur“ dieses Autohauses ganze Arbeit geleistet – der hell lackierte Wagen mit topmoderner Stoßstange kann in seiner Ecke sogar mit eigener Heizung aufwarten, auf dass seine Verehrer besonders gerne bei ihm verweilen:

Verkaufsniederlassung von Benz und Daimler; Originalfoto: Sammlung Jürgen Klein

Was das nun genau für Modelle von Daimler und Benz waren, diese Frage ist so abwegig wie die, welche Farbpigmente ein Freskenmaler der Renaissance einst verwendete.

Die besten Werke menschlicher Schaffenskraft bedürfen keiner solcher Überlegungen – alles was man darüber wissen muss, das vermitteln sie einem von selbst.

Wem der Vergleich einer romanischen Kirche mit einem Auto-Verkaufsraum der Vorkriegszeit weit hergeholt sein oder gar geschmacklos erscheinen mag, dem sei gesagt:

Jede Zeit mag für sich die Formen entwickeln, mit denen sie fundamentale Leidenschaften zum Ausdruck bringt. Man findet das dort, wo materieller Überfluss und die Freude am opulenten Einsatz von Material und Können herrschen. In solchen Zeiten hat der Mensch die ärgsten Nöte überwunden und kann zu mehr werden als einem Überlebenskünstler.

Dort hingegen, wo nur Verzicht und Einschränkung gepredigt werden, wo das Unnötige und Schöne zur Sünde erklärt wird, dort gedeiht nichts Gutes im Menschen.

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Nach reiflicher Überlegung: Ein Benz 27/70 PS

Zu den einst bedeutenden deutschen Marken, von denen ich eher selten Fotos vorstelle, gehören ausgerechnet die beiden vielleicht bekanntesten – Daimler und Benz.

Am Mangel an Material liegt das nicht, wohl aber daran, dass es oft schwerfällt, die Typen anzusprechen, speziell bei den frühen Modellen vor dem Zusammenschluss anno 1926.

Insbesondere die Benz-Wagen, welche kurz vor und kurz nach dem 1. Weltkrieg entstanden, sind praktisch nur an den Proportionen auseinanderzuhalten. Die Gestaltung folgte ansonsten einem sehr ähnlichen Schema.

In einigen Fällen hat man die Chance, durch Größenvergleiche den Radstand abzuschätzen, vor allem bei Aufnahmen von der Seite. Bisweilen erlaubt die Relation zwischen Wagengröße und Insassen eine ungefähre Einordnung.

So konnte ich diese große Benz-Limousine einst hier als Typ 16/50 oder sogar Typ 27/70 PS der frühen 1920er Jahre eingrenzen:

Benz 27/70 PS Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieser 6-Zylinder-Koloss mit über 7 Litern Hubraum war ein Relikt der Zeit vor dem 1. Weltkrieg – technisch veraltet, aber immer noch leistungsfähig genug, um souveräne Fortbewegung auf Fernreisen zu ermöglichen.

Mit diesem Gerät, dessen Motorblock noch paarweise gegossene Zylinder besaß und das seine Kraft hauptsächlich dem gigantischen Hubraum verdankte, konnte man – von steilen Anstiegen abgesehen – praktisch durchweg im großen Gang fahren.

Um zu verstehen, wie sich das Drehmoment solcher Riesenaggregate bemerkbar machte, kann man mit einem auf dem Papier PS-starken modernen Wagen der Klasse unter 2 Litern Hubraum den Versuch unternehmen, im 4. Gang anzufahren…

Mein 150 PS leistendes Alltagsauto mit 1,3 Litern Hubraum tut sich da schon im 2. Gang schwer – er entfaltet seine Kraft erst bei Drehzahlen ab 3.000 U/min, lässt sich dann aber im sechsten Gang elastisch zwischen etwa 130 und 180 km/h bewegen.

Der Benz 27/70 PS brachte es gerade auf 95 km/h Spitze, war also von der Übersetzung im großen Gang ganz anders ausgelegt. Vor über 100 Jahren war das zwar nicht mehr der Stand der Technik, aber für die meisten Kunden völlig ausreichend.

So konnte man auch nach dem 1. Weltkrieg noch eine Weile mit einem Benz dieser Spezifikation glücklich werden. Dass ich mich nach reiflicher Überlegung entschlossen habe, heute wieder eines dieser Prachtexemplare vorzustellen, hat zwei Gründe.

Nr. 1 ist der glückliche Umstand, dass mir Leser Matthias Schmidt aus Dresden dieses schöne Foto eines Tourenwagens dieses Typs in digitaler Form zur Verfügung gestellt hat:

Benz 27/70 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Lassen Sie sich nicht von dem gutgelaunten und großgewachsenen Herrn mit den feschen Ledergamaschen über den Schuhen täuschen.

Nehmen Sie stattdessen Maß an der langen Motorhaube und setzen diese in Relation zu den eher klein wirkenden Insassen. Das war ein mächtiger Wagen, der ohne weiteres Platz für einen großvolumigen Reihensechszylinder vorn und drei Sitzreihen hinten bot.

Ungewöhnlich für die Zeit nach dem 1. Weltkrieg ist der dem Auge schmeichelnde Aufwärtsschwung der nach innen abgekanteten Seitenlinie – m.E. ein Indiz für eine frühe Entstehung des ab 1918 im Benz-Programm vertretenen 27/70 PS-Models.

Dass irgendwann eine kleine Stoßstange nachgerüstet und ein Kätzchen als Kühlermaskottchen installiert wurde, spricht für eine lange Benutzungsdauer dieses Fahrzeugs. Ausgehend von der Kleidung der abgebildeten Personen würde ich die Aufnahme kaum früher als Mitte der 1920er Jahre verorten.

Überliefert ist auf der Rückseite des Abzugs leider nur, dass das Foto in der „Nähe von Karpacz Krummhübel“ entstand, wenn ich es richtig lese. Vielleicht weiß ein Leser etwas damit anzufangen und kann uns via Kommentar entsprechend erleuchten.

Wo aber bleibt Nr. 2 der beiden Gründe, welche eine Ansprache dieses Benz als Typ 27/70 PS erlauben? Nun, ich habe nicht umsonst im Titel angedeutet, dass dem eine „reifliche Überlegung“ zugrundeliegt.

Wer meine Neigung zu Kalauern dieser Güteklasse kennt, ahnt vermutlich, dass ich damit auf das Reifenformat des Wagens anspiele, welches die entsprechende Gewissheit liefert.

Tatsächlich ist vorn die Größenangabe 935 x 135 zu lesen. Während über die Breite selbst Motorradfahrer unserer Tage nur lächeln, ist der Durchmesser (93,5 cm) spektakulär. Er war laut Literatur dem 27/70 PS-Modells von Benz vorbehalten.

Das ist ein nettes Ergebnis in Sachen Benz, welches sich aus reiflicher Überlegung speist.

Es mag etwas dauern, bis sich wieder dem Foto eines Wagens dieser Marke solche Feinheiten entlocken lassen – doch bis dahin vertreiben wir uns die Zeit mit der Fülle des übrigen Materials, das kaum detektivischen Spürsinn verlangt, aber dennoch durch seine schiere Wirkung begeistert…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Begegnung in Biarritz: Ein Benz 24/40 PS

Der August nähert sich seinem Ende und nimmt bereits seit Wochen den Herbst vorweg. Tagsüber keine 20 Grad, immer wieder Regen, das kennt man so nicht hier in der klimatisch sonst so begünstigten Wetterau, in der ich wohne.

Die Störche sind am Wochenende davongeflogen.

Könnte man es ihnen nicht einfach nachtun und sich vorzeitig ein hübsches Plätzchen im Süden suchen? Wie wäre es mit einem Aufenthalt in Frankreich? Am äußersten Südwestzipfel lockt beispielsweise der einst mondäne Badeort Biarritz.

Das klingt nach einem Plan und das passende Gefährt dazu wäre vorhanden. Also auf dorthin, der Wagen steht mitsamt Fahrer bereit. Rund 1400 km sind zu absolvieren, doch die Aussicht auf einen Späthochsommer am Meer ist alle Mühe wert.

Heute wäre das binnen eines Tages machbar, doch ganz so flott ging das anno dazumal noch nicht. Vielleicht nahm man ja doch die Eisenbahn und gönnte sich erst vor Ort ein angemessenes Automobil mitsamt Chauffeur:

Benz Kettenwagen, wohl Typ 24/40 PS um 1908; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das sieht nicht wirklich nach sonnigem Süden aus. Doch auf dem Abzug ist überliefert, dass dieses Foto einst in Biarritz entstand, als Fotograf ist ein Herr Lückefett genannt.

Die Zulassung des Wagens scheint eine französische zu sein, aber auf diesem Sektor kenne ich mich nicht aus, das zu beurteilen überlasse ich gern anderen.

Dafür kann ich ziemlich genau sagen, was wir für ein Fahrzeug vor uns haben, und das will bei so frühen Automobilen etwas heißen.

In diesem Fall geht es nicht bloß 100 Jahre zurück – nein, Anfang der 1920er Jahre waren elektrische Scheinwerfer Standard, während wir hier noch gasbetriebene sehen. Auch 110 Jahre genügen noch nicht ganz – denn da stieß die Motorhaube längst nicht mehr so unvermittelt auf die Windschutzscheibe:

Vor 1910 muss dieser Wagen entstanden sein, jedenfalls gilt das für deutsche Fabrikate und mit einem solchen haben wir es eindeutig zu tun.

Zwar sind das Kühleremblem und die Radnabenkappen nicht genau zu erkennen, doch die Kühlerform in Verbindung mit den ungewöhnlichen Luftschlitzen in zwei Dritteln des Oberteils der Motorhaube ist typisch für mittlere bis große Benz-Wagen von ca. 1907/08.

Sogar die Motorisierung lässt sich recht genau bestimmen. So gab es besagte Luftschlitze im Haubenoberteil nicht bei den kleinen Benz-Modellen mit 18 bzw. 28 PS Höchstleistung. Diese besaßen auch nur 10 Speichen und fünf Radbolzen statt wie hier 12 bzw. sechs.

Die 50 bzw. 60 PS leistenden Spitzenmodelle wiesen größere Radstände auf und kamen besonders eindrucksvoll daher, ich würde sie daher in diesem Fall ausschließen.

Tatsächlich entspricht „unser“ Benz in Biarritz von den Proportionen präzise einem 24/40 PS-Modell mit fast identischem Aufbau in der Literatur (Benz & Cie, hrsg. von der Mercedes-Benz AG, Motorbuch-Verlag 1994, S. 91) und im Mercedes-Online-Archiv.

Als Besonderheit ist hier festzuhalten, dass es sich noch um die Variante mit Kettenantrieb handelt, die parallel zur moderneren Version mit Kardanwelle angeboten wurde. Man sieht einen Teil der Kette unterhalb des Trittbretts vor dem Hinterrad:

Nun mögen Sie sich fragen, warum der Fahrer auf dieser Aufnahme so warm gekleidet ist, wenn das Foto doch im südlichen Biarritz entstanden ist.

Ein Blick auf das örtliche Wetter sorgt für Ernüchterung: Selbst dort sind es tagsüber aktuell gerade einmal knapp über 20 Grad und nachts kühlt es spürbar ab. Da ist der Fahrer am Morgen gut beraten, sich gegen den Wind zu wappnen, dem er an der See ausgesetzt ist, während die Passagiere es sich im Fahrgastabteil gemütlich machen können.

Kommuniziert wurde übrigens bei Bedarf über das Sprechrohr, dessen Ende in etwa auf Kopfhöhe des Fahrers zu sehen ist.

Bevor Sie nun den Mann bedauern, bedenken Sie: Ein Chauffeur war ein gut bezahlter Fachmann, der neben fahrerischem und technischem Können über makellose Manieren verfügen musste. Und bei Wind und Wetter draußen arbeiten müssen Bauleute und andere fleißige Geister, ohne die nichts läuft im Lande, noch heute.

Das wäre nun schon fast alles zur „Begegnung in Biarritz“. Doch während das ernüchternd kühle Wetter auch dort zu wünschen übrig lässt, muss sich dem Thema doch noch etwas Herzerwärmendes abgewinnen lassen.

Tatsächlich gab es vor gut 40 Jahren unter dem deutschen Titel „Begegnung in Biarritz“ einen faszinierenden Film, der wohl wenig bekannt ist. Ich habe ihn jedenfalls erst heute entdeckt.

Zwar ist dort die automobile Seite weniger spektakulär ausgeprägt, aber man wird durch das Spiel einer Dame entschädigt, der vermutlich jeder Mann mit Faible für klassische Schönheit auch an frühherbstlichen Tagen in Biarritz gern begegnen würde…

Vorschau zu „Begegnung in Biarritz“, 1982; Videoquelle: Youtube; hochgeladen von Vintage Trailers

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Kirschenklau geklärt nach 99 Jahren: Ein Benz 8/20 PS

Haben Sie auch den grandiosen Pfingstsonntag genossen?

Oder haben Sie sich schlecht gefühlt, weil das Wetter nach einem kühlen und regenreichen Frühjahr endlich einmal wieder richtig schön ist und das ja nur am von Ihnen persönlich verursachten Klimawandel liegen kann?

Wer sich in der Rolle des Sünders gefällt, muss längst kein Mitglied der christlichen Kirche mehr sein – es genügt neuerdings völlig, ein Automobil mit Verbrennungsmotor zu fahren.

Zwei Formen des Ablasses gibt es in dem Fall: Entweder Sie kaufen sich ein Elektroauto, dessen Auspuff sich an dem Kohle- oder Gaskraftwerk befindet, das dann präzise den zusätzlichen Strom liefert, den Sie zum Laden anfordern – dann belügen Sie sich halt selbst.

Oder Sie bekennen sich schuldig und fahren weiter, verzichten aber zum Ausgleich dafür an anderer Stelle auf sündhaftes Tun. Wie sich das bewerkstelligen lässt, das erfahren Sie heute wie gewohnt kostenlos in meinem Blog, dem nichts Menschliches fremd ist.

Nebenbei werden Sie Zeuge der Aufklärung eines Diebstahldelikts, welches sich an Pfingsten vor 99 Jahren zutrug. Ob die Welt dadurch vollkommener wird, bezweifle ich zwar, aber eine Genugtuung ist es doch, nach so langer Zeit Spitzbuben beiderlei Geschlechts auf die Schliche gekommen zu sein.

Diese hatten sich 1924 als harmlose Automobilisten getarnt und einen in der ersten Hälfte der 1920er Jahre ziemlich unauffälligen Wagen beschafft – einen Benz 8/20 PS.

Das war das Einstiegsmodell der Traditionsmarke, welches an den 1912 eingeführten Typ 8/20 PS anknüpfte. Hier haben wir ein Foto dieses Modells, das – wie es der Zufall will – an Pfingsten 1914 aufgenommen wurde:

Benz 8/20 PS Tourenwagen (1912-14); Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Nach dem 1. Weltkrieg erhielt der Benz 8/20 PS eine modernisierte Karosserie – zu erkennen am modischen Spitzkühler, flachem Windlauf und elektrischen Scheinwerfern.

Technisch tat sich an dem Wagen hingegen fast 10 Jahre nichts – ungewöhnlich für eine Zeit, in der etwa alle fünf Jahre größere Fortschritte zu verzeichnen waren. Aber Benz war nur selten durch Innovation aufgefallen – vom legendären Erstling anno 1885 abgesehen.

So kam es, dass der an Pfingsten 1924 eingesetzte Benz 8/20 PS äußerlich anders daherkam, aber unter der Haube dieselbe brave Technik eines 2 Liter-Vierzlinders mit seitlich stehenden Ventilen bot wie sein Vorgänger zehn Jahre zuvor.

Einen entscheidenden Vorteil hatte er indes, nämlich einen im Unterschied zum Tourer festen Aufbau. Doch auch ohne diesen wären diese Diebe einst ans Ziel gelangt:

Benz 8/20 PS Tourenwagen (1919-21); Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Da haben wir sie also erwischt – die frechen Kirschendiebe im Gewand solider Bürgerlichkeit!

Nun mögen Sie fragen, wie das zusammengeht – Pfingsten und Kirschenklau. Ich war selbst ein wenig erstaunt, doch je nach dem, wie Pfingsten (bzw. Ostern) fällt und in welcher Region wir uns bewegen, kann es dann durchaus schon bestimmte Kirschensorten geben.

Zum anderen steht es genau so auf der Rückseite des Abzugs – die Täter haben also anno 1924 leichtfertig Spuren hinterlassen (bloß die Reisepässe hatten Sie nicht verloren, sodass wir über ihre Identität nur spekulieren können).

Unzureichende Evidenz hält einen soliden Kommentator unserer Tage freilich nicht davon ab, sein Weltbild auf diese Situation zu projizieren.

Demnach muss der Herr mit der hellen Hose auf der rechten Seite ein berüchtigter Lebemann gewesen sein – nennen wir ihn Graf Rotz von der Backe – ein mit allen Wassern gewaschener Weltkriegsoffizier, der nur darauf wartete, vorbeikommendem Landvolk eins mit der Reitgerte überzuziehen.

Links neben dem Wagen steht seine Tochter Heidegard von Hochmuth Schmiere. Sie kleidet sich modern, weiß aber, dass man als Frau immer noch am besten durchkommt, wenn man den Herren das Gefühl lässt, die Hosen anzuhaben.

Ihr ist jedes Mittel recht, um an bestes Material für ihre legendären Kuchen zu gelangen, mit denen sie bislang jeden Verehrer beeindruckt hat. Freilich macht sie sich bei der Rohstoffbeschaffung die Finger nicht persönlich schmutzig, das überlässt sie bewährtem Personal.

Selbiges müht sich derweil nach Kräften auf dem Benz ab, um an den begehrten „Stoff“ zu gelangen, damit die Herr- und Frauschaften zufrieden sind.

Nun macht schon, oder soll ich Euch Beine machen?“, schnarrt der Graf, während ihm Tochter Heidegard sekundiert: „Wenn Ihr nicht bald fertig seid, könnt Ihr seh’n, wie ihr heimkommt!„.

Das letzte Argument ist das überzeugendere und so ist der Kirschenklau rasch erfolgreich abgeschlossen und niemand wurde Zeuge dieser Tat – außer dem Fotografen, welcher diese Aufnahme für die Nachwelt festhielt.

Nach 99 Jahren darf man alles als verjährt und alle Rechte als abgelaufen betrachten – so kann ich heute endlich zur Aufklärung dieses Tat an Pfingsten 1924 beitragen.

Bleibt nur noch die Frage, was der moderne Sünder mit Benziner in der Garage – oder öfter: auf der Straße – tun kann, um sich von seinem Status als Klimafrevler freizukaufen. Ganz einfach: Man verzichte darauf, Kirschen zu klauen.

Sammeln Sie Quittungen vom Kirschenbauern ihrer Wahl und weisen Sie diese bei Bedarf vor: „So oft habe ich nachweislich auf die Fahrt in den Kirschenberg verzichtet, wo ich sonst geklaut und dabei sinnlos Benzin verbrannt hätte„.

Sie werden sehen, schon erhalten Sie wieder einen Bezugsschein für Super- oder Dieselkraftstoff – ist doch alles halb so schlimm in der schönen neuen Welt, nicht wahr?

Alles nur Spaß – bisher. Genießen Sie das Prachtwetter zu Pfingsten und drehen Sie ruhig eine Runde mit dem Auto – es könnte jederzeit die letzte sein wie anno 1914:

Benz 8/20 PS Tourenwagen (1912-14); Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

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Kutsche oder Kunstwerk? Benz Kettenwagen um 1905

Es ist wieder einmal an der Zeit, in die wirkliche Frühzeit des Automobils einzutauchen. Je bizarrer mir das aktuelle Zeitgeschehen vorkommt, desto wohltuender ist das.

Genügt es dazu, die Zeitmaschine auf „110 Jahre retour“ einzustellen? Schauen wir einmal, was wir dann in Sachen Automobil geboten bekommen:

Benz 10/30 oder 16/40 PS Chauffeurlimousine, um 1913; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser Benz wurde im Juni 1914 in Itzehoe aufgenommen und dürfte kaum früher als 1913 entstanden sein – dafür sprechen die elektrischen Parkleuchten im „Windlauf“ vor der Windschutzscheibe.

Das Fahrzeug entspricht bereits ziemlich genau dem, was man sich unter einem Auto vorstellt, nicht wahr? Gewiss, die noch freistehenden Kotflügel sind eine Spezialität der Vorkriegszeit, aber kurioserweise heißen sie immer noch so.

Ansonsten ist alles dort, wo man es erwartet, sieht man einmal von der Rechtslenkung ab. Der hohe Aufbau bietet genau den Komfort beim Ein- und Aussteigen, der heute wieder geschätzt wird – die Autobesitzer werden ja nicht jünger.

Kutsche oder Kunstwerk?“ – Diese Frage stellt sich hier offenbar nicht. Also kehren wir in die Gegenwart zurück und justieren unsere Zeitmaschine noch einmal neu. Diesmal stellen wir sie auf „125 Jahre retour“ und schauen, was passiert:

Benz-Reklame von 1898; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Verflixt, nur 15 Jahre Unterschied und wir scheinen im Kutschenzeitalter gelandet zu sein – allerdings ohne Pferde, dafür mit Benzinmotor nach Patent von Carl Benz anno 1898.

Wie kann es in so kurzer Zeit einen solchen Entwicklungssprung gegeben haben? Auf die Gegenwart übertragen wäre das so, als habe Tesla anno 2008 gerade einmal ein elektrisches Golf-Car gebaut. Tatsächlich wurde damals bereits das Model S entworfen, welches nach 15 Jahren immer noch gebaut wird. Soviel zum Thema Fortschritt heutzutage.

Irgendetwas muss damals radikal anders gewesen sein. Zum einen arbeiteten einst tausende Erfinder und Unternehmer auf eigene Faust an der Weiterentwicklung des Benziners, zum anderen redeten ihnen keine Politiker hinein.

Wenn es damals schon den EU-Bürokratenadel gegeben hätte, würden wir immer noch mit der Pferdekutsche fahren und Autos gäbe es bestenfalls für Funktionäre. Eine erschreckende Vision, man stelle sich das Gleiche für Kühlschränke oder Telefone vor.

Unsere Altvorderen haben auch viel Mist gebaut, aber sie wussten zumindest, was Sie besser dem Markt überlassen (so ziemlich alles, außer Militär und Bildungswesen).

Also geben wir uns zuversichtlich, stellen unsere Zeitmaschine nochmals neu ein – diesmal auf das Jahr 1905 – genau in die Mitte des bisher betrachten Zeitraums, et voilá!

Benz Kettenwagen um 1905; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Ist das nicht eine faszinierende Schöpfung? Die hintere Hälfte noch Kutsche, die vordere schon erkennbar Automobil, wenn auch noch wie angesetzt wirkend.

Diese Kreation irritiert und fasziniert – genau das macht ein gelungenes Kunstwerk aus. Es befördert uns aus dem Alltag heraus und lässt uns auf eine Entdeckungsreise durch die Assoziationen gehen, die sich bei seinem Anblick einstellen.

Die Heckpartie transportiert uns zurück ins 19. Jh. und noch weiter in die Vergangenheit:

Lediglich die Luftreifen, die Bremstrommel und der Kettenantrieb (zwischen Rad und Trittbrett sichtbar) deuten auf die technische Neuzeit hin.

Alles übrige, einschließlich der Blattfedern an der Hinterachse, ist über Jahrhunderte gewachsene Tradition.

Die Formen und Verzierungen des Passagierabteils sind ebenfalls Ergebnis über Generationen gepflegten kunsthandwerklichen Könnens.

Ob der vertikale Streifendekor eine Zutat des Jugendstils ist, also der zum Entstehungszeitpunkt des Wagens vorherrschenden gestalterischen Richtung, sei dahingestellt.

Jedenfalls haben wir es hier mit einem Element zu tun, das noch dem Kutschenzeitalter zuzuordnen ist. Wo aber bleibt die Kunst bei alledem?

Nun, die besteht aus meiner Sicht in der spannenden Kombination mit dem Maschinenzeitalter, das sich am Vorderwagen durchgesetzt hat:

Hier überwiegt noch das Diktat der funktionellen Gestaltung. Die gelungene ästhetische Verbindung zwischen Motorraum und Passagierraum lag zum Entstehungszeitpunkt noch in der Zukunft – etwa drei Jahre, schätzungsweise.

Wie komme ich auf eine so genaue Einordnung?

Nun, dieser prächtige Chauffeurwagen – ein „Außenlenker“ hätte man einst gesagt – lässt sich anhand der Gestaltung der Luftschlitze in der Motorhaube und der Form des Kastens über dem vorderen Kettenritzel als Benz aus der Zeit zwischen 1905 und 1908 identifizieren.

Vergleichsfotos gibt es in der Literatur beklagenswert wenige – es ist verstörend, dass es kein inhaltlich erschöpfendes und umfassend bebildertes Standardwerk zu frühen Benz-Autos gibt.

Doch in den immer noch unersetzlichen alten Schinken von Heinrich v. Fersen und Halwart Schrader zu deutschen Vorkriegsautos bis 1920 finden sich passende Prospektabbildungen von Benz-Kettenwagen jener Zeit.

Wer es genauer weiß, möge uns das über die Kommentarfunktion kundtun. Was den Typ angeht, will ich mich selbst nicht festlegen, eigentlich ist es auch egal.

Denn was nach so langer Zeit bleibt, ist der Eindruck, dass man bei den ganz frühen Automobilen kaum sagen kann, ob es sich um eine motorisierte Kutsche, ein expressives Kunstwerk oder beides handelte.

Wir kehren zur reinen Bewunderung dieser Zeugen zurück und belassen es bei der Feststellung, dass diese phänomenalen Schöpfungen menschlichen Erfindungsgeists und Schönheitssinns am Anfang einer Entwicklung standen, die eine Bewegungsfreiheit für jedermann ermöglichte, welche es in der Menschheitsgeschichte noch nie gegeben hat.

Wir müssten verrückt sein, uns das wieder nehmen zu lassen…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Tradition, Technik & Trend: Benz-Trio um 1920

Den „Benz Trio“ kannte ich noch nicht gar nicht – das mögen jetzt Leser denken, die meinen Blog vielleicht mit ernsthafter Automobil-Archäologie verwechseln.

Dabei soll die Beschäftigung mit den Vorkriegswagen ja vor allem Spaß machen – mir und Ihnen. Das erklärt manchen Kalauer, manchen erfundenen Dialog, manche spöttische Bemerkung (die nicht jedem gefällt, aber so ist das mit der Toleranz, nicht wahr?).

Manchmal wird schon die Überschrift Opfer meines Übermuts. Dabei trifft sie diesmal recht gut, worum es geht – wenngleich Sie keinen „Benz Trio“ erwarten dürfen. Ein Benz-Trio dagegen schon – dergleichen Unterscheidungen machen die deutsche Sprache aus.

Das Benz-Trio hat ganz von selbst zueinander gefunden, keine Casting-Show und kein Manager war dazu erforderlich. Wenn sich die Dinge beim abendlichen Sichten des Fotofundus plötzlich von alleine ordnen, dann weiß ich: Das ist ’ne Story, los geht’s!

Zur Marke Benz – vor dem Zusammenschluss mit Daimler – liegen mir Dutzende interessante noch unpublizierte Aufnahmen vor, teils aus meiner eigenen Sammlung, teils aus dem Fundus von Sammlerkollegen.

Das Material ist so umfangreich, dass ich meist davor zurückschrecke, eine Auswahl zu treffen. Doch heute war ich wild entschlossen, dass wieder einmal Benz an der Reihe ist. Da über diese Marke alles gesagt und alles publiziert ist (kleiner Scherz), ist es nicht einfach, den über etliche Motorisierungen hinweg sehr ähnlichen Autos etwas Neues abzugewinnen.

Doch heute will ich’s wagen! Also: Bekanntlich taucht bei Benz (wie bei Daimler und anderen deutschen Automarken) ab 1913/14 der modische Spitzkühler auf, den wir auf dieser Reklame aus dem 1. Weltkrieg besichtigen können:

Benz-Reklame aus: Der Motorfahrer, Dezember 1917; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Der Spitzkühler blieb bis in die frühen 1920er Jahren typisch für Benz, wenngleich konservative Kunden weiterhin auch den weniger auffälligen Flachkühler ordern konnten.

Wie vielschichtig sich der Stil dieser Benz-Wagen kurz nach dem 1. Weltkrieg unter dem Einfluss von Tradition, Technik und Trend darstellen konnte, das will ich heute anhand eines entsprechenden Trios illustrieren.

Dabei bleibt ausnahmsweise außen vor, um welche Typen es sich jeweils handelt – das zu sagen ist oft auch nur näherungsweise möglich (Ausnahmen bestätigen die Regel). Vor allem bieten die Mitglieder meines heute präsentierten Benz-Trios weit Interessanteres.

Beginnen wir mit Nr. 1 – was nicht als Rang zu verstehen ist:

Benz Tourenwagen, aufgenommen 1928; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der Fahrer dieses Tourenwagen mag vielleicht tief im Sitz versunken oder schlicht sehr klein gewesen sein – so oder so war das ein ziemlich imposantes Auto.

Die Länge der Frontpartie, die fast die Hälfte des Wagens auszumachen scheint, wird durch die durchgehend gerade Linie von Motorhaube und Windlauf akzentuiert. Das findet man nach meinem Eindruck so konsequent bei Benz-Wagen erst ab 1918.

Die nach innen abgeschrägte Oberkante des übrigen Aufbaus – die sogenannte Schulter – ist ebenfalls ein typisches Merkmal deutscher Automobile jener Zeit.

Erst etwas später setzt ein radikaler Wandel ein – die „Schulter“ verschwindet völlig und weicht einer radikal reduzierten Kante. Bevor wir uns gleich ein Beispiel dafür anschauen, sei auf die vorne nachträglich angebrachte Stoßstange verwiesen.

Während der Spitzkühler nach dem 1. Weltkrieg die Tradition verkörpert und die „Schulter“ einen kurzlebigen Trend, ist die Stoßstange das Einzige, was den Fortschritt in der Technik repräsentiert, denn Benz-Wagen boten nach dem 1. Weltkrieg sonst kaum Neues.

So, jetzt aber zum nächsten Mitglied unseres Benz-Trios, welches nicht nur auf den ersten Blick kaum etwas mit dem eingangs gezeigten Wagen gemein hat:

Benz Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Ist doch irre, dieses Auto, oder? Hier kommt alles in einer wiederum völlig anderen Mischung zusammen: Tradition, Technik, Trend.

Beginnen wir mit letzterem: Der wannenformig gestaltete Passagierraum ist aufs Äußerste reduziert, jedenfalls was die reine Architektur betrifft. So extrem simpel kamen viele deutsche Tourenwagen ab Mitte der 1920er daher.

Der Besitzer bzw. Auftraggeber wollte der vollkommenen Beliebigkeit dieser Blechpartie jedoch offenbar dadurch entrinnen, indem er ein traditionelles Korbflechtmuster aufbringen ließ – eigentlich ein Gestaltungskonzept aus der Zeit weit vor dem 1. Weltkrieg.

Die sich daraus ergebende lebendig wirkende Fläche macht diese Partie nicht nur erträglich, sie lässt den Wagen geradezu exzentrisch erscheinen.

Dass hier jemand etwas ganz Eigenes haben wollte, ist auch daran ersichtlich, dass der als Basis dienende Benz höchstwahrscheinlich noch aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg bzw. dessen Ende stammte. Dafür spricht die Gestaltung der Luftschlitze.

Solche Neuaufbauten auf hochkarätigen Automobilen waren weder selten noch ein aus Kostengründen eingegangener fauler Kompromiss. Ein derartiger Manufakturaufbau war enorm zeitaufwendig und entsprechend kostspielig.

Gleichzeitig legte der Besitzer Wert auf technische Innovation im Detail. Denn hier sehen wir nun die modernste damals verfügbare Stoßstange überhaupt:

Ganz offensichtlich gab diese Stoßstange bei „Feindberührung“ etliche Zentimeter nach und absorbierte über einen Federmechanismus einen Teil der Aufprallenergie, den Rest verkraftete im Regelfall der in Längsrichtung hochfeste Rahmen.

Genial, nicht wahr? Darauf war aber keiner der nach dem 1. Weltkrieg überwiegend im Tiefschlaf verharrenden etablierten deutschen Autobauer gekommen, sondern irgendein findiger Entwickler von intelligentem Zubehör.

Wenn ich mich recht entsinne, wurden ohne Verformung stoßabsorbierende Stoßstangen in den USA irgendwann in den 1980er Jahren Standard, was hektische und hässliche Umbauten bei deutschen Exportmodellen nach sich zog (dabei gab es das doch längst).

Nun mag manchem die Nr. 2 in unserem Benz-Trio zu exaltiert erscheinen und die Nr. 1 zu bieder. Daher kommt jetzt Nr. 3 ins Spiel, und zumindest für mich ist hier eine besondere Harmonie aus Tradition, Technik und Trend realisiert worden:

Benz Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Ein geräumiger Tourenwagen mit trendiger Bootsheckkarosserie, die „Schulter“ nach hinten ansteigend und breiter werdend, am Vorderwagen noch viel Tradition mit den alten Luftschlitzen und dem Spitzkühler der Zeit kurz vor dem 1. Weltkrieg, und nicht zuletzt wiederum neue Technik in Form der Stoßstange – hier findet das Benz-Trio für mich seinen harmonischsten Ausdruck.

Was meinen Sie? Welcher Benz aus diesem Trio wäre Ihr Favorit? Und was fehlt Ihnen oder stört Sie daran? Vielleicht findet sich ja etwas im Fundus für das nächste Mal – denn Benz-Automobilen lässt sich auch nach 100 Jahren noch manche Facette abgewinnen…

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Der Clanchef gibt sich die Ehre: Benz 27/70 PS

Heute bietet sich die seltene Gelegenheit, sich dem Oberhaupt einer Familie anzunähern, deren Angehörige zwar immer wieder auffällig werden, deren Chef sich aber bislang dem Zugriff entziehen konnte.

Die Mitglieder dieses Clans zeichnen sich durch bemerkenswerte Ähnlichkeit aus, wie sie Ergebnis beharrlicher Inzucht ist. Auf Fahndungsplaketen sind sie nicht zufällig alle mit derselben spitz endenden, ansonsten vollkommen geraden Nase abgebildet:

Benz-Reklame aus „Motor“, Dezember 1917; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Solche Konterfeis lassen zwar die Familienzugehörigkeit auf Anhieb erkennen, zumal die Clanmitglieder ihren Namen stets stolz vor sich her tragen. Doch genügt das vorliegende Material nicht immer, die genaue Identität hinreichend zu bestimmen.

Es bedarf aussagefähiger Beweisfotos und einiger Erfahrung, um die einzelnen Angehörigen dieser Familie auseinanderzuhalten, die an ihrem Ursprungsort Mannheim heute auch Neubürger unter dem Namen Benç (gesprochen: „Benz“) kennen.

In einigen Fällen ist die Ähnlichkeit so groß, dass man nicht genau sagen kann, welches Familienmitglied nun genau vor einem steht, in anderen Fällen lassen sie sich an der Größe recht gut unterscheiden.

Beginnen wir beim Junior und lernen anschließend die wichtigsten Vertreter dieses Clans kennen, bis wir am Ende Bekanntschaft mit dem Chef der Familie höchstselbst machen.

Schon dem Nesthäkchen ist unverkennbar der Charakter des Clans ins Gesicht geschrieben, auch wenn er längst noch nicht ausgewachsen ist:

Benz 8/20 PS (Vierzylinder), frühe 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses halbstarke Mitglied des Benz-Clans mit dem Rufnamen 8/20 PS, besitzt nicht nur die markante Nase der Familie, sondern kommt wie die großen Brüder mit einem halbrunden Werkzeugkasten an der Flanke daher, über dessen Inhalt man spekulieren kann.

Nicht mehr so bubenhaft, sondern bereits ausgewachsen erscheint dagegen sein nächstgrößerer Bruder – in der Familie als Typ 10/30 PS bekannt. Er ist von kräftigerer Statur und legt erkennbar Wert auf eine sportliche Erscheinung, zumindest was das „Schuhwerk“ angeht:

Benz 10/30 PS (Vierzylinder) der frühen 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nur wenig unterscheidet diesen Typ vom nochmals größeren Familienmitglied, traditionell nur 11/40 PS geheißen.

Der hält sich für bedeutend vornehmer und legt erkennbar Wert auf mehr Diskretion, was nicht bedeutet, dass er nicht bei Bedarf die Muskeln spielen lassen kann. Die familientypische Nase erscheint hier noch länger und verrät, dass dieser Bursche seinen kleinen Brüdern einiges an Kraftreserven voraus hat – aber auch an Kultiviertheit:

Benz 11/40 PS (Sechszylinder) der frühen 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Doch so beeindruckend dieses Familiemitglied auch erscheint, so sind wir damit noch nicht an der Spitze des Clans angelangt.

Denn nochmals mehr Gewicht in die Waagschale wirft der nächste Vertreter – 16/50 PS geheißen – trotz seiner Größe nun wieder ein sportlich daherkommender Typ.

Er hat übrigens denselben Werzeugkasten bei sich wie der eingangs gezeigte Clan-Junior. Der kleine Bruder hat also auch in dieser Hinsicht grundsätzlich dieselben Anlagen wie Big Brother – er kann freilich nicht mit einer so beeindruckenden Statur aufwarten wie dieser:

Benz 16/50 PS (Sechszylinder) der frühen 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Mit diesem respekteinflößenden Typ befinden wir uns nun ganz in der Nähe des Familienoberhaupts. Allerdings gibt sich dieses nur selten die Ehre und lässt neugierige Zeitgenossen gerne warten.

Wir haben aber Zeit und machen unterdessen Bekanntschaft mit einem „Cousin“ des Typs 16/50 PS, der diesem in der Hierarchie der Familie kaum nachstehen dürfte.

Fast könnte es sich um einen Zwillingsbruder handeln, der indessen im Detail einen etwas verfeinerten Geschmack pflegt:

Benz 16/50 PS (Sechszylinder) der frühen 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wie es scheint, hat ein auf derselben Ebene angesiedeltes Mitglied des Benz-Clans es geschafft, solide Kontakte mit der Polizei zu knüpfen. Das ist sogar offiziell dokumentiert.

So pflegt dieser „Cousin“ des Typs 16/50 PS freundschaftlichen Kontakt zum Chauffeur des Polizeipräsidenten. Solche Verbindungen in obere Kreise sind für einen Clan, der wirklich Erfolg haben will bei seinen Geschäften, natürlich unbezahlbar.

Benz 16/50 PS (Sechszylinder) der frühen 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Familie Benz, von der ich dank langjähriger Verbundenheit hier einige Mitglieder vorstellen kann, hat es in dieser Hinsicht bereits früh geschafft, trotz einfacher Herkunft das Vertrauen der Spitzen der Gesellschaft zu gewinnen.

Bereits der älteren Generation der Familie war es gelungen, sich sogar beim Militär beliebt zu machen, als man dort noch Wert auf tadelloses Äußeres und Verhalten legte.

Hier haben wir einen Clan-Vorfahren, der schon dieselbe spitze Nase besaß, welcher sich hochrangigen Chargen angedient hatte und dort große Wertschätzung genoss:

Benz 25/55 PS (Sechszylinder) ab 1914; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nachdem wir uns auf diese Weise der vollkommenen Ehrenhaftigkeit des Benz-Clans vergewissern konnten und die Bekanntschaft mit honorigen Vertretern desselben machen durften, kommen wir nun in den Genuss der seltenen Ehre, Bekanntschaft mit dem Familienoberhaupt zu machen.

Natürlich vereint der Clanchef alle Eigenschaften seiner Anverwandten auf das Vortrefflichste und vermag sie in jeder Hinsicht nochmals zu übertreffen.

So besitzt er die mächtigste und zugleich distinguierteste Erscheinung – er hat in jeder Hinsicht die markante und besonders großgeratene Nase vorn. Gleichzeitig legt er Wert auf eine gewisse Verschlossenheit und ihm geht Machtfülle klar vor Sportlichkeit:

Benz 27/70 PS (Sechszylinder) der frühen 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Da steht er nun vor uns, der Clanchef höchstselbst und ehrfüchtig flüstert alles das Codewort, das in der Familie Benz höchstes Ansehen genießt: 27/70 PS.

Auch im Vergleich zu den direkt darunter angesiedelten Mitgliedern des Benz-Clans ist „der Chef“ von überragender Statur und übertrifft alle mit Abstand an Souveränität, aber auch Raffinesse, die aus einer langen Tradition schöpft und kaum Konkurrenz kennt.

Damit wären wir am Ziel des heutigen Ausflugs in die Welt des Benz-„Clans“ der frühen 1920er Jahre angelangt. Dabei haben wir praktisch die ganze Palette an Modellen kennengelernt – vom 2,1 Liter Vierzylinder 8/20 PS bis hin zum monumentalen Sechszylinder 27/70 PS, der seine enorme Kraft aus 7,1 Litern Hubraum bezog.

Diese Palette markiert zugleich den Endpunkt der Benz-Familiengeschichte, denn 1926 schlossen sich Benz und Daimler bekanntlich zusammen, um eine gemeinsame Tradition der Exzellenz zu begründen.

Übrigens will ich nicht bei allen heute gezeigten Fotos die Hand dafür ins Feuer legen, dass die Typbezeichnungen 100%ig stimmen, aber die Tendenz sollte zutreffen.

Die genaue Typansprache ist bei Benz-Wagen vor und nach dem 1. Weltkrieg oft mit Unsicherheit behaftet, da die Familienähnlichkeit sehr groß war und Charakteristika wie die Zahl der Haubenschlitze und die Länge des Vorderwagens nur grob mit den Motorisierungen zu korrelieren scheinen.

Entscheidend ist aber, dass man die beeindruckende Bandbreite der Typen anhand solcher Dokumente veranschaulichen kann, auch wenn sich nicht mehr in jedem Fall ermitteln lassen wird, welches Aggregat genau sich unter der Motorhaube verbarg.

© Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Auf dem Weg ins Ungewisse: Zwei Benz-Wagen von 1912

Vor einigen Jahren fand ich in einem Trödelladen in Neapel eine kleine Porzellanfigur aus den 1920er Jahren. Sie zeigte eine junge Frau mit dem typischen Bubikopf-Haarschnitt jener Zeit – ihre Augen waren mit einer goldenen Binde verdeckt.

Ich fragte den Verkäufer, was das bedeute. „Che il futuro e incerto“ – „Dass die Zukunft ungewiss ist.“ waren seine Worte. Das Figürchen kam daraufhin in mein Reisegepäck.

Das Thema der Ungewissheit beschäftigt mich jedes Jahr, wenn der Wind die letzten Blätter von den Bäumen fegt und die Natur für einige Monate in tiefen Schlaf verfällt.

Gestern noch schickte die Novembersonne einen wärmenden Gruß, doch oben am Himmel zogen die Kraniche in Formation von Nordosten kommend über die Wetterau – sie wissen instinktiv, wann die Zeit dazu gekommen ist.

Doch was mag uns die Zukunft bringen – oder auch bloß: Wie wird der Winter werden? Das ist ungewiss.

Auffallend viele Zeitgenossen beschäftigen sich zum ersten Mal seit dem Ende des Kriegs mit dem Szenario einer fatalen Stromknappheit, während in Deutschland ein grundlastfähiges Kraftwerk nach dem anderen vom Netz genommen wird.

„Wir schütten unsere Brunnen zu, ohne neue gegraben zu haben“, so formulierte es kürzlich ein Kraftwerkstechniker, der einst von den Schergen des totalitären „DDR“-Regimes auf’s Übelste drangsaliert wurde.

Scheinbare Selbstverständlichkeiten wie „Der Strom kommt aus der Steckdose“ könnten sich bei uns schon bald als Irrtum erweisen. Deutschland ist zunehmend von Stromimporten abhängig und verfügt ab Ende 2022 über keinerlei Reservekapazität mehr.

Eine verantwortungslose Politik, die keine Rücksicht auf die existenziellen Belange der Bevölkerung nimmt – nichts Neues in der deutschen Geschichte. Vor über 100 Jahren schaute auch dieser Mann angesichts des nahenden Winters dem Ungewissen entgegen:

Benz Chauffeurlimousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Im März 1916 wurde diese Aufnahme als Postkarte verschickt, doch wir dürfen davon ausgehen, dass das Foto noch vor Kriegsausbruch entstand.

Das darauf abgebildete Auto lässt sich als Benz von etwa 1912 ansprechen. Der recht kompakte Kühler spricht für eines der kleinen Modelle, die damals neben Mittelklassetypen und Hubraumriesen angeboten wurden.

Doch schon dieses Fahrzeug stellte einen unerhörten Luxus dar. Es handelt sich nämlich um eine Chauffeur-Limousine, die über ein seitlich offenes Fahrerabteil und einen dahinterliegenden geschlossenen Passagierraum verfügte.

Wer auch immer diesen Benz besaß, konnte sich also nicht nur irgendein Automobil leisten, sondern auch einen eigenen Fahrer. Diesen sehen wir auf dieser prächtigen Aufnahme und wir kennen sogar seinen Namen. Toni Reiter hieß er und er stammte aus München:

Wer nun meint, dass sich so einen doppelreihigen Mantel mit Pelzkragen doch gewiss nur der Besitzer des Benz leisten konnte, der irrt. Denn die Schirmmütze weist den ernst in die Ferne schauenden Mann als Angehörigen der Chauffeurs-Profession aus.

Wer genau hinsieht, erkennt in der gläsernen Trennwand zwischen Fahrer- und Passagierabteil eine runde Öffnung, durch die der Chauffeur seine Anweisungen von den Herrschaften empfing.

Mit dieser zwar dienenden, doch eine außergewöhnliche Qualifikation erfordernden Funktion ging ein weit höherer Status einher, als ihn der Großteil der in der Landwirtschaft, in Handwerksbetrieben oder Fabriken arbeitenden Bevölkerung besaß.

Toni Reiter gibt sich hier entsprechend selbstbewusst und er macht gute Figur dabei. Er ist der eher seltene Typ Mann, dem ein schneidiger Schnauzbart gut steht und dem man auch auf der Bühne oder im Stummfilm eine charakterstarke Rolle zutraut.

Was mag ihm durch den Kopf gegangen sein, als diese Aufnahme entstand? Wir wissen es nicht – bloß, dass er einer ungewissen Zukunft entgegensah. Bei Ausbruch des 1. Weltkriegs dürfte er als Kraftfahrer eingezogen worden sein – dann hätte er Glück gehabt.

Vielleicht fand er sich dann in einer Situation wie dieser wieder, die einen ganz ähnlichen Benz von ca. 1912 zeigt, hier jedoch eindeutig im militärischen Einsatz:

Benz Chauffeur-Limousine im 1. Weltkrieg; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser Benz entspricht von Format und Ausführung weitgehend dem Wagen, den Toni Reiter einst chauffierte.

Jedoch war das ein Wagen, der zweifellos in Frontnähe unterwegs war – die vier auf dem Trittbrett angebrachten Karabiner sprechen eine eindeutige Sprache.

Auch die Männer neben dem Wagen – einige Mannschaftsdienstgrade, zwei Unteroffiziere und ein Offizier – wirken nicht so, als seien sie auf dem Weg zu einem harmlosen Weiterbildungskurs zum Thema „Gender Diversity“ oder was auch immer bei der trotz 35 Mrd.-Budget einsatzunfähigen Bundeswehr heutzutage en vogue ist.

Am Steuer des Benz sehen wir hier wieder einen schnauzbärtigen Fahrer – das könnte beinahe Toni Reiters „alter ego“ sein – jedenfalls ein Berufskamerad.

Von diesen sieben Männern waren bei Kriegsende statistisch betrachtet vermutlich zwei bis drei tot oder verstümmelt – wobei diese Quote bei deutschen Frontoffizieren besonders hoch ausfiel, die für gewöhnlich von vorne führten und sich den gleichen Gefahren aussetzten wie ihre Untergebenen.

Gewiss war ihnen zum Zeitpunkt der Aufnahme nur, dass ihr Weg sie einer ungewissen Zukunft entgegenführte, die nichts Gutes verhieß:

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Besuch von den Royals! Ein Benz um 1908

Zu den Traumata, die sich durch die deutsche Nachkriegsgeschichte ziehen, gehört nicht nur, dass man gleich zweimal ungehobelten Amis im Krieg unterlegen ist, sondern auch, dass man dabei des Adels verlustig wurde.

Wenn es daher heute um billige Unterhaltung auf Kosten Dritter geht, hat man in deutschen Landen – die Österreicher seien dabei kurzerhand „angeschlossen“ – nur die Wahl zwischen abgehalfterten Prominenten im Dschungelcamp oder einem gutmütigen britischen Prinzen, der einer etwas zu ehrgeizigen Schauspielerin erlegen ist.

Der offenbar viele schmerzende Mangel an Royals „Made in Germany“ lässt sich allerdings kompensieren, wenn man sich in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurückbegibt, als Deutschland zwar bereits ein halbwegs demokratisch verfasster Staat war, in dem aber die Abkömmlinge deutscher Adelsgeschlechter omnipräsent waren.

Man kommt an ihnen auch dann nicht vorbei, wenn man sich nur für die Automobile jener Zeit interessiert. Tatsächlich fand sich unter den Blaublütigen mancher, durch dessen Adern eher Benzin strömte – vor allem Prinz Heinrich von Preußen ist hier zu nennen.

Von echten Sportsmännern wie ihm (und einigen anderen) abgesehen, begegnet man adligen Automobilisten eher als Passagier der jungen Motorkutsche, so auch hier:

Benz Tourenwagen um 1908; Originale Postkarte aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme entstand einst anlässlich eines Inspektionsbesuchs beim Heer auf einem unbekannten Truppenübungsplatz. Der sandige Boden spricht für Norddeutschland, das Fehlen eines Nummernschilds für „hohen Besuch“!

Das Dasein als Wehrpflichtiger war seinerzeit kein Zuckerschlecken. Dennoch muss der Militärdienst für das Deutsche Reich viele mit Stolz erfüllt haben, sonst wäre ein Foto wie dieses nicht 1912 als Postkarte versendet worden – in diesem Fall nach Swinemünde.

Schauen wir uns die Herrschaften und ihren Wagen näher an:

Unter meinen Leser finden sich zum Glück welche, die sich sehr gut mit der Prominenz jener Zeit auskennen – an sie daher die Frage: Könnte der junge Mann auf der Rückbank, den wir im Profil sehen, Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen sein?

Sein Nachbar mit Pickelhaube und hellem Cape sollte sich ebenfalls identifizieren lassen – eventuell ist es der Landesherr der Provinz, in dem die Aufnahme entstand.

Unverzeihlich – zumindest nach offiziellem Protokoll – ist, dass der Fahrer hier ebenfalls in die Kamera schaut, als ob es bei dieser Aufnahme um ihn ginge! Sein Kamerad neben ihm macht es besser, er schaut stoisch nach vorn.

Wir lassen uns ebenfalls von dem hohen Besuch nicht mehr als nötig ablenken und wenden uns kurzerhand dem Automobil zu, das deutlich vor 1910 entstanden sein muss:

Auch wenn die Kühlerplakette nicht lesbar ist, spricht alles für einen Benz. Die Luftschlitze in der Oberseite der Haube tauchen bei der Marke erstmals 1906 auf und finden sich damals bei Benz-Wagen mit Motorisierungen von etwa 50 PS aufwärts.

Nach 1909 begegnet man diesem Detail nach meiner Wahrnehmung nicht mehr, sodass wir den Wagen auf „um 1908“ datieren können – genauer wird das wohl nicht möglich sein.

Die bis zu 70 PS reichenden Leistungen dieser Benz-Wagen waren kolossal – weniger, was die Höchstgeschwindigkeit anging (die nachrangig war), als im Hinblick auf die Steigfähigkeit und die Möglichkeit, fast schaltfrei fahren zu können.

Da Aufnahmen aus solcher Perspektive in der Literatur oder auch im öffentlich zugänglichen Fotoarchiv vom Mercedes-Benz die Ausnahme sind, wird eine genaue Ansprache von Modell und Baujahr kaum möglich sein.

In diesem Fall sind es auch eher die Insassen, die eine genauere Inspektion nahelegen – diesbezüglich hoffe ich auf erhellende Zuschriften von sachkundigen Lesern

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Ein Bild von einem Mann: Der General fährt Benz

Nach längerer Abstinenz kommt heute wieder einmal die altehrwürdige Marke Benz zu ihrem Recht. Der Wagen, um den es geht, ist zweifellos sehr eindrucksvoll, doch wird er von einem einstigen Passagier förmlich in den Schatten gestellt.

Man muss das Handwerk, das dieser Mann einst ausübte, nicht mögen – er war Berufssoldat und war ab 1910 General in der Bayerischen Armee – doch die Zeiten vor über 100 Jahren waren andere als im Deutschland des 21. Jahrhunderts.

Wie man noch sehen wird, verdiente er jedenfalls auf seine Weise Respekt. Die Rede ist von der Persönlichkeit, die das folgende Foto aus meiner Sammlung beherrscht:

Benz Tourenwagen mit General Felix von Bothmer; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch wer sich vorrangig für den Tourenwagen interessiert, der den Großteil dieser Aufnahme ausfüllt, wird die eindrucksvolle Erscheinung des Offiziers daneben bemerken.

Der großgewachsene Mann mit Bart und Schutzbrille, der soeben dem Wagen neben ihm entstiegen sein dürfte, war „General von Bothmer“ – so ist von alter Hand auf der Rückseite dieses Abzugs vermerkt, leider ohne Ortsangabe und Datum.

Doch bin ich zuversichtlich, dass ein Kenner anhand der Auszeichnungen des hochdekorierten Generals zumindest den frühestmöglichen Zeitpunkt nennen kann, ab dem diese Aufnahme entstanden sein muss.

Zunächst jedoch sei das Automobil näher betrachtet, der sich hier mit schlammbedeckten Reifen präsentiert:

Zweifellos handelt es sich um einen Benz – die Marke begegnet einem in Fotos aus dem 1. Weltkrieg neben Adler ,Opel, Hansa und Protos sehr oft.

Leider bereitet die genaue Typansprache häufig Schwierigkeiten, so auch hier. Die parallel erhältlichen Benz-Typen unterscheiden sich meist nur in der Größe.

Allenfalls die Zahl der Radspeichen gibt einen groben Hinweis auf die Motorisierung. Die 12 Speichen des Wagens auf obiger Aufnahme finden sich nicht bei den kleinen Benz-Typen der 20- bis 30-PS-Klasse, wenn man zeitgenössische Aufnahmen zugrundelegt.

Ab 1912 bot Benz mehrere Mittelklassetypen mit 40 bis 60 PS an, die offenbar meist 12 Radspeichen aufwiesen, sofern sie keine sportlichen Drahtspeichenräder besaßen.

1912 halte ich auch als Baujahr des Benz von General Bothmer für wahrscheinlich – davor ragte die Windkappe (auch „Windlauf“) zwischen Motorhaube und Frontscheibe steiler nach oben und danach verlief sie fast in einer Ebene mit der Haube.

Die elektrischen Positionsleuchten verweisen ebenfalls auf eine Entstehung ab 1912/13, zuvor erfüllten Petroleumleuchten den Zweck des nächtlichen „Standlichts“.

Damals hatte die PKW-Produktion von Benz ihren Höchststand erreicht. So entstanden 1912 über 3.000 Wagen, Konkurrent Daimler brachte es auf nur knapp 1.900 Stück. Das erklärt die weit größere Verbreitung von Benz-Wagen als Offiziersauto auf Fotos aus dem 1. Weltkrieg.

Leider lässt sich zu dem Benz-Tourer, mit dem General von Bothmer unterwegs war, aus meiner Sicht nicht mehr sagen. Dafür wissen wir über den General einiges. Hier haben wir ihn in einer Ausschnittsvergrößerung, auf der er zweifellos gute Figur macht:

Zum Zeitpunkt der Aufnahme muss der 1852 geborene Felix von Bothmer mindestens 62 Jahre alt gewesen sein. Für einen Mann seines Alters muss er in sehr guter Form gewesen sein. Nur der graue Bart ist verräterisch – die zahlreichen Orden ebenso.

Der aus niedersächsischem Uradel stammende von Bothmer wurde in München geboren und schlug wie viele seiner Vorfahren die Militärlaufbahn ein – in seinem Fall bei der Armee des Königreichs Bayern.

Ab März 1915 zeichnete er sich als kühl kalkulierender Taktiker an der Ostfront aus und hatte die Führung eines Großverbandes inne, der als Korps Bothmer bezeichnet wurde. Der Durchbruch der russischen Stellungen in der Ukraine brachte ihm den Orden „Pour Le Mérite“ ein, den von Bothmer auf dem heute vorgestellten Foto trägt.

Diese militärisch wichtigen Erfolge waren natürlich vor allem dem Einsatz und Mut der „kleinen Leute“ zu verdanken, die den schmutzigen Teil des Kriegshandwerks verrichten mussten. Einer dieser namenlosen und meist ohne Orden und Rang gebliebenen Männer kehrt uns auf dem Bild den Rücken zu.

In den Folgejahren war es dem Geschick von General von Bothmer und seinen Männern zu verdanken, dass die aus deutschen und österreichisch-ungarischen Truppen gebildete Südarmee russischen Vorstößen widerstand.

Das brachte ihm 1916 und 1917 wiederum Orden ein – das Großkreuz zum Militär-Max-Joseph-Orden und das Eichenlaub zum Orden Pour le Mérite. Ob von Bothmer diese Auszeichnungen auf dem hier gezeigten Foto trägt, kann ich nicht beurteilen.

Nachtrag: Ein sachkundiger Leser weist mich darauf hin, dass die Orden eine Datierung des Fotos auf den Zeitraum Juli 1915 bis Anfang November 1916 erlauben, der Vegetation nach zu urteilen eher bis Spätsommer 1916.

Dass die im Osten blutig erkämpften Erfolge gegen die russische Armee und am Ende auch der Friedensvertrag mit Russland, der Polen, Litauen und Kurland ihre Selbstbestimmung wiedergab, letztlich vergeblich waren, konnte damals keiner wissen.

Jedenfalls schied General von Bothmer Ende 1918 aus dem Dienst aus, nicht ohne zuvor weitere Orden erhalten zu haben, mit denen ich meine Leser nicht langweilen will.

1937 starb von Bothmer in München mit 85 Jahren. Gegen den Willen seiner Familie wurde vom nationalsozialistischen Regime ein Staatsbegräbnis arrangiert. Immerhin beschränkte sich der Fahnenschmuck auf alte kaiserliche und königliche Flaggen.

So ist das heute präsentierte Foto ein Dokument einer längst untergegangenen Welt. Felix von Bothmer war noch im Kutschzeitalter großgeworden und hatte als junger Mann die Erfindung und Ausbreitung des Automobils erlebt.

Im 1. Weltkrieg leisteten ihm ein großzügiger Benz und ein unbekannter Fahrer treue Dienste. Über beide würde man gern erfahren, doch das wird nichts mehr.

Was von den Mühen und Opfern geblieben ist, ist ein Stück altes Papier. Doch auch bei pazifistischer Einstellung wird man zugeben müssen: es zeigt „ein Bild von einem Mann“.

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Abgesang mit 6 Zylindern: Benz 11/40 und 16/50 PS

Mein heutiger Blog-Eintrag beschäftigt sich mit den letzten Benz-Modellen, die vor dem Zusammenschluss mit Daimler im Jahr 1926 entstanden.

Im Gegensatz zu der kaum überschaubaren Typenvielfalt, die bei Benz noch kurz vor dem 1. Weltkrieg herrschte, fiel die Modellpalette ab 1918 deutlich bescheidener aus.

Anfänglich baute man noch vier Haupttypen in den Leistungsklassen 20, 30, 40 und 50 PS. Damit deckte man alle wesentlichen Kategorien vom Einsteigermodell bis zum Luxuswagen ab. Vereinzelt wurde auch der Sechszylinderriese 27/70 PS gebaut.

1921 kam das Ende für den Basistyp 8/20 PS, auf den man vor dem Krieg große Hofffnungen gesetzt hatte. Hier eine schöne Aufnahme, die mir Leser Klaas Dierks zur Verfügung gestellt:

Benz 8/20 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Auch dieses kompakte Modell mit seinem 2,1 Liter messenden Vierzylinder konventioneller Bauart trug den markanten Spitzkühler, mit dem Benz-Wagen ab 1914 meist (nicht immer) ausgestattet waren.

Ebenfalls aufgegeben wurde der größere Vierzylindertyp 14/30 PS, der wahrscheinlich auf dem folgenden Foto aus meiner Sammlung abgebildet ist, das ich vor längerem präsentiert habe:

Benz 14/30 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die größeren Abmessungen und die zahlreicheren Luftschlitze in der Haube weisen diesen Benz jedenfalls als Mittelklassemodell aus. Es könnte sich auch um einen 18/45 PS-Typ handeln, der etwas länger war und ebenfalls 1921 eingestellt wurde.

Im Unterschied zum Benz 8/20 PS erhielt dieses Modell jedoch einen Nachfolger – mit identischer Leistung aber kleinerem (2,6 statt 3,6 Liter Hubraum) Motor: den Benz 10/30 PS, den es vor dem 1. Weltkrieg schon einmal gegeben hatte.

Zu erkennen ist dieses Modell an den (nach meiner Recherche) meist 16 Luftschlitzen in der Motorhaube wie im Fall  des hier abgebildeten flotten Tourenwagens:

Benz Typ 10/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nebenbei ist dies eines der ganz wenigen zeitgenössischen Fotos, das einen deutschen Vorkriegswagen mit Weißwandreifen zeigt – noch dazu in Verbindung mit Stahlspeichenrädern, sehr ungewöhnlich.

Diesem Vierzylindertyp wurden 1923 zwei kräftigere Sechszylinder beigesellt, die neuen Typen 11/40 PS und 16/50 PS mit 2,9 Liter bzw. 4,2 Liter Hubraum.

Vom größeren Radstand abgesehen unterschieden sich diese beiden Spitzenmodelle durch eine nochmals größere Anzahl von Luftschlitzen in der Haube, die dem leistungsbedingt größeren Luftdurchsatz im Kühler Rechnung trugen.

Ansatzweise zu erkennen ist diese bei dieser mächtigen Chauffeur-Limousine, die einst einer Familie im Raum Hamburg gehörte:

Benz 11/40 oder 16/50 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser Aufbau mit seitlich offenem Fahrerabteil sollte bald der Vergangenheit angehören.

Wer genau hinschaut, kann zwischen den Ersatzrädern und dem Oberarm des jungen Mädchens die außenliegenden Hebel für Gangschaltung und Handbremse erkennen.

Um 1925 wanderten die Hebel ins Wageninnere und das Lenkrad konnte ab dann auf der linken Seite angebracht werden. Auch die Zeit der zwangsläufig offenen Fahrerabteile war damit vorbei.

Praktisch denselben Typ – also eine Chauffeurlimousine auf dem Chassis eines Benz 11/40 oder 16/50 PS sehen wir auf der nächsten Aufnahme:

Benz 11/40 oder 16/50 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Zwar können wir hier nur sechzehn Luftschlitze in der Haube zählen, doch hinter den Ersatzrädern dürften sich weitere verbergen, sodass wir es sehr wahrscheinlich wieder mit einem der beiden Sechszylindertypen 11/40 oder 16/50 PS zu tun haben.

Der am Frontscheibenrahmen angebrachte Suchscheinwerfer und das seitliche Rollo am Fahrerabteil unterscheiden diesen Wagen von dem zuvor gezeigten – ansonsten stimmen sie weitgehend überein.

Offenbar gab es auch nach dem 1 Weltkrieg noch eine Schicht, die sich eine Chauffeur-Limousine leisten konnte und hier hat vermutlich der Fahrer auch das Bild gemacht.

Wie so oft ist hier auch die Betrachtung der Personen von großem Reiz, die mit dem Benz abgelichtet wurden und wie so oft frage ich mich: Wo gibt es solche Typen heute? Egal, es kann ohnehin keiner mit der jungen Dame am Lenkrad aufnehmen:

Ob den Passagieren in diesem Benz bewusst war, dass sie in einem der letzten von der deutschen Traditionsmarke gebauten Wagen unterwegs waren? Vermutlich nicht, der Wagen wirkt noch recht neu.

Doch mit einem dieser Sechszylindertypen endete 1926 die Geschichte von Benz, jedenfalls zeigt die Aufnahme des letzten gebauten Benz ein ähnliches großes Modell, wenn auch mit nunmehr komplett geschlossenen Limousinenaufbau (vgl.“Benz & Cie. Zum 150 Geburtstag von Carl Benz“, Motorbuch-Verlag 1994, S. 113).

Die wahre Größe dieser letzten Automobile aus dem Hause Benz wird aber erst bei den Tourenwagenausführungen deutlich. Hier eine Aufnahme aus meiner Sammlung, von der ich annehme, dass sie einen Benz 16/50 PS mit 3,50 m Radstand zeigt:

Benz 16/50 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Benz-Wagen aus der Zeit kurz vor dem Zusammenschluss mit Daimler mögen technisch nicht mehr auf der Höhe der Zeit gewesen sein, doch waren sie auf jeden Fall ein würdiger Abschluss der Tradition, die einst in Mannheim begonnen hatte…

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Der Polizeipräsident fährt offen: Benz der 1920er Jahre

Heute begegnen wir einem alten Bekannten wieder – allerdings weniger in automobiler Hinsicht. Dabei machen wir die erstaunliche Beobachtung, dass die Benz-Modelle kurz nach dem 1. Weltkrieg ausgesprochen schlecht dokumentiert sind.

So werden wir uns damit abfinden müssen, den Chauffeur des Autos und seinen Chef genauer ansprechen zu können als den Wagentyp. Doch der Reihe nach:

Vielleicht erinnert sich der eine oder andere Leser an die folgende Aufnahme:

Mercedes von 1909/10; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese 1911 entstandene Aufnahme eines prachtvollen Tourenwagens von Mercedes haben wir hier ausgiebig besprochen.

Der umseitigen Beschriftung des Abzugs war zu entnehmen, dass dieses damals unvorstellbar teure Auto einem Professor Döderlein aus München gehörte. Die Zeiten überdauert hat das Foto im Album des einstigen Chauffeurs.

Nachdem offenbar die letzten Nachkommen verstorben sind, landeten die einst so kostbaren Fotos auf dem Markt. Der Verfasser hatte das Glück, zwei zusammengehörige Aufnahmen davon zu erwerben.

Die zweite entstand rund zehn Jahre nach der ersten – Anfang der 1920er Jahre – als unser Chauffeur eine neue, prestigeträchtige Anstellung gefunden hatte. Nun war er der Fahrer des Polizeipräsidenten, das verrät wiederum die Beschriftung des Abzugs:

Benz Tourenwagen der frühen 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Schnauzer war nach dem 1. Weltkrieg Vergangenheit, ebenso der Kaiser als Staatsoberhaupt des immerhin bereits demokratisch verfassten Deutschen Reichs. Die Frauen hatten endlich das Wahlrecht erhalten und eine neue Zeit brach an.

Doch friedlich stellten sich die Verhältnisse nach der Kapitulation 1918 nicht dar. Im Osten leisteten deutsche Freikorps Widerstand gegen Übergriffe kommunistischer Kräfte aus Russland, auch im Inland bestand die Gefahr eines Umsturzes.

In diesem politisch aufgeladenen Umfeld trat die Polizei martialischer auf, als wir uns dies hierzulande heute vorstellen können. So unterscheidet sich die Montur des Fahrers des Polizeipräsidenten kaum von der beim Militär:

Schirmmütze, Kragenspiegel und Koppel entsprechen weitgehend der Militäruniform – nur im Detail weicht das Erscheinungsbild ab. Lederne Hosen und Gamaschen über den Schuhen waren typisch für Kraftfahrer – beim Militär wie bei der Polizei.

Über den Chef des neben „seinem“ Wagen posierenden Fahrers wissen wir nichts Näheres, außer dass er irgendwo Polizeipräsident war. Die Bedeutung seines Rangs kommt in dem kolossalen Tourenwagen eindrucksvoll zur Geltung.

Dass es sich um einen Benz handelt, steht außer Frage – auch wenn die Plakette auf dem Spitzkühler nicht lesbar ist. In dieser Größenklasse baute in Deutschland nach dem 1. Weltkrieg kaum ein anderer Hersteller so majestätische Fahrzeuge.

Adler aus Frankfurt fertigte zwar in kleinen Stückzahlen ähnlich dimensionierte Vorkriegsmodelle weiter, doch trugen diese das Herstelleremblem an anderer Stelle. Ein Mercedes wäre zudem am typischen Stern zu erkennen gewesen.

Bleibt also nur Benz – aber was für ein Modell? Nach Ansicht des Verfassers liefert neben den Proportionen lediglich die Zahl der Luftschlitze in der Haube einen Hinweis auf die Motorisierung – formal ähnelten sich die Typen ansonsten sehr.

16 Luftschlitze sind hier in der Haube sichtbar, die jedoch noch ein ganzes Stück weiter nach hinten reicht. Um die 20 dürften es wohl am Ende gewesen sein.

Damit lassen sich schon einmal die kompakten Modelle 8/20, 10/30 und 14/30 PS ausschließen, die noch bis 1921 verfügbar waren. Auf den wenigen zeitgenössischen Fotos mit genauer Typansprache weisen sie durchweg weniger Luftschlitze auf.

Es verbleiben die Sechszylindermodelle 11/40, 16/50 und 27/70 PS als wahrscheinlichste Kandidaten. Sie besaßen Radstände von 3,27m, 3,48m bzw. 3,65m.

Unter der Annahme, dass der Chauffeur des Herrn Polizeipräsidenten zwischen 1,60m und 1,70m groß gewesen sein wird, werden wir es hier pi x Daumen mit einem 40- bzw. 50 PS-Modell von Benz zu tun haben.

Der mit einem Hubraum von über 7 Litern opulent ausgestattete Benz 27/70 PS wird außer der Reichweite eines Polizeipräsidenten der frühen 1920er Jahre gewesen sein.

Für Gespür, was die Balance aus repräsentativem Auftritt und Volksnähe angeht, spricht auch die Wahl eines offenen Aufbaus.

Heutzutage wagen sich selbst kleine Ministerleuchten nur noch in gepanzerten Limousinen unter die Untertanen Bürger/innen, die den spritfressenden Luxus aus ihren Abgaben finanzieren dürfen und denen zugleich öffentliche Verkehrsmittel und nicht konkurrenzfähige Elektrogefährte empfohlen werden.

Hinzu kommt der Eindruck, dass die Polizei vielfach ihren Aufgaben nicht mehr nachkommen darf – von der Überwachung weltweit einzigartiger absurder Fahrverbote abgesehen…

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Benz-Chauffeurlimousine von 1912/13

Es gibt deutsche Vorkriegsmarken, von denen kann man nicht genug bekommen.

Das gilt nicht nur für untergegangene, einst hochangesehene Fabrikate wie NAG, Presto und Stoewer, die in sogenannten Oldtimermagazinen kaum noch auftauchen.

Unerschöpfliche Anziehungskraft für Kenner haben auch die Wagen der deutschen Traditionsmarke schlechthin: Benz.

Benz-Originalreklame von 1898 aus Sammlung Michael Schlenger

Man beachte in dieser Reklame, wo Benz-Wagen vor 120 Jahren bereits verkauft wurden. Das war Globalisierung, bevor man diesen Zeitgeistbegriff überhaupt kannte.

Dass der heutige Mutterkonzern es geschafft hat, sich auf dem Umweg über die Ehe mit Chrysler des Namensbestandteils „Benz“ zu entledigen, ist eine reife Leistung und verrät viel über den Rang, den die Epoche vor dem 1. Weltkrieg hierzulande genießt.

Ursache ist vielleicht ein Minderwertigkeitskomplex heutiger leitender Angestellter bequem gewordender Konzerne angesichts des kolossalen Könnens der Ingenieure, Techniker und Wissenschaftler im „Kaiserreich“, das nebenbei ein demokratisch verfasster Bundesstaat und keine Monarchie war.

Auf Großtaten, wie sie damals die Altmeister des Automobilbaus – Benz, Daimler, Horch und Maybach – vollbrachten (übrigens ganz ohne Subventionen auf Kosten des Steuerzahlers) wartet man im Deutschland des 21. Jahrhunderts vergebens.

Ein Land, das nicht mehr imstande ist, einen Flughafen in seiner Hauptstadt fertigzustellen, befindet sich technologisch und organisatorisch definitiv auf dem absteigenden Ast.

Für den Verfasser dieses Blogs ein Grund mehr, sich ganz der Frühzeit des Automobils zu widmen, der wir trotz heutiger (oft unnnötiger) Verkehrsprobleme eine Autonomie verdanken, die einer Offenbarung gleichkam:

Benz Tourenwagen der frühen 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier hat ein Benz mit dem seit 1914 markentypischen Spitzenkühler den fast 1.800 m hoch gelegenen Flexenpass in Österreich erklommen.

Die elektrischen Scheinwerfern und die Positionslampen auf den Schutzblechen lassen auf einen Benz der frühen 1920er Jahre schließen. Die genaue Motorisierung ist aus dieser Perspektive nicht mehr zu ermitteln.

Übrigens: Der mit Bruchsteinen verblendete Tunnel am Flexenpass sieht heute noch genauso aus. Nur die Straße ist besser ausgebaut und einen solchen vollbesetzten Benz Tourenwagen mit Rechtslenkung wird man dort nicht mehr antreffen.

So bleibt uns „nur“, in den unerschöpflichen Schatz überlieferter Fotos früher Benz-Wagen einzutauchen, der in unseren Tagen an die Gestade der Gegenwart gespült wird, während die Generation abtritt, die noch in der Vorkriegszeit gelebt hat.

In den Fotoalben, die nun massenhaft auf den Markt kommen, entweder weil es keine Nachkommen mehr gibt oder weil diesen die eigenen Wurzeln gleichgültig sind, finden sich großartige Dokumente wie das folgende:

Benz von 1912/13; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese hervorragende Aufnahme lief im Juni 1914 als Postkarte von Itzehoe nach Schleswig.

Was haben wir hier für ein Fahrzeug vor uns? Nun, das lässt sich zwar recht gut eingrenzen, doch werden wir mangels Vergleichsmaterial bei Baujahr und Motorisierung am Ende keine ganz präzisen Angaben machen können.

Trotz brauchbarer Literatur – „Benz & Cie“ (Hrsg. Mercedes-Benz AG, 1994) und „Histoire de Mercedes-Benz“ (Hrsg. Jacques Kupélian) fehlt es an einer umfassend bebilderten Gesamtdarstellung der sehr zahlreichen Benz-Typen bis etwa 1920.

Versuchen wir dennoch unser Bestes und nehmen die Frontpartie des Wagens auf unserem Foto unter die Lupe:

Auf dem Originalabzug ist auf der Kühlerplakette der „Benz“-Schriftzug zu erkennen, Form des Flachkühlers und des Verschlusses des Kühlwasserstutzens passen ebenfalls.

Flachkühler bedeutet bei Benz tendenziell „vor 1914“, wenngleich Kunden, die den ab dann verbauten Spitzkühler als zu progressiv empfanden, weiter einen Flachkühler ordern konnten.

Der Windlauf – also die strömungsgünstig gestaltete Partie zwischen Motorhaube und Frontscheibe – taucht bei Benz-Serienwagen ab 1910 auf. Die darin eingelassenen elektrischen Positionsleuchten findet man nach Ansicht des Verfassers nicht vor 1912.

Damit hätten wir das wahrscheinliche Baujahr auf 1912/13 eingeschränkt – nicht schlecht nach über 100 Jahren.

Hier haben wir übrigens eine Originalreklame von Benz aus jener Zeit, die abgesehen vom Aufbau als offener Tourenwagen ein nahezu identisches Modell zeigt:

Benz-Reklame um 1912 aus Sammlung Michael Schlenger

Schwieriger wird es, die Motorisierung zu bestimmen: Einziger Anhaltspunkt sind die sieben Luftschlitze in der Haube. Bei den Benz-Modellen um 1912 ist diesbezüglich bei aller gebotenen Vorsicht ein gewisses Muster zu erkennen:

  • Typen mit kompaktem Hubraum wie der Benz 8/20 PS kamen offenbar mit fünf Haubenschlitzen aus.
  • Hubraumriesen wie der Benz 33/75 PS verfügten über acht Luftschlitze.
  • Daneben zeigen Abbildungen Benz-Modelle mit sieben Luftschlitzen. Dabei handelt es sich um mittelgroße Wagen der Kategorien 10/30 bzw. 16/40 PS.

Wir haben es nach der Lage der Dinge also wahrscheinlich mit einem Vierzylinder-Benz mit 2,6 Liter oder 3,9 Liter Hubraum zu tun.

Eine nähere Betrachtung wert ist schließlich noch der Aufbau:

Drei Dinge sind hier bemerkenswert:

  • Die (oben ausstellbare) Frontscheibe ist deutlich geneigt und in dieser Position fixiert. Verbreiteter waren bis dato senkrecht stehende Scheiben.
  • Der Passagierraum ist durch eine gläserne Trennwand vom Fahrerraum getrennt, der keine Seitenscheiben besitzt. Würde der Chauffeur ganz im Freien sitzen, spräche man von einem „Außenlenker“, hier hat er aber ein festes Dach über dem Kopf, weshalb „Chauffeurlimousine“ den Aufbau treffender bezeichnet.
  • Am Dach, am Heck und um die Scheiben herum dominieren gerundete Formen. Zusammen mit der schräggstehenden Frontscheibe ergab das ein markantes Bild.

Der von starken Kurvaturen geprägte Aufbau wirkt eleganter als die damals verbreiteten kastenartigen Aufbauten. Hier zum Vergleich (spiegelverkehrt) ein Benz Landaulet derselben Zeit mit vermutlich ähnlicher Motorisierung:

Benz Landaulet von 1912; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger (seitenverkehrt)

Beide Karosseriestile existierten bis zum 1. Weltkrieg nebeneinander, wobei  geschlossene Aufbauten mit schrägen Frontscheiben und stark gerundeten Formen wie auf dem ersten Foto eher exotisch blieben.

Während in der dem Verfasser zugänglichen Literatur kein Benz mit auch nur annähernd vergleichbarem Aufbau zu finden ist, wird man im Online-Archiv von Mercedes-Benz Classic fündig.

Dort ist ein vom Stil her sehr ähnlicher Landaulet-Aufbau zu sehen. Die Frontpartie ist identisch mit der auf unserem Foto und weist ebenfalls sieben Haubenschlitze auf.

Der Wagen wird im Archiv zwar als 10/25 PS-Modell von 1912 angesprochen, davon weiß die Literatur jedoch nichts.

Da alle technischen Angaben mit denjenigen des ebenfalls 1912 verfügbaren 10/30 PS-Modells übereinstimmen, ist außer einem Fehler nur denkbar, dass die PS-Angabe im Lauf des Jahres 1912 heraufgesetzt wurde. Das kam in anderen Hubraumklassen ebenfalls vor, ohne dass dies immer in der Literatur dokumentiert ist.

Dass genau die Karosserieausführung unseres mutmaßlichen Benz 10/30 PS bislang nirgends dokumentiert zu sein scheint, veranschaulicht den Reichtum ungehobener Schätze aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg.

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Spitzkühler-Ästhetik in Reinform: Benz 14/30 PS

Die Welt der Vorkriegswagen bietet auch im 21. Jahrhundert ein unerschöpfliches Feld an Betätigungsmöglichkeiten – es macht bloß kaum jemand kaum Gebrauch davon hierzulande.

Während im britischen Vintage Car-Magazin „The Automobile“ fast jeden Monat neue englische oder auch französische Literatur zu obskuren Marken und Persönlichkeiten der automobilen Welt der Vorkriegszeit vorgestellt wird, herrscht im deutschsprachigen Raum diesbezüglich von Ausnahmen abgesehen Sendepause.

Dabei gibt es unaufgearbeitetes Material ohne Ende, wie der Verfasser aus eigener Anschauung weiß. Hunderte historische Aufnahmen bislang nicht identifizierbarer Vorkriegsfahrzeuge schlummern in seinem Fundus.

Wir sprechen hier nicht von reizvollen Fällen wie dem folgenden, wo vom Auto praktisch kaum etwas zu erkennen ist:

unbekannter Tourenwagen, aufgenommen 1927 in Thüringen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch wenn es vom eigentlichen Thema ablenkt – Veteranenfreunde haben doch Zeit, oder? – ist das eine hinreißende Aufnahme, die zu studieren sich lohnt. So gingen unsere Großeltern und Urgroßeltern mit ihren Autos um, wenn sie denn eins besaßen…

Doch selbst bei Aufnahmen, die alle Details des Fahrzeugs erkennen lassen, bleibt oft völlig offen, was da einst abgelichtet wurde.

Das gilt beispielsweise für zahlreiche deutsche Wagen, die nach dem 1. Weltkrieg einen der modischen Spitzkühler nach Vorbild von Benz verpasst bekamen – entweder ab Werk oder als nachträglich montiertes Zubehörteil.

Damit verwandelten sich brave Automobile von Herstellern der zweiten Reihe mit einem Mal in schnittige Gefährte, die vom unbedarften Betrachter gleich eine Kategorie höher eingeschätzt wurden.

Ein typisches Beispiel dafür zeigt folgende Aufnahme:

unbekannter Tourenwagen der frühen 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nein, das ist kein Benz, denn es fehlt die markentypische Plakette auf der Vorderseite des Kühleroberteils – ein Beispiel dafür, wie das aussehen muss, folgt gleich.

Vier kurze Luftschlitze in der Motorhaube sind ansatzweise zu erkennen. Dann wäre da noch das markante Blech zwischen den beiden vorderen Rahmenauslegern, das möglicherweise den Kühler vor Steinschlag schützen sollte.

Hat ein Leser eine Idee, um was für einen Wagen eines wohl deutschen Herstellers aus der ersten Hälfte der 1920er Jahre es sich hier handeln könnte? Dann würden wir dieses formal durchaus überzeugende Fahrzeug gelegentlich eigens vorstellen.

Sucht man nach den Vorbildern für solche Spitzkühler-Tourenwagen einstiger Nischenhersteller, landet man unweigerlich bei der ehrwürdigen Traditionsmarke Benz, die bis zur Fusion mit Daimler 1926 eigenständig war.

Noch 1914 – kurz vor Beginn des 1. Weltkriegs –  hatte man bei Benz wie bei einigen anderen deutschen Herstellern ebenfalls – damit begonnen, seine Modelle mit schnittigen Spitzkühlern auszustatten.

Zwar blieben auf Wunsch weiterhin Flachkühler lieferbar, doch bevorzugten die meisten Kunden die modischen Spitzkühlerversionen, die an den Bug von Schnellbooten erinnerten und die Wagen schon im Stand schnell aussehen ließen.

Ein bislang unveröffentlichtes Foto aus dem Fundus des Verfassers lässt diesen bis Mitte der 1920er Jahre gepflegten Stil in Reinform erkennen:

Benz 14/30 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Sehr wahrscheinlich haben wie hier den Chauffeur des offenbar fast neuen Benz vor uns, der vor dem repräsentativen Portal des herrschaftlichen Hauses abgelichtet wurde, in dem die Besitzer des Wagens residierten.

Derartige Aufnahmen wurden häufig bei Ankunft eines neuen Wagens beim Eigentümer angefertigt und der Fahrer erhielt ebenfalls einen Abzug davon.

Das wissen wir aus Beispielen, wo solche Fotos in den Alben der einstigen Chauffeure überlebt haben. Was aber macht nun diese Aufnahme zum perfekten Beispiel für einen Spitzkühler-Benz?

Dazu werfen wir einen Blick auf folgenden Bildausschnitt:

Bislang ist dem Verfasser noch keine Aufnahme ins Netz gegangen, auf der ein derartig vollkommen gezeichneter Benz-Tourenwagen der frühen 1920er Jahre zu sehen ist.

Die scharfen Konturen des Spitzkühlers werden hier in den wie gemeißelt wirkenden Linien der Motorhaube weitergeführt und spiegeln sich in der gepfeilten Windschutzscheibe wider.

Eine so dynamische, schlüssige und zugleich reizvolle Gestaltung findet man nach dem Abschied vom Spitzkühler in den oft arg sachlichen späten 1920er Jahren kaum.

Übrigens sind hier auch die acht Luftschlitze zu erkennen, die das letzte – im Jahr 1922 gebaute 14/30-Modell von Benz kennzeichneten, dessen rückwärtiger Aufbau freilich moderner ausfiel (vgl. Benz & Cie, Zum 150. Geburtstag von Karl Benz, hrsg. von der Mercedes-Benz AG, 1994, S. 108).

Daher dürfen wir annehmen, dass „unser“ Benz entweder kurz nach dem 1. Weltkrieg  oder möglicherweise noch 1914 entstand und dann später mit elektrischen Scheinwerfern ausgestattet worden war.

Ein noch vollkommeneres Beispiel für eine Spitzkühlerausführung des Benz 14/30-Modells wird man schwerlich finden. Selbst das in der Regel gut bestückte Online-Archiv von Mercedes-Benz liefert kein einziges Beispiel dafür (siehe hier).

Wie eingangs bemerkt: Es gibt genügend Material für die gründliche Aufarbeitung der Geschichte deutscher Vorkriegswagen, selbst im Fall hochkarätiger Marken. Es müsste sich bloß mal einer an den britischen Automobilhistorikern ein Vorbild nehmen…

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Classic Days 2018: Prinz-Heinrich-Wagen von Benz

Unter den vielen herausragenden Vorkriegsfahrzeugen, die bei den Classic Days 2018 auf Schloss Dyck zu bewundern waren – davon etliche auch in Aktion – gebührt vielleicht einem Wagen besonderer Rang.

Die Rede ist vom Benz des Typs „Prinz-Heinrich“ aus dem Jahr 1910. Um zu ermessen, welchen Meilenstein dieses Sportmodell einst darstellte, blenden wir zunächst 120 Jahre zurück.

Im Jahr 1898 erschien die folgende Anzeige der Mannheimer Firma Benz & Co.:

Hier wurde nur 13 Jahre nach Vorstellung des ersten Automobils der Welt bereits sehr selbstbewusst auf die hohe Zahl der bis dato hergestellten Wagen, die globale Präsenz der Marke und die Sporterfolge verwiesen.

Das in der Anzeige abgebildete Modell ist wohl ein Typ „Vis-à-vis“, der 1895 erschienen war und einen Einzylindermotor mit anfänglich 4, später 6 PS besaß. Vom im Heck liegenden Motorraum abgesehen wirkt hier noch alles wie im Kutschbau – immerhin waren die Holzspeichenräder bereits vollgummibereift.

Neben solchen Basismodellen gab die Firma Benz jedoch mächtig Gas und bot auch deutlich schnellere und steigfähigere Zweizylindertypen an. Zwischenzeitlich erlahmte allerdings der Elan und die Konkurrenz zog ab 1900 an Benz vorbei.

Doch erkannte man bei Benz noch rechtzeitig die Zeichen der Zeit und stellte mit Hilfe französischer Konstrukteure 1903 das erste Vierzylindermodell vor, das dank 20 PS Leistung bereits ein Spitzentempo von 70 km/h erreichte.

Von da an ging es rasant aufwärts. 1904 erwarb auch der sportbegeisterte Bruder des deutschen Kaisers – Prinz Heinrich von Preußen – einen 40 PS-Benz und blieb der Marke treu.

In den Folgejahren heimsten Benz-Wagen international zahlreiche Erfolge bei Renn- und Sportveranstaltungen ein – auch bei den von Prinz-Heinrich gestifteten Langstreckenfahrten.

Hier haben wir Fritz Erle auf seinem fast 100 PS starken 7,5 Liter-Benz bei einer Schnelligkeitsprüfung im Rahmen der ersten, im Jahr 1908 ausgetragenen Prinz-Heinrich-Fahrt:

Hier taucht erstmals ein Element auf, das für eine bedeutende Zäsur im Erscheinungsbild der Automobile jener Zeit steht – der sogenannte Windlauf (auch Torpedo genannt).

Das haubenartige Blech zwischen Motorhaube und Fahrerraum gestaltet den Übergang strömungsgünstiger und wird ab 1910 Standard im Serienbau bei deutschen Automobilen.

Davon abgesehen, sind noch keine Bemühungen um verbesserte Aerodynamik zu erkennen. Nur zwei Jahre später sollte das ganz anders aussehen.

Damit wären wir im Jahr 1910 und bei dem Benz, um den es heute eigentlich geht:

Benz Typ „Prinz Heinrich“ von 1910; Bildrechte: Michael Schlenger

Hier haben wir auf einmal ein in jeder Hinsicht hochmodernes Auto vor uns:

Die gesamte Karosserie ist von vorne bis hinten strömungsoptimiert, selbst die Radspeichen sind  mit abnehmbaren Aluminiumblechen abgedeckt.

Die Kühlermaske ist außen fast tropfenförmig ausgeführt; innen ist sie so gestaltet, dass die durch den verengten Einlass eintretende Kühlluft wie in einer Düse auf das eigentliche Kühlernetz beschleunigt wird.

Ein besonderer Leckerbissen ist außerdem der Motor:

Benz Typ „Prinz Heinrich“ von 1910; Bildrechte: Michael Schlenger

In der Rennversion leistete dieses 5,7 Liter-Aggregat an die 100 PS. Für die „zivile“ Version, die in Kleinserie für Privatleute gebaut wurde, waren es immer noch 80 PS.

Wichtige Merkmale waren die im Zylinderkopf strömungsgünstig hängenden vier Ventile pro Zylinder – Standard waren bis in die 1930er Jahre zwei, die seitlich neben dem Zylinder lagen –  außerdem die Verwendung von zwei Zündkerzen pro Zylinder.

Äußerlich waren die privat erwerbbaren Benz-Modelle des Sporttyps „Prinz Heinrich“ weitgehend identisch mit den Rennwagen.

Das machte diese Fahrzeuge für Privatfahrer umso attraktiver, auch wenn sie auf die Spitzenleistung der Rennversion verzichten mussten, von der es neben der 5,7 Liter-Ausführung auch eine noch stärkere mit 7,3 Litern und 115 PS gab.

So beeindruckend die Leistungswerte dieser weit über 100 Jahre alten Sportwagen von Benz auch sind – noch eindrucksvoller ist die Präsenz dieser streng nach funktionellen Aspekten und dennoch wunderschön gestalteten Fahrzeuge:

Gerade in der Schwarz-Weiß-Ansicht kann man die fließenden Linien und sinnlichen Kurven dieses Aufbaus besonders gut studieren.

Hier sieht man auch die auf alten Fotos meist kaum erkennbare Plastizität und Spannung des Karosseriekörpers, der sich über dem Rahmen weitet wie eine Blüte – daher die Bezeichnung „Tulpenkarosserie“.

Das kann man erst so richtig genießen, wenn man die Tourenwagen jener Zeit aus dem obigen Blickwinkel ins Visier nimmt, den damals kaum ein Fotograf einnahm (eine spektakuläre Ausnahme folgt gelegentlich).

Zu erkennen ist auch die zeittypische außenliegende Anbringung von Brems- und Schalthebel – im Innenraum wäre schlicht kein Platz dafür gewesen.

Selbst diese streng funktionell gestalteten Elemente besitzen eine schwer zu erklärende Magie, die wohl mit der Materialanmutung, aber auch dem Verzicht auf unnötige Durchgestaltung zu tun hat:

Benz „Prinz Heinrich“ von 1910; Bildrechte: Michael Schlenger

In Zeiten, in denen ganze Heerscharen sogenannter Designer dafür bezahlt werden, sich über das Erscheinungsbild jedes Schalters im Innenraum den Kopf zu zermartern, ist eine derartige Klarheit der Gestaltung von vornherein unmöglich.

Darin liegt der Zauber der frühen Automobile, bei denen das Entwicklungstempo keine Zeit für angestrengtes Sinnieren über neue formale Gimmicks ließ.

Wer begreifen will, was echter Fortschritt im Automobilbau einmal bedeutete, der vergleiche einfach den Benz „Vis-à-vis“ von 1898 mit dem zwölf Jahre später entstandenen Benz des Sporttyps „Prinz Heinrich…

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Bezaubernder Baby-Benz: 6/18 PS in Sportausführung

Nach dem 1. Weltkrieg buk man bei der damals noch unabhängigen Traditionsfirma Benz kleinere Brötchen. Die Zeit der Hubraumriesen mit Leistungen von 50 bis 100 PS war erst einmal vorbei.

Hauptstütze des Geschäfts bis Anfang der 1920er Jahre war das Vorkriegsmodell 8/20 PS, das nunmehr mit modischem Spitzkühler ausgestattet war. Etliche zeitgenössische Fotos zeugen von der Verbreitung dieses „Brot-und-Butter“-Benz.

In manchen Fällen lässt sich kaum noch ermitteln, ob man einen Benz 8/20 PS oder vielleicht doch eines der zeitgleich angebotenen stärkeren Modelle mit 30 oder 45 PS vor sich hat – die Wagen unterschieden sich praktisch nur in den Proportionen.

Dann gibt es Kandidaten, bei denen man den Eindruck hat, dass ein Benz 8/20 PS der Vorkriegszeit nachträglich auf „modern“ getrimmt wurde, indem man ihnen mehr schlecht als recht einen Spitzkühler verpasste:

Benz 8/20 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Fotos wie dieses und die Konzentration auf das Basismodell 8/20 PS künden von der Not der frühen Nachkriegsjahre.

Verschärft wurde die Lage durch die erdrosselnden Auflagen des sogenannten Friedensvertrags von Versailles, der Deutschland in einer Weise knebelte, dass selbst Vertreter der alliierten Seite darin die Saat für einen neuen Krieg sahen.

Umso erstaunlicher ist – oder vielleicht umso verständlicher, dass man bei Benz noch 1918 daran ging, etwas komplett Unvernünftiges zu tun – und das gründlich.

Als sei nichts gewesen, brachte man als erste Neukonstruktion nach dem Krieg ein Vierzylindermodell vom Feinsten heraus – zwar bloß mit 1,6 Liter Hubraum und 18 PS, aber mit Ventilsteuerung über obenliegende Nockenwelle, die ihrerseits von einer Königswelle angetrieben wurde.

So etwas Irrationales zu tun, bestätigt ein Bonmot von Richard Wagner: „Deutsch ist, die Sache, die man treibt, um ihrer selbst und der Freude an ihr willen zu treiben“ (Quelle: Deutsche Kunst und deutsche Politik, von Richard Wagner, hrsg. 1868).

Nun, verrückt – oder auch verständlich – nach dem überstandenen Krieg baute Benz bis 1921 eine wohl überschaubare Stückzahl dieses 6/18 PS-Modells. Leider sind die genauen Produktionszahlen unbekannt.

Doch die ungeheure Seltenheit von Fotos dieses Benz 6/18 PS spricht für sich. Leser Gottfried Müller hat uns nun eine Originalaufnahme aus seiner Sammlung zur Verfügung gestellt, offenbar ein Werksfoto:

Verständlicherweise ist dieses im Original großformatige, knackscharfe und kontrastreiche Foto hier nur in einer datenreduzierten Version verfügbar.

Leider gibt es nämlich Zeitgenossen, die hochaufgelöste Bilder von Vorkriegsautos im Internet zur Fälschung „historischer“ Aufnahmen auf altem Fotopapier nutzen.

Man erkennt aber auch so, dass wir es hier mit einem bezaubernden Baby-Benz zu tun haben – noch dazu in der rassigen Zweisitzer-Sportausführung mit Spitzheck und außenliegendem Auspuff.

Man findet ein ähnliches Fahrzeug auf S. 108 des Standardwerks „Benz & Cie.“, hrsg. von der Mercedes-Benz AG, 1. Auflage, 1994.

Dieser hinreißend gezeichnete Zweisitzer mit raffinierter Zweifarblackierung wog leer gut 800 kg und war für ein Spitzentempo von 85 km/h gut.

Wer das heute belächelt, möge einmal in einem fast 100 Jahre alten Wagen mit blattgefederten Starrachsen, Reifen in Motorradformat und Zweiradbremsen auf einer kurvenreichen Schotterpiste richtig Gas geben. Da ist ein beherzter Fahrer gefordert, kein ängstlicher Milchbart, der mit Fahrradhelm Brötchen holen fährt.

Womit wir bei einem der Vollgashelden der 1920er Jahre wären, der hierzulande so ziemlich in jeder Kategorie und auf Wagen von Benz, Bugatti, Mercedes und Simson Erfolge einheimste – Karl „Charly“ Kappler.

Hier haben wir einen originalen Ausschnitt aus der Berliner Illustrirten Zeitung aus dem Jahr 1923, die einen weiteren Sieg von Kappler dokumentiert, hier auf genau dem Benz 6/18 PS Sportmodell, das das vorherige Bild zeigt:

Demnach trat Karl Kappler im Juli vor genau 95 Jahren – wir schreiben das Jahr 2018 – in einem Benz 6/18 PS Typ beim Auto-Turnier in Baden-Baden an.

Dabei galt es, sich in mehreren Kategorien durchzusetzen, darunter einer Bergprüfung und einer Geschicklichkeitsprüfung, bei der wir Kappler im Benz 6/18 PS sehen.

Kappler gehörte zu den vielseitigen Talenten jener Zeit, die nicht nur das Durchhaltevermögen für knüppelharte Langstreckenrennen besaßen, sondern auch das Gespür für die seinerzeits üblichen Geschicklichkeitstest.

Damit wären wir bei einem der sympathischsten Protagonisten des deutschen Motorsports der Zwischenkriegszeit angelangt. Er und der Benz 6/18 PS Sport haben gemeinsam, dass man ihnen in der gedruckten „Oldtimerpresse“ kaum begegnen wird.

Hier dagegen findet nach 95 Jahren zusammen, was zusammengehörtein alter Zeitungsausschnitt und ein Werksfoto, die denselben Typ Benz 6/18 PS Sport zeigen…

Buchtipp:

„Im Donner der Motoren. Karl Kappler.“ von Martin Walter, hrsg. im Wartberg Verlag, 2004, 79 Seiten, viele zeitgenössische Fotos, ISBN: 3-8313-1101-3

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Letzter großer Auftritt: Benz 16/50 PS Tourenwagen

Nachdem wir im letzten Blogeintrag mit dem Mercedes-Benz 8/38 PS eine der ersten Neukonstruktionen nach der Fusion der beiden Marken (1926) vorgestellt haben, wollen wir heute ein Modell würdigen, das direkt zuvor von Benz gefertigt wurde.

Der Typ, um den es geht, stellt den Schlußstein in der Geschichte der großen Benz-Modelle dar, die in der Zeit vor dem 1. Weltkrieg wurzelt. Eines dieser mächtigen Automobile haben wir vor längerer Zeit näher vorgestellt:

Benz Landaulet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ganz genau ließ sich der Typ bislang nicht identifizieren, doch spricht einiges für ein großes Benz-Modell der Zeit zwischen 1910 und 1912, eventuell mit 6,3 Liter großem Vierzylinder und 45 PS.

Indizien für großvolumigen Benz-Modelle jener Zeit sind die Fläche des Kühlers und die Zahl der Speichen an den Rädern. Leider gibt es bis heute keine wirklich umfassende Darstellung der Benz-Typen, die auf solche Details eingeht.

Ebenfalls bereits gezeigt haben wir ein Benz-Modell der gleichen Größenklasse, das ein paar Jahre später entstand, nämlich ab 1914 – das verrät der Spitzkühler:

Benz Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Vermutlich haben wir hier den auf 55 PS erstarkten großen Vierzylindertyp der Zeit vor dem 1. Weltkrieg vor uns.

Benz führte die Tradition der Hubraumriesen mit Vierzylinder nach dem 1. Weltkrieg nicht weiter, bot aber ähnlich leistungsfähige Wagen in etwas modernisiertem Erscheinungsbild an – weiterhin mit dem typischen Spitzkühler.

Einen prächtigen Vertreter dieses sachlichen, doch überzeugenden Stils der frühen 1920er Jahre haben wir ebenfalls schon einmal vorgestellt:

Benz Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bei diesem beeindruckenden Benz, der in den 1930er Jahren in Luxemburg aufgenommen wurde, handelte es sich wohl um den 6-Zylindertyp 16/50 PS.

Dieser war das letzte große Modell der Mannheimer Traditionsmarke, das bis zum Ende der Eigenständigkeit gebaut wurde. Die Zahl der Luftschlitze in der Haube (20) und deren schiere Länge erlaubt die Abgrenzung von den 30 PS- und 40 PS-Typen.

Heute können wir nun ein weiteres Originalfoto dieses fast 5 Meter langen Benz-Modells zeigen. Es entstand vor genau 90 Jahren – im Juli 1928:

Benz Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Umseitig ist auf dem Abzug vermerkt „Ausflug im Chefwagen in der Sächsischen Schweiz“.

Möglicherweise spendierte ein wohlmeinender Unternehmer einst einem verdienten Mitarbeiter diese Spritztour und nahm selbst mit Gattin auf der Rückbank Platz.

Eventuell sollte aber auch ein aufstrebender junger Angestellter einer der beiden Damen auf der mittleren Sitzbank „nahegebracht“ werden – eventuell den Töchtern?

Vielleicht hat ja ein Leser eine Idee, was die Beziehung zwischen den Insassen angeht. Wir befassen uns unterdessen ein wenig mit der Technik des letzten großen Benz:

Der Seitenventiler war zwar konventionell, aber dafür unbedingt zuverlässig. Bei immerhin 4,2 Liter Hubraum wurde das Aggregat auch kaum belastet, obwohl schon der offene Tourenwagen fast 1,8 Tonnen auf die Waage brachte.

Das Spitzentempo von 90 km/h war ein theoretischer Wert – auf den damaligen Straßen war das kaum auszufahren, schon gar nicht mit sechs Insassen. Wichtiger war die souveräne Kraftentfaltung, die den Schaltaufwand in Grenzen hielt, speziell am Berg.

Kurz vor Toresschluss bekam der Benz 16/50 PS noch Vierradbremsen verpasst. Dennoch zog sich der Abverkauf des Modells über die Fusion mit Daimler hinaus bis 1927 hin.

Dabei half auch die schnittige Frontpartie nicht mehr, denn sie wurde zuletzt durch einen braven Flachkühler ersetzt. Dabei gab doch der Spitzkühler dem Wagen seine sportliche Anmutung:

Wenn man sich vom Anblick dieser schier endlosen Motorhaube mit ihrer blitzsauberen Gestaltung losreißen kann, mögen einem drei Kuriosa auffallen:

  • Ganz vorn sieht man eine nachgerüstete Stoßstange – diese Urform lässt erkennen, woher die Bezeichnung rührt, ähnlich wie im Fall des „Kotflügels“.
  • Auf dem Kühler thront ein Männchen, das die eine Hand hinter dem Rücken verschränkt, die andere gen Himmel reckt – eventuell eine Anspielung auf den Untertan, der Politikern hierzulande so oft leichtes Spiel gemacht hat – und macht.
  • Im Hintergrund erkennt man zwei retuschierte Partien, unter denen sich die Aufschriften „Damen“ und „Herren“ verbergen. Vermutlich hat der Fotograf die Toilettentüren bei der Aufnahme nicht bemerkt und versuchte sie später zu tilgen.

Verständlich zwar, aber nach 90 Jahren treten die profanen Tatsachen wieder zutage. Das ändert freilich nichts an dem mächtigen Eindruck, den der letzte große Benz auch heute noch macht. Ein Original in 3D ist übrigens heute eine ganz große Rarität…

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