Fund des Monats: Hansa-Lloyd Trumpf-Aß oder NAG?

Der Fund des Monats November fiel für mich anfänglich fast ein wenig enttäuschend aus. Denn weder konnte ich mit einem Foto aus meinem eigenen Fundus aufwarten, noch vermoche ich Wesentliches zur Identifikation des darauf abgebildeten Wagens beitragen.

So schien es mir jedenfalls auf den ersten Blick zu sein.

Dennoch bin ich sicher, dass Sie – liebe Leser – ganz auf Ihre Kosten kommen. Das gilt vor allem, wenn Ihnen der Sinn nicht nur nach Nischenfabrikaten steht, sondern auch gelungene Aufbauten Ihr Herz erfreuen – und es gern ein wenig rätselhaft sein darf.

Diese ideale Kombination kann ich jedenfalls heute anbieten, und ich wüsste wirklich nichts daran auszusetzen, wäre da nicht der Makel, dass ich mich (fast) komplett mit fremden Federn schmücke. Doch das werden Sie mir in diesem Fall verzeihen:

Hansa-Lloyd „Trumpf-Aß“ von 1927 ((angeblich); Foto aus dem Borgward Archiv; Originalabzug aus Sammlung Jörg Pielmann

Ein zweitüriges Cabriolet mit hinreißender Linienführung ist das zweifellos. Ich hätte es aus stilistischer Perspektive auf ca. 1930 datiert, doch worum es sich genau handelt, das wäre mir vermutlich verborgen geblieben.

Ins Auge fällt unabhängig davon das ungewöhnlich niedrige Chassis, welches auf eine „Underslung“-Konstruktion hindeutet. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass die blattgefederten Achsen nicht unterhalb des Leiterrahmens angebracht sind, sondern darüber. Der Rahmen ist also unter der Achse entlanggeführt, was einen wesentlich niedrigeren Schwerpunkt und damit bessere Straßenlage ermöglicht.

Diese Lösung wurde bereits weit vor dem 1. Weltkrieg ersonnen – das US-Fabrikat „American Underslung“ trug den Hinweis sogar im Namen. Doch kam so etwas letztlich nur für sportliche Fahrzeuge in Betracht, die sich nicht auf den meist noch kaum befestigten und unebenen Straßen im Alltag bewähren mussten.

Doch zum Posieren in der Großstadt und bei einschlägigen Schönheitskonkurrenzen eignete sich dieses Konzept vorzüglich.

Die elegante Erscheinung des oben gezeigten Wagens ist natürlich auch der außergewöhnlich langen Motorhaube geschuldet, die auf einen Reihensechser oder gar ein Achtyzlinderaggregat schließen lässt; beide bauten wesentlich länger als ein Vierzylindermotor, zumindest wenn sie auch einen größeren Hubraum besaßen.

Aber was ist das denn jetzt für ein Fahrzeug, werden Sie wissen wollen?

Nun, zwar kam mir die Form ein wenig vertraut vor, doch wäre ich nicht auf das gekommen, was auf der Rückseite des Originalabzugs steht, welcher sich in der Sammlung von Leser Jörg Pielmann befindet:

Demnach handelte es sich bei dem schicken Zweitüren-Cabrio um das Achtzylindermodell „Trumpf-Aß“ aus dem Hause Hansa-Lloyd, Baujahr 1927.

Tatsächlich baute der norddeutsche Traditionshersteller ab 1926 in kleinen Stückzahlen auch Achtzylinderwagen mit satten 100 PS Höchstleistung – anfänglich mit 4,6 Litern Hubraum, ab 1927 dann mit 5,2 Litern.

Das waren auch technisch beeindruckende Konstruktionen mit hochfeinem Ventiltrieb über im Zylinderkopf liegende Nockenwelle, getrieben wiederum von einer Königswelle.

Nüchtern veranlagte Zeitgenossen werden sich freilich von solchem Vokabular nicht ablenken lassen. „Stand auf dem Abzug nicht etwas von 7 Litern Hubraum?“ werden Skeptiker stattdessen fragen.

Vollkommen richtig und als ebenfalls keinen vermeintlichen Autoritäten hörige Person machte mich das ebenso stutzig wie die für mich unplausible Jahresangabe 1927.

Konnte man dem Vermerk vielleicht auch in sonstiger Hinsicht nicht trauen?

Werfen wir nochmals einen Blick auf die Vorderpartie des Wagens und prägen uns das Erscheinungsbild der Motorhaube mit den Proportionen der Luftschlitze und der Position des hinteren Haubenhalters ebenso ein wie die Gestaltung des Kühlwasserdeckels:

Und noch etwas: Die Ausführung der Räder mit dem sechseckigen Emblem auf den Nabenkappen behalten wir ebenfalls im Hinterkopf.

Solchermaßen präpariert wenden wir uns nun einem Foto aus meiner Sammlung vor, das ich schon einmal präsentiert habe – es zeigt einen NAG-Protos des Typs 16/80 PS (Bauzeit: 1930-33) in der besonders begehrten Ausführung als Sport-Cabriolet.

Hier haben wir das Prachtwück auf einem originalen Pressefoto:

NAG-Protos 16/80 PS Sport-Cabriolet (Typ 208), Bauzeit: 1930-33, originales Pressefoto von 1930 aus Sammlung Michael Schlenger

Meinen Sie nicht auch, dass die Gestaltung von Haubenpartie, Vorderkotflügel und Kühlwasserdeckel vollkommen übereinstimmen?

Gut, die Radkappen weichen ab, handelt es sich doch hier um Drahtspeichenräder mit Zentralverschlussmutter statt Radbolzen. Aber das sechseckige Logo, das auf den Nabenkappen des angeblichen Hansa zu sehen ist, findet sich hier unterhalb des Motorhaubenhalters.

Kann das ein Zufall sein? Ich halte das für sehr unwahrscheinlich, auch wenn der „Hansa“ auf dem Foto von Jörg Pielmann am Heck anders gestaltet ist als das Sport-Cabrio von NAG-Protos.

Denkbar wäre zwar, dass der Hansa vom selben Karosseriebauer eingekleidet wurde wie der NAG-Protos. Aber wenn ich es richtig verstehe, war der Aufbau als Sport-Cabriolet ein Werksfabrikat des Herstellers selbst.

Außerdem halte ich es für unglaubwürdig, dass die markante Gestaltung des Deckels für den Kühlwassereinfüllstutzen (wohlgemerkt: keine Kühlerfigur) bei zwei Herstellern identisch sein sollte, die nichts miteinander zu tun haben.

Sie sehen: Am Ende habe ich doch etwas Eigenes beizusteuern zu diesem Fund des Monats. Natürlich mag ich falsch liegen mit meiner These, dass der vermeintliche Hansa ein Wahrheit ein NAG-Protos war und bloß das Foto falsch beschriftet wurde.

Doch jetzt sind Sie an der Reihe, liebe Leser, denn dass Sie diese schönen Dinge einfach nur so genießen dürfen, das kann ich nicht immer gewährleisten.

Manchmal kommt man der Lösung nur im sportlichen Meinungsaustausch näher und dass wir es hier mit einem ganz besonderen Sport(objekt) zu tun haben, daran kann kein Zweifel bestehen…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.   

Günstiger Einstieg: Hansa-Lloyd 18/60 PS Tourer

Wer sich mit deutschen Vorkriegswagen auskennt, wird gewiss stutzen, wenn ein 60 PS-Wagen hier als „günstiger Einstieg“ angepriesen wird – leistungsmäßig bewegte man sich damit einst ganz klar in der Oberklasse.

Dennoch ist einiges dran, wenn ich den ab 1920 gebauten Typ 18/60 PS der in Bremen ansässigen Hansa-Lloyd-Werke mit einem günstigen Einstieg in Verbindung bringe.

Die Vorgeschichte dieses mächtigen Vierzylindermodells mit mehr als 4 Liter Hubraum habe ich vor längerem hier erzählt und anhand mehrerer Dokumente illustriert. Damals hatte ich den Typ aufgrund seiner phänomenalen Seltenheit als „Fund des Monats“ vorgestellt.

Leser Matthias Schmidt aus Dresden konnte aus seinem Fundus ein weiteres Foto des Hansa-Lloyd 18/60 PS beisteuern, der das bisherige Bild hervorragend abrundet.

Die bislang vorgestellten Aufnahmen zeigten nämlich allesamt Wagen dieses Typs mit geschlossenem Aufbau. Zwei davon schienen zwar auf ursprünglich offenen Fahrzeugen zu basieren, aber ein Belegfoto eines solchen Tourenwagens fehlte mir bislang.

Das ist ein interessanter Befund, war doch die offene Variante traditionell die günstigste und damit auch in der Regel die verbreitetste. Von einem „günstigen Einstieg“ in das Vergnügen, einen Hansa-Lloyd 18/60 PS zu fahren, möchte man angesichts der schieren Dimensionen dieses Automobils allerdings nicht annähernd sprechen:

Hansa-Lloyd 18/60 PS;: Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

An der Identifikation des Wagens gibt es aus meiner Sicht wenig Zweifel – die Kühler- und Haubenpartie stimmt vollkommen mit den im erwähnten älteren Blog-Eintrag bzw. meiner Hansa-/Lloyd-Galerie gezeigten Exemplaren überein.

Sollte ein Leser hier allerdings eindeutig einen Wagen anderer Provenienz sehen, wäre ich für einen Hinweis dankbar – ganz sicher sein kann man sich bei derartigen Exoten mangels Bildmaterials bzw. mangels strukturierter Aufbereitung desselben nie.

Die Details der Frontpartie lassen sich auf diesem kolorierten Ausschnitt gut studieren:

Leider ist der Schriftzug auf der Nabenkappe des Vorderrads unleserlich, doch stimmt aus meiner Sicht die Frontpartie des Wagens mit keinem anderen Modell so gut überein wie mit dem (wohl) bis 1922 mit Spitzkühler gebauten Hansa-Lloyd 18/60 PS.

Diese in Manufaktur gefertigten Giganten waren zwangsläufig auch in der Tourenwagenausführung enorm teuer, obwohl diese doch eigentlich einen „günstigen Einstieg“ in das automobile Fahrvergnügen ermöglichen sollte.

Doch in der Zwischenkriegszeit blieb ein eigenes Auto – ganz gleich welcher Motorisierung und Größe – ein Privileg einer hauchdünnen Bevölkerungsschicht hierzulande. Das galt erst recht kurz nach dem 1. Weltkrieg, als selbst ein Fahrrad für weite Teile des deutschen Volks ein kaum erreichbarer Luxusgegenstand war.

Was also könnte es im Fall dieses weit überdurchschnittlich motorisierten Hansa-Lloyd 18/60 PS der frühen 1920er Jahre rechtfertigen, von einem „günstigen Einstieg“ zu sprechen?

Nun, am Ende eigentlich nur die im Vergleich zu geschlossenen Versionen günstige Einstiegsmöglichkeit der Passagiere, die auch bei Tragen eines Huts durch keine Türrahmen und Dachkanten beschränkt wurde:

Diese fünf Herren, die sich hier vom Fahrer im Hansa-Lloyd 18/60 PS kutschieren ließen, haben sich bereits vom „günstigen Einstieg“ in den Wagen überzeugt und sehen nun mehr oder weniger gespannt einer Ausfahrt in dem Automobil entgegen, das bei Bedarf ein Tempo von knapp 100 km/h erreichen konnte – Anfang der 1920er Jahre ein enormer Wert.

Apropos „günstiger Einstieg“: Wer sich einen Überblick über die kolossale Marken- und Typenvielfalt an Automobilen im deutschen Sprachraum verschaffen will, kann dies in meinen umfangreichen und laufend wachsenden Bildergalerien kostenlos tun.

Das wird auch so bleiben, nur über „Fotospenden“ gleichgesinnter Sammler freue ich mich immer.

Für die verbreitete Geheimniskrämerei um Vorkriegswagen auf alten Papierabzügen, an denen meist niemand mehr ein nachweisbares Urheberrecht hat (schon gar nicht der heutige Besitzer), fehlt mir das Verständnis, zumal viele Sammler selbst damit nichts Konstruktives im Sinne einer Publikation im Druck oder im Netz anzustellen wissen…

© Michael Schlenger, 2021. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Fund des Monats: Hansa-Lloyd 18/60 PS „Treff Aß“

Zusammen mit dem Fund des Monats September 2020 kann ich heute eine ganze Reihe Dokumente präsentieren, die zwar schon eine Weile in meiner Hansa-Lloyd-Galerie schlummern, aber über 100 Jahre nach ihrer Entstehung eine gesonderte Darstellung verdienen.

Wie es der Zufall will, führen sie in dichter Abfolge auf das Fahrzeug zu, das den eigentlichen Fund des Monats repräsentiert.

Zum Einstieg muss ich allerdings auf ein Dokument zurückgreifen, das ich im Netz in der Flickr-Präsenz eines Oldtimer-Enthusiasten fand:

Deckblatt einer Broschüre von Hansa-Lloyd von 1914; Quelle: Flickr

Hierbei handelt es sich um das Deckblatt einer Broschüre der Marke Hansa-Lloyd aus dem Jahr 1914. Damals hatten die seit 1905 bzw. 1906 existierenden Marken Hansa aus Varel und Lloyd aus Bremen sich gerade zusammengeschlossen.

Nachdem beide Hersteller bis dato nur Flachkühlermodelle gebaut hatten, tauchte demnach im Programm noch 1914 erstmals ein Typ mit dem modischen Spitzkühler auf.

Die Broschüre zeigt das Spitzenmodell 22/50 PS, das noch aus der alten Lloyd-Palette stammte. Ebenfalls 1914 entstand folgende hübsche Reklame, die einen Spitzkühlertyp von Hansa-Lloyd in der Frontansicht zeigt – hier mit senkrechten Streben und oval eingefasstem Markenschriftzug auf dem Kühler:

Hansa-Lloyd: Originalreklame von 1914 aus Sammlung Michael Schlenger

Ein Jahr später – im Kriegsjahr 1915 – ist der Zierrat auf dem Kühler verschwunden, nur ein Abwärtsschwung des Oberteils der Kühlermaske sorgt für etwas Abwechslung.

Raffiniert ist dagegen die Darstellung des durch den Schriftzug stürmenden Wagens – in dieser Ästhetik kommt ein dem Heroischen zugewandter Zeitgeist zum Ausdruck:

Hansa-Lloyd: Originalreklame von 1915 aus Sammlung Michael Schlenger

Ein weiteres Jahr später – 1916 – findet man eine vollkommen auf die Grundform reduzierte Gestaltung des Spitzkühlers. In der Grafik lebt zwar noch der Schwung des Jugendstil – der letzte aus der ganzen europäischen Tradition schöpfende und sich der Formen der Natur bedienende Kunststil – doch das immer totalere Kriegsgeschehen führt nun überall zu einer Reduzierung auf das Notwendige.

Man beachte auch die allmählich strenger werdenden Schrifttypen in diesen Reklamen:

Hansa-Lloyd: Originalreklame von 1916 aus Sammlung Michael Schlenger

Ebenfalls aus dem Jahr 1916 stammt eine weitere Reklame von Hansa-Lloyd, die nun eine seitliche Ansicht eines Tourenwagens im typischen teutonischen Stil zeigt – mit Spitzkühler, tulpenartig nach unten schmaler werdendem Aufbau und im Karosseriekörper integrierten Verdeckkasten:

Hansa-Lloyd: Originalreklame von 1914 aus Sammlung Michael Schlenger

Damit sind wir schon nahe an der Ästhetik des Wagens, der heute im Mittelpunkt steht.

Weitere solche Reklamen von Hansa-Lloyd aus der Spätphase des 1. Weltkriegs liegen mir leider nicht vor. Es wird sie wohl gegeben haben, so wie man noch 1917/18 derartige Dokumente von Benz und Mercedes in Zeitschriften findet.

Tatsächlich wurden ja auch noch immer solche Wagen gebaut, wenngleich fast nur noch für den Bedarf des Militärs. Die Hersteller verdienten gut daran (was ihnen nicht vorzuwerfen ist) und konnten sich daher Anzeigen leisten, die eher die Hoffnung auf einen baldigen Frieden als ein tatsächliches Angebot für zivile Käufer widerspiegelten.

Das eingangs erwähnte Spitzenmodel Hansa-Lloyd 22/50 PS scheint nach Kriegsende nicht weitergebaut worden zu sein. Generell verlegte man sich im Bremer Werk ab 1918 auf Nutzfahrzeuge und eine breite Palette an Elektromobilen.

Unterdessen ging im Werk in Varel die PKW-Fertigung weiter und nach der Trennung von Hansa-Lloyd 1921 zog man dort unter dem alten Markennamen Hansa wieder eine eigenständige Automobilproduktion auf.

Ganz löste sich Hansa-Lloyd in Bremen damals aber nicht vom PKW-Bau. Auf Basis eines älteren Typs baute man ab 1920 in geringen Stückzahlen einen von den Dimensionen her sehr eindrucksvollen Vierzlinderwagen – das Modell 18/60 PS.

Dieser mächtige Wagen mit einem zwar konventionellen, aber bärenstarken 4,1 Liter-Aggregat begegnet einem nicht zufällig auch in Form von Nutzfahrzeugumbauten. Ein Hansa-Lloyd 18/60 PS lieferte sehr wahrscheinlich die Basis für diesen eigenwilligen „Minibus“, der einst in der Stadt Achim unweit von Bremen unterwegs war:.

Hansa-Lloyd 18/60 PS; Originalfoto zur Verfügung gestellt über einen Leser aus Achim

Man lasse sich von dem nachträglich konstruierten Aufbau hinter dem Fahrersitz nicht ablenken. Ursprünglich war dies ein typischer Tourenwagen der frühen 1920er Jahre.

Die Details des Vorderwagens – Spitzkühler mit recht weitmaschigem Kühlergrill, vorn weit nach unten gezogenen Kotflügel und Gestaltung der Radnaben – finden sich identisch auf einem weiteren Foto, das mir ein Leser vor längerer Zeit zur Verfügung gestellt hat:

Hansa-Lloyd 18/60 PS; Originalfoto zur Verfügung gestellt von Vincent Birkenhagen

Dieser Wagen wurde einst von einem Handwerksbetrieb (Erich Schwiemann) in Guben an der Neiße genutzt. Das Verlegen von Fußbodenbeläge und Anbringen von Tapeten war die Spezialität der Firma, die sich dieses großzügigen Wagens bediente.

Auf dem Originalfoto erkennt man bei genauem Hinsehen einen Teil des typischen dreieckigen Markenemblems von Hansa-Lloyd, das auf der sehr empfehlenswerten Website von Claus-Wulff (Berlin) im Original zu studieren ist.

Damit kann auch die Identität des umgebauten, vorn praktisch identischen Wagens aus Achim als gesichert gelten. Offen bleiben muss vorerst, ob Hansa-Lloyd in Bremen selbst solche Aufbauten anbot – immerhin waren Nutzfahrzeuge ja das Kerngeschäft – oder ob es sich um ältere Wagen handelte, die nochmals einer neuen Nutzung zugeführt wurden.

Wie auch immer sich das im Fall der beiden bisher gezeigten Wagen des Typs Hansa 18/60 PS verhalten haben mag, werden sie bei weitem durch das in den Schatten gestellt, was mir Leser Jason Palmer aus Australien vor längerer Zeit zusandte.

Er besitzt selbst mehrere Vorkriegswagen unterschiedlicher Marken und kennt sich auch gut bei deutschen Fabrikaten aus, die einst im fernen Australien nicht selten waren.

Bei dem Foto, das er mir zusandte, musste er zwar selbst passen, aber ich fand nach nicht allzulanger Recherche heraus, was es für ein Prachtautomobil zeigt:

Hansa-Lloyd 18/60 PS; Originalfoto aus Sammlung von Jason Palmer (Australien)

Dieser unerhört elegante Wagen muss ebenfalls ein Hansa Typ 18/60 PS sein, der den eigenwilligen Namenszusatz „Treff Aß“ trug – nebenbei ein Begriff aus der Welt der Spielkarten („Treff“ von französisch „trèfle“ steht für das dreiblättrige Kleeblatt).

Darauf brachte mich eine sehr ähnliche Abbildung in der Erstausgabe von Werner Oswalds Klassiker „Deutsche Autos 1920-45“ von 2001 (S. 144). Gestaltung und Proportionen der Frontpartie weichen nur geringfügig voneinander ab.

Speziell die enorm lange Motorhaube findet sich in Verbindung mit einem solchen Spitzkühler und dieser Gestaltung der Radnaben meines Wissens nirgendwo sonst. Man kann sogar – auf Höhe des rechten Scheinwerfers – eine Ecke des dreieckigen Kühleremblems erahnen:

Der Aufbau als Sechsfenster-Limousine wurde durch den kolossalen Radstand von 3,70 Meter begünstigt. Die schiere Länge des Wagens lässt den großzügigen Passagierraum mit Platz für sieben (!) Insassen beinahe leicht erscheinen.

Der Eindruck von Leichtigkeit wird durch den ausgeprägten Schwung der Dachpartie unterstützt – dieser filigrane Aufbau sorgte auch damals für heitere Stimmung:

Die beiden Herren sind zwar für die kühle Jahreszeit gekleidet, aber dennoch guter Dinge. Sie wussten schon damals, wie exklusiv dieses Gefährt war, für das vor der Inflationszeit bereits fast 20.000 Goldmark auf den Tisch zu legen waren – seinerzeit der Gegenwert eines sehr anständigen Hauses.

Die Karosserie wurde wahrscheinlich von einer Bremer Manufaktur mit dem schönen Namen „Rembrandt“ gefertigt. Und in der Tat ist mir bislang wenig aus der Zeit der frühen 1920er Jahre begegnet, was Größe und Eleganz so meisterhaft vereint…

Literaturtipp: Hansa Lloyd Automobilbau, Ulrich Kubisch, Verlag Steintor, 1. Ausgabe 1986

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Hansa: Gesichter einer Automarke von 1908-1958

Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts sah zahllose Automobilmarken aufsteigen und wieder untergehen. Über viele gibt es nicht einmal nennenswerte Literatur – oft sind nur historische Fotos und Werbeanzeigen als Dokumente verfügbar.

Zwar bietet das Internet heute die Möglichkeit, Interessenten die verfügbaren Informationen in konzentrierter Form zugänglich zu machen. Davon wird aber zu wenig Gebrauch gemacht. Ausnahmen wie die Online-Präsenz der Marke Steiger bestätigen die Regel.

Zu den deutschen Autonamen jener Zeit, die eine ausführliche Würdigung verdienen, gehört die zwischen 1908 und 1958 existierende Marke Hansa. Hier wird nicht der Versuch einer ausführlichen Schilderung der wechselhaften Markengeschichte unternommen. Doch ein allgemeiner Überblick ist mit „Bordmitteln“ darstellbar:

Der Ursprung der Marke Hansa liegt in einer 1905 im friesischen Städtchen Varel gegründeten Automobilfabrik, die – wie die Stettiner Firma Stoewer – anfänglich Einzylinder-Wagen nach französischem Muster unter der Marke HAG baute.

1908 wurden dann Wagen mit selbstentwickeltem 4-Zylinder-Motor präsentiert, die erstmals den Namen Hansa trugen. Wie sich wenig später zeigte, war der Name passend gewählt, obwohl das kleine Varel nie zum Städtebund der Hanse gehörte. Folgende Abbildung ist eine Wiedergabe eines zeitgenössischen Fotos eines zweisitzigen Hansa Typ A von 1908:

© Hansa Typ A von 1908; Reproduktion eines zeitgenössischen Fotos; Sammlung Michael Schlenger

Zu dem gezeigten Wagen des Typs A sind nur spärliche bzw. widersprüchliche Informationen verfügbar – möglicherweise handelt es sich um ein Fahrzeug, das Sporteinsätze für Hansa absolvierte. Die Leistung des kleinvolumigen Vierzylindermotors  wurde von anfänglich 12 auf später 16 PS gesteigert. Daneben gab es einen Typ B mit 20 PS Leistung. Außer als Zweisitzer waren die ersten Hansa-Wagen auch als großzügige Tourer erhältlich.

Ab 1911 wurde der auf folgendem Originalfoto zu sehende Typ C gebaut, der bis zu 24 PS aus gut 2 Liter Hubraum schöpfte und schon ein 4-Gang-Getriebe besaß:

© Hansa Typ C 8/24 PS; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Zu diesem Fahrzeug gibt es ein separates Porträt, da es einige Besonderheiten aufweist und zudem etwas über seine Besitzer verrät. Inzwischen hatte sich Hansa einen soliden Ruf erarbeitet und vertrieb Wagen außer im Deutschen Reich auch in Österreich-Ungarn. 

1914 – kurz vor Ausbruch des 1. Weltkriegs – stand die erste der vielen Wandlungen der Marke Hansa an. Hansa schloss sich mit der Automobilsparte des Norddeutschen Lloyd zusammen, die in der Hansestadt Bremen Wagen unter der Marke Lloyd fertigte. Damit gewann der Markenname Hansa nachträglich seine Berechtigung, änderte sich allerdings in Hansa-Lloyd:

© Hansa-Lloyd-Originalreklame, 1914/15; Sammlung Michael Schlenger

Zwar existieren weitere, grafisch oft reizvolle Reklamebilder von Hansa-Lloyd-Wagen aus der Zeit von 1914-18, doch verlagerte sich die Produktion nach Kriegsausbruch auf Militärlastwagen. Von den beworbenen Zivilfahrzeugen wurden vermutlich nur wenige gebaut und diese landeten dann wohl auch eher als Offizierswagen an der Front:

© Hansa-Lloyd-Originalreklame, 1914-16; Sammlung Michael Schlenger

Nach dem verlorenen Krieg lief die Automobilproduktion nur mühsam wieder an. Die Modelle, die noch vor Kriegsausbruch entwickelt worden waren, stellten formal wie technisch immer noch zeitgemäße Fahrzeuge dar. Für Neukonstruktionen fehlten ohnehin die Mittel und die Nachfrage.

So fällt es bei vielen deutschen Marken schwer, die Modelle der frühen Nachkriegszeit von ihren unmittelbaren Vorgängern zu unterscheiden. Die oft als „typisch deutsch“ bezeichneten Karosserien mit Spitzkühlern, geteilter Frontscheibe und schnittigen Linien waren bereits 1914 in Mode.

So hätte auch Hansa-Lloyd mit den im Krieg beworbenen Modellen weitermachen können. Hier zwei Beispiele aus dem Jahr 1916, die dies veranschaulichen:

© Hansa-Lloyd-Originalreklame, 1916; Sammlung Michael Schlenger

Doch sollte Hansa-Lloyd nach Ende des 1. Weltkriegs bis Mitte der 1920er Jahre weiterhin überwiegend Lastkraftwagen bauen. 1921 trennte sich die Firma Hansa aus Varel wieder von der Bremer Hansa-Lloyd und baute unter der alten Marke ein bewährtes Vorkriegsmodell in geringen Stückzahlen weiter.

Da beide Hersteller wirtschaftliche Schwierigkeiten hatten, schlossen sie sich 1929 erneut unter dem Namen Hansa-Lloyd zusammen. Wie bei anderen Nischenproduzenten war jedoch die Pleite im Umfeld der Weltwirtschaftskrise nicht mehr aufzuhalten.

Im Unterschied zu anderen damals untergegangenen Marken hatte Hansa-Lloyd noch Glück. Denn ein gewisser Carl C.F. Borgward aus Bremen nutzte damals die Gelegenheit, um seine Lieferwagenfertigung durch Übernahme von Hansa-Lloyd zu erweitern und um eine PKW-Produktion zu ergänzen.

Dazu wurde Anfang der 1930er Jahre eine neue Fahrzeugfamilie entwickelt, in der der alte Markenname Hansa weiterleben sollte. Zwar war der Erfolg gering, doch Mitte der 1930er Jahre sollte mit den attraktiv gestalteten und modernen Modellen Hansa 1100 und 1700 ein erneuter Versuch gelingen:

© Hansa-Originalreklame, um 1935; Sammlung Michael Schlenger

Kurz vor Beginn des 2. Weltkriegs endet die Produktion von Borgward-Fahrzeugen unter der Marke Hansa. Den Krieg über war Borgward weitgehend in die Herstellung von Rüstungsgütern eingebunden. Die Produktionsanlagen in Bremen wurden zwar 1944 durch Luftangriffe weitgehend zerstört. Jedoch ging die Fertigung in ausgelagerten Fabriken weiter.

Nach Kriegsende stellte man bei Borgward zunächst LKW her. 1948 kehrte Unternehmenschef Borgward aus amerikanischer Gefangenschaft zurück und gab die Produktion eines von ihm zwischenzeitlich entwickelten Wagen in moderner Pontonform in Auftrag. Das neue Modell erschien 1949 als erste deutsche PKW-Neukonstruktion nach dem Krieg und ließ über Nacht Wagen wie den Mercedes 170V alt aussehen. Hier ein zeitgenössisches Originalfoto:

© Borgward Hansa, um 1950; Sammlung Michael Schlenger

Mit dem Hansa 1500 und dem 1952 präsentierten Hansa 1800 etablierte sich Borgward als ernstzunehmender Anbieter in der Mittelklasse. Die außen wie innen großzügigen Wagen mit modernem Fahrwerk sprachen erfolgreiche jüngere, stilbewusste Käufer an, wie man auf vielen Fotos jener Zeit erkennen kann.

Den traditionsreichen Markennamen Hansa verwendete Borgward nochmals beim bis 1958 gebauten Modell 2400. Dieser Wagen verfügte über 6-Zylinder-Motoren, die bis zu 100 PS leisteten. Mit diesem eindrucksvollen Fahrzeug fand die Geschichte der Marke Hansa nach 50 Jahren ihren Abschluss. 

Drei Jahre später – 1961 – ging Borgward in Konkurs, vielleicht unnötigerweise. Jedenfalls hätte der überschaubaren Markenlandschaft hierzulande ein weiterer Qualitätsanbieter gut getan…

Das Fabrikgebäude in Varel, in dem vor dem 1. Weltkrieg die ersten Autos der Marke Hansa entstanden, existiert übrigens noch. Derzeit wird nach einer Nutzung gesucht, die den Bestand des Bauwerks gewährleistet und auch seiner Historie gerecht wird (Website).