Hinweis: Heute geht es hier mehr als sonst politisch zu. Das als Warnung für die in dieser Hinsicht etwas ängstlicheren Leser.
Zu den Konstanten der letzten 100 Jahre gehört, dass man in Europa stets die eigenen Maßstäbe an die USA legt.
Für viele Briten sind die Amis Barbaren in einer abtrünnigen Kolonie, denen man die Ohrfeige der Unabhängigkeitserklärung nie verziehen hat. Sich von denen in zwei Weltkriegen retten lassen zu müssen, das hat schwer am Selbstbild genagt.
Auf dem Kontinent – speziell in Deutschland – herrscht seit Generationen eine bloß aus längerer Geschichte gespeiste Überheblichkeit, wobei man seit etwa 1930 nur noch von den Beständen lebt und nichts Neues mehr beizutragen vermag.
Oft herrscht die Auffassung, dass die USA nur eine neuere Variante europäischer Traditionen repräsentieren sollte, zumal man da ja Englisch spricht. Doch so wie das Amerikanische eine eigene Sprache darstellt, ist auch die Mentalität eine eigene.
In den Vereinigten Staaten haben sich Einwanderer aus aller Welt als Volk gefunden und neu „erfunden“. Das erklärt, warum die Millionen von Amerikanern, deren Vorfahren aus Skandinavien, Deutschland oder Italien stammten, schon in der zweiten Generation die Muttersprache nicht mehr sprachen.
Man war froh, den Verhältnissen in der Alten Welt entronnen zu sein. Die Gemeinsamkeit der Neuankömmmlinge war, bei Null anfangen und mit jedem klarkommen zu müssen.
Wir reden hier nicht von den Problemen der als Sklaven „importierten“ Schwarzafrikaner – das ist die bedrückende Geschichte einer kleinen Minderheit, sondern von der weit überwiegenden Mehrheit der frei in den USA Geborenen.
Besuchern der USA fällt die Unbekümmertheit und Direktheit der Amerikaner im persönlichen Umgang auf, das allfällige Selbstbewusstsein, die Redegewandheit und das Fehlen von Respekt vor albernen Insignien wie etwa Doktor- und Adelstiteln.
Was dagegen zählt, sind hart erarbeitete Meriten in beruflicher Hinsicht. Offensiv ausgestellter Wohlstand gilt als erstrebenswert und der große Auftritt – am besten mit der ganzen Familie – gehört ebenso zum guten Ton wie das Bekenntnis zu Religiosität.
Wer nicht imstande ist, diese Rhetorik und Selbstinszenierung lässig zu nehmen, etwa weil er die Perspektive meist in materiell prekären Verhältnissen lebender deutscher Journalisten übernimmt, der gelangt zu falschen Einschätzungen.
Schon als Jugendlicher fand ich es verstörend, wie einst ein honoriger – wenn auch wenig erfolgreicher – US-Präsident wie Jimmy Carter von den studierten Meinungsbildnern hierzulande als minderbemittelter Erdnussfarmer verspottet wurde.
Später war es Ronald Reagan, den man hierzulande als Cowboy und gefährlichen Zündler darstellte. Ich hatte es mir schon ab den 80er Jahren zur Gewohnheit gemacht, mir mein Bild möglichst aus US-Quellen zu bilden und das heißt: sprachlich im Original.
Einfach war das nicht, aber ein von meiner in Genf bei den Vereinten Nationen arbeitenden Tante finanziertes Abonnement des legendären „National Geographic Magazine“ erlaubte es mir, die Mentalität der Mehrheit in den USA zu verstehen.
Umgekehrt war es ein Leichtes, die Heiligsprechung eines Schönredners wie Obama seitens deutscher Medien zu durchschauen. Der Durchschnittsamerikaner verbindet mit ihm nach meinem Eindruck nichts, was seine Lebensverhältnisse verbessert hätte.
Sie können sich jetzt vermutlich denken, was ich von den Stereotypen halte, die hierzulande immer noch unters Volk gebracht werden, was den nach guter deutscher Tradition aktuellen „Verrückten“ im Weißen Haus betrifft.
Das kommt davon, wenn man sich sein Urteil nicht direkt anhand des amerikanischen Originals bilden will oder kann.
Man muss hier die Befindlichkeit einer Verlierernation als mildernden Umstand in Betracht ziehen. Ich jedenfalls bin froh, dass der seit 1945 in den Staaten entstandene Augias-Stall mit parlamentarisch unkontrolliertem Treiben Dutzender Staatsagenturen jetzt zumindest ansatzweise durchgespült wird.
Kritik an der CIA und den US-Pharmakonzernen war einmal eine aufgeklärte Position. Jetzt passt es aber nicht, wenn diese von Leuten vertreten wird, für die es nur zwei Geschlechter gibt und die auch anderem ideologischen Schwachsinn den Kampf angesagt haben.
Das soll zu diesem Thema genügen. Jaja: Bombenterror, Vietnamkrieg, Rassentrennung… das weiß ich alles. Ist aber Geschichte. Den aktuellen Präsidenten messe ich an dem, was er leistet, ganz gleich wie sehr er hiesige Hohepriester in Funk und Fernsehen verstört.
So, da ist er endlich – der nach einem von Amerikas größtem Präsidenten benannte Lincoln:

Dieser Wagen setzte anno 1934 eigene Maßstäbe – amerikanische Maßstäbe:
Unter der Motorhaube arbeitete ein 150 PS starker 12-Zylindermotor – aber ein klassischer Seitenventiler, der seine Leistung vor allem aus dem Hubraum (6,6 Liter) bezog.
Das Getriebe wiederum war auch nach europäischen Maßstäben modern, es besaß eine Synchronisierung, die Schalten ohne Doppelkuppeln und Zwischengas erlaubte.
Verrückt für Europäer waren die Maßstäbe, was die Bremsen betrifft – sie waren zwar servounterstützt, aber nicht hydraulisch. Rückständig oder einfach pragmatisch? Man darf annehmen, dass die Amis bei diesem Gerät schon wussten, wie man es wirksam verzögert.
Aber was ist mit der Bezeichnung als „Convertible Coupe“. Waren die bei Lincoln verrückt? „Convertible“ bedeutet, dass man das Dach niederlegen kann. Ein Coupé aber hat ein festes Dach.
Und dann schreiben sie „Coupe“ auch noch ohne „accent aigu“ und sprechen es falsch aus „Kuup“. Verdammte Bande von Idioten! – hört man jetzt Klaus Kinski aus Europa donnern.
Tja, in den Staaten bestimmt man die Maßstäbe eben selbst. Ein „Convertible Coupe“ ist keine Verbeugung vor den Franzosen, denen man einst noch vor den Briten in Amerika den Strom abgestellt hatte. Es ist einfach die US-Bezeichnung für „Zweifenster-Cabriolet“.
Das muss man bei aller Traditionsverbundenheit, für die ich regelmäßig eintrete, einfach akzeptieren. Die Amis machen seit ihrer Unabhängigkeitserklärung ihr eigenes Ding, und das in jeder Hinsicht. Europa interessiert sie nur als Absatzmarkt und Reiseziel.
Ihre Maßstäbe sind nach europäischer Auffassung „verrückt“. Aber ist das nicht bizarr?
Im Alten Europa wird oberflächlich seit den 70er Jahren für Vielfalt und Toleranz getrommelt, doch wenn jenseits des Atlantiks die Uhren ganz anders gehen, die Maßstäbe „verrückt“ werden, dann ist es auch nicht recht.
So belächelte man anno 1934 vermutlich hierzulande wieder einmal dieses Massenfabrikat aus dem Hause Lincoln gegenüber der singulären „deutschen Werkmannskunst“:
Moment mal, der 12-Zylinder-Lincoln von 1934 wurde in den beiden offenen Versionen „Convertible Coupe“ und „Dietrich Convertible Roadster“ ja nur in 25 Exemplaren gebaut.
Sollten die irren Cowboys jenseits des Atlantiks neben den Massenmobilen, die sich jeder US-Arbeiter leisten konnte, während in Deutschland nur Privilegierte die Autobahnen nutzen konnten, auch solche Manufakturautos zustandebekommen haben?
Klar konnten sie das – ebenso wie sie einige Jahre später die mal wieder völlig verrückten Krauts mit brillianter Logistik (und erheblichem Blutzoll) erneut in die Schranken wiesen.
Bitte verstehen Sie diesen Beitrag als subjektive und zugespitzte Darstellung, die nicht als Beitrag zur Automobilhistorie gedacht ist. Ich gebe im Blog-Format bisweilen Sichtweisen Raum, die man so nicht im Ersten oder Zweiten Deutschen Fernsehen findet.
Ab morgen geht es dann wieder nur um Vorkriegsautos auf alten Fotos, versprochen!
Nachtrag: Beim nochmaligen Durchsehen fällt mir auf, dass ich die perfekten Proportionen des 1934er Lincoln überhaupt nicht gewürdigt hatte. In gestalterischer Hinsicht war das ein Meisterwerk seiner Zeit, mit kaum einer geraden Linie, wie ich das mag…
Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.