Flugauto anno 1917: Das Apperson „Roadaplane“

Lange hat man nichts mehr von den elektrisch betriebenen „Flugtaxis“ gehört, die eine Weile hochgeschrieben wurden wie seinerseits das legendäre Millionengrab „Cargolifter“.

Die Vorstellung, dass sich ein Teil des Alltagsverkehrs in Städten – schon komplex genug am Boden – in die dritte Dimension verlagern soll, ist zwar faszinierend. Kaum eine Zukunftsvision von Science-Fiction-Autoren kommt ohne die Idee aus.

Doch wer glaubt, dass man demnächst mit irgendwelchen Elektrofluggeräten quasi wie im Taxi umhergondeln kann, muss von erstaunlichem Optimismus beseelt sein.

Man muss erlebt haben, was der Pilot einer kleinen Sportmaschine können muss, etwa um bei wechselnden Winden in Bodennähe sicher zu landen. Dann kann man über die Vorstellung, dass Taxifahrer mit oder ohne Soziologiestudium künftig in die Luft gehen, nur milde lächeln – oder sich Sorgen über die Sicherheit am Himmel über einem machen.

Dabei kann sich ein ähnlicher Genuss wie beim Fliegen schon dann einstellen, wenn man auf dem Boden der Tatsachen bleibt und ein souverän dahingleitendes Automobil wählt.

Das versprach jedenfalls einst die US-Firma Apperson aus Kokomo (Indiana), die uns hier schon einmal begegnet ist. Anno 1917 schaltete man diese selbstbewusste Anzeige:

Apperson Reklame von 1917; übermittelt von Varun Coutinho (USA)

Mit salbungsvollen Worten werden hier die Qualitäten des bereits 1916 eingeführten Modells gepriesen, das „sich durch die gleitende Bewegung auszeichnet, auf welche der Name Roadaplane hindeutet„.

Der Wagen wurde serienmäßig als Tourer und Roadster angeboten und konnte bei identischem Radstand von beachtlichen 3,30 Metern mit einem 6-Zylinder (ca. 50 PS) oder einem V8-Motor (ca. 60 PS) geordert werden.

Vollgetankt wog der eindrucksvoll dimensionierte Wagen umgerechnet nur 1.360 Kg, damit dürften die beiden 4,7 bzw. 5,4 Liter großen Aggregate souverän zurechtgekommen sein.

Wie komme ich aber darauf, Ihnen diese Annonce zu zeigen? Nun, sie wurde mir von einem hervorragenden Kenner heute weniger geläufiger US-Marken zugesandt, der mir schon öfters in Fällen helfen konnte, in denen ich nicht weiterkam.

Er konnte nämlich den Tourer auf meinem folgenden Foto als Apperson „Roadaplane“ identifizieren und schickte mir in dem Zusammenhang eine digitale Kope der Anzeige zu.

Hier haben wir das Prachtstück, wenn auch aus nicht idealer Perspektive festgehalten:

Apperson „Roadaplane“; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ich hatte aufgrund der Dimensionen der Motorhaube auf ein großvolumiges US-Modell um 1920 getippt, aber auf Apperson wäre ich vermutlich nie gekommen – zumal das „Roadaplane“ kein großer Erfolg gewesen zu scheint.

Die dem Wagen zugesprochenen „Flugeigenschaften“ mögen einem skeptischen Publikum zurecht ein wenig zu phantastisch vorgekommen sein.

Doch zumindest scheint sich der Apperson „Roadaplane“ durch große Zuverlässigkeit ausgezeichnet zu haben. In einem Fahrzeug dieses Typs unternahm nämlich die Varieté-Künstlerin Claire Rochester 1917 eine Fahrt quer durch die Vereinigten Staaten.

Fraglich bloß, ob sie den anvisierten Kundenkreis repräsentierte – jedenfalls verschwand das groß angepriesene Roadaplane bald wieder vom Erdboden, freilich ohne abzuheben…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Fund des Monats: Apperson „Jack Rabbit“ von 1912

Als Betreiber eines Oldtimerblogs für Vorkriegsautos, aber ohne Markenschwerpunkt, muss man sich irgendwo Grenzen setzen, sonst verliert man in der schieren Vielzahl von Herstellern den Überblick.

Der Verfasser nimmt das hierzulande verfügbare Angebot an originalen Fotos von Vorkriegsfahrzeugen als Ausgangspunkt. Dazu kauft er gezielt Bilder, die günstig zu haben sind, also am ehesten stark verbreitete Modelle zeigen.

Das eröffnet die Möglichkeit, ein repräsentatives Bild der einstigen Marken- und Typenlandschaft im deutschsprachigen Raum nachzeichnen zu können.

Zudem, so die Hoffnung, hält man sich damit aus dem Dickicht an Herstellern aus den USA heraus, in dem man sich leicht verlieren kann.

Dieser Ansatz funktioniert prinzipiell recht gut. Die Schlagwortwolke unten rechts lässt für den Vorkriegskenner kaum überraschende Schwerpunkte erkennen.

Der Versuch, US-Wagen möglichst außen vor zu lassen, wird aber immer wieder durchkreuzt, denn amerikanische Fabrikate verfügten in der Vorkriegszeit über eine Präsenz am deutschen Markt, die überrascht.

Das heutige Fundstück illustriert das eindrucksvoll:

Apperson „Jack Rabbit“ um 1912; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

„Aha“, mag nun einer sagen, „irgendeine Amikiste aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg, auch noch in den USA fotografiert, die Bretterbude im Hintergrund sagt doch alles“.

Richtig, aber niemand hat behauptet, dass wir es bei diesem Wagen bewenden lassen, der in der Tat ein um 1912 gebautes US-Modell ist. Ein Zeitgenosse hat darauf sogar den Typ vermerkt: Apperson „Jack Rabbit“.

Das Wichtigste in Kürze: Der Name Apperson steht in Verbindung mit dem wohl ersten funktionsfähigen und in Serie gebauten US-Automobil mit Otto-Motor.

1894 stellte der Industrielle Elwood Haynes in Kokomo im US-Bundesstaat Indiana ein Automobil vor, das die Gebrüder Apperson entwickelt und gebaut hatten.

Ab 1898 baute man unter dem Firmennamen Haynes-Apperson Qualitätswagen, die etliche Innovationen boten. Der Erfolg veranlasste die Gebrüder Apperson, sich ab 1902 unter eigenem Namen dem Automobilbau zu widmen.

Für Aufsehen sorgte 1907 der Apperson „Jack Rabbit“ Speedster, der mit 60 bzw 96 PS erhältlich war und über 100 km/h schnell war. Nach ihm wurden alle in den Jahren 1911-13 gebauten „zivilen“ Appersons benannt, die zwischen 30 und 50 PS leisteten.

Eines dieser Modelle mit Vierzylinder-Motor ist auf dem oben vorgestellten Foto zu sehen. Ab 1916 verbaute Apperson nur noch 6- und 8-Zylinder-Aggregate.

Nach dem 2. Weltkrieg ging der bis dahin so fortschrittlichen Firma die Puste aus. Bis Mitte der 1920er Jahre hielt man sich noch mit weiterentwickelten, aber nicht mehr herausragenden Typen über Wasser. 1926 ging Apperson in Konkurs.

Damit könnte man die Geschichte dieses Pioniers des US-Automobilbaus abschließen. Doch der Blog-Eintrag gehört nicht grundlos in die Rubrik „Fundstück des Monats“.

Denn so unglaublich es klingt: Der Nischenanbieter Apperson unternahm kurz vor seinem Ende noch einen Versuch, Autos in Deutschland zu verkaufen.

Viele US-Hersteller sahen in den 1920er Jahren am deutschen Markt Absatzchancen, da die heimischen Hersteller meist Modelle anboten, die formal wie technisch veraltet und aufgrund vorindustrieller Fertigung zu teuer waren.

Die folgende deutschsprachige Originalbroschüre von Apperson ist ein Hinweis darauf, dass die Firma auch am deutschen Markt aktiv war:

 © Apperson-Prospekt um 1925; Quelle: Sammlung Rolf Ackermann

Demnach hatte Apperson im großbürgerlichen Berliner Stadtteil Charlottenburg einen Ausstellungssalon am Kaiserdamm 89. Das Gebäude existiert übrigens heute noch.

In der deutschsprachigen Broschüre sind die Daten zu den ab 1923 verfügbaren 6- und 8-Zylinder-Modellen von Apperson aufgelistet, die 45 bis 70 PS leisteten. Die abgebildeten Karosserien entsprechen den US-Versionen, was aber nichts heißen will.

Vermutlich wurden Apperson-Wagen in Teilen angeliefert und dann in Deutschland mit einer lokal gefertigten Karosserie versehen, wie das bei anderen US-Modellen auch der Fall war.

Dass es zumindest in kleinen Stückzahlen tatsächlich zu einem Import von Apperson-Wagen kam, dafür spricht die folgende Reklame von Apperson aus der Zeitschrift „Motor“ von Ende 1925, die uns von Jochen Thoma (Klassik-Interessenvertretung des ADAC) zur Verfügung gestellt wurde:

Apperson-Originalreklame aus „Motor“, 11-1925; mit freundlicher Genehmigung von Jochen Thoma (Klassik-Interessenvertretung des ADAC)

Jetzt fehlt nur noch ein Dokument aus jener Zeit, das einen leibhaftigen Apperson-Wagen in Deutschland zeigt. Speziell in Berlin war in den „Goldenen 20er Jahren“ offenbar alles möglich…

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and http://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.