Fund(e) des Monats: Steiger 10/50 PS Tourer „Spezial“

Heute war ein Tag nach meinem Geschmack – und das ist einer, an dem man zumindest in einigem Umfang selbst bestimmt, was man mit seiner Zeit anstellt.

Das fing bei der Schreibtischarbeit an – es galt einige Fachdokumente ins Deutsche zu übertragen, die im Original nicht ganz geglückt waren – inhaltlich wie sprachlich.

Ich sehe dann zu, dass ich das bei der Übersetzung korrigiere, der Kunde erfährt nur in krassen Fällen, was ich mir an Freiheiten erlaube. Das macht den Unterschied zwischen einem fachlich wie sprachlich versierten Übersetzer und einer Maschine aus.

Anschließend gab es Reparaturen zu erledigen, eine Kleinigkeit an der Dachrinne, ein Hauben-Anschlagpuffer am Alltagsauto. Dann das erste Mal den Rasen mähen – zuvor galt es den über den Winter angerosteten Spindelmäher wieder fit zu machen.

Die Vorhut der üblichen Löwenzahn-Invasion wurde bekämpft, die Vogelbäder aufgefüllt und Pläne für Außenarbeiten in den nächsten Tagen und Wochen gemacht.

Wenn das nach viel Arbeit klingt, keine Sorge – ich liebe alle diese Sachen, vor allem an der frischen Luft, auch wenn es heute arg kalt war. Der Mensch ist dafür optimiert, Alltagsprobleme zu lösen und anschließend seine Welt zu verschönern, meine ich.

Nach einem Tag voller Arbeit mit dem Kopf und den Händen ist abends die Beschäftigung mit den schönen Seiten der automobilen Welt von gestern der ideale Ausklang.

Entspannend ist meist die Niederschrift des Blog-Klassikers „Fund des Monats“ – denn da kann ich vornehmlich die Bilder ohne viele Worte wirken lassen:

Steiger Typ 10/50 PS; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Äh„, werden jetzt einige Leser denken, „hiermit will unser Blog-Wart doch nicht ernsthaft den Fund des Monats bestreiten, oder?“

Doch genau das will ich, es fehlt nur noch die zweite Hälfte des Automobils. Ich verstehe ja, dass die Ladies auf dieser Aufnahme nicht für rasende Begeisterung bei in dieser Hinsicht verwöhnten Herren der Schöpfung sorgen.

Doch überlegen Sie mal: die mittlere als Klavierlehrerin, vielleicht hätte sich dann doch eine gewisse Neigung zum Pianoforte eingestellt, auf welche die Eltern spekuliert hatten…

Auch möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf den kleinen Hund lenken – er wird uns noch an unerwarteter Stelle wiederbegegnen.

Zuvor muss ich Sie allerdings mit der harschen Realität einer zeitgenössischen Reklame konfrontieren, welche uns auf den eigentlichen Fund des Monats vorbereitet:

Steiger 10/50 PS, Reklame aus der Allgemeinen Automobil-Zeitung von 1925; Original: Sammlung Michael Schlenger

Ist diese dramatische Grafik nicht großartig? Und das von einer absoluten Nischenmarke aus einer württembergischen Kleinstadt wie Burgrieden, die kaum einer kennt?

Die gestalterische Qualität korreliert in diesem Fall klar mit den Meriten der Marke Steiger, welcher ab 1920 ein kurzes, aber umso beeindruckenderes Dasein beschieden war.

Die Firma als solche war bereits 1914 von einem Schweizer namens Walther Steiger gegründet worden – man beachte das Logo auf obiger Reklame – doch erst mit der Ankunft des genialen Konstrukteurs Paul Henze sollte die Firma Steiger Berühmtheit erlangen.

Er war der Kopf hinter den modernen Motorenkonstruktionen der Marke, mit denen Steiger ab 1920 Furore machte – die im Zylinderkopf hängende Nockenwelle zu Ventilsteuerung wurde über eine Königswelle angetrieben.

Das war damals Sportwagentechnik und tatsächlich sollte Steiger mit auf 60 bis 70 PS hochgezüchteten Motoren dieser Machart gewisse Erfolge erzielen. Für den Hausgebrauch bot man zahmere Ausführungen an, die um die 50 PS leisteten – eine echte Ansage in einer Zeit, in der mit gut 2,5 Liter Hubraum meist nur 30 PS erzielt wurden.

Walter Steiger blieb zwar ein kommerzieller Erfolg mit seinen Automobilen versagt, weshalb die Firma schon 1926 die Tore schloss. Doch mit ihrem eigenständigen, hochexpressiven Styling hinterließen die Steiger-Wagen dauerhafte Spuren.

Dazu zählt auch die zweite Aufnahme des bereits ausschnitthaft gezeigten Wagens:

Steiger Typ 10/50 PS; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Kein anderer deutscher Serienwagen wies in der ersten Hälfte der 1920er Jahre eine dermaßen radikal auf Effekt getrimmte Vorderpartie auf.

Die wie gemeißelt wirkenden Luftschlitze in der Motorhaube mit den beiden außenliegenden Auspuffrohren suchen ebenso ihresgleichen wie das wie ein Rammsporn gestaltete Oberteil des Kühlergehäuses.

Dazu die riesigen Scheinwerfer in Hochglanzausführung, die Drahtspeichenräder und die spitz zulaufenden Vorderkotflügel – hier war alles auf maximale Wirkung beim Betrachter angelegt. Beachten Sie aber auch die Kühlerfigur – hier hatte der Besitzer einen persönlichen Akzent gesetzt.

Mit seinen scharf geschnittenen geometrischen Formen fiel ein Steiger selbst dann auf, als auch andere deutsche Hersteller eine markante Gestaltung mit Spitzkühler bevorzugten, wie das bis etwa 1925 der Fall war.

Ich könnte es für heute dabei belassen, aber es gibt doch noch etwas aus meinem eigenen Fundus, was vielleicht die heutigen Entdeckungen in den Schatten stellt.

Zu sehen ist ein weiterer Steiger des Typs 10/50 PS aus der ersten Hälfte der 1920er Jahre – vor Einführung von Vorderradbremsen. Vielleicht liegt es am Verzicht auf Haubenschlitze oder an der hellen Lackierung, aber diese Spezialausführung ist für mich sensationell…

Steiger Typ 10/50 PS „Spezial“; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Abschließend möchte ich daran erinnern, dass die Historie der Automarke Steiger von Michael Schick aus Burgrieden in nicht zu übertreffender Weise aufgearbeitet wurde – sowohl online als auch in Buchform.

DAS ist der Standard, an dem sich die Produktionen oder auch Nicht-Produktionen zu anderen deutschen Nischenmarken messen lassen müssen. Es gibt da keine Ausrede, es braucht nur die Kompetenz und den Willen eines Einzelnen.

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Sehtest vor 100 Jahren: Ein Steiger 10/50 PS Tourer

Früher war alles besser, da sind wir uns doch sicher einig – jedenfalls, was Automobile betrifft. Vor allem war früher alles einfacher, und das will ich heute beweisen.

Nehmen wir an, Sie wollten vor 100 Jahren Chauffeur werden. Dann mussten Sie zwar eine anspruchsvolle Schulung absolvieren, welche – das garantiere ich – kein moderner Gaspedalritter unvorbereitet bestehen würde.

Aber wenn es am Ende um etwas so Banales wie einen Sehtest ging, dann machte man kurzen Prozess und legte dem Kandidaten schlicht ein verwackeltes Foto vor wie dieses:

Steiger Typ 10/50 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

„So, werter Herr Blechschmidt, bisher haben Sie sich ja wacker geschlagen. Ihre Chancen auf eine Anstellung als Chauffeur bei Frau von Hochmuth stehen recht gut.

Als letztes – nur eine Routinesache – wollen wir in Erfahrung bringen, wie es um Ihren scharfen Blick im Straßenverkehr bestellt ist.

Es kann nämlich sein, dass Ihre Brötchengeberin, einer plötzlichen Laune folgend ausruft: „Bruno, mein Bester, sagen Sie geschwind: Was war das für ein Tourer mit den frechen Damen an Bord, dem wir im Grunewald ausweichen mussten?

Sie sehen, dass hier Ihre Geistesgegenwart und ein sicheres Auge gefragt sind. Also?“

An dieser Stelle darf man nichts ins Schwitzen geraten, auch wenn es im Hochsommer wie heute nie dagewesene 28 Grad Celsius hat. Stattdessen gilt es kühlen Kopf zu bewahren und die Linien des flott bewegten Wagens zu studieren:

„Auf den ersten Blick meint der Laie hier einen Benz mit Spitzkühler vor sich zu haben“, entgegnen Sie wissend.

„Doch zwei Dinge verraten dem Kenner auf dem Felde des zeitgenössischen Automobils, dass uns hier etwas Rareres, gar Raffinierteres begegnet ist.

Erstens finden sich bei Benz-Wagen nicht dergleichen breite und weit nach oben reichende Luftschlitze in der Haube.

Zweitens ist anzuführen, dass die Form des Spitzkühlers keineswegs der Konvention bei solchen aus dem Hause Benz entspricht. Vielmehr ist festzuhalten, dass der Ausschnitt des Kühlergrills vollkommen rechteckig ist.“

Als Eleve im Prüfungsstress liegen Sie damit richtig. Zum Vergleich betrachten wir hier einen typischen Benz mit Spitzkühler der frühen 1920er Jahre:

Benz Tourenwagen der frühen 1920er Jahre; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

„Ausgezeichnet beobachtet haben Sie das, Herr Blechschmidt. Man könnte noch anmerken, dass auch die vorn spitz auslaufenden Kotflügel eher selten bei dem Mannheimer Fabrikat zu finden sind.

Gleichwohl kann ich Ihnen die abschließende Frage nicht ersparen: Wenn wir es schon nicht mit einem Benz zu tun haben, was ist es dann, was uns da begegnet ist – nun?“

An dieser Stelle mögen sich kurzzeitig einige Schweißperlen auf der Stirn manifestieren und der Puls geht etwas hoch. Doch wie in jeder Prüfungssituation setzt der Druck die entscheidenden Kräfte frei, die erforderlich sind, um am Ende zu bestehen.

Sie erinnern sich an eine Begebenheit vor ein paar Jahren. Da trafen Sie irgendwo auf dem Lande einen Tourer mit genau dieser Gestaltung von Kühler und Motorhaube. Sie waren bloß mit dem Zweirad unterwegs, dennoch gab der Chauffeur gerne Auskunft:

„Ja, das fragen mich viele Leute, was das für ein Wagen ist. Ich will es Ihnen sagen.

Im Örtchen Burgrieden in Württemberg gibt es eine feine Automobilfabrik, die ein Herr Steiger aus der Schweiz nach dem Kriege geschaffen hat. Dort baut man in Manufaktur diese Wagen, welche sich durch Ventiltrieb über obenliegende Nockenwelle auszeichnen.

Vermutlich ist Ihnen bekannt, dass solche Konstruktionen einen besonders präzisen Gaswechsel ermöglichen und überdies erhöhte Drehzahlen vertragen.“

Natürlich wissen Sie das als Enthusiast, auch wenn Sie vielleicht nur mit einer Einzylinder-DKW unterwegs sind. Doch diese Begegnung weckte in Ihnen den Wunsch, eines Tages selbst einen Wagen zu chauffieren.

So mag es gekommen sein, dass Sie nun die Prüfung zum professionellen Fahrer absolvieren, deren Bestehen Ihnen Zugang zu höchsten Kreisen und ein weit besseres Gehalt ermöglicht, als es ein Arbeiter oder einfacher Angestellter sonst bezog.

Und so können Sie am Ende die Frage des Prüfers souverän beantworten:

„Nach meinem Dafürhalten haben wir es mit einem Tourenwagen der Marke Steiger aus Burgrieden zu tun, nur die genaue Motorisierung muss offenbleiben. In Frage kommen der Typ 10/50 PS, aber auch ein frühes Exemplar der stärkeren Version 11/55 PS.“

So verhält es sich und genauer werden wir es auch heute nach rund 100 Jahren kaum mehr bestimmen können.

Damit wäre dieser unkonventionelle, aber zuverlässige Sehtest bestanden und Sie können sich künftig weiteren Herausforderungen in Sachen Vorkriegswagen stellen…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Endlich wieder erhältlich: Das „Steiger“-Buch!

Unter den zahllosen deutschen Automarken der Zwischenkriegszeit, die unverdient in Vergessenheit geraten sind, verdient wohl eine die größte Anerkennung – die Sportwagenfirma „Steiger“ aus Burgrieden.

In dem oberschwäbischen Ort im Kreis Biberach entstanden zwischen 1919 und 1926 nur etwas mehr als 1.200 Autos – aber was für welche!

Leser dieses Oldtimerblogs werden sich fragen, warum dieser unter Kennern für seine brillianten Konstruktionen legendäre Hersteller hier noch nicht vorgestellt wurde.

Das hat zwei Gründe: Der eine besteht darin, dass es enormes Glück braucht, um an ein Originalfoto eines Steiger-Wagens zu gelangen. Bekanntlich besprechen wir hier Vorkriegsautos bevorzugt anhand zeitgenössischer Aufnahmen.

Der andere Grund ist der, dass der Autor dieses Blogs abwarten wollte, bis die Neuauflage der einzigartigen Steiger-Bibel von Michael Schick fertig ist.

Beide Bedingungen sind inzwischen erfüllt, und nun können wir endlich dieser großartigen Marke Tribut zollen.

Beginnen wir mit einem Originalfoto eines Steiger:

Steiger 10/50 PS, ca. 1921, Foto aus Sammlung Michael Schlenger

Ist dieser Tourenwagen mit seinem messerscharfen Kühler und den armdicken Auspuffrohren nicht eine Wucht?

Dabei ist es kein Mercedes oder Benz, deren Sportversionen heute zu den begehrtesten Vorkriegswagen überhaupt zählen. Nein, das ist ein Steiger – kein anderes Auto besaß diese unverwechselbare Front.

Die vom Motorengenie Paul Henze für Steiger konstruierten Wagen besaßen von Anfang an obenliegende Nockenwellen zu Ventilsteuerung, deren Antrieb über Königswellen erfolgte.

Damit waren bereits dem kleinsten Steiger-Modell – dem 10/50 PS Typ – die Sportwagengene in die Wiege gelegt. Sein großer Bruder, der 2,8 Liter messende 11/55 PS Typ, war für eine Spitzengeschwindigkeit von über 125 km/h gut.

Die Sportversionen zeichneten sich zusätzlich durch einen kurzen Radstand aus, der eine dynamische Fahrweise unterstützte:

Steiger im Sporteinsatz, Originalfoto aus Sammlung Michael Schick; Quelle: http://www.steiger-burgrieden.de

In solchen Sphären bewegte sich 1920 kaum ein anderes deutsches Serienauto. Nebenbei: Die Steiger-Modelle verfügten von Anfang an über 12-Volt-Elektrik, optionale Doppelzündung und ab 1920 über Vierradbremsen.

Zu großer Form lief dann Steigers 3-Liter-Spitzenmodell mit 70 PS und 140 km/h Höchstgeschwindigkeit auf, das die Grundlage für zahllose Sporterfolge war.

Doch das – und die ganze spannende Geschichte der Steiger-Autos – liest man am besten in der Neuauflage von Michael Schicks begeisterndem Buch nach:

Einband des Steiger-Buchs, Quelle: http://www.steiger-burgrieden.de

Steiger – Die Geschichte einer schwäbischen Autofabrik in den 20er Jahren, 2. Auflage, ISBN 978-300-055314-1, Preis: 49 Euro

Hier war ein Getriebener am Werk, jemand der mit Leidenschaft für die Marke aus seinem Heimatort brennt. Was Michael Schick auf über 390 Seiten mit weit mehr als 600 Abbildungen zu Steiger zusammengetragen hat, sucht seinesgleichen.

Von der Familiengeschichte der Steigers über die Ursprünge des Betriebs in Burgrieden, dessen Einbeziehung zur Wartung von Kampfflugzeugen im 1. Weltkrieg bis hin zum Auto-Prototyp von 1917 wird der Ursprung der Marke erzählt.

Dann geht es weiter mit einer unglaublichen Fülle an Informationen und originalen Dokumenten zu den Serienwagen von Steiger aus den 1920er Jahren, deren Karosserien und Käufern, den minutiös aufgelisteten Sporteinsätzen und Siegen.

Seiten 141-142 des Steiger-Buchs, Quelle: http://www.steiger-burgrieden.de

Seiten 259-260 des Steiger-Buchs, Quelle: http://www.steiger-burgrieden.de

Neben der Vielzahl an zeitgenössischen Prospekten, Reklamen und Fotos – alles ausgezeichnet reproduziert – hat den Verfasser dieses Blogs eines besonders berührt:

Michael Schick geht auch ausführlich auf die Belegschaft der Firma ein, gibt Anekdoten ehemaliger Mitarbeiter wieder und listet auf 12 Seiten alle bekannten einstigen Steiger-Beschäftigten und -Beteiligten mit ihrer einstigen Funktion auf, soweit bekannt – vom Hilfsarbeiter bis zum Aufsichtsrat!

Spätestens hier wird deutlich: Mit diesem Buch wurde einer großartigen kleinen deutschen Automarke ein würdiges Denkmal gesetzt.

Seiten 177-178 des Steiger-Buchs, Quelle: http://www.steiger-burgrieden.de

Doch das Buch beschränkt sich nicht auf die vorbildliche Chronologie eines untergegangenen Herstellers. Großen Raum ein nehmen auch das Weiterleben der wenigen Steiger-Wagen bis heute und die persönlichen Kontakte zu ehemaligen Mitarbeitern, die Michael Schick noch rechtzeitig nutzen konnte.

Wer die längst vergriffene 1. Auflage besitzt, wird die Neuauflage ebenfalls mit Gewinn lesen, denn allein 12 Seiten entfallen auf neu aufgetauchte Fotos, darunter eines des Verfassers dieses Blogs.

Alles in allem ist das ein Autobuch, das Seite für Seite begeistert und keine Wünsche offenlässt außer einem: Gäbe es doch ein Werk von solchem Kaliber für andere deutsche Vorkriegsmarken wie NAG, Presto, Protos oder Simson…

Vielleicht inspiriert das Steiger-Buch von Michael Schick ja andere Markenexperten dazu, sich ebenfalls ans Werk zu machen. Zu füllende Lücken gibt es wahrhaft genug.

Steiger 11/55PS von 1925: modern, markant und rar

Kenner denken bei in Deutschland gebauten Kleinserien-Sportwagen der Zwischenkriegszeit wohl am ehesten an die Supra-Modelle von Simson, mit denen populäre Rennfahrer wie Karl Kappler seinerzeit zahllose Siege errangen.

© Simson Supra Tourenwagen; Originalfoto: Verkehrsmuseum Dresden; Sammlung Michael Schlenger

Es gab aber eine weitere Marke, die in vergleichbarer Weise anspruchsvolle Technik mit charakteristischer Optik verband – und wirtschaftlich ähnlich erfolglos blieb. Die Rede ist von der Firma Steiger, die nach dem 1. Weltkrieg im schwäbischen Burgrieden avancierte und markant gestaltete Wagen produzierte.

Firmeninhaber Walter Steiger – ein Schweizer – hatte sich bereits während des 1. Weltkriegs gemeinsam mit Konstrukteur Paul Henze Gedanken darüber gemacht, wie man die kleine, in die Rüstungsproduktion eingebundene Maschinenfabrik nach dem Krieg auslasten könnte.

Noch vor dem Ende der Kampfhandlungen hatte man einen Automobil-Prototypen entwickelt, der bereits einiges von dem vorwegnahm, was die Wagen der Marke später auszeichnen sollte: Moderne, vom Flugzeugbau inspirierte Motoren und ein sportliches Erscheinungsbild.

Mit diesem Konzept war man ab 1920 für wenige Jahre recht erfolgreich, zwar nicht betriebswirtschaftlich, aber bei einer auf sportliche Leistung und individuelle Optik fixierten Kundschaft.

Die technischen Details des Steiger 11/55 PS (1924-25) lassen exemplarisch den Anspruch erkennen, mit dem diese Fahrzeuge gebaut wurden: hängende Ventile, von obenliegender Nockenwelle betätigt, Königswellenantrieb, Leichtmetallkolben Vierradbremse, 12 Volt-Elektrik.

Das Ganze war verpackt in einem optisch geglätteten Motorblock, der bewusst auf die ästhetische Wirkung hin gestaltet war – in dieser Hinsicht Bugatti vergleichbar. Der kreative Kopf dahinter war Paul Henze, der später zu Simson wechseln sollte.

Nach nur rund 2.000 Fahrzeugen endete 1926 die Produktion der rassigen Wagen der Marke Steiger. Woher nimmt man angesichts dieser Stückzahl ein zeitgenössisches Bild? Nun, man übt sich in Geduld und lässt den Zufall walten.

Schon seit einiger Zeit ist der Verfasser im Besitz eines historischen Fotos, das eine ganze Reihe von Wagen der 1920er Jahre an einer leichten Steigung aufgereiht zeigt. Ort und Anlass der Aufnahme sind unbekannt. Lediglich die Jahreszahl 1927 findet sich auf der Rückseite des Abzugs.

© Automobile der 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bei einer gelegentlichen Durchsicht hatte der Verfasser den Eindruck, dass ihm die Frontpartie des ersten Wagens bekannt vorkam. Der erste Gedanke war „Simson“, doch die Vermutung bestätigte sich nicht.

Zum Glück wird im „Oswald“ (Deutsche Autos 1920-45) gleich nach Simson die Marke Steiger abgehandelt. Der markante Spitzkühler und die sehr hoch ansetzenden Kühlluftschlitze in der Motorhaube des im „Oswald“ abgebildeten 10/50 PS-Tourenwagens von Steiger weckten einen Anfangsverdacht.

Zum Glück ist die Marke Steiger mit einer umfangreichen eigenen Website im Internet repräsentiert. Der Inhaber der Seite – Michael Schick – hat dort die Ergebnisse jahrzehntelanger Recherchen zu der Marke online gestellt, darunter auch den kompletten Inhalt seines leider vergriffenen Buchs zu Steiger.

Besonders hilfreich sind die zahlreichen Orginalfotos und -dokumente zu andernorts nicht abgehandelten Typen von Steiger, darunter auch des 11/55 PS-Modells von  1924/25. Denn um einen solchen Wagen handelt es sich offenbar bei dem Fahrzeug auf unserer Aufnahme:

Steigertypisch ist der Spitzkühler mit einer Unterteilung ähnlich den Mercedes-Modellen. Man meint auf der in Fahrtrichtung rechts befindlichen Seite des Kühlers einen diagonal verlaufenden Schriftzug zu erahnen – dort war bei Steiger-Wagen der Markenname angebracht.

Die Anordnung der Anlasserkurbel, die Form der bis zu den vorderen Enden des Rahmens reichenden Kotflügel, Scheinwerferkombination, Kühlwasserthermometer und Suchscheinwerfer finden sich alle an zeitgenössischen Fotos von Steiger-Tourenwagen des Typs wieder. Selbst die Zahl der Kühlluftschlitze (15) „passt“.

Dass es sich tatsächlich um ein Fahrzeug des genannten Typs mit langem Radstand (3,25m) handelt, konnte Steiger-Spezialist Michael Schick bestätigen. Seine oben erwähnte Website ist – man muss es nochmals sagen – eine wahre Fundgrube an Informationen, Dokumenten und Bildern rund um die Marke aus Burgrieden.

Man erfährt dort nicht nur, dass es (anders als im „Oswald“ vermerkt) doch mehr als nur einen noch erhaltenen Steiger-Wagen gibt, sondern kann auch genüsslich durch ein komplettes historisches Fotoalbum mit Steiger-Bildern blättern (übrigens auch  solchen aus unserer Region) – und das alles in bester Qualität.

Davon kann sich manche Online-Präsenz weit bekannterer Vorkriegsmarken eine Scheibe abschneiden…