Ein „Magirus“-Omnibus der 1940er Jahre in Bad Nauheim

Dieser Blog hat seinen Schwerpunkt auf historischen Aufnahmen von Vorkriegsfahrzeugen und ihrem Nachleben bis in die 1960er Jahre. Dabei freut sich der Verfasser besonders, wenn er Bilder aus seiner Heimatstadt präsentieren kann – dem Kurort Bad Nauheim im Herzen der Wetterau.

Beispiele für solche Aufnahmen, die hier bereits vorgestellt wurden, sind eine um 1950 entstandene Ansichtskarte der Parkstraße und ein in der Terrassenstraße oberhalb des Kurparks aufgenommenes Foto mit Autos der 1960er Jahre.

Dieser Tage stellte eine in vielerlei Hinsicht rührige Wahl-Bad-Nauheimerin, die unter anderem das lokale „Elvis Presley“-Erbe pflegt, ein weiteres stimmungsvolles Motiv zur Verfügung:

Magirus_O_3000_Bad_Nauheim_B_Van_Ooyen_Galerie© Ansichtskarte aus Bad Nauheim, um 1950; zur Verfügung gestellt von Beatrix van Ooyen

Bei dieser schönen Aufnahme war ein Profi am Werk: Perfekt sind Belichtung und Kontrast, die Tonwerte sind fein differenziert und für das Auge angenehm. Man spürt förmlich die Wärme des Frühlingstags, an dem das Foto vermutlich entstanden ist.

Diese „Vintage“-Ästhetik, die den Eigenheiten der damaligen Filme und dem chemischen Prozess geschuldet ist, ist mit Digitaltechnik nur unter einigem Aufwand reproduzierbar. Einfacher ist es, sich eine gute alte Kamera für kleines Geld zu kaufen und ebenfalls analog zu fotografieren (Filme und Entwicklungsmaterial gibt es nach wie vor, z.B. hier).

Zurück zum Motiv: Wir sehen hier einen Reisebus auf der Jugendstilbrücke, die die Usa überquert und dann in die auf den Johannisberg zustrebende Parkstraße übergeht. Die damit erzeugte Sichtachse gehört zu den städtebaulichen Höhepunkten der Stadt und zeugt von einer sensiblen Einbeziehung der Landschaft, die in unseren Tagen selten ist.

Dieser Blick lässt sich heute noch fast genau so genießen und ist auch für einen alten Bad Nauheimer immer wieder erhebend. Nur die Autos der Gegenwart hinterlassen einen arg prosaischen Eindruck. Umso erfreulicher ist der Anblick des wohlproportionierten Reisebusses, den wir uns nun näher anschauen:

Das Markenemblem verrät, dass wir es mit einem Fahrzeug der Firma Magirus zu tun haben.

Die aus Ulm stammende, traditionsreiche Firma verband die Silhouette des dortigen Münsters geschickt mit einem stilisierten „M“ und schuf so ein markantes Logo, das auch die Fusion mit Humboldt-Deutz aus Köln überdauern sollte.

Überhaupt fällt auf, wie zeitlos die Markenembleme aus Vorkriegstagen sind – sei es BMWs Propellerlogo, der Mercedes-Stern, der Opel-Blitz oder das VW-Emblem.

Interessant ist die Vorgeschichte des hier zu sehenden Omnibusses. Magirus baute zwar schon ab 1919 Reisebusse, doch das Modell auf dem Foto basiert auf einem für die Wehrmacht im 2. Weltkrieg konstruierten 3-Tonner-LKW.  Dabei handelte es sich um ein Einheitsmodell, das außer von Magirus auch von anderen Herstellern produziert wurde.

Auf dieser Grundlage entstand noch zu Kriegszeiten der Omnibus Magirus O 3000, der ab 1946 zunächst kaum verändert weitergebaut wurde. Der Bus verfügte über einen vierzylindrigen Dieselmotor mit 70 PS und Luftkühlung, der unter militärischen Gesichtspunkten entwickelt worden war – die Erfahrungen mit dem unverwüstlichen Volkswagen mögen dabei eine Rolle gespielt haben.

Die martialische Herkunft sieht man dem freundlich wirkenden Bus auf unseren Foto nicht an. Dass es trotz der vom Art Deco beeinflussten Stoßstange und der geteilten Frontscheibe ein Nachkriegsmodell ist, verrät das Magirus-Emblem, das erst ab 1949 wieder montiert wurde. 

Das Nummernschild an unserem Reisebus ist übrigens ein Besatzungskennzeichen, das nach dem Krieg in der amerikanischen Zone Hessen vergeben wurde, daher das Kürzel AH. Die Ziffernfolge 80 verweist auf eine Zulassung in Friedberg, der Nachbarstadt von Bad Nauheim und bis heute Verwaltungszentrum der Wetterau (Quelle).

Zuletzt noch einige Überlegungen zur genaueren Datierung der Aufnahme. Dabei hilft ein näherer Blick auf das Erscheinungsbild der Passanten:

Die Rocklänge und Frisur der beiden Damen spricht für die späten 1940er bzw. frühen 1950er Jahre. Die kastig geschnittenen Anzüge der Herren gab es seit den späten 1930er Jahren und blieben bis in die 1950er Jahre weitgehend unverändert.

Ein Indiz für eine Entstehung in den 1950er Jahren – nicht vorher – ist die recht hohe Fahrzeugdichte im Hintergrund. Abgesehen von einem Jeep der US-Armee auf der Parkstraße sind fast nur Wagen in Pontonform zu sehen, was gegen eine Entstehung in den späten 1940er Jahren spricht.

Wer sich in Bad Nauheim auskennt, wird übrigens registrieren, dass von den herrlichen Kandelabern auf der Brücke nur noch der Unterbau existiert. Dies ist nur ein Beispiel für die Verluste, die die vom Krieg kaum berührte Stadt in den Zeiten des Modernisierungswahns der 1950-70er Jahre hinnehmen musste.

Unzählige Gartenzäune, Balkongitter, Sandsteinelemente, Stuckverzierungen und ganze Bauten fielen damals einem blinden Furor zu Opfer, der praktisch immer zu einer äshetischen Verstümmelung und materialmäßigen Verschlechterung führte.

Als Oldtimer-Liebhaber fühlt man sich an die Zeitgenossen erinnert, die aus einem kompletten, funktionstüchtigen und originalen Fahrzeug partout einen Neuwagen machen wollen und alles beseitigen, was an alter Substanz und Patina vorhanden ist.

Zum Glück haben sich auch hier die Zeiten gewandelt und es wird wieder respektvoller mit den Zeugen der Vergangenheit umgegangen.

Weiterführende Internetseiten zu historischen Magirus-Omnibussen:

http://www.omnibusarchiv.de; http://www.roleff-magirus.de/