Eigentlich wollte ich heute wieder einmal ein Foto besprechen, das einen deutschen Wagen der 1920er Jahre zeigt – und das werde ich schon bald nachholen.
Doch der „Restaurierungsaufwand“ erwies sich als dermaßen hoch, dass ich diesen Abend zu einem Kandidaten griff, der sich schneller reparieren ließ. Material dafür ist reichlich vorhanden; gerne greife ich in solchen Fällen zur enormen Masse an US-Fabrikaten, die in der Vorkriegszeit unsere Straßen bevölkerten.
Leider trifft man sie auf einschlägigen Veranstaltungen zumindest im Westen der Republik heute weit seltener an, als es ihrer einstigen Bedeutung entspricht. Doch in meinem großen Fundus an zeitgenössischen Fotos, die ich ohne spezielle Schwerpunktsetzung erwerbe (sie müssen vor allem billig sein) haben sie ihren angemessenen Platz.
Stichwort „billig“: Wer sich etwas mit der US-Autohierarchie der 1920/30er Jahre auskennt, der weiß, dass die Marke Plymouth die Billigabspaltung von Chrysler ab 1928 war.
Unter dem Namen sollten die einfachen Vierzylindermodelle vermarktet wurden, die in den Staaten inzwischen nur noch in der untersten Kategorie zu finden waren. Wer der Mittelschicht angehörte, fuhr damals inzwischen mindestens einen Sechszylinder.
Beeindruckend sahen die entsprechenden Chrysler-Modelle seinerzeit aus und ich zeige hier zunächst ein Exemplar, um Sie mit dem Stil dieser Wagen vertraut zu machen. Dieses Prachtexemplar fuhr einst in Deutschland, es war im Besitz von Dr. Frieda Schwarz:
![](https://i0.wp.com/vorkriegs-klassiker-rundschau.blog/wp-content/uploads/2024/02/Chrysler_1928-29_Frieda_Schwarz_Slg_Heimatverein_Ostbevern_Galerie.jpg?resize=584%2C357&ssl=1)
Die Vita dieser beeindruckenden Frau können Sie mit dem Porträt ihres Wagens hier nachlesen.
Einzuprägen braucht man sich nur, dass die Luftschlitze jeweils zum Ende hin kürzer werden – so bekam der Wagen in der Seitenansicht eine eigene Note, die man bei diesem ur-amerikanischen Aufbau als „Rumble-Seat Roadster“ sonst kaum erreicht hätte.
Vergessen wir nun den Sechszylinder-Chrysler von Frieda Schwarz wieder, zumindest was die Motorisierung angeht. Chryslers Billigmarke Plymouth bot nämlich ähnlich gestaltete Wagen mit kompaktem Vierzylinder: 2,8 Liter und 45 PS mussten genügen, für amerikanische Verhältnisse damals nahe an der Untergrenze des Zumutbaren.
Allerdings bot auch ein Plymouth einiges, was man beim knapp darunter angesiedelten Ford A und dem Chevrolet anno 1929 vermisste: hydraulische Bremsen beispielsweise. Auch verfügte der Plymouth über einen längeren Radstand als der Ford und bot damit mehr Platz. Hinzu kam eine beeindruckende Liste an Extras, die unter anderem eine Heizung umfasste.
Wie? Ohne Heizung wurde so ein Wagen damals standardmäßig ausgeliefert? Ja, schließlich war die Menschheit zuvor jahrhundertelang mit Kutsche und Wagen bei Wind und Wetter gereist.
Navigationsgeräte gab es auch noch nicht, und doch bot ein Auto schon vor 100 Jahren alles, was noch heute seinen Wert für den Besitzer ausmacht. Nur dass im damaligen Deutschland auch ein US-Billigheimer von Plymouth für Normalverdiener unerreichbar war.
Man sieht diese Wagen dann mit ganz anderen Augen. Denn selbst der simple Plymouth eröffnete seinen Insassen eine Welt, die ihnen sonst verborgen geblieben wäre:
Wenn man vergessen hatte, die aufpreispflichtige Heizung im 1929er Plymouth zu ordern, fuhr man einfach dorthin, wo es von Natur aus angenehmer temperiert ist als im ungemütlichen Germanien – nach Südtirol beispielsweise.
So gelangte dieser Plymouth einst aus dem Raum Düsseldorf über die Alpen und wurde vor dem „Siegermal“ in Bozen abgelichtet – ein beeindruckender Bau im damals international gepflegten Stil des Neoklassizismus, allerdings errichtet unter dem Mussolini-Regime.
Ich hatte den Wagen übrigens in der Frühzeit meines Blogs – anno 2016 – hier noch als Chrysler identifiziert. Dort können Sie sich auch über den Sinn der lateinischen Inschrift auf dem Triumphbogen belehren lassen. Zumindest insofern ist der Beitrag noch aktuell.
Dass es sich trotz der großen Ähnlichkeit mit dem Chrysler von Frieda Schwarz tatsächlich nur um eine „billige“ Vierzylinderausführung in Gestalt des Plymouth handelte, das lernte ich erst später mit etwas Nachhilfe aus Übersee.
Ein Unterschied betrifft die Radspeichen, welche beim Chrysler wegen der höheren Leistung massiver ausgeführt sind. Mit weiteren Unterschieden will ich an dieser Stelle nicht langweilen.
Denn wir müssen ja noch den eigentlichen Gegenstand der heutigen Betrachtung unter dem Motto „Billig, aber nicht beliebig“ erreichen. Den sehen Sie auf der folgenden Aufnahme, welche ebenfalls ein in Deutschland zugelassenes Exemplar zeigt:
Wer beanstandet, dass man doch kaum etwas von dem Wagen sieht, den darf ich freundlich korrigieren: Erstens sehen wir alles, um Hersteller und Baujahr ansprechen zu können und zweiten ist das, was wir sehen, so erfreulich wie nur wenig in unseren Tagen.
Hier haben wir eine Gesellschaft von gut situierten Reisenden, die einen Halt mit ihrem Auto eingelegt hat, das im Unterschied zu den zuvor gezeigten Exemplaren einen traditionellen Toureraufbau besitzt. Der lässt das Fahrzeug älter erscheinen, als es war.
Die Gestaltung der Haubenschlitze und der Räder zusammengenommen verrät, dass wir es hier mit einem Plymouth des Modelljahrs 1929 zu tun haben – auch Form und Position der Standlichter beiderseits der Frontscheibe „passen“.
Der Aufbau entsprach dem in den USA angebotenen – auch die dort erhältlichen Tourer weisen den kleinen Höhenversatz der seitlichen Zierleiste auf Höhe der A-Säule auf. Es sind Details wie diese, mit denen man diesen schlichten Karosserien den Eindruck der Beliebigkeit nahm.
Dass der anno 1929 in über 108.000 Exemplaren gebaute „Billigheimer“ von Plymouth tatsächlich nicht beliebig war, dafür sorgt zumindest auf diesem schönen Zeitzeugnis die adrette junge Dame, welche auf dem Wagen in reizvoller Weise Platz genommen hat:
Haben Sie den Schatten des rechten Fußes auf der Tür bemerkt? Die helle Schleife auf dem Schuh? Die dunkle Locke, die unter dem Hut hervorlugt?
Mit einem Mal bekommt das Foto eines solchen Tourenwagens, der einst ein industrielles Massenprodukt war, ein lebendiges Element, das bis heute fortwirkt.
Wenn wir Nachgeborenen die überlebenden Exemplare der Autos dieser Ära bewundern, dann wollen wir eines gewiss nicht: Dass die Insassen Baseballkappen, kurze Hosen oder Funktionsjacken tragen, wie das längst nicht nur beim einfachen Volk „Mode“ geworden ist.
Der Stil der 1920er Jahre ist nicht ganz leicht zu erreichen, doch es gibt Leute auch in unseren Tagen, für die das zum Leben mit Vorkriegsautos gehört. Das wird zwar nicht billig, aber garantiert wirkt man im Stil jener Zeit nicht beliebig…
Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.