Zu den ersten mir erinnerlichen Leidenschaften in meinem Leben gehörte der Konsum von Büchern über die Tierwelt – speziell über die exotischen Arten außerhalb Europas.
Da ich mit fünf Jahren bereits lesen konnte – ich hatte meinen älteren Bruder genötigt, mir das beizubringen – entwickelte ich früh ein Faible für allerlei Rekordhalter aus der Tierwelt und nervte jeden mit meinem Expertenwissen.
Auch wenn ich selbst keine Kinder habe, weiß ich daher genau, dass man in jungen Jahren alles mühelos aufsaugt wie ein Schwamm, sofern man einmal Zugang zu Wissen hat.
Aus diesem Grund halte ich die seit 50 Jahren in Deutschland von der Politik betriebene Herabsetzung der Schulstandards und die Einebnung des Leistungsprinzips für dumm und fahrlässig.
Zugegeben gehörte der Kolibri einst nicht zu meinen Favoriten, wenngleich ich noch wusste, dass die Frequenz seines Flügelschlags und seine nahezu unlimitierte Steuerung der Lage im Raum jedes menschliche Fluggerät in den Schatten stellt.
Ich habe mich aus Interesse noch einmal mit diesem Wunderwerk der Natur befasst und es bleibt auch heute dabei: Die Effizienz und die Freiheitsgrade dieses kleinen Flugobjekts aus Amerika suchen ihresgleichen in der menschlichen Sphäre. Aber gut, zu ähnlichen Ergebnissen gelangt man schon beim Studium einer Hummel im heimischen Garten.
Doch haftet dem (meist) kleinen Kolibri in besonderer Weise etwas Exotisches an und es kann nur dieser Beiklang gewesen sein, der einst die in Hameln beheimatete Norddeutschen Automobilwerke (NAW) dazu bewog, seinen Namen zu nutzen.
Das galt zunächst für das ab 1908 gebaute Modell „Colibri“ mit Zweizylindermotor und ab 1910 für den zumindest optisch ausgewachsenen gleichnamigen Vierzylindertyp – beide waren bereits exotische Gäste in meinem Blog.
Heute darf ich wieder ein prächtiges Foto des letztgenannten NAW „Colibri“ zeigen – Leser Matthias Schmidt (Dresden) hat es aus seinem Fundus beigesteuert. Nebenbei: die spektakuläre Auflösung seiner Originalscans kann ich hier nicht erreichen – das Laden der Fotos würde dann zu lange dauern.
Aber auch in komprimiertem Format macht der Wagen Eindruck, meine ich:

Eines muss man den NAW-Leuten aus Hameln auch nach über 110 Jahren noch lassen: die Idee mit dem Modellnamen an der Seite der Karosserie war vorbildlich.
Denn meist wurden Automobile damals aus dieser Perspektive aufgenommen, die wenig Rückschlüsse auf den Hersteller oder den Typ erlaubt – wirklich individuell war meist nur die Kühlerpartie von vorne.
Nur an die exotischen Leistungswerte des fliegenden Namensgebers kam dieser „Colibri“ nicht annähernd heran. Mit seinem 1,6 Liter-Motor und Dauerleistung von 16 PS war der NAW auf einer Linie mit dem damaligen Standard in dieser Klasse in Deutschland. Direkter Konkurrent war beispielsweise der Opel 6/16 PS.
Das soll aber nicht heißen, dass der NAW „Colibri“ nicht heute Exotenstatus genießt – sowohl in Form überlebender Exemplare in natura als auch auf historischen Fotos. So ist dieses Bild der Vierzylinderausführung erst das vierte, das Eingang in meine NAW-Galerie findet.
Leser, die weitere zeitgenössische Fotos dieses Modells beisteuern wollen – in welcher Qualität auch immer – sind ebenso willkommen wie solche, die sich vom „Fotoladen Otto Diel“ auf der vorgestellten Aufnahmen zu Nebenbetrachtungen veranlasst sehen.
Ich schätze gerade solche inspirierten Abwege bekanntlich sehr. So habe ich gerade heute gelernt, dass 2004 (also nach den Standards dieses Blogs erst gestern) der Fund fossiler Kolibris in 30 Millionen Jahren alten Schichten auch auf deutschem Boden publiziert wurde.
Der Kolibri war bei uns also schon einmal heimisch, aber vor einer so langen Zeitspanne, die alle Gegenwartsfragen lächerlich gegenstandslos erscheinen lässt.
Nachdem der Kolibri sich als Exot offenbar bewährt hat, hat der Mensch mit seinen Werken erst noch ein paar Millionen Jahre vor sich, um ähnlichen Status zu erlangen.
Ich finde diese Perspektive ausgesprochen entspannend und meine daher einmal mehr, dass die Beschäftigung mit der Vergangenheit entschieden interessanter ist als die mit der nicht nur in automobiler Hinsicht überwiegend banalen Gegenwart…
Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.