Früh bildet sich der Italien-Fan: Brixia-Züst 10 PS

Die Leidenschaft für das Sehnsuchtsland südlich der Alpen kann sich gar nicht früh genug entwickeln.

Nach etlichen Fehlversuchen germanischer Horden, die außer Plündern und alles in Brandsetzen nichts Konstruktives zustandebrachten, waren es in der Spätantike unter anderem die Langobarden, welchen es gelang, im von der Völkerwanderung verheerten Italien stabile Strukturen zu etablieren, die freilich auf lokaler Expertise basierten.

Ihre Hinterlassenschaften gehören zu den interessantesten jener Zeit – speziell in Umbrien, wo ich mich gerade aufhalte.

Dort kam es nach Zusammenbruch der römischen Verwaltung zu einer kleinen Renaissance auf lokaler Ebene, von der im Frühmittelalter entstandene Baudenkmäler des klassischen Stils zeugen wie der zauberhafte Tempietto del Clitunno.

Schon meine zweite Italienreise führte mich einst als Student, der sich in den Semesterferien auf archäologischen Grabungen als Hilfsarbeiter verdingte, um auf harte, aber spannende Weise Geld für den Urlaub zu verdienen, nach Umbrien.

Früh bildet sich der Italien-Fan. Und die Liebe zu der hierzulande kaum bekannten Region in Zentralitalien ist über die Jahrzehnte nur gewachsen und heute kann ich mich glücklich schätzen, mich dort regelmäßig aufhalten zu können.

Zwar habe ich dieses Mal einen Haufen Arbeit mitgenommen ins beschauliche Collepino, aber heute war zwischendurch Zeit für einen kurzen Ausflug in den knapp 5 Kilometer entfernten Nachbarort San Giovanni – mit dem Fahrrad auf wechselndem Belag.

Dazu hatte ich mir eigens ein geländegängiges Gerät gebastelt, unter Verwendung eines alten Rahmens mit doppeltem Oberrohr, modernen „Gravelbike“-Reifen und einer 3-Gang-Nabenschaltung, garniert mit klassischem Brooks-Sattel:

San Giovanni, Provinz Perugia (Umbrien), 25. März 2024; Bildrechte: Michael Schlenger

Eine hübsche Ansicht nicht wahr? Auf 700 Meter Höhe machte sich der Frühling zwar noch rar, aber die Sonne schien und San Giovanni bot willkommene Gelegenheit zu einem Halt.

Allerdings verließ ich das winzige Örtchen mit einem Gefühl der Beklemmung.

An der kleinen Piazza mit Trinkbrunnen erinnerte eine Tafel nicht nur an die Gefallenen des 1. Weltkriegs, sondern auch an ein halbes Dutzend junger Männer, die vor rund 80 Jahren von deutschen Soldaten verschleppt wurden.

Solche Aktionen waren meist die Reaktion auf Partisanenanschläge auf deutsches Militär, nachdem die Italiener sich des Mussolini-Regimes entledigt und gegenüber den Alliierten kapituliert hatten.

Wie in Frankreich waren die Aktivitäten der „Resistenza“ zwar militärisch unbedeutend und oft von Abenteurertum oder auch purer Mordlust motiviert, aber das macht die deutschen Vergeltungsaktionen nicht besser, da sie meist Unschuldige trafen.

Wer nicht gleich erschossen wurde, landete als Zwangsarbeiter in Deutschland, wo den Italienern oft kaum ein besseres Schicksal blühte als den russischen Gefangenen.

Von den Verschleppten aus San Giovanni überlebten die meisten den Krieg nicht bzw. nur kurze Zeit. Nun stand ich da mit meinem Rad, wo sich einst dieses Drama abspielte und auch wenn ich selbst nichts damit zu tun habe und weiß, dass im Krieg allen Seiten Furchtbares widerfahren ist, verließ ich den Ort betrübt.

In Mittelitalien begegnen einem solche Erinnerungen an deutsche Barbarei auf Schritt und Tritt. Doch obwohl die Einheimischen ihrer unglücklichen Opfer regelmäßig gedenken, habe ich als Deutscher nie ein böses Wort darüber zu hören bekommen.

Das war eine lange Vorrede. Doch nach getaner Arbeit habe ich Muße, das Feuer knistert gemütlich im Kamin und Marcella Pobbe singt für mich im Hintergrund aus Verdis Trovatore. Da scheint die Zeit stillzustehen.

Dass ich heute dennoch die Kurve kriege, dafür hat ein aufmerksamer Leser gesorgt, der bemerkt hat, wo ich mich aufhalte und meine Liebe zum Land jenseits der Berge kennt.

Er sandte mir das dazu passende Autofoto, welches von einem frühen Italien-Fan aus Deutschland erzählt und auch Leser aufwecken sollte, die zwischenzeitlich eingenickt sind:

Brixia-Züst 10 PS-Modell (vermutlich); Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Hier haben wir den willkommenen Fall, dass der Markenname unübersehbar auf den Kühlergrill lackiert wurde: „Brixia Züst“ ist da mit etwas gutem Willen zu lesen.

Was zunächst wenig italienisch klingt, war dem Schweizer Robert Züst zu verdanken, der in Intra am Lago Maggiore einen Maschinenbaubetrieb unterhielt. Seine Söhne machten daraus ab 1905 eine Automobilfirma mit Sitz in Mailand.

1906 wurde in Brescia (lateinisch: Brixia) ein Zweigwerk gegründet. Die dort gebauten Fahrzeuge firmierten bis 1912 als „Brixia-Züst“.

Neben gehobenen Modellen mit 24 bzw. 40 PS entstand unter dem Namen „Brixia Züst“ ab 1908 auch ein dreizylindriger 1,5 Liter-Typ, der 10 PS leistete.

Vergleiche mit anderen Fotos veranlassen mich zu der Annahme, dass das Foto von Klaas Dierks einen solchen Wagen zeigt. Mehr konnte ich dazu vorerst nicht in Erfahrung bringen – aber vielleicht hat ja jemand mehr Informationen dazu.

Bemerkenswert ist, dass der Brixia-Züst auf dem Foto ein deutsches Nummernschild besitzt. Wir haben es also mit einem frühen Italien-Fan in automobiler Hinsicht zu tun.

Zwar waren die großen Fiats jener Zeit auch in deutschen Landen bekannt und wurden geschätzt – doch auf einen Brixia-Züst musste man erst mal kommen, wenn man sich damals ein Automobil zulegen wollte.

Aber herrje, wieso sollte nicht damals auch jemand empfänglich gewesen sein auch für den abseitigen Reiz des Südens – das ist ein altes Stück, das mit immer wieder neuen Aufführungen erfreut.

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.