Fund des Monats: Ein Sablatnig 6/30 PS

Der Fund des Monats Juli hat eine lange Vorgeschichte und kommt auf verschlungenen Wegen daher – die längere Zeit durch die Luft führen, bevor wir schließlich auf dem Boden der Tatsachen landen…

Am Anfang meiner persönlichen Begegnung mit dem Namen Sablatnig steht diese nette Postkarte, die ich irgendwann im Rahmen meiner kleinen Sammlung von Dokumenten der frühen Luftfahrt fand:

Sablatnig-Werbemotiv; Reproduktion aus P.A.R.C.-Archiv-Edition, Flensburg

Die Beschriftung im unteren Teil dürfte neuzeitlichen Ursprungs sein, doch passt sie inhaltlich vollkommen zum Motiv.

An Ostern 1919 fand nämlich mit einem Passagier-Doppeldecker wie auf der Abbildung der erste deutsche Verkehrsflug ins Ausland statt. Er führte vom Standort der Sablatnig-Flugzeugwerke in Berlin über Warnemünde ins dänische Kopenhagen.

Die verwendete Maschine des Typs P1 war bereits ab Herbst 1918 entwickelt worden – parallel zum Bau selbstentwickelter Kampflugzeugtypen für das deutsche Militär.

Trotz der achtbaren im 1. Weltkrieg gebauten Gesamtstückzahl (167 Flugzeuge) gehören die Maschinen von Sablatnig heute zu den vergessenen Kapiteln der deutschen Luftfahrtgeschichte.

Allerdings wurde 2001 ein hervorragendes Werk über den Schöpfer der Sablatnig-Werke veröffentlicht, auf das ich mich hier stütze (Karl-Dieter Seifert: Josef Sablatnig, GBSL-Schriftenreihe 6, Nora-Verlag. Berlin).

Die Story beginnt 1886 im österreichischen Klagenfurt mit der Geburt von Josef Sablatnig. Schon während seines Maschinenbaustudiums bewegt sich Sablatnig in der Welt der Motoren und außerdem im Luftraum der Phantasie.

1903 unternimmt er mit Freunden Gleitflugversuche, die noch erfolglos bleiben. Doch die Faszination des Fliegens lässt ihn nicht los. Nach dem Erwerb seines Ingenieur-Diploms anno 1908 sehen wir ihn schon bald als Flugpionier mit Wright-Konstruktionen.

Seinen Pilotenschein erhält er nachträglich 1910. Ab 1911 unternimmt er Flüge mit einem Farman-Doppeldeckern, wobei er auch schon mutige Passagiere mitnimmt.

Als Konstrukteur eigener Maschinen tritt Sablatnig ab 1912 in Erscheinung. Jedoch entscheidet sich das österreichische Militär gegen seine Entwürfe.

Das entmutigt Sablatnig keineswegs und so wird er 1913 Teilhaber an den Union-Flugzeugwerken in Berlin, wo er auch an den Konstruktionen mitwirkt. Nach Beginn des 1. Weltkriegs ist er bis 1915 als Marineflieger aktiv, wird dann aber freigestellt.

Bis Kriegsende konstruiert er Flugzeugtypen für unterschiedliche Zwecke – vom Aufklärer über Jäger bis hin zu leichten Bombern. Die Fertigung erfolgt ab 1916 unter eigenem Namen im einstigen Goetze-Werk, von dem er auch die Belegschaft übernimmt.

Damit wären wir auch fast wieder am Ausgangspunkt – dem Kopenhagen-Flug des noch 1918 aus dem Bomber N1 entwickelten ersten Passagiertyps.

Eine Weile kann sich Sablatnig mit solchen einfachen Verkehrsmaschinen über Wasser halten. Doch erkennt er, dass die Zukunft dem Ganzmetallflugzeug gehört, wie es Junkers mit der F13 vorgestellt hatte. Dafür fehlt der Firma von Sablatnig freilich das Knowhow und 1924 ist der Flugzeugbau unter seinem Namen Geschichte.

Doch unterdessen hat sich Sablatnig neuen Tätigkeitsfeldern zugewandt. Nach Versuchen, die bis 1919 zurückreichen, baute Sablatnig 1921 den Prototyp eines Kleinwagens mit „Baer“-Motor, der jedoch nicht in Serie ging.

Sablatnig war sich der Problematik bewusst, dass Anfang der 1920er Jahr dutzende Entwickler am deutschen Markt mehr oder minder das Gleiche versuchten: sich mit einem vollwertigen Automobil am unteren Ende des Markts zu etablieren.

Sie übersahen dabei alle, dass es in diesem Marktsegment schlicht an Käufern mangelte – die in Kleinstserien gebauten Entwürfe waren viel zu teuer, um auch nur annähernd in Reichweite von Normalverdienern zu kommen.

Wie einige andere meinte Sablatnig, dem Dilemma zu entgehen, indem er etwas Besonderes bot – einen kopfgesteuerten Sechszylinder mit 1,5 Liter Hubraum und 30 PS. Hier haben wir das moderne Aggregat:

Sablatnig-Antriebsstrang, aus: Joachim Fischer, Handbuch vom Auto, 1927; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Damit trat Sablatnig freilich in der Mittelklasse gegen etablierte Konkurrenz viel größerer und besser kapitalisierter Firmen mit großem Niederlassungsnetz an.

Das konnte nicht gutgehen, auch wenn sich der Sablatnig-Wagen durch einige konstruktive Besonderheiten auszeichnete und mit Vierradbremse durchaus auf der Höhe der Zeit war.

Für die Produktion hatte man übrigens die renommierte Brücken- und Waggonbaufirma Beuchelt & Co. aus Grünberg in Schlesien gewonnen – neben Beckmann der einzige mir bekannte Autobauer aus dieser Region.

Jedenfalls trat man 1925 auf der Automobilausstellung unter dem Markennamen Sablatnig mit dem 6/30 PS-Typ an, doch konnte man damit nur begrenzten Erfolg verzeichnen. Schon 1926 wurde die Abteilung Automobilbau bei Beuchelt & Co. wieder geschlossen.

Wie öfters bei am Markt vorbeientwickelten Wagen scheint man eine gewisse Stückzahl im Droschkengeschäft untergebracht zu haben. Darauf weisen einige Aufnahmen hin. Wieviele Sablatnig-Autos letztlich entstanden, muss wohl offen bleiben.

Gewisse Spuren hat der Typ 6/30 PS dennoch hinterlassen, wie bereits die zuvor gezeigte Abbildung beweist. In derselben Publikation von 1927 findet sich eine weitere:

Sablatnig 6/30 PS Tourer, aus: Joachim Fischer, Handbuch vom Auto, 1927; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Gut zu erkennen ist hier, dass der Sablatnig-Wagen eine auffallend tiefe Straßenlage hatte. Leider ist über seine Fahreigenschaften nach meinem Kenntnisstand nichts überliefert.

Sollte jemand über eine zeitgenössische Besprechung des Autos verfügen, wäre es großartig, diese in Auszügen hier zitieren zu können. Auch weitere Reklamen oder sonstige Dokumente zum Sablatnig 6/30 PS wären hochwillkommen.

Dass es in der Hinsicht noch einiges geben muss, was bislang unerkannt in Archiven schlummerte, das beweist der heutige Fund des Monats.

So konnte Leser Klaas Dierks ein Originalfoto erwerben, das einen Sablatnig 6/30 PS von seiner besten Seite und überdies in hervorragender Qualität zeigt:

Sablatnig 6/30 PS Tourer; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Schon die ungewöhnliche unterschiedlich hohe Anbringung der gelochten Trittschutzbleche auf dem Schwellerblech unterhalb der Türen genügt hier, um diesen Tourer als identisch mit dem Sablatnig auf der zuvor gezeigten Buchabbildung ansprechen zu können.

Das setzt freilich voraus, dass man diese Abbildung kennt. Tatsächlich bekam unser Mitleser und Sammlerkollege Klaas Dierks ganz von alleine heraus, dass sein Foto einen solchen Sablatnig zeigt.

Er tat nämlich genau das Richtige und nahm die Partien genauer unter die Lupe, die in solchen Fällen am vielversprechendsten ist – Kühler und Nabenkappe:

Zwar führte das schwer erkennbare Emblem auf dem Kühlergehäuse mangels Vergleichsmaterial nicht weiter – doch das geometrische Element auf der Nabenkappe des Vorderrads erwies sich als Schlüssel zur Identikation.

Es findet sich identisch auf der Abbildung eines Sablatnig-Wagens in der 2019 erschienenen Neuauflage des Standardwerks „Deutsche Autos von 1920-1945“ von Werner Oswald (S. 538).

Der Abgleich mit der oben gezeigten Buchabbildung lieferte die Bestätigung, wobei ins Auge fällt, dass die Luftschlitze in der Motorhaube anders ausgeführt sind als auf dem Foto einer Sablatnig-Limousine im Oswald’schen Opus.

Letztlich zählt aber nur, überhaupt die Aufnahme eines Sablatnig 6/30 PS in derartiger Qualität zeigen zu können – meines Erachtens haben wir hier das bislang hervorragendste Fotodokument eines dieser vergessenen Wagen mit faszinierender Vorgeschichte.

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass Josef Sablatnig auch nach seinem kurzen Ausflug in die Welt des Automobils unermüdlich neue Projekte begann und für kurze Zeit sogar für den einstigen Konkurrenten Junkers freiberuflich tätig war – das war im Jahr 1931.

Vielleicht zu den Höhepunkten seines Lebens sollte freilich etwas anderes gehören: 1927 kehrt Sablatnig nämlich ganz praktisch in die Welt der Fliegerei zurück. So wird ihm die Ehre zuteil, in Italien die neue Macchi M.52 einzufliegen – eine speziell auf Geschwindigkeitsrekorde für Wasserflugzeuge zugeschnittene Maschine mit 1.000 PS starkem Fiat-12-Zylinder-Motor.

Sablatnig erreichte damals eine Höchstgeschwindigkeit von 450 km/h (spätere Versionen überschritten sogar die 500er Marke) – für den Flugpionier der ersten Stunde und einstigen Marineflieger wird das ein erhebendes Erlebnis gewesen sein.

Zugleich erfahren wir in dem erwähnten Buch über Sablatnig, dass dieser kühne Pilot und begabte Konstrukteur ein sensibler Mensch gewesen sein muss.

Sein letzter Tagebucheintrag stammt vom 15. Juni 1945, am nächsten Tag wurde er von der sowjetischen Besatzungsmacht abgeholt und in ein Lager verbracht, wo er bald darauf stirbt.

Ein Mithäftling erzählte später, dass Sablatnigs letztes Vergnügen war, im Lager Geige spielen zu können. Vielleicht hätte es ihm gefallen, dass sich im 21. Jh. noch Menschen seiner erinnern, unter anderem weil er auch einmal Autos konstruiert hat…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.