Minerva für Arme? Ein Willys „Knight“ 70B von 1929

Ja, wie soll denn das zusammengehen – Minerva für Arme? Nun, ganz ausgezeichnet, wenn man nicht nur in Sachen Vorkriegsautomobile auf klassischen Pfaden unterwegs ist.

So wissen Kenner der antiken griechischen Literatur, dass es die Göttin Athena (bei den Römern als Minerva bekannt) war, welche meinem Lieblingshelden Odysseus auf seiner 10-jährigen Irrfahrt zurück von Troja ins heimische Ithaka die Treue wahrte und dafür sorgte, dass er am Ende nach Verlust seiner Flotte und aller Kameraden doch zurückkehrte.

Wie Odysseus auf die nackte Existenz zurückgeworfen schließlich wieder am Strand seiner Insel landete – das und die ganze Vorgeschichte vom Sturz eines stolzen Helden in die Niederungen des Daseins, das gehört zu den Stoffen der Weltliteratur, die zeitlos sind.

Ganz anders war es, wenn man sich in automobiler Hinsicht auf Minerva einließ – denn wo diese gleichnamige belgische Luxusmarke zuhause war, da war kein Platz für Arme:

Minerva 32CV von 1929; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Dieses beeindruckende Gefährt mit dem für Minerva typischen oberen Kühlerabschluss und der prächtigen Kühlerfigur der behelmten Göttin hatte ich seinerzeit hier als Typ 32 CV von Ende der 1920er Jahre identifiziert.

Automobile von Minerva zählte zum Teuersten, was damals auf dem europäischen Kontinent für die „happy few“ verfügbar war.

Doch im selben Jahr, in dem der oben gezeigte Wagen aufgenommen wurde – 1929 – wurde auf der anderen Seite des Atlantiks ein Fahrzeug gebaut, das auf den ersten Blick ebenfalls wie ein Minerva daherkommt:

Willys „Knight“ 70B von 1929; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Tatsächlich weist die Kühlerpartie bei oberflächlicher Betrachtung große Ähnlichkeit mit der eines zeitgenössischen Minerva auf.

Sollte es sich angesichts der bescheideneren Dimensionen hier um einen mir bislang nicht begegneten Minerva für Arme handeln?

Nach kurzer erster Irritation sagten mir allerdings einige Details, dass diese Limousine nicht edler belgischer Abkunft sein konnte. Stilistisch sprach von der Kühlerform abgesehen alles für ein US-Großseriefabrikat der späten 1920er Jahre.

Die Identifikation des Herstellers – Willys – wurde durch den (wenn auch unscharfen) Markenschriftzug auf dem Kühlergill erleichtert. Es musste sich also um einen der einst bekannten US-Wagen der Mittelklasse handeln, die dank ventilloser Motoren besonders leise liefen.

Seit 1914 bereits nutzte die Firma Willys das „Knight“-Patent für Motoren, bei denen der Gaswechsel über geschmeidig in Öl laufende Hülsenschieber statt mittels Ventile erfolgte.

Der verbesserten Laufkultur stand zwar ein erhöhter Wartungsaufwand gegenüber, aber wirkliche Praxisnachteile sind von den Willys „Knight“-Modellen nicht überliefert. In den 1920er Jahren entstanden zeitweise bis zu 50.000 Stück dieses Typs jährlich und die Technologie wurde bis Anfang der 30er beibehalten.

Doch tat ich mich schwer damit, das genaue Modell zu ermitteln, weil sich der Willys zwar stilitisch gut auf die Endzwanziger festnageln ließ, aber sich einfach keine passenden Fotos mit genau dieser Kühlerpartie finden ließen.

Erst nach längerer Suche stellte ich fest, dass wohl nur die Variante 70B von 1929 über den markanten, so sehr an Minerva erinnernden Kühler verfügte.

Dabei war diese Ausführung mit ihrem gut 50 PS leistenden Sechszylinder nicht einmal das damalige Spitzenmodell von Willys – das war der Typ 66A mit 70 PS.

Also doch vielleicht ein „Minerva für Arme“? Nun, zwar war in den Staaten ein 50 PS-Auto anno 1929 per se in keiner Weise exklusiv – damit befand man sich leistungsmäßig in der unteren Mittelklasse. Aber die verbauten Schiebermotoren machten den Willys recht teuer.

Es war also schon ein spezielles Vergnügen, das nicht für jedermann in den Staaten erschwinglich war. Das gilt natürlich erst recht für Deutschland, wo der heute präsentierte Willys „Knight“ 70B einst zugelassen war – in Paderborn, um genau zu sein.

Wer weiß, vielleicht war das Auto in der Nähe der Friedrich-Ebert-Straße abgelichtet worden, wo mein Lieblings-Großonkel Ferdinand sein großzügiges Haus mit dem schönen Garten hatte, in dem ich als Kind öfter die Ferien verbracht habe.

Nach seinem Tod wich das Haus einer modernen Wohnanlage und auch von dem Willys Knight wird sich in Paderborn keine Spur mehr finden lassen.

Einen gewissen Eindruck von den Qualitäten des Wagens kann man aber im folgenden Video aus den USA gewinnen, das eine zweitürige Limousine genau dieses Typs zeigt:

Videoquelle: YouTube.com; hochgeladen von WeBe Autos Ltd.

Über die farblich unpassenden Räder muss man ebenso hinwegsehen wie über die bunten Kabelschuhe im Motorraum – das Auto ist ansonsten durchaus beeindruckend und am Ende vielleicht doch aus heutiger Sicht ein wenig ein Minerva für Arme…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog

Was sich Frauen wünschen! Willys-Knight 70 „Six“

Heute kommen sowohl die männlichen Leser auf ihre Kosten als auch die weiblichen (ich weiß von mindestens einer handvoll…).

Die Herren bekommen schwarz auf weiß die Antwort auf die für viele ungeklärte Frage, was sich eigentlich Frauen wünschen – die Damen unterdessen bekommen in schwarz-weiß einen echten Frauentyp präsentiert!

Selbstverständlich lesen Sie hier ja auch deshalb mit, weil es nicht bloß um Autos aus Vorkriegszeiten geht, sondern man oft etwas über Menschlich-Allzumenschliches lernt.

Ich erspare mir und Ihnen weitere Vorreden und halte gleich’s für Erste fest, was es braucht, um ein echter Frauentyp zu sein, dem die Damen bereitwillig Tür und Tor öffnen und für den sie gerne einen Haufen Geld hinlegen, nur um ihn ganz für sich zu haben.

Also: leicht lenkbar sollte er sein, einfach zur Aktivität zu motivieren, problemlos dorthin zu manövrieren, wo man ihn haben will und allgemein einfach in der Handhabung. Insgesamt sollte es eine Beziehung sein, die sich völlig reibungslos gestaltet.

Das war es auch schon. Von Äußerlichkeiten keine Rede, unauffälliger Durchschnitt genügt vollkommen, um von Frauen mit offenen Armen willkommen geheißen zu werden!

Diese sensationelle Erkenntnis entspringt freilich nicht meiner persönlichen Erfahrung, vielmehr habe ich sie 1:1 diesem Dokument entnommen, in dem bereits 1926 alles festgehalten wurde, worauf es der modernen Frau wirklich ankommt:

Willys-Knight-Reklamne von 1926; Original: Sammlung Michael Schlenger

Natürlich habe ich mir bei der Interpretation dieser Reklame der amerikanischen Marke Willys Knight einige Freiheiten genommen – aber Sie werden alles oben Aufgeführte dort wiederfinden, auch wenn der Kontext ein wenig anders sein mag.

Tatsächlich warb die seit 1909 bestehende Mutterfirma Willys-Overland aus Toledo in Ohio, mit dem Sechsyzlindertyp 70 ab 1926 gezielt um Käuferinnen aus der Mittelklasse, die einen echten Frauentyp für den Alltag suchten, der in den Staaten damals schon von jedermann mit dem Automobil bewältigt wurde.

Der Zusatz „Knight“ in der Typbezeichnung spielt nicht etwa auf vermeintliche „ritterliche“ Qualitäten an, mit denen man den Wagen der Damenwelt anpreisen wollte.

Vielmehr weist er auf das beim Motor verwendete Patent von Charles Knight hin, bei dem der Gaswechsel anstatt durch Ventile über bewegliche Hülsen erfolgte, die um den Kolben herum angebracht waren und deren Betriebsgeräusche weit geringer ausfielen.

Willys-Overland nutzte diese Technik von 1914 bis um 1930 und verbaute bei seinen gehobenen Modellen so viele Motoren des Knight-Typs wie kein anderer Hersteller auf der Welt. Die mit der genialen Konstruktion einhergehenden spezifischen Probleme (Dichtigkeit und Ölverbrauch) scheint man zumindest hinreichend in den Griff bekommen zu haben.

Die Overland-Einsteigermodelle und der ab 1927 gebaute preisgünstige Whippet besaßen dagegen Motoren mit konventionellem Ventiltrieb.

Während also unter der Haube des Willys-Knight ein durchaus feines Aggregat (im Idealfall) unauffällig seine Arbeit verrichtete, hatte man – wie gesagt – auf das Äußere keine besondere Sorgfalt verwendet.

Tatsächlich kam auch der Frauentyp „Willys Knight“ anno 1926 vollkommen durchschnittlich daher, und das war es vermutlich auch, wonach den Damen der Mittelschicht Sinn stand nach dem Motto: keine Extravaganzen, das sorgt nur für Neid und Getuschel.

So werden mir nun die Leserinnen gewiss beipflichten, dass es an diesem Frauentyp rein gar nichts zu beanstanden gab – gepflegtes Erscheinungsbild ohne auffällige Eigenheiten und für den Alltag einer Zweierbeziehung kompetent wirkend:

Willys Knight von 1926/27; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wie die eingangs zitierte Reklame verheißt, darf man bei diesem Exemplar zurecht leichte Lenkbarkeit, mühelose Kontrolle und reibungsloses Funktionieren erwarten, meine ich.

Sollte sich das Bild indessen aus weiblicher Sicht ganz anders darstellen und der vermeintliche Frauentyp schon bei der geringsten Prüfung seiner Qualitäten durchfallen, dann bitte ich um Gegendarstellung im Kommentarbereich.

Wenn Willys-Overland also zuviel versprochen haben sollte, kann der „Frauentyp“ leider nicht mehr beanstandet werden – 1942 endete diese Episode der Firmengeschichte und konzentrierte sich ganz auf einen sehr maskulinen Typ – den legendären Jeep.

Das ist eine andere Geschichte, die ich hier aber nicht erzählen kann, so sehr sich dies Männer vielleicht wünschen mögen…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Das muss Liebe sein: Ein Willys „Six“ von 1932

Das Foto, das ich heute vorstelle, schlummert schon eine ganze Weile in meinem Fundus.

Es ist ein typisches Beispiel für mein Vorgehen bei der Suche nach Autoaufnahmen der Vorkriegszeit: Die Qualität des Abzugs ist mäßig und weder der Anbieter noch ich wussten, was darauf abgebildet ist – zusammengenommen gute Voraussetzungen, um ungewöhnliche Funde für kleines Geld zu machen.

Natürlich kann dabei nicht immer eine große Rarität herausspringen, aber doch oft genug etwas nicht Alltägliches – zumindest nach hiesigen Maßstäben. Genauso verhält es sich bei dem Wagen, der auf folgender Aufnahme zu sehen ist:

Willys „Six“, Modelljahr 1932; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Zwar verfolgen meinen Blog eine ganze Menge Markenspezialisten, die von den Objekten ihrer Leidenschaft weit mehr wissen als ich und die mir immer wieder wertvolle Hinweise geben (umgekehrt aber auch anhand meiner Fotos manchen neuen Einblick gewinnen).

Dabei handelt es sich aber mit ein, zwei Ausnahmen um Enthusiasten, die sich für Vorkriegswagen aus Europa begeistern. Von daher würde es mich wundern, wenn jemand (außer besagten ein, zwei Ausnahmen…) auf Anhieb sagen könnte, was das für ein Wagen auf obiger Aufnahme ist.

Ich selbst habe einige Zeit mit der Identifikation zugebracht, die mir am Ende dank meines Literaturfundus gelang, der auch im Internetzeitalter unersetzlich ist.

Der Aufwand mag in keinem Verhältnis zum letztlich prosaischen Ergebnis stehendas muss halt Liebe sein, wenn man sich in eine solche Aufnahme so „hineinkniet“, als zeigte sie eine bislang undokumentierte Spezialausführung einer Marke von Rang.

Das Auto kam mir trotz des mitteleuropäisch anmutenden Umfelds (ich tippe auf die Niederlande) „spanisch“ vor – was in diesem Fall „amerikanisch“ bedeutet. Eine klassische Limousine ohne jede Extravaganz, die mit Drahtspeichenräder daherkommt, das war um 1930 auf dem europäischen Kontinent die Ausnahme, nicht aber in den USA.

Damit war die Richtung der Recherche vorgegeben: Es galt, das Standardwerk zu US-Vorkriegsautos durchzuarbeiten – den „Standard Catalog of American Cars“ von Kimes/Clark – dessen Umfang von gut 1.600 dichtbeschriebenen und reich bebilderten Seiten nicht gerade einladend wirkt (was auch der Druckqualität geschuldet ist).

Dabei hilft es nicht, wenn man die üblichen Verdächtigen von Chrysler, Ford und General Motors (die „Big Three“) von vornherein ausschließen kann, denn um 1930 gab es in den USA noch an die hundert Autohersteller (noch früher waren es tausende…).

So wurde ich erst nach über 1.550 Seiten fündig (hätte ich mal hinten angefangen…) und stieß auf eine Limousine mit sehr ähnlicher Kühlerpartie und denselben horizontalen Entlüftungsschlitzen in der Haube:

Fast genau so sah der Willys „Six“ aus, den das seit 1904 bestehende Unternehmen im Modelljahr 1931 produzierte.

Der Hersteller – anfänglich Overland, später Willys-Overland und zuletzt Willys – hatte damals den 1926 eingeführten Overland „Whippet“ bereits in Rente geschickt, der ein Riesenerfolg gewesen war und von dem ich bereits einige in Deutschland aufgenommene Exemplare gezeigt habe – ich komme gelegentlich darauf zurück.

Die ab 1930 gebauten Willys-Wagen waren Weiterentwicklungen des mit vier und sechs Zylindern gebauten Whippet ohne größere Auffälligkeiten – solide, leistungsfähig, ordentlich ausgestattet und vor allem billig.

Daneben gab es zwar auch eine Baureihe mit deutlich stärkeren ventillosen Motoren nach Knight-Patent, die aber ebenso wie eine Version mit von Continental zugekauftem Reihenachtzylinder nur eine Nebenrolle spielten.

Die einzige Neuerung, die Willys im Folgejahr 1932 brachte, war ein (vermutlich nur teilweise) synchronisiertes Getriebe – damals die Ausnahme in diesem Segment. Für das Modelljahr 1932 wurde aber auch die Kühlerpartie behutsam überarbeitet, was man erst beim Vergleich mit Fotos aus dem Netz erkennt.

So konnte ich am Ende mit den kombinierten Qualitäten des klassischen Autobuchs und den unendlichen, doch oft unstrukturierten Ressourcen des Internets den Wagen auf meinem Foto als Willys „Six“ des Modelljahrs 1932 identifizieren.

Nicht auszuschließen ist, dass es sich statt der Basisversion mit konventionellem 65 PS-Motor um die Ausführung mit ventillosem Knight-Schiebermotor mit 87 PS handelt.

Äußerlich scheint diese sich vor allem durch den rund 25 Zentimeter längeren Radstand vom 65-PS-Modell unterschieden zu haben. Ob der Willys auf dem heute vorgestellten Foto nun über einen kurzen oder langen Radstand verfügte, lässt sich kaum sagen, da diese Partie weitgehend verdeckt ist.

„Schuld“ an diesem Zustand sind die beiden Zeitgenossen, die es sich auf dem Trittbrett vor dem hinteren Kotflügel bequem gemacht haben:

Nun, dass muss Liebe sein – und angesichts dieses glücklich festgehaltenen Moments gerät der Willys „Six“ zur bloßen Staffage – wer interessiert sich da noch für den Radstand?

Solche Fotos kann man mit heutigen Automobilen einfach nicht mehr machen. Einmal mehr zeigt sich für mich: Das menschliche Element hat erheblichen Anteil am Zauber der Vorkriegswagen auf alten Fotos

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.