Rock ist uramerikanisch, natürlich – aber Barock? Ist das nicht eine sehr europäische Stilrichtung, welche in Kunst und Architektur der Klassik voranging, deren Vertreter wir erst im letzten Blog-Eintrag bewundern durften?
Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten muss man mit allem rechnen – dort gingen einst auch Barock und Klassik mühelos zusammen – jedenfalls in automobiler Hinsicht.
Zufällig im selben Jahr, in dem der herrliche Alfa-Romeo 6C1900 in Sizilien vor Zeugen der klassischen Antike bella figura machte, nämlich 1934, entstand dort ein Klassiker, der im Vergleich ziemlich barock daherkam – der „Terraplane“ aus dem Hause Hudson.
Dabei handelte es sich nicht lediglich um eine Typbezeichnung, sondern eine eigene Marke, insofern verbietet es sich, von Hudson „Terraplane“ zu reden.
Erstmals begegnet sind wir diesem Sechszylinder-Modell der Mittelklasse (nach US-Kategorien) hier in Form dieses ins Deutschland zugelassenen Exemplars:
Mehr ist von dem Wagen auf meinem Foto zwar nicht zu sehen, aber der eigenwillig gestaltete Kühlergrill mit strahlenförmig von unten nach oben sich ausbreitenden Leisten und die markante Kühlerfigur sind eindeutig: Das gab’s nur anno 1934 beim Terraplane.
Seinerzeit musste ich auf eine moderne Aufnahme zurückgreifen, um den Wagen in seiner Gesamtheit zeigen zu können, was freilich kein Nachteil in ästhetischer Hinsicht war.
Dennoch wollen wir uns hier ja bevorzugt an zeitgenössischen Dokumenten erbauen und dieser Tage erwarb ich wie fast immer für einen kleinen Betrag dieses Foto, das die Fehlstelle in Sachen Terraplane perfekt schließt:
Warum auch dies ein Terraplane von 1934 sein muss, bedarf nach dem oben Gesagten keiner weiteren Erläuterung. De US-Hersteller waren damals ja bereits Meister darin, jedes Modelljahr und oft auch die einzelnen Typen optisch klar voneinander abzugrenzen.
Die Technik unter dem Blech entwickelte sich oft nur langsam weiter – wobei es auch Ausnahmen gab. Der Terraplane vereinte beispielsweise traditionelle Gestängebremsen mit zeitgemäßer Einzelradaufhängung vorne, Schwingachse hinten und Teleskopstoßdämpfern.
Motorenseitig hatte man bei der hier zu sehenden Variante „Series K“ die Wahl zwischen 80 bzw. (mit stärkerer Verdichtung) 90 PS aus 3,5 Litern Hubraum.
Vom teureren Modell „Series KU“ war dieses Exemplar äußerlich vor allem durch das Fehlen der großen Chromhörner unter den Scheinwerfern zu unterscheiden.
Gemeinsam war den einzelnen Ausführungen aber die barock anmutende Gestaltung der Außenhaut. Die knackige Linienführung und die ausgewogenen Proportionen zeitgenössischer Klassiker europäischer Provenienz vermisst man hier auf den ersten Blick.
Die Kühlerpartie ist beeindruckend, wirkt aber ein wenig zu grandios, zu viele Zierelemente verstellen den Blick auf die Flächen, vor allem auf der Motorhaube, wo gleich zwei horizontale Leisten mit den schrägstehenden und etwas breit wirkenden Luftschlitzen zusammentreffen.
Allerdings muss man berücksichtigen, dass das optionale Reserverad der langen Haube die Wirkung nimmt, auch ist dessen flache Abdeckung keine gute Idee – nur noch mehr Blech statt eines filigranen Drahtspeichenrads bekommt man hier präsentiert.
Die junge Dame, die hier neben dem mächtigen Wagen posiert, macht es uns auch nicht leichter, den Linien des Aufbaus zu folgen. Zwar sage ich gern, dass meist erst der Mensch solchen Fotos das Leben verleiht, doch mein Empfinden fühlt sich hier durch das wenig schmeichelnde geometrische Muster des Kleids gestört.
Wann die Aufnahme entstand, ist zwar nicht überliefert, aber der umseitige Stempel eines Fotogeschäfts in Kassel ist ein starkes Indiz dafür, dass die Situation in Deutschland oder einem Nachbarland festgehalten wurde.
Der Ort mutet wie eine große Werkstatt oder Fabrikhalle an. Hier sieht man etwas mehr davon und erkennt zudem, woher das viele Licht auf der Karosserie kam:
Mehr wüsste ich diesem Dokument erst einmal nicht abzugewinnen – auf jeden Fall haben wir damit wieder einen hübschen Neuzugang in meiner Fotogalerie für US-Autos.
Warum dieser hier so barock daherkommende Amischlitten letztlich doch alle Elemente eines echten Klassikers aufweist, das kann ich zwar noch nicht anhand einer überzeugenderen Aufnahme begründen.
Doch meine ich, dass folgendes Video, das einen „Terraplane“ von 1934 mit Coupé-Aufbau und viel Originalsubstanz zeigt, die klassischen Qualitäten des Wagens gut erkennen lässt.
In der Rundumansicht wirkt das Auto ausgewogen gestaltet, nichts scheint fehlproportioniert oder deplatziert. Tatsächlich ist das trotz der Größe und Masse ein durchaus elegantes Fahrzeug, auch wenn es unverkennbar amerikanisch wirkt – aber schauen Sie selbst:
Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.