US-Barock anno 1934: Ein Terraplane Cabriolet

Rock ist uramerikanisch, natürlich – aber Barock? Ist das nicht eine sehr europäische Stilrichtung, welche in Kunst und Architektur der Klassik voranging, deren Vertreter wir erst im letzten Blog-Eintrag bewundern durften?

Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten muss man mit allem rechnen – dort gingen einst auch Barock und Klassik mühelos zusammen – jedenfalls in automobiler Hinsicht.

Zufällig im selben Jahr, in dem der herrliche Alfa-Romeo 6C1900 in Sizilien vor Zeugen der klassischen Antike bella figura machte, nämlich 1934, entstand dort ein Klassiker, der im Vergleich ziemlich barock daherkam – der „Terraplane“ aus dem Hause Hudson.

Dabei handelte es sich nicht lediglich um eine Typbezeichnung, sondern eine eigene Marke, insofern verbietet es sich, von Hudson „Terraplane“ zu reden.

Erstmals begegnet sind wir diesem Sechszylinder-Modell der Mittelklasse (nach US-Kategorien) hier in Form dieses ins Deutschland zugelassenen Exemplars:

Terraplane von 1934; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Mehr ist von dem Wagen auf meinem Foto zwar nicht zu sehen, aber der eigenwillig gestaltete Kühlergrill mit strahlenförmig von unten nach oben sich ausbreitenden Leisten und die markante Kühlerfigur sind eindeutig: Das gab’s nur anno 1934 beim Terraplane.

Seinerzeit musste ich auf eine moderne Aufnahme zurückgreifen, um den Wagen in seiner Gesamtheit zeigen zu können, was freilich kein Nachteil in ästhetischer Hinsicht war.

Dennoch wollen wir uns hier ja bevorzugt an zeitgenössischen Dokumenten erbauen und dieser Tage erwarb ich wie fast immer für einen kleinen Betrag dieses Foto, das die Fehlstelle in Sachen Terraplane perfekt schließt:

Terraplane von 1934; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Warum auch dies ein Terraplane von 1934 sein muss, bedarf nach dem oben Gesagten keiner weiteren Erläuterung. De US-Hersteller waren damals ja bereits Meister darin, jedes Modelljahr und oft auch die einzelnen Typen optisch klar voneinander abzugrenzen.

Die Technik unter dem Blech entwickelte sich oft nur langsam weiter – wobei es auch Ausnahmen gab. Der Terraplane vereinte beispielsweise traditionelle Gestängebremsen mit zeitgemäßer Einzelradaufhängung vorne, Schwingachse hinten und Teleskopstoßdämpfern.

Motorenseitig hatte man bei der hier zu sehenden Variante „Series K“ die Wahl zwischen 80 bzw. (mit stärkerer Verdichtung) 90 PS aus 3,5 Litern Hubraum.

Vom teureren Modell „Series KU“ war dieses Exemplar äußerlich vor allem durch das Fehlen der großen Chromhörner unter den Scheinwerfern zu unterscheiden.

Gemeinsam war den einzelnen Ausführungen aber die barock anmutende Gestaltung der Außenhaut. Die knackige Linienführung und die ausgewogenen Proportionen zeitgenössischer Klassiker europäischer Provenienz vermisst man hier auf den ersten Blick.

Die Kühlerpartie ist beeindruckend, wirkt aber ein wenig zu grandios, zu viele Zierelemente verstellen den Blick auf die Flächen, vor allem auf der Motorhaube, wo gleich zwei horizontale Leisten mit den schrägstehenden und etwas breit wirkenden Luftschlitzen zusammentreffen.

Allerdings muss man berücksichtigen, dass das optionale Reserverad der langen Haube die Wirkung nimmt, auch ist dessen flache Abdeckung keine gute Idee – nur noch mehr Blech statt eines filigranen Drahtspeichenrads bekommt man hier präsentiert.

Die junge Dame, die hier neben dem mächtigen Wagen posiert, macht es uns auch nicht leichter, den Linien des Aufbaus zu folgen. Zwar sage ich gern, dass meist erst der Mensch solchen Fotos das Leben verleiht, doch mein Empfinden fühlt sich hier durch das wenig schmeichelnde geometrische Muster des Kleids gestört.

Wann die Aufnahme entstand, ist zwar nicht überliefert, aber der umseitige Stempel eines Fotogeschäfts in Kassel ist ein starkes Indiz dafür, dass die Situation in Deutschland oder einem Nachbarland festgehalten wurde.

Der Ort mutet wie eine große Werkstatt oder Fabrikhalle an. Hier sieht man etwas mehr davon und erkennt zudem, woher das viele Licht auf der Karosserie kam:

Terraplane von 1934; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Mehr wüsste ich diesem Dokument erst einmal nicht abzugewinnen – auf jeden Fall haben wir damit wieder einen hübschen Neuzugang in meiner Fotogalerie für US-Autos.

Warum dieser hier so barock daherkommende Amischlitten letztlich doch alle Elemente eines echten Klassikers aufweist, das kann ich zwar noch nicht anhand einer überzeugenderen Aufnahme begründen.

Doch meine ich, dass folgendes Video, das einen „Terraplane“ von 1934 mit Coupé-Aufbau und viel Originalsubstanz zeigt, die klassischen Qualitäten des Wagens gut erkennen lässt.

In der Rundumansicht wirkt das Auto ausgewogen gestaltet, nichts scheint fehlproportioniert oder deplatziert. Tatsächlich ist das trotz der Größe und Masse ein durchaus elegantes Fahrzeug, auch wenn es unverkennbar amerikanisch wirkt – aber schauen Sie selbst:

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Gestern und heute: Ein „Terraplane“ von 1934

Kürzlich schrieb mir ein Leser, aus dessen Familienalbum wir bereits einige Schätze bewundern durften, dies: „Ich muss mich von all dem Wahnsinn, der uns umgibt, mit Ahnenforschung und alten Automobilen ablenken.“

Die Einstellung ist mir sympathisch, wobei ich schon länger der Auffassung bin, dass über 2500 Jahre europäische Kulturgeschichte bereits rein statistisch mehr Großartiges und Interessantes hervorgebracht haben müssen als unser kleines Hier und Jetzt.

Dass man dennoch zwischen Gestern und Heute ganz selbstverständlich eine Balance finden kann, mit der es sich vorzüglich leben lässt, das kann ich leicht beweisen.

Beginnen wir mit dem Gestern. Dazu reisen wir knapp 90 Jahre zurück ins Jahr 1934. Damals brachte einer der wenigen unabhängig gebliebenen US-Automobilbauer – Hudson aus Detroit – eine Neuauflage seiner Untermarke „Terraplane“ heraus.

Der Terraplane – mit „Landflieger“ zu übersetzen – war ursprünglich eine leistungsgesteigerte Version des „Essex“ – einer auch in Europa präsenten Marke von Hudson.

Mit seiner Höchstgeschwindigkeit von über 120 km/h war der Sechszylinder-Wagen einer der schnellsten in der preiswerten US-Mittelklasse und entsprechend erfolgreich. Das brachte Hudson auf die Idee, das Modell nur noch als „Terraplane“ zu vermarkten.

Wie schon im Fall des braveren „Essex“, auf dem er technisch basierte, stieß der „Terraplane“ auch in Europa auf Kaufinteresse. Ein Beispiel dafür zeigt folgende Aufnahme:

Terraplane von 1934; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die beiden Damen posieren hier gut aufgelegt vor einem Wagen mit markant gestaltetem Kühlergrill, zwei Hupenhörnern und einer mittig nach unten geschwungenen Stoßstange.

Ich hatte das Foto für kleines Geld erworben, weil mir die Situation gefiel und ich ahnte, dass dies ein Terraplane von 1934 ist – so einen Kühler hatte damals kein anderer Wagen.

Zudem war das Fahrzeug am Nummernschild erkennbar in Deutschland zugelassen und das zu einer Zeit, in der die nationalen Sozialisten das Land binnen kürzester Zeit in eine Gesinnungsdiktatur und Planwirtschaft verwandelt hatten.

Dummerweise brauchte es dafür nicht einmal eine Wahlmehrheit in der Bevölkerung, wie wir wissen. So kann es nicht verwundern, dass es auch weiterhin „Volksgenossen“ gab, die sich beim Autokauf nicht von der Berliner Propaganda beeinflussen ließen.

Um in Deutschland 1934 einen amerikanischen „Terraplane“ zu kaufen, musste man schon natürliche Immunität gegen autoritäre Anmaßung und den Herdentrieb haben. Jedenfalls gefällt mir der Gedanke, dass es auch im Gestern immer Geistesverwandte gab, die schlicht das taten, was sie für richtig hielten, soweit es ging.

Soviel zum Gestern – mehr weiß ich leider nicht zu diesem hübschen Schnipsel Geschichte, das in meiner Fotosammlung gelandet ist.

Wie bekomme ich nun den Bogen zum Heute hin? Nun, liebe Leser, das ist ganz einfach. Man muss bloß zur besten Oldtimeraustellung im Westen der Republik fahren – der Classic Gala im Schlosspark Schwetzingen in der Nähe von Heidelberg.

Nachdem es die Classic Days auf Schloss Dyck leider nicht mehr gibt, ist der herrliche Park des Schwetzinger Barockschlosses nicht nur für mich „der“ Sehnsuchtsort, was die Präsentation automobiler Klassiker in einem wahrhaft würdigen Ambiente angeht.

Traditionell wird dort die gesamte Autogeschichte in allen ihren faszinierenden Facetten vor grandioser Kulisse, in entspannter Atmosphäre mit vielen gut gelaunten Menschen präsentiert – nebenbei zu einem Eintrittspreis, den sich jeder leisten kann.

Ich war über die Jahre schon öfters bei der Classic Gala in Schwetzingen, doch jedes Mal bin ich begeistert, welche hochkarätigen Fahrzeuge die Veranstalter neben populären Klassikern aus über 130 Jahren Automobilgeschichte gewinnen können.

So war das auch heute wieder – und das verbunden mit dem diesen Sommer schmerzlich vermissten Sonnenschein und angenehm warmen Temperaturen.

Ich war schon auf dem Weg zum Ausgang, als ich mich plötzlich an das eingangs gezeigte Foto erinnert fühlte:

Terraplane Modelljahr 1934 bei der Classic Gala Schwetzingen 2023; Bildrechte: Michael Schlenger

„Das ist ein Terraplane“, sagte ich zu meiner Begleiterin, der der Wagen ebenfalls aufgefallen war und die nun wissen wollte, worum es sich handelte, zumal das Auto in Heidelberg zugelassen war, wo sie einst studiert hatte.

Ja, es gibt Unterschiede zu dem Terraplane auf dem Foto aus den 1930er Jahren. So fehlen die Hörner unterhalb der Scheinwerfer und das Kühleremblem ist anders angebracht.

Doch der Grill mit den nach unten zusammenlaufenden Streben ist derselbe und den gab es so wirklich nur beim Terraplane des Modelljahrs 1934.

Die kleinen Abweichungen sind damit zu erklären, dass wir hier eine nur in geringer Stückzahl gebaute Ausführung sehen – ein „Convertible Coupe“ mit leistungsgesteigertem Motor, welcher statt der üblichen 80-90 PS rund 100 Pferdestärken leistete.

Diese bärenstarken US-Vorkriegswagen lassen sich auch heute noch gut bewegen, man ist definitiv kein Verkehrshindernis, solange man die Autobahn meidet. Von extremen Steigungen abgesehen kann man sich die Schalterei sparen, das schiere Drehmoment genügt, um auch aus niedrigen Touren beschleunigen zu können.

Wer nun meint, dass die Ami-Wagen dieser Zeit aber stilistisch den europäischen Fahrzeugen nicht das Wasser reichen konnten, mag hier ins Nachdenken kommen:

Terraplane Modelljahr 1934, bei der Classic Gala Schwetzingen; Bildrechte: Michael Schlenger

Sie sehen: Das Heute hat eine ganze Menge für sich, und sei es nur in Form dieses Zeitzeugen, der in Dänemark den 2. Weltkrieg überdauert und später einen neuen glücklichen Besitzer in Heidelberg gefunden hat, welcher den Wagen hegt und pflegt.

Unsere Zeit mag nur noch wenig hervorbringen, das bewundernswert ist, speziell in Europa. Doch die Gegenwart verschafft uns einen Zugang zu den Wunderwerken der Vergangenheit wie wohl keiner Generation zuvor.

Mit diesem glücklichen Nebeneinander von Gestern und Heute lässt sich leben, meine ich…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.