Dienstwagen für privilegierte Genossen: Ein Dinos 16/72 PS

Die wahre Natur der vermeintlich menschenfreundlichen Ideologie des Sozialismus tritt dann hervor, wenn sie an die Schaltstellen der Macht gelangt.

Wer nun an die Ausplünderung und Bevormundung der Bürger, die Drohung mit Energierationierung und die Selbstbedienung denkt, welche der Politadel im Berlin unserer Tage praktiziert, macht sich neuerdings der „Delegitimierung des Staats“ verdächtig – die war lange übrigens Aufgabe kritischer Journalisten.

Zwar liegt es dem Untertanen fern, an das Handeln der heute Herrschenden den Maßstab seiner beschränkten Einsicht zu legen. Gegenüber vergangenen Regimen darf man indessen noch als Kritiker auftreten – genau das erlaube ich mir im Folgenden.

Möglich gemacht hat mir das mein russischer Sammlerkollege Stanislav Kirilets mit einem Foto, das Anlass zu manchen Mutmaßungen gibt.

Ich übernehme dabei die Angaben, die er zu der Aufnahme macht – zum einen, weil er ein ausgewiesener Kenner der Materie ist, zum anderen, weil mir keine verlässlichen Quellen vorliegen, die mich zu einer anderen Einschätzung bewegen könnten:

Dinos Typ 16/72 PS; Originalfoto via Stanislav Kirilets

Laut Stanislav Kirilets ist überliefert, dass es sich bei diesem eindrucksvoll dimensionierten Tourenwagen um einen Typ 16/72 PS des Berliner Herstellers Dinos handelt. Abgelichtet wurde das Fahrzeug auf dem Land in der Nähe von Moskau.

Ich habe die Geschichte dieser wie so oft schlecht dokumentierten deutschen Marke bislang nur gestreift. Sie beginnt mit der Automobilfabrikation der Firma Loeb & Co., welche in Berlin unter der Marke LUC ab 1909 selbstkonstruierte Wagen anbot.

Bis 1914 genossen LUC-Automobile den Ruf zwar teurer, aber ausgezeichnet konstruierter und leistungsfähiger Wagen.

Hier eine grafisch reizvolle Reklame, die deutlich macht, dass man sich nicht mit Kleinwagen abgab und auch laufruhige Modelle mit Schiebermotor (Patent: Knight) anbot:

LUC-Reklame von 1914; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Nach dem 1. Weltkrieg gelangte das Unternehmen unter die Kontrolle des Stinnes-Konzerns und fertigte nun unter der Marke „Dinos“ weiterhin gut motorisierte Qualitätsautos.

Gewisse Verbreitung scheint das neue 8/35 PS-Modell gefunden zu haben. Es verfügte über einen Motor mit drehzahlfreudiger Charakteristik (Ventiltrieb über obenliegende Nockenwelle und Köngswelle) und erreichte damals beachtliche 100 km/h.

Den Vogel ab schoss man indessen mit dem 1921/22 gebauten Sechszylindertyp 16/72 PS. Dieser schnelle Wagen ließ die aufgewärmten Vorkriegsmodelle etlicher etablierter deutscher Hersteller so lahm und alt aussehen, wie das damals auch der Lancia Kappa tat.

Wenn die Überlieferung stimmt, war das ein veritables Luxusuautomobil mit sportlicher Charakteristik, welches einst im Umland von Moskau für die Nachwelt festgehalten wurde.

Zwar waren frühe deutsche Fabrikate in Russland alles andere als selten – tatsächlich war das Deutsche Reich damals der bedeutendste Handelspartner und deutsche Autos bewährten sich unter den harten Bedingungen in den russischen Weiten.

Doch fragt man sich: Wer konnte nach der „Revolution“ in Russland, die doch über das Zwischenstadium Sozialismus den ersehnten Kommunismus anstrebte, jemand noch so ein unglaublich exklusives Automobil (oder überhaupt irgend ein Kraftfahrzeug) besitzen?

Die Antwort ist so einfach wie ernüchternd:

Nach jeder ideologischen Umwälzung – ganz gleich unter welchem Vorzeichen – gibt es eine neue Oberschicht, die sich aus den Gewinnern des Umsturzes speist (meist aus der Unterschicht und dem akademischen Prekariat) und daneben anpassungsfähige Vertreter der alten Feudalschicht umfasst.

Zwar können wir nicht wissen, welcher der beiden Gruppen die Insassen dieses Dinos 16/72 PS angehörten – sie werden sich aber so oder so als „verdiente Genossen“ präsentiert haben, denen solche Privilegien quasi von Natur aus zustehen:

Die Ansprache des Dinos als Typ 16/72 PS mag unsicher sein – vielleicht war es doch „nur“ das Vierzylindermodell 8/35 PS – doch sicher ist eines:

Den Gewinnern roter, brauner (oder wie auch immer eingefärbter) sozialistischer Revolutionen war und ist das Schicksal der Masse egal – wer romantische andere Auffassungen hegt, sollte Alexander Solschenizyns „Archipel Gulag“ oder bei eher nüchterner Veranlagung gleich das „Schwarzbuch des Kommunismus“ lesen…

Freilich weiß man auch, dass in totalitären Verhältnissen mancher „verdienter Genosse“ unter die Räder kam, wenn er sich irgendwelcher Fehltritte schuldig machte – so mag das auch mit den Insassen des Dinos gewesen sein – welcher selbst ebenfalls bald Geschichte gewesen sein dürfte…

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Fund des Monats: Ein Dinos 8/35 PS in Pommern

Meine Rubrik „Fund des Monats“ profitiert nicht selten von der Interaktion mit Lesern meines Blogs, die mir Fotos außergewöhnlicher Wagen zur Verfügung stellen, oft ohne zu wissen, was sie da für Schätze ihr eigen nennen.

Der heutige Kandidat ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie fruchtbar der unkomplizierte Austausch unter Enthusiasten im Netz sein kann, die die bisweilen betriebene Geheimniskrämerei um belichtetes Fotopapier aus alter Zeit albern finden.

So kam Leser Frank Müller mit der Bitte auf mich zu, die Wagen auf dem beigefügten Abzug aus seinem Besitz zu identifizieren, verbunden mit der Freigabe, diesen auch publizieren zu dürfen.

Dem Wunsch bin ich sehr gern nachgekommen, zeigt die Aufnahme doch gleich drei Kandidaten für den Fund des Monats:

Dinos 8/35 PS (links); Originalfoto aus Sammlung Frank Müller (Schwedt/Oder)

Hier sind irgendwo auf einer Landstraße im fernen Pommern drei nicht alltägliche Automobile der 1920er Jahre zu bestaunen.

Vermutlich werden auch intimere Kenner der deutschen Vorkriegsszene als ich nicht alle Wagen auf Anhieb korrekt ansprechen können. Doch mit ein wenig Recherche lassen sie sich alle mit erstaunlicher Präzision identifizieren.

Für den Fund des Monats Mai habe ich den Tourenwagen ganz links ausgewählt, mit dem zugleich eine „neue“ Marke Einzug in die Hersteller-Schlagwortwolke meines Blogs hält:

Dinos Typ 8/35 PS, Bauzeit: 1921-24; Ausschnitt aus Originalfoto von Frank Müller

Der Wagen besitzt einen abgerundeten Spitzkühler, der sich von dem klassischen Spitzkühler des Autos daneben unterscheidet. Das Kühleremblem ist zwar nicht entzifferbar, aber seine Form ist so charakteristisch, dass nur ein Hersteller dafür in Frage kommt – Dinos aus Berlin.

Die Dinos-Automobilwerke AG war der 1920 neu gegründete Nachfolger eines weit älteren Unternehmens, das 1906 als Loeb & Co (LUC) gegründet worden war. Anfänglich konzentrierte sich die Firma auf die Reparatur von Kraftwagen in großem Stil.

Die dabei gewonnene Expertise und der erforderliche Maschinenpark mündeten ab 1909 in die Produktion eines eigenen Vierzylinderwagens, dem ab 1911 Lizenzbauten des britischen Daimler mit Knight-Schiebermotor folgten, die unter der Marke LUC vertrieben wurden.

Die hochwertigen und entsprechend teuren LUC-Wagen bewegten sich in einer engen Marktnische, weshalb diese Fahrzeuge heute kaum bekannt sind. Im 1. Weltkrieg baute Loeb & Co. (ab 1917: Loeb-Werke AG) Flugmotoren, was das in der Firma konzentrierte Können unterstreicht.

1920 wurde das Unternehmen in die neu gegründete Dinos-Automobilwerke überführt, die Teil des Konzerns des rührigen Großunternehmers Hugo Stinnes wurden. 1921 konstruierte Joseph Vollmer ein neues Modell, den Dinos 8/35 PS.

Mit seinem modernen 2,1 Liter-Vierzylinder, dessen Leistung von einer obenliegenden Nockenwelle profitierte, knüpfte der Dinos 8/35 PS an die Tradition der Qualitätswagen unter der Vorgängermarke LUC an, blieb aber ebenfalls eine Rarität.

Übrigens war daneben ein 72 PS starker Sechszylinder ähnlicher Bauart verfügbar, der Anfang der 1920er Jahre zu den stärksten deutschen Serienwagen zählte. Ob er sich äußerlich wesentlich vom Modell 8/35 PS unterschied, ist mir nicht bekannt.

Ich vermute aber, dass der Dinos auf dem Bild von Frank Müller eher das Vierzylindermodell 8/35 PS zeigt, das für sich genommen bereits außergewöhnlich genug war, um einen würdigen Platz neben den beiden anderen Exoten einzunehmen.

Offenbar wurde der Dinos von einem Chauffeur bewegt, wie die typische Schirmmütze des neben im posierenden Herrn verrät:

Wer mag wohl der Besitzer dieses eindrucksvollen Autos gewesen sein, dass vor bald 100 Jahren in Pommern zusammen mit zwei weiteren Blechkameraden abgelichtet wurde?

Das werden wir nicht mehr erfahren, aber vielleicht lässt sich zum Dinos Typ 8/35 PS noch mehr Material auftreiben, jetzt wo wir ein erstes Belegfoto haben. Die mir vorliegende Literatur kennt nämlich ausschließlich Prospektabbildungen.

Auch deshalb verdient dieses Foto es, als Fund des Monats präsentiert zu werden…

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.