Heute macht KI (die) Geschichte: Ein REO von 1927

Die Story, die Sie hier zu lesen bekommen, wird anders ausfallen, als sie es gewohnt sind.

Ohnehin schreibe ich ja bloß, was mir spontan in den Sinn kommt, wenn ich mich mit Vorkriegsautos auf alten Fotos befasse. In einem Blog ist der Verfasser Chefredakteur, Verleger und wichtigster Adressat in Personalunion.

Dass Dritte mitlesen können, ist überwiegend der Annahme geschuldet, dass ein Thema auch andere Zeitgenossen interessiert und einige davon wertvolle Details beizusteuern vermögen oder manches schlicht besser wissen als ich.

Heute haben wir aber einen Fall, bei dem ich weniger darauf setze, dass mir ein Leser augenöffnende Hinweise gibt oder kongeniale Kommentare verfasst. Vielmehr will ich mich dem Dauerthema Vorkriegsautos diesmal aus ganz anderer Richtung nähern.

Dabei geht es nebenher um die Frage, was eine revolutionäre technische Innovation ausmacht. Dass ich das Automobil für jedermann für die gesellschaftlich umwälzendste Neuerung des 20. Jh. halte, das dürfte bekannt sein.

Die Einführung des Computers machte sich damals im Alltag der meisten noch nicht in einer völlig veränderten Arbeits- oder Lebensweise bemerkbar – dies ist erst seit der Verbreitung von Internet und Mobilgeräten ab 2000 der Fall.

Wie im Fall des Autos ist die massenhafte praktische Umsetzung in für jeden bezahlbarer und einfach zu beherrschender Form so gut wie ausschließlich kapitalistisch agierenden Firmen in den Vereinigten Staaten zu verdanken.

Man darf über den ausgeprägten Erwerbssinn der verantwortlichen Unternehmer ruhig aus moralisch überlegener europäischer Perspektive herziehen – man sollte aber dazu schon deren Erfindungen nutzen, wenn man auch vom Publikum bemerkt werden möchte…

Die inzwischen völlige Bedeutungslosigkeit des Alten Europa in Sachen High-Tech ist auch auf einem Feld zu beobachten, dessen Folgen manchem noch nicht gegenwärtig sein dürften. Gemeint ist die sogenannte Künstliche Intelligenz (KI) – ein angreifbarer Begriff aus Sicht derer, die nur auf der Wortebene produktiv sind, aber inhaltlich nichts zu bieten haben.

Natürlich ist die KI nicht in dem Sinne intelligent, wie wir Menschen es zu sein meinen (wobei das bisher keiner wirklich versteht). Es gibt bei KI-Anwendungen keine „frei“ mit Informationen umgehende, diese „frei“ interpretierende und „frei“ aufbereitende autonome Instanz.

Wenn Sie sich im Netz etwa mit dem Algorithmus von „ChatGPT“ unterhalten, können Sie sich Höflichkeitsfloskeln sparen, auch wenn er diese „versteht“. Befehle reichen völlig.

Dahinter verbirgt sich reine Mathematik, welche Sprache und andere Informationen in rechnerisch verarbeitbare Formeln umwandelt und diese digitalisiert, was Reaktionsgeschwindigkeit, Energiebedarf sowie Fähigkeiten und Limitierungen erklärt.

Heute bekommen Sie am Beispiel des folgenden Fotos vorgeführt, was das in der Praxis bedeutet. Dabei bringen wir Technologie von vor 100 Jahren mit derjenigen der Gegenwart zusammen und lassen uns überraschen, was dabei herauskommt.

Sind Sie bereit für eine solche Tour der besonderen Art? – Gut. Los geht’s:

REO von 1927; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieses Winterfoto einer US-Limousine aus den späten 1920er Jahren wollte ich schon seit einiger Zeit im Blog bringen, doch die Inspiration zu einer passenden Story stellte sich nicht ein.

Nur ein naheliegendes Wortspiel, das an den Markennamen anknüpft, schlug mir mein Gehirn vor. Mit diesem Fragment ließe sich etwas anfangen, dachte ich mir, aber eine passende Geschichte einfallen wollte mir nicht.

Bevor wir dazu kommen, auf welchen Ausweg ich verfiel, ein paar Anmerkungen zu dem Auto auf dem Foto. Ich hätte es wohl auch mit einer automatisierten Bildersuche im Netz herausgefunden, daran dachte ich aber noch nicht.

Auf die gute alte Tour kam ich zum Ergebnis. Das Nummernschild verwies schon einmal auf ein US-Modell und diverse Gestaltungselemente – darunter die Doppelstoßstange – sprachen für einen Wagen der zweiten Hälfte der 1920er Jahre.

Da ich die eigenwillige Form des Kühlergehäuses nicht kannte, war klar, dass ich nicht bei den üblichen Verdächtigen aus den USA suchen musste (damit kam auch meine eigene US-Markengalerie nicht in Betracht).

Irgendwie kam ich nach einer Weile auf die Lösung und landete beim REO des Modelljahrs 1927. Hinter dem Kürzel verbergen sich die Initialen eines gewissen „Ransom Eli Olds“ – der mit seinem 1900 entwickelten Oldsmobile früh international für Aufsehen gesorgt hatte.

Auch in deutschen Landen waren seine Reklamen damals oft zu finden, bevor hier an einen leichten und „relativ“ günstigen Großserienwagen auch nur zu denken war:

Oldsmobile-Reklame aus „Die Woche“, Nr 23, Juni 1905; Sammlung Michael Schlenger

Allerdings gefiel den „gierigen“ Hauptaktionären der Firma nicht, dass R.E. Olds keine Notwendigkeit sah, den Zeichen der Zeit zu folgen und sein inzwischen veraltetes Standardmodell „Curved Dash“ abzulösen.

Also taten sie das einzige Richtige, was sich in solchen Fällen gehört, und suchten sich kurzerhand einen neuen Unternehmenslenker.

Bei R.E.Olds sorgte dieser Tritt in den Allerwertesten für den notwendigen Erkenntnisfortschritt – denn ab 1904 brachte er unter der Marke REO Motorcar zeitgemäße Automobile heraus.

1912 übergab er das Unternehmensruder anderen und die nach ihm benannte Firma blieb bis weit in die 1920er Jahre profitabel.

Das eingangs gezeigte Foto zeigt das 1927 eingeführt Modelle REO „Flying Cloud“ mit 6-Zylindermotor und rund 70 PS Leistung. Leider ist nichts zu dem abgebildeten Wagen, seinen Besitzern und der Örtlichkeit überliefert.

So verfiel ich auf die Idee, die KI in Form von „ChatGTP4“ mit der passenden Geschichte dazu zu beauftragen. Ein detailliertes Briefing (sehr wichtig) resultierte dann in dieser Story:

Kapitel 1: Entdeckung im Verborgenen

In der weiten Landschaft Montanas kaufte der Architekt Simon eine verlassene Farm, deren verwitterte Zäune und zerbrochene Fensterläden von längst vergangenen Tage kündeten. Im Herzen des alten Bauernhauses, dessen Holzböden unter jedem Schritt knarrten, fand Simon während der Renovierung einen alten Büroschrank. Eine Schublade des Schranks barg ein altes vergilbtes Foto. Es zeigte ein Auto der Marke REO, aufgenommen im Winter auf einer verschneiten Landstraße. Hinter dem Autofenster war eine schemenhafte Gestalt erkennbar, die uns geheimnisvoll zu betrachten scheint.

Kapitel 2: Verschwinden von Elizabeth

Das Foto war auf 1927 datiert und zeigte der Beschriftung nach eine gewisse Elizabeth. Sie lebte allein auf dieser Farm, war für ihr Selbstbewusstsein bekannt und einige Mal in Auseinandersetzungen mit Nachbarn verwickelt, hauptsächlich Landrechte betreffend. An einem bitterkalten Wintertag desselben Jahres verschwand Elizabeth spurlos. Ihr REO wurde Tage später verlassen gefunden, Fußspuren im Schnee verloren sich im Nichts. Die lokale Polizei ließ das Auto abtransportieren, später wurde es von einem ortsansässigen Farmer erworben. Elizabeth wurde nie wieder gesehen. Ihre Erben hatten kein Interesse an dem Anwesen und ließen es verkommen.

Kapitel 3: Eine neue Spur

Jahrzehnte später fand unser frischgebackener Farmbesitzer Simon in einer alten Scheune auf dem verlassenen Nachbargrundstück den REO. Der Lack war matt geworden, das blanke Metall verrostet, einige Teile fehlten. Aber es war zweifellos der Wagen aus Elisabeths letztem dokumentierten Moment. Unter der Rückbank entdeckte Simon alte Briefe an die Schwester, die darauf hindeuteten, dass Elisabeth geplant hatte, den Ort zu verlassen, um den dauerhaften Konflikten und einer angedeuteten Gefahr zu entkommen.

Simons Nachforschungen ergaben, dass Gerüchten zufolge ein Nachbar, ein Mann mit dunklem Ruf, in ihr Verschwinden verwickelt war. Obwohl er damals verdächtigt wurde, konnten nie Beweise gegen ihn gefunden werden. „In dubio pro reo“, dachte Simon, als er die alten Polizeiakten durchging – „Im Zweifel für den Angeklagten“. Dabei kam ihm ein Gedanke…

Entschlossen, das Andenken an Elizabeth zu bewahren und das Rätsel ihres Verschwindens weiter zu erkunden, entschied sich Simon, den REO zu kaufen und zu restaurieren. Er hoffte, dass die Wiederherstellung des Autos und weitere Nachforschungen irgendwann Licht in das Geheimnis ihres Verschwindens bringen würden…

Hier haben wir den Wagen übrigens, wie ihn Simon in der Scheune vorfand:

Von ChatGTP4 erzeugtes Foto eines „REO“-Scheunenfunds

Moment mal, werden Sie jetzt denken: Der Kühler des REO auf dem Foto mit „Elizabeth“ am Steuer war doch anders gestaltet, auch die Positionsleuchten befanden sich anderer Stelle.

Völlig richtig. Es gab den REO „Flying Cloud“ auch nicht mit den hier zu sehenden Drahtspeichenrädern. Kenner werden zudem bemerken, dass kein REO jemals einen so plumpen Markenschriftzug auf dem Kühler trug (mehr dazu hier).

Dieses Foto hat „ChatGTP“ nach meinen Vorgaben fabriziert. Dabei hat es als Grundlage stilistische Elemente ähnlicher US-Wagen jener Zeit verwendet, die Ähnlichkeit mit dem Model A Ford und anderen zeitgenössischen Großserienautos aufweisen.

Bilder solcher Vorkriegs-„Scheunenfunde“ in den USA gibt es ohne Ende und anhand solcher wurde ChatGTP offenbar zum Zweck der Kombination von Begriff und Bild trainiert. Das Ergebnis kommt meinen Anforderungen nach mehreren Versuchen am nächsten. Im ersten Versuch bekam ich eine ähnliche Aufnahme angeboten, deren schrägstehenden Kühler ich aber monierte.

Diese Kritik wurde sprachmäßig verstanden, nicht umgesetzt wurde dagegen meine wiederholte Anforderung, dass ein Scheinwerfer fehlen sollte. Es war für diese spezielle Situation also keine passende Bildbasis vorhanden, die genutzt werden konnte.

Dennoch ist das Ergebnis beachtlich, weil Zeit, Stil und Umstände passen. Das Beste aber ist die oben erzählte Geschichte in drei Kapiteln, sie habe ich zu 90 % von ChatGTP übernommen.

Jetzt wissen wir auch, dass der Berufsstand des Krimi- oder Gespenstergeschichten-Erzählers akut bedroht ist. Denn die KI (hier in Form von ChatGTP) kann den immer gleichen Stil mit den immer gleichen Elementen mühelos simulieren und beliebig variieren.

Auch mittelmäßig begabte Dichter können jetzt einpacken, denn die Story von dem REO kann von der KI binnen weniger Sekunden in poetischer Form aufbereitet werden:

I. Der Fund
Unter’m matten Holz des Schranks,
Verborgen liegt ein Bild, vergilbt und blass,
Darauf ein REO im Schnee, eine Gestalt hinter Glas.
Durch den Vorhang der Zeit hindurch blickt Simon,
Gebannt vom Geheimnis längst verblasster Spuren.
Umgeben von kalten Mauern in Montana.

II. Elisabeths Flucht
Eine stolze Gestalt, dort hinter’m Steuer,
Elizabeth, mit soviel Leben in den Augen.
Ihr Geist war weit und wild wie das Land,
In des Winters Kälte verschwand sie spurlos.
Die Nachbarn schwiegen finster, ihr Blick aus Eis,
Zurück blieb bloß der Wagen, stumm und starr im Schnee.

III. Wiederkehr
Jahrzehnte später, unter Schichten vom Staub der Zeit,
Entdeckt Simon das Gefährt, ein Echo der Vergangenheit.
Alte Briefe, unter’m Sitz versteckt, bergen Geheimnisse.
Eine Frau, die zu fliehen trachtet, ein Mann, der sie besitzen will.
„In dubio pro reo“, denkt Simon, gewahr des alten Grundsatz.
Er kauft den Wagen hoffend, die Wahrheit zu ergründen…

Das ist doch herrlicher Kitsch, nicht wahr? Gewiss, aber locker auf dem Niveau eines durchschnittlich in Schriftstellerei Begabten.

Das ist der Stand der Technik, liebe Leser, was den aktuellen Umgang mit Sprache durch KI betrifft. Ihre Standardbriefe ans Amt, Beschwerden und Bewerbungen, Glückwunschbriefe an die Schwiegermutter können Sie sich jetzt im Grundsatz entwerfen lassen, wenn sie mögen.

Ein paar Anpassungen und Details – fertig ist die Laube. Das Ganze ist weniger Bedrohung denn Gelegenheit, so wie einst das Automobil die Welt der Kutscher und Pferdezüchter erst in Frage und dann in produktiver Form auf den Kopf stellte.

Nicht vorenthalten möchte ich Ihnen, was die KI auf meine Anforderung binnen Sekunden als Bild des von „Simon“ restaurierten REO ablieferte. Tatsächlich sitzt hier auch wie bestellt die selbstbewusste „Elizabeth“ am Steuer, zudem steht auf dem Kühler „REO“.

Von ChatGTP4 erzeugtes Foto eines „REO“

Nur meiner Forderung nach Anpassung der Kühlerform und Wegfall der vertikalen Streben in demselben wollte ChatGPT partout nicht nachkommen. Egal.

Man sieht daran gut, wie das Ganze funktioniert. Geliefert wird stets eine bestmögliche Annäherung, aber ein „WünschDirWas“ perfekt auf den Punkt ist (noch) nicht verfügbar.

Vielsagend auch die bei US-Fahrzeugen untypische Scheinwerferanordnung und die bizarre Positionierung der Scheibenwischer. „Elizabeth“ amm Steuer hat aber etwas, oder?

Verstanden im Sinn kritischer und kreativer Überlegung wird von der KI also nichts – aber in Zukunft werden immer bessere Mustererkennungen und darauf basierende Umsetzungen und Variationen möglich sein.

Das war die eingangs erwähnte unerwartete Botschaft meines heutigen Blogeintrags. Man muss sich früher oder später mit dem Thema KI auseinandersetzen, um seine Funktion, seine phänomenalen Möglichkeiten und seine evidenten Grenzen zu verstehen.

Eines noch: Wer die KI nur als Gefahr empfindet, darf sich stattdessen aufgerufen fühlen, die eigenen Kompetenzen daran zu schärfen, sich auf andere (unangreifbare) Felder zu verlagern oder – das wäre ja mal etwas Neues hierzulande – selbst daran mitzuarbeiten…

Wer indessen seine Schäfchen im Trocknen hat, mag sich zurücklehnen und sich denken: Was gehen mich die KI und „Simons“ Fund eines 1927er REO an?

Nun, hier ist er nun tatsächlich im Fundzustand, besser und realer geht’s nicht…

Unrestaurierter 1927er REO; Quelle: Classic Auto Mall, Morgantown, Pennsylvania (USA)

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.