Pünktlich zum Wochenende kann ich mich bei der Niederschrift des „Funds des Monats“ Februar 2025 entspannen.
Nur etwas weiße Farbe an den Händen erinnert mich daran, dass ich nach der Schreibtischarbeit gegen Abend noch eine Wandpartie in der Werkstatt gestrichen habe, die ab morgen mit dem neuen Unterschrank für den Ultraschallreiniger verdeckt sein wird.
Auch wenn man es danach nicht mehr sieht, galt es, den in die Jahre gekommenen Putz auf der alten Ziegelmauer in einigermaßen vorzeigbarer Form der Nachwelt zu hinterlassen.
Ich bin zufrieden, wenn ich das Gemäuer, das ursprünglich einmal als Kuhstall diente und ab vielleicht 1920 als Werkstatt genutzt wurde, dereinst nicht so verkommen weiterreiche wie der Vorbesitzer, ein Handwerker“meister“ von eigenwilliger Berufsauffassung.
Rundherum erfreulich, um nicht zu sagen: begeisternd, ist bei aller Patina der Jahrzehnte die Hinterlassenschaft, welche ich Ihnen heute präsentieren darf.
Sie zeigt ein Automobil, das von der vielleicht kurzlebigsten unter den einigermaßen bedeutenden Vorkriegsmarken im deutschen Sprachraum stammte. Wenn ich „Vorkrieg“ sage, ist hier wohlgemerkt die Zeit noch vor dem 1. Weltkrieg gemeint.
Schon 1913 endete nämlich die Geschichte des Herstellers, obwohl dessen erster Wagen erst 1908 präsentiert worden war.
Das versetzt mich in die komfortable Lage, den auf dem folgenden Foto zu sehenden Tourer auf das Jahr genau datieren zu können – und das obwohl ich in der wenigen vorliegenden Literatur kein einziges Bild dazu finden konnte:

Wenn Sie sich vom „Fund des Monats“ mehr Qualität erwartet haben, dann sei Ihnen gesagt:
Das Originalfoto habe ich in etwa dem desaströsen Zustand übernommen wie meine Oldtimerhalle – selbst mit deutlich erkennbaren oberflächlichen Retuschen stellt sich die Aufnahme hier weit besser da als das Ausgangsmaterial.
Außerdem werden wir noch einmal auf das Thema Qualität zurückkommen, wenn es um die Eingrenzung des Typs eingehen, also bleiben Sie dran.
Zur zeitlichen Einordnung sei unabhängig vom Hersteller bemerkt, dass die trommelförmigen Gasscheinwerfer bei einem Wagen dieser Größe auf ein Modell vor 1920 bzw. vor dem 1. Weltkrieg hindeuten. Denn spätestens ab 1919 waren elektrische Scheinwerfer bei Fahrzeugen der gehobenen Klasse serienmäßig und viele Hersteller boten schon ab 1913/14 zumindest optional elektrische Beleuchtung an.
Dass dieses Exemplar aber nicht lange vor dem 1. Weltkrieg entstanden sein kann, dafür spricht ein weiteres Detail – die horizontale Linie von Motorhaube und anschließendem Windlauf, also der Blechpartie vor der Windschutzscheibe:
Bis etwa 1912 wies der Windlauf in den allermeisten Fällen noch einen steileren Winkel als die Haube auf und war so als eigenständiges Gestaltungselement erkennbar.
1913/14 dagegen wurde bei Fabrikaten aus dem deutschen Sprachraum die durchgehend gerade Linie der beiden Bauteile Standard, die wir auch noch heute an unseren Autos finden – sofern die Motorhaube nicht gleich bis an die Frontscheibe reicht.
Damit wäre der heute gezeigte Wagen bereits auf zwei Jahre genau datiert, ohne auch nur den Hersteller bestimmt zu haben.
Auch das erledigen wir noch entspannt im Vorübergehen. Dazu neigen wir den Kopf um etwa 45 Grad nach rechts und nehmen die Nabenkappe des Vorderrads in Augenschein.
Lesen Sie dort dieselben drei Buchstaben wie ich? Gut, dann haben Sie jetzt einen Wagen der „Reichenberger Automobil-Fabrik“ entdeckt – die unter dem Kürzel „RAF“ firmierte.
Das war zu einer Zeit, als die Buchstabenkombination weder durch den bis in die letzten Kriegstage anhaltenden Bombenkrieg der britischen Royal Air Force noch durch die Mordgesellen der bundesdeutschen Terrororganisation RAF kontaminiert war.
Die RAF, von der hier die Rede ist, war 1907 in Nordböhmen gegründet worden, das damals noch zum Österreichisch-Ungarischen Reich gehörte – für mich einer der bemerkenswertesten Vielvölkerstaaten der europäischen Geschichte.
Die Reichenberger Automobil-Fabrik war mit dem 30 PS leistenden Vierzylindertyp in der gehobenen Mittelklasse eingestiegen, erweiterte dann aber das Angebot sowohl nach oben wie nach unten.
Den Erstling von 1908 hatte ich übrigens vor fast 5 Jahren hier präsentiert, schon damals als Fund des Monats.
Ab 1912 baute RAF auch Wagen mit ventillosen Motoren nach amerikanischem „Knight“-Patent. Diese besonders laufruhigen Aggregate mit Steuerung des Gaswechsels über Hülsenschieber waren nach einer Quelle mit 40 und sogar 70 PS verfügbar.
Zumindest die 40 PS-Version findet sich in der Literatur auch andernorts erwähnt. Die wenigen Abbildungen von RAF-Wagen (vor allem: „Pioniere des Automobils an der Neiße“, Zittauer Geschichtsblätter Nr. 48.) enden 1912 und zeigen durchweg Fahrzeuge mit gegenüber der Motorhaube deutlich steilerem Windlauf..
Da die Marke 1913 von Laurin & Klement übernommen wurde und danach nicht mehr als eigenständiger Hesteller in Erscheinung trat, bleibt aus meiner Sicht nur die Datierung des heutigen Funds des Monats auf genau 1913.
Die Dimensionen des Wagens sprechen gegen die schwächeren Typen (beginnend mit 20 PS). Ich nehme an, dass wir hier eines der RAF-Modelle mit mindestens 40 PS starkem Schiebermotor nach Knight-Patent sehen.
Das wäre ein würdiger Abschluss der kurzen Historie dieses böhmischen Hestellers, zumal da die Übernahme durch den noch weiter oben angesiedelten Konkurrenten Laurin & Klement als Qualitätssiegel verstanden werden darf.
Damit entlasse ich Sie für heute. Ich stelle gerade fest, dass ich jetzt erstmals genügend Aufnahmen von RAF-Automobilen in meinem Fundus habe, um eine eigene Markengalerie eröffnen zu können.
Man sieht wieder einmal: der von allerlei Bedenkenträgern seit Menschengedenken geschmähte Fortschritt ist eine großartige Sache – sogar die Vergangenheit vermag davon zu profitieren, sofern sich jemand ihrer annimmt…
Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.