Fund des Jahres: Ein Bolle & Fiedler Rennwagen

Was der Fund des Jahres 2023 in meinem Blog werden würde, das wusste lange vor mir der Einsender des Fotos, welches ich heute präsentieren darf.

Ich habe zwar selbst noch einiges in petto und auch von der handvoll von Getreuen, die mich bei diesem Projekt unermüdlich unterstützen, liegt mir noch jede Menge herausragendes Material vor.

Doch zum gegenwärtigen Zeitpunkt muss ich feststellen, dass sich nichts besser als krönender Abschluss eines weiteren Jahres der Bloggerei rund um Vorkriegsautos auf alten Fotos eignet als die Aufnahme, welche mir Jörg Pielmann in digitaler Form zur Verfügung gestellt hat.

Ich hatte seine Nachricht zwischenzeitlich wohlwollend zur Kenntnis genommen, dachte aber, dass sich vielleicht noch etwas anderes findet. Weit gefehlt. Was das abgebildete Fahrzeug betrifft, die Aufnahmesituation, die Qualität des Abzugs und nicht zuletzt die Charaktere, die darauf zu sehen sind, muss man konstatieren: Besser geht’s nicht!

Dabei haben wir es gerade nicht mit einer umwerfend gestylten Sonderkarosserie auf Basis eines allerseits gefeierten Luxusautomobils zu tun, umgeben von schönen Frauen, Playboys oder berühmten Zeitgenossen.

Nein, das Auto ist ein winziges Gefährt, welches um die Mitte der 1920er Jahre in wenigen Exemplaren entstand, von denen vermutlich keines wie das andere aussah. Es war weder erfolgreich, noch in irgendeiner Form einflussreich, was die weitere Entwicklung angeht.

Doch es war Ausdruck des Zeitgeistes im Deutschland jener Jahre, als unzählige Konstrukteure, Abenteurer und Geschäftsleute versuchten, mit selbstentwickelten Automobilen in der kleinen Hubraumklasse einen Erfolg zu landen.

Praktisch alle scheiterten, da die Marktverhältnisse damals keine rentable Produktion individueller Manufakturwagen erlaubten. Da halfen auch Sporteinsätze wenig – vor allem dann nicht, wenn sie nicht von Siegen gekrönt waren wie im vorliegenden Fall.

Dennoch verdient speziell das Unterfangen der Berliner Unternehmer Bolle & Fiedler unsere unbedingte Sympathie, brachten sie doch ein Gefährt hervor, welches an zumindest optischer Rasanz in seiner Klasse seinerzeit schwer zu überbieten war.

Mit einem selbstentwickelten Zweitaktmotor ausgestattet trat der zigarrenförmige Monoposto bei einer Reihe von Rennveranstaltungen ein, erstmals vor 100 Jahren auf der Berliner AVUS-Rennbahn. Die umfangreichste Dokumentation dieser Aktvivitäten findet sich nach meinem Kenntnisstand übrigens auf der Website von Claus Wulff (Berlin).

Dort finden sich auch alle Informationen, welche eine zuverlässige Ansprache des nachfolgend abgebildeten Renngeräts als Bolle & Fiedler erlauben:

Bolle & Fiedler Rennwagen; Originalfoto: Sammlung Jörg Pielmann

Dieses Dokument ist in vielerlei Hinsicht ein echter Knaller zum Jahreswechsel. Das Auto selbst und die Aufnahmesituation lassen – obwohl nur in schwarz-weiß – noch das bunteste Feuerwerk verblassen.

Der erste Showeffekt ist der ovale Kühler mit dem BFA-Emblem, von welchem Claus Wulff sogar ein Original besitzt – sicher ein Kronjuwel in seiner bedeutenden Sammlung.

Die zweite Stufe wird dann mit der präzisen Wiedergabe der Vorderradaufhängung gezündet, welche ich so noch nirgends gesehen habe. Wohlwissend, dass ich einige echte Fachleute in der Hinsicht zu meinen geschätzten Leser zähle, will ich dennoch eine Interpretation dieser verwegenen Konstruktion versuchen:

Im Unterschied zu Bolle & Fiedler-Rennwagen auf anderen Fotos ist hier die Vorderachse nicht unterhalb des Chassisrahmens aufgehängt, sondern kann sich an zwei (kaum sichtbaren) Längsblattfedern frei auf und ab bewegen. Man erkennt nur die zwei Montagepunkte der Federn an der Vorderachse.

Während die ungebremsten Vorderräder jeweils über vertikale Stoßdämpfer verfügen – ob hydraulisch oder federgedämpft sei dahingestellt – besitzt die Vorderachse über eine hochinteressante Zusatzdämpfung in der Mitte vor dem Kühler.

Ich interpretiere diese Vorrichtung laienhaft und entsprechend kühn wie folgt: Die vertikale Bewegung der Vorderachse wird über einen in Achsmitte angebrachten Mechanismus gedämpft. Dieser ist über zwei waagerechte Hebelarme mit dem Rahmen beiderseits des Kühlers verbunden.

Was sich an den dortigen Anlenkpunkten befindet, ist die Frage. Ich denke an in Wagenlängsachse angebrachte Torsionsstäbe – also in sich verwindbare Stahlelemente, welche durch ihre innere Reibung die benötigte Dämpfung bewirken.

Ob ich damit annähernd richtig liege, oder ob diese Konstruktion ganz anders zu interpretieren ist, das überlasse ich sachkundigeren Lesern.

Jedenfalls scheint man damit ein fahrwerksseitiges Experiment unternommen zu haben, welches am eigentlichen Problem des Wagens vorbeiging – der mangelnden Standfestigkeit des Hochleistungsmotors.

Die Tragik der Bolle & Fiedler-Rennwagen lag offenbar darin, dass man die Belastungen des Motors im Einsatz nicht beherrschte. Ambition und Können lagen offenbar zu weit auseinander – da half aller Heroismus nicht, welcher hier zum Ausdruck kommt:

Mir gefallen diese drei prachtvollen Individuen ganz ausgezeichnet – wo gibt es heute solche Typen heute noch und wenn es sie gibt: womit beschäftigen sie sich?

Links haben wir den drahtigen Rennfahrer, der sich vorwiegend von Zigaretten „ernährt“ und so sein Bestes gibt, das Leistungsgewicht seines Fahrzeugs weiter zu optimieren.

Daneben findet sich sein wackerer Beifahrer oder Mechanikus, der sich gewiss nicht scheut, eine Nachtschicht einzulegen, um das Auto zu reparieren oder weiter zu verbessern.

Der asketische Herr rechts außen könnte ein Finanzier des Unternehmens sein – vielleicht ein Ästhet, der sich in der Unterstützung eines heroischen kleinen Rennstalls gefällt. Ich könnte ihn mir gut als Weltkriegsoffizier vorstellen, der einiges (üb)erlebt hat.

Nicht minder faszinierend finde ich die drei Herren auf der anderen Seite – jeder von ihnen ein filmreifer Typ – und man fragt sich, was es mit ihnen auf sich hat:

Den Brillenträger in der Mitte würde ich spontan als einen der intellektuellen Köpfe des Unternehmens ansprechen – zumindest würde ich ihm die Konstruktionsleistung zutrauen.

Der Typ rechts mit der Ballonmütze und dem Schnauzbart wirkt auf mich wie ein eher zufälliger Gast in dieser Situation. Vielleicht tue ich ihm auch unrecht und er erscheint bloß etwas schüchtern, hat aber faktisch erheblichen Anteil an dem Projekt.

Besonders gut gefällt mir auf diesem Ausschnitt der Herr links außen – er hat seine Vorbilder aus Film und Theater studiert und macht hier einen gleichermaßen lässigen wie ein wenig zwielichtigen Eindruck.

Welche Rolle könnte er in diesem mutmaßlichen Team gespielt haben, welches sich einst mit dem Bolle & Fiedler hatte ablichten lassen?

Diese und alle übrigen offenen Fragen überlasse ich gern Ihnen, liebe Leser. Auch im Neuen Jahr hoffe ich darauf, dass Sie meine subjektiven Porträts von Vorkriegsautos unterhaltsam finden, sie gegebenenfalls sachkundig ergänzen oder auch korrigieren.

Ganz gleich, was auch sonst geschehen mag – für Betrachtungen wie die heutige wird es immer Gelegenheit geben und ein jeder möge daraus ein wenig für sich und seinen inneren Frieden mitnehmen.

Dabei sind wir unserer Zeit immer um rund 100 Jahre hinterher und das scheint mir ein guter Abstand zu sein, um die einer andere Erkenntnis in Bezug auf das Hier und Jetzt ziehen zu können. In diesem Sinne wünsche ich ein gutes Neues Jahr 2024!

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including
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