Die Römer sind zurück! Ein Lancia Dilambda in Koblenz

Keine Sorge – ich verbreite keine Angst vor fremden Besatzern – diese Paranoia überlasse ich anderen. Im Gegenteil, ich heiße heute augenzwinkernd eine neuerliche Invasion derer gut, die dafür sorgten, dass Teile Deutschlands für rund 400 Jahre Teil des römischen Reichs waren.

Am längsten hielt sich die Kultur der Römer – die nicht an Herkunft oder Ethnien, sondern „nur“ an Bürgerrecht und Lebensweise gebunden war – im Rheinland.

Wer verstehen will, warum die Leute dort anders sind, der muss 2000 Jahre zurückgehen. Damals wurden in der Region unsere ältesten Städte gegründet, eine davon – das heute eher provinzielle Trier – brachte es sogar zeitweise zur Hauptstadt des Imperiums.

Ebenfalls an der Mosel, am Zusammmenfluss mit dem Rhein, gründeten die Römer um Christi Geburt das an Alter damit konkurrierende Koblenz. Die Ansiedlung erhielt den Namen „castellum ad confluentes„, was den Zusammenfluss der beiden Ströme bezeichnet.

Wenn der römische Name bis heute in einem Stadtnamen fortlebt, dann ist das stets ein Hinweis auf Siedlungskontinuität über den Zusammenbruch der durch endlose Barbareneinfälle überforderten römischen Verwaltungs- und Wirtschaftstrukturen im 5. Jh n. Chr. hinaus.

So erlosch zwar auch in Koblenz nach über 400 Jahren das Licht mediterraner Zivilisation, doch das Stadtgebiet war weiterhin, wenn auch bescheiden, bewohnt.

Wie bei allen römischen Stadgründungen blieb die strategische Lage in wirtschaftlicher wie militärischer Hinsicht über die Zeiten herausragend. Deutlich wird dies beispielsweise an der Geschichte der Koblenzer Festung Ehrenbreitstein, die ebenfalls rund 400 Jahre umfasst.

Die Reste der Anlage davon zeichnen sich im Hintergrund auf dieser Aufnahme aus den 1930er Jahren gegenüber der Moselmündung ab – dort, wo sich das „Deutsche Eck“ befindet, damals wie heute ein beliebter Ausflugsort:

Vorkriegsautos am Deutschen Eck in Koblenz; Original: Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme lässt sich zeitlich recht genau eingrenzen. Denn die beiden jüngsten Fahrzeuge, die darauf zu sehen sind, wurden erstmals 1935 bzw. 1936 angeboten.

Praktischerweise sind sie hier in der ersten Reihe zu sehen und es mag sein, dass der unbekannte Fotograf dieser Aufnahme die beiden modernsten Wagen bewusst in den Vordergrund seine Komposition rückte.

Natürlich nimmt man zunächst den BMW in der Mitte war, dessen markante Kühlerfront ihn damals unter all den Autos mit mehr oder minder konventioneller Gestaltung hervorstechen ließ. Ich würde ihn als Modell 326 ansprechen, welches ab 1936 angeboten wurde.

Nur ein Jahr zuvor war der Wanderer links neben ihm, der hier eher altbacken wirkt. Das liegt aber auch ein wenig am voluminösen Aufbau als sechsfenstriger Pullman-Limousine:

Warum bei dem BMW die untere Reihe der normalerweise doppelt ausgeführten Stoßstangen fehlt, kann ich nicht sagen. Vielleicht empfand der Besitzer sie als optisch störend, was nachvollziehbar ist.

Nachtrag: Beim Blättern in der Literatur stieß ich auf den BMW 329, der bis auf die Stoßstange fast so aussah wie der 326, aber noch den schwächeren Motor des alten BMW 319 hatte.

Letztlich dürfen wir davon ausgehen, dass diese Situation kurz vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs für die Nachwelt festgehalten wurde. So hübsch die Situation auch erscheint, wird sie richtig interessant aber erst durch die Anwesenheit eines unerwarteten Gasts.

Ganz rechts am Bildrand ist nämlich eine monumentale Limousine der Oberklasse zu sehen, welche den Anlass zum Titel des heutigen Blog-Eintrags lieferte:

„Die Römer sind zurück!“ – das trifft hier im buchstäblichen Sinn zu. Das Auto selbst stammt zwar nicht aus der italienischen Kapitale selbst, sondern aus dem weiter nördlich am Fuß der Alpen gelegenen Turin. Es handelt sich nämlich um einen Lancia.

Das war bereits mein erster Gedanke, als ich das Kühleremblem sah. Nur der genaue Typ bedurfte noch einer kurzen Recherche. Nach dem Erfolg des sensationell modernen „Lambda“ wollte man ein Luxusauto im amerikanischen Stil anbieten, welches sich durch einen völlig neuen, relativ hochdrehenden V8-Motor mit 100 PS auszeichnete.

Zwar glich äußerlich kaum eines dieser ab 1929 unter dem Namen „Dilambda“ gebauten Autos dem anderem. Doch ein Detail verrät, dass wir es bei dieser für Lancia eher konventionell dahekommenden Limousine ebenfalls mit einem „Dilambda“ zu tun haben.

Betrachtet man nämlich die Scheinwerfer, stellt man fest, dass sie nicht ganz rund sind, sondern eher einem abgerundeten Dreieck nachgeformt sind, wobei eine „Spitze“ nach unten zeigt. Dieses eigenwillige Detail ist ein sicherer Hinweis auf einen Dilambda:

Auch wenn es hier kaum zu erkennen ist, so trägt dieser Wagen ein italienisches Kennzeichen, bei dem der Name der Hauptstadt „Roma“ im Unterschied zu späteren Konvention hinter der Ziffernfolge steht.

Dass es sich tatsächlich um Reisende aus Rom handelt, wurde mir in einer einschlägigen Gruppe von Enthusiasten für italienische Vorkriegswagen bestätigt. Ein bemerkenswerter Fund, finde ich.

Was die Römer mit ihrem mächtigen Dilambda wohl in Koblenz verloren hatten, fragt man sich. Leider sind sie damals nicht dauerhaft geblieben, obwohl sie reichlich Gepäck dabeihatten.

So mag mancher einige ihrer Errungenschaften – robuste Grenzsicherung, dauerhafte Straßen und Brücken, großartige Kunstwerke im öffentlichen Raum, von großer Rationalität geprägtes Rechtssystem, kleiner, aber hocheffizienter Beamtenapparat, weitgehend freies Wirtschaften und erfolgreiche Integration verschiedenster Völkerschaften in einer Hochkultur mit klarem Führungsanspruch – heute schmerzlich vermissen und das nicht nur in Koblenz.

„Sic transit gloria mundi.“ – frei übertragen: „Nichts Großes ist von Dauer.“ Immerhin die majestätischen Dilambdas haben in etlichen Exemplaren die Stürme der Zeiten überdauert, welche auf diese Aufnahme folgten. Aber mehr als dieser Trost, heute reine Verwalter eines grandiosen Erbes zu sein, bleibt uns wohl nicht…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Wo bleibt das Positiv(e)? Ein Lancia „Astura“!

Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten – das war schon früh das Motto der Zeitungsleute, später haben sich die Fernsehfritzen als würdige Nachfolger erwiesen.

Im Internetzeitalter kommen zwei Dinge hinzu: Erstens ist es so leicht wie nie, Bilder und Berichte von Kriegen und Katastrophen aus aller Welt zu servieren. Und zweitens lassen sich die seit dem Ersten Weltkrieg erprobten Mittel der Propaganda auf immer raffiniertere Weise in den Alltag der Leute schmuggeln.

Die Techniken der Manipulation – Stichworte: Framing, Nudging und das besonders perfide Gaslighting – werden von interessierter Seite auf immer mehr Lebensbereiche angewandt. Einen großangelegten Feldversuch gab es vor nicht allzulanger Zeit, viele haben ihn leider erst im nachhinein oder gar nicht bemerkt.

Das ständige Füttern mit schlechten Nachrichten, das Schüren von Ängsten, das Zeichnen von Untergangsszenarien erklärt nach meiner Auffassung als Hobby-Psychologe eine zunehmend zu beobachtende Zermürbung, Zerrüttung und Ermüdung.

Dem lässt sich freilich etwas entgegensetzen, nämlich die Verweigerung manipulativer Medienangebote und die bewusste Auseinandersetzung mit den schönen und großartigen Dingen, die es ja auch gibt bzw. gab.

Dem von außen auferlegten Kult des Negativen und der über kurz oder lang damit einhergehenden Ermattung und Verzweiflung gilt es zu entrinnen – indem man in seinem Alltag dem Positiven die Hauptrolle gönnt.

Eine Anleitung, wie man aus der Negativsicht auf die Welt eine Positiverfahrung macht, das will ich heute vorführen. Sie vermuten völlig richtig, dass ich das anhand eines alten Automobilfotos tun werde.

Wer noch die gute alte Analogfotografie praktiziert hat, der weiß, dass auch die erbaulichste Aufnahme ihren Anfang unweigerlich in einem Negativbild nimmt. Das musste so sein, weil beim Belichten des verwendeten Films unterschiedlich helle Partien des Motivs genau umgekehrt festgehalten werden, wie wir sie wahrnehmen.

Das Ergebnis ist oft verstörend, doch zum Glück lässt sich aus jedem Negativ anschließend ein positives Konterfei fabrizieren. Probieren wir es einfach anhand dieses Fundstücks:

Lancia Astura; originales Negativ aus Sammlung Michael Schlenger

Tatsächlich war es um die Qualität dieses alten Negativs weit schlechter bestellt, als es obige Version ahnen lässt. Belichtung und Kontrast ließen arg zu wünschen übrig.

Trotzdem erwarb ich das alte Dokument im achtbaren Format 9×6 cm, da ich neben dem 50er Jahre-Omnibus schemenhaft ein Auto der 1930er Jahre registrierte.

Zwar habe ich bei obiger Wiedergabe des Negativs schon kräftig nachgeholfen, dennoch bin ich sicher, dass Sie die große Limousine nicht auf Anhieb identifizieren können.

Ein wenig erinnerte der Wagen an die BMW-Modelle 326, 327 und 328, was an sich schon ein hübsches Ergebnis wäre. Die weitere Auseinandersetzung sollte aber eine noch positivere Überraschung zeitigen.

Lassen wir also das Negativ(e) hinter uns und beschränken uns im Folgenden ganz auf die Positivsicht dieser leicht verwackelt festgehaltenen Situation:

Lancia Astura; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Na, sieht die Welt hier nicht gleich viel freundlicher und einladender aus?

Die Schirmpinien lassen einen an Italien als Aufnahmeort denken – schon deshalb ist das Gemüt spontan heiter gestimmt. Der Omnibus am rechten Bildrand – ich tippe hier auf einen Fiat – könnte die Dame und ihren Fotografen auf einer Reise im Süden transportiert haben.

Der Ort lässt sich nicht näher eingrenzen – im Hintergrund sieht man bloß eine leicht ansteigende Straße, auf der rechts neben der Dame mit etwas gutem Willen eine Vespa zu erkennen ist.

Unser Interesse gilt aber natürlich der großzügigen Limousine mit schrägstehendem Kühler, sehr großen Radkappen auf Lochfelgen und ungewöhnlich gestalteten Luftauslässen in der Motorhaube.

Zunächst dachte ich an ein US-Fabrikat der zweiten Hälfte der 1930er Jahre und ging die bekanntesten Marken durch – Fehlanzeige. Doch dann brachte mich irgendetwas an der Linienführung dazu, es mit dem italienischen Hersteller Lancia zu versuchen.

Und obwohl von den Oberklassemodellen dieses Fabrikats in den 30ern kaum ein Wagen aussah wie der andere, wurde ich beim Achtzylindermodell „Astura“ von 1936 fündig.

Der Entwurf zu diesem Fahrzeug stammte zwar von 1931, doch der feine V8-Motor mit obenliegender Nockenwelle und anfänglich gut 70, später 80 PS war auch einige Jahre später noch auf der Höhe der Zeit.

Mit Spitzengeschwindigkeiten zwischen 120 und 130 km/h war der Lancia „Astura“ ideal geeignet für die italienischen Autobahnen, von denen die erste bereits in den 1920er Jahren entstanden war.

Die Aufbauten kamen meist von renommierten Carossiers wie Pinin Farina und waren speziell bei den Coupés und Cabriolets von großer Eleganz.

Der „Astura“ auf unserem Negativ-Beispiel war zwar nur eine Limousine, aber dafür bietet er das Positive, dass ein weitgehend übereinstimmendes Exemplar mit Pinin Farina-Aufbau noch existiert, nämlich im faszinierenden Museum Nicolis bei Verona:

Lancia „Astura“ Berlina Gran Sport von 1936; Originalfoto: Museo Nicolis

Wenn Sie dieses Positiv-Erlebniss vertiefen wollen, dann können Sie das in der 43 Fotos umfassenden Bildergalerie dieses speziellen Exemplars tun.

Dort macht man intensive Bekanntschaft mit der großartigen Ästhetik dieser an Krisen und sich anbahnenden Katastrophen so reichen Zeit.

Man kann sich dabei in der Betrachtung eines Haubenfeststellers oder Aschenbechers beispielsweise verlieren. Diese gestalterische Qualität wurde später nie wieder erreicht und verdeutlicht, weshalb Vorkriegswagen so speziell sind.

Auch wenn man der Ansicht ist, dass die Gegenwart in dieser Hinsicht kaum noch etwas zu bieten hat, wollen wir uns einer Negativsicht verweigern und stattdessen dem Positiven an unserer Zeit huldigen – nämlich dass diese herrlichen Schöpfungen und viele schöne andere Dinge von Menschenhand uns heute so leicht zugänglich sind wie nie zuvor.

An den Schattenseiten können wir meist wenig ändern – sich einseitig damit zu befassen, macht düster, depressiv und destruktiv. Fragen wir also bei allen/m Negativen also immer auch: Wo ist das Positiv(e)?

Im Zweifelsfall finden Sie hier in meinem Blog das Gegenbild, die Ablenkung und Erbauung, die man braucht, um sich nicht verrückt machen zu lassen…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ideal in allen Lebenslagen: Lancia Lambda

Kleines Gedankenexperiment: Wenn man sich entscheiden müsste zwischen seinem modernen Alltagsauto und einem Vorkriegswagen – einem für alle Tage und für’s ganze Leben – was würde man wählen, wenn man das Auto frei Haus geliefert bekäme?

Nun, die Opel-Freunde würden wohl dem Kapitän den Vorzug geben, die Mercedes-Leute dem 230er, die Ford-Fraktion dem V8 und die BMW-Bewegten dem 327. In Frankreich wäre Citroens Traction Avant die erste Wahl, bei den Briten ein Jaguar MkIV usw.

Jedenfalls fände ich es naheliegend, wenn etwas in der Richtung herauskäme.

Drei Dinge fallen dabei auf. Erstens: Alle genannten Fahrzeuge stammen aus den 1930er Jahren und wurden auch nach dem 2. Weltkrieg mehr oder weniger unverändert gebaut. Zweitens ist kein vollkommen exotisches Modell dabei und drittens fehlt etwas aus Italien.

Das habe ich mir natürlich so zurechtgelegt, denn mein persönlicher Favorit wäre genau so etwas: Bereits rund 100 Jahre alt, technisch und formal höchst außergewöhnlich, und dann noch aus dem Land, in dem die Zitronen blüh’n.

Die Rede ist vom Lancia Lambda – sicher eines der innovativsten Autos, die je gebaut wurden, und zugleich eines von meisterhafter Gestaltung.

Lancia Lambda; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Ich erspare Ihnen jetzt die x-te Aufzählung der technischen Meriten, welche diesen Wagen auszeichneten. Darauf bin ich bereits in früheren Porträts dieser automobilen Großtat eingegangen.

Viel interessanter ist, wie ich zu meinem Urteil gelangt bin, dass ausgerechnet der Lancia Lambda – noch dazu in offener Ausführung wie oben – für mich das ideale Alltagsauto der Vorkriegszeit wäre.

Die im Unterschied zu mir ingenieursmäßig Begabten unter meinen Lesern werden jetzt vermutlich schlucken, denn es war ganz einfach: Ich habe mir einfach noch ein paar mehr alte Bilder von dem Wagen angesehen.

Gestern abend habe ich einige Zeit damit zugebracht, diese mir von Leser H.-G. Becker in digitaler Kopie übermittelten Aufnahmen einigermaßen präsentabel zu machen.

Dabei habe ich über den Lancia Lambda selbst zwar nichts Neues gelernt. Die Fotos haben mich aber eines begreifen lassen: Mit diesem Auto konnte man alles machen und in allen Lebenslagen die reine Freude am Dasein mit und auf vier Rädern erleben.

Wie sich diese Erkenntnis allmählich, unaufhaltsam und überwältigend breitmacht, daran möchte ich Sie heute teilhaben lassen.

Beginnen wir passend zur Jahreszeit an einem Wintermorgen irgendwo im deutschen Mitttelgebirge. Wir treten aus der Tür des Hotels und rufen aus: „Juhuh, es hat geschneit!“:

Lancia Lambda; Originalfoto bereitgestellt von H.G. Becker

Wir schieben den Schnee vom Verdeck, legen es herunter und beginnen rundherum etwas Platz zu schaffen, damit wir nicht gleich mit nassen Schuhen einsteigen.

Denn natürlich fahren wir offen solange es keinen neuen Niederschlag gibt, so hat der Fahrer den besseren Blick auf die Straße und der Beifahrer hat mehr von der Landschaft.

Eine Heizung gibt es nicht, doch Motor und Getriebe geben nach einer Weile Fahrt reichlich Wärme in den Fußraum ab, ansonsten braucht es dicke Kleidung und ein dickes Fell.

Wie man sieht, herrscht daran kein Mangel:

Lancia Lambda; Originalfoto bereitgestellt von H.G. Becker

Unsere Beifahrerin hat sich heroisch entschieden, auch die seitlichen Steckscheiben zu entfernen – nun ist alles im Heck verstaut und mit einer Persenning abgedeckt.

Für etwas zusätzliche Wärme sorgt ein dritter Passagier, der sich hier noch etwas schüchtern gibt.

Gestartet sind wir mit den aufgezogenen Schneeketten, haben den Motor warmgefahren, wobei die Jalousie der über den Kühler gezogenen Abdeckung anfänglich noch weitgehend geschlossen war, damit sich das Wasser schneller aufheizt.

Jetzt haben wir die Jalousie nach oben gerollt und gleich werden wir die Schneeketten abmontieren. Denn nun sind Straßen mit besseren Verhältnissen in Sicht.

Noch schnell ein Schnappschuss, bevor es im Sonnenschein weitergeht – inzwischen ist auch Lumpi wach und voller Tatendrang:

Lancia Lambda; Originalfoto bereitgestellt von H.G. Becker

Nun geht es durch tief eingeschnittene Täler bergab, der Schnee wird weniger und bald ist man wieder in ebenem Gelände.

Bis zur Stadt ist es noch eine Weile, doch der Winterurlaub neigt sich unweigerlich dem Ende zu, bald hat einen der Alltag wieder. Immerhin hat sich der erst ein paar Monate alte Lancia auf das Schönste bewährt.

Die Straßenlage war unter allen Bedingungen ausgezeichnet, die Einzelradaufhängung und die hydraulischen Stoßdämpfer sorgen jederzeit für sicheren Fahrbahnkontakt und ausgezeichnete Lenkbarkeit.

Auch längere Abwärtsfahrten mit häufigem Bremseinsatz sind dank der mächtigen Vorderradbremsen souverän zu bewältigen. Nicht zuletzt sorgt die unerhört flache Bauweise des Lancias überall für Bewunderung – kein deutscher Hersteller bot vor 100 Jahren einen vollwertigen Tourenwagen dieser Leistungsklasse mit so niedriger Silhouette an.

Ein letztes Erinnerungsfoto und es geht heim:

Lancia Lambda; Originalfoto bereitgestellt von H.G. Becker

Viele Wochen später findet sich wieder Gelegenheit, ein verlängertes Wochenende zu einer gepflegten Landpartie mit dem Automobil zu nutzen.

Der Lancia bekommt vorher einen kompletten Schmierdienst, der lässt sich zuhause erledigen oder man lässt das den Tankwart des Vertrauens machen.

Sicher ist sicher, sagt sich jedoch der überzeugte Lancista und macht sich selbst in der Garage ans Werk. Dabei macht er eine überraschende Entdeckung: Einer der Reifen ist fast ganz platt – offenbar haben wir bei der letzten Fahrt gegen Ende einen Nagel eingesammelt.

Auch in solchen Lebenslagen heißt es: selbst ist der Mann und assistiert von Lumpi ist der Defekt nach einer Weile behoben:

Lancia Lambda; Originalfoto bereitgestellt von H.G. Becker

Man sieht: Der Besitz eines solchen Ausnahmeautomobils erfordert bisweilen außerordentlichen Einsatz. Doch ein Mann sollte solche Sachen können, denn wer sonst würde es denn machen, wenn das unterwegs passiert, die Beifahrerin etwa?

Nein, undenkbar für den Mann mit Stil, selbst wenn er weiß, dass „sie“ es kann.

Das Beladen des Wagens für die anstehende Tour ist ebenfalls einer Dame unwürdig, außerdem meint „er“, besonders planvoll dabei vorzugehen. So muss der Ölkanister eher griffbereit sein, während Koffer und Hutschachtel nach Passform einsortiert werden:

Lancia Lambda; Originalfoto bereitgestellt von H.G. Becker

Den Lancia selbst meistert unterwegs allerdings auch „sie“ – soviel ist klar. Wer ein solches Auto fährt, stellt auch bei der Wahl der Lebensgefährtin besondere Ansprüche.

Kochen muss sie nicht können, aber bei Benzingesprächen, Pannen und am Steuer mithalten, notfalls endlose Kilometer fressen, wenn es gilt, die letzte Fähre in Neapel zu erwischen, die einen nach Sizilien zur Targa Florio bringt – darauf kommt es an.

Hier „übt“ die bessere Hälfte scheinbar, aber diese Aufnahme ist nur dafür gedacht, die Schwestern zu ärgern, die zwar ebenfalls einen höheren Schulabschluss haben, aber sich bereits früh im Dasein als Ehefrau und Muttertier eingerichtet haben:

Lancia Lambda; Originalfoto bereitgestellt von H.G. Becker

Unterschätzen Sie diese Dame nicht, meine Herren, sie könnte ihnen den prächtigen Lancia öfter entführen, als Ihnen lieb sein kann (für den regelmäßig anstehenden Schmierdienst hat „sie“ merkwürdigerweise nie Zeit).

Aber jede gute Partnerschaft lebt von einer gesunden Arbeitsteilung und so kann „er“ sich auf ihre Fahrkompetenz ebenso unbedingt verlassen wie „sie“ sich auf seinen Orientierungssinn. Jedenfalls lässt sie ihn glauben, dass er darin unerreicht ist.

So kann es vorkommen, dass „sie“ mit bleischweren Pumps den Lancia dem Ziel entgegenfliegen lässt, „er“ dabei jedoch einen Abzweig übersieht.

Nun gilt es, einen Vorwand zu finden, dem Lancia eine Pause zu gönnen:

Meinst Du nicht auch, dass das Wasser etwas heißer wird als sonst? Lass‘ uns doch einmal da vorne halten, Lumpi muss sich ohnehin mal die Beine vertreten“.

Lancia Lambda; Originalfoto bereitgestellt von H.G. Becker

Während sie ungeduldig am Steuer ausharrt, geht Lumpi einem natürlichen Bedürfnis nach und „er“ schaut auf der Karte nach, ob es nicht demnächst eine „Abkürzung“ gebe, denn man habe nicht ganz die ideale Route genommen.

„Er“ sitzt heute ohnehin nur in der zweiten Reihe, denn eine alte Freundin hat sich als Beifahrerin eingefunden.

Sie hat es nicht ganz so gut getroffen in ihrem Leben, und es hat sie einige Überwindung gekostet, die Freundin zu fragen, ob man sie denn vielleicht einmal mitnehmen könne, sie würde auch für die Verpflegung unterwegs sorgen.

Für sie ist es die erste Fahrt im Automobil überhaupt und sie kann kaum fassen, wie ihr geschieht. Ein wenig fürchtet sie sich schon, als der Lancia auf langen Geraden in der Ebene immer schneller wird und sogar einen Eisenbahnzug überholt.

So schaut sie noch ein wenig kariert, als man beim Picknick an einem Waldsee ein Foto mit dem Selbstauslöser macht:

Lancia Lambda; Originalfoto bereitgestellt von H.G. Becker

Unser wackerer Lancista tut so, als würde er nichts bemerken, er hat gerade ein Bad im See genommen und sitzt nun mit leicht verrutschtem Mantel und Barett da wie ein Maler, der mit dem Kohlestift eine Skizze der Szenerie anfertigt.

Seine Gattin, die ihre Schuhe irgendwo ins Gras geworfen hat, lacht genau im richtigen Moment, als der Verschluss der Kamera auslöst. Die in diesen Dingen unerfahrene Freundin muss dagegen noch lernen, in solchen Situationen entspannt zu sein.

Unterdessen macht der Lancia nebenher „bella figura“ – selbst das Wenige, das man von ihm sieht, lässt seine besondere Klasse erkennen.

Dass der Lancia Lambda für alle Lebenslagen ideal geeignet und ausgestattet ist, wird auch auf dem folgenden Foto deutlich.

Damit ist weniger die nachgerüstete Stoßstange gemeint, sondern vielmehr das formidable Angebot an Sitzgelegenheiten, welche der Wagen dank seiner einzigartigen Linienführung bietet. Nur völlig ignorante Passanten nehmen das nicht bewundernd zur Kenntnis:

Stört es hier, dass der Abzug rechts oben stark beschädigt ist?

Nein, denn das Zentrum des Geschehens ist ganz links angesiedelt. Das Mienenspiel unserer beiden Lancisti ist einfach unbezahlbar – so sieht wahre Liebe aus!

Dann noch die frisch aufgegangenen Blüten im Gras vor dem Wagen – das kann man sich besser kaum ausdenken. Haben Sie bemerkt, wie die Fotos aus dieser bezaubernden kleinen Serie immer besser werden?

Nun, das hat nicht nur mit den abgebildeten Situationen zu tun, sondern auch damit, dass wir den Winter hinter uns gelassen haben und alles mit einem Mal von Sonnenlicht umspült und durchflutet erscheint – bei der damaligen Fototechnik wirkte sich das segensreich aus.

Am Ende steht eine Aufnahme, die noch einmal alles zusammenfasst, was die Faszination solcher Bilder eines Lancia Lambda ausmacht:

Die torpedohafte, für mich unerreichte Linie des Wagens, die Lebensfreude, die ein solches Wunderwerk seinen Besitzern (einschließlich Lumpi und der braven Freundin) bescherte, die einzigartige Architektur von Vorkriegsautos, die überhaupt erst eine solche Szenerie ermöglichte und nicht zuletzt die unauffällig arbeitende Spitzentechnologie des Lancia Lambda, die ihn zum idealen automobilen Begleiter in allen Lebenslagen machte:

Lancia Lambda; Originalfoto bereitgestellt von H.G. Becker

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Entdeckung eines Meisterwerks: Lancia Dilambda

Fotos von Vorkriegswagen bergen immer wieder Überraschungen, unabhängig von ihrer technischen Qualität. Daher greife ich gern zu, wenn für kleines Geld Aufnahmen zu haben sind, die zunächst wenig bis nichts erkennen lassen.

Hat man Glück, findet sich nach einigen „Restaurierungsarbeiten“ eine Perle wie diese – ein Adler „Trumpf“ Roadster, von dem bis heute kein zweites Stück aufgetaucht ist:

Adler „Trumpf“ Roadster; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Bei einer anderen Gelegenheit tritt nach endlosen Retuschen und Anpassungen an einem völlig verblichenen und zerkratzten Abzug unerwartet deutlich ein herrschaftliches Automobil mit enormer Manufakturkarosserie aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg hervor.

Um was es sich genau handelt, konnte ich noch nicht herausfinden, jedenfalls handelt es sich hierbei um originales Werksfoto der Firma „Lohner – Wiener Aeroplan und Carosserie Werke“:

unidentifizierte Chauffeur-Limousine von 1913/14; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Vorschläge hinsichtlich des Fabrikats werden übrigens gern angenommen (bitte Kommentarfunktion nutzen).

Es kann aber auch anders kommen: Da müht man sich mit einem stark mitgenommenen und schon bei Entstehung wohl nicht besonders hochwertigen Abzug ab in der Hoffnung auf eine hübsche Entdeckung – und was bekommt man?

Einen ordinären Cadillac von 1926, an dem das Ungewöhnlichste das gemusterte Kleid der neben dem Wagen posierenden Dame ist:

Cadillac Series 314, Modelljahr: 1926; Originalfoto: Michael Schlenger

Hatte ich den Cadillac gerade als „ordinär“ abqualifiziert? Dabei genießen doch speziell die ausgezeichneten US-Wagen der späten 1920er Jahre in meinem Blog die ihnen zukommende Wertschätzung.

Nun, diese Hochnäsigkeit erlaube ich mir heute mit gutem Grund.

Denn wie im Titel angekündigt, kann ich mit einem Fahrzeug aus derselben Epoche aufwarten, das im Vergleich zu den damals auch hierzulande gängigen Oberklasseautomobilen eine Klasse für sich darstellte.

Die Rede ist von dem Cabriolet auf der folgenden Aufnahme:

Lancia Dilambda Sport-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Toll, nicht wahr? Ein Meisterwerk – ohne Zweifel.

Es bedarf tatsächlich besonderer Könnerschaft, ein elegantes Sport-Cabriolet und seine Insassen dermaßen unglücklich abzulichten. Dabei haben Sie das Original noch nicht gesehen: Schief und verwackelt, ziemlich vergilbt – trotzdem hat es jemand aufgehoben.

Zum Glück wurde dieser Abzug zusammen mit einem weiteren angeboten, der allerdings zunächst auch nicht ahnen ließ, was darauf zu sehen ist.

Erst dieser Bildausschnitt lässt nach Bereinigung der schlimmsten Schäden erkennen, dass wir es mit einem besonderen Auto zu tun haben, wie ich es in meinem Blog noch nicht vorgestellt habe:

Lancia Dilambda Sport-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Gedrungen und nah am Boden kauernd, mit Drahtspeichenrädern und kräftig wirkender Bereifung steht der Wagen mit klassischer Kühlerform da.

Wer unter Ihnen, verehrte Leser, erkennt auf Anhieb, um was für ein meisterliches Automobil es sich handelt?

Sicher tippt der eine oder andere auf Lancia, denn das Kühleremblem erinnert trotz des vorgeblendeten Steinschlagschutzes an die Marke, die ab Anfang der 1920er Jahre legendären Ruf erlangte – mit dem wohl innovativsten Auto überhaupt: dem Lambda!

Vincenzo Lancias grandioser Wurf ist in meinem Blog bereits ausgiebig gefeiert worden, daher ist heute ein anderes seiner Meisterwerke an der Reihe.

Bei aller Genialität des Lambda erkannte man bei Lancia nämlich, dass man für den anvisierten Sprung in die Oberklasse zweierlei bieten musste:

Das eine war ein konventionelles Chassis, das gegenüber der selbstragenden Konstruktion des Lambda mehr Freiheiten für individuelle Aufbauten bot Das andere war ein Achtzylindermotor mit Leistung satt nach US-Vorbild.

Lancia ließ sich nicht lumpen und konstruierte für den ab 1928 gebauten Dilambda ein kompaktes V8-Aggregat, das die damals gängigen Reihenachtzylinder alt aussehen ließ.

Nehmen wir zum Vergleich den ikonischen Achtzylinder des Horch 350 vom Ende der 20er: Aus 3.950 ccm schöpfte der hochfeine, kultivierte Motor 80 PS – genug für Tempo 100 km/h.

Lancias Dilambda leistete bei gleichem Hubraum enorme 100 PS und der Wagen lief zwischen 120 und 130 km/h Spitze. Immerhin gab es damals in Italien auch schon die erste Autobahn der Welt, wo man das ausfahren konnte – wenn man wollte.

Wie auch die Alfas jener Zeit war ein solcher Lancia Dilambda ein Fahrzeug für Gourmets, denen deutsche Wagen oft zu wuchtig und schwerfällig waren. Die auch optisch sportlich wirkenden Fahrzeuge fanden in England guten Absatz, wo man diesen Stil schätzte.

So verwundert es nicht, dass das aus meiner Sicht beste Buch über klassische Lancias von einem Engländer verfasst und mit vielen Bildern englischer Exemplare illustriert wurde: Michael Frostick, Lancia, Verlag: Dalton Watson, 1976.

Für Hinweise auf hochwertige Lancia-Bücher aus jüngerer Zeit bin ich dankbar – mir scheint aber die deutsche Automobilschreiberzunft auch hier eher gehemmt zu sein.

Knapp 1.700 Lancias des Typs Dilambda wurden bis Anfang der 1930er Jahre gebaut und erfreuen sich bei Kennern international großer Wertschätzung.

Was aus dem heute gezeigten Sport-Cabriolet wurde, das einst in Mecklenburg zugelassen war? Vielleicht hat es den Krieg überstanden und wurde dann von den Besatzern einkassiert oder später ins Ausland verkauft.

Es würde mich wundern, wenn es noch hierzulande existierte – dabei wäre es großartig, ein solches Meisterwerk auf einer der raren deutschen Vorkriegsveranstaltungen zu entdecken.

Übrigens: Das abgebildete Auto ähnelt stark einem Sport-Cabriolet von Pinin Farina, welches im erwähnten Lancia-Opus auf Seite 49 abgebildet ist. Das Karosseriemblem entspricht aber nicht dem damals üblichen der Manufaktur. Was sagen die Experten?

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Autobahntempo schon 1919: Lancia „Kappa“

Meinen heutigen Blog-Eintrag sollten die Freunde früher Benz-Wagen besser ignorieren, denn „ihre“ Marke kommt zumindest darin nicht sonderlich gut weg.

Natürlich weiß ich auch Benz-Automobile zu schätzen, allein schon wegen ihrer markanten Optik, die sie freilich mit Konkurrent Daimler teilten, bevor es zum Zusammenschluss kam.

Auch sind mit der Marke Benz einige herausragende Sporterfolge verbunden. Doch gab es später Zeiten, in denen der Hersteller schlicht den Anschluss verloren hatte.

Das war der Fall im Jahr 1919, als zwar die Auftragslage auf dem Papier recht gut aussah, aber letztlich bloß Vorkriegsmodelle aufgewärmt wurden. Eines davon war der mächtige Benz 25/55 PS, für den es seinerzeit immerhin rund 200 Bestellungen gab.

Das war ein Koloss mit 6,5 Liter messendem Vierzylindermotor, der freilich gerade einmal 55 PS Spitzenleistung abwarf. Für ein Fahrzeug, dessen Fahrgestell alleine bereits 1,3 Tonnen wog, war das etwas dürftig. Das Spitzentempo von 85 km/h war zwar für die meisten Situationen damals ausreichend, aber es ging auch anders.

Das bewiesen ausgerechnet die gern mit deutscher Arroganz geringgeschätzten „Itaker“, die clever genug waren, sich im 1. Weltkrieg auf der richtigen Seite zu positionieren.

Italien war 1919 zwar insgesamt noch bitterarm und in vielerlei Hinsicht rückständig, doch im Norden des Landes blühte eine Wissenschafts- und Ingenieurskultur, die es mit der gern überschätzten deutschen durchaus aufnehmen konnte.

Fiat bewies damals mit dem Riesenerfolg des neu entwickelten Typs 501, dass man besser von den geschäftstüchtigen, nüchtern rechnenden Amerikanern lernt, als bloß über sie herzuziehen und selbst in überholten Produktionsmustern zu verharren.

Selbst ein Nischenhersteller wie Lancia hatte die Zeichen der Zeit erkannt und stellte 1919 mit dem neuen Modell „Kappa“ etwas auf die Beine, was hierzulande seinesgleichen suchte:

Lancia Kappa um 1920; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das Pferd, welches auf dieser Aufnahme traurig den Kopf hängen lässt, hatte vermutlich gerade erfahren, was Lancia an Pferdestärken mit seinem neuen „Kappa“ bot.

Trotz (im Vergleich zum Benz) nur 4,9 Litern Hubraum leistete der Motor des Lancia annähernd 70 PS Spitzenleistung. Verbunden mit einem drastisch niedrigeren Gewicht war damit eine Kraftentfaltung möglich, von der Benz-Kunden seinerzeit nur träumen konnten.

Auch die Höchstgeschwindigkeit bewegte sich in völlig anderen Sphären – gut 120 km/h gab Lancia für den „Kappa“ an. Die konnte man zwar 1919 noch nirgends wirklich ausfahren, aber dieser Wagen zeigte, wohin man wollte.

Kein Wunder, dass bei solchen Ambitionen schon 1924 in Oberitalien der erste Autobahnabschnitt der Welt entstand. Der wurde übrigens ebenfalls mit einem Lancia eröffnet – dem ab 1922 gebauten 100 PS-Modell Trikappa.

In Deutschland lagen die großen Hersteller damals leider noch im Tiefschlaf – man kann es leider nicht anders sagen – erst die existenzbedrohende Konkurrenz aus den Vereinigten Staaten machte den intelligenteren unter ihnen Ende der 1920er Jahre Beine.

Für das Autobahntempo des Lancia Kappa reichte es dennoch bis in die 1930er Jahre bei etlichen deutschen Fabrikaten noch nicht – das sollte erst nach einem weiteren verlorenen Krieg gelingen…

Die große Klappe gegenüber den „Spaghettifressern“ behielt man allerdings auch dann noch lange bei – erst in unseren Tagen hält die Einsicht Einzug, dass man südlich der Alpen in mancher Hinsicht doch deutlich besser fährt…

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Grand Tour(er) ohnegleichen: 100 Jahre Lancia Lambda

Zwei Jahre nach dem Ersten Weltkrieg – 1921 – entwickelte ein ehemaliger Fiat-Buchhalter das modernste Auto, das die Welt bis dahin gesehen hatte, sein Name: Vincenzo Lancia.

Er tauschte den Schreibtischjob bei Fiat bald gegen eine Tätigkeit als Mechaniker und wechselt dann ins Rennfahrer-Metier – immer noch bei Fiat. Mit diesem Erfahrungsschatz ausgestattet machte er sich 1906 mit 25 Jahren und seiner eigenen Automarke selbständig.

Vincenzo Lancia konnte unabhängig von formalen Qualifikationen, ungebremst durch bürokratische Planvorgaben und unbeirrt durch Ängste von Bedenkenträgern das verfolgen, was er als den Weg nach vorn betrachtete.

1921 entwarf er mit dem Lancia Lambda einen Wagen, der vielen bis heute als die innovativste Schöpfung auf vier Rädern gilt – dabei sah dieses Wunderwerk auch noch hochelegant aus:

Lancia Lambda; Aufnahme aus Belgrad; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Auf diesem großartigen Foto aus dem Fundus meines Sammlerkollegen Klaas Dierks erkennt man bereits einiges, was Anfang der 1920er Jahre sensationell war:

Eine so flach bauende rahmenlose Karosserie mit niedrigem Schwerpunkt und serienmäßige Vierradbremsen, das bot damals niemand. Aber das ist bloß der Anfang.

Unter der Motorhaube fand sich ein drehfreudiger V4-Motor aus Aluminium mit Ventilantrieb über obenliegende Nockenwelle und Königswelle, der erst 50 und später bis zu 70 PS leistete. Kein anderer Serienhersteller bot Vergleichbares, Bugatti einmal ausgenommen.

Doch selbst bei den Meisterwerken aus Molsheim gab es keine Einzelradaufhängung vorne und hydraulische Stoßdämpfer. Das war 1921 absolute Spitzentechnologie – und wurde erst viele Jahre später Standard.

Ein solches Fabeltier hatte seinen Preis und blieb bis Produktionsende Anfang der 1930er Jahre eine exklusive Angelegenheit. Doch auch in Deutschland fanden sich damals Enthusiasten, die keinen anderen Wagen als den Lancia Lambda wollten.

Mit einem Exemplar gehen wir heute zur Feier des 100-jährigen Jubiläums des einst besten Autos der Welt auf „Grand Tour“ – wie es sich gehört in der offenen Tourenwagenversion:

Lancia Lambda; Aufnahme aus Deutschland; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ich nehme mir auf unserer Reise einige Freiheiten – nicht alle Aufnahmen gehören zusammen, aber sie passen zusammen, meine ich.

Damit lässt sich eine klassische Reise im Automobil nach Italien nacherleben – die für Betuchte und Kulturbeflissene einst obligatorische „Grand Tour“ zu den Stätten der Antike und Renaissance sowie den grandiosen Kulturlandschaften, an denen das Land so reich ist.

Der Lancia Lambda wird uns dabei begleiten, doch auch das eine oder andere Fahrzeug der 1920er Jahre begegnet uns. Die Inspiration zu dieser Grand Tour gab mir ein Konvolut von Fotos einer Italienreise vom Ende der 1920er Jahre, das bei eBay verramscht wurde.

Auf welcher Route genau diese deutschen Reisenden damals über die Alpen gelangten, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Jedenfalls blickte man im Lancia Tourer dem Abenteuer einer Grand Tour mit Spannung und Vorfreude entgegen:

Lancia Lambda; Aufnahme aus Deutschland; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die folgende Aufnahme könnte dafür sprechen, dass man den Weg über die Schweiz wählte, auch wenn ich den genauen Ort noch nicht identifiziert habe.

Erkennt jemand die in den See hineinragende Halbinsel mit dem romanischen Wehrturm mitsamt neuzeitlichen Anbauten und einigen alpenländischen Gebäuden im näheren Umfeld?

Italienreise Ende der 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nachtrag: Leser Peter Oesterreich hat den Ort identifiziert – es handelt sich um Schloss Spiez am Thunersee in der Schweiz!

Alternativ kam für damalige Touristen aus dem Norden eine Route in Betracht, die statt über den Gotthard über den Brenner führte. Dann hätte man sich den Alpen von Österreich her genähert.

In diesem Fall hätte sich für unsere deutschen Reisenden im Lancia Lambda ein Halt im schönen Salzburg angeboten. Dazu würde dann die folgende Aufnahme passen, die vor dem dortgelegenen Schloss Hellbrunn entstand:

Lancia Lambda in Salzburg (Schloss Hellbrunn); Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Lancia Lambda, der hier im Schatten steht, trägt zwar ein österreichisches Kennzeichen, doch der eingangs gezeigte Wagen aus Deutschland sah vorn genauso aus.

Hier sieht man, wie tief der Wagenkörper zwischen den Rädern aufgehängt war, was neben dem ingeniösen Fahrwerk zur damals unerreichten Straßenlage des Autos beitrug.

Doch halten wir uns nicht mit solchen Details auf – vor uns und dem Lancia Tourer liegt eine größere Herausforderung in Form des Alpenhauptkamms:

Italienreise Ende der 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Vor dem zweiten Weltkrieg stellte ein Alpenüberquerung noch ein Wagnis dar. Es gab keine Tunnelstrecken – wie seit Jahrtausenden führte der Weg über oft riskante Paßstraßen.

Unterwegs konnte unsere Reisegesellschaft vom Rücksitz ihres Lancia Lambda einen Schnappschuss wie diesen machen, auf dem zwei weitere Automobile zu sehen sind, die sich auf einer zum Abgrund hin ungesicherten Schotterpiste nach oben arbeiten:

Italienreise Ende der 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der auf uns folgende Wagen scheint ein Steyr zu sein, was die These unterstützen würde, dass die unbekannten Reisenden einst den Weg über Österreich wählten.

Dazu würde dieses Foto passen, welches den Blick von einer Paßstraße auf die Ötztaler Alpen zeigt – allerdings entstand es auf einer anderen Reise nach Italien (siehe hier):

Originalfoto aus Familienbesitz mit freundlicher Genehmigung von Johannes Kühmayer (Wien)

Wie es um die „Straßen“beschaffenheit im Alpenraum in den 1920er Jahren bestellt war, das mag das folgende Dokument illustrieren.

Es zeigt wiederum einen Lancia Lambda irgendwo im Gebirge vor einem künstlichen Felsdurchbruch – wenn auch mit einem anderen Kennzeichen mir unbekannter Herkunft:

Lancia Lambda auf einer unbekannten Paßstraße; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nebenbei illustrieren Fotos wie dieses, dass ein gut gewarteter Tourenwagen solche Herausforderungen zuverlässig wegsteckte. Bei einem größeren Defekt hätte es weit und breit niemanden gegeben, der einem helfen konnte.

Auch beim Lancia Lambda müssen mechanische Schäden an Antrieb oder Fahrwerk rar gewesen sein, sonst hätten sich Reisende in ganz Europa nicht diesem Exoten anvertraut.

So ist unseren Italienfahrern abgesehen von einem Plattfuß oder einem losvibrierten Kabel wohl nichts zugestoßen, was ihren Drang nach Süden dauerhaft hätte aufhalten können.

Endlich finden wir uns auf der italienischen Seite der Alpen wieder:

Lago di Como bei Bellaggio; Bildrechte: Michael Schlenger

Allerdings können wir uns nicht lange mit den Schönheiten der oberitalienischen Seen aufhalten. Der Luxus von sechs Wochen bezahltem Jahresurlaub war auch in „besseren Kreisen“ unbekannt, man musste vorwärtskommen – den Kunstschätzen Italiens entgegen.

Der erste Halt gilt dem Dom von Mailand, der mit seinem gotischen Stil eine Ausnahme südlich der Alpen darstellt – man merkt ihm an, dass den Italienern diese „barbarische“ Kunstrichtung (daher „stile gotico„) nicht lag:

Italienreise Ende der 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Interessanter ist die Straßenszene mit elegant gekleideten Passanten inmitten des Autoverkehrs. Gleich zwei Fiats des Typs 505 kommen uns hier entgegen.

Dabei handelte es sich um den großen Bruder des ab 1919 in 80.000 (!) Exemplaren gebauten Fiat 501. Der Vierzylindermotor des 505 leistete standfeste 33 PS aus 2,3 Liter – solche Literleistungen sucht man bei deutschen Serienwagen jener Zeit vergeblich.

Nach kurzem Aufenthalt fassten unsere Reisenden die Weiterreise nach Turin ins Auge. Bevor es weitergeht, noch ein letzter „caffé“, bei dem die Herren vielleicht über die Qualitäten italienischer Autos fachsimpeln:

Italienreise Ende der 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Haben Sie die mächtige Chauffeur-Limousine am rechten Bildrand bemerkt? Meines Erachtens ist das ein Renault – was meinen Sie?

Und noch etwas: In welcher oberitalienischen Großstadt ist diese Szene aufgenommen worden? Mailand, Turin, Bologna und Genua konnte ich bereits ausschließen – jedenfalls finden sich im Netz keine historischen Abbildungen, welche dieses „Hotel Savoia“ zeigen.

Wie auch immer – unser Reise geht weiter nach Turin. Aus eigener Anschauung weiß ich, dass die Industriemetropole eine wunderbare Altstadt besitzt, die eine Reise lohnt.

Folgende Situation könnte dort in den späten 1920er Jahren aufgenommen worden sein – aber lassen Sie sich nicht täuschen: Den Schnappschuss habe ich ebendort 2010 mit einer Vorkriegskamera (Kodak Retina) gemacht:

Straßenszene in Turin; Bildrechte: Michael Schlenger

Der eigentliche Grund für unseren Abstecher in die Hauptstadt des Piemont ist allerdings weder das schöne Stadtbild noch die beeindruckende Fiat-Fabrik.

Vielmehr lockt eine ungewöhnliche Version des Lancia Lambda, die von der Turiner „Carozzeria Moderna“ kreiert und auf folgender Postkarte verewigt wurde:

Lancia Lambda mit Aufbau von Carozzeria Moderna; Postkarte aus Sammlung Michael Schlenger

Der Turiner Karosseriebetrieb war einer von vielen, die versuchten, dem Lancia Lambda trotz seiner neuartigen rahmenlosen Karosserie einen eigenständigen Aufbau zu verpassen.

„Torpedo con posti anteriori completamente chiusi da cristalli“ – so steht auf der Rückseite vermerkt. Demnach waren die Vordersitze dieses Tourers („Torpedo“) rundum von Glasscheiben umgeben, während die rückwärtigen Passagiere ganz im Freien saßen.

Unsere Reisenden mögen angesicht dieser Kreation die Köpfe geschüttelt haben und sich auf den Weg zu den klassischen Kunststätten gemacht haben, die Ziel ihrer Reise waren.

Nächster Halt war dementsprechend Florenz:

Italienreise Ende der 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sehen wir die berühmten Renaissance-Skulpturen an der Loggia dei Lanzi auf der Piazza della Signoria.

Ganz links der im Vergleich zu antiken Statuen nur mittelmäßige „David“ von Michelangelo. Mit seinem zu groß geratenen Kopf schaut er erschrocken zur Bronzestatue des Perseus von Cellini hinüber, der gerade die unter ihm liegende Medusa geköpft hat.

Das Geschehen zieht auch die Aufmerksamkeit des tumb dreinschauenden Herkules von Bandinelli ganz rechts auf sich, der soeben den Räuber Cacus mit seiner Keule erledigt hat.

„Auf nach Rom“, mögen sich da unsere Reisenden in Florenz gesagt haben – nach einem letzten Abendspaziergang entlang des Arno:

Abendstimmung in Florenz; Bildrechte: Michael Schlenger

Knapp 300 Kilometer Fahrt waren von unseren wackeren Automobilisten über staubige Pisten zu absolvieren – von Norden nach Süden durch die Toscana.

Leider sind von diesem Reiseabschnitt in dem mir erworbenen Konvolut keine Aufnahmen enthalten. Gern wüsste man mehr darüber, wie man sich als Autofahrer damals orientierte, denn Straßenschilder und Wegweiser waren noch die Ausnahme.

Auch die Planung von Tankaufenthalten muss anspruchsvoll gewesen sein. Allerdings verfügten Tourenwagen des Kalibers eines Lancia Lambda über Benzintanks mit 80 Litern und mehr Fassungsvermögen.

Gehen wir also davon aus, dass Reisende mit einem Lancia Lambda bloß von einer „Pinkelpause“ unterbrochen die Strecke von Florenz nach Rom absolvieren konnten.

Dort stand für den gläubigen Christen zunächst der Besuch des Petersdoms auf dem Programm:

Italienreise Ende der 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Kuppel ist eine Großtat, wenngleich die übrige Architektur aus meiner Sicht einen uninspirierten Aufguss klassischer Vorbilder darstellt.

Man beachte auf dieser Aufnahme die Anwesenheit eines weiteren Fiat – im bitterarmen Italien das einzige Auto, das seinerzeit eine gewisse Verbreitung fand (die meisten Exemplare wurden weltweit exportiert, viele auch nach Deutschland).

Verlassen wir nun den Petersplatz und den Kirchenstaat. Mir als notorischem Ungläubigen sind ohnehin die architektonischen Hinterlassenschaften der klassischen Antike lieber.

Und auch wenn man das Kolosseum nicht zu seinen Favoriten zählt, kommt man an ihm auf der Grand Tour nicht vorbei – es stellt sich einem unübersehbar in den Weg, so auch unseren Touristen in den späten 1920er Jahren:

Italienreise Ende der 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dass eine Stätte blutiger Kämpfe und Hinrichtungen mit solcher technischer und architektonischer Meisterschaft verbunden war, gehört zu den irritierenden Seiten des alten Roms.

Die Lust der Masse an der Grausamkeit ist indessen eine Konstante und hat sich bis in die Gegenwart auch im modernen Europa immer wieder manifestiert – gerade schlummert sie zwar, aber das kann sich irgendwann ändern, wenn die Spannungen übergroß werden.

Da wendet man sich besser einem römischen Bauwerk zu, dessen phänomenale Qualität in keinerlei Hinsicht relativiert wird – das Pantheon der Kaiserzeit – ein Tempel für alle Götter:

Italienreise Ende der 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wenn man als Romreisender Zeit nur für einziges Bauwerk hätte, wäre diese einzigartige Schöpfung das Ziel der Wahl. Vielleicht lässt man sich mit einem Fiat-Taxi dorthin fahren – wenn es auch keines mehr sein wird wie das einst davor parkende Exemplar.

Verschwindend klein wirkt das Auto vor dem gewaltigen, fast völlig unveränderten Bau vom Anfang des 2. Jh. nach Christus. Allein der Gedanke an den Transport der je 60 Tonnen schweren Säulen aus ägyptischem Granit lässt einem den Atem stocken.

Aus der Vorhalle schreitet man durch die originale Tür aus Bronze ins Innere und ist überwältigt von der Wirkung des runden Raums mit seiner über 40 Meter hohen Kuppel aus römischem Beton, dem 1.900 Jahre und diverse Erdbeben nichts anhaben konnten.

Es gibt nichts, was einen auf dieses vollkommene Bauwerk vorbereitet. Man verlässt es mit der Frage, wie solche ästhetische und technologische Kompetenz verlorengehen konnte.

Auch der Heide ist dankbar für die frühmittelalterliche Umwandlung des Pantheons in eine Kirche, sonst wäre es ebenso dem Hunger späterer Zeiten nach Baumaterial und Marmor zur Kalkherstellung zum Opfer gefallen wie die meisten Bauten des einst grandiosen Forum Romanum – der nächsten Station unserer Reisenden auf ihrer Grand Tour:

Italienreise Ende der 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dies ist die zu Zeiten der Grand Tour (und noch heute) verbreitetste Ansicht des Saturntempels, von dem der spätere Steinraub nur die Säulenvorhalle übrigließ.

Gegenüber findet man noch heute die Reste des „Milliarium Aureum“ – einer Säule, die den fiktiven Ausgangspunkt aller Straßen des römischen Reichs markierte. Dazu zählte die Via Appia, auf der wir wie zu Zeiten der Grand Tour die Ewige Stadt in Richtung Süden verlassen.

Der Lancia Lambda wird noch einmal aufgetankt, dann geht es auf den Weg ins rund 225 km entfernte Neapel. Weite Teile der Via Appia sind in Form der Strada Statale 7 (SS7) noch befahrbar.

Unser Zwischenziel ist die uralte Küstenstadt Terracina. Auf den letzten 45 Kilometern dorthin verläuft die Via Appia pfeilgerade durch die Ebene – hier kann der Lancia seine Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h voll ausfahren.

Kurz hinter Terracina begegnen wir dann einem anderen Tourenwagen aus Deutschland – einem NAG C4 „Monza“ aus Thüringen:

NAG C4 Monza; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der NAG kommt aus der entgegengesetzten Richtung und befindet sich nach dem Besuch des Targa Florio-Rennens auf Sizilien auf der Fahrt heimwärts.

Er hat gerade am antiken Torre Gregoriana haltgemacht, dessen spannende Geschichte bis in die Gegenwart ich hier erzählt habe.

Auch die Besitzer des NAG mussten sich darauf verlassen können, dass auf der mehrere tausend Kilometer langen Strecke kein größerer mechanischer Defekt auftreten würde. Für einen Fiat hätte sich in Italien in der nächsten Stadt Hilfe gefunden – für einen NAG nicht.

Weiter geht die Fahrt entlang der Küste über Landstraßen, auf denen kaum ein Automobil zu sehen ist, bis wir Neapel erreichen, das sich hier am Fuß des Vesuvs ausbreitet:

Italienreise Ende der 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Links sieht man den Molo San Vincenzo – von dort aus starten noch heute die Ausflugsboote nach Capri, Ischia und – unserem nächsten Ziel: Sorrent.

Doch zuvor unternehmen wir mit unseren Reisenden noch einen Spaziergang durch die faszinierende Altstadt, deren Straßenraster und unter Gewölben liegende Geschäfte auf die einstige griechische Gründung „Neapolis“ zurückgehen.

Dort entstand diese typische Aufnahme – viel anders sieht es dort heute auch nicht aus:

Italienreise Ende der 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das Auto auf der linken Seite dürfte der Wahrscheinlichkeit nach wieder ein Fiat sein. Eventuell handelt es sich um ein Taxi, das Touristen zu einer der zahlreichen Sehenswürdigkeiten der Altstadt Neapels gebracht hatte.

Die Matrosen, die von rechts durchs Bild laufen, könnten von einem italienischen Kriegsschiff stammen, von denen mindestens eines auf dem vorherigen Foto an der Mole schemenhaft zu erkennen war.

Bevor es nach Sorrent auf der gegenüberliegenden Seite des Golfs von Neapel weitergeht, steht ein Besuch in der 79 n.Chr. untergegangenen Ruinenstadt Pompeji an. Dort entstand unter anderem diese Aufnahme:

Italienreise Ende der 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sehen wir die traurigen Reste des Apollon-Tempels aus dem 2. Jh. v. Chr.

Auf der hellen Säule davor war eine Sonnenuhr angebracht, die heute dort wieder montiert ist. Vielleicht war sie beim Erdbeben heruntergeschleudert worden und konnte erst in jüngerer Zeit wieder zugeordnet werden.

Die Reste des weißen Stucks auf der Tempelsäule vorne links sind mittlerweile fast völlig verschwunden. Überhaupt nagt der Zahn der Zeit (und die korrupte Verwaltung) an Pompeji – dem Reisenden sei heute das kleinere, viel besser konservierte Herculaneum empfohlen.

Unsere einstigen Vorgänger machten sich anschließend in das hoch über den Klippen gelegene, damals noch elegante Sorrent auf. Dort hielten sie diese Szene fest:

Italienreise Ende der 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Aufnahme entstand von der meerseitigen Brüstung des Parks der Villa Comunale aus.

Der Hafen ist etwas größer geworden und Segelboote sind heute seltener, doch ansonsten bietet sich einem von dort aus noch derselbe herrliche Blick auf das nordöstlich gelegene Kap, hinter dem sich Vico Equense versteckt.

Kommen wir zum Höhepunkt unserer Grand Tour. Von Sorrent aus konnten Automobilisten schon in den 1920er Jahren die gut ausgebaute Küstenstraße entlang der Costiera Amalfitana nehmen.

Die „Strada Statale 163 Amalfitana“ gilt vielen als die atemberaubendste Straße der Welt. Man muss sie einmal im Leben absolviert haben – am besten außerhalb der Saison im eigenen Wagen (idealerweise als Beifahrer…).

Höhepunkte entlang der meisterhaft in die Felsen gearbeiteten Route sind das mondäne Positano und das uralte Amalfi – einst Zentrum einer Seerepublik, die vor Venedig das östliche Mittelmeer beherrschte:

Italienreise Ende der 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Amalfi ist der südlichste Punkt, der in dem Fotokonvolut dokumentiert ist, das ich in diesen Reisebericht eingeflochten habe. Ob die unbekannten Reisenden aus Deutschland tatsächlich in einem Lancia Lambda unterwegs waren – was spielt das für eine Rolle?

Jedenfalls brechen wir nun wieder auf den Weg nach Norden auf. Ich verbinde übrigens eigene Erinnerungen an den Abschied aus Amalfi vor rund einem Vierteljahrhundert.

Ich hatte den letzten Bus am Denkmal des Flavio Gioia (auf obigem Foto in der Mitte zu sehen) verpasst, der mich ins rund 15 Kilometer entfernte Positano hätte bringen konnte, wo ich damals residierte. Da auch das letzte Boot abgelegt hatte, der Abend warm und voller Düfte war, machte ich mich zu Fuß auf den Heimweg.

Die Sonne war untergegangen, doch über dem still daliegenden Meer stieg ein riesiger Vollmond auf und beleuchtete meinen Weg enlang der „Amalfitana“ – ein unvergesslicher Anblick.

Ab und zu knatterte eine Vespa vorbei, ansonsten gehörte die Straße mir. Nach vielleicht zwei Stunden, wenige Kilometer vor Positano nahm mich dann ein dicker Bauer in seinem „Ape“ mit, auch das erlebt man nicht, wenn man nur in klimatisierten Blechbüchsen reist.

Bevor es wieder nach Deutschland zurückging, absolvierten unsere Reisenden vielleicht – wie später ich – noch den hoch über dem Meer an der Costiera Amalfitana entlangführenden „Sentiero degli Dei“ – den angemessen bezeichneten „Pfad der Götter“:

Blick über die Amalfiküste nach Capri; Bildrechte: Michael Schlenger

Für den Bericht zu einer Grand Tour durch Italien wäre das ein schöner Abschluss – doch soll hier ja auch ein Grand Tourer ohnegleichen gewürdigt werden – der Lancia Lambda.

Am Ende hat sich auch für diejenigen, denen das automobile Element heute vielleicht etwas zu kurz kam, das Warten gelohnt.

Denn auf dem Weg nach Norden – im einst österreichischen, seit 1918 italienischen Bozen – begegnet uns das Meisterwerk auf vier Rädern noch ein letztes Mal:

Lancia Lambda auf Italienreise Ende der 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Da ist er wieder – der Lancia Lambda! Nun, wie die Gestaltung der Windschutzscheibe verrät, ist es nicht genau das Auto, mit dem wir unsere Grand Tour begonnen haben.

Doch wer will so kleinlich sein – man ist dankbar für jede solche Abbildung. Wie schon bei der allerersten Aufnahme fällt hier die unerhört niedrige Karosserie auf – vor 100 Jahren so einzigartig wie das ganze Auto.

Entstanden ist dieses Foto vor dem 1928 gebauten Triumphbogen, der an römische Vorbilder anknüpft. Er trägt eine Botschaft in Latein, wonach die Italiener die „übrigen Völker“ einst „gründlich kultiviert“ haben – im Hinblick auf „Sprache, Gesetze und Künste“.

Da ist einiges dran, was die zivilisatorische Leistung der Römer und die italienische Renaissance angeht – einige Beispiele dafür haben wir auf unserer Tour gesehen.

Doch für das Italien unter dem Ex-Kommunisten Mussolini, der mit dem Faschismus eine nationale Spielart des Sozialismus erfand, die sich sein Verehrer Adolf Hitler zum Vorbild für sein fatales Experiment mit dem totalen Staat nahm, kann man das nicht sagen.

Die Reisenden von damals betrachteten das heute noch existierende Monument ohnehin nur als repräsentatives Fotomotiv – es gibt unzählige solcher Aufnahmen von Automobilisten, die sich dort ablichten ließen.

Ein Lancia Lambda Tourenwagen war dort ein erhebender Anblick ohnegleichen, der einiges in den Schatten stellt, was einem sonst auf der Grand Tour begegnete…

© Michael Schlenger, 2021. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Lancia Lambda – „Piu bella cosa non c’è…“

Schwere Kost kündigt sich bereits im Titel des heutigen Blog-Eintrags an – denkt jetzt vielleicht der eine oder andere Leser.

Doch auch wer angesichts von „Piu bella cosa non c’è“ ratlos zurückbleibt, versteht mit „Lancia Lambda“ bereits alles Wesentliche. Der Rest ist Zierrat, reine Spielerei.

Heute mache ich es mir und Ihnen ganz leicht, sinniere nicht über eigentümliche Kühlerformen, zähle keine Haubenschlitze, ziehe keine Vergleiche mit Prospektabbildungen. Es gibt Dinge, die verstehen sich von allein.

Etwas Fremdsprache spielt zwar mit hinein, doch Bilder wie dieses sprechen eine Sprache, die jeder begreift – zumindest wer ein Faible für die Schönheit von Vorkriegswagen hat:

Lancia Lambda Tourer; Originalabzug aus Sammlung Klaas Dierks

Diese prachtvolle Profiaufnahme, die uns Leser Klaas Dierks aus seinem reichen Fundus bereitgestellt hat, ist für mich das hinreißendste Dokument eines Lancia Lambda, das ich bislang hier besprochen habe.

Man muss über die Meriten dieser fabelhaften Konstruktion nicht mehr sagen als das: mit selbsttragender Karosserie, einzeln aufgehängten Rädern, Vierradbremsen, Hydraulikdämpfern und kopfgesteuertem V4-Motor war dieser Wagen beim Erscheinen 1923 in wohl jeder Hinsicht das modernste Automobil der Welt.

Vielleicht ist später nie wieder ein Wagen gebaut worden, der so viele wegweisende Innovationen in sich vereinte. Auf jeden Fall war es ein Technologieträger, der auch formal in einer eigenen Liga spielte:

Ich wüsste keinen anderen Wagen, der in der ersten Hälfte der 1920er Jahre eine dermaßen niedrige Silhouette und so schlanke, torpedogleiche Form besaß. Bei aller Schlichtheit sind Details wie die kaum merklich geschwungenen Kotflügel ein Gedicht.

Extravagant die Idee, dem Eindruck der Langeweile in der Seitenansicht dadurch entgegenzuwirken, dass hinter der Motorhaube nochmals ein Feld mit Entlüftungsschlitzen auftaucht, das aber nicht etwa die Waagerechte fortsetzt, sondern spiegelbildlich zur abfallenden Linie des Koftflügels nach oben ansteigt.

Die unten abgerundeten und so mit der Motorhaube korrespondierenden Türen sind ein weiterer Kunstgriff, der den Aufbau abwechslungsreich gestaltet – indem er einen Kontrast zu den sonst bei Tourern der 1920er Jahre vorherrschenden rechten Winkeln schafft.

Derselbe Gedanke findet sich in der getreppten Ausführung der Frontscheibe wieder, die sonst meist senkrecht im Wind stand. Der Sinn für erlesene, das Auge fesselnde Details setzt sich im gekörnten Leder des Innenraums fort.

Doch ist auf diesem Ausschnitt noch etwas anderes markant – der Stempel des Fotoateliers, das einst diese Prachtaufnahme erstellte. Die kyrillischen Buchstaben sind für mich kryptisch, so wie manchem Leser vielleicht die Überschrift erschien.

Kann jemand sagen, was auf dem Stempel zu lesen ist und so zur Aufklärung des Entstehungsorts dieser Aufnahme beitragen?

Unterdessen mache ich mich an die Auflösung der Zeile „Piu bella cosa non c’è“ , die ganz einfach ist, denn für überzeugte „Lancisti“ steht fest: „Es gibt nichts Schöneres“ als so einen Lambda aus den 1920er Jahren.

Das lässt sich sogar von der Heckpartie sagen, die bei Tourern jener Zeit oft nicht gerade von Einfallsreichtum kündet:

Für sich genommen würde das abgerundete Heck etwas pummelig wirken, wäre da nicht der kühne Schwung des hinteren Kotflügels, der das Auge förmlich mitreißt. Man kann sich vorstellen, wie er bei der Fahrt auf den kaum befestigten Straßen von einst in einen Staubwirbel überging, der hoffentlich die Passagiere auf der Rückbank verschonte.

Doch ob sich dorthin jemand verirrte, darf bezweifelt werden. Dieser Lancia war zum Posieren allein oder bestenfalls zu zweit wie gemacht. Der Fahrer mit hellem Anzug und dunklen Lederhandschuhen scheint mir ein Ästhet gewesen zu sein, der genau wusste, wie so ein Lancia Lambda am besten wirkt – gewiss nicht vollbesetzt…

So mag er in der Sprache seiner uns unbekannten Heimat ebenfalls gedacht haben „Piu bella cosa non c’é!“. Und für manch einen unter uns Nachgeborenen gilt im Hinblick auf den Lancia Lambda außerdem das:

Com’è che non passa con gli anni miei la voglia infinita di te,

„Wie kommt es, dass die Sehnsucht nach Dir nicht vergeht, je älter ich werde,

Cos’è quel mistero che ancora sei che porto qui dentro di me.

Was ist das für ein Geheimnis, welches Du immer noch bist und das ich in mir trage?

Diese hübschen Zeilen könnten glatt von der Liebe zum Lancia Lambda erzählen, die auch nach bald 100 Jahren immer noch lebendig ist. Sie passen aber auch zu jedem anderen klassischen Objekt der Leidenschaft – nicht nur in automobiler Hinsicht.

Mit diesem Gedanken möchte ich für heute schließen, nicht aber ohne zu verraten, woher die zitierten italienischen Verse stammen. Wer wie ich Ende der 1980er Jahre erwachsen wurde, hat „Piu bella cosa non c’è“ vielleicht noch im Ohr.

Das war der Titel eines der Lieder, mit denen 1996 ein gewisser Eros Ramazotti auf seiner Scheibe „Dove c’è musica“ Furore machte. Wer vergessen hat, wie das einst klang, oder wer diesen Schlager aus Italien gar nicht kennt, dem kann geholfen werden.

Selbst wer solchem Kitsch sonst abhold ist, wird der klassischen Schönheit kaum widerstehen können, deren königlichem Mienenspiel wir hier endlos lang beiwohnen dürfen, während der gute Eros sich mit „Piu bella cosa non c’è“ an sie heranarbeitet:

Videoquelle: Youtube.com, Copyright: RAI, hochgeladen von Amneris Amandoz

Dass das Ganze in einem vollkommen prosaischen Automobil der Moderne endet, tut der Sache keinen Abbruch – es unterstreicht vielmehr, dass klassische Schönheit alles überstrahlt, auch manche Tristesse, die das Hier und Jetzt bereithält…

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Spurensuche unter dem Vulkan: Ein Lancia „Ardea“

Von den Vorkriegstypen der italienischen Marke Lancia ist den meisten wohl – wenn überhaupt – nur das legendäre Modell „Lambda“ geläufig, das in meinem Blog schon in den unterschiedlichsten Varianten und Versionen gewürdigt wurde.

Tatsächlich besteht auch meine Lancia-Fotogalerie fast nur aus Aufnahmen dieses einzigartigen Fahrzeugs – eine „neue“ kommt gelegentlich zu ihrem Recht. Doch heute geht es um einen Lancia vom entgegengesetzten Teil des Spektrums.

Das einzige Foto eines Lancia aus meiner Sammlung, das bislang in eine ähnliche Richtung ging, ist das folgende, das 1958 in Brunnen (Schweiz) entstand:

Lancia „Aprilia“ und Fiat 500 „Topolino“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das Auto mit dem Brezelfenster auf der linken Seite ist anhand des steilen Heckabfalls eindeutig als Lancia „Aprilia“ zu identifizieren – ein hochmodernes Mittelklassefahrzeug mit 50 PS starkem V4-Zylindermotor (ausführliches Porträt).

Rechts sieht man einen Fiat 500C mit der ab 1949 verbauten Frontpartie. Dieser Typ wird im heutigen Blog-Eintrag abermals eine hübsche Nebenrolle spielen.

Dem Modell „Aprilia“ stellte Lancia 1939 einen äußerlich ähnlichen, aber deutlich kompakteren Typ namens „Ardea“ zur Seite, das ebenfalls von einem V4-Motor angetrieben wurde, der jedoch nur gut 25 PS aus 900ccm Hubraum leistete.

Bis 1941 entstanden die ersten knapp 3.000 Exemplare des Lancia „Ardea“ – darunter einige Versionen mit Lieferwagenaufbau – ein nicht unwesentliches Detail, wie man noch sehen wird. Der überschaubare italienische Markt lag sonst ganz in den Händen von Fiat.

Umso erfreulicher ist es, wenn man endlich mal ein historisches Foto eines „Ardea“ findet. Das gelingt nur durch Zufall – etwa wenn man eine Aufnahme erwirbt, die man vor allem deshalb erwirbt, weil man die Situation reizvoll findet:

Lancia „Ardea“ und Fiat 500C; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Originalabzug ist wesentlich größer und die Fahrzeuge im Vordergrund sind dort eher unauffälliges Beiwerk. Tatsächlich galt mein Interesse zunächst auch gar nicht ihnen, sondern dem Aufnahmeort, der mir bekannt vorkam.

Doch will ich an dieser Stelle noch nicht zuviel verraten. Also schauen wir uns erst einmal an, was da für Gefährte am Straßenrand stehen und das sind ja einige.

Ein einfacher Fall ist natürlich der Wagen mit der geöffneten Motorhaube am rechten Rand. Auch wenn er einen Kombiaufbau besitzt, fühlt man sich gleich an den Fiat 500C auf dem eingangs gezeigten Foto aus Brunnen in der Schweiz erinnert:

Dieser Fiat 500 mit der charakteristischen Nachkriegs-„Nase“ liefert uns einen Hinweis darauf, dass dieses Foto kaum früher als 1950 Jahren entstanden ist. Damals war die Mobilität allmählich wieder in Gang gekommen – Wohlstandsbäuche waren allerdings noch die Ausnahme – so auch auf diesem Dokument.

Bei näherem Hinsehen erkennt man, dass der Fiat an einer kleinen Tankstelle mit drei Zapfsäulen und einem vorne offenen Kassenhäuschen stand. Die zwei Männer an der linken Säule scheinen mit einem ausgebauten Teil am Boden beschäftigt zu sein.

Das große Schild mit dem Stern hinter den beiden rechten Zapfsäulen erinnert auf den ersten Blick an das Logo des Ölkonzerns Texaco, aber die Art der Beschriftung will nicht so recht passen. Die Auflösung stammt von Leser Georg Klioba: Es handelt sich um das Logo der Ölgesellschaft CALTEX (California Texas Oil Company), die 1936 von Texaco mitbegründet wurde.

Eindeutig zu erkennen ist dagegen die Marke einer weiteren Tankstelle gleich links um die Ecke. Dort lesen wir in großen Lettern seitenverkehrt „MOBILGAS“ und links davon ist das ebenfalls spiegelverkehrte Emblem zu sehen – ein Pegasus. Die Standard Oil Co. of New York verwendete den Markennamen „Mobiloil“ bzw. „Mobilgas“ und das zugehörige Logo nur bis 1961, sodass wir hier einen weiteren Datierungshinweis haben.

Folgender Bildausschnitt lässt dieses Detail besser erkennen:

Wer sich übrigens fragt, was das für Stangen sind, die vom Kopf des Pegasus schräg nach oben zu laufen scheinen, dem kann geholfen werden: Sie gehören zum Stromabnehmer eines elektrischen Omnibusses.

Das „O-Bus“-Konzept bewährt sich seit den 1930er Jahren in etlichen europäischen Großstädten und ist den heute propagierten Batteriebussen haushoch überlegen – pure Ideologie vernagelt leider auch hier den Blick auf’s Vernünftige

Für mich hat es seinen Reiz, wenn Details solcher Fotos Anlass zu Abschweifungen ins Gegenwärtige oder Grundsätzliche geben. Die Beschränkung auf’s automobile Objekt ist mir zu schlicht und das Persönliche des Blog-Formats erlaubt mir eine subjektive Sicht auf die Dinge, die in echter Fachliteratur unangebracht wäre.

Auch der Schwenk auf – eigentlich nicht zum Thema gehörende – zweirädrige Veteranen ist mir damit möglich. Man kommt ja auf Fotos jener Zeit an Motorrädern oft kaum vorbei, die damals überwiegend noch Alltagsvehikel waren.

Hier haben wir aber die schöne Situation, dass zwei Maschinen auf Reisen zu sehen sind – darunter eine Vorkriegs-BMW mit Press-Stahlrahmen – und wahrscheinlich kamen sie aus Deutschland. Einer der Mitfahrer dürfte dieses Foto gemacht haben und dabei auch den Lancia Ardea mit auf’s Bild gebannt haben:

Da haben wir ihn nun endlich, den kompakten Lancia mit seiner noch ganz im Stil der mittleren 1930er Jahre gehaltenen Vorderfront.

Die konservative Formensprache wurde bis Produktionsende 1953 im Wesentlichen beibehalten – vermutlich fehlte dem Nischenhersteller Lancia schlicht das Geld für die Presswerkzeuge, die eine modernisierte Karosserie erfordert hätte.

Somit können wir nicht ausschließen, dass wir hier ein nach dem 2. Weltkrieg gebautes Exemplar vor uns haben – tatsächlich kam die Produktion von Lieferwagenaufbauten erst ab 1945 in Fahrt.

Doch – wie gesagt – vereinzelt gab es schon vorher ähnliche Nutzfahrzeugvarianten. Zudem ist die auf dem Foto zu erkennende Rechtslenkung ein dermaßen traditionelles Element, dass der Lancia „Ardea“ unabhängig vom Baujahr als Vorkriegswagen durchgehen kann.

Mein Peugeot 202 von 1949 entspricht bis auf die Hydraulikbremsen ebenfalls vollkommen der Vorkriegskonstruktion und fährt sich auch entsprechend. Lancia gönnte immerhin dem Ardea 1949 einen auf 30 PS erstarkten Motor – und erstmals ein 5-Gang-Getriebe!

Damit wäre ich fast am Ende meiner Spurensuche – doch warum trägt sie im Titel den Zusatz „unter dem Vulkan“? Nun, das hat mit dem Aufnahmeort zu tun, der sich anhand der Bauten im oberen Teil des Fotos identifizieren lässt – wenn man schon einmal dort war:

Diesen Blick auf die wie Stufen eines Amphitheaters aufeinandergestapelten mehrstöckigen Häuser im Hintergrund und die mächtige Festung am rechten oberen Bildrand gibt es nur an einem Ort: An der Piazza Vittoria in Neapel.

Man gelangt dorthin, wenn man die grandiosen Hotels der Belle Epoque an der Via Partenope hinter sich lässt und sich dem Eingang zum Park der Villa Communale nähert. Bei einer Reise an den Golf von Neapel vor einigen Jahren erinnerte ich mich an das Foto mit dem Lancia und machte dort eine Aufnahme aus ähnlicher Perspektive.

Die Straße existiert noch, ist aber stillgelegt und dient als Parkplatz für Zweiräder. Die Tankstelle von einst ist längst verschwunden. Nur der Hintergrund ist noch derselbe:

Neapel, Piazza Vittoria, 2017; Bildrechte: Michael Schlenger

Zugegeben: Ein wenig prosaisch sieht es hier heute schon aus, doch Neapel ist eine Stadt voller Kontraste, die einen Aufenthalt von ein paar Tagen rechtfertigt – wenngleich die Schattenseiten europäischer Großstädte leider auch dort immer deutlicher zutagetreten.

Doch wendet man sich um, geht der Blick auf’s Meer am düsteren Castel d’Ovo vorbei auf eine der großartigsten Landschaften Europas, – den herrlichen Golf von Neapel, der zusammen mit der angrenzenden Amalfiküste Schätze für ein ganzes Leben birgt.

Genau diesen Blick auf den Golf haben einst auch die Motorradreisenden aus Deutschland genossen, denen wir das rare Dokument eines Lancia Ardea verdanken:

Neapel, Blick über den Golf auf die Halbinsel von Sorrent, 2017; Bildrechte: Michael Schlenger

Sicher ein ungewohnter Anblick in einem Blog für Vorkriegsautos auf alten Fotos – doch bin ich sicher: bei solchen Abschweifungen wird es keine Beschwerden geben…

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Diesmal nur Statist: Unterwegs im Lancia Lambda

Das fast grenzenlose Reisevergnügen, an das wir uns in Europa so gewöhnt haben, muss in diesen Zeiten der Ausbreitung des Corona-Virus hintanstehen – ein Gebot der Vorsicht angesichts einer neuartigen, schwer kalkulierbaren Bedrohung.

Die meisten Staaten um uns herum haben das akzeptiert und längst das Notwendige veranlasst. Selbst sonst als lebenslustig geltende Nachbarn unterwerfen sich einer rigorosen Disziplin.

Wer mit sich im Reinen ist, verkraftet es durchaus, für begrenzte Zeit auf sich und sein persönliches Umfeld zurückgeworfen zu sein – auch wenn für kleine Unternehmen die Luft dünn zu werden droht, wenn das Geschäft länger ruht. Es ist zu hoffen, dass gerade ihnen unbürokratisch Hilfe zuteil wird, bis der Laden wieder läuft.

Wer derzeit auf’s Reisen verzichtet und soziale Kontakte auf ein Minimum herunterfährt, kann sich die wunderbarsten Ersatzbeschäftigungen suchen. Ein Angebot in dieser Hinsicht stellt mein heutiger Blog-Eintrag dar.

Der Beginn stellt sich nur auf den ersten Blick konventionell dar:

Lancia Lambda Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

„Herrje“, mag nun ein Freund der grandiosen Karossen der 1930er Jahre denken, „wieder so ein schlichter Tourenwagen aus den 20ern. Zugegeben, die niedrige Linie steht ihm nicht schlecht – scheint nicht ganz alltäglich zu sein.“

Tatsächlich: Dieses auf den ersten Blick so unprätentiös daherkommende Fahrzeug war mit das Sensationellste, was ab 1923 in Europa in Serie gebaut wurde:

  • Einzelradaufhängung vorne, hydraulische Stoßdämpfer, Vierradbremsen,
  • tiefe Schwerpunktlage der erstmals rahmenlosen Karosserie,
  • drehfreudiger V4-Aluminium-Motor mit Ventilantrieb über obenliegende Nockenwelle und Königswelle (Leistung je nach Baujahr ca. 50 bis 70 PS).

Das waren die Eckdaten des wohl innovativsten Automobils jener Zeit, das unter Kennern bis heute verehrt wird: der Lancia Lambda. Selbst in England, wo es damals nicht gerade an automobilem Einfallsreichtum mangelte, sorgte dieser Entwurf für Aufsehen.

Aus England stammt auch dieses hübsche Sammelbild eines Lancia Lambda, das auf einer Abbildung aus der Zeitschrift „The Autocar“ basiert:

Lancia Lambda, Aufnahme aus „The Autocar“; zeitgenössisches Zigarettenbild aus Sammlung Michael Schlenger

Bei der Gelegenheit sollte man sich die Details der Seitenansicht einprägen.

Sie werden uns auf der folgenden Bilderreise wiederbegegnen, auf der der Lancia Lambda zwar nur Statist ist, uns aber die ausführliche Bekanntschaft mit den Menschen ermöglicht, die mit ihm einst eine hochexklusive Reisefreiheit genossen.

Den Anfang macht diese Aufnahme:

Lancia Lambda; Originalabzug aus Sammlung Michael Schlenger

Hier genügt bereits das charakteristisch geformte Blech mit den Entlüftungschlitzen im Seitenteil hinter der Motorhaube – das muss ein Lancia Lambda sein! Auch die niedrige Gürtellinie mit den kleinen, unten abgerundeten Türen ist vollkommen typisch.

Auf ein scheinbar unbedeutendes Detail möchte ich besonders aufmerksam machen: die seitliche Befestigung des Windschutzscheibenrahmens mit einer Reihe großer Schrauben – wir kommen darauf zurück!

Weiter geht’s mit Aufnahme Nr. 2 desselben Wagens, nun mit anderer Besatzung:

Lancia Lambda; Originalabzug aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser Ausschnitt lässt ein zuvor verdecktes Element erkennen – die Griffstücke am hinteren Ende der Türen – aus Leder, wie wir noch sehen werden.

Wer genau hinschaut, bemerkt außerdem, dass sich das Seitenteil der Verdeckhülle unterhalb des Ellbogens des jungen Manns auf dem Rücksitz gelöst hat und nach hinten zeigt.

Mäntel und Handschuhe der Insassen weisen auf einen frischen Tag hin – so stilvoll war übrigens die „Funktionskleidung“ der 1920er Jahre. Gut möglich, dass die Passagiere auf der Rückbank zusätzlich eine Decke über den Knien hatten.

Als nächstes steht ein Fahrerwechsel an:

Lancia Lambda; Originalabzug aus Sammlung Michael Schlenger

Nun gibt die junge Dame, die zuvor auf der Rückbank saß, Tempo und Richtung vor. Natürlich gab es in der Schicht, die sich einen solchen exklusiven Wagen leisten konnten, auch Frauen, die das mächtige Lenkrad beherzt zu bedienen vermochten.

Die Pose mit ausgestelltem Ellbogen wäre heute nicht mehr möglich – nicht nur wegen des Pelzärmels, sondern wegen der veränderten Proportionen offener Wagen im 21. Jahrhundert. Auch an solchen Details ist abzulesen, wie sich die Zeiten geändert haben.

Keine Sicherheitsgurte, keine Airbags, kein Seitenaufprallschutz – in einem solchen Wagen lebte man aus heutiger Sicht enorm gefährlich. Aber: Die Lebenserwartung der Menschen, die sich diesen riskanten Luxus nicht leisten konnten, war weit geringer.

Es trägt nichts zum Verständnis des Automobils der Vorkriegszeit bei, heutige Sicherheitsmaßstäbe anzulegen, die überhaupt erst ein Thema wurden, als die Verkehrsdichte und die in der Praxis erzielten Geschwindigkeiten zum Problem wurde.

Immerhin ein Sicherheitsrisiko beim Lancia Lambda ließ sich aber schon damals entschärfen. Das beweist die nächste Aufnahme aus dieser Reihe:

Lancia Lambda; Originalabzug aus Sammlung Michael Schlenger

Sicher ist man im ersten Moment gefesselt von der Ausstrahlung dieses Schnappschusses. Das Bild drückt für mich idealtypisch aus, dass bei den besten Autofotos das Fahrzeug gar nicht mehr im Mittelpunkt steht, sondern zur Bühne wird für die Menschen, die sich mit ihm einst inszenierten oder in Szene setzen ließen.

Wer auch immer diese Bilderserie gemacht hat, muss das ähnlich gesehen haben. Denn das Auto ist auf allen Aufnahmen bestenfalls Statist, wenn auch perfekt besetzt.

Aber war nicht zuvor die Rede von einem Sicherheitsrisiko beim Lancia Lambda, das sich entschärfen ließ? Gewiss, und hier können wir sehen, wie das ging:

Zugegeben: Es fällt schwer sich von der hübschen Fahrerin loszureißen, die den größten Kontrast zu den Straßenbuben darstellt, die sich auf ’s Foto gemogelt haben.

Wem es dennoch gelingt, der wird bemerken, dass sich auf Höhe der Windschutzscheibe eine Reihe von Löchern in der Karosserie befindet. Tatsächlich ist hier schlicht der Scheibenrahmen mitsamt Glas demontiert worden.

Denkbar, dass man das anlässlich einer Fahrt in einer Gegend mit steinigen Pisten gemacht hatte, da damals noch kein Sicherheitsglas verwendet wurde und ein Steinschlagschaden buchstäblich ins Auge gehen konnte.

Bei Sportwagen jener Zeit ließ sich häufig die Frontscheibe nach vorn umlegen. Wohl aus Gründen der Stabilität war das beim Lancia Lambda Tourer nicht vorgesehen.

Die pragmatische Lösung unserer Lancia-Insassen ist auch der folgenden Aufnahme zu sehen, die die letzte dieser schönen Reihe darstellt:

Lancia Lambda; Originalabzug aus Sammlung Michael Schlenger

Auch hier war ein erfahrener Fotograf am Werk: Perfekter Moment, ideale Perspektive mit den drei Jungs im Mittelgrund, Hintergrund unscharf – viel besser geht es nicht.

Der durch falsche Lagerung stark beschädigte Abzug (alle fünf erforderten zeitaufwendige Retuschen) ist im Original so scharf, dass man die Oberflächenstruktur der erwähnten Griffstücke an den Türen erkennen kann – sie waren aus Leder.

Damit endet nun dieser kleine Bilderreigen. Ich meine, mit solchen wunderbaren Zeitdokumenten lässt sich der Verzicht auf den einen oder anderen realen Besuch im Kino, in der Fotogalerie oder Oldtimerausstellung kompensieren.

Und wem es in diesen Tagen am persönlichen Austausch mangelt und ähnliche Bilder sein eigen nennt, kann gern virtuell Kontakt aufnehmen – das einzige Risiko besteht darin, dass man von der Wunderwelt der Vorkriegsautos auf alten Fotos unheilbar infiziert wird…

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Fesselnder Nebendarsteller: Lancia Lambda

Liebhaber klassischer Opern und Kinofilme wissen: Selbst in einer Nebenrolle vermögen Ausnahmetalente ein Können an den Tag zu legen, das alles in den Schatten stellt.

In Bezug auf Vorkriegsautos gibt es einige Kandidaten, denen man den Rang eines herausragenden Nebendarstellers zuerkennen möchte. Wagen deutscher Nischenhersteller wie Röhr und Steiger kommen einem in den Sinn.

Doch auf europäischer Ebene haben sich in der Zwischenkriegszeit andere Fabrikate den Lorbeer des brilliantesten Besetzers einer Nebenrolle verdient. Neben Voisin aus Frankreich ist dies nach Meinung des Verfassers die italienische Marke Lancia.

Verehrer des Ausnahmetalents Vincenzo Lancia werden vielleicht nicht an folgende formal konventionelle Schöpfung denken, die wir hier bereits vorgestellt haben:

Lancia Trikappa, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dabei stellt bereits dieser Lancia Trikappa von 1922 mit seinem 100 PS starken V8-Motor ein Meisterstück dar.

Doch bei Lancia war außergewöhnliche Leistung in jeder Hinsicht einst Standard. Was dagegen heute unter dem Markennamen vertrieben wird, kann man ignorieren.

Getrieben vom Genie des Firmengründers Vincenzo Lancia brannten die Ingenieure des Unternehmens parallel zum Trikappa ein Feuerwerk an Innovationen ab.

Das Ergebnis war der Lancia Lambda – der als fortschrittlichstes Automobil der 1920er Jahre gelten kann, in den 1930ern abgelöst vom Citroen 11 CV.

Die Qualitäten dieses ab 1923 gebauten ingeniösen Fahrzeugs werden hier deutlich:

Lancia Lambda im Renneinsatz; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir einen Lancia Lambda in voller Fahrt beim Rusel-Bergrennen in Bayern irgendwann in den 1920er Jahren.

Wie sauber der serienmäßige Tourenwagen die Kurve mit hoher Geschwindigkeit meistert, ist einer herausragenden Konstruktion zu verdanken, die sich auszeichnete durch:

  • Einzelradaufhängung vorne mit hydraulischen Stoßdämpfern und kraftvollen Vorderradbremsen,
  • tiefe Schwerpunktlage der erstmals rahmenlosen Karosserie,
  • drehfreudigen V4-Aluminium-Motor mit Ventilantrieb über obenliegende Nockenwelle und Königswelle (Leistung je nach Baujahr ca. 50 bis 70 PS).

Dieser weltweit konkurrenzlose Wagen war selbstverständlich etwas für automobile Gourmets und trug nichts zur Motorisierung der breiten Bevölkerung bei.

Bis 1931 entstanden nur etwas mehr als 11.000 Stück des Lancia Lambda. Daran gemessen hat dieses begeisternde Fahrzeug überproportionale Spuren hinterlassen, etwa ein Promille davon findet sich in diesem Blog:

Lancia Lambda; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme zeigt einen Lambda in der Ausführung als klassischer Tourenwagen mit Berliner Zulassung. Kein Wagen dieser Größenklasse baute so niedrig.

Eindrucksvoll sind hier die Dimensionen der Vorderradbremsen. Man merke sich außerdem die Position der mächtigen Frontscheinwerfer, die selbst den Kühlwassereinfüllstutzen überragen.

Dieselbe Konstellation haben wir bei diesem Lancia mit Berliner Zulassung, hier aber mit geschlossenem Aufbau:

Lancia Lambda; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Offenbar gab es auch an einem Lancia Lambda ab und an etwas zu reparieren, doch scheinen sich die Probleme in engen Grenzen gehalten zu haben, wenn man dem fröhlichem Gesichtsausdruck des Schraubers auf dem Foto glauben darf.

Noch Anfang der 1930er Jahre konnte man sich mit einem Lancia Lambda sehen lassen. Selbst ein fast 10 Jahre alter Wagen des Typs war in technischer Hinsicht modern.

Darauf waren offenbar auch diese jungen Besitzer stolz, die sich 1931 mit ihrem Lancia Lambda haben fotografieren lassen:

Lancia Lambda; Originalfoto von 1931 aus Sammlung Michael Schlenger

Hier taucht wieder das mittig unterteilte Oberteil der Frontscheibe auf – mit bewusst die Gerade vermeidendem unteren Abschluss. Außer beim Lancia Lambda ist dem Verfasser bisher kein weiteres Beispiel dafür begegnet.

Ansonsten sieht man auch hier einen geschlossenen Aufbau mit einer so niedrigen Gürtellinie, wie das außer Lancia wohl kein anderer Serienhersteller bot.

Gut zu erkennen ist außerdem die Einheit aus Federn und Stoßdämpfern, die seinerzeit einzigartig war. Kein Wunder, dass sich die Besitzer eines solchen Technologieträgers auch in Regionen wagten, wo nur noch Pisten zu erwarten waren:

Lancia Lambda; Ausschnitt aus einem Foto aus Sammlung Michael Schlenger

In welcher abgelegenen Region dieses Foto einst entstand, wird sich wohl nicht mehr feststellen lassen. Doch zeigt es, dass die Besitzer eines Lancia Lambda sich selbstbewusst auch auf kaum befestigten Nebenstraßen bewegten.

Das andere Extrem stellten extravagante Spezialaufbauten dar wie dieses von der Manufaktur „Carozzeria Moderna“ aus Turin geschaffene Exemplar, das eine prestigeorientierte großstädtische Klientel ansprach:

Lancia Lambda; originales Werksfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Von diesem aristokratisch anmutenden Sondermodell aus Italien ist der Weg nicht allzuweit zu der nächsten Aufnahme eines Lancia Lambda.

Dabei führt uns die Reise nach Österreich, in die Gegend um Salzburg – zum Schloss Hellbrunn.

Dort ließ sich einst eine Reisegesellschaft, von der der Verfasser noch einige weitere Aufnahmen besitzt, ablichten:

Schloss Hellbrunn; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das Schloss selbst wirkt ein wenig banal – auch unsere Vorfahren lieferten nicht immer nur Spektakuläres ab – doch das Foto ist in doppelter Hinsicht von großem Reiz.

Man fragt sich nämlich: Wer ist auf dieser Aufnahme eigentlich der Hauptdarsteller? Wer auch immer dieses Foto schoss, scheint ganz eigene Gedanken verfolgt zu haben.

Sicher wollte die sechsköpfige Besuchergruppe vor dem Schloss abgelichtet werden. Das ist auch gelungen:

So sah man also aus, wenn man in den späten 1920er Jahren „Sightseeing“ machte und dabei wohl auch den einen oder anderen Kilometer per pedes zurücklegte.

Doch der aufmerksame Betrachter wird auf dem Ausgangsfoto noch etwas anderes bemerkt haben – etwas, das so markant ist, dass es den Verfasser zum Erwerb dieses Fotos veranlasste.

Zeitgenössische Fotos eines Lancia Lambda sind nämlich selten, selbst wenn sie nur die Rolle eines Nebendarstellers innehaben wie hier:

Wer die bisherigen Fotos aufmerksam betrachtet hat, wird diesen vermeintlich unscheinbaren Nebendarsteller gleich als das erkannt haben, was er in den 1920er Jahren war: ein Star der europäischen Automobilszene.

Haben von den bloß rund 11.000 Exemplaren dieses automobilen Wunderwerks wenigstens welche überlebt?

Gewiss, und zwar gemessen an der Stückzahl eine ganze Menge. Ein sehr originales Exemplar haben wir hier:

Lancia Lambda in Goodwood 2017; Bildrechte: Michael Schlenger

Auch dieser Lancia Lambda, der 2017 beim verregneten Gooddwood Revival Meeting  auf dem Besucherparkplatz stand, war dort nur ein unbedeutender Nebendarsteller, und dennoch ragte er unter den ihn umgebenden Klassikern hervor!

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

 

 

„MODERNA“ geht’s kaum: Lancia Lambda Spezialaufbau

Bei der Betrachtung zeitgenössischer Automobile fragt sich der Verfasser regelmäßig, ob wir eigentlich noch in der Moderne leben oder uns nicht schon wieder auf dem absteigenden Ast befinden.

Viele der in alle Himmelsrichtungen wuchernden Gefährte hätten noch vor 10  Jahren als Karikaturen gegolten – gezeichnet für kindliche Gemüter und ideal für einschlägige Zeichentrickfilme wie „Cars“ (2006).

Die Zeichner dieser planlos zurechtgekneteten Vehikel müssen später in der Autoindustrie angeheuert haben, wo sie mit der seit längerem dahinsiechenden gestalterischen Tradition der Moderne endgültig aufgeräumt haben.

Zweifellos kommen die an Schützenpanzer erinnernden Proportionen heutiger SUVs vielen helmtragenden Zeitgenossen entgegen – Motto: „My car is my castle“.

Der Sicherheitsgewinn breit ausgestellter Radkästen und zentimeterdicker Plastikpaneele in Verbindung mit winzigen Fahrgast“zellen“ wird aber zumindest in einer Hinsicht ins Gegenteil verkehrt: Man sieht nicht mehr, was draußen passiert.

Für die Hersteller von Sensoren und Kameras sind das herrliche Zeiten, denn ohne die von ihnen offerierten Helferlein wird das rückwärtige Einparken mit vierrädrigen Großstadtsauriern zum Abenteuer.

Wir könnten uns nun mit Fahrzeugen der 1960er Jahre befassen, die die Grundsätze der gestalterischen Moderne perfekt verkörperten – und neben formaler Klarheit und schlichter Eleganz beste Rundumsicht boten.

Letztlich sind die Ideen der Moderne aber alte Hüte, sie stammen aus der Zwischenkriegszeit. So gehen wir noch einen Schritt zurück, mitten in die 1920er Jahre.

Da gab es von der „CAROZZERIA MODERNA“ aus Turin zum Beispiel das hier:

Lancia Lambda; originales Werksfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Aufbau mag auf den ersten Blick gar nicht so ungewöhnlich erscheinen – ein viersitziger Tourenwagen mit seitlichen Steckscheiben, könnte man meinen.

Das Auge des Gourmets fällt daher eher auf die Frontpartie, die trotz verdeckter Kühlerpartie so typisch ist, dass die Identifikation des Wagentyps ein Kinderspiel ist.

Um nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen, unternehmen wir einen kurzen Ausflug in die Moderne Gegenwart – zum Goodwood Revival Meeting 2017, um genau zu sein.

Dort gefiel dem Verfasser an einem der im strömenden Regen abgestellten Besucherfahrzeuge folgende Karosseriepartie besonders:

Lancia Lambda; Bildrechte: Michael Schlenger

Vertreter der „Besser als neu“-Fraktion werden jetzt etwas von „verheerenden Spaltmaßen“ brummeln, aber solche Kritik perlt an diesem Zeitzeugen ab wie Regen…

Der Ausschnitt, der die gleichen Luftschlitze zeigt, die auf dem eingangs gezeigten Foto zu sehen sind, gehört nämlich nicht zu irgendeiner heruntergerittenen Vorkriegskiste, sondern zu einer Ikone des „modernen“ Automobilbaus – einem Lancia Lambda.

Lancia Lambda; Bildrechte Michael Schlenger

Wir haben dieses einst sagenhaft fortschrittliche Modell bereits hier und hier gepriesen, daher seine wichtigsten Verdienste an dieser Stelle nur im Telegrammstil:

  • Einzelradaufhängung rundum,
  • hydraulische Stoßdämpfer,
  • V4-Motor mit kopfgesteuerten Ventilen,
  • selbsttragende Karosserie,

und das alles schon 1923. Kein Wunder, dass der Lancia Lambda bis Anfang der 1930er Jahre aktuell blieb.

Trotz der konstruktiven Vorgaben des selbsttragenden Aufbaus versuchten sich diverse Karosserieschneider an diesem Traumwagen. Dabei blieb die Frontpartie meist unverändert wie auf unserem Foto:

Außer der charakteristischen Anordnung der Luftschlitze auf dem elegant gestreckten Vorderwagen fallen hier auch die großdimensionierten vorderen Bremstrommeln ins Auge.

Sie trugen wie das hervorragende Fahrwerk und der niedrige Schwerpunkt zu den ausgezeichneten Qualitäten des Lancia Lambda als Sportwagen bei.

Doch im vorliegenden Fall handelt es sich um ein Exemplar, das keinen sportlichen Zwecken dienen sollte, sondern ausschließlich der repräsentativen Fortbewegung in einem mondänen Umfeld, in dem Sehen & Gesehenwerden zählten.

Damit wären wir nun bei dem Aufbau, bei dem die seitlichen Scheibenrahmen bei näherem Hinsehen nicht so recht zu einem klassischen Tourenwagen passen wollen:

Bei einem Vierfenster-Cabriolet wiederum würde man sich fragen, warum von den hinteren Seitenscheiben nichts zu sehen ist.

Zum Glück liefert das Foto selbst die Erklärung. Es handelt sich nämlich um eine originale Werksaufnahme von der „Carozzzeria Moderna“ aus Turin, auf der einst jemand mit feiner Feder folgendes vermerkte:

„Torpedo con posti anteriori completamente chiusi da cristalli“

Ein „Torpedo“ bezeichnete im italienischen Karosseriebau traditionell einen Tourenwagen, die „posti anteriori“ sind die Vordersitze, die vollständig („completamente“) mit Scheiben umschlossen („chiusi da cristalli“) sind.

Somit haben wir hier die Besonderheit, dass Fahrer und Beifahrer bei geöffnetem Verdeck quasi im Freien saßen, aber die Fahrt dank Rundumverglasung zugfrei genießen konnten.

Dass das Ganze lediglich der Abschirmung des Chauffeurs dienen sollte, dürfen wir ausschließen. Dann hätte er ja die privilegierte Position gehabt, was einer Umkehrung des traditionellen Außenlenkers nahegekommen wäre, bei dem der Fahrer den Unbilden des Wetters ausgesetzt war und die Insassen geschützt waren.

Zur Veranschaulichung hier die Aufnahme eines bislang nicht identifizierten Außenlenkers:

unbekannter Außenlenker; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die extravagante Karosserieausführung für den Lancia Lambda dürfte sich an Selbstfahrer gewandt haben, die mit ihrer Partnerin möglichst windgeschützt unterwegs sein und gleichzeitig perfekte Rundumsicht haben wollten.

Die hinteren Sitze wären dann für weitere Passagiere vorgesehen gewesen, die man gelegentlich mitnahm, wenn es in die Oper oder ins Theater ging.

Übrigens war die „Carozzeria Moderna“ aus Turin recht kurzlebig – sie scheint nur von der Mitte bis Ende der 1920er Jahre aktiv gewesen zu sein. Sie scheint aber eine Weile mit weiteren ungewöhnlichen Lösungen Furore gemacht zu haben.

In der spärlichen Literatur („Forme e creativitá dell‘ automobile – cento anni di carozzeria“, hrsg. von der Associazione Italiana per la Storia dell’Automobile, Turin, 2011) findet die Manufaktur aber lobende Erwähnung.

Unter anderem besaß man Patente auf spezielle Wechselkarosserien und Türen, die sowohl nach vorne wie auch nach hinten aufgingen. Die Stärke der Firma scheint eher in mechanischen Kabinettstückchen gelegen zu haben denn in der Formensprache.

Was sollte man am Erscheinungsbild eines Lancia Lambda auch groß verbessern? Der Wagen war so modern, das konnte selbst die „Carozzeria Moderna“ nicht mehr steigern…

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Überraschungsgast: Ein Lancia Lambda aus Schottland

Der von 1923–31 gebaute Lancia Lambda gehört zweifellos zu den bemerkenswertesten Wagen der Zwischenkriegszeit.

Mit Einzelradaufhängung rundum, hydraulischen Stoßdämpfern sowie selbsttragender Karosserie und niedrigem Schwerpunkt stand er wie kein anderer für die Moderne im Automobilbau (siehe auch Bildberichte hier und hier).

Für die bahnbrechende Rolle dieses Modells steht sinnbildlich die folgende historische Aufnahme, die einen Lancia Lambda am Ausgang eines Felsdurchbruchs irgendwo in den Alpen zeigt:

Lancia Lambda; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch wenn nur 11.000 Exemplare des Lancia Lambda entstanden, ist es immer wieder erstaunlich, wohin es diese Fahrzeuge einst verschlagen hat.

Bei einer Tour im Gebirge dürfte der Wagen mit seinem niedrigen Schwerpunkt vielleicht nicht so ideal gewesen sein wie bei Sporteinsätzen von Amateuren, wo er zahlreiche Erfolge feierte.

Der Ruhm dieses in der Gesamtheit seiner Qualitäten wohl einzigartigen Fahrzeugs sprach sich jedenfalls rasch herum. Auch in England, wo es nicht gerade an heimischen Sportwagenmarken mangelte, fanden sich begeisterte Käufer.

Und selbst über 90 Jahre nach der Entstehung des Modells gibt es auf der Insel noch Enthusiasten, die ihren Lancia Lambda nicht ängstlich in einer klimatisierten Halle hüten, sondern bestimmungsgemäß bei Wind und Wetter fahren:

Lancia Lambda; Bildrechte: Michael Schlenger

Dieses gut gebrauchte Prachtexemplar war 2017 beim Goodwood Revival Meeting in Südengland zu bestaunen — auf dem Besucherparkplatz wohlgemerkt.

Die jährlich an der legendären Rennstrecke stattfindende Veranstaltung ist nicht nur wegen ihrer historischen Atmosphäre einzigartig – nirgendwo sonst vermitteln einem tausende stilvoll gekleidete Besucher das Gefühl, in einer Zeitschleife zwischen den 1930er und 1960er Jahren gefangen zu sein.

Auch die Qualität der aus- und abgestellten Fahrzeuge in allen möglichen Zustandskategorien sucht in dieser Konzentration ihresgleichen. Dabei macht sich auf dem Veranstaltungsgelände die Begrenzung der Baujahre auf die Zeit bis 1965 segensreich bemerkbar. Sogenannte Youngtimer wird man dort nicht finden.

In Goodwood kommen die Liebhaber richtig alter Automobile auf ihre Kosten, selbst ausgewiesene Veteranenkenner werden ihre Freude haben. Bei so einem Anblick kann man auch über einen verregneten Vormittag hinwegsehen:

Lancia Lambda; Bildrechte: Michael Schlenger

Man sieht diesem Lancia Lambda sein langes Leben an, wie sich das für einen Veteranen seines Schlages gehört. Die Lackierung ist verblasst und an ein paar Stellen abgeplatzt – sicher ist sie schon einige Jahrzehnte alt, vielleicht sogar original.

Der rund 90 Jahre alte Wagen macht trotz der Spuren der Zeit einen soliden Eindruck und man glaubt gern, dass sich damit auch längere Strecken über Land recht bequem zurücklegen lassen. Das moderne Fahrwerk und die großen Vorderradbremsen tragen ihren Teil dazu bei.

Der eigentümliche Reiz des Lancia Lambda ist auch seiner klaren, fast strengen Linienführung zu verdanken:

Lancia Lambda; Bildrechte Michael Schlenger

Dem Lancia Lambda geht die modische Verspieltheit mancher zeitgenössischer Autos ab, damit ist er ein klassisches Automobil im besten Sinne – zeitlos schön.

Gleichzeitig vermeidet die Gestaltung den Eindruck der Einfallslosigkeit – in vielen Details ist der Lancia Lambda eigenwillig – man beachte nur die Form der Scharniere an den Türen:

Lancia Lambda; Bildrechte: Michael Schlenger

Leider war über die Historie dieses eindrucksvollen Wagens, der auf eigener Achse zum Goodwood Revival angereist war, an Ort und Stelle nichts in Erfahrung zu bringen.

Nur dass der Lancia Lambda einst in Schottland zugelassen wurde, ließ sich aus dem Nummernschild erschließen. Die Buchstabenfolge „DS“ verweist auf eine Zulassung vor 1965 in der schottischen Grafschaft Peeblesshire (Quelle).

In Großbritannien dürfen historische Fahrzeuge ihr ursprüngliches Nummernschild ihr ganzes Leben lang behalten, was ihnen Kennzeichenwechsel bei Umzug oder Verkauf und die Montage zeitgenössischer Schilder erspart.

Zwar wissen wir nicht, wo genau der Lancia Lambda heute sein Zuhause hat – eine virtuelle Heimat ist ihm aber auf diesem Blog für Vorkriegsoldtimer sicher.

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

Alpentour mit Lancia „Lambda“-Limousine

2017 jährt sich zum 90. Mal die erste Mille-Miglia – einst noch vor der Targa Florio das anspruchsvollste Straßenrennen – und sicher das berühmteste.

Man sollte meinen, dass die Italiener anlässlich dieses Jubiläums bei der diesjährigen Neuauflage der „Mille“ alle Register ziehen und mit besonderer Präsenz die Vorkriegsboliden von Alfa-Romeo, Lancia und O.M. feiern.

Doch weit gefehlt: Bei der Mille Miglia im Mai 2017 waren von 450 teilnehmenden Fahrzeugen ganze 28 (achtundzwanzig!) in Italien zugelassen. Die übrigen Wagen stammten von Besitzern aus der ganzen Welt.

Dieses eklatante Missverhältnis wurde auch im Vorwort der Mai-Ausgabe des italienischen Klassikermagazins „Ruote Classiche“ beklagt.

Demnach scheinen viele einheimische Besitzer es vorzuziehen, ihre Schätze in klimatisierten Garagen einer (hoffentlich) besseren Zukunft entgegenschlummern zu lassen.

Dabei ist die heutige Mille Miglia längst nicht mehr der materialmordende Vollgasritt auf öffentlichen Straßen, der 1957 mit dem tragischen Unfall von Alfonso de Portago auf Ferrari 315 sein jähes Ende fand.

Warum italienische Besitzer von Vorkriegsklassikern der Oberliga selbst eine genüssliche Gleichmäßigkeitsfahrt meiden, wie sie die Mille Miglia heute darstellt, bleibt unverständlich.

Befinden sich die Wagen vielleicht in den falschen Händen? Wir wollen dieses Thema hier nicht vertiefen.

Stattdessen sei heute ein weiteres Beispiel eines italienischen Exoten der Zwischenkriegszeit vorgestellt, der einst wie selbstverständlich als Langstreckenwagen genutzt wurde – der Lancia Lambda!

Wir haben auf diesem Oldtimerblog schon einige Exemplare dieses Typs vorgestellt, der einen Platz unter den größten PKW-Entwürfen des 20. Jahrhunderts verdient (ausführliches Porträt hier).

Eines dieser Fabeltiere versteckt sich auf der folgenden Aufnahme, die in den 1930er Jahren als Postkarte aufgelegt wurde:

Postkarte der 1930er Jahre aus Sammlung Michael Schlenger

„Gasthaus Mauthäuserl“ steht unten rechts geschrieben – klingt nicht sonderlich italienisch. Tatsächlich ist dieses Foto im südöstlichsten Zipfel Bayerns entstanden, in den Chiemgauer Alpen unweit von Bad Reichenhall.

Das historische „Mauthäuserl“ sieht heute noch ganz ähnlich aus. Nur die Autos, die dort halten, sind auf baldigen Verbrauch hin optimierte belanglose Kisten.

Vor über 80 Jahren gaben sich dort etliche Wagen ein Stelldichein, die für Freunde wirklich alter Gefährte der Inbegriff des klassischen Automobils sind.

Schauen wir uns auf dem sonnenbeschienen Platz einmal um:

Hier haben wir zwei Rolldach-Limousinen – in den 1930er Jahren auch als Cabrio-Limousinen bezeichnet.

Der Wagen im Vordergrund ist ein 6-Fenster-Modell, ein großzügiges Fahrzeug, auch wenn die verkürzte Ansicht dies kaum vermuten lässt.

Eine Identifikation von Hersteller und Typ ist wie bei dem 4-Fenster-Modell im Hintergrund zwecklos. Doch erzählen beide Wagen ebenso wie die Personen in ihrer Nähe und die langen Schatten etwas von einem warmen Sommernachmittag.

Zur Datierung gibt immerhin folgender Ausschnitt einen Hinweis:

Die Cabrio-Limousine mit dem sonnenbeschienen Heck ist sehr wahrscheinlich ein Opel ab Mitte der 1930er Jahre. In Frage kommen vor allem die Typen Olympia und Kadett – Hinweise zur exakten Identifizierung sind willkommen.

Für eine Entstehung nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten – für die nebenbei nie eine Mehrheit der Deutschen in freien Wahlen votierte – spricht der Wimpel am Stander der mächtigen Limousine auf folgendem Ausschnitt:

Die Gestaltung des Vorderrads verweist auf einen Adler des Typs Standard 6 oder 8, dazu würde auch der übrige Aufbau als 6-Fenster-Limousine passen. Auch hier werden sachkundige Anmerkungen von Lesern gern berücksichtigt.

Wo aber verbirgt sich nun der versprochene Lancia?

Kenner werden ihn gleich auf der ersten Übersichtsaufnahme registriert haben. Doch nicht jeder ist ein „Lancista“, wie die Italiener die Freunde der ehrwürdigen Marke aus Turin nennen.

Nun, hier ist er, diesmal in der eher seltenen Variante als viertürige Limousine:

Angesichts des Nummernschilds mit Kennung „II B“ für Oberbayern mag vielleicht manch‘ einer nicht glauben, dass das ein Lancia ist.

Doch das typische Emblem auf der Kühlermaske in Form einer klassischen Tempelfront, die hochliegenden Scheinwerfer und die niedrige Gürtellinie sind Kennzeichen dieses Modells, das auch deutsche Automobilgourmets anzog.

Dieses Auto war auch noch in den 1930er Jahren in technischer Hinsicht zeitgemäß, auch wenn das Erscheinungsbild dies nicht ahnen lässt. So einen Wagen fuhren Kenner, die sich wenig um modische Erscheinungen kümmerten.

Bevor nun jemand einwendet, dass man ja kaum etwas von dem Gefährt erkennt, bringen wir als Vorschau auf den nächsten Blog-Eintrag zum Thema „Lancia Lambda“ die folgende Aufnahme:

Lancia Lambda; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir eine Bilderbuchaufnahme eines offenen Lancia Lambda aus Berlin, die eine Ahnung davon vermittelt, wie sehr dieses Modell am konservativen deutschen Markt aus dem Rahmen fiel.

Kein anderer Wagen kam so leicht, so schlicht und zugleich so sportlich daher. Keiner vereinte soviele technische Kabinettstückchen wie dieser. Und keiner aus dem Hause Lancia ist heute so selten in Aktion anzutreffen, schade.

Dass Fiat die 1969 übernommene Konzernmarke inzwischen faktisch beerdigt hat, ist eine Sache. Doch dass soll nicht bedeuten, dass die Lancisti aller Länder ihre Schätze weiter der Welt vorenthalten sollen…

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and http://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

1931 immer noch ein Traum – Lancia Lambda

Wer sich mit der Geschichte des Automobils in der Vorkriegszeit befasst, steht immer wieder fassungslos vor den Entwicklungssprüngen, die damals binnen weniger Jahre gelangen.

Meist waren einzelne Überzeugungstäter am Werk, die entweder sang- und klanglos scheiterten oder brilliante neue Lösungen fanden. Es gab nur Erfolg oder Untergang – für gepflegte Routine oder Mittelmaß gab es keinen Platz.

Diesem Wettbewerb verdanken wir unseren heutigen Wohlstand, unseren Komfort, unsere Mobilität. Das folgende, über 110 Jahre alte Originalfoto zeigt zwei Pionierautomobile mit ihren stolzen Insassen:

© Zwei Panhard-Levassor von 1900 bzw. 1903, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese gewiss vermögenden Herren aus dem damals deutschen Elsass ahnten, dass sie mit ihren Panhard-Wagen an einer großen Sache beteiligt waren und schauen auf dem Foto entsprechend selbstbewusst drein.

In unseren Tagen scheinen die Voraussetzungen für echten Fortschritt zu schwinden, auch in der Automobilindustrie. Altehrwürdige Konzerne versuchen erstmals in der Autogeschichte, eine über 100 Jahre alte Technologie mit weniger Mobilität zum weit höheren Preis als Fortschritt zu verkaufen – die Rede ist vom Elektroauto.

Wir befassen uns lieber mit den Produkten wirklich schöpferischer Genies aus der Automobilhistorie – heute ist dieses an der Reihe:

© Lancia Lambda, aufgenommen 1931, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Was auf den ersten Blick konventionell daherkommt – so einen klassischen Kühler trugen einst etliche italienische Automobile – ist das zukunftsweisendste Fahrzeug, das in den 1920er Jahren in Serie gebaut wurde – der Lancia Lambda.

Selbsttragende Karosserie, Vierradbremsen, unabhängige Vorderradaufhängung mit hydraulischen Stoßdämpfern, außerdem ein V4-Motor mit kopfgesteuerten Ventilen – jedes dieser Details war Anfang der 1920er Jahre sensationell.

Doch alles das in einem Auto vereint sollte es noch anno 1931 – als unser Foto entstand – nur bei Lancia geben. Der Kopf hinter diesem brillianten Entwurf war ein begnadeter Ingenieur und Besessener – Vincenzo Lancia.

Zugegeben: Er hat das nicht alles im Alleingang entwickelt. Fahrwerk und Chassis entwarf sein Chefingenieur Battista Falchetto, der Motor geht auf Rechnung der Lancia-Ingenieure Rocco und Cantarini – das war’s dann aber auch.

Die Motorleistung von anfangs 50, zuletzt knapp 70 PS in Verbindung mit einer hervorragenden Straßenlage machte den Lancia Lambda zu einem der besten Straßensportwagen der 1920er Jahre. Beim ersten „Mille Miglia“-Rennen 1927 belegten Lancia Lambdas die beiden ersten Plätze in der Hubraumklasse von 2-3 Liter.

Das folgende Originalfoto – ein spektakuläres Dokument – lässt ahnen, wie souverän der Lancia Lambda auch bei scharfer Fahrweise auf der Straße lag:

© Lancia Lambda beim Rusel-Bergrennen, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese brilliante Aufnahme gibt es in keinem Buch, keinem Oldtimermagazin zu besichtigen, nur hier. So etwas findet sich nur mit viel Geduld und Glück.

Trotz seiner unerreichten Qualitäten war der Lancia Lambda stets etwas für Automobil-Gourmets. Bloß rund 11.000 Stück wurden von 1923 bis 1931 gefertigt, in neun Serien, in die ständig Verbesserungen einflossen.

Unter Enthusiasten gilt der Lambda bis heute als der größte Geniestreich der Marke, die seit der Übernahme durch Fiat eine beschämende Existenz führt…

Den beiden jungen Herren auf unserem Foto aus dem Jahr 1931 sieht man jedenfalls an, wie zufrieden sie mit ihrem „alten Lancia“ sind.

Die beiden wussten genau, was für einen Traumwagen sie da an Land gezogen oder geerbt hatten. Denn dieser Typ aus der Zeit kurz nach dem 1. Weltkrieg stellte auch in den 1930er Jahren die meisten in Deutschland gefertigten Autos in den Schatten.

Ein Bankräuber wäre damals mit dem Lancia hierzulande vermutlich so gut bedient gewesen wie sein französischer Kollege mit dem Citroen Traction Avant. Auch dieser war – nebenbei bemerkt – nicht das Produkt vielhundertköpfiger Teamarbeit.

Das Privileg unserer Zeit beschränkt sich vermutlich darauf, die Produkte der Schaffenskraft unserer Vorfahren auf vielfältige Weise genießen zu können…

Vorkriegswagen beim Goodwood Revival 2016

In den letzten Tagen wurden auf diesem Oldtimer-Blog einige Raritäten präsentiert, die beim Goodwood Revival Meeting 2016 in England zu sehen waren.

Für die Freunde von Vorkriegsautos hat der Verfasser außerdem eine Reihe von Aufnahmen im Vintage-Stil aufbereitet, der alte Schwarz-Weiß-Fotos so unverwechselbar macht.

Typisch für historische Abzüge ist die selbst bei großer Schärfe „weiche“ Abstufung der Tonwerte. Harte Kontraste findet man nur selten, ebensowenig reines Weiß und tiefes Schwarz. Die alten Fotos strahlen mehr Wärme aus als moderne Aufnahmen.

Zum Gesamteindruck tragen außerdem Unvollkommenheiten der einstigen Objektive bei. Sie bildeten die am Rand befindlichen Partien weniger scharf ab, wodurch das im Mittelpunkt stehende Motiv stärker betont wird. Diese Effekte lassen sich bei digitalen Bilddateien mit wenigen Handgriffen simulieren.

Beginnen wir mit diesem grandiosen Bentley-Tourenwagen, der auf dem Besucherparkplatz abgestellt war und dessen Besitzer die in Deutschland verbreiteten „Nicht anfassen!“-Warnschilder aufzustellen vergessen hatte:

© Bentley beim Goodwood Revival Meeting 2016; Bildrechte: Michael Schlenger

Auch der Eigentümer eines Bentley-Cabriolets hatte sein prachtvolles Gefährt für jedermann zugänglich auf der Wiese abgestellt, ohne Sicherheitsvorkehrungen gegen Fingerabdrücke auf dem Lack zu treffen – wie leichtsinnig!

© Bentley beim Goodwood Revival Meeting 2016; Bildrechte: Michael Schlenger

Überhaupt scheint sich die Bentley-Fraktion durch besondere Sorglosigkeit auszuzeichnen. Hier stehen gleich zwei Vorkriegsmodelle unbewacht nebeneinander. Übrigens eine Gelegenheit, über den Reiz eines „zivilen“ Aufbaus im Vergleich zu einer Special-Karosserie nachzusinnen, für die allzuoft originale Fahrzeuge geopfert wurden.

© Bentleys beim Goodwood Revival Meeting 2016; Bildrechte: Michael Schlenger

Dem Besitzer des folgenden Bentley-Tourers ist anzukreiden, dass er es versäumt hat, seinen Wagen in den Neuzustand zu versetzen, der leider von zu vielen Zeitgenossen als der einzig wahre Originalzustand angesehen wird:

© Bentley beim Goodwood Revival Meeting 2016; Bildrechte: Michael Schlenger

Dass ein 90 Jahre altes, komplett erhaltenes und fahrbereites Auto in Wahrheit keine „Aufarbeitung“ braucht, wissen die Briten schon etwas länger. So einen Zustand konserviert man mit Bedacht – wer einen Neuwagen will, soll sich halt einen kaufen.

© Bentley beim Goodwood Revival Meeting 2016; Bildrechte: Michael Schlenger

Auch beim nachfolgend abgebildeten Rolls-Royce 20 HP mit originalem Weymann-Aufbau würde die hierzulande übliche „alles auf neu“-Mentalität sinnlos unwiederbringliche Originalsubstanz zerstören:

© Rolls-Royce 20 HP beim Goodwood Revival Meeting 2016; Bildrechte: Michael Schlenger

Wenn es sich nicht vermeiden lässt, muss manchmal auch eine Komplettrestaurierung sein, etwa wenn die Basis unvollständig oder bereits verbastelt war. Dann sollte das Ergebnis aber auch handwerklich das Niveau des Originals erreichen.

Bei diesen beiden Rolls-Royce scheint das gelungen zu sein – Hut ab vor dem Lackierer!

© Rolls-Royce beim Goodwood Revival Meeting 2016; Bildrechte: Michael Schlenger

Keine Mühen und Kosten wurden auch bei diesem extrem seltenen „Peerless“-Taxi in Landaulet-Ausführung gescheut. Der 80 PS starke 6-Zylinderwagen aus den USA dürfte beinahe dem Auslieferungszustand im Jahr 1927 entsprechen:

© Peerless beim Goodwood Revival Meeting 2016; Bildrechte: Michael Schlenger

Größter Aufwand wurde ebenfalls beim folgenden Rover 14 HP Streamline Coupé betrieben, von dem 1935/36 lediglich einige hundert Exemplare gefertigt wurden. Etwas mehr als eine handvoll haben überlebt – Raritäten wie diese findet man in Goodwood!

© Rover beim Goodwood Revival Meeting 2016; Bildrechte: Michael Schlenger

Nicht so selten wie der Rover aber dennoch ein grandioses Fahrzeug ist der Jaguar Mk IV, der hier auf dem Picknick-Areal direkt an der Rennstrecke in Goodwood (an der „Lavant Straight“) abgelichtet wurde. Ein Exemplar dieses Wagens wurde auf diesem Blog bereits anhand eines Originalfotos aus dem 2. Weltkrieg präsentiert.

© Jaguar Mk IV beim Goodwood Revival Meeting 2016; Bildrechte: Michael Schlenger

Eine Rarität ist der auf folgender Aufnahme zu sehende Riley Monaco, die viertürige Variante des Modells Riley 9, zu erkennen am markanten Muster der Luftschlitze in der Motorhaube, das sich an der Aluminium-Karosserie mehrfach wiederholt

© Riley Monaco beim Goodwood Revival Meeting 2016; Bildrechte: Michael Schlenger

Das avancierteste Automobil der Vorkriegszeit auf dem Besucherparkplatz beim Goodwood Revival 2016 war wohl dieser Lancia Aprilia, der ab 1937 gebaut wurde. Dazu passt das Nummernschild, das ab Juli 1937 in der südenglischen Grafschaft Surrey vergeben wurde.

© Lancia Aprilia beim Goodwood Revival Meeting 2016; Bildrechte: Michael Schlenger

Man mag beanstanden, dass das ja fast nur britische Automobile waren. Deutschen Vorkriegsenthusiasten scheint der Weg nach Goodwood aber zu weit zu sein, während umgekehrt britische Bentleys jährlich bei den Classic Days auf Schloss Dyck dutzendweise einfallen – auf eigener Achse natürlich.

Vielleicht geben hiesige Klassikerbesitzer schlicht zuviel Geld für Fließbandfabrikate von Mercedes, Porsche und VW aus, sodass für den Weg nach England das Spritgeld fehlt…

Vor über 80 Jahren: Glückliches Schrauben am Lancia Lambda

In jedermanns Leben gibt es Träume, die unerfüllt bleiben. Das zu akzeptieren und dennoch glücklich zu sein, ist Lebenskunst. Lebenskunst ist auch, sich über die erfüllten Träume anderer ohne Neid freuen zu können; gerade das fällt vielen schwer.

Ein schönes Exempel, an dem wir unser Fähigkeit, anderen ihr Glück zu gönnen, erproben können, ist das folgende Originalfoto der Vorkriegszeit:

© Lancia Lambda Limousine der 1920er Jahre; Foto aus Sammlung Michael Schlenger

Gewiss: einen Preis für das Autofoto des Jahres kann man damit nicht gewinnen. Die Anmutung einer unscharfen Amateuraufnahme war auch der Grund dafür, weshalb sich außer dem Verfasser niemand für den Schnappschuss erwärmen konnte.

Doch das vom Anbieter mehr schlecht als recht beschriebene Foto ließ einen außergewöhnlichen Fund ahnen. Tatsächlich zeigt es einen „Traumwagen“ der Zwischenkriegszeit, der bis heute die Sammlerherzen höher schlagen lässt.

Für dieses hier unscheinbar wirkende Auto würde mancher Enthusiast seinen Bentley oder Horch, Cadillac oder Delage hergeben. Selbst die Mercedes-Kompressorfraktion dürfte bei soviel technischer Brillianz für einen Moment schwach werden.

Zu tun haben wir es mit dem wohl innovativsten Automobil, das in den 1920er Jahren in Serie produziert wurde, dem 1923 vorgestellten Lancia Lambda.

Selbsttragende Karosserie mit niedrigem Gewicht, Einzelradaufhängung mit hydraulischen Stoßdämpfern, kleinvolumiger, drehfreudiger V4-Motor mit obenliegender Nockenwelle – das bot in den 1920er Jahren außer Lancia niemand, schon gar nicht die meist rückständigen deutschen Autohersteller.

Altauto-Gourmets wissen natürlich um die Qualitäten des Lancia Lambda. Daher sind auch Fotos des bis 1931 rund 12.000mal gebauten Typs heiß begehrt. Unser Foto muss aber den meisten Kennern durch die Lappen gegangen sein.

Dabei ist die Identifikation des Wagens auf dem Abzug eigentlich kein Kunststück:

Das Emblem auf dem Kühler mit der schemenhaft erkennbaren „Lancia“-Flagge ist ein erster Hinweis auf den Hersteller. Format und Anordnung der Frontscheinwerfer sind ein klares Indiz für das Modell Lambda. Wegen der bauartbedingt flachen Silhouette des Lambda mussten die Lampen entsprechend hoch angebracht werden.

Die Speichenräder mit Rudge-Zentralverschlussmutter „passen“ ebenso wie die großzügig dimensionierten Bremstrommeln, die an der Vorderachse vieler Wagen der frühen 1920er Jahre noch die Ausnahme waren.

Das Nummernschild mit dem Kürzel „I A“ verrät, dass dieser Lancia Lambda im Raum Berlin zugelassen war. Dieses in jeder Hinsicht herausragende Automobil fand einst auch in Deutschland enthusiastische Käufer.

In unserem Fall spricht allerdings einiges dafür, dass der fröhlicher Schrauber nicht mehr der Erstbesitzer ist. Der Wagen sieht schon stark gebraucht aus und dürfte in den Händen eines frühen Klassikerliebhabers gelandet sein, wohl irgendwann in den 1930er Jahren.

Jedenfalls deutet die Aufnahmesituation nicht auf eine Panne unterwegs hin, eher auf eine größere Reparatur im Motorraum. Dafür spricht die nicht bloß aufgeklappte, sondern komplett entfernte Motorhaube.

Unser Schrauber wirkt nicht gerade wie ein gut betuchter Besitzer, der mal eben unter der Haube nach dem rechten schaut. Es scheint eher ein junger Bastler zu sein, der den schon angejahrten Wagen vielleicht günstig bekommen hat und ihn am Laufen hält.

Ihm gilt unsere ganze Sympathie – denn, Hand aufs Herz: Wer würde einen Lancia Lambda nicht auch besitzen wollen, wenn er nur irgendwie erreichbar wäre? Nicht umsonst galt der Wagen dank einzigartiger Straßenlage und schwer zu übertreffendem Leistungsgewicht als ausgesprochen sportlich:

© Lancia Lambda, gefilmt 2015 in Goodwood; Videoquelle: youtube.com

Bei dem Lancia auf unserem Foto handelt es sich allerdings nicht um die bei Sportfahrern so begehrten offene Version, sondern um eine viersitzige Limousine (ital. Berlina) mit großzügigen Fenstern. Tatsächlich konnte der selbsttragende Karosseriekörper hier noch mit unterschiedlichen Aufbauten versehen werden.

Was wohl aus dem seltenen Wagen geworden ist? Wir wissen es nicht. Das Bild erzählt jedenfalls von der zeitlosen Magie klassischer Automobile und im glücklichen Gesichtsausdruck des längst dahingeschiedenen Schraubers erkennen wir uns selbst…

Wieder kein Brezelkäfer – „nur“ ein Lancia Aprilia…

Es muss einige Leute geben, die einen „Brezelkäfer“ heute für eine Seltenheit halten und deshalb jedes historische Autofoto, auf der eine geteilte Rückscheibe zu sehen ist, reflexartig in diese Schublade einordnen und auf heftiges Interesse hoffen.

Dumm nur, dass die VW-Fraktion nicht anbeißt, wenn auf der Aufnahme etwas ganz anderes zu sehen ist. Für den Verfasser, der meist auf „freier Jagd“ im Netz unterwegs ist, sind solche Fehlzünder dagegen interessant, zumal sie für kleines Geld zu haben sind.

So entpuppte sich vor kurzem ein aufmerksamkeitsheischend als „Brezelkäfer“ titulierter Wagen als in Paris aufgenommener Peugeot 203 – keine schlechte Alternative.

Mit einem ähnlichen Fall haben wir es heute wieder zu tun:

© Lancia Aprilia und Fiat 500 C in Brunnen (Schweiz), Mai 1958; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auf diesem Originalfoto sah der Anbieter ebenfalls einen „Brezelkäfer“.Dabei entging ihm nicht nur der rechts zu sehende „Volkswagen“ italienischer Herkunft. Er hatte auch keine Vorstellung davon, dass das bucklige Auto mit der geteilten Heckscheibe im Unterschied zum Käfer aus Wolfsburg eine ausgesprochene Rarität darstellt.

Bei dem Wagen links handelt es sich nämlich um einen Lancia Aprilia, der von 1937 bis 1947 in weniger als 30.000 Exemplaren gebaut wurde. Trotz der niedrigen Stückzahl verdient der seinerzeit hochmoderne Typ in mehrfacher Hinsicht Anerkennung.

Werfen wir zunächst einen näheren Blick auf die Karosserie:

Der Wagen war erkennbar von der in den 1930er Jahren von vielen Firmen erprobten Stromlinienform geprägt und weist formale Gemeinsamkeiten mit so unterschiedlichen Typen wie dem Tatra 77, dem Crossley-Burney und dem Volkswagen auf.

Der Lancia Aprilia war das letzte Modell, das noch unter Aufsicht von Firmengründer Vincenzo Lancia entwickelt wurde. Markentypisch war der 1,5 Liter messende Vierzylinder in kompakter V-Form, der knapp 50 PS leistete. Dank im Windkanal optimierter Form erreichte der Wagen eine Höchstgeschwindigkeit von 125 km/h.

Der Überlieferung nach war Vincenzo Lancia bei einer Mitfahrt im noch schnelleren Prototypen zunächst skeptisch. Nachdem er selbst das Steuer übernommen hatte, zeigte er sich begeistert vom Fahrverhalten des Wagens, der neben Einzelradaufhängung an der Hinterachse innenliegende Bremsen aufwies, die die ungefederten Massen reduzierten.

Nach dem 2. Weltkrieg wurde der Viertürer, der dank fehlender Mittelsäule einen besonders bequemen Einstieg ermöglichte, praktisch unverändert weitergebaut.

Übrigens gebührt dem Lancia Aprilia das Verdienst, der einzige Zivil-PKW zu sein, der in einem am 2. Weltkrieg teilnehmenden europäischen Land durchgängig produziert wurde – wenn auch zeitweise in winzigen Stückzahlen.

Wer wissen möchte, wie der Lancia Aprilia von vorne aussah, wird in einem anderen Bildbericht auf diesem Blog fündig, in dem das Modell zufällig ebenfalls zu sehen ist

Nun noch ein Seitenblick auf den Wagen, der rechts auf unseren Bild zu sehen ist:

Es handelt sich um ein Exemplar des ab 1949 gebauten Fiat 500 C – eine Weiterentwicklung des bereits 1936 vorgestellten legendären „Topolino“. Die Frontpartie erscheint eigenwillig, vermutlich war der Kühlergrill nicht serienmäßig.

Das Nummernschild mit der Buchstabenkombination „SZ“ gefolgt von vier schwarzen Ziffern auf weißem Grund gab zunächst Rätsel auf. Ein aufmerksamer Leser gab den Hinweis, dass es wahrscheinlich ein schweizerisches „Kontrollzeichen“ ist, wobei das Kürzel „SZ“ für den Kanton Schwyz stünde. Da die laufenden Nummern damals noch recht niedrig waren, konnte die Schrift größer ausfallen als heute.

Dies passt zum Entstehungsort des Fotos. Laut umseitigem Vermerk wurde das Bild im Mai 1958 in Brunnen (Schweiz) gemacht. Das dortige Gasthaus „Ochsen“ sieht heute noch fast genauso aus. Nur so attraktive Autos wird man vergeblich suchen…

Italienische Klassiker in Cervinia Anfang der 1950er Jahre

Die Wintersportfreunde wird es freuen: Nun haben die Skiorte in den Alpen doch noch „Schnee satt“ bekommen. Wer dagegen genug von der kalten Jahreszeit hat und als Oldtimer-Liebhaber vom Saisonauftakt träumt, findet vielleicht Gefallen an folgendem Originalfoto aus dem italienischen Cervinia (Aostatal), das Anfang der 1950er Jahre entstanden ist:

© Postkarte aus Cervinia/Oberitalien, 1950er Jahre; aus Sammlung Michael Schlenger

Wie man sieht, hat die Berglandschaft auch ohne Schnee ihren Reiz. Wer klassische italienische Fahrzeuge mag, kommt auf diesem schönen Bild ganz auf seine Kosten. So stehen auf dem Parkplatz im Vordergrund einige interessante Wagen, darunter auch solche, die damals bereits absolute Raritäten darstellten:

Praktischerweise stehen die Autos annähernd nach Baujahr und Anschaffungswert sortiert. Gehen wir sie einfach der Reihe nach von links nach rechts durch.

Links außen steht ein Fiat 1100, der in den späten 1930er Jahren vorgestellt wurde und am Anfang einer Modellgeschichte stand, die bis in die 1990er Jahre reichen sollte. Der hier zu sehende Wagen trägt den keilförmigen Kühlergrill, der 1939 erstmals verbaut wurde. In der Nachkriegszeit wurde der Wagen bis 1948 weiterproduziert. Übrigens haben wir es hier mit dem äußerst raren Cabriolet der Baureihe zu tun!

Nächster in der Reihe ist das Modell Aprilia von Lancia. Dieser aerodynamisch optimierte Mittelklassewagen wurde von 1937-49 gefertigt – in kleinen Stückzahlen auch den gesamten 2. Weltkrieg über.

Mit knapp 50 PS aus 1,5 Liter Hubraum war der Wagen für damalige Verhältnisse großzügig motorisiert. Zum Vergleich: Mercedes mutete seinen Kunden beim hubraumstärkeren Modell 170 V weniger als 40 PS zu. Lancias Aprilia erreichte eine Höchstgeschwindigkeit von 125 km/h, ohne als unzuverlässig zu gelten.

Beim dritten Wagen sind wir bereits in den 1950er Jahren. Es handelt sich um einen Fiat 1400 in moderner Pontonform. Mit dem schon 1949 vorgestellten Modell zeigte die Turiner Marke, was in dieser Klasse möglich war, ohne auf Solidität und Verlässlichkeit zu verzichten (Bildbericht). Diesen innen wie außen großzügigen und technisch modernen Wagen kennt hierzulande kaum jemand.

Auch in dieser Zeit hielt Mercedes an formal wie technisch rückständigen Konstruktionen fest – gewiss nicht aus Unvermögen der Ingenieure, sondern aufgrund einer überängstlichen Geschäftspolitik. Borgward zeigte mit dem 1949 präsentierten Hansa, dass es auch anders ging.

Zurück zu unseren Italienern. Nächster im Bunde ist eine der Ikonen italienischen Automobilbaus der 1950er Jahre, das Lancia Aurelia B20 Coupé. Zum Rang dieses ersten Gran Turismo der Automobilgeschichte muss man nicht viel sagen.

Nur etwas mehr als 3.000 Stück wurden davon gebaut. Doch hat dieser unerhört schlichte, elegante und sportliche Wagen das Bild der Marke nach dem Krieg geprägt wie wohl kein anderes Modell. Vermutlich ist es heute schwieriger, eine der weit häufiger gebauten Limousinen des Typs anzutreffen als das herrliche Coupé.

Wer meint, dass nun keine Steigerung mehr möglich sei, muss sich eines Besseren belehren lassen. Denn rechts außen – neben einem Renault 4CV, der uns das Heck zeigt, steht eine noch größere Rarität. Es handelt sich um ein Alfa Romeo 1900 Coupé.

Das verraten nicht nur die langgestreckten, fließenden Formen und der filigrane Dachaufbau, sondern vor allem der markant ausgestellte hintere Kotflügel. Kein anderer Wagen jener Zeit wies eine solche meisterhafte Linienführung auf.

Mehr zu dem grandiosen Modell von Alfa-Romeo – vermutlich ein Superleggera-Modell der Karosseriefirma Touring aus Mailand – findet sich in diesem Bildbericht. Es ist bewegend und erschütternd zugleich, welche Klasse die Marke Alfa-Romeo einst verkörperte und was davon übriggeblieben ist.

Leider muss man auch zu Lancia und Fiat feststellen, dass diese Hersteller ihre besten Zeiten lange hinter sich haben. Auf dem historischen Bild aus einem mondänen Urlaubsort sieht man Wagen dieser einst stolzen italienischen Marken versammelt und bekommt vorgeführt, was in etwas mehr als einem halben Jahrhundert aus dem alten Europa geworden ist – eine in jeder Hinsicht entgrenzte Region, in der ein beliebiger internationaler Geschmack Einzug gehalten hat.

Schloss Dyck 2015: Rückblende in Analogtechnik

Die Classic Days auf Schloss Dyck am Niederrhein müssen nicht mit vielen Worten angepriesen werden. Wer einmal dort war, ist süchtig nach Deutschlands schönster Klassikerparty. Das Warten auf die nächste Ausgabe des Spektakels lässt sich vielleicht mit einigen Bildern aus dem Jahr 2015 erträglicher gestalten.

Der Verfasser hat von dort Aufnahmen mitgebracht, die nach alter Väter Sitte in Analogtechnik entstanden sind. Auf einer Klassikerveranstaltung, bei der historische Technik gefeiert wird, liegt es nahe, auch eine Kamera einzusetzen, an der ebenfalls alles manuell eingestellt werden muss.

Hier ein erster Vorgeschmack, die Brücke über den Wassergraben von Schloss Dyck:

© Schloss Dyck Classic Days 2015; Bildrechte: Michael Schlenger 

Ja, aber gibt es für die alten Kameras überhaupt noch Filme? Sicher, so wie es auch noch Kerzen und handgefertigte Schuhe gibt. Bei allem Fortschritt überleben die meisten alten Handwerke und Technologien in einer Nische – zur Freude von Individualisten. Und so entdecken heute selbst Leute, die mit der Digitaltechnik großgeworden sind, den Reiz der klassischen, auf Chemie basierenden Fotografie wieder.

Die Beschränkung auf 36 Aufnahmen pro Film erzieht dazu, über jedes Bild nachzudenken. Mangels Programmen muss der Fotograf den Prozess der Bildentstehung verstehen – und kann ihn daher auch bewusst steuern. Letztlich liefert die auf Chemie basierende klassische Fotografie andere Ergebnisse als die digitale.

Man sieht das den folgenden Bildern an – auch wenn es sich um datenreduzierte Digitalscans handelt; die Negative liefern natürlich weit mehr Details. Beginnen wir mit Cyclecars und kompakten Sportwagen der 1920/30er Jahre:

© Schloss Dyck Classic Days 2015; Bildrechte: Michael Schlenger 

Zu sehen waren hier ein Cyclecar der französischen Marke Amilcar, ein MG-Roadster und ein Bugatti-Rennwagen – alles feingliedrige Sportfahrzeuge, die einst viele Erfolge feierten.

Eine ganz andere Dimension stellen die Bentleys der Zwischenkriegszeit dar. Sie sind groß, schwer und selten elegant. Doch sind sie so opulent motorisiert, dass sich damit heute noch auf der Autobahn mithalten lässt. Von diesem Potential machen die Mitglieder des Londoner Benjafield’s Racing Club Gebrauch, die jährlich zu den Classic Days auf Schloss Dyck auf eigener Achse anreisen. Hier eine Auswahl dieser mächtigen  Vehikel:

© Schloss Dyck Classic Days 2015; Bildrechte: Michael Schlenger 

In der Bentley-Liga treten stets auch „Specials“ auf, also umgebaute Fahrzeuge auf Basis von Werkschassis. Das können im Idealfall zeitgenössische Wagen sein, aber ebenso Kreationen der Nachkriegszeit, bei der jemand aus einem Wrack etwas Eigenes gezaubert hat. Heute noch dienen kaum restaurierungswürdige Limousinen von Marken wie Alvis oder Riley als Basis für solche Sportgeräte. Das Resultat ist oft sehr ansehnlich – und selbst aus einem braven Austin Seven lässt sich ein Sportwagen machen!

Natürlich ist auch die Klasse der Luxuswagen der Vorkriegszeit auf Schloss Dyck stets mit großartigen Exemplaren vertreten. Hier sind majestätische Limousinen, Roadster und Tourer von Marken wie Mercedes, Lagonda und Rolls-Royce in Bewegung unter freiem Himmel zu sehen. Diese Fahrzeuge muss man außerhalb eines Museums erlebt haben, um ihre phänomenale Präsenz zu begreifen. Eine kleine Auswahl davon:

© Schloss Dyck Classic Days 2015; Bildrechte: Michael Schlenger 

Doch auch Klein- und Mittelklassewagen der 1930er Jahre kommen auf Schloss Dyck zu ihrem Recht. Dabei sind neben Werkskarosserien auch Sonderanfertigungen zu sehen, die etwa aus einem kleinen Tatra ein mondänes Gefährt machen. Zu sehen gibt es auch seltene Transporter-Ausführungen wie im Fall des Lancia Aprilia:

© Schloss Dyck Classic Days 2015; Bildrechte: Michael Schlenger 

Zum Schluss noch einige Leckerbissen für die Freunde klassischer Wagen der 1950er und 60er Jahre. Hier gibt es traumhafte GTs von Marken wie Lancia oder Maserati zu sehen, die einen von der verlorengegangenen Schönheit im Automobilbau träumen lassen. Jedes Jahr wird außerdem ein besonderer Marken- oder Typenakzent gesetzt. 2015 wurden beispielsweise herausragende Exemplare der britischen Marke Bristol präsentiert:

© Schloss Dyck Classic Days 2015; Bildrechte: Michael Schlenger 

Last but not least sei erwähnt, dass man bei den Classic Days stets auch ein glückliches Händchen hat, was die Auswahl des begleitenden Showprogramms angeht. Diese jungen Damen etwa begeisterten mit einem perfekten Auftritt im Stil der 1940er Jahre:

© Schloss Dyck Classic Days 2015; Bildrechte: Michael Schlenger

V8-Juwel der 1920er Jahre: Lancia Trikappa

Die italienische Marke Lancia stand jahrzehntelang für technische und gestalterische Leckerbissen – heute muss der ehrwürdige Name unter anderem für US-Massenware herhalten. Es scheint, als wolle der Fiat-Konzern der 1969 übernommenen Marke mit Gewalt ein Ende bereiten.

Für in der Wolle gefärbte Lancisti zählen ohnehin nur die Modelle vor der Übernahme durch Fiat, bei denen sich der Ingenieursgeist noch ungestört austoben durfte.  Das war wirtschaftlich nicht immer erfolgreich, doch allemal besser als das, was folgen sollte.

Zu den konstruktiven Meisterstücken von Lancia gehören die V-Motoren mit engem Zylinderwinkel. Charakteristisch war die Unterbringung beider Zylinderbänke in einem Block und der Antrieb der Ventile durch eine gemeinsame obenliegende Nockenwelle.

Die bekannteste Anwendung des Prinzips dürfte der V6-Motor der Lancia Aurelia sein, die auch formal als erster Gran Turismo eine Klasse für sich ist.

© Lancia Aurelia, Classic-Gala Schwetzingen 2014; Bildrechte: Michael Schlenger 

Doch schon die 1937 vorgestellte Lancia Aprilia kam mit einem 4-Zylinder-Motor in V-Anordnung daher. Dank aerodynamisch optimierter Karosserie waren mit weniger als 50 PS bis zu 130km/h Spitzengeschwindigkeit möglich. Die Aprilia war das letzte unter Firmengründer Vincenzo Lancia entwickelte Modell.

Hier ein Exemplar der Aprilia mit Pritschenwagenaufbau aus der frühen Nachkriegszeit, als auch in Italien Transportkapazität knapp war und viele Limousinen zu solchen „Lasteseln“ umgebaut wurden.

© Lancia Aprilia Pritschenwagen, Classic Days Schloss Dyck 2014; Bildrechte: Michael Schlenger 

Die Geschichte der V-Motoren bei Lancia reicht aber noch weiter zurück. Lancia-Kenner werden vermutlich den Lancia Lambda von 1922 als bekannteste Anwendung des Prinzips bei Vorkriegs-Lancia nennen.

In der Tat war der Lambda ein Technologieträger höchsten Ranges: mit der ersten selbsttragenden Karosserie in Serie, Einzelradaufhängung vorne und Mitteltunnel für die Antriebswelle, wodurch erstmals eine tiefe Sitzposition möglich wurde. Kein anderer Wagen der frühen 1920er Jahre wies eine derartig niedrige Linie auf.

Was kaum bekannt ist: Als der Lambda noch im Werden war, stellte Lancia 1922 den Trikappa vor, der über einen V8-Motor mit obenliegender Nockenwelle verfügte und aus 4,6 Liter Hubraum 100 PS schöpfte. Formal entsprach der Trikappa der Konvention der Zeit, wie dieses Originalfoto der Tourenversion mit Torpedo-Karosserie zeigt:

© Originalfoto Lancia Trikappa, 1922; Sammlung: Michael Schlenger 

Das hier gezeigte Exemplar stammt aus der ersten Serie, die vorne noch nicht über Bremsen verfügte. Ab 1923 wurden Vierradbremsen Standard und das Werk bot eine Nachrüstung für ältere Exemplare des Trikappa an. Dass Lancia seinerzeit vielen Konkurrenten voraus war, zeigen auch Details wie die 4-Gang-Schaltung und die 12-Volt-Elektrik von Bosch.

Bis 1925 baute Lancia ganze 847 Exemplare des Trikappa. Das ist aus heutiger Sicht nicht der Rede wert, doch damals galten andere Maßstäbe: Qualität vor Quantität, das war das Motto vieler Hersteller in Europa in der Zwischenkriegszeit.

In einem Lancia Trikappa eröffnete 1924 der italienische König Vittorio Emanuele III. die erste Autobahn der Welt – von Mailand nach Varese.