Das ist deutsche Wertarbeit: Ein Teutonia „Special“

Der Kult um die angeblich einzigartige deutsche Wertarbeit geht mir ebenso auf die Nerven wie die selbstgefällige Behauptung, die Deutschen seien irgendwie von Natur aus zuverlässiger, fleißiger und einfallsreicher als andere Völker.

Meine Erfahrung bestätigt dieses Selbstbild jedenfalls nicht. Deutschland hatte nach dem 2. Weltkrieg das Glück, eine ziemlich reine Form der Marktwirtschaft verordnet zu bekommen, während bei unseren Nachbarn in Österreich, Italien, Frankreich und England planwirtschaftliche Tendenzen überwogen.

Für mich als Volkswirt war das „Wirtschaftswunder“ von daher gar keines, vielmehr war der Aufstieg Deutschlands aus der Asche des 2. Weltkriegs hauptsächlich der Tatsache geschuldet, dass man sich weitgehend auf die kapitallenkende Wirkung des Preismechanismus und die qualitätsfördernde Peitsche des freien Wettbewerb verließ.

Unterdessen konzentrierte sich der Staat auf seine vornehmsten Aufgaben: Infrastruktur, Recht und Sicherheit – dafür erhob er nur sehr geringe Abgaben von Unternehmern und Arbeitnehmern und mischte sich in deren Alltag ansonsten nicht ein.

Anders gesagt praktizierte Deutschland bis Ende der 1960er Jahre die reinste Form des Kapitalismus in Europa – was nicht nur Vorteile für jeden einzelnen mit sich brachte, aber in der Gesamtbetrachtung den Bürgern weit mehr Vor- als Nachteile bescherte.

Das Resultat wurde im Ausland gern als Ausfluss spezifischer deutscher „Tugenden“ oder auch Obsessionen dargestellt, weil die dirigismusverliebten Regierungen ihren Schäfchen dort ja nicht sagen konnten, dass sie selbst dem Aufschwung im Weg standen.

Unter den harten kapitalistischen Verhältnissen bis zum 1. Weltkrieg dagegen waren unsere Nachbarn tatsächlich mindestens ebenso fleißig, erfinderisch und produktiv – das kann man gerade im Automobilbau besichtigen.

Eine strukturelle Überlegenheit deutscher Konstruktionen ist dort nicht zu erkennen – hervorragend entwickelt und handwerklich ausgezeichnet gebaut wurde überall, wo es eine Autoindustrie gab. Innovationsgeist bei den Ingenieuren, Risikobereitschaft bei den Unternehmern und beste Ausbildung der Arbeiter waren schlicht europäischer Standard.

Das lässt sich selbst in einem so kleinen, aber damals hochmodernen Land wie Belgien sehen, wo damals eine unglaubliche Zahl an ausgezeichneten Autobauern aktiv war.

Die Lizenzproduktion der belgischen Metallurgique-Wagen seitens Bergmann in Berlin ist ein besonders augenfälliges Beispiel dafür:

Bergmann-Metallurgique-Reklame von 1913; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Nach dem 1. Weltkrieg geriet die deutsche Automobilindustrie – oder sagen wir besser: die deutschen Automanufakturen – für gut eine Dekade ins Hintertreffen. Alle Gründe dafür zu erörtern, führte zu weit.

Nur zwei wichtige sind anzuführen: Die brutalen Belastungen durch den niederträchtigen Versailler „Vertrag“ und das fehlende Verständnis in deutschen Landen für wirtschaftliche Aspekte wie Kapital, Standardisierung, Skalierung und nüchterne Marktanalyse.

Das Ignorieren der für den Erfolg beim Kunden so wichtigen kaufmännischen Aspekte durchzieht die Historie unzähliger deutscher Automarken Anfang der 1920er Jahre.

Dutzende Hinterhofhersteller versuchten entgegen alle Vernunft mit Eigengewächsen und teuer zugekauften Standard-Einbaumotoren einen viel zu kleinen Markt zu erobern. Das konnte nicht funktionieren, dennoch wurde es versucht – wieder und wieder und wieder.

Dieses heroische (oder besser: irrationale) Anrennen gegen die Realität scheint mir eher ein Wesenzug vieler deutscher Techniker zu sein als besondere Talente, die ihren Kollegen aus Nachbarländern angeblich fehlten. Daneben gab es eine fatale Neigung zum Over-Engineering, die sich im 2. Weltkrieg und auch bis in unsere Tage beobachten lässt.

Aber: Es gab nach dem 1. Weltkrieg auch noch den soliden Handwerker, der deutsche Wertarbeit nach alter Väter Sitte ablieferte. Ein prächtiges Beispiel dafür verdanke ich Leser Klaas Dierks, der diesem einzigartigen Teutonia „Special“ auf die Spur gekommen ist:

Teutonia „Special“ um 1920; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Ich muss wohl nicht eigens darauf hinweisen, dass die Marke Teutonia „Special“ meine eigene Erfindung ist, oder?

Dieses oberflächlich rustikal anmutende Meisterwerk deutscher Handwerkskunst verdient jedoch ein sorgfältiges Studium, zu dem ich sie, liebe Leser, ausdrücklich einlade.

Hier wurde nur Material vom Feinsten verbaut und mit großer Präzision zu einem Musterbeispiel für teutonischen Perfektionsdrang zusammengefügt.

Wenn ich es richtig sehe, kombinierte man mit Sorgfalt und Sinn für ein harmonisches Gesamtbild den Kühler eines modernen NAG, die Motorhaube eines großen Vorkriegs-Opel und den Rahmen eines gigantischen Wagens, der eventuell weit vor 1910 entstand.

Die genaue Ansprache der Ingredienzen der einzelnen Teile dieses einzigartig gelungenen „Special“ überlasse ich gern Ihnen – dafür gibt es die Kommentarfunktion.

Nur auf eines will ich ausführlicher eingehen: Den Anlass für den heutigen Blog-Eintrag gab die Konfrontation mit deutscher Wertarbeit in meinem Domizil von etwa anno 1900.

Am Originalbestand gibt es nichts auszusetzen – Ziegelmauern und Fachwerk in solider Qualität, an sich für Jahrhunderte gemacht. Bloß die seit den 1970er Jahren erfolgten „Modernisierungen“ geben immer wieder Anlass zur Freude.

Zwar ist der hässliche baufällige Anbau der 80er Jahre längst abgerissen und das von einem Malermeister (dem Vorbesitzer) ignorant zugespachtelte Fachwerk wieder freigelegt.

Doch die letzten Wochen mit viel Regen brachten weiteren Handwerkerpfusch zutage. Im Erdgeschoss befand sich einst ein Gästebad, das wir bei Erwerb beseitigen ließen. Leider wurden die Wasserabläufe von den Experten damals nur zugekleistert und nicht fachgerecht verschlossen.

So haben wir jetzt dank eines Rückstaus den schönsten Wasserschaden – zum Glück in zwei nicht unterkellerten Räumen mit Steinboden. Zu meiner Schreibtischarbeit kommen nun einige unappetitliche Aktivitäten hinzu, aber der Mensch gewöhnt sich an alles.

Heute war ein wirklich fähiger Handwerker da, der uns seit Jahren begleitet, was Heizungs- und Sanitärarbeiten angeht. Gemeinsam mit ihm gelang die Lokalisation der Problemstellen.

Unterdessen verrichtet der No-Name-Entfeuchter vom China-Mann seit Tagen unverdrossen seine Arbeit und zieht Dutzende Liter Wasser aus Luft und Mauerwerk. Selbst wenn er den Geist aufgibt, ist der Ersatz dank einer bei manchen verpönten US-Plattform binnen eines Tages verfügbar und weit billiger als ein deutsches Gerät (falls es überhaupt eines gibt).

Sie sehen, ich habe im Moment noch ein paar andere Hobbies außer den auf vier Rädern, aber den Spaß lasse ich mir davon nicht verderben. Es gibt für alles eine Lösung – mag sie auch Einfallsreichtum und grobes Handwerkszeug erfordern wie einst der Teutonia „Special“…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.