Winter adé – Zwei „Grahams“ von 1930/31

Wir schreiben den 17. März 2019 – nur noch wenige Tage, um den Winter zum Teufel zu jagen und dem Frühling frohgemut entgegenzusehen. Dazu passen perfekt die zwei Autofotos aus der Vorkriegszeit, die ich heute vorstellen will.

Beide zeigen Wagen einer amerikanischen Marke, die einst auch in Deutschland einiges Ansehen genoss, doch heute hierzulande weitgehend vergessen ist – Graham.

Die Firma wurde zwar erst 1927 von den Gebrüdern Graham gegründet, doch geschah dies im Zuge der Übernahme der bereits seit 1908 bestehenden Marke Paige. Dementsprechend firmierte man anfänglich unter Graham-Paige, ab 1930 beschränkte man sich auf den Namen Graham.

Damit wären wir im Baujahr des ersten Wagens, um den es heute geht:

Graham_Cabriolet_1930_Ausschnitt

Graham Roadster von 1930; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Graham, der hier neben einer Schneewand auf einer freigeräumten Straße aufgenommen wurde, lässt sich unter anderem anhand der Ausführung der Kühlermaske datieren.

Typisch ist die speziell im oberen Bereich filigrane Kühlereinfassung mit den verchromten Stäben sowie die stark geschwungene Stange zwischen den beiden Scheinwerfern.

Beim Vorgänger von 1928/29 sah das noch ganz anders. Ein entsprechendes Exemplar mit Berliner Zulassung habe ich hier bereits beschrieben:

Graham-Paige von 1928/29; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Allzuviel lässt sich zu dem Graham auf dem ersten Foto sonst nicht sagen. Es gab ihn wie bei amerikanischen Mittelklassewagen üblich mit sechs und acht Zylindern.

Bemerkenswert ist vielleicht, dass er ab Werk mit fünf Radständen und in einem Dutzend Karosserievarianten erhältlich war – in Großserienfertigung, wohlgemerkt!

Bedeutende Unterschiede der Graham-Modelle der Jahr 1930 und 1931 konnte ich nicht ausmachen. Der nächste große Sprung sollte erst 1932 erfolgen – mit dem radikal neuen Typ „Blue Streak“.

Nur ein paar Kleinigkeiten unterschieden den Graham des Jahrgangs 1931 von dem des Vorjahrs – die einteilige Stoßstange, die nunmehr gerade Scheinwerferstange und die Positionsleuchten auf den Kotflügeln:

Graham Limousine von 1931; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Sehr gut zu erkennen ist aus dieser Perspektive der stämmige Auftritt des Grahamtypisch für viele US-Wagen, die mit breiter Spur den oft noch unbefestigten Wegen in der Fläche der Vereinigten Staaten Rechnung trugen.

Möglicherweise lag auch der Aufnahmeort – laut Kennzeichen im Umland von New York – in einer nur wenig erschlossenen Gegend, wo große Bodenfreiheit und „breitbeinige“ Statur von Vorteil waren.

Immerhin scheint auf diesem schönen Foto, das einst deutsche Auswanderer an die Verwandten in der alten Heimat schickten, der Winter auf dem Rückzug zu sein.

Die Sonne muss hier bereits einige Wärme verströmt haben, sonst hätte die junge Dame kaum ohne Mantel, Hut und Handschuhe im Freien posiert. Nur einer der Hunde ist mit dem Nahen des Frühlings unzufrieden – kein Wunder bei dem Pelz:

Ich werde den Verdacht nicht los, dass diese als Postkarte verschickte Aufnahme einen professionellen Hintergrund hat. Handelt es sich bei der adretten jungen Dame, die hier so kokett in die Kamera lächelt, vielleicht um eine Prominente jener Zeit?

Wie immer bin ich für Ideen und Sachinformationen dankbar, die einem Bild wie diesem möglicherweise sein Geheimnis zu entlocken vermögen.

So oder so bleibt der Eindruck eines in jeder Hinsicht gelungenen Fotos einer ansehnlichen Graham-Limousine von 1931, das Hoffnung auf ein Weichen des Winters und das Nahen des Frühlings weckt…

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Bleibender Eindruck: Graham „Blue Streak“ und Steyr 100

Leser dieses Oldtimerblogs für Vorkriegsautos wissen, dass der Verfasser Veteranenfahrzeuge gern aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet.

Je nach Blickwinkel kann man ein und demselben Modell neue Reize oder zuvor übersehene Details abgewinnen. Von den meisten Fahrzeugtypen gibt es genug Originalfotos, um so nach und nach ein vollständiges Bild zeichnen zu können.

Dazu braucht es aber Geduld, denn in der Vorkriegszeit wurden Automobile meist von der Seite aufgenommen, oft umlagert von stolzen Insassen – mitunter auch Passanten, die sich gern mit einem Kraftwagen ablichten ließen.

Schön, wenn man irgendwann ein dreidimensionales Bild eines historischen Fahrzeugs vor sich hat, mit Kühlerfront, Seitenpartie und (selten!) dem Heck. So eine „3D-Aufnahme“ bringen wir demnächst anhand eines Adler Standard 6…

Dumm aber, wenn man von einem Wagen nur eine Heckaufnahme vorliegen hat:

Tourenwagen um 1920; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses großartige Foto – wo findet man eigentlich heute solche Charaktere? – musste einfach in den Fundus des Verfassers, obwohl die Chancen schlecht stehen, den mächtigen Tourenwagen im Hintergrund je zu identifizieren.

Wer eine zündende Idee dazu hat, möge bitte die Kommentarfunktion nutzen.

Solche scheinbar hoffnungslosen Fälle finden sich reichlich, oft sind es Aufnahmen von großem Reiz. Mitunter kauft der Verfasser solche Fotos bloß, weil es zu schade wäre, wenn sie irgendwann in der Mülltonne landen.

Es kann aber auch passieren, dass man eine weitere Aufnahme eines Autos findet, das man schon kennt – und zwar exakt desselben Fahrzeugs, nicht nur des gleichen Typs! Mit so einem Glücksfall haben wir es heute zu tun:

Graham „Blue Streak“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wer sich nicht gleich erinnert, könnte darauf verfallen, hinter dieser hocheleganten Frontpartie einen französischen Wagen zu vermuten.

Die Aufnahme scheint irgendwo in südlichen Gefilden entstanden zu sein. War da einst ein reicher Schnösel mit einem Luxusgefährt aus Manufakturproduktion irgendwo an der Côte d’Azur oder in Oberitalien unterwegs?

Nun, wo genau die Aufnahme entstanden ist, wissen wir nicht. Wir haben aber genau dieses Auto bereits hier unter prosaischeren Umständen kennengelernt.

Dasselbe Kennzeichen, das auf eine Zulassung im Berliner Raum verweist, dieselbe Kühlerpartie und die mittig unterbrochene Stoßstange:

Jetzt fällt der Groschen: Das ist ein Graham „Blue Streak“, dessen erstes Erscheinen 1932 Furore machte. Erstmals verschmolz hier das Kühlergehäuse mit der übrigen Karosserie und wurde nicht mehr als eigenständiges Element abgesetzt.

Gleichzeitig wurden die Vorderkotflügel mit einem Blech verbunden, das den Blick auf die Achspartie kaschierte – das war der Ursprung der aus einem Guss wirkenden Karosserien, die sich nach dem 2. Weltkrieg durchsetzten.

Eindruck machte der Graham „Blue Streak“ nicht nur in formaler Hinsicht. Auch die Motorisierung – einschließlich einer kultivierten Kompressorvariante – machte deutlich, dass US-Hersteller in der Vorkriegszeit tonangebend waren.

Wer sich für Einzelheiten interessiert, dem sei der ausführliche Bildbericht zu dieser Stilikone der frühen 1930er Jahre empfohlen.

Unterdessen wenden wir uns einem Wagen zu, der einiges vom Einfluss des Graham „Blue Streak“ auf die Automobilgestaltung in den frühen 1930er Jahren verrät:

Steyr 100; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks (mit freundlicher Genehmigung)

Dieses einst wohl von einem Gourmet gestaltete Dokument verdanken wir Leser Klaas Dierks, dessen Sammlung historischer Fotografien auch erlesene Autoaufnahmen umfasst, die wir nach und nach zeigen dürfen.

Hier sehen wir, wie schnell sich der vom Graham „Blue Streak“ vorgegebene neue Stil auch in Europa durchsetzte.

Die österreichische Qualitätsmarke Steyr nahm 1934 bei der Vorstellung des Vierzylindertyps 100 den formalen Grundgedanken des US-Vorbilds auf. Übrigens ließ Steyr den Aufbau von Gläser aus Dresden entwerfen.

Das Ergebnis unterstreicht das Können der sächsischen Karosseriebaufirma, deren Stil in den 1930er Jahren am deutschen Markt einzigartig war – immer elegant und jede Übertreibung ins Schwerfällige oder Kuriose meidend.

Viel mehr wollen wir an dieser Stelle gar nicht zum Steyr 100 erzählen, der ab 1936 als stärkerer und größerer Typ 200 weitergebaut wurde. Parallel gab es ein 6-Zylindermodell (Steyr Typ 220), das formal sehr ähnlich war.

Die auch technisch modernen Steyr-Wagen belegen, welchen bleibenden Eindruck der Graham „Blue Streak“ einst machte. Nur in auflagenstarken deutschen „Oldtimer“-Magazinen wird man sie eher selten finden…

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

US-Stilikone der 1930er – Graham „Blue Streak“

Eine Stilikone – das ist etwas, was als vollkommene Verkörperung einer bestimmten gestalterischen Idee gilt.

In der Nachkriegszeit gehörten in diese Kategorie Wagen wie der Austin „Mini“, der Citroen „2CV“, der Fiat „Cinquecento“, der VW „Käfer“ oder auch Alfa-Romeos „Giulia“.

An amerikanische Wagen würde man – von Ausnahmen wie der Chevrolet „Corvette“ und dem Ford „Mustang“ abgesehen – eher nicht denken.

In der Zwischenkriegszeit sah das anders. Damals waren US-Marken nicht nur technisch überlegen, sondern gaben auch in formaler Hinsicht den Ton an.

Wie stilbildend die US-Modelle damals waren, macht folgende Aufnahme deutlich, die irgendwann Mitte der 1930er Jahre in Amerika entstand:

US-Wagen um 1935; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der kleine Junge vorne links steht vor dem ältesten Fahrzeug auf diesem Bildausschnitt. Mit vertikalem Kühler und ebenso senkrechter Frontscheibe ist es typisch für die Autos der 1920er Jahre.

Auf diese aus den USA vorgegebene sachliche Linie schwenkten speziell deutsche Hersteller oft erst ab 1925 ein. Dann verschwanden die letzten Spitzkühler und es setzten sich Vorderradbremsen durch wie bei dem Wagen auf dem Foto.

Die Autos weiter rechts mit ihren abgerundeten Kühlern und tropfenfömigen Scheinwerfern verweisen auf einen neuen Trend -die Stromlinie:

Besonders interessant ist der Wagen ganz rechts: Er verfügt über etwas, das eine US-Marke 1933 einführte und was sich in Windeseile um den Globus verbreitete.

Die Rede ist von der seitlichen Verkleidung, die aus dem Vorderschutzblech auf einmal ein Radhaus macht. Sie verhinderte, dass das Vorderrad Straßenschmutz auf die Karosserie schleuderte und verbarg auch die wenig ansehnliche Rahmenpartie.

Dieses Element trägt im Deutschen die unschöne Bezeichnung „Kotflügelschürze“.  Nehmen wir das Detail zum Anlass für eine Hommage an den hierzulande kaum bekannten Wagen, bei dem es erstmal zum Einsatz kam – den Graham „Blue Streak“.

Wer jetzt denkt „Graham -was?“, dem sei vergeben. Denn darüber liest man in den hiesigen „Oldtimer“ und „Klassik“-Magazinen natürlich nichts. Dort schreibt man lieber 90er Jahre-Japaner zum Garagengold der Zukunft hoch…

US-Wagen der Vorkriegszeit werden in der einschlägigen Presse hierzulande meist ignoriert. Dabei steht das in krassem Gegensatz zur einstigen Verbreitung von Wagen selbst kleinerer amerikanischer Hersteller in Deutschland.

Zum Beweis werfen wir einen Blick zurück ins Berlin der 1930er Jahre:

Graham „Blue Streak“ von 1934; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ein Wagen wie aus dem Bilderbuch, beinahe französisch-elegant und ungemein präsent wirkend. Die zwei Herren mit gelichtetem Haar waren sichtlich stolz auf das Prachtstück, das unzähligen europäischen Wagen zum Vorbild wurde.

Ohne besondere Kenntnis der amerikanischen Hersteller jener Zeit wäre die Identifikation von Marke und Typ schwierig. Doch zum Glück trägt der Kühler unten ein Emblem mit dem Schriftzug „Graham“.

Die namengebenden Gebrüder Graham kamen ursprünglich aus dem LKW-Geschäft, überließen dieses aber 1926 der Firma Dodge und wandten sich der Autoproduktion zu.

1927 schufen sie nach Übernahme der Firma Paige aus Detroit die neue Marke Graham-Paige, unter der ab 1928 eigenständige Wagen erschienen, die auf Anhieb ein Erfolg wurden. Ab 1930 entfiel der Namenszusatz „Paige“.

Auf den Einbruch der Verkaufszahlen während der Großen Depression Anfang der 1930er Jahre reagiert man bei Graham mit dem formal völlig neuen Typ „Blue-Streak“, der ab 1932 gebaut wurde.

Er verfügte nicht nur als erster Wagen über die erwähnten Seitenschürzen an den Vorderkotflügeln. Neu war auch die wie aus einem Stück wirkende Frontpartie, bei der das Kühlergehäuse sich nicht mehr als eigenständiges Bauteil abhob.

Außerdem bemühte man sich, die Vorderachse möglichst zu verdecken, indem man die Bleche an der Front weit hinunterzog.

Die Wirkung dieser gestalterischen Kunstgriffe kann man auch am Graham „Blue Streak“ des Modelljahrs 1934 auf unserem Foto nachvollziehen:

Typisch für den Graham „Blue-Streak“ von 1934 war die zweiteilige Stoßstange, die die schnittige Erscheinung des Wagens noch verstärkte.

Der „Blue Streak“ machte bei seinem Erscheinen 1932 einen solchen Eindruck, dass sich die Konkurrenten schon im Folgejahr von seiner Gestaltung inspirieren ließ.

So ist zu erklären, dass auch bei deutschen Herstellern ab 1933 Kotflügel mit Seitenschürzen und ähnliche windschnittige Kühlerpartien auftauchten.

Nur in punkto Leistung konnte in dieser Klasse hierzulande nach wie vor keine Marke mithalten. Der „Blue Streak“ wurde mit 6- und 8-Zylindermotoren angeboten, die anfänglich 80 bzw. 90 PS leisteten, später noch etwas mehr.

Ab 1934 baute Graham den „Blue Streak“ außerdem in einer 8-Zylinder-Kompressorversion, die eine Höchstleistung von 135 PS erreichte.

Neben einem leichten Geschwindigkeitszuwachs auf fast 140 km/h zeichnete sich die aufgeladene Variante vor allem durch ein deutlich höheres Drehmoment bei mittleren Drehzahlen aus. Damit war im bereits damals dichter werdenden Verkehr in den USA ein souveränes Überholen langsamerer Wagen möglich.

Vermutlich war Graham der einzige Hersteller, der seinerzeit ein Großserienauto mit permanent laufenden Kompressor anbot. Dabei ging die Aufladung nicht auf Kosten der Haltbarkeit der Motoren und erhöhte auch den Verbrauch nur moderat.

Von einem nervigen Kreischen des Kompressors, wie man es von Mercedes-Benz kennt, ist beim aufgeladenen Graham „Blue Streak“ nichts überliefert.

Die Tester des britischen Magazins „Motor“ zeigten sich 1934 sehr beeindruckt von dem Wagen. Sie beschrieben die Kompressorversion als: „ein Auto, das viele Vorurteile gegenüber der Aufladung zerstreut. Trotz einer Leistung, die einem teuren Sportwagen gut zu Gesicht stünde, ist der Motor extrem leise und von sanftem, flexiblen Charakter. Er startet auch kalt bereitwillig und verbraucht nicht über Gebühr viel Benzin.“

Dieses Urteil aus europäischer Sicht macht den technologischen Vorsprung deutlich, den amerikanische Hersteller in den 1930er Jahren hatten. Kein Wunder, dass Graham seinen „Blue Streak“ auch in Deutschland absetzen konnte.

Von einer solchen Führungsrolle – formal wie technisch – konnten US-Hersteller nach dem 2. Weltkrieg nur noch träumen. Auch Graham sollte den Trend hin zu technisch anspruchslosen und formal oft auf billigen Effekt getrimmten Massenfabrikaten nicht überleben…   

Quelle: http://auto.howstuffworks.com/1932-1935-graham-blue-streak1.htm

 

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and http://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.