Humber „Pullman“ als Beuteauto in Griechenland

Zu den interessantesten Fotos historischer Automobile gehören Aufnahmen, die erbeutete Fahrzeuge während des 2. Weltkriegs zeigen. Sämtlichen europäischen Kriegsparteien mangelte es an militärischen PKW als Stabs- und Kurierautos, weshalb an allen Fronten eingezogene Zivilwagen eingesetzt wurden.

Wenn sich die Gelegenheit bot, bediente man sich beim Gegner und reihte alles in den eigenen Fuhrpark ein, was verfügbar war. So fuhren in Nordafrika deutsche „Landser“ mit britischen Austins und englische „Tommies“ mit VW-Kübelwagen umher, beide Seiten nutzten auch Fiats der italienischen Kriegspartei.

Das folgende Originalfoto zeigt ein seltenes englisches Fahrzeug, das von einer deutschen Wehrmachtseinheit benutzt wurde:

Humber_Pullman_Balkan_1941

© Humber Pullman, an der Südfront im Frühjahr 1941; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das Bild ist trotz des kleinen Formats des Abzugs von so guter Qualität, dass es viele Details erkennen lässt. So lässt sich nicht nur der Wagentyp identifizieren, auch zur Truppeneinheit, die ihn verwendete, lässt sich einiges sagen. Außerdem ist eine ungefähre Angabe des Aufnahmeorts möglich.

Werfen wir zunächst einen näheren Blick auf den Wagen, bei dem bereits der hohe, schmale Kühlergrill verrät, dass es kein deutsches Modell ist.

Wer sich mit britischen Vorkriegswagen auskennt oder sehr gute Augen hat, wird anhand der Markenplakette auf der Kühlermaske auf einen „Humber“ tippen. Diese britische Traditionsmarke ist eine der vielen, die in den 1960er Jahren unterging, zuvor aber lange Zeit Erfolg mit hochwertigen Wagen hatte.

Man merkt dem Wagen auf der Aufnahme an, dass er nicht der Kompaktklasse angehört. Auch liegt man richtig mit der Vermutung, dass unter der Haube keines der schwachbrüstigen Triebwerke residiert, wie sie seinerzeit in Deutschland selbst bei Wagen der oberen Mittelklasse verbaut wurden.

Um es kurz zu machen: Wir haben es mit einem Humber „Pullman“ zu tun, einer Limousine mit großzügig dimensioniertem 6-Zylinder-Motor.

Die geteilte und leicht gepfeilte Frontscheibe verrät, dass dieses Auto frühestens 1936 gebaut worden sein kann. Ab diesem Modelljahr leistete der fast 5 Meter lange Wagen rund 100 PS aus 4,1 Liter Hubraum, was eine souveräne Fortbewegung ermöglichte. Im heutigen Sinn schnell war der Wagen nicht, doch darauf kam es damals auch nicht an.

Die Frage ist: Wie gelangte dieser alles andere als geländegängige Wagen in die menschenleere, südlich anmutende Gegend, in der das Foto entstanden ist?

Dabei hift uns das auf der Rückseite des Bildes vermerkte Datum: 13. Mai 1941. Zu diesem Zeitpunkt hatte der deutsche Afrika-Feldzug begonnen, der die verunglückte Operation der italienischen Verbündeten gegen die Briten retten sollte. Doch zu diesem Zeitpunkt bestand dort kaum Gelegenheit zu einem derart entspannten Foto.

Wahrscheinlicher ist eine Entstehung in Griechenland. Dort hatte Italien gegen den Willen der deutschen Führung einen Feldzug gestartet, der nach dem Eingreifen eines britischen Expeditionskorps mit einer krachenden Niederlage endete.

Um eine offene Flanke in Südeuropa zu vermeiden, ordnete Berlin einen Gegenstoß an. Dieser führte Ende April 1941 zum Sieg der deutschen Truppen über das britische Heer und der Besetzung Griechenlands. Bei dieser Gelegenheit fiel der Wehrmacht das schwere Gerät der englischen Verbände in die Hände, wohl auch der Humber.

Das Nummernschild weist laut Eberhard Georgens aus Berlin auf eine provisorische Zulassung des Wagens auf die Feldpostnummer des Stabs des Armee-Nachrichten-Regiments 521 hin. Die Einheit gehörte zur 12. Armee, die den Balkanfeldzug führte

Das Kürzel „WH“ auf dem in Fahrtrichtung linken Vorderschutzblech zeigt die Zugehörigkeit zu einer Heeresabteilung der Wehrmacht an.

Abschließend noch ein Blick auf die drei Soldaten neben dem Wagen:

Alle drei sind Unteroffiziere, wie an den Tressen an Schulterklappen und Kragen zu erkennen ist. Der Mittlere mit der gesunden Gesichtsfarbe dürfte auch derjenige mit dem höchsten Rang sein, wahrscheinlich ein Feldwebel. Das Tragen der Schützenschnur weist auf eine Situation fernab der Front hin.

Als einzige „Bewaffnung“ hält einer der drei eine Balgenkamera in der rechten Hand, die zusammenklappbar war. Dem Format nach war das ein Apparat mit Negativformat 6×6 cm oder größer, der – korrekte Entfernungseinstellung und Belichtung vorausgesetzt – technisch hochwertige Aufnahmen ermöglichte.

Ob diese Soldaten den Rest des Krieges im relativ ruhigen Griechenland zubringen konnten, darf bezweifelt werden. Die deutschen Truppen wurden immer wieder zwischen den zahlreichen Fronten verlegt. Genaues wissen wir in diesem Fall nicht.

Es bleibt ein schönes Bild einer eindrucksvollen Humber-Limousine vor einer friedlichen, sonnendurchglühten Landschaft im Mai vor 75 Jahren…

Fiat 1500: 6-Zylinder-Klasse der Vorkriegszeit

Betrachtet man das heutige Fahrzeugangebot von Fiat, glaubt man kaum, dass die traditionsreiche Turiner Marke vor dem 2. Weltkrieg erhebliches Prestige genoss. In den 1920er und 30er Jahren baute Fiat neben volkstümlichen Modellen eine Reihe großzügiger und technisch ausgezeichneter Wagen der oberen Mittelklasse.

Speziell der geräumige Fiat 1500 mit seinem 6-Zylinder-Motor war seinerzeit auch in den deutschsprachigen Ländern wettbewerbsfähig. Die Vorzüge dieses heute in der Breite weniger bekannten Modells wurden auf diesem Blog bereits geschildert (Bildbericht).

Derselbe Wagen mit teilweise identischen Personen ist auf dem folgenden Originalfoto zu sehen. Es zeigt den Fiat aus einer etwas anderen Perspektive und lässt etwas vom Stil und Selbstverständnis der einstigen Besitzer ahnen:

© Fiat 1500, Ende der 1930er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Entstanden ist diese schöne Aufnahme in der niederösterreichischen Kleinstadt Melk, die durch ihr Benediktinerkloster berühmt ist. Die Gesellschaft auf unserem Foto hat dort einen Halt eingelegt und möglicherweise auch übernachtet. Auf der Mauer, an der der Fiat geparkt steht, ist nämlich der Schriftzug des noch existierenden Hotels Goldener Stern teilweise zu erkennen.

Aus welchem Grund sonst hätte man einer eher unscheinbaren Stelle ein Foto gemacht, wenn der Fiat dort nicht ohnehin über Nacht geparkt hätte?

Bei unseren Reisenden scheint es sich um gutsituierte Leute mit Sinn für eine elegante Erscheinung gehandelt zu haben. Die Damen tragen von Trachten inspirierte Jacken und keck zur Seite geschobene Hüte, dazu ein seidenes Halstuch bzw. einen Pelzkragen. Raffiniert ist der geschlitzte Rock der Dame ganz rechts, dessen seitlicher Streifen das Bein betont. Der Herr trägt den bis in die 1950er Jahre üblichen doppelreihigen Mantel.

Leider ist die vierte Dame im Hintergrund nicht zu erkennen, von ihr sind nur Schuhe und Hut zu erahnen. Zusammen mit dem Fotografen haben wir es mit sechs Personen zu tun. Das sind auch für den Fiat 1500 mit seinem großzügigen Innenraum doch zu viele.

Zumindest für vier Personen mit Gepäck bot dieses Modell reichlich Platz. Wer bei Fiat immer nur an Kleinwagen denkt, hat hier Gelegenheit, sich eines besseren belehren zu lassen. Die folgende Ansicht der Viertürers lässt ahnen, dass dieser Wagen der oberen Mittelklasse angehörte:

© Fiat 1500, Ende der 1930er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Übrigens bot außer Peugeot und Steyr damals kein europäischer Hersteller  eine derartig elegante Frontpartie. Hier hat ganz klar die Stromlinie Pate gestanden, doch hat man nicht den Fehler gemacht, dem Wagen ganz diesem Ideal zu unterwerfen.

Zum einen spielte der Luftwiderstand bei den damals üblichen Geschwindigkeiten keine große Rolle. Zum anderen führte eine aerodynamische Optimierung zu ästhetisch wie praktisch unglücklichen Lösungen. Man kann dies auch in unserer Zeit bei Kleinwagen beobachten, bei denen die Heckpartie wie zusammengequetscht erscheint und viel zu niedrige Türeinstiege sowie winzige Fenster aufweist.

Dagegen bot der Fiat 1500 auch den rückwärtigen Passagieren ausreichend Platz und erlaubte dank fehlenden Mittelpfostens einen sehr bequemen Einstieg:

© Innenraum eines Fiat 1500, Ende der 1930er Jahre; Bildquelle: http://www.zuckerfabrik24.de/fiat/pics/1500C_2i.jpg

Fiat baute den 1500er nach dem 2. Weltkrieg in leicht veränderter Form noch bis 1949 weiter, zuletzt sogar mit Lenkradschaltung. Der Nachfolger, das Modell 1400 mit moderner Pontonkarosserie kann zwar ebenfalls als ausgezeichnetes Auto gelten, das sich hinter der deutschen Konkurrenz nicht verstecken musste. Doch der geplante erneute Einbau eines 6-Zylinder-Motors kam nicht zustande.

Der Markt für solche Wagen war so kurz nach dem Krieg offenbar zu klein. Erst in den 1960er Jahren bot Fiat nochmals ein 6-Zylinder-Modell an, doch das ist eine andere Geschichte.

GROFRI – ein Sportwagen nach Amilcar-Lizenz

Ziellos nach reizvollen Originalfotos klassischer Automobile zu suchen, ermöglicht immer wieder außergewöhnliche Funde. Im Idealfall haben die Anbieter selbst keine Ahnung von dem Fahrzeug, das auf einem Abzug oder Negativ abgebildet ist.

Manche schreiben „Bentley, Bugatti, Horch, Maybach, Mercedes usw.“ dazu, was von ihrem in automobiler Hinsicht begrenzten Horizont kündet. Soll man es ihnen verübeln? Heutige Autokäufer haben die Auswahl unter zwei Dutzend Herstellern – vor dem 2. Weltkrieg gab es weltweit hunderte Marken.

Ein Beispiel dafür, welche Vielfalt an Herstellern und Typen es am Automarkt einst gab, ist das folgende Originalfoto:

© GROFRI Sportwagen, um 1930; Bild aus Sammlung Michael Schlenger

Diese über 80 Jahre alte Privataufnahme ist von derartig guter Qualität, dass man sich Ausschnittsvergrößerungen zwecks Identifikation sparen kann. Auch so kann man auf der Kühlerplakette den Herstellernamen GROFRI lesen.

Wer sich mit der Genese von Marken in der Vorkriegszeit auskennt, ahnt bereits, dass GROFRI aus den Namen der Gründer zusammengesetzt ist. So wurde die Marke 1921 in der Nähe von Wien von zwei Herren namens Gross und Friedmann gegründet.

Anfangs baute man unter der Marke GROFRI ein 6-Zylindermodell, das im lokalen Rennsport recht erfolgreich war. 1925 erwarb man dann eine Lizenz des französischen Sportwagenherstellers AMILCAR zur Produktion entsprechender Wagen.

Der Markenname AMILCAR verwies ebenfalls auf die Namen der beiden Gründer und entsprach im Französischen klanglich außerdem dem Namen des karthagischen Feldherrn Hamilkar, Vater des legendären Generals Hannibal – wohl kein Zufall.

AMILCAR baute Sportwagen mit gut 1 Liter Hubraum, die in aufgeladenen Varianten Erfolge auf Europas Rennstrecken feierten. Bis heute sind sie wie Autos des französischen Konkurrenten Rally als „Bugatti des kleinen Mannes“ beliebt.

© Amilcar Cyclecars auf Schloss Dyck und in Lipsheim (Elsass), 2014; Bild aus Sammlung Michael Schlenger

Zurück zu GROFRI: Außer einem 20PS-Modell nach Amilcar-Vorbild war ein Sporttyp mit Kompressor, speziellem Zylinderkopf und Vierradbremse verfügbar. Wie beim Vorbild folgten die Vorderschutzbleche dem Lenkeinschlag der Räder, typisch für Cyclecars.

Wirtschaftlich hatte GROFRI wenig Erfolg, schon Ende 1927 endete die Produktion und Anfang der 1930er Jahre wurde die Firma liquidiert. Unser Bild dürfte in dieser Zeit entstanden sein.

Offenbar nimmt der Besitzer eine größere Reparatur an seinem GROFRI-Sportwagen vor. Die Motorhaube ist entfernt und der Anlasser liegt ausgebaut auf dem in Fahrtrichtung linken Kotflügel:

Das Nummernschild verweist auf eine Zulassung des Wagens im Bezirk Linz ab 1930, damals wurden in Österreich schwarze Kennzeichen mit weißen Buchstaben eingeführt.

Zeitgeschichtlich interessant ist neben dem seltenen Auto auch die Kleidung der Personen auf dem Foto: Unser „Schrauber“ trägt ein weißes Oberhemd mit hochgekrempelten Ärmeln zur Lederhose, außerdem Wollsocken und lederne Halbschuhe.

In einer Zeit, in der normale Spaziergänger in „Funktionskleidung“ aus komplexen Kunststoffderivaten unterwegs sind, mutet dieses Erscheinungsbild unglaublich an. Doch unsere Vorfahren waren aus einem anderen Holz geschnitzt als unsereins und hätten über heutige Befindlichkeiten nur den Kopf geschüttelt.

Die überlebenden Autos jener Zeit künden davon, dass man damals keine „Fitness-Studios“ und „Stilberater“ brauchte. In diese untergegangene Welt einzutauchen, macht den Reiz der Beschäftigung mit Vorkriegsautos aus.

Wer sich über mangelnden Komfort und geringe Leistung dieser Fahrzeuge beklagt, hat nicht verstanden, dass es damals um etwas anderes ging – individuell eine Welt zu erfahren und zu erleben, die einem bislang verschlossen war. Dem Einzelnen das zu ermöglichen, war eine Revolution wie die Erfindung der Eisenbahn.

Frühlingserwachen am Gardasee mit Fiat 1100 Coloniale

Dieses Jahr tut sich der Frühling hierzulande schwer – auch im April gibt es nach einem milden Winter örtlich noch Bodenfrost. Da käme doch ein Ausflug nach Oberitalien gerade recht, am besten in einem klassischen Cabriolet.

Der passende Wagen in entsprechender Umgebung ist auf folgendem Originalfoto zu sehen:

© Fiat 1100 Coloniale am Gardasee 1938; Bild aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses schöne Bild weckt nicht nur die Sehnsucht nach dem Süden, es zeigt auch ein ausgesprochen interessantes Fahrzeug.

Eine so elegante, von der Stromlinie inspirierte Frontpartie gab es damals außer bei den ’02er Modellen von Peugeot nur bei Fiat und Steyr. Kein deutscher Großserienhersteller bot eine derartig klare, fließende Linienführung. Selbst die zeitgenössischen „Autobahnmodelle“ von Adler und Hanomag wirken dagegen schwerfällig.

Um es kurz zu machen: Hier ist ein Fiat 1100 zu sehen, der den Auftakt zu einer Erfolgsgeschichte darstellte, die bis in die 1990er (!) Jahre anhalten sollte (Bericht).

Das Mittelklassemodell der einstigen Qualitätsmarke Fiat, die heute nur noch ein Schatten ihrer selbst ist, war in den 1930er Jahren auch in Deutschland und Österreich verbreitet und wurde dort in Lizenz gebaut (Steyr und NSU-Fiat).

Eine hervorragende Modellübersicht des „Millecento“ gibt es auf einer einschlägigen Website, die die Fiat-Historie vorbildlich anhand originaler Fotos und Prospekte aufbereitet. Man kann dort Stunden zubringen und stößt auf immer wieder neue Ableger der Fiat-Typen, von denen man bislang nichts wusste.

Das hier gezeigte Modell ist dort zum Glück ebenfalls vertreten. Schauen wir genauer hin:

Bei diesem Fahrzeug handelt es sich offenkundig um ein Cabriolet. Doch ist es nicht die gängige zweitürige Version. Betrachtet man die Seitenpartie, kann man nicht nur zwei Türgriffe erkennen, sondern auch seitliche Steckscheiben.

Tatsächlich haben wir es mit einem Aufbau nach Vorbild klassischer Tourenwagen zu tun, also offener viertüriger Autos mit leichtem Wetterschutz.

Diese ungewöhnliche Ausführung war dem Modell „Coloniale“ vorbehalten, den Fiat für den Einsatz in tropischen Gebieten anbot. Auf derselben Basis wurde für die italienische Armee der Fiat 1100 „Militare“ gebaut. Dieser Version begegnete man im 2. Weltkrieg häufig auf dem nordafrikanischen Kriegsschauplatz.

Nun fragt man sich, wo diese Tropenversion des Fiat 1100 aufgenommen wurde. Die Antwort: Am oberitalienischen Gardasee! Auf der Rückseite des Fotos ist handschriftlich vermerkt „Gardesana“, was auf die am Ufer des Gardasees entlangführende „Via Gardesana“ verweist.

Mit etwas Geduld ließ sich sogar der Aufnahmeort lokalisieren. Folgende Postkarte aus den frühen 1930er Jahren zeigt dieselbe Situation, lediglich aus einem Straßentunnel heraus fotografiert:

© Fotopostkarte der 1930er Jahre; Bildquelle: http://www.bresciavintage.it/brescia-antica/cartoline/gardesana-terrazza-ai-dossi-anno-1930/

Der Aussichtspunkt, an dem der Fiat 1100 Coloniale aufgenommen wurde, liegt demnach am Westufer des Gardasees unterhalb des Orts Tignale. Die Straße, die links vor dem Tunnel abzweigt, führte einst dorthin, existiert aber heute nicht mehr.

Was bislang nicht geklärt werden konnte, ist hingegen, was der Fiat dort verloren hatte. Denn auf der Aufnahme fehlt am Kennzeichenhalter in Fahrtrichtung links an der Stoßstange das Nummernschild:

Betrachtet man die Seitenpartie, erkennt man präzise die Spiegelung der Felswand, die die Straße seitlich begrenzt, demnach war der Lack noch in sehr gutem Zustand. War der Wagen möglicherweise fabrikneu und noch nicht zugelassen?

Zum Glück trägt das Foto auf der Rückseite den handschriftlichen Vermerk „2/3/1938“. Tatsächlich war die Coloniale-Version des Fiat 1100 erst ab 1938 verfügbar, sodass es sich um einen vor kurzem vom Fließband gelaufenen Wagen handeln muss.

Es bleibt die Frage: Ist dies eine reine Privataufnahme, wofür das kleine Format von 5,5 x 5,5 cm spricht, oder steht das Bild im Zusammenhang mit einer Pressekampagne von Fiat? Die Situation als solche findet sich jedenfalls auf vielen privaten Fotos jener Zeit. Auch die Dame mit Hund neben dem Wagen war ein beliebtes Motiv von Amateuren:

Auch wenn sich die genauen Umstände nicht mehr klären lassen, ist dies ein außergewöhnliches Bild des selten fotografierten Fiat 1100 Coloniale. Nur kalt muss es gewesen sein an jenem sonnigen Vorfrühlingstag Anfang März 1938. Dame und Hund scheinen sich in ihrem jeweiligen Pelz jedenfalls sehr wohl zu fühlen…

„Neues“ vom Dixi 6/24 PS Tourer der 1920er Jahre

Zu den ersten Automobilherstellern Deutschlands gehörten einst die Eisenacher Fahrzeugwerke. Ab 1899 fertigte man dort Wagen nach französischem Vorbild als Wartburg, ab 1904 verkauft man dann selbstentwickelte Autos unter der Marke Dixi.

Bedeutend ist die Firma nicht nur, weil nach der Übernahme durch BMW 1928 die Lizenz von Dixi zum Bau des Kleinwagens Austin Seven dem Münchener Konzern den Einstieg in den Automobilbau ermöglichte. Dixi war auch ein rühriger – wenn auch wirtschaftlich wenig erfolgreicher Hersteller – der automobilen Frühzeit, der sich durch ein vielfältiges Angebot an zeitgemäßen Modellen hervortat.

Eines der Fahrzeuge von Dixi wurde hier kürzlich anhand eines Originalfotos besprochen: ein 6/24 PS Tourenwagen. Der von 1923-28 gebaute Typ hatte einen 4-Zylindermotor mit 1,6 Liter Hubraum und 24 PS Leistung. Das Auto war formal konventionell, wies aber aber mit Leichtmetallkolben und (ab 1925) Vierradbremse moderne Merkmale auf.

René Förschner – ein Leser dieses Blogs und Kenner der Marke Dixi – hat nicht nur die Identifikation des Wagens bestätigt, sondern auch dankenswerterweise weitere Materialien aus seiner Privatsammlung zur Verfügung gestellt.

Hier zunächst Auszüge aus einem Originalprospekt mit Abbildungen des Dixi 6/24 PS Tourenwagens aus der Mitte der 1920er Jahre:

© Prospektblätter mit Dixi 6/24 PS Tourer; Quelle: Sammlung René Förschner

Man sieht auf Seite 3 sehr gut die leicht spitz zulaufende Kühlerpartie mit dem markentypischen Kentauren als Kühlerfigur, die schrägen Luftschlitze in der Motorhaube und die Speichenräder mit Rudge-Zentralverschlussmutter.

René Förschner hat uns außerdem ein schönes Foto eines solchen Dixi 6/24 PS Tourenwagen zur Verfügung gestellt, das einst in Dresden entstand:

© Dixi 6/24 PS in Dresden, Mitte der 1920er Jahre; Bild aus Sammlung René Förschner

Die Aufnahme zeigt alle typischen Details dieses Modells. Während sich der Aufbau ab der Windschutzscheibe kaum von anderen Tourenwagen der Zeit nach dem 1. Weltkrieg unterscheidet, gibt die Frontpartie hinreichend Aufschluss. Die Kühlerform, die Speichenräder mit Verschlussmutter und die Haubenschlitze finden sich so nur beim Dixi 6/24 PS-Modell. Wer genau hinsieht, ahnt sogar die Kühlerfigur:

Das von René Förschner bereitgestellte Foto erlaubt nicht nur das genaue Studium der Merkmale des Dixi 6/24 PS-Modells. Es ist auch ein Beispiel für eine Momentaufnahme aus dem Leben der Menschen, die einst mit einem solchen Wagen unterwegs waren oder ihm zufällig begegneten.

Solche Bilder lassen das Herz des Klassikerenthusiasten höher schlagen, denn sie zeigen die Autos so, wie sie unsere Vorfahren erlebt haben. Kein noch so perfektes Pressefoto und schon gar nicht sterile Aufnahmen „restaurierter“ Wagen erlauben eine derartige Zeitreise.

Die Ausschnittsvergrößerung der Heckpartie ist von besonderem Reiz. Hier sind Vertreter dreier Generationen zu sehen. Der ältere Herr mit dem stattlichen Schnauzbart und dem hochgestellten Kragen repräsentiert noch die Kaiserzeit, die mit der Niederlage Deutschlands 1918 ein jähes Ende fand. Die Jungen neben ihm dürften seine Enkel sein.

Der ernst schauende Mann hinter dem Dixi gehört der Generation dazwischen an. Er trägt den bis heute üblichen heruntergeklappten Hemdkragen, außerdem Knickerbocker und Reitstiefel. Seine doppelreihige Jacke ist ein typisches Beispiel für Fahrerbekleidung jener Zeit. Sie scheint eher aus Stoff als aus Leder zu sein. Dem Schnitt nach ist sie ein Klassiker, der bis in die Zeit nach dem 2. Weltkrieg verbreitet war.

Damit liefert dieses Bild auch Anregungen für den stilgerechten Auftritt passend zu Autos und Motorrädern der Vorkriegszeit. Nicht zuletzt kommen Freunde historischer Fahrräder auf diesem Foto auf ihre Kosten:

Genau so sieht ein Fahrrad mit klassischem Stahlrahmen aus! In Zeiten von Retro-„Single-Speeds“ wäre dieses Exemplar mit seinem gefederten Ledersattel sicher der Renner. Schön auch die selbstbewusste Pose des jungen Radlers. Damit schließt sich der Kreis, denn unter der Marke Dixi entstanden einst auch Fahrräder.

Wanderer W8: Nachkriegsversion des „Puppchens“

Von den vier deutschen Marken, die einst in der Auto-Union zusammengefasst waren, wird zumindest eine nach Ansicht des Verfassers viel zu selten gewürdigt.

Jeder kennt die Marke Audi, die sich geschickt die Tradition der Auto-Union angeeignet hat. Auch DKW ist in Oldtimerkreisen ein Begriff, sei es wegen der Zweitakt-Motorräder oder der Fronttriebwagen der 1930er bis 50er Jahre. Die Luxusmarke Horch genießt bei Klassikerfreunden ohnehin einen legendären Ruf.

Doch was verbindet man mit der Auto-Union-Marke Wanderer? Der eine oder andere mag sich an die attraktiven Typen W23-26 der späten 1930er Jahre erinnern, die die letzten Autos von Wanderer sein sollten und meist im 2. Weltkrieg verheizt wurden.

Dass den meisten Oldtimer-Freunden wenig zu Wanderer einfällt, mag auch mit den Typbezeichnungen der Marke zu tun haben. Bei Wanderer wurden die einzelnen Typen einfach chronologisch durchnummeriert und ansonsten nur mit der Angabe von Steuer-PS und Nennleistung versehen.

Oft war der Volksmund erfindungsreicher als die Vertriebsleute, wenn es um griffige Autonamen ging. So erhielt das erste in Serie gebaute Wanderer-Automobil – das ab 1913 gebaute 5/12 PS Modell (Typ W3)  – den Beinamen „Puppchen.“

Für die gleichnamige Operette, in der ein kleines Auto eine Rolle spielte, hatte Wanderer ein Exemplar seines neuen Wagens zur Verfügung gestellt. Von da an sollte der kleine Wanderer W3 den Spitznamen „Puppchen“ tragen.

Der einfache, aber zuverlässige Wagen wurde sogar im 1. Weltkrieg als Aufklärungsfahrzeug eingesetzt und trug damit zum guten Ruf der Marke bei.

Nach dem Krieg bot Wanderer mit dem Modell W6 6/18 PS auch ein ausgewachsenes Auto an. Ein rares Exemplar wurde auf diesem Blog bereits präsentiert (Bildbericht).

Das „Puppchen“ wurde in der Zwischenzeit jedoch ebenfalls modernisiert. Das folgende Originalfoto zeigt einen Wagen dieses weiterentwickelten Typs W8 5/15 PS:

© Wanderer Typ W8 5/15 PS, Bj. 1923; Foto aus Sammlung Michael Schlenger

Das über 90 Jahre alte Foto ist von ausgezeichneter Qualität, wenngleich der Abzug durch Fingerabdrücke beeinträchtigt ist. Das Bild zeigt viele interessante Details, die eine nähere Betrachtung verdienen.

Zunächst ein paar Worte zur Identifikation des Wagens. Der unbefangene Betrachter sieht bloß einen typischen Tourenwagen der frühen 1920er Jahre mit Drahtspeichenrädern. Das kompakte Format und die Form des Kühlers lassen den Kenner aber bereits an ein Modell von Wanderer denken. Schauen wir genauer hin:

Man kann das Emblem auf der Kühlermaske zwar nicht genau erkennen, doch die Form und das nach unten ins Kühlergitter hineinragende Ende sind typisch für Wanderer-Wagen jener Zeit. Auch Zahl, Anordnung und Größe der Luftschlitze in der Motorhaube lassen sich präzise einem Wanderer-Modell zuordnen, dem Typ W8 5/15PS. 

Erleichtert wird die Identifizierung durch ein einschlägiges Buch, das allen Freunden der Marke empfohlen sei: „Wanderer-Automobile“ von Thomas Erdmann und Gerd Westermann, hrsg. vom Delius Klasing Verlag, ISBN: 978-3-7688-2522-1.

Das Werk ist eines von mehreren mit Unterstützung von Audi Tradition entstandenen Büchern über die Marken der einstigen Auto-Union, die an Genauigkeit der Recherche, Qualität der Texte, Abbildungen und Fotos wirklich nichts zu wünschen übrig lassen.

In besagtem Buch ist auf Seite 51 ein Wanderer W8 5/15 PS in identischer Perspektive zu sehen. Auch die dort zu erkennenden, ab 1923 verbauten gewölbten Vorderschutzbleche sind auf unserem Bild vorhanden. Damit haben wir einen klaren Datierungshinweis.

Bevor wir uns mit der Aufnahmesituation befassen, einige technische Details zum abgebildeten Wagen: Der Wanderer W8 5/15 PS war gegenüber dem „Puppchen“ der Vorkriegszeit in mancher Hinsicht verbessert worden. Der Motor war nun kopfgesteuert (hängende Ventile), was bis in die 1930er Jahre nicht selbstverständlich sein sollte. Der Motor war durch Vergrößerung des Hubraums auf 1,3 Liter elastischer geworden und auch die Hinterradfederung war wesentlich verbessert worden.

Dass dieses kleine, aber sorgfältig konstruierte Auto auch für Fahrer mit sportlichen Ambitionen attraktiv sein sollte, zeigt nicht zuletzt folgendes Detail: Über ein Pedal im Fußraum konnte eine Klappe im Auspuff betätigt werden, die die Verbrennungsgase unter Umgehung des Schalldämpfers direkt ins Freie entließ. Der Wagen wurde zudem ab 1923 serienmäßig mit Anlasser und elektrischen Scheinwerfern sowie einer mechanischen 8-Tage-Uhr, Öldruckkontrolle, Tachometer und Kilometerzähler angeboten.

In unseren Tagen, in denen Alltagswagen über ein Vielfaches an Leistung verfügen und dennoch meist ängstlich bewegt werden, mag ein 15 PS-Automobil kurios erscheinen. In den 1920er Jahren war Deutschland jedoch in automobiler Hinsicht hoffnungslos rückständig und überhaupt einen Wagen zu besitzen, war ein Privileg.

Auf unserem Foto scharen sich – abgesehen von den Insassen – 14 Personen aller Altersklassen um den Wanderer herum. Ein Automobil war seinerzeit hierzulande immer noch eine Sensation. Wie auf diesem Blog üblich, sollen daher auch die Menschen auf unserem Foto gewürdigt werden:

Hier sieht man Vertreter von drei Generationen: Der bärtige Herr mit Schirmmütze und der kaum jüngere Mann im Hintergrund sind noch im 19. Jh. geboren und haben die Kaiserzeit erlebt. Der Hutträger ganz rechts steht für die Nachkriegsgeneration – er wäre modisch auch noch in den 1930er Jahren auf der Höhe der Zeit gewesen. Man beachte die unterschiedliche Form von Hemdkragen und Krawatten.

Die beiden Buben in der Mitte waren zum Zeitpunkt der Aufnahme vielleicht 12 Jahre alt. Sie wurden wahrscheinlich im 2. Weltkrieg zum Militärdienst eingezogen. Sie schauen für Kinder ungewohnt ernst, als ahnten sie etwas von dem Kommenden.

Interessant sind auch die Personen rund um das Heck des Wanderers:

Die Dame im gestreiften Faltenrock ist nicht mehr ganz jung, doch auch sie ist zumindest modisch der Vorkriegszeit entrückt. Ohne Hut hätte man sich in der Kaiserzeit jedenfalls kaum in der Öffentlichkeit gezeigt.

Interessant ist der großgewachsene Herr, der uns den Rücken zukehrt. Er befindet sich im Gespräch mit einem Automobilisten, von dem nicht viel mehr als die Fliegerbrille zu sehen ist. Gut zu erkennen sind die Knickerbocker-Hosen mit Hahnentrittmuster, zu denen er wollene Gamaschen und aufwendige Halbschuhe trägt. Die zerknitterte Jacke lässt vermuten, dass er ebenfalls in einem Auto unterwegs ist.

Möglicherweise handelt es sich bei dem Foto also um einen Schnappschuss anlässlich einer gemeinsamen Ausfahrt mehrerer Wagen. Genaues wissen wir nicht, doch solche historischen Bilder von Automobilen und Menschen strahlen eine ganz eigene Magie aus.

Vor über 100 Jahren: Ein Lorraine-Dietrich in den Vogesen

Historische Aufnahmen von Automobilen zeigen im Idealfall weit mehr als die Fahrzeuge selbst. Oft sind es die Menschen, die darauf zu sehen sind, die der Aufnahmesituation Leben einhauchen und etwas über den Anlass verraten. Manchmal haben diese Bilder auch geschichtlichen Wert, weil sie von Umbrüchen künden, die bis heute nachwirken.

Die folgende Fotopostkarte ist ein schönes Beispiel dafür:

© Lorraine-Dietrich, Bj. ca. 1912, Le Donon, Vogesen; Postkarte aus Sammlung Michael Schlenger

Die private Grußkarte trägt umseitig das Datum 24. März 1919. Adresse und Text sind auf französisch, leider schwer zu entziffern. Doch die Beschriftung der Schauseite ist eindeutig: „In den Vogesen – Der Donon – Hotel Vélleda“ steht dort.

Der Donon ist der Berg im Hintergrund, der in keltischer Zeit ein Heiligtum beherbergte (der Donnersberg in Rheinland-Pfalz lässt grüßen). Das Hotel Vélleda gibt es noch und es sieht beinahe so aus wie damals. Wo heute der Hotelname steht, ist auf unserem Foto aber etwas anderes zu lesen:

„Wirtschaft“ heißt es dort – nicht sehr elegant, aber eindeutig – deutscher geht es kaum. Doch wie kommt diese Bezeichnung kaum ein halbes Jahr nach dem Ende des 1. Weltkriegs auf eine in Frankreich verschickte Postkarte?

Die Erklärung liefert der eindrucksvolle Tourenwagen, der im Vordergrund der Aufnahme platziert ist. Es handelt sich zwar um ein französisches Fabrikat – dazu gleich mehr – doch das Kennzeichen verweist auf eine Zulassung im Deutschen Reich:

Das Kürzel „VI-B“ stand von 1906-1918 für den Bezirk Elsass-Lothringen, der seit 1871 unter deutscher Verwaltung stand. Die dreistellige laufende Nummer spricht Bände über die geringe Verbreitung von Automobilen in damaliger Zeit.

Der Mann neben dem Wagen, der uns den Rücken zuwendet, dürfte der Chauffeur sein, dies lassen die Schirmmütze und die Reitstiefel bzw. Ledergamaschen vermuten. Selbst wenn er von kleiner Statur war, bekommt man eine Ahnung von der enormen Höhe des Wagens. Auch heute noch haben Autos dieses Formats aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg eine beeindruckende Präsenz.

Nach der Lage der Dinge ist die Aufnahme vor dem 1. Weltkrieg entstanden, als das Elsass zum Deutschen Reich gehörte. Kurz nach Kriegsende waren wohl keine neueren Bilder verfügbar, sodass man bei der Postkartenproduktion einfach das alte Foto mit einer französischen Beschriftung versah. Im Elsass mit seinen häufigen Grenzverschiebungen wird man Erfahrung mt solchen pragmatischen Lösungen gehabt haben.

Was ist das aber für ein Wagen auf dem Bild? Autos dieses Typs – ein Tourenwagen oder Phaeton  – gab es seinerzeit von allen Herstellern. Sie lassen sich meist nur an der Gestaltung der Kühlermaske unterscheiden. Im vorliegenden Fall haben wir Glück, da das Fahrzeug ein Markenlogo an der Front trägt.

Schaut man genau hin, erkennt man das „Croix de Lorraine“ – das Lothringer-Kreuz, das auf die gleichnamige Region verweist. Dort war die Fabrik angesiedelt, die den Wagen gefertigt hat: Lorraine-Dietrich.

Die Geschichte dieser französischen Traditionsmarke ist ähnlich kompliziert wie die der jahrhundertealten deutsch-französischen Grenzstreitigkeiten und soll hier nicht wiederholt werden. Sehr wahrscheinlich zeigt das Bild einen Lorraine-Dietrich, der um 1912 gebaut wurde, dafür sprechen zeitgenössische Vergleichsfotos.

Wie es der Zufall will, gibt es im Netz ein großartiges Porträt eines Lorraine-Dietrich von 1912 mit einer Karosserie von Labourdette. Der Aufbau ist zwar anders als auf unserem Foto, doch technisch dürften sich die Fahrzeuge ähneln.

Der Wagen ist nicht zuletzt deshalb ein Juwel, weil er praktisch vollständig original ist. Damit ist nicht – wie hierzulande üblich – „dem Original nachgebaut“ gemeint. Nein, hier wurde die erhaltene historische Substanz hervorragend aufgearbeitet und konserviert, wie dies auch Möbel- und Gemälderestauratoren tun.

Es ist kaum zu glauben, dass dieses über 100 Jahre alte Auto noch seine komplette Innenausstattung besitzt, die lediglich gereinigt und stabilisiert werden musste. Wer sich für solche wirklich originalen Details begeistert, möge sich etwas Zeit nehmen und das folgende Videoporträt des Wagens studieren. Es lohnt sich unbedingt, bis zum Ende durchzuhalten – dieses Auto ist schlicht sensationell.

© http://www.lorraine-dietrich.eu; Videoquelle: vimeo.com

Chrysler „Eight“ im 2. Weltkrieg unterwegs in Österreich

Originalfotos von historischen Automobilen können den modernen Betrachter in zweifacher Hinsicht vor Herausforderungen stellen:

Das eine Mal fällt es schwer, Marke und Typ zu bestimmen. Speziell in den 1920er Jahren sahen sich viele Autos sehr ähnlich, die Hersteller-Embleme sind oft verdeckt oder unscharf abgebildet. Ein anderes Mal bleibt rätselhaft, was es genau mit dem jeweiligen Fahrzeug auf sich hat, obwohl die Identifikation als solche leicht fällt.

In die zweite Kategorie fällt der eindrucksvolle Wagen auf folgender Aufnahme:

© Chrysler „Eight“, Bj. 1931; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Solche mächtigen 6-Fenster-Limousinen gab es um 1930 zwar auch von deutschen Herstellern, doch der schräg gestellte, V-förmige Kühlergrill verweist auf ein amerikanisches Modell.

Das Stilelement taucht erstmals beim Cord L-29 auf, einem 1929 vorgestellten Frontantriebswagen, der von der unabhängigen Auburn Automobile Company in für amerikanische Verhältnisse überschaubarer Stückzahl gebaut wurde.

Chrysler kopierte die Frontpartie für sein Spitzenmodell Imperial, das Anfang der 1930er Jahre mit Wagen vom Kaliber eines Cadillac, Lincoln und Packard konkurrieren sollte. Um ein solches Fahrzeug handelt es sich bei dem Auto auf unserem Foto.

Der Chrysler Imperial war mit einem 8-Zylinder-Motor mit 6,3 Liter Hubraum ausgestattet, der 125 PS leistete. Am deutschen Markt erreichten Anfang der 1930er Jahre nur die 8- und 12-Zylindermodelle von Horch annähernd eine solche Leistung.

Schauen wir uns den Chrysler näher an:

Die Scheinwerferüberzüge, auf denen man den Schriftzug „Bosch“ ahnen kann, weisen auf eine Entstehung der Aufnahme während des 2. Weltkriegs hin. Damals war auch bei privaten Kfz eine Tarnbeleuchtung vorgeschrieben, um gegnerischen Aufklärern und Bombern die Identifikation von Städten bei Nacht zu erschweren.

Dass der Chrysler nicht von der deutschen Wehrmacht eingezogen worden war, lässt das zivile Nummernschild erkennen, das einen V-förmigen Haken oberhalb des Bindestrichs aufweist. Dieses Erkennungsmerkmal erhielten Privatfahrzeuge, die von ihren Besitzern weiterbenutzt werden durften, weil sie wichtige Funktionen hatten.

Das Kürzel „Od“ auf dem Kennzeichen wurde nach der Einbeziehung Österreichs in das Deutsche Reich für Fahrzeuge vergeben, die im Gau „Oberdonau“ (vormals Oberösterreich) registriert waren. Die nach 1938 vergebenen Kennzeichen trugen schwarze Buchstaben auf weißem Grund, zuvor war es umgekehrt.

Auffallend ist, dass die Doppelstoßstange verkehrtherum montiert ist. Auf zeitgenössischen Bildern dieses Chrysler-Modells ist das waagerecht verlaufende Element unterhalb des geschwungenen angebracht, nicht andersherum. Weshalb sollte jemand dies veranlasst haben?

Mysteriös ist außerdem ein Detail auf folgendem Bildausschnitt:

Die durchgehende Frontscheibe findet sich nur auf wenigen zeitgenössischen Fotos des Chrysler „Eight“. Die Serienvariante hatte eine zweiteilige und ab 1932 V-fömig zulaufende Windschutzscheibe. Für die abweichende Frontscheibe gibt es zwei mögliche Erklärungen:

Entweder es handelt sich um eine Sonderkarosserie, wie sie von „Le Baron“ und anderen US-Herstellern gefertigt wurde – dort wurden häufig durchgehende Windschutzscheiben verbaut. Oder – was wahrscheinlicher ist – der Chrysler wurde nur als „rolling chassis“ nach Deutschland exportiert und der Aufbau entstand hierzulande. Für die letztgenannte Möglichkeit spricht auch die verkehrt herum montierte Stoßstange.

Es bleibt die Frage, welchem Zweck dieser amerikanische Luxuswagen im Krieg diente. Die private Zulassung ist möglicherweise irreführend. Denn die Apparatur auf dem Dach des Chrysler scheint ein Lautsprecher zu sein, wie er für offizielle Durchsagen verwendet wurde; möglicherweise wurde der Wagen für Propagandazwecke eingesetzt.

Leider lässt sich der Aufnahmezeitpunkt nicht näher eingrenzen. Die Uniform des Mannes neben dem Chrysler ist vermutlich die eines Panzersoldaten auf Heimaturlaub. Die typische kurzgeschnittene Jacke und die Feldmütze wurden den ganzen Krieg über getragen.

Der Wagen im Hintergrund ist übrigens ein Steyr 120, der 1935/36 im gleichnamigen Ort gebaut wurde. Steyr liegt ebenfalls in Oberösterreich.

Als Aufnahmeort käme mit Blick auf die großstädtisch wirkende Architektur im Hintergrund die Hauptstadt des Gaus Oberdonau  – Linz – in Frage. Dort hatte der Chrysler deutlich bessere Überlebenschancen als an der Front, wo achtzylindrige Autos als Stabswagen begehrt waren.

Vermutlich war der Chrysler bei Kriegsausbruch bereits zu alt oder erschien zu exotisch – obwohl andere Bilder jener Zeit noch ganz andere Raritäten im Einsatz bei der Wehrmacht zeigen (Beispiel Jaguar). Vielleicht kann ein Leser mehr zu dieser Aufnahme sagen.

Übrigens: Die oben erwähnte österreichische Traditionsmarke Steyr wird in diesem Blog künftig ebenfalls anhand von Vorkriegsfotos ausführlich gewürdigt. Dasselbe gilt für den Luxushersteller Austro-Daimler.

Modifizierter BMW 309 in der Nachkriegszeit

BMWs erster „Dreier“ – der 303 mit 6-Zylindern von 1933/34 –  wurde auf diesem Blog bereits vorgestellt (Bildbericht).

Wie später ab den 1970er Jahren wurde damals außerdem ein Vierzylinder mit weitgehend identischer Karosserie angeboten, der BMW 309. Es war das erste Modell der Marke, bei dem der Hubraum Teil der Typbezeichnung war.

In Zeiten der Hubraumverkleinerung – neudeutsch: Downsizing – wirkt ein Motor mit 0,9-Liter nicht ungewöhnlich. Damals mussten sich die BMW-Freunde allerdings mit 22 PS Leistung begnügen. Da boten selbst DKWs Vierzylinder-Zweitakter mehr und das auch noch zum niedrigeren Preis.

Doch muss sich der BMW 309 einst so gut verkauft haben, dass es nach dem Krieg noch Überlebende gab. So ein Exemplar ist auf folgendem Originalfoto zu sehen:

© BMW 309, Bj. 1934-36; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Dass es sich wohl um einen 309 und nicht um einen äußerlich sehr ähnlichen 303 mit 6-Zylinder-Motor handelt, lässt sich wie folgt herleiten:

Beim 303 reichte im Erscheinungsjahr 1933 die Motorhaube bis an die A-Säule, die zudem im unteren Bereich einen Schwung nach vorne aufwies. Der 309 dagegen hatte bei sonst praktisch gleicher Karosserie eine kürzere Motorhaube und eine gerade verlaufende A-Säule. Ab 1935 wichen beim 309 die eingestanzten Haubenschlitze einem aufgeschweißten geschlitzten Blech. Daher dürfte dieser 309 noch von 1934 stammen.

Unabhängig von der Frage der Motorisierung ist der 3er BMW auf unserem Foto in mehrfacher Hinsicht interessant. Werfen wir einen näheren Blick darauf:

Auffallend sind die Vorderschutzbleche mit Seitenschürzen. Sie wurden weder beim BMW 309 noch beim 303 mit 6-Zylinder verbaut. Sie finden sich beim BMW 319, der mit ähnlicher Karosserie, aber stärkerem Motor ab 1935 gebaut wurde. Vermutlich wurden sie von einem Wagen dieses Typs übernommen.

An dem Auto finden sich weitere Modifikationen: So ist an der A-Säule statt des Fahrtrichtungsanzeigers eine Antenne montiert. Der Wagen verfügt also bereits über ein Autoradio. Zudem ist auf dem Vorderkotflügel ein Blinker zu erkennen. Ein nach hinten zeigenden Blinker ist seitlich unterhalb der C-Säule angebracht:

Die Heckstoßstange ist vermutlich ebenfalls nachträglich montiert worden. Sie könnte wie der geschürzte Vorderkotflügel von einem Wagen des Typs BMW 319 stammen.

Sicher nicht von einem BMW jener Zeit wurde die zweigeteilte Vorderstoßstange gespendet. Sie könnte vorher an einem DKW der 1930er Jahre verbaut gewesen sein:

Im Unterschied zu den Vorderstoßstangen macht der nachgerüstete Nebelscheinwerfer einen guten Eindruck. Vielleicht wurde er erst kürzlich montiert.

Das Nummernschild ist leider auch auf dem Originalabzug schwer lesbar. Die ersten beiden Buchstaben könnten „KB“ lauten, was auf eine Zulassung im Berlin der frühen Nachkriegszeit hinweisen würde („Kommandantur Berlin“).

Kleidung und Frisur der Damen neben dem BMW würden zu einem Aufnahmezeitpunkt Ende der 1940er Jahre passen. Der Zustand der Häuserfassaden weist auf Bombenschäden hin. So scheint der Verputz durch den Luftdruck von Sprengbomben abgefallen zu sein und beim stärker zerstörten Haus rechts wurden die Fensterrahmen möglicherweise zur Rohstoffgewinnung ausgebaut.

Gerade vor diesem Hintergrund zeugt die Aufnahme vom Optimismus und Aufbauwillen derer, die den Krieg überlebt hatten. Der BMW mit seinen vielfältigen Modifikationen ist damit Spiegel der damaligen Zeit und so authentisch, wie es ein historisches Automobil überhaupt sein kann.