Fiat 509 S.M. Rennwagen von 1926 – rar und original

Fiat landete in den 1930er Jahren mit den Modellen 500 „Topolino“ und 508 „Balilla“ einen internationalen Erfolg, der sich nach dem 2. Weltkrieg mit den Nachfolgern 500 „Cinquecento“ und 1100 „Millecento“ noch eindrucksvoller fortsetzen sollte.

Doch schon in den 1920er Jahren zeigte die Turiner Marke, dass sie zu Massenproduktion auf hohem Niveau fähig war, was in Deutschland in dieser Größenordnung damals noch keinem Hersteller gelang.

Vorgestellt wurden auf diesem Blog bereits der Fiat 501, der von 1919-26 rund 80.000mal verkauft wurde, und der darauffolgende Fiat 509, der noch erfolgreicher war.

Historische Originalfotos des Fiat 509 finden sich zuhauf, auch im deutschsprachigen Raum, allerdings sind es meist konventionelle Modelle mit der Basismotorisierung von 20 PS aus 1 Liter Hubraum:

© Fiat 509 (evtl. auch 503); Originalfotos aus Sammlung Michael Schlenger

Die Serien-Fiats des Typs 509 waren Autos, die auch heute noch ein Lächeln auf das Gesicht des Betrachters zaubern. Was der Besitz eines solchen aus heutiger Sicht untermotorisierten Wagens einst bedeutete, davon erzählen diese alten Fotos.

Wer sich nicht vorstellen kann, dass ein 20 PS-Auto Freude auf Landstraßen machen kann, und nach mehr Sportlichkeit verlangt, dem kann geholfen werden.

Dazu muss man nicht einmal die Marke wechseln. Die Fiat-Motoren der 1920er und 30er Jahre waren bekannt dafür, dass sie eine heftige Leistungssteigerung vertrugen, ohne dass dafür der Hubraum vergrößert werden musste.

Im Fall des Fiat 509 bedurfte es auch nicht der Montage eines anderen Zylinderkopfs. Denn so unglaublich es klingt: Bereits die Serienausführung des 1-Liter-Aggregats verfügte über eine obenliegende Nockenwelle und bot damit gute Voraussetzungen für eine weitere Leistungssteigerung, die eine drehzahlfreudige Auslegung voraussetzte.

Höhere Verdichtung und modifizierte Vergaser sowie Feinarbeit im Ansaugtrakt waren die Rezepte für eine höhere Leistungsausbeute, die Fiat ab Werk in unterschiedlichen Stufen anbot:

Der sportliche Basistyp 509 S verfügte über 27 PS und wurde mit Bootsheck-Karosserie gebaut. Darüber gab es den 509 S.M., der 30 PS leistete und echte Rennwagenoptik bot. Mit ähnlichem Aufbau angeboten wurde außerdem der 509 S.M. „Coppa Florio“ mit 35 PS.

Ein originaler Fiat 509 S.M. mit recht gut dokumentierter Historie wurde bei den Classic Days 2016 auf Schloss Dyck vom britischen Auktionshaus Coys angeboten:

Fiat_509_Targa_Florio

© Fiat 509 S.M. bei den Classic Days auf Schloss Dyck, 2016; Bildrechte: Michael Schlenger

Wer sich ein wenig mit dem Fiat 509 S.M. beschäftigt, wird schnell feststellen, dass zu diesem Modell wenig verlässliche Informationen im Netz verfügbar sind. Oft heißt es, dass das Kürzel „S.M.“ für „Sport Monza“ stehe. Doch das „S“ bedeutet tatsächlich „spinto“- was im Italienischen „frisiert“ oder neudeutsch „getunt“ bedeutet.

Unklar ist, wann der von Coys im August 2016 angebotene Fiat 509 S.M. gebaut wurde. Auf dem Heck des Wagens steht „Targa Florio 1926“, während Coys als Baujahr 1928 angibt. Die Diskrepanz ist damit zu erklären, dass es erst ab 1928 eine Zulassung des Wagens nachweisbar ist. Gebaut wurde das Chassis aber wohl schon 1926.

Offenbar wurde zwischenzeitlich die Montage eines Kompressors durch den Fiat-Händler Orselli im südfranzösischen Cannes erwogen. Doch wegen der Sorge um die Zuverlässigkeit einer solchen Konstruktion ließ man am Ende die Finger davon.

Ob der hier gezeigte Fiat 509 S.M. tatsächlich einmal an der „Targa Florio“ auf Sizilien teilgenommen hat, ist unsicher. Denkbar ist es, da in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre etliche Fiat 509 S.M. bei dem legendären Rennen in der Klasse bis 1100ccm antraten.

Jedenfalls gilt dieser prächtige Fiat 509 S.M. als einer der wenigen originalen ab Werk „frisierten“ Fiat 509, die noch existieren.

© Fiat 509 S.M. bei den Classic Days auf Schloss Dyck, 2016; Bildrechte: Michael Schlenger

Bei anderen heutigen Fiat 509 S.M. dürfte es sich um Specials aus späterer Zeit oder moderne Nachempfindungen handeln.

Daneben gibt es Fiat 509 Specials, die zwar nicht vom Werk in Turin, aber bereits in der Vorkriegszeit von zeitgenössischen Enthusiasten geschaffen wurden und natürlich ebenso authentisch sind. Der bekannteste und am besten dokumentierte historische Fiat 509 Special hierzulande dürfte der Fiat Adams Special von Michael Buller sein.

Mercedes 170V „Spezial“ bei den Classic Days 2016

Unter Freunden von Vorkriegs-Mercedes genießt der Typ 170V heute wie einst große Popularität. Der brave Vierzylinder verkörperte die damaligen Mercedes-Tugenden, zu denen neben modernem Fahrwerk und defensiver Motorisierung eine aus allen Richtungen harmonische Formgebung sowie beste Verarbeitung zählten.

Wir haben das einstige Volumenmodell, das mit schwäbischer Sturheit bis in die 1950er Jahre weitergebaut wurde, anlässlich seines 80. Geburtstags bereits anhand eines historischen Originalfotos gewürdigt (Bildbericht).

Man sollte meinen, dass zu den Varianten des Mercedes 170V längst alles in endgültiger Form geschrieben worden ist. Doch bei den fabelhaften Classic Days auf Schloss Dyck am Niederrhein wurde doch tatsächlich eine bis dahin unbekannte Variante präsentiert:

© Mercedes-Benz 170 V bei den Classic Days auf Schloss Dyck, 2016; Bildrechte: Michael Schlenger

Oje, mag mancher denken, das ist ein Kandidat für eine Vollrestaurierung – machbar, aber ein teures Vergnügen, wenn man die Standards von einst erreichen will. Doch ein zweiter Blick zeigt: Dieser schwer verwitterte Mercedes 170V ist aus Sicht seines Besitzers längst „fertig“.

Dabei wird man auch mit einer völlig neuen Bedeutung des „V“ in der Typenbezeichnung konfrontiert. Denn der Buchstabe dient hier keineswegs der Abgrenzung vom 170H mit Motor im Heck und soll auch nicht signalisieren, dass es im Unterschied zum Vorgänger Mercedes 170S nur zu vier Zylindern gereicht hat.

Das „V“ bezieht sich hier schlicht auf die Tatsache, dass in diesem 170er ein V8-Motor verbaut wurde:

© Mercedes-Benz 170 V bei den Classic Days auf Schloss Dyck, 2016; Bildrechte: Michael Schlenger

Wer ein solches Implantat amerikanischer Herkunft reflexartig für Frevel hält, sollte erst einmal das Gesamtergebnis würdigen und im historischen Kontext sehen.

Derartige Umbauten waren in der frühen Nachkriegszeit vor allem in den USA gängig und machten aus braven Familienkutschen heftig motorisierte Geräte für Geschwindigkeitswettbewerbe an Stränden (Pendine Sands, Wales) und auf Salzseen (Bonneville, USA). 

Solche „Hotrods“ sind eine der vielen schillernden Seiten der Oldtimerei und werden von Leuten mit großem technischen Können und viel Stilgefühl fabriziert. Verwendet werden dafür meist Chassis, deren Aufbauten sonst auf dem Schrott gelandet wären.  

Auch der hier als Basis genutzte Mercedes 170V hätte sonst vermutlich kaum noch eine Chance auf ein zweites Leben bekommen. So bleibt er als Zeitzeuge mit den Spuren eines langen Daseins erhalten und strahlt eine ganz eigene Faszination aus.

Seien wir ehrlich: Ein Mercedes 170V ist gemessen an echten Raritäten der Vorkriegszeit alles andere als selten und auf „neu gemachte“ Exemplare gibt es genug, die von den einstigen Mercedes-Qualitäten künden.

Wenn hier ein Enthusiast seine ganz eigene Interpretation eines 170V präsentiert, ist das ein legitimer Ansatz, der niemanden beeinträchtigt, dessen Ergebnis aber für enorme Aufmerksamkeit sorgt – was der Vorkriegsszene hierzulande nicht schadet.

Wer wie der Verfasser Spaß an solchen Sachen hat, wird auch Gefallen an den folgenden weiteren Bildern dieser eigenwilligen Schöpfung finden.

© Mercedes-Benz 170 V bei den Classic Days auf Schloss Dyck, 2016; Bildrechte: Michael Schlenger

Pontonform und Vorkriegsgene: Goliath GP 700 von 1950

Dieser Blog widmet sich schwerpunktmäßig Automobilen der Vorkriegszeit, die zumindest im deutschsprachigen Teil des Internets eher ein Schattendasein führen – Ausnahmen bestätigen die Regel.

Doch werden auch Typen der späten 1940er und frühen 1950er Jahre vorgestellt, die in mancher Hinsicht in den 1930er Jahren wurzeln. Da wurden mit moderner Pontonkarosserie gern Art-Deco-Elemente im Innenraum kombiniert, oft stammten die Fahrwerks- bzw. Antriebskonzepte ebenfalls noch aus der Vorkriegszeit.

Ein typisches Beispiel dafür ist der heute weitgehend vergessene Goliath GP 700, den wir auf folgendem Originalfoto sehen:

© Goliath GP 700, frühe 1950er Jahre; Foto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Firma Goliath gehörte zum Borgward-Konzern, dem 1949 mit dem Hansa 1500 die erste PKW-Neukonstruktion nach dem Krieg gelungen war. Im Jahr darauf stellte man mit dem Goliath GP 700 ein formal ähnliches, aber kleineres Auto vor.

Gebaut wurde der Wagen im einstigen Werk von Hansa-Lloyd in Bremen, in dem unter der Marke Goliath zunächst nur einfache Nutzfahrzeuge gebaut wurden.

Der Goliath GP 700 wirkte äußerlich ansprechend, vor allem in der Frontansicht. Mit seinen zahlreichen Chromelementen machte der Wagen von vorne einiges her:

Der Goliath GP 700 war im Vergleich zu Kleinwagen der Vorkriegszeit relativ geräumig. Dazu trugen neben der Pontonkarosserie auch der quer eingebaute Motor und der Frontantrieb bei.

Was modern klingt, war bei näherer Betrachtung nicht sonderlich innovativ: Unter der Haube werkelte ein 700ccm „großer“ Zweizylinder-Zweitakter, der mit dem Aggregat verwandt war, das DKW in den 1930er Jahren in seinen Fronttrieblern verbaute.

Tatsächlich wurde der Motor von einem Team aus Ingenieuren entwickelt, die vor 1945 überwiegend bei DKW gearbeitet hatten. Allerdings hatte man gegenüber dem 700ccm-Motor der Zschopauer Marke die Leistung auf rund 25 PS gesteigert.

Ebenfalls auf Vorkriegsniveau war das Fahrwerk mit Blattfedern vorn und hinten. Immerhin gab es Teleskopstoßdämpfer, hydraulische Bremsen und ein in allen Gängen synchronisiertes Getriebe.

Der Wagen auf unserem Foto ist zwar die gängige Limousinenausführung. Doch bot man auch eine Cabrio-Limousine an – ein vor dem Krieg in Deutschland sehr populäres Konzept. Der Goliath war einer der letzten Vertreter dieser Gattung.

Übrigens verweist das Nummernschild – ein Besatzungskennzeichen – auf eine Zulassung in der amerikanischen Enklave Bremen, zu erkennen am Kürzel „AE“. Zur Aufnahmesituation ist nicht viel zu sagen. Bei genauem Hinsehen erkennt man rund um den Goliath verteilt eine vierköpfige Familie. Eine fünfte Person hat das Foto gemacht.

Das Ganze sieht zwar so aus, als schöbe der Vater den Wagen mit einer Hand am Lenkrad, doch das muss auf keine Panne hinweisen. Die Zweitakter waren bauartbedingt  zuverlässig – wenn man nicht gerade die kapriziöse Variante mit Benzineinspritzung hatte, die 5 PS mehr leistete.

Ab 1956 konnte man auch eine 900ccm-Version mit 38 PS (Vergaser) bzw. 40 PS (Einspritzer) haben. Dennoch blieb auch dieser bis 1957 gebauten Version der große Erfolg versagt. Die sehr robust gebauten Goliath-Zweitakter waren mit 950 kg Leergewicht deutlich schwerer als zum Beispiel ein Volkswagen und kosteten auch mehr.

An Steigungen wirkten die Zweitaktaggregate rasch überfordert und die Vergaser-Variante verbrauchte bauartbedingt viel Benzin. Erst der ab 1957 gebaute Goliath GP 1100 sollte mit seinem 4-Zylinder-Motor einen angemessenen Antrieb erhalten.  

Mit 125 km/h Spitze bei knapp 8 Liter Verbrauch und seinem im Detail weiter modernisierten, großzügigen Innenraum hätte diese letzte Ausführung des Goliath Chancen gegen den Volkswagen gehabt. Doch der Ruf war bereits angeschlagen und mit dem Zusammenbruch der Borgwardgruppe 1961 war auch sein Schicksal besiegelt.

Exklusiver geht’s kaum: Audi Typ E 22/55 PS Tourenwagen

Damit keiner meint, auf diesem Blog gebe es in Sachen altes Blech nur Standard (hier und hier), bringen wir heute mal wieder etwas richtig Exklusives, einen Audi!

Audi, sind das nicht diese rasenden Vertreterkisten, die gefühlt mindestens 50 % der linken Autobahnspur für sich beanspruchen? Oder waren das nicht früher biedere Mittelklassemobile, mit denen man nicht von der Schule abgeholt werden wollte?

Weit gefehlt: Hier geht es um Audis aus einer Zeit, in der die Wagen zum Seltensten gehörten, was man auf Deutschlands Straßen zu Gesicht bekam.

Vor 100 Jahren war Audi ein Premiumhersteller, der von den meisten Typen nur ein paar hundert Exemplare baute. So verfügt der Verfasser zwar über Originalfotos von Raritäten wie AGA, Brennabor, NAG, Presto oder Stoewer, die hier nach und nach vorgestellt werden. Doch bei den frühen Audis herrscht bislang Fehlanzeige.

Dank eines Lesers dieses Blogs – Udo Ammerschuber aus Weimar (Thüringen) – können wir heute ein besonderes Prachtexemplar präsentieren:

© Audi Typ E 20/55 PS Tourenwagen, Mitte der 1920er Jahre; Bildrechte: Udo Ammerschuber

Bevor wir den genauen Typ besprechen, ein kurzer Rückblick zur Markenhistorie: Zu den Gründern von Audi gehörte August Horch – neben Daimler und Benz der wohl wichtigste deutsche Autokonstrukteur der Frühzeit. Horch verließ 1909 das unter seinem Namen firmierende Unternehmen im sächsischen Zwickau aufgrund interner Querelen.

Rasch gelang es Horch, das Kapital für eine Neugründung einzusammeln. Ein brillianter Schachzug war die Namensgebung: „Audi“ bedeutet schlicht „Horch!“ auf Lateinisch, es klingt außerdem nach „Auto“ und ist den meisten Sprachen mühelos auszusprechen.

Ab 1910 wurden dann die ersten Audis gebaut – natürlich in Zwickau, damals einer der wichtigsten Standorte der deutschen Autoindustrie. Die Stückzahlen blieben gering, Audi wollte von Anfang als Qualitätsmarke wahrgenommen werden.

Enormes Ansehen brachten die Siege bei der Österreichischen Alpenfahrt 1911-14. Hinter dem harmlosen Namen verbarg sich eine knüppelharte Zuverlässigkeitsprüfung, die sich zuletzt über knapp 3.000 km mit 30 Alpenpässen erstreckte.

Das spektakuläre Abschneiden der Audi-Teams kam dem Markenimage auch nach dem 1. Weltkrieg zugute, als zunächst die Vorkriegstypen weitergebaut wurden.

Damit wären wir bei dem Foto, das uns Udo Ammerschuber freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. Er hat es im Fotoalbum der Familie gefunden und weiß, dass es den Wagen seines Urgroßvaters zeigt; Marke und Typ waren ihm aber unbekannt.

Nun, da können wir Abhilfe schaffen. Wie so oft bei Tourenwagen der Vorkriegszeit ist die Gestaltung der Frontpartie entscheidend. Schauen wir genauer hin:

Vom Kühlergrill sieht man nicht viel, aber umso mehr von der Kühlerfigur – einer „1“, die von der in Fahrtrichtung linken Seite gesehen richtig herum steht. Ab 1923 war die „1“ das Markenzeichen von Audi – ein erstes wichtiges Indiz, wenn auch noch kein Beweis.

Geht man nun mit der Arbeitshypothese „Audi Tourenwagen Mitte der 1920er Jahre“ die Bilder in der einschlägigen Literatur durch, findet man genau eine Entsprechung: den von 1913-24 gebauten Audi Typ E 22/55 PS.

Nur er weist die charakteristische Abfolge von vier Luftschlitzen in der Motorhaube und zwei weiteren im Seitenteil auf. Auf dem Foto von Udo Ammerschuber ist der untere Teile der Luftschlitze nicht zu sehen, da das Original an dieser Stelle beschädigt ist. Retuschen halfen hier nur bedingt, das ursprüngliche Erscheinungsbild herzustellen.

Zum Vergleich sei auf den Audi Typ E auf Seite 60 des im Verlag Delius-Klasing erschienen Standardwerks „Audi-Automobile 1909-40“ von Kirchberg/Hornung verwiesen. Der dort in der Mitte links abgebildete Wagen stimmt in allen Details mit dem Fahrzeug auf dem Foto überein.

Wie muss man sich den auf dem Foto nur teilweise zu sehenden Kühler dieses Wagens vorstellen? Zufälligerweise hat der Verfasser 2013 beim Festival de l’Automobile im elsässischen Mühlhausen die Frontpartie eines ähnlichen Audi jener Zeit fotografiert, leider ohne die charakteristische Eins auf dem Kühler:

© Audi Spitzkühler-Tourenwagen, Anfang der 1920er Jahre; Bildrechte: Michael Schlenger

Es handelt sich um einen Spitzkühler, wie ihn etliche deutsche Autos kurz vor und nach dem 1.Weltkrieg trugen. So markant fiel er aber nur bei den damaligen Audis aus.

Nach so viel formalen Details ein paar Worte zur Technik: Der Audi Typ E 22/55PS war vor und nach dem 1. Weltkrieg das Spitzenmodell der Zwickauer Marke und entsprechend großzügig motorisiert. Der Vierzylinder mit satten 5,7 Liter Hubraum leistete 55 PS, die er über ein 4-Gang-Getriebe an die Hinterachse übertrug.

Das Wagengewicht hing vom Aufbau ab und betrug in der offenen Ausführung 1,7 Tonnen. An die 100km/h konnte man mit dem Wagen erreichen, wenngleich das auf den Straßen jener Zeit ein theoretischer Wert war. Wichtiger war die dank des großen Hubraums souveräne Leistung an Steigungen.

Ein derartig leistungsfähiger und großzügiger Wagen hatte natürlich seinen Preis. 1914 rief Audi für den Typ E 22/55 PS damals unglaubliche 14.500 Reichsmark für das Chassis mit Motor, aber ohne Karosserie auf. Nach dem Krieg wurde es eher teurer…

Wie sahen die Leute aus, die sich so etwas leisten konnten? Dazu ein letzter Blick auf das schöne Foto von Udo Ammerschuber:

Das waren selbstbewusste, weltgewandte Leute, die es gewohnt waren, in eine Kamera zu schauen. Das Foto ist eine würdige Erinnerung an sie und den grandiosen Audi, der wahrscheinlich den Weg alles Irdischen gegangen ist. Nur rund 300 Stück davon wurden in der langen Bauzeit von 1913-24 gefertigt.

Ein solcher Audi war schon immer eine Rarität und daher sei dem Besitzer dieses Privatfotos herzlich für die Genehmigung gedankt, es hier veröffentlichen zu dürfen.

Übrigens steht im Automuseum in Mühlhausen einer der wenigen überlebenden Audis des Typs E 22/55 PS.

Pseudo-Stromlinie: Ein Standard 12 „Flying“ in Irland

Wer sich für die Geschichte der Stromlinie im Automobilbau interessiert, findet in diesem Blog reiches Anschauungsmaterial – darunter auch Abbildungen sehr früher und kaum bekannter Fahrzeuge (siehe Schlagwort „Stromlinie“).

Damit verwandt ist die Gattung der „Pseudo-Stromlinienfahrzeuge“ – also Autos, die einzelne formale Elemente des Stromlinienideals aufwiesen, ohne ein wirklich windschnittiges Gesamtbild abzugeben.

Großen Einfluss in dieser Hinsicht hatte vor allem der „Wasserfall“-Grill des Chrysler Airflow von 1934. Er taucht als Gestaltungselement bei etlichen Fahrzeugen der 1930er Jahre auf, die keine ernsthaften aerodynamischen Ambitionen verfolgten.

Ein Beispiel dafür ist auf dem folgenden Originalfoto zu sehen:

© Standard 12 „Flying“, Baujahr 1937-39; Foto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Wagen wirkt unverkennbar britisch, auch wenn wir Kontinentaleuropäer Hersteller und Typ nicht gleich parat haben.

Engen wir die Auswahl ein: In Frage kommen der Größe nach zu urteilen nur Mittelklassehersteller. Ausschließen kann man Austin und Morris, deren Wagen keine so markante Front aufwiesen. Ford of Britain und Vauxhall trauten sich in dieser Hinsicht mehr, doch ein „waterfall grille“ war auch dort nicht zu finden.

Es bleiben von den bekannten Marken nur Triumph und Standard. Tatsächlich war es das Modell Standard Flying, das ab 1937 mit diesem auffallenden Kühlergrill gebaut wurde.

Die Marke aus Coventry hatte bereits vor dem 1. Weltkrieg Modelle in der Klasse von 12-Steuer-PS im Programm und bot auch in den 1930er Jahren entsprechende Wagen an. Der Standard auf unserem Foto ist ein solcher Typ 12, wie ein Blick auf die Abdeckung der Öffnung für die Anlasserkurbel verrät:

Apropos 12: Der solide gebaute Standard Flying 12 war mit seinem 44 PS leistenden 1,6 Liter-Vierzylinder zwar nur mäßig motorisiert; er bot aber immerhin eine 12 Volt-Elektrik, was damals viele Hersteller noch für unnötig hielten.

Offenbar teilte man damals die (fälschlicherweise) Joseph Lucas zugeschriebene Ansicht: „A gentleman does not motor about after dark“ – also: „Ein Mann mit Stil fährt nachts nicht im Auto herum“.

Von der Elektrik abgesehen bot der Standard 12 Flying in technischer Hinsicht Hausmannskost: Die Bremsen waren seilzug- bzw. gestängebetätigt, und erst 1939 gab es eine Version mit Einzelradaufhängung vorne.

Immerhin betont der britische „Standard Motor Club“ in seiner Kaufberatung des Modells die außergewöhnlich gute Verarbeitung und die Nehmerqualitäten des Antriebs („praktisch unzerstörbar“).

Einige Überlegungen zu Aufnahmezeitpunkt und -ort: Der 1937 vorgestellte Wagen sieht auf dem Foto schon etwas mitgenommen aus. So fehlen die beiden Hupen, man sieht nur noch die Kabeldurchführungen in den Kotflügeln. Die Stoßstange hängt etwas schief und der Lack wirkt matt.

Sicher ist dieses Bild erst nach dem 2. Weltkrieg entstanden, als auch in England alles, was noch fuhr, bis zum bitteren Ende aufgebraucht wurde.

Das Nummernschild mit dem Kürzel „ZC“verweist übrigens auf eine Zulassung im Raum Dublin (Irland) zwischen 1937 und 1940. Wer sich schon immer gefragt hat, was die kryptisch anmutenden Nummernschilder britischer Wagen verraten, dem wird hier geholfen.

Weitere Blog-Einträge zu Pseudo-„Streamlinern“: Röhr 8F , Maybach und DKW.