Auf Tour durchs Tibertal – ein NAG „Puck“!

Wem der Titel meiner heutigen Bildergeschichte ein wenig abenteuerlich erscheint – „Durch’s wilde Kurdistan“ von Karl May lässt grüßen – liegt ganz richtig.

Denn was ich heute präsentiere, ist das Dokument eines geradezu unglaublichen Abenteuers, doch im Unterschied zu Karl May musste ich nichts dazudichten.

Die besten Geschichten schreibt ohnehin das Leben, vor allem wenn man Fortuna walten lässt. Was mir der Zufall diesmal zugespielt hat, daran will ich Sie gern teilhaben lassen.

Kürzlich erwarb ich wieder einmal einen Stapel alter Autofotos für einen überschaubaren Betrag – der eigentliche Preis für solche Schnäppchen ist der, dass man erst einmal nicht genau weiß, was sich auf den meist verblichenenen oder unscharfen Bildern verbirgt.

Bei der ersten Durchsicht blieb mein Blick kurz an diesem vergilbten Abzug hängen – naja, dachte ich, vermutlich ein schwer identifizierbares frühes Mobil irgendwo in Südeuropa:

NAG „Puck“ bei Todi (Umbrien); Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Eigentlich wollte ich mich erst später damit beschäftigen, doch die Silhouette der Stadt im Hintergrund interessierte mich aus irgendeinem Grund.

Also tat ich, was ich auch sonst in solchen Fällen tue – ohne dass Sie das mitbekommen: Ich stellte die Bilddatei auf „Schwarzweiß“ um, erhöhte den Kontrast, entfernte einige störende Flecken und Kratzer.

Und auf einmal sah das Ganze schon vielversprechender aus:

Zwar kann man von dem Wagen noch nicht allzuviel erkennen, doch immerhin ist jetzt zu ahnen, dass er ein deutsches Kennzeichen trägt.

Noch war mir nicht bewusst, wo der Wagen aufgenommen worden war, doch war schon an dieser Stelle klar – da waren deutsche Reisende vor 1910 irgendwo im Süden unterwegs!

Da mir dieser Drang prinzipiell sympathisch ist, zumal er heute ohne die meist rein destruktiven Eroberungsgelüste unserer germanischen Vorfahren daherkommt, war ich elektrisiert. Was war das für ein Wagen und wo war er unterwegs?

Also schaute ich genauer hin und plötzlich sah ich den runden Kühlerausschnitt und (wenn ich mich nicht irre) die Kennung „IA“ für Berlin – das muss ein NAG sein!

Der Wagen besitzt zwar einen Tourenwagenaufbau für vier bis fünf Personen – anfangs noch als Doppel-Phaeton bezeichnet – dennoch sind seine Abmessungen sehr kompakt.

Im Programm der Berliner NAG gab es aber neben den beeindruckenden mittleren und großen Typen, die damals zur deutschen Spitzenklasse gehörten, tatsächlich auch ein solches Kleinauto – den NAG „Puck“.

Dieser 1908 eingeführte Wagen ist auf der folgenden Originalreklame zu sehen:

NAG 6/12 PS „Puck“; Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger

Der Vorteil des Drucks liegt darin, dass er den Blick für’s Wesentliche schärft, auch wenn die zugrundeliegenden Zeichnungen selten in allen Details präzise waren.

NAG-typisch war bis zum Ende des 1. Weltkriegs der runde Kühlerausschnitt – er ist also weder baujahrs- noch modellspezifisch, erlaubt aber in der vorliegenden Form schon einmal die Ansprache der Marke.

Einprägen sollte man sich die Ausführung der Vorderkotflügel – eher dünn, nach hinten breiter werdend und nahezu rechtwinklig an das Trittbrett anschließend. Auch die weit auskragenden, nur wenig gebogenen vorderen Rahmenausleger kann man sich merken.

Dann wäre da noch die kurze Motorhaube und der im Vergleich zum Lenkrad sehr kompakte Vorderwagen, was für ein kleines Modell spricht.

Haben Sie noch alles parat? Dann schauen wir jetzt, so ein NAG „Puck“ in der Realität aussah:

NAG 6/12 PS „Puck“; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Erkennen Sie die Übereinstimmungen, auch wenn allerlei Accessories und die Insassen natürlich für ein anderes Gesamtbild sorgen?

Jetzt stellen Sie sich nur noch vor, dass auf der Fahrerseite zwei Reservereifen in einer gemeinsamen Hülle mitgeführt wurden und außerdem auf dem Trittbrett der Beifahrerseite ein Gepäckkoffer angebracht war – denn einen Kofferraum gab es damals ja noch nicht.

Mit diesen Extras versehen war nämlich der NAG „Puck“ auf meinem Foto:

Sind Sie einverstanden mit der Identifikation dieses Wagens als NAG „Puck“?

Ich unterstelle, dass ich hier richtig liege. Nun kann es an die noch spannendere Frage gehen, wo dieser NAG unterwegs war, als er auf Fotoplatte verewigt wurde.

Die Antwort fällt sensationell aus, wenn man bedenkt, dass der NAG „Puck“ einen 1,6 Liter-Vierzylindermotor besaß, der gerade einmal 12 PS Spitzenleistung abwarf.

Tatsächlich ist dieser Wagen einst über die Alpen nach Italien gefahren, was an sich schon ein Abenteuer der besonderen Art war. Doch haben es die Insassen nicht dabei bewenden lassen, die Großstädte Oberitaliens Turin, Mailand und Bologna zu besuchen.

Nein, liebe Leser, diesen Leuten stand der Sinn nach etwas anderem.

Wir kennen die genaue Route nicht, doch vermutlich sind sie über Florenz weiter südlich in die Toscana vorgestoßen, sind dann am Trasimenischen See vorbei nach Osten abgedreht in Richtung Perugia, der Hauptstadt der angrenzenden Region Umbrien.

Von dort muss es dann durch das mittlere Tibertal weiter nach Süden gegangen sein – vielleicht war Rom das Ziel. Ein Halt auf dem langen Weg dorthin ist dokumentiert, nämlich auf dem Foto, das ich heute vorgestellt habe.

Darauf fiel mir links am Rand etwas auf, das wie eine Vision der venezianischen Kirche Santa Maria della Salute im flimmernden Licht am Horizont zu schweben schien:

Als ich das sah, war ich mit einem Mal 30 Jahre jünger! Damals fuhr ich zum ersten Mal nach Umbrien. Ich war Student und hatte in den Semesterferien eine hübsche Summe verdient.

Eine Woche war ich mit Bahn und Bus in der Valle Umbra zwischen Spoleto und Assisi unterwegs; eine Woche lang gönnte ich mir einen Mietwagen (Ford Escort) für die entlegeneren Höhepunkte dieser für mich schönsten Region Italiens.

Den Namen der mir so bekannt vorkommenden Kirche hatte ich nach dieser langen Zeit natürlich nicht mehr parat – Santa Maria della Consolazione heißt sie.

Doch eines wusste ich plötzlich wieder: Das ist in Todi!

Todi (Umbrien); Panoramafoto von Giuseppe Marzulli

Kurios, dass diese Aufnahme an fast derselben Stelle entstand wie einst das Foto mit dem NAG „Puck“, nämlich an der südlich stadtauswärts führenden SS79Bis „Via Angelo Cortesi“ kurz vor der scharf nach Osten drehenden Kurve.

Wie so oft in Umbrien hat sich das Stadtbild in mehr als 100 Jahren kaum verändert. Es wird mit hierzulande kaum vorstellbarem Stolz gepflegt und mit authentischen Baumaterialien und -techniken bis ins Detail erhalten.

Wie bei allen umbrischen Hügelstädten haben wir es mit Siedlungen zu tun, die seit mindestens 2.500 Jahren existieren und schon Stadtcharakter hatten, lange bevor die Römer Italien unter ihre Herrschaft brachten.

Diese noch heute erlebbare kulturelle Kontinuität, welche auch die Nutzung der Landschaft umfasst, ist phänomenal und auch in Italien in dieser Breite wohl einzigartig.

In Deutschland sagt Umbrien dennoch bis heute nur wenigen etwas, allenfalls von der Pilgerstadt Assisi hat man schon einmal gehört. Doch anstatt ebendort durch die Valle Umbra zu fahren, entschieden sich die Insassen des NAG „Puck“ einst, dem westlich davon gelegenen Tibertal nach Süden zu folgen.

Dabei kamen Sie an Todi vorbei und waren offenbar gebannt von dem Stadtbild, obwohl es in Umbrien noch weit grandiosere gibt. Diese Leute müssen jedenfalls Kenner des Besonderen und mit einem Hang zum Abenteuer ausgestattet gewesen sein.

Mit 12 PS von Berlin nach Todi – allein das waren schon 1.500 Kilometer auf oft nur mäßig befestigten Straßen. So etwas machte man auch dann nicht nebenher, wenn man sehr gut situiert war, wie dies bei allen frühen Automobilisten zwangsläufig der Fall war.

So gehört heute meine Sympathie wieder einmal den Pionieren des Autowanderns im Süden. Und weil mir gerade der Sinn danach steht, werde ich es ihnen für ein gute Woche nachtun – mit mehr als 12 PS, aber derselben Leidenschaft und natürlich: in Umbrien!

Nach meiner Rückkehr geht es weiter im Blog, es gibt ja so viel zu erzählen. Sollte Ihnen unterdessen langweilig werden, unternehmen Sie doch mal einen Spaziergang durch Todi

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Es gibt kein schlechtes Wetter: Ein Renault 6CV Tourer

„Es gibt kein schlechtes Wetter – nur falsche Kleidung.“ So lautet eine Weisheit aus deutschen Landen, deren Ursprung ich nicht kenne. Sie muss aber mindestens so alt sein wie Rudi Carells legendärer Schlager „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer?

Der Gassenhauer hat 2023 unerwartet neue Aktualität gewonnen, denn der von den Klimamodellierern prognostizierte „Hitzesommer“ ist leider völlig ins Wasser gefallen, obwohl man sich medial größte Mühe gab, ihn dennoch herbeizubeten.

Nach vielversprechendem Anfang enttäuscht der Sommer in der hessischen Wetterau (und nicht nur dort) seit Wochen mit endlosem Regen und zunehmend kühlen Tagen.

Uns soll das aber nicht verdrießen, denn uns steht der Sinn nach einem Ausflug an den schönen Rhein und wir wollen doch einmal sehen, ob wir nicht doch irgendwie im offenen Automobil und einigermaßen unbeschadet dorthin gelangen.

Eingedank des heutigen Mottos steht freilich am Anfang die Wahl der angemessenen Montur – mit Kopfbedeckung und hohem Kragen kann man dem Kommenden gelassen entgegen sehen:

Renault 6CV Type NN; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Beim Fahrzeug haben wir uns für einen Renault entschieden – das wäre aber auch ohne das Emblem auf der Motorhaube zu erkennen gewesen.

Als einr der ganz wenigen Hersteller hielt Renault über den 1. Weltkrieg hinaus an der Anordnung des Kühlers hinter dem Motor fest. Dieser schaute bei frühen Exemplar noch beiderseits der Haube hervor – was hier nicht mehr der Fall ist.

Stattdessen wurde über die in Fartrichtung offenen „Kiemen“ beiderseits der Haube gezielt Frischluft dem im Verborgenen liegenden Kühler zugeführt. Das gesamte Konzept hatte eine eigenwillige Gestaltung zur Folge, die dem Erfolg von Renault aber keinen Abbruch tat.

Die Traditionsfirma deckte schon immer ein breites Hubraumspektrum ab, doch mit dem populären neuen 5CV-Modell von Citroen ergab sich Anfang der 1920er Jahre die Notwendigkeit, auch wieder im Segment unter 1 Liter tätig zu werden.

So führte Renault Ende 1922 den neuen Kleinwagentyp 6CV mit Vierzylindermotor ein.

Damit war die Firma jahrelang ziemlich erfolgreich, selbst im Ausland. So kam auch der oben vorgestellte Renault auf deutschen Boden. Hier haben wir dasselbe Auto in der Seitenansicht:

Renault 6CV Type NN; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der Beifahrer hat sich hier der jungen Dame zugesellt, die für das Foto noch auf eine Kopfbedeckung verzichtet hat, welche aber auf den zugigen hinteren Rängen eines Tourenwagens unverzichtbar war – speziell an einem kühlen Tag wie diesem.

Vom bereits 1919 eingeführten deutlich stärkeren Modell 10CV mit gut 2 Litern Hubraum unterschied sich der 6CV fast nur durch die geringeren Dimensionen. Speziell mit Insassen lässt sich recht gut abschätzen, mit welchem der beiden Typen man es zu tun hat.

Auch die Reifengröße unterschied sich, doch die ist hier nicht lesbar. Dennoch bin ich sicher, dass unser heutiger Ausflugswagen ein Renault des Kleinwagentyps 6CV war, hier jedoch auf verlängertem Chassis (Type NN), wie ab 1925 erhältlich.

Achten Sie einmal auf die Position des (nicht verstellbaren) Fahrersitzes in Relation zum Hinterkotflügel – da sind noch rund 20 cm Platz.

Mit diesem Gefährt machen wir uns hoffnungsfroh auf den Weg – den Wetterbericht ignorierend haben wir uns ein kühnes Ziel gesetzt: den Loreley-Felsen am Mittelrhein! Und unser Optimismus wird belohnt, denn dort lacht uns tatsächlich die Sonne!

Offenbar hat die sonst so trügerische Loreley hier mit ihrer Magie ein kleines Wetterwunder vollbracht. Doch ach, sie hat bei der Gelegenheit auch die Insassen weggezaubert:

Renault 6CV Type KJ; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Was ist hier geschehen?

Die ganze Situation ist zu schön, um wahr zu sein: Der Wagen steht mit einem Mal in der hellen Mittagssonne und im Hintergrund rauscht ein mächtiger Schaufelraddampfer mit Ausflüglern vorbei – Kaiserwetter nannte man das ein paar Jahre zuvor noch.

Aber der Renault ist doch genau der Gleiche, oder? Nun, ein 6CV mit Tourenwagenaufbau ist auch er, kein Zweifel. Bei näherer Betrachtung allerdings fallen einige Unterschiede auf.

Da wäre zunächst der große Koffer auf dem Trittbrett, welcher den Fahrer nötigt, auf der anderen Seite auszusteigen. Dann weicht die Anbringung der Windschutzscheibe ab und merkwürdigerweise ist das Krümmerrohr nicht zu sehen, obwohl der Fotograf den Wagen aus niedrigerer Perspektive aufgenommen hat.

Zu erklären ist das so: Dieser Renault 6CV war ein deutlich früheres Modell, bei dem der Tourer noch einen um 20 cm kürzeren Radstand aufwies. Daher sitzt der Fahrer auch entsprechend weiter hinten, wenn man den Abstand zum Hinterkotflügel zugrundelegt:

Fahrer und Beifahrer saßen etwas versetzt nebeneinander und der dritte Mann im Heck hatte so zumindest etwas Beinfreiheit.

Wer aber hat dann das Foto geschossen? Nun, auch hier geht es mit rechten Dingen zu, da die Aufnahme von einem Profi angefertigt wurde, der an der Loreley über viele Jahre genau aus dieser Perspektive auf Wunsch Reisende festgehalten hat.

So findet unsere unter trüben Vorzeichen begonnene Reise doch ein gutes Ende ausgerechnet an der von Schiffern gefüchtete Loreley, auch wenn uns unterwegs die Besatzung von Bord gegangen ist.

Wie fast immer wissen wir nichts über die Herren, die uns hier nach rund 100 Jahren entgegenblicken, doch dass Sie diesen Moment eines prächtigen Sommertags mit uns teilen, wie er sein sollte – dafür bedanken wir uns posthum bei ihnen.

Denn so können wir letztlich doch behaupten „Es gibt kein schlechtes Wetter!

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Das Glück liegt in einer Kurve: Ein Auburn von 1926/27

Motorradfahrer kennen das natürlich: „Das Glück liegt in einer Kurve“. Doch auch derjenige, der die unerreichte Individualität des Reisens mit dem Automobil zu schätzen weiß, weiß zugleich, dass der direkte Weg nicht immer der reizvollste ist.

Ein Umweg über demütig der Topographie folgende alte Landstraßen offenbart oft die großartigsten Eindrücke von der Welt.

Mit dem Automobil und ausreichendem Benzinvorrat kann man es sich leisten, unabhängig von Fahrplänen, Schienen und sonstigen einengenden Faktoren eine Landschaft in ihrer Gänze buchstäblich zu „erfahren“, ohne allzuviel Zeit opfern zu müssen.

Gewiss, eine Tour mit dem Fahrrad beispielsweise oder eine Wanderung zu Fuß hat ihren eigenen Reiz und beides möchte ich nicht missen.

Doch für den geplagten Großstädter, der in der Ebene sein Dasein fristet, lässt sich die Wunderwelt der Berge immer noch am besten mit dem Auto in greifbare Nähe holen.

Das mag auch einst das Motiv der Insassen dieses in Wien zugelassenen Tourenwagens gewesen sein:

Auburn Modelljahr 1926/27; © Salzburg-Museum (via Werner Friepesz)

Diese herrliche Aufnahme aus dem Archiv des Salzburg-Museums sandte mir Werner Friepesz mit der Bitte um Identifikation des darauf abgebildeten Wagens zu – verbunden mit der freundlichen Genehmigung, das Foto hier vorstellen zu dürfen.

Festgehalten wurde diese Situation in der kleinen Ortschaft Lofer im Pinzgau (Bundesland Salzburg), soviel war bekannt. Doch um was es für einen Wagen sich handelte, das war offen.

Wie gesagt – der direkte Weg ist nicht immer der reizvollste zum Ziel – und auch wenn ich auf Anhieb wusste, womit wir es zu tun haben, nehme ich mir die Freiheit, auf Umwegen die Lösung zu präsentieren.

Dabei erweist sich einmal mehr: „Das Glück liegt in einer Kurve“, und etwas Glück braucht man schon mitunter, wenn es um die Identifikation solcher Vorkriegswagen geht.

In meinem Fall verhält es sich so, dass ich das Glück habe, von vielen Gleichgesinnten Fotos für meinen Blog zur Verfügung gestellt zu bekommen, an die ich in vielen Fällen kaum oder nie gekommen wäre.

Einer davon ist Klaas Dierks, der mir vor längerer Zeit dieses Foto aus seiner Sammlung in digitaler Form zur Verfügung stellte:

Auburn, Modelljahr 1929/30; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Das schicke 2-Fenster-Cabrio links neben dem Nash konnte ich als Auburn des Modelljahrs 1929/30 identifizieren.

Die Kühlerform und das darauf angebrachte Emblem machten die Identifikation des Herstellers leicht. Doch diesem Dokument verdanke ich auch das Glück einer Kurve – nämlich der geschwungenen Zierleiste auf der Motorhaube – sie gab es so nur Auburn-Wagen von 1926-1930, wenn ich es richtig sehe.

Ein derartig markantes Detail erlaubt dann sogar die eindeutige Ansprache eines ansonsten schwierigen Falls wie dieser leider unscharf wiedergegebenen Limousine:

Auburn, Modelljahr 1929/30; Originalfoto: Sammlung Jörg Pielmann

Auch wenn sich besagte Zierleiste hier nur schemenhaft abzeichnet, erlaubt sie zusammen mit den schrägstehenden Luftschlitzen in der Motorhaube, der opulenten Kühlerform und der optisch zweigeteilten Ausführung der Vorderkotflügel eine sichere Identifikation.

Auch dieser Auburn von 1929/30 besaß dieselbe markante einteilige Stoßstange, die an federnden Haltern angebracht war, wie sie auf den beiden zuvor gezeigten Fotos zu sehen ist. Zwar gab es in den 1920er Jahren ähnliche Teile aus dem Zubehör, doch diese Ausführung war meines Erachtens markenspezifisch.

Nun bilden Sie sich ein eigenes Urteil, wenn Sie den Tourer auf dem Foto des Salzburg Museums näher in Augenschein nehmen:

Auburn Modelljahr 1926/27; © Salzburg Museum (via Werner Friepesz)

Das Glück des Betrachters liegt hier zunächst ebenfalls in der Kurve, welche die Zierleiste auf der Motorhaube bildet. Das muss ein Auburn aus der zweiten Hälfte der 1920er Jahre sein!

Doch mag auch die Frontpartie mit Kühler und Stoßstange auf den ersten Blick mit den entsprechenden Details auf den Fotos von Klaas Dierks und Jörg Pielmann übereinstimmen, so ergeben sich auf den zweiten Blick wichtige Unterschiede.

Die Scheinwerfer sind eindeutig anders gestaltete Modelle, wie man sie Ende der 1920er Jahre nicht mehr findet.

Nun muss das nicht viel heißen, weil bei Importfahrzeugen die jeweils landesspezifischen Vorschriften bei der Beleuchtung zu beachten waren, weshalb die Importeure Scheinwerfer aus heimischer Produktion montierten.

Doch auch drei weitere Elemente sprechen für eine frühere Datierung.

Bei dem Wiener Fahrzeug fehlt die Mittelstrebe im Kühler – ein Hinweis auf eine Entstehung vor 1928, wie mir Leser und Auburn-Besitzer Jason Palmer (Australien) mitteilte.

Des weiteren sind die Vorderkotflügel hier noch nicht glattflächig ausgeführt, sondern lassen noch eingeprägte Sicken erkennen, wie sie Kennzeichen früherer Wagen waren. Sie dienten teils der Stabilisierung, teils hatten sie eine dekorative Funktion.

Nicht zuletzt haben wir wieder einmal Glück mit einer Kurve – diesmal in Form des geschwungenen Seitenteils des Scheibenrahmens an der Frontscheibe. Auch das findet sich Ende der 1920er Jahre kaum noch, insbesondere nicht bei Auburn.

Doch im Modelljahr 1926/27 trifft alles glücklich zusammen, so mein Fazit.

Bleibt die Frage, ob die Wiener Besitzer des Auburn aus dem Archiv des Salzburg-Museums bereits den über 80 PS starken Lycoming-Achtzylindermotor geordert hatten, welcher ab 1925 verfügbar war.

Denkbar ist auch, dass in diesem Wagen der schwächere Sechszylinder verbaut war. Ich vermute aber, dass man sich mit dem Auburn antriebsseitig etwas gegönnt hatte, was die österreichischen Premium-Hersteller damals noch nicht im Angebot hatten.

Denn reisetaugliche Sechszylinder boten damals ja auch Austro-Daimler und Steyr an. Für das ultimative Glück in der Kurve – vorzugsweise beim Anstieg auf einer sich bergauf windenden Paßstraße musste es dann schon ein hubraumstarker Achtzylinder sein.

Dieses Detail werden wir nicht mehr klären können. Aber mit dem Ergebnis dürfen wir auch so zufrieden sein und mein Dank gilt dem Salzburg-Museum, welches uns an diesem schönen Fund am Wegesrand hat teilhaben lassen.

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Wo geht’s hier zum Sommer? Austro-Daimler AD6-17

Der Juni 2023 gab einen Vorgeschmack auf einen großen Sommer – jedenfalls in deutschen Landen. Braungebrannt fuhr ich ins italienische Umbrien, wo die Einheimischen noch vornehme Blässe trugen – kühl und regnerisch war es dort wochenlang gewesen.

Wie schon immer spielt das Wetter dem Menschen solche Streiche – meist harmlose, bisweilen auch nicht ungefährliche. Wer aber nicht gerade an „German Angst“ leidet, lässt sich keine Panik einreden. Gibt es „Hitzewarnungen“, zieht es die meisten an den/die See…

Und punktgenau zur medial angefachten „Hitze-Epidemie“ zeigt uns der Sommer die kalte Schulter. Die geweissagten „Tropennächte“ kommen kaum aktuell über 12 Grad hinaus.

In meiner Heimatregion – der an sich von mildem Klima verwöhnten hessischen Wetterau – enttäuscht der Juli-Anfang tagsüber mit knapp über 20 Grad. Grund zur Panik? Nö, vielleicht gibt’s bloß mal wieder einen vermurksten Sommer…

Wer sich freilich für draußen etwas vorgenommen hat – etwa eine sommerliche Ausfahrt in die Berge unter sengender Sonne mit Fahrtwind wie aus dem Fön, um dem am Schreibtisch ruinierten Teint wieder auf die Sprünge zu helfen, sieht derzeit ziemlich angeschmiert aus:

Austro-Daimler AD6-17; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Immerhin scheint auf dieser Prachtaufnahme aus der Sammlung von Leser Matthias Schmidt die Sonne und die Landschaft bietet sich in ihrer ganzen Schönheit dar.

Besser als in der großen Stadt ist es hier draußen allemal„, denkt sich der Fahrer aus dem bayrischen Fürth vielleicht.

Doch wo genau geht es zum Sommer?“, das scheint im durch den Kopf zu gehen, während er sinnierend im wärmenden Wollpullover neben seinem mächtigen Wagen steht.

Irgendetwas muss hier temperaturtechnisch schiefgelaufen sein, doch unser Mitleid hält sich angesichts dieses automobilen Prachtstücks aus dem Hause Austro-Daimler in Grenzen. Für mich eines der beeindruckendsten Fotos des Typs AD6-17, das mir bisher begegnet ist.

Anno 1921, als dieses Modell eingeführt wurde, war das eines der besten Autos, die man von einem Hersteller im deutschsprachigen Raum kaufen konnte: Ein moderner 6-Zylinder mit Ventilsteuerung über oben im Zylinderkopf liegende Nockenwelle, reichlich Drehmoment aus 4,4 Liter Hubraum und satte 60 PS Spitzenleistung.

Das war das Rezept für einen Reisewagen, mit dem sich mühelos die Alpen überqueren ließen. Auch die 140 Liter Inhalt des Benzintanks machten den Austro-Daimler zum idealen Gefährt(en) aus den Niederungen des Alltags hoch auf die Pässe und hinab ins gelobte Land südlich der Alpen.

Was konnte dabei schon schiefgehen, zumal man zu den rund 1.000 Privilegierten gehörte, die sich einen dieser bis 1923 gebauten Traumwagen leisten konnten? Nun, auch mit dem dicksten Portemonnaie und den besten Verbindungen lässt sich das Wetter nicht kaufen.

Der Mensch bleibt doch immer Unwägbarkeiten ausgesetzt, und das ist gut so, sonst schnappt er am Ende völlig über, hält sich gar für die Krone der Schöpfung.

Wo geht’s hier zum Sommer? Das konnte dem Automobilisten damals wie heute keine Karte und kein Wetterfrosch mit absoluter Gewissheit verraten. Nehmen wir das doch einfach an, und überbewerten wir unsere unvollkommenen Maßstäbe nicht.

Freuen wir uns an dem, was uns Natur, Zufall und auch eigenes Bemühen an Schönem bescheren, doch nehmen wir Enttäuschungen und Missgeschicke wie vor 100 Jahren: Mit Demut und Dankbarkeit für das Wunder des Daseins.

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Das ist ein altes Stück! Citroen C4 oder C6 Limousine?

Kann ein Klassiker unterhaltsam sein? Oder muss das Schöne, Wahre, Gute stets mit gemessenem Schritt und großem Ernst daherkommen?

Mir fallen dazu zwei Beispiele ein – das eine aus Deutschland, das andere aus Frankreich. Beispiel Nr. 1 ist Heinrich Heine, dessen Werk von einem feinen Humor durchzogen ist wie wohl bei keinem seiner Zeitgenossen aus deutschen Landen.

Hier mein Lieblingsbeispiel – eine perfekte Parodie auf romantische Dichterseligkeit:

Das Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang,
Es rührte sie so sehre
Der Sonnenuntergang.

Mein Fräulein! sein Sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurück.

Bei diesem alten Stück von Heine mit schön verstolpertem Versmaß am Ende triumphiert gesunder Pragmatismus über die in Deutschland oft übermächtige Gefühlsseligkeit.

Entstanden ist dieses Gedicht im Jahr 1832, im Todesjahr von Goethe und genau 100 Jahre bevor ein anderes altes Stück für die Nachwelt festgehalten wurde.

Und das ist mein Beispiel Nr. 2 für einen unterhaltsamen Klassiker, diesmal aus Frankreich:

Citroen C4 oder C6 Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Diese klassische Limousine im Stil der späten 1920er Jahre wurde 1932 am Laacher See aufgenommen – damals gab es offenbar ein harmonisches Miteinander deutscher und französischer Tradition.

Denn auch wenn der Wagen auf den ersten Blick wenig Individualität an den Tag legt, verraten der geschwungene hintere Abschluss der Motorhaube und die ganz leicht geneigten Luftschlitze in derselben, dass wir es mit einem Citroen zu tun haben, wie er damals mit vier bzw. sechs Zylindern verfügbar war.

Die beiden Modelle C4 und C6 auseinanderzuhalten, auch das ist ein altes Stück, wie langjährige Leser meines Blogs wissen. Ich überlasse das Urteil den Sachkundigeren unter Ihnen und freue mich über Hinweise in der Richtung.

Mir gefällt vor allem die lässige Inszenierung auf diesem Dokument, die bei Autofotos aus Deutschland nach meiner Erfahrung eher die Ausnahme darstellt.

Diese Leute posierten mit ihrem Citroen vor über 90 Jahren ganz entspannt und heiter – bis auf den Herrn ganz vorn, der wirkt, als ob ihn die Blase drückt.

Verzeihen Sie den kleinen Scherz unterhalb der Gürtellinie – doch auch bei den lebensfrohsten unserer deutschen Klassiker, Heine und Goethe, finden sich dergleichen Anspielungen auf Menschliches und Allzumenschliches zuhauf.

Bloß in der Schule hat man uns manches unterhaltsame alte Stück vorenthalten – doch hier im Blog holen wir das eine oder andere davon nach…

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Kirschenklau geklärt nach 99 Jahren: Ein Benz 8/20 PS

Haben Sie auch den grandiosen Pfingstsonntag genossen?

Oder haben Sie sich schlecht gefühlt, weil das Wetter nach einem kühlen und regenreichen Frühjahr endlich einmal wieder richtig schön ist und das ja nur am von Ihnen persönlich verursachten Klimawandel liegen kann?

Wer sich in der Rolle des Sünders gefällt, muss längst kein Mitglied der christlichen Kirche mehr sein – es genügt neuerdings völlig, ein Automobil mit Verbrennungsmotor zu fahren.

Zwei Formen des Ablasses gibt es in dem Fall: Entweder Sie kaufen sich ein Elektroauto, dessen Auspuff sich an dem Kohle- oder Gaskraftwerk befindet, das dann präzise den zusätzlichen Strom liefert, den Sie zum Laden anfordern – dann belügen Sie sich halt selbst.

Oder Sie bekennen sich schuldig und fahren weiter, verzichten aber zum Ausgleich dafür an anderer Stelle auf sündhaftes Tun. Wie sich das bewerkstelligen lässt, das erfahren Sie heute wie gewohnt kostenlos in meinem Blog, dem nichts Menschliches fremd ist.

Nebenbei werden Sie Zeuge der Aufklärung eines Diebstahldelikts, welches sich an Pfingsten vor 99 Jahren zutrug. Ob die Welt dadurch vollkommener wird, bezweifle ich zwar, aber eine Genugtuung ist es doch, nach so langer Zeit Spitzbuben beiderlei Geschlechts auf die Schliche gekommen zu sein.

Diese hatten sich 1924 als harmlose Automobilisten getarnt und einen in der ersten Hälfte der 1920er Jahre ziemlich unauffälligen Wagen beschafft – einen Benz 8/20 PS.

Das war das Einstiegsmodell der Traditionsmarke, welches an den 1912 eingeführten Typ 8/20 PS anknüpfte. Hier haben wir ein Foto dieses Modells, das – wie es der Zufall will – an Pfingsten 1914 aufgenommen wurde:

Benz 8/20 PS Tourenwagen (1912-14); Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Nach dem 1. Weltkrieg erhielt der Benz 8/20 PS eine modernisierte Karosserie – zu erkennen am modischen Spitzkühler, flachem Windlauf und elektrischen Scheinwerfern.

Technisch tat sich an dem Wagen hingegen fast 10 Jahre nichts – ungewöhnlich für eine Zeit, in der etwa alle fünf Jahre größere Fortschritte zu verzeichnen waren. Aber Benz war nur selten durch Innovation aufgefallen – vom legendären Erstling anno 1885 abgesehen.

So kam es, dass der an Pfingsten 1924 eingesetzte Benz 8/20 PS äußerlich anders daherkam, aber unter der Haube dieselbe brave Technik eines 2 Liter-Vierzlinders mit seitlich stehenden Ventilen bot wie sein Vorgänger zehn Jahre zuvor.

Einen entscheidenden Vorteil hatte er indes, nämlich einen im Unterschied zum Tourer festen Aufbau. Doch auch ohne diesen wären diese Diebe einst ans Ziel gelangt:

Benz 8/20 PS Tourenwagen (1919-21); Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Da haben wir sie also erwischt – die frechen Kirschendiebe im Gewand solider Bürgerlichkeit!

Nun mögen Sie fragen, wie das zusammengeht – Pfingsten und Kirschenklau. Ich war selbst ein wenig erstaunt, doch je nach dem, wie Pfingsten (bzw. Ostern) fällt und in welcher Region wir uns bewegen, kann es dann durchaus schon bestimmte Kirschensorten geben.

Zum anderen steht es genau so auf der Rückseite des Abzugs – die Täter haben also anno 1924 leichtfertig Spuren hinterlassen (bloß die Reisepässe hatten Sie nicht verloren, sodass wir über ihre Identität nur spekulieren können).

Unzureichende Evidenz hält einen soliden Kommentator unserer Tage freilich nicht davon ab, sein Weltbild auf diese Situation zu projizieren.

Demnach muss der Herr mit der hellen Hose auf der rechten Seite ein berüchtigter Lebemann gewesen sein – nennen wir ihn Graf Rotz von der Backe – ein mit allen Wassern gewaschener Weltkriegsoffizier, der nur darauf wartete, vorbeikommendem Landvolk eins mit der Reitgerte überzuziehen.

Links neben dem Wagen steht seine Tochter Heidegard von Hochmuth Schmiere. Sie kleidet sich modern, weiß aber, dass man als Frau immer noch am besten durchkommt, wenn man den Herren das Gefühl lässt, die Hosen anzuhaben.

Ihr ist jedes Mittel recht, um an bestes Material für ihre legendären Kuchen zu gelangen, mit denen sie bislang jeden Verehrer beeindruckt hat. Freilich macht sie sich bei der Rohstoffbeschaffung die Finger nicht persönlich schmutzig, das überlässt sie bewährtem Personal.

Selbiges müht sich derweil nach Kräften auf dem Benz ab, um an den begehrten „Stoff“ zu gelangen, damit die Herr- und Frauschaften zufrieden sind.

Nun macht schon, oder soll ich Euch Beine machen?“, schnarrt der Graf, während ihm Tochter Heidegard sekundiert: „Wenn Ihr nicht bald fertig seid, könnt Ihr seh’n, wie ihr heimkommt!„.

Das letzte Argument ist das überzeugendere und so ist der Kirschenklau rasch erfolgreich abgeschlossen und niemand wurde Zeuge dieser Tat – außer dem Fotografen, welcher diese Aufnahme für die Nachwelt festhielt.

Nach 99 Jahren darf man alles als verjährt und alle Rechte als abgelaufen betrachten – so kann ich heute endlich zur Aufklärung dieses Tat an Pfingsten 1924 beitragen.

Bleibt nur noch die Frage, was der moderne Sünder mit Benziner in der Garage – oder öfter: auf der Straße – tun kann, um sich von seinem Status als Klimafrevler freizukaufen. Ganz einfach: Man verzichte darauf, Kirschen zu klauen.

Sammeln Sie Quittungen vom Kirschenbauern ihrer Wahl und weisen Sie diese bei Bedarf vor: „So oft habe ich nachweislich auf die Fahrt in den Kirschenberg verzichtet, wo ich sonst geklaut und dabei sinnlos Benzin verbrannt hätte„.

Sie werden sehen, schon erhalten Sie wieder einen Bezugsschein für Super- oder Dieselkraftstoff – ist doch alles halb so schlimm in der schönen neuen Welt, nicht wahr?

Alles nur Spaß – bisher. Genießen Sie das Prachtwetter zu Pfingsten und drehen Sie ruhig eine Runde mit dem Auto – es könnte jederzeit die letzte sein wie anno 1914:

Benz 8/20 PS Tourenwagen (1912-14); Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Vor 100 Jahren: Studebaker „Big Six“ aus Schlesien

Heute unternehmen wir eine kleine Zeitreise zurück ins Jahr 1923 anhand eines Fotos, bei dem man sich wie so oft fragen kann: Was verbindet mich eigentlich damit?

Nun, neben der schwer erklärlichen Anziehungskraft von Vorkriegsautomobilen ein klein wenig auch das eigene Herkommen.

Während ich an meinem Blog schreibe bzw. während der vorbereitenden Arbeiten hängt zu meiner Rechten an der Wand eine großformatige Karte Schlesiens aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, gestochen von Matthias Seutter in Augsburg.

Meine 1931 in Liegnitz geborene Mutter hat sie mir zusammen mit der Leidenschaft für Antiquitäten aller Art vermacht.

Sie musste Anfang 1945 die Heimat mit einem Koffer verlassen, um nie wieder in die großbürgerliche Welt der Baumgartstraße zurückzukehren:

Liegnitz, Baumgartstraße (heute: Skarbka Fryderyka); Ansichtskarte der 1920er Jahre

Die über viele Jahre erworbenen Kupfer- und Stahlstiche aus Schlesien waren ein Versuch, ein klein wenig vom Verlorenen zu bewahren. Sie umgeben mich heute und erinnern mich täglich an einen untergegangenen Teil Deutschlands.

Für mich ist keine Wehmut damit mehr verbunden, aber zu meinem Interesse an der Welt von gestern haben diese Dinge sicher beigetragen.

So registriere ich es jedesmal mit besonderem Wohlwollen, wenn mir auf einem historischen Autofoto das Nummernschild-Kürzel „IK“ begegnet – denn dieses stand einst für Schlesien.

Dann schlage ich nicht nur nach, wo der Wagen genau zugelassen war, sondern ich schaue auch, ob ich den Ort auf meiner Schlesienkarte wiederfinden kann.

Und tatsächlich: an der Grenze der Markgrafschaft Oberlausitz (Marchionatus Lusatiae Superioris) und des Fürstentums Liegnitz (Ducatus Lignicensis) findet sich die Stadt Luban (sonst meist: Lauban) – etwa auf einer Linie zwischen Dresden und Liegnitz (heute: Legnica).

Im gleichnamigen Landkreis Lauban war dieser großzügige Wagen zugelassen:

Studebaker „Big Six“ von 1923/24: Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dass es sich bei dieser 6-Fenster-Limousine um ein amerikanisches Fabrikat handeln dürfte, darauf brachte mich die Gestaltung der Vorderstoßstange.

Solche Teile finden sich in den frühen 1920er Jahren zuerst an US-Fabrikaten, dann als Zubehörteil auch an Wagen deutscher Hersteller. Die Tatsache, dass sich das Kühleremblem hier auf der Stoßstange zu wiederholen scheint, spricht jedoch gegen ein Nachrüstteil.

Anhand der Kühlergestaltung konnte ich den Wagen rasch als Studebaker identifizieren. Die genaue Typansprache erforderte dann ein Studium der in solchen Fällen unverzichtbaren US-Autobibel „Standard Catalog of American Cars“ von Kimes/Clark.

Auf Seite 1419 fand ich dort die notwendigen Angaben zu dem konkreten Modell. Demnach sind die Scheibenräder eine Besonderheit des Studebaker „Big Six“ ab 1923.

Das war das damalige Spitzenmodell der Marke mit einem 5,8 Liter großen Sechszylinder (seitengesteuert), der 65 PS bei 2000 Umdrehungen leistete. Das Modell blieb bis 1924 im Programm, die Kühlerform spricht aber für das Jahr 1923.

Man fragt sich schon, wie ein US-Wagen dieser Größenordnung einst ins beschauliche Lauban kam. Der große Boom der amerikanischen Importwagen sollte ja erst in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre stattfinden.

Nun, irgendeine uns nicht bekannte Geschichte wird dazu geführt haben, dass dieser Studebaker „Big Six“ vor dem Gasthaus „Kaiser Joseph“ von Alfred Kittelmann haltmachte:

Studebaker „Big Six“ von 1923/24: Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Begebenheit hinter dieser Aufnahme verliert sich im Dunkel der Zeiten, doch vielleicht lässt sich wenigstens noch etwas über die Örtlichkeit in Erfahrung bringen.

Könnte diese Aufnahme vielleicht bei einer Urlaubsreise nach Österreich oder ins benachbarte Böhmen entstanden sein?

Im letzteren Fall besteht eine kleine Chance, dass sich der Ort ebenfalls auf meiner Schlesienkarte wiederfindet, denn dort ist zumindest ein „Bohemiae Pars“ abgebildet…

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Von München an die Riviera: 1929er Buick

Hand auf’s Herz: Was verbinden Sie mit der US-Marke Buick? Denken Sie dabei eher an solide Massenware aus dem General Motors-Konzern oder an die feine Gesellschaft in München und an der Riviera?

Nun, alles eine Frage der Perspektive. In den Staaten stand Buick für unspektakuläre Mittelklasse, doch am europäischen Markt genoss die Marke erhebliches Prestige.

Den Beweis dafür werde ich heute antreten – auf einer abwechslungsreichen Reise, die uns von München irgendwo an die Riviera – so vermute ich – führt. Am Ende werden Sie jedenfalls überzeugt davon sein, dass ein Buick ein geradezu luxuriöses Gefährt war!

Nebenbei vermittle ich ein wenig vom Handwerk des Identifizierens von Vorkriegswagen der 1920er Jahre. Und das wie immer in meinem Blog gratis, aber (hoffentlich) nicht umsonst.

Zum Einstieg habe ich ein Foto gewählt, das zwar achtbare Qualitäten aufweist, es einem aber nicht leicht macht, was das abgebildete Fahrzeug mit Münchener Zulassung angeht:

Buick Limousine, Modelljahr 1929; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ein stimmungsvolles Foto zweifellos und wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich mir jetzt etwas zu dem Fahrer ausdenken, der es sich auf dem Kühler bequem gemacht hat.

Der Mann macht einen sympathischen Eindruck, und ich nehme es ihm keineswegs übel, dass er mit seiner Pose einiges von dem verbirgt, was einem die Ansprache des Wagens leicht machen würde.

Denn es ist noch genug zu sehen, um zu wissen, dass wir ein US-Fabrikat vor uns haben. Dieser Stil mit Zierleiste am hinteren Ende der Motorhaube, an welcher die seitlichen Parkleuchten angebracht sind, ist unverkennbar amerikanisch.

Zwar wurde das auch von europäischen Herstellern kopiert, am fleißigsten von der ruhmreichen deutschen Autoindustrie (sogar von Horch), aber mit etwas Erfahrung lassen sich Original und Kopie immer auseinanderhalten.

Typisch für ein amerikanisches Modell ist beispielsweise die Verzierung am vorderen Ende der Kotflügel. Solches „unnötige“ Dekor galt hierzulande als verpönt, der Funktionalismus hatte in deutschen Köpfen bereits einige Dachschäden angerichtet.

Eine weitere gestalterische Freiheit hatte man sich am Blech unterhalb des Kühlers in Form einer mittig angebrachten „Bügelfalte“ erlaubt. Spätestens hier fällt beim versierten Vorkriegsautofreund der Groschen: Das muss ein 1929er Buick sein!

Denn nur dort fand sich genau dieses Detail, hier am Beispiel eines in Magdeburg zugelassenen Exemplars:

Buick Limousine, Modelljahr 1929; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ich mag dieses Foto besonders, denn hier wird die enge Beziehung zwischen Mensch und Maschine deutlich, welche sich bei modernen Fahrzeugen nur noch schwer ergibt.

Der Freiheitsgarant Automobil war und ist eine Errungenschaft, welche größte Wertschätzung verdient – das kann ich gar nicht oft genug betonen.

Wenn ich nach 12 Stunden Fahrt abends in „meinem“ italienischen Bergdorf ankomme und die Luft einer anderen, seit Jahrhunderten kaum veränderten Welt atme, verdanke ich das ausschließlich meinem komfortablen und zuverlässigen Auto.

So ging das einst auch unseren Vorfahren, vorausgesetzt sie konnten sich den damals noch kolossal kostspieligen Spaß leisten. Damit wären wir zurück bei der Münchener Gesellschaft, mit der wir begonnen hatten.

Diese war uns schon einmal im Zusammenhang mit dem 1929er Buick begegnet:

Buick Limousine, Modelljahr 1929; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Von München aus ist es nach dem Tankstopp kein allzu weiter Weg mehr bis Garmisch-Partenkirchen, wo uns der 1929er Buick ein weiteres Mal begegnet.

Diesmal haben wir es allerdings mit einer Cabriolet-Ausführung zu tun, welche wahrscheinlich bei einem deutschen Karosseriebauer entstanden war.

So etwas war hierzulande durchaus üblich. Denn selbst ein Buick war gemessen an den Einkommensverhältnissen in Deutschland bereits so teuer, dass die in Frage kommenden Käufer auch das Kleingeld für eine individuell in Handarbeit gefertigte Karosserie hatten.

Das Ergebnis sah dann aus der Ferne scheinbar beliebig aus wie hier:

Buick Cabriolet, Modelljahr 1929; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Leider wird der Eindruck durch das nachlässig zusammengelegte Verdeck buchstäblich heruntergezogen – die angebliche deutsche Ordnung wurde schon immer überschätzt. Dennoch lohnt sich ein genauerer Blick auf den Wagen.

Denn beim näheren Hinsehen offenbart sich ein Detail, welches uns verrät, dass wir es auch hier mit einem 1929er Buick zu tun haben. Sonst wäre dieses Auto schwer zu identifizieren.

Also treten wir näher heran – es ist ja nicht viel los auf den Straßen in Garmisch und der Fahrer schaut in die andere Richtung.

Vielleicht musste ja einer der Insassen einen unfreiwilligen Zwischenaufenthalt beim Zahnarzt Dr. P.C. Heinz einlegen, welcher seine Praxis im Gebäude der Apotheke hatte:

Wie soll man hier erkennen, dass dieser Wagen ein Buick – und dann noch einer von 1929 – gewesen sein soll?

Nun, dazu müssen wir noch einmal nach München zurück – ich weiß, es ist lästig, schließlich wollen wir an die Riviera, doch es geht nicht anders.

Immerhin müssen wir nicht in die Innenstadt, sondern kehren an den Ort im Voralpenland zurück, an dem einst das erste Foto mit dem im München zugelassenen 1929er Buick entstanden war.

Den schauen wir uns noch einmal genauer an:

Bitte prägen Sie sich das Muster auf der Nabenkappe des Vorderrads ein – ein wenig wie ein Fadenkreuz scheint es auszusehen.

Dieses Detail wird uns heute noch zweimal begegnen auf dem Weg an die Riviera.

Das erste Mal in Garmisch, wo wir erneut das 1929er Buick-Cabrio in Augenschein nehmen. Wir haben zum Glück ausreichend Zeit dazu.

Zwar sitzt der Fahrer wie auf heißen Kohlen, denn es steht ja noch die Überquerung der Alpen an. Doch die Zahnarztsitzung will kein Ende nehmen und so haben wir abermals Gelegenheit, uns heranzuschleichen:

Wieder nehmen wir die Nabenkappe am Vorderrad ins Visier – tatsächlich ist dort eine Art Fadenkreuz zu sehen, wobei unklar erscheint, was sich in der Mitte befindet.

Doch für unsere Zwecke genügt diese Beobachtung vollauf. Denn dieses Detail findet sich genau so nach meinem Eindruck nur am 1929er Buick.

Ausgestattet mit dieser Arbeitshypothese machen wir uns nun auf den weiteren Weg gen Süden. Die Herrschaften sind vom Zahnarzt zurück und es kann weitergehen.

Wohin sie damals wirklich unterwegs waren mit ihrem Buick-Cabriolet, das wissen wir nicht. Ihre Spuren verlieren sich mit diesem Dokument im Nebel der Geschichte.

Doch wir lassen uns nicht verdrießen und machen uns auf eigene Faust über die Alpen. Wo genau wir dabei landen, ob wirklich an der Riviera oder vielleicht eher an einem der oberitalienischen Seen, das vermag ich nicht zu sagen.

Jedenfalls landen wir nach vielen Stunden Fahrt über kaum befestigte Paßstraßen im sonnigen Süden. Wir kommen im „Hotel de Paris“ unter – weiß jemand, wo es sich befindet?

Wir wechseln unterdessen die Kleidung, denn die Reisemäntel haben unterwegs ordentlich Staub geschluckt. Erfrischt und nunmehr im feinen Dress mischen wir uns unter die Gesellschaft. Was begegnet uns da unverhofft?

Nun, das muss wieder ein 1929er Buick sein, diesmal als Reiselimousine, welche den einstmals vorhandenen Komfort eines Eisenbahnabteils mit der bis heute unübertroffenen Autonomie einer Benzinkutsche verbindet:

Buick Limousine, Modelljahr 1929; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Muss ich hier eigens auf die Gestaltung der Nabenkappe hinweisen? Nein, diese grandiose Aufnahme muss als Ganzes genossen sein.

Na, was denken Sie jetzt über die Marke Buick? Wäre so eine repräsentative Sechsfenster-Limousine nicht etwas, was man gern auf einem der sogenannten Oldtimertreffen hierzulande einmal sehen würde?

Leider herrscht diesbezüglich meist Fehlanzeige, obwohl speziell das Modelljahr 1929 in Sachen Buick einst reich vertreten war im alten Europa.

Und dann noch dieser Stil der einstigen Besitzer – leider ist auch der Vergangenheit:

Der Hotelbedienstete links konnte damals nur von der sagenhaften Mobilität träumen, welche die feinen Herrschaften genossen – jedenfalls in Europa war das so.

In den Staaten dagegen konnte sich damals jeder ein Automobil leisten und hinter diesen sozialen Standard kann niemand, der bei Sinnen ist, zurückfallen wollen.

Dies ist eine Botschaft, welche sich aus meiner Sicht immer wieder aus dem Studium solcher Dokumente ergibt. Auf eigene Faust andere Länder und Lebensweisen zu „erfahren“, das bildet und bereichert nicht nur, es immunisiert auch gegen den Irrglauben, daheim bereits in der besten aller Welten zu leben.

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Auf dem Weg ins Kloster: Ein Dürkopp von 1913

Der Gang ins Kloster war und ist für viele eine Entscheidung für’s Leben, eine ernstgemeinte Flucht aus der banalen Alltagswirklichkeit ohne Wiederkehr.

Man braucht kein gläubiger Christ zu sein, um dies zu respektieren. Denn der in einem geistlichen Orden zu findende Seelenfrieden wird durch Verzicht auf das meiste erkauft, was uns das Leben versüßt.

Mein Paderborner Großonkel Ferdinand war ein dem Leben zugewandter, heiterer und großzügiger Mensch. Was ich als Jugendlicher nicht verstand, war seine Leidenschaft für das fromme Leben der Franziskaner und Klarissen. Öfters in den 1960er und 70er Jahren war er ins umbrische Assisi gepilgert, wo beide Orden ihren Ursprung hatten, das wusste ich.

Heute reise ich selbst mehrere Male pro Jahr nach Umbrien, das grüne Herz Italiens, das mir ans Herz gewachsen und zur zweiten Heimat geworden ist. Ein Besuch in Assisi gehört jedesmal dazu und selbst wenn man sie x-mal gesehen hat, sind die Stätten des Wirkens des Heiligen Franz ergreifend, auch wenn man der Amtskirche längst den Rücken gekehrt hat.

Basilica di San Franceso, Assisi (Umbrien), November 2022

Vermutlich ist ein altes Kloster für die meisten mehr als ein bloßer Ausflugsort, auch wenn sie vielleicht „nur“ wegen eines Konzerts oder zur erbaulichen Gestaltung des Wochenendes dorthin fahren.

Man spürt dort etwas vom Sehnen des Menschen nach etwas, das über ihn selbst und seinen Alltag hinausgeht – so unbestimmt es auch sein mag.

Auch unser heutiger Fotoausflug zu einem alten Kloster erschöpft sich nicht in der Bewunderung der meisterhaften und dauerhaften Architektur, der Schönheit der Formen, der oft rätselhaften Bildwelt, der friedvollen Atmosphäre.

Vielmehr offenbart sich uns vor erhabener Kulisse etwas, das zwar nur eitles Menschenwerk ist, aber dennoch auf himmlische Weise geeignet ist, manchen in Verzückung zu versetzen:

Dürkopp von 1913; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Auch der abgeklärteste Kenner von Altautofotos wird hier innerlich niederknien – denn viel perfekter lässt sich so eine Idylle nicht inszenieren.

An einer Kehre vor der Kulisse einer mächtigen Klosteranlage steht mittig platziert und aus idealem Winkel aufgenommen ein Tourenwagen aus der Zeit kurz vor dem 1. Weltkrieg.

Dem Fotografen ist nicht nur der Bildaufbau vollkommen gelungen. Eine glückliche Fügung – oder war es himmlischer Segen? – hat ihm auch noch eine Gruppe Kinder beschert, die am linken Bildrand in vorbildlich frommer Pose ausharren.

Ein Maler hätte sich das nicht besser ausdenken können, bloß dass er statt eines Automobils die Kutsche feiner Herrschaften auf die Leinwand gebannt hätte.

Genug des Schwärmens – im Orden der Vorkriegsauto-Anbeter wird auch strikte Einhaltung der Regel verlangt, wonach ein solches Fahrzeug möglichst genau zu identifizieren ist.

Zum Glück müssen wir dazu nicht lange in alten Folianten wälzen, denn uns ist diese Erscheinung auf vier Rädern wohlvertraut. Vor knapp einem Jahr haben wir uns auf deren Spuren hier schon einmal auf automobile Wallfahrt begeben.

So können wir routiniert herunterbeten, dass dieser Wagen ein Dürkopp sein muss – die Gestaltung des Kühler lässt keinen Zweifel, auch wenn die Herstellerplakette nicht erkennbar ist oder fehlt:

Allerdings bemerken wir kleine Unterschiede zu dem Fahrzeug, das wir einst als Dürkopp um 1912 identifiziert haben. Dazu zählen vor allem die seitlich angebrachten elektrischen Standlichter und die nun stärker abgerundeten Vorderkotflügel.

Rahmen und Vorderachse scheinen dagegen – soweit erkennbar – identisch zu sein. Vermutlich haben wir es daher mit einer äußerlich nur leicht modernisierten Version des Dürkopp zu tun, den wir seinerzeit als Typ NG 10/30 PS angesprochen hatten.

Man ist geneigt, diese Ausführung auf 1913 zu datieren, da ab 1914 eine neue Kühlerform bei Dürkopp Einzug hielt.

Wie im Fall höherer Wesen, die uns beobachten und lenken oder uns vielleicht auch einfach ignorieren, lässt sich nichts davon beweisen. Letztlich bleibt die Ansprache solcher Erscheinungen aus längst vergangenen Zeiten stets auch ein wenig Glaubenssache.

Merkwürdigerweise hat es etwas Kontemplatives, wenn man sich in das Studium dieser historischen Gefährte versenkt. Vermutlich ist es die Mischung aus Geheimnisvollem und dem Alltag Entrückten, welche diese Form der Ikonenanbetung so erbaulich macht.

Bleibt am Ende die weltliche Frage, vor welchem Kloster dieser Dürkopp denn einst auf so erfreuliche Weise für die Nachwelt festgehalten wurde. Der Wagen scheint im Raum Düsseldorf zugelassen gewesen zu sein.

Doch im Rheinland konnte ich kein Kloster ausfindig machen, dessen Kirche genau so aussieht. Kloster Marienstatt kommt dem zwar sehr nahe, aber mehr auch nicht.

Also: Wer hat eine Eingebung oder – noch besser – gefestigtes Wissen, was den Ort dieser Aufnahme angeht? Vielleicht können wir dem einen oder anderen Pilger dann den brennend heißen Wunsch nach Erkenntnis zumindest in dieser Hinsicht erfüllen…

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Damit lässt sich auf Reisen geh’n: Opel 10/40 PS

Erst kürzlich hatte ich hier den inzwischen 100-jährigen Lancia Lambda zum idealen Reiseauto erkoren, wie immer etwas augenzwinkernd.

An diesem Urteil hat sich dem Grundsatz nach nichts geändert. Voraussetzung war und ist bloß, dass man sich dieses technische und ästhetische Kabinettstück auch leisten kann.

Wie sähe es nun aus, wenn das Budget vor 100 Jahren „nur“ für einen Opel gereicht hätte? Gab es da etwas von ähnlich außergewöhnlichem Rang? Sagen wir: in technischer Hinsicht nicht, so innovativ wie der Lancia ist kein Opel je gewesen.

Immerhin gab es damals diesen optisch ansprechenden Tourenwagen aus Rüsselsheimer Produktion, der dank sehr niedrig gehaltener Karosserie von Kellner (Berlin) zumindest eine Annäherung an die knackige italienische Gestaltung darstellte:

Jedenfalls vermitteln die filigranen Drahtspeichenräder und die lässig montierten Skier eine Sportlichkeit, die den damaligen Opel-Serienwagen ansonsten völlig abging.

Nun haben wir es zwar eilig, endlich wieder auf Reisen zu gehen und dem Frühling entgegenzufahren, aber unterwegs haben wir doch Zeit und so stellen wir uns eher eine entspannte Tour gen Süden vor.

Neben viel Platz legen wir Wert auf ausreichend Leistung, denn dem Reiseglück stehen wie im richtigen Leben bisweilen Berge im Wege. Also lassen wir unseren zwar schicken, aber etwas schwachbrüstigen Zweisitzer daheim – das wäre dieser Opel 4/20 PS:

Opel 4/20 PS; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Weil wir nicht zu zweit bzw. zu dritt unterwegs sind, sondern noch Freunde mitnehmen wollen, führt kein Weg an einem erwachsenen Fahrzeug vorbei.

Nun sind wir ohnehin gerade auf der Suche nach einem solchen. Da für uns nur ein Opel in Frage kommt, sehen wir uns um, was man gebraucht auf dem Sektor bekommen kann.

Wir geben eine Anzeige in der einschlägigen Zeitschrift „Motor“ auf, beschreiben unseren Bedarf und bitten um Angebote mit Bild. Nach einiger Zeit trudeln die ersten Schreiben ein – wir warten noch ein paar Tage und sichten dann das Angebot.

Schnell wird dabei deutlich, dass für uns als Besitzer eines Opel 4/20 PS nur ein Modell in Betracht kommt: der zwar deutlich durstigere, aber dafür auch doppelt so gut motorisierte Opel 10/40 PS. Der wurde 1925 quasi als großer Bruder des 4 PS-Typs eingeführt und folgt dessen bewährten Konstruktionsprinzipien.

Wir ordnen die zugesandten Fotos und verschaffen uns einen Überblick.

Den Anfang macht dieser Opel 10/40 PS Tourer, der uns hier vom Filius der Besitzer präsentiert wird – eine ansehnliche Tochter war wohl nicht verfügbar:

Opel 10/40 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Geradezu verstörend neu wirkt der Wagen hier. Warum ihn die Eigner wohl wieder loswerden wollen?

Am Ende zeigt das Foto gar nicht den wahren Zustand des Autos, der mit gut 10.000 Kilometern Laufleistung als gut eingefahren angepriesen wird.

Wir bleiben skeptisch und wenden uns der nächsten Aufnahme zu, die einen ganz ähnlichen Wagen zeigt, nur ohne die auffallenden Parkleuchten:

Opel 10/40 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Nicht ganz so perfekt gewienert, doch gut gepflegt wirkt dieses Fahrzeug. Interessanterweise wird es mit weniger Kilometern angeboten. Sollte dies das ehrlichere Auto sein?

Wie dem auch sei, der Funke will noch nicht so recht überspringen, irgendwie erscheint uns der Opel 10/40 PS in dieser Ausführung ein wenig uninspiriert.

Schon besser gefällt uns das folgende Exemplar mit großen vernickelten Radkappen – ein Extra, das dem Auto ein wenig Glamour verleiht.

Für eine gewisse Extravaganz sorgt auch auch der riesige Fahrtrichtungsanzeiger oberhalb des Suchscheinwerfers am Rahmen der Windschutzscheibe:

Opel 10/40 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt

Nicht schlecht – so gefällt er uns schon besser der ansonsten arg brav wirkende Opel. Aber bisher ist er auch das teuerste Angebot und wer weiß, wie er in Wirklichkeit aussieht?

Ohnehin sind wir uns noch nicht sicher, ob wir wirklich die Tourenwagenausführung nehmen sollen. Denn bei schlechtem Wetter bietet das ungefütterte Verdeck mit den nicht immer perfekt abdichtenden seitlichen Steckscheiben nur den nötigsten Schutz.

Wenn es einmal richtiges Sauwetter gibt, will man doch gerade auf Reisen behaglich unterwegs sein. Daher schauen wir uns als nächstes Angebot eine Limousinenversion an:

Opel 10/40 PS Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Er macht schon einiges mehr her mit geschlossenem Aufbau und sechs Seitenfenstern – der Opel 10/40 PS, nicht wahr?

Glänzende Radkappen und den modernen Fahrtrichtungsanzeiger gäbe es auch hier, nur die hohe Laufleistung schreckt uns ab: 25.000 km sind eine Menge Zeug und das Foto verrät nur wenig über den wahren Zustand der Karosserie.

Wie eine solche Limousine in „ehrlichem“ Gebrauchzustand aussieht, das ist dann am nächsten Kandidaten zu besichtigen:

Opel 10/40 PS Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieser in Pommern zugelassene Wagen hat erkennbar schon endlose Kilometer an schlechten Straßen gesehen. Zwar ist der Preis günstig, aber man darf davon ausgehen, dass erst einmal etliche verschlissene Lager und Buchsen am Fahrwerk erneuert müssen.

Und ganz ehrlich: Aus dieser Perspektive sieht er noch langweiliger aus, der brave Opel. Ist denn den Rüsselsheimern wirklich nichts Besseres eingefallen, als dieser plump-funktionalistische Kühler?

Erst einmal nicht, aber nach zwei Jahren Bauzeit erbarmte man sich dann doch und verpasste dem schon nicht mehr ganz neuen Opel 10/40 PS eine neue Kühlergestaltung.

Die Werbeleute ergingen sich daraufhin in schönster Lyrik, die auch vor Banalitäten wie den schlechten Straßenverhältnissen angemessenen Reifen nicht Halt machte:

Opel 10/40 PS Reklame ab 1927; Original: Sammlung Michael Schlenger

Aber eines muss man den Opel-Leuten lassen: Mut hatten sie schon.

Schon das „Maßnehmen“ am Citroen 5CV bei der Entwicklung ihres Opel 4 PS-Modells hatte ihnen ein Plagiatsverfahren eingebracht, das man nur knapp gewann.

Als ob man sich wirklich nichts Eigenes ausdenken konnte, kopiert man man beim Opel 10/40 PS jetzt auch noch kühn den Kühler des amerikanischen Packard. Der war tatsächlich sehr markant und stand für ein hervorragendes Oberklasseauto, das auch außerhalb der USA höchstes Ansehen genoss.

Vermutlich sah man bei Packard in den USA darüber hinweg, weil Opel längst nicht mehr an der Spitze der Automobilhierarchie stand wie noch vor dem 1. Weltkrieg.

Der Opel 10/40 PS mit seinem harmlosen Vierzylinder würde Packard garantiert kein Geschäft im 6- und 8-Zylindersegment wegnehmen. Aber man muss zugeben: Den Opel-Modellen tat die optische Anleihe beim reichen Onkel aus Amerika ausgesprochen gut.

Schon die einfache Tourenwagenausführung des 10/40 PS, die stets die preisgünstigste war, besaß mit einem Mal ein charakteristisches „Gesicht“:

Opel 10/40 PS Tourenwagen ab 1927; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Sollte der mit diesem Foto angebotene Wagen vielleicht doch das Richtige sein? Wir vergessen alle Bedenken, den Wetterschutz betreffend und lassen uns von der Aussicht auf Ausflüge unter freiem Himmel verführen.

Einzig die antquiert wirkenden Trommelscheinwerfer stören uns beim obigen Angebot. Doch zufällig steht ein weiterer Tourer mit dem auffallenden „Packard“-Kühler zum Verkauf, der die von uns bevorzugten schüsselförmigen Scheinwerfer besitzt.

Noch dazu wirkt die gute Laune der Passagiere ansteckend. Für dieses Exemplar spricht außerdem, dass er von einem professionellen Fahrer gesteuert wurde – das lässt auf Sorgfalt in der Pflege und bei der Fahrweise schließen:

Opel 10/40 PS Tourenwagen ab 1927; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Nicht zuletzt mit der Zweifarblackierung gefällt uns dieses Fahrzeug ausnehmend gut. Laufleistung und aufgerufener Preis stehen in angemessenem Verhältnis. Das Angebot scheint keinen Pferdefuß aufzuweisen.

Doch dann denken wir wieder an Situationen, wie sie gerade auf ausgedehnten Reisen auftreten können – und genau für solche soll der Wagen ja eingesetzt werden – Regen, Kälte, scharfer Seitenwind über Stunden und vielleicht Tage.

Nein, wir schauen doch noch einmal, was an Limousinen zu bekommen ist auf Basis des überarbeiteten Modells mit dem unverwechselbaren Packard-Kühler. Auch so etwas ist ohne Weiteres zu bekommen – vom Opel 10/40 PS wurden über 13.000 Stück gebaut.

Und welches Gebrauchtwagenangebot könnte ehrlicher sein als dieses?

Opel 10/40 PS Limousine ab 1927; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Klar hat so ein Wagen irgendwann den einen oderen kleinen Blechschaden davongetragen. So etwas wurde übrigens nicht gleich zwanghaft repariert, Alltagswagen waren durchweg mit solchen Einsatzspuren unterwegs, wie unzählige alte Fotos zeigen.

Gut sieht er aus der Opel 10/40 mit dem neuen Kühler, besonders als Limousine wirkt er geradezu repräsentativ. Da hatten die Opelaner schon das richtige Gespür gehabt, was die Wirkung dieser etwas fragwürdigen Modellpflege angeht.

Tatsächlich zog der Opel mit der beinahe luxuriösen Anmutung nun auch eine Klientel an, die wusste, dass die von verbiesterten Denkern geschmähten Äußerlichkeiten doch das Salz in der Suppe des Daseins sind.

Die Freude an der schönen Form und am gelungenen Auftritt gehörte schon immer und überall zu den wenigen Dingen, die das kurze Menschendasein zwischen der ewigen Dunkelheit davor und danach erhellen und erwärmen.

So setzten sich auch die Besitzer dieser Opel 10/40 PS Limousine, von denen längst niemand mehr etwas weiß, hier für einen kurzen Moment in Szene, der über ihre Lebensspanne hinauswirkt und auch nach bald 100 Jahren Neugier und Sympathie weckt:

Opel 10/40 PS Limousine ab 1927; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wollten wir nicht eigentlich bloß einen gebrauchten Opel 10/40 PS als Reisewagen erwerben? Jetzt haben wir uns die Wahl aber ganz schön schwer gemacht und sind am Ende gar noch an den Gestaden grundsätzlicher Gedanken gestrandet.

Was tun? Nun, es ist auch eine Grunderfahrung des Daseins, dass sich die guten Dinge bisweilen von selbst einstellen, wenn man aufhört, zu angestrengt danach zu suchen.

Also lassen wir die Angebote erst einmal liegen, gehen mit dem Hund vor die Tür, schnuppern die Luft, die auf einmal ganz mild geworden ist, bemerken die ersten Osterglocken im Garten, welche die Schneeglöckchen zu beerben gedenken.

Sogar das Gras ist nach Monaten erstmals wieder gewachsen, sollte der Winter wirklich vorüber sein? Zufrieden geht es wieder heim, morgen ist auch noch ein Tag.

Der Briefträger war wieder da, ein Opel-Angebot ist noch gekommen! Der Absender stammt aus dem Nachbarort, Glück muss man haben! Am nächsten Tag wird der Wagen besichtigt.

Ein ordentliches Auto in gutem Pflegezustand von Leuten, die selbst damit auf Reisen waren.

„Wir kaufen uns jetzt einen Amerikanerwagen mit 6-Zylindern, da muss unser braver Opel weichen. Aber enttäuscht hat er uns nie, er hat uns mehrfach über die Alpen gebracht“.

Dies ist das entscheidende Argument!

Wetterschutz und Packard-Kühler, alles zweitrangig. Der Verkäufer ist der Hausarzt im Nachbarort und hat einen Ruf zu verlieren, der geforderte Preis ist vollkommen in Ordnung und es gibt eine Grundausstattung an Verschleißteilen und Betriebsmitteln dazu.

So kommen wir am Ende doch noch genau zu dem Auto, das zu uns passt. Inzwischen ist der Opel 10/40 PS unser, wurde in der Umgebung erprobt und für gut befunden:

Nun ist der Wagen aufgetankt, alle Schmierstellen sind versorgt, Gepäck ist verstaut.

Morgen geht es in das Land südlich der Berge – und damit ist nicht das Lipper Bergland gemeint, wo dieser Opel 10/40 PS Tourer einst zugelassen war.

Nein, es geht nach Italien, dem Frühling entgegen, es ist höchste Zeit dafür. In einer Woche bin ich wieder da. Bis dahin wünsche ich viel Vergnügen bei automobilen Zeitreisen in die Welt von gestern…

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Der Frühling kann kommen: Ansaldo 6B von 1927/28

Eigentlich wollte ich heute das Ende der Skisaison ausrufen – denn ich habe das passende Foto dazu! Doch dann werfe ich einen kurzen Blick nach draußen: Da tanzen doch tatsächlich ein paar Schneeflocken durch die Luft!

Verflixt, jetzt muss ich schnell das Motto wechseln. Denn die Erfahrung zeigt, dass in meiner Heimatregion – der hessischen Wetterau – die Winter zwar meist milde sind, doch kann es bis in den April hinein immer noch Rückschläge mit Frost und Schneefall geben.

Da mir eine Prognose vor dem Hintergrund riskant erscheint, ich aber den Frühling kaum erwarten kann, will ich ihm zumindest auf diesem Wege mitteilen, dass er von mir aus lieber früher als später kommen kann.

Und als passende Geste dazu packen wir nun die Skier wieder ein und machen den Wagen klar für die Heimfahrt in der Hoffnung, dass uns der Frühling mutig auf dem Fuße folgt.

Natürlich sind wir in einem Tourenwagen der Vorkriegszeit unterwegs, es gibt ja kaum eine stilvollere Form der Fortbewegung, und gleich steigen alle in das Auto. Aber wo tut man eigentlich die Skier hin, wenn dieses vollbesetzt und das Dach offen ist?

Nun, da wusste man sich zu helfen, denn statt eines Dachgepäckträgers hatte man einst wohlgeformte Kotflügel, welche geradezu ideal für die Aufgabe geeignet waren:

Ansaldo 6B Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Man sieht: für diese Herrschaften war der Winter definitiv vorbei – kalt war es wohl noch, aber Schnee ist nirgends mehr zu sehen.

Also kann es heimgehen, was in diesem Fall die Fahrt nach Bozen in Südtirol bedeutet, wenn ich das Nummernschild richtig interpretiere.

„Ein eleganter Amerikanerwagen ist das ja!“, mag man jetzt denken. Zugegeben: Auf den ersten Blick ähnelt das Auto einem US-Fabrikat von Mitte/Ende der 1920er Jahre. Vor allem die Gestaltung der Stoßstange würde dazu passen.

Doch dann bemerkt man, wie ungewöhnlich flach dieser Tourenwagen baut. Denkt man sich die aufgesteckten Seitenscheiben – eine leichte Konstruktion aus Zelluloid und Kunstleder auf Holzrahmen – ist die Seitenlinie nur etwa hüfthoch.

Dennoch handelt es sich nicht gerade um einen kleinen Wagen – wie ist das möglich? Tja, dazu bedarf es einer Sache, die man jenseits des Atlantiks, aber auch nördlich der Alpen oft schmerzlich vermisst – italienisches Stilempfinden.

Nicht nur Lancia bekam beim legendären Lambda das Kunststück hin, einen großzügig bemessenen und gut motorisierten Wagen unerhört niedrig zu bauen. Auch der Hersteller unseres heutigen Skitransporters beherrschte diese Kunst.

Dabei handelt es sich um eine Firma, die Automobile eher nebenher baute – den traditionsreichen Waffenhersteller Ansaldo aus Turin. Wagen der Marke werden Sie vereinzelt auch in meinem Blog finden, doch bislang kaum einen dieser Klasse:

Ansaldo 6B Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wenn ich richtig liege, haben wir hier ein Exemplar des Sechszylindertyps 6B in der Ausführung von 1927/28 vor uns, dessen 2,2 Liter Motor mit obenliegender Nockenwelle über 50 PS leistete, was locker für über 100 km/h Spitze reichte.

Die Italiener hatten im Norden die dafür geeigneten Schnellstraßen dafür, lange bevor in Deutschland großspurig Autobahnen für die Volksgenossen gebaut wurden, die sich in der weit überwiegenden Mehrheit überhaupt kein Auto leisten konnten…

Nun haben wir noch zwei, drei Tage, bevor der Urlaub zuende ist – was läge da näher, noch rasch einen Abstecher an den Comer See zu machen und bei der Gelegenheit besagte „Autostrada dei Laghi“ auszuprobieren, die seit 1925 von dort nach Mailand führt?

Die schnurgeraden Abschnitte nach Mailand nehmen wir mit Dauervollgas – darauf war der Ansaldo ausgelegt. Die Marke genoss auch deshalb einen hervorragenden Ruf.

Wir haben aber noch einen Grund zur Eile, denn abends haben wir Opernkarten für die Mailänder Scala! Vorher wirft man sich im Hotel in Schale, dann geht es im Ansaldo direkt vor’s Opernhaus:

Gerade will unsere Gesellschaft ein Erinnerungsfoto mit dem Wagen vor der prächtigen Fassade machen, da geschieht, was geschehen muss. Ein deutscher Tourist – nach Teutonenart nachlässig gekleidet – stellt sich frech ins Bild und lässt sich dort ablichten.

Dabei steht er so hölzern da, als habe er einen Karabiner geschultert, dabei hält er sich bloß an seinem Kameragurt fest, der Arme.

Man sieht, wie die Umstehenden – nach Mailänder Art stadtfein zurechtgemacht und durchweg „bella figura“ machend – erstaunt bis fassungslos der Szene beiwohnen. Der Herr neben der dunklen Limousine greift sich sogar an den Kopf:

Ansaldo 6B Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

So ist leider Blick auf den Ansaldo ruiniert, dabei haben wir uns sogar die Mühe gemacht, die Skier abzumontieren, um ja nicht unangenehm aufzufallen.

Die ganz Schlauen unter Ihnen werden natürlich bemerkt haben, dass es sich nicht um exakt dasselbe Auto handelt und ich mir die kleine Story bloß ausgedacht habe. „Se non e vero e almeno ben trovato“, pflegt man in Italien dann zu sagen – wenn die Geschichte schon nicht wahr ist, ist sie doch wenigstens gut erfunden (hoffe ich).

Jetzt kann es sein, dass einer in Sachen Vorkriegsautos keinen Spaß versteht und darauf drängt, für diesen Verstoß gegen die historische Genauigkeit entschädigt zu werden.

Auch solche strengen Gemüter sind bestechlich, meine ich. Auch sie werden schwach, wenn man ihnen nur das richtige Material direkt vor die Nase hält. Und alle übrigen werden es ohnehin genießen, was ich zum Abschluss aus dem Hut zaubere.

Der elegante Stil des Ansaldo 6B der späten 1920er Jahre ließ sich nämlich in unwiderstehliche Weise noch auf die Spitze treiben.

Das unternahm die Karosseriebaufirma Bertone, wie folgendes Foto belegt, das ich auf der Facebook-Präsenz der italienischen Oldtimer-Zeitschrift „Ruote Classiche“ fand:

Ansaldo 6B Tourenwagen (Karosserie Bertone); Quelle: Ruote Classiche

Noch enger auf den Leib schneidern ließ sich das Blechkleid sicher nicht bei diesem Ansaldo 6B von 1928.

Dem stolz daneben posierenden Herrn – wohl der Besitzer – reicht das Auto gerade bis zur Hüfte wie bei dem eingangs präsentierten Exemplar. Doch hat es Bertone geschafft, hier auch den Vorderwagen genauso niedrig zu halten – ein Meisterstück!

Mit so einem Ansaldo jubelnd dem Frühling entgegenzufahren, der sich in den nächsten Wochen von Italien aus nach Norden vorarbeitet – davon wenigstens zu träumen, ist alles, was uns Nachgeborenen vergönnt ist.

Draußen wirbeln immer noch ein paar Flocken – vielleicht sollte ich demnächst auch wieder einen meiner therapeutischen Aufenthalte im gesegneten Land südlich der Berge antreten…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Das Rätsel der Bosch-Villa: Protos Typ G2 Tourer

Heute sind Sie wieder einmal besonders gefragt, liebe Leser.

So willkommen mir auch sonst alle fundierten Kommentare sind (die unterhaltsam geschriebenen mag ich auch), meist habe ich den Anspruch, selbst die Rätsel auf den alten Autofotos zu knacken, die ich hier präsentiere (falls es überhaupt welche sind).

Diesmal brauche ich aber wirklich Verstärkung, denn meine detektivischen Fähigkeiten haben sich bereits mit der Identifikation des folgenden Fahrzeugs erschöpft (für heute):

Protos Typ G2 um 1912; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die alten Hasen und Häsinnen (so viel Spaß muss sein) unter meinen Lesern mögen diesen Tourenwagen für einen klaren Fall halten. Ich befasse mich aber überhaupt erst seit 2015 mit Vorkriegsautos und war daher lange ziemlich ratlos.

Natürlich bin ich selbst schuld daran, denn ich kaufe systematisch Fotos der 5 Euro-Klasse, die nicht auf Anhieb erkennen lassen, was darauf zu sehen ist. Wenn man sonst keine Probleme hat, macht man sich halt welche.

Zum Glück habe ich während meiner kurzen Karriere bereits etliche Gleichgesinnte kennen- und schätzengelernt, die schon etwas länger solche Sachen sammeln und studieren. Einer davon konnte mir wieder einmal helfen, ohne es zu wissen.

Aber der Reihe nach: Schauen wir doch erst einmal, was sich im vorliegenden Fall mit „Bordmitteln“ erreichen lässt. Dazu werfen wir einen genaueren Blick auf die bei Vorkriegsautos in der Regel alles entscheidende Vorderpartie:

Frontscheinwerfer und Positionslampen (vor der Windschutzscheibe) sind noch gasbetrieben – ein klarer Hinweis auf eine Entstehung vor dem 1. Weltkrieg, und zwar noch vor 1913/14.

An die fast waagerecht verlaufende Motorhaube schließt sich übergangslos ein stärker nach oben ansteigendes Blech an, der sogenannte Windlauf. Dieser hielt bei Serienautos im deutschen Sprachraum 1910 Einzug auf breiter Front.

Frühe Ausführungen wirken noch wie nachträglich aufgesetzt – das waren sie oft auch – während spätere (1913/14) meist mit der Motorhaube eine harmonische Linie bilden. Die Situation auf meinem Foto entspricht etwa dem Zwischenstand von 1912.

Was lässt sich sonst noch festhalten?

Je drei in zwei Gruppen zusammengefasste Luftschlitze in der Motorhaube, klar erkennbare Nietenreihen entlang der Haubenkanten und der Verstärkung dienende Sicken am vorderen und hinteren Ende der Haube.

Hilft das irgendwie weiter? Nur dann, wenn man ein zweites Foto mit denselben Details findet, bei dem der Hersteller identifizierbar ist. Genau damit konnte mein Dresdener Sammlerkollege Matthias Schmidt aufwarten, der schon etwas länger „im Geschäft“ ist.

Denn vor einiger Zeit „versorgte“ er mich mit der folgenden Aufnahme aus seinem Fundus, die den Hersteller klar erkennen lässt: Protos aus Berlin!

Protos Typ G2 um 1912; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmid (Dresden)

Dieses hervorragende Foto ist eines von unzähligen, die von der Selbstverständlichkeit zeugen, mit der unsere Altvorderen auch im Winter mit ihren damals fahrwerksseitig noch unvollkommenen Wagen unterwegs waren.

Schmale Räder mit großem Durchmesser und mit Schneketten versehen sind bei solchem Untergrund allerdings durchaus geeignet, um für Traktion zu sorgen. Schnell gefahren wurde ohnehin unter diesen Bedingungen nicht und Gegenverkehr gab es kaum.

Für die Schneeflöckchen unserer Tage, die bereits als Knirpse auf dem Laufrad Helm tragen müssen (gerade kürzlich wieder gesehen), wäre freilich bereits die Aussicht auf eine winterliche Ausfahrt ohne Verdeck und ohne Gesichtsmaske das Grauen pur.

Lassen Sie sich nicht vom elektrischen Standlicht dieses Wagens im Windlauf irritieren, so etwas gab es als Option bereits vor elektrischen Frontscheinwerfern, als ab etwa 1912.

Dieses Auto besitzt sogar letztere, das wird aber damit zu tun haben, dass die Aufnahme auf 1928 datiert ist und der Wagen nach dem 1. Weltkrieg eine komplette elektrische Anlage von Bosch erhalten haben muss:

Ansonsten entspricht die Gestaltung des Tourers vollkommen derjenigen des eingangs gezeigten Exemplars. Bloß sehen wir hier die Kühlergestaltung eines „Protos“, die unverwechselbar ist.

Aus meiner Sicht haben wir es hier mit einem Wagen des Vierzylindertyps G2 8/22 PS zu tun, der recht gut dokumentiert ist (siehe auch meine Protos-Galerie).

Den Vergleich der weiter oben aufgezählten Details der Haubenpartie überlasse ich Ihnen. Aus meiner Sicht ergeben sich hinreichende Übereinstimmungen – beide Fotos zeigen offenbar einen Protos dieses G-Typs aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg.

Rätselhaft bleibt aus meiner Sicht bloß dies:

Nachdem uns bei dem Protos auf dem zweiten Foto eine komplette Bosch-Lichtanlage begegnet ist, was hat es mit der „Bosch“-Villa im Hintergrund auf dem ersten Foto auf sich?

Die bekannte Villa der Familie Bosch sieht ganz anders aus und auch die Bosch-Villa in Radolfzell scheint nicht zu passen.

Nachdem ich mit der Identifikation des Protos-Tourers meine Schuldigkeit getan habe, sind nun Sie an der Reihe, dieses Rätsel zu lösen…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Gruselfaktor inklusive: Adler 6/24 PS Tourenwagen

Zur Geisterstunde pflege ich ein langjähriges Vertrauensverhältnis. Zwar glaube ich nicht an Gespenster – jedenfalls keine, die nicht von unserer Phantasie erzeugt werden – dennoch fühle ich mich im Dunkel der Zeit um Mitternacht von guten Geistern umgeben.

Anders fehlte mir wohl die Inspiration, mich zu später Stunde an Vorkriegsautos auf historischen Fotos abzuarbeiten.

Nur ein Teil davon ist einigermaßen ernst gemeintem Dokumentationsinteresse geschuldet – das ist ja eher die Domäne der Automobilhistoriker, wenngleich ich deren Produktivität hierzulande für entschieden steigerungsfähig halte.

Größeren Raum ein nimmt mitunter die Beschäftigung mit grundlegenden Fragen von Stil und Gestaltung sowie dem menschlichen Bedürfnis, seinem Dasein einen bestimmten Ausdruck zu verleihen und spezielle Momente davon für sich und andere festzuhalten.

Die Art und Weise, wie Mensch und Maschine auf diesen Dokumenten inszeniert wurden, ist für mich ein Quell nicht versiegender Faszination. Oft sind es Kleinigkeiten, die mit dem eigentlichen Fahrzeug wenig zu zu tun haben, welche fesseln.

Heute haben wir wieder so einen Fall und ich darf in Aussicht stellen, dass es dabei zur rechten (Uhr)Zeit durchaus ein wenig gruselig zugeht.

Beginnen wir ganz harmlos mit dieser technisch mäßigen, dennoch reizvollen Aufnahme:

Adler 6/24 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieser eher kompakte Tourenwagen birgt keine besonderen Geheimnisse. In das Kühlernetz ragt das dreieckige Markenemblem der Adlerwerke aus Frankfurt/Main hinein.

Da das Kühleremblem nur unscharf wiedergegeben ist, hat man uns den Gefallen getan, zusätzlich eine unübersehbare Kühlerfigur in Adlerform zu montieren, die so kaum serienmäßig war.

Ebenfalls ein Zubehör waren die kunstledernen „Schürzen“ an den Vorderkotflügeln, die einer stärkeren Verschmutzung des Wagens vorbeugen sollten. Bewusst aufgefallen sind mir diese merkwürdigerweise bisher nur bei Adler-Wagen der Typen 6/24 und 6/25 PS.

Von den meiner Adler-Galerie versammelten Fahrzeugen dieses Typs war etwa jeder zweite Wagen damit ausgestattet. Offenbar erfüllte der werksseitige Kotflügel seinen Zweck nur unzureichend, denn eine Verschönerung stellen diese Teil nicht gerade dar.

Die Drahtspeichenräder sind übrigens das Hauptunterscheidungsmerkmal zwischen dem 1923/24 gebauten Adler 6/24 PS und seinem 1925 eingeführten „Nachfolger“ 6/25 PS, welcher leicht anhand seiner Scheibenräder zu erkennen ist.

Technisch waren diese kleinen Vierzylindertypen vollkommen konventionell, hervorzuheben gibt es da nichts. Der Käufer wusste vor allem, dass er sich auf die Adler-Qualität unbedingt verlassen konnte.

Wer schnelle und geräumige Reisewagen suchte, musste sich andernorts umschauen. Für die Spritztour am Wochenende mit der Familie oder Freunden war der Adler 6/24 PS aber allemal vorzüglich geeignet, man findet ihn oft bei solchen Ausflugssituationen abgelichtet.

Mitunter ergaben sich dabei sogar charmante Dokumente wie dieses hier:

Adler 6/24 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Manchem Leser wird die Aufnahme bekannt vorkommen – ich habe sie vor längerem als Teil einer netten kleinen Serie präsentiert.

Nehmen Sie sich etwas Zeit, sich die Insassen dieses Wagens einzuprägen, allesamt prächtige Individuen, die uns hier über einen Abstand von bald 100 Jahren anblicken.

Wenn es doch so etwas wie Geister gibt, erfreuen sich diese nun vielleicht daran, dass die Nachgeborenen nach so langer Zeit immer noch Genuss an dem Moment empfinden, der hier einst festgehalten wurde.

Vielleicht treiben sie aber auch etwas Schabernack mit uns. Denn auf mysteriöse Weise hat lange nach dem Erwerb der kleinen Serie, aus der dieses Foto stammt, eine weitere Aufnahme den Weg zu mir gefunden – wie eine Flaschenpost aus der Vergangenheit, die einen etwas längeren Weg zurückzulegen hatte als die anderen.

Irgendetwas hat mich lange davon abgehalten, auch dieses Zeugnis vorzustellen. Doch wie das oft so ist bei meinen nächtlichen Rendezvous mit den automobilen Hinterlassenschaften unserer Altvorderen, wusste ich heute plötzlich, dass nun die Zeit gekommen ist.

Noch gut fünf Minuten bis Mitternacht. Auch wenn es vielleicht nicht dem Ideal einer Gruselgeschichte entspricht, unternehmen wir gleich noch einen Spaziergang zur Tankstelle, wo man uns bereits erwartet.

Die Herrschaften, die wir mit ihrem Adler 6/24 PS gerade (wieder) getroffen haben, werden uns dort auf eine Weise wiederbegegnen, die nur auf den ersten Blick vertraut wirkt. Erst auf den zweiten Blick enthüllt sich das, was vielleicht für einen kalten Schauer sorgen wird.

Im Unterschied zu Ihnen weiß ich bereits, was uns erwartet, auch wenn ich erst heute abend den Gruselfaktor dieser Aufnahme entdeckt habe.

Sind Sie bereit? Gerade schlägt es Mitternacht von der kleinen gotischen Kirche her, die nur wenige hundert Meter entfernt steht. Und mit einem Mal ist es wieder heller Tag – zumindest auf einem Teil des Bildes, während der Rest in rätselhaftem Dunkel verharrt:

Adler 6/24 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Schon etwas merkwürdig, diese Situation an der Tankstelle, nicht wahr?

Rationale Geister werden uns nun sofort eine Erklärung für das Phänomen liefern können, das diesen Adler 6/24 PS wie im Zwischenreich von Dämmerung und strahlend hellem Tag erscheinen lässt.

Gut, das war jetzt noch nicht wirklich gruselig, oder? Gut, denn dann haben Sie das ebenfalls auch erst einmal übersehen, was sich in diesem Foto an Mysteriösem verbirgt.

Tatsächlich lässt sich erst einmal in gewohnt kühler Manier die Frontpartie des Wagens studieren – mit ein paar Handgriffen lässt er sich dem Reich der Schatten entreißen:

Fällt Ihnen hier etwas Außergewöhnliches auf? Nein? Nun, ganz rechts deutet sogar eine Hand genau darauf!

Hinter dem Adler zeichnet sich nämlich die Frontpartie eines unheimlich wirkenden mächtigen Tourenwagens ab, der offensichtlich einer anderen Hubraumklasse angehört.

Was könnte das sein? Ich tippe auf einen Dinos der frühen 1920er Jahre, aber es könnte auch ein anderes deutsches Fabrikat der Zeit kurz nach dem 1. Weltkrieg sein (Vorschläge bitte per Kommentarfunktion).

War’s das jetzt etwa schon? Nein, natürlich nicht, aber ich wollte ihren Blick erst einmal in eine andere Richtung lenken, damit der folgende Effekt umso mehr Wirkung zeigt.

Denn jetzt schauen wir mit einem Mal in ein gleißendes, beinahe übernatürliches Licht:

Das ist auf den ersten Blick eine reizvolle Situation, nicht wahr?

Man hat sogar freundlich die Tür des Adler offengelassen, als ob man uns einladen wollte, doch einfach mitzukommen? Wer wollte da widerstehen?

Doch ich warne Sie, lassen Sie sich nicht täuschen! Hier stimmt nämlich etwas nicht – die Tür ist in Wahrheit gar nicht offen!

Schauen Sie noch einmal hin: Das Rund des Kotflügels geht durch die offene Tür, wie kann das sein? Die Tür kann in der Realität nicht gleichzeitig auf und zu sein.

Nur in einer von Geistern bewohnten Welt scheint ein solches Nebeinander möglich zu sein. Sind denn diese Geister dann vielleicht sogar selbst hier abgelichtet? Ja, das sind sie.

Schauen Sie sich noch einmal den letzten Bildausschnitt an:

Plötzlich sehen sie dort die Gesichtshälfte einer jungen Frau mit Brille, die sie anschaut. Und neben dem Herrn auf der Rückbank schweben geisterhaft die Schemen eines Ohres und einer Fahrerbrille im leeren Raum…

Ein wenig gruselig fand ich das schon, als ich das entdeckte. Aber wie gesagt: Es gibt für alles eine vollkommen rationale Erklärung…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ideal in allen Lebenslagen: Lancia Lambda

Kleines Gedankenexperiment: Wenn man sich entscheiden müsste zwischen seinem modernen Alltagsauto und einem Vorkriegswagen – einem für alle Tage und für’s ganze Leben – was würde man wählen, wenn man das Auto frei Haus geliefert bekäme?

Nun, die Opel-Freunde würden wohl dem Kapitän den Vorzug geben, die Mercedes-Leute dem 230er, die Ford-Fraktion dem V8 und die BMW-Bewegten dem 327. In Frankreich wäre Citroens Traction Avant die erste Wahl, bei den Briten ein Jaguar MkIV usw.

Jedenfalls fände ich es naheliegend, wenn etwas in der Richtung herauskäme.

Drei Dinge fallen dabei auf. Erstens: Alle genannten Fahrzeuge stammen aus den 1930er Jahren und wurden auch nach dem 2. Weltkrieg mehr oder weniger unverändert gebaut. Zweitens ist kein vollkommen exotisches Modell dabei und drittens fehlt etwas aus Italien.

Das habe ich mir natürlich so zurechtgelegt, denn mein persönlicher Favorit wäre genau so etwas: Bereits rund 100 Jahre alt, technisch und formal höchst außergewöhnlich, und dann noch aus dem Land, in dem die Zitronen blüh’n.

Die Rede ist vom Lancia Lambda – sicher eines der innovativsten Autos, die je gebaut wurden, und zugleich eines von meisterhafter Gestaltung.

Lancia Lambda; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Ich erspare Ihnen jetzt die x-te Aufzählung der technischen Meriten, welche diesen Wagen auszeichneten. Darauf bin ich bereits in früheren Porträts dieser automobilen Großtat eingegangen.

Viel interessanter ist, wie ich zu meinem Urteil gelangt bin, dass ausgerechnet der Lancia Lambda – noch dazu in offener Ausführung wie oben – für mich das ideale Alltagsauto der Vorkriegszeit wäre.

Die im Unterschied zu mir ingenieursmäßig Begabten unter meinen Lesern werden jetzt vermutlich schlucken, denn es war ganz einfach: Ich habe mir einfach noch ein paar mehr alte Bilder von dem Wagen angesehen.

Gestern abend habe ich einige Zeit damit zugebracht, diese mir von Leser H.-G. Becker in digitaler Kopie übermittelten Aufnahmen einigermaßen präsentabel zu machen.

Dabei habe ich über den Lancia Lambda selbst zwar nichts Neues gelernt. Die Fotos haben mich aber eines begreifen lassen: Mit diesem Auto konnte man alles machen und in allen Lebenslagen die reine Freude am Dasein mit und auf vier Rädern erleben.

Wie sich diese Erkenntnis allmählich, unaufhaltsam und überwältigend breitmacht, daran möchte ich Sie heute teilhaben lassen.

Beginnen wir passend zur Jahreszeit an einem Wintermorgen irgendwo im deutschen Mitttelgebirge. Wir treten aus der Tür des Hotels und rufen aus: „Juhuh, es hat geschneit!“:

Lancia Lambda; Originalfoto bereitgestellt von H.G. Becker

Wir schieben den Schnee vom Verdeck, legen es herunter und beginnen rundherum etwas Platz zu schaffen, damit wir nicht gleich mit nassen Schuhen einsteigen.

Denn natürlich fahren wir offen solange es keinen neuen Niederschlag gibt, so hat der Fahrer den besseren Blick auf die Straße und der Beifahrer hat mehr von der Landschaft.

Eine Heizung gibt es nicht, doch Motor und Getriebe geben nach einer Weile Fahrt reichlich Wärme in den Fußraum ab, ansonsten braucht es dicke Kleidung und ein dickes Fell.

Wie man sieht, herrscht daran kein Mangel:

Lancia Lambda; Originalfoto bereitgestellt von H.G. Becker

Unsere Beifahrerin hat sich heroisch entschieden, auch die seitlichen Steckscheiben zu entfernen – nun ist alles im Heck verstaut und mit einer Persenning abgedeckt.

Für etwas zusätzliche Wärme sorgt ein dritter Passagier, der sich hier noch etwas schüchtern gibt.

Gestartet sind wir mit den aufgezogenen Schneeketten, haben den Motor warmgefahren, wobei die Jalousie der über den Kühler gezogenen Abdeckung anfänglich noch weitgehend geschlossen war, damit sich das Wasser schneller aufheizt.

Jetzt haben wir die Jalousie nach oben gerollt und gleich werden wir die Schneeketten abmontieren. Denn nun sind Straßen mit besseren Verhältnissen in Sicht.

Noch schnell ein Schnappschuss, bevor es im Sonnenschein weitergeht – inzwischen ist auch Lumpi wach und voller Tatendrang:

Lancia Lambda; Originalfoto bereitgestellt von H.G. Becker

Nun geht es durch tief eingeschnittene Täler bergab, der Schnee wird weniger und bald ist man wieder in ebenem Gelände.

Bis zur Stadt ist es noch eine Weile, doch der Winterurlaub neigt sich unweigerlich dem Ende zu, bald hat einen der Alltag wieder. Immerhin hat sich der erst ein paar Monate alte Lancia auf das Schönste bewährt.

Die Straßenlage war unter allen Bedingungen ausgezeichnet, die Einzelradaufhängung und die hydraulischen Stoßdämpfer sorgen jederzeit für sicheren Fahrbahnkontakt und ausgezeichnete Lenkbarkeit.

Auch längere Abwärtsfahrten mit häufigem Bremseinsatz sind dank der mächtigen Vorderradbremsen souverän zu bewältigen. Nicht zuletzt sorgt die unerhört flache Bauweise des Lancias überall für Bewunderung – kein deutscher Hersteller bot vor 100 Jahren einen vollwertigen Tourenwagen dieser Leistungsklasse mit so niedriger Silhouette an.

Ein letztes Erinnerungsfoto und es geht heim:

Lancia Lambda; Originalfoto bereitgestellt von H.G. Becker

Viele Wochen später findet sich wieder Gelegenheit, ein verlängertes Wochenende zu einer gepflegten Landpartie mit dem Automobil zu nutzen.

Der Lancia bekommt vorher einen kompletten Schmierdienst, der lässt sich zuhause erledigen oder man lässt das den Tankwart des Vertrauens machen.

Sicher ist sicher, sagt sich jedoch der überzeugte Lancista und macht sich selbst in der Garage ans Werk. Dabei macht er eine überraschende Entdeckung: Einer der Reifen ist fast ganz platt – offenbar haben wir bei der letzten Fahrt gegen Ende einen Nagel eingesammelt.

Auch in solchen Lebenslagen heißt es: selbst ist der Mann und assistiert von Lumpi ist der Defekt nach einer Weile behoben:

Lancia Lambda; Originalfoto bereitgestellt von H.G. Becker

Man sieht: Der Besitz eines solchen Ausnahmeautomobils erfordert bisweilen außerordentlichen Einsatz. Doch ein Mann sollte solche Sachen können, denn wer sonst würde es denn machen, wenn das unterwegs passiert, die Beifahrerin etwa?

Nein, undenkbar für den Mann mit Stil, selbst wenn er weiß, dass „sie“ es kann.

Das Beladen des Wagens für die anstehende Tour ist ebenfalls einer Dame unwürdig, außerdem meint „er“, besonders planvoll dabei vorzugehen. So muss der Ölkanister eher griffbereit sein, während Koffer und Hutschachtel nach Passform einsortiert werden:

Lancia Lambda; Originalfoto bereitgestellt von H.G. Becker

Den Lancia selbst meistert unterwegs allerdings auch „sie“ – soviel ist klar. Wer ein solches Auto fährt, stellt auch bei der Wahl der Lebensgefährtin besondere Ansprüche.

Kochen muss sie nicht können, aber bei Benzingesprächen, Pannen und am Steuer mithalten, notfalls endlose Kilometer fressen, wenn es gilt, die letzte Fähre in Neapel zu erwischen, die einen nach Sizilien zur Targa Florio bringt – darauf kommt es an.

Hier „übt“ die bessere Hälfte scheinbar, aber diese Aufnahme ist nur dafür gedacht, die Schwestern zu ärgern, die zwar ebenfalls einen höheren Schulabschluss haben, aber sich bereits früh im Dasein als Ehefrau und Muttertier eingerichtet haben:

Lancia Lambda; Originalfoto bereitgestellt von H.G. Becker

Unterschätzen Sie diese Dame nicht, meine Herren, sie könnte ihnen den prächtigen Lancia öfter entführen, als Ihnen lieb sein kann (für den regelmäßig anstehenden Schmierdienst hat „sie“ merkwürdigerweise nie Zeit).

Aber jede gute Partnerschaft lebt von einer gesunden Arbeitsteilung und so kann „er“ sich auf ihre Fahrkompetenz ebenso unbedingt verlassen wie „sie“ sich auf seinen Orientierungssinn. Jedenfalls lässt sie ihn glauben, dass er darin unerreicht ist.

So kann es vorkommen, dass „sie“ mit bleischweren Pumps den Lancia dem Ziel entgegenfliegen lässt, „er“ dabei jedoch einen Abzweig übersieht.

Nun gilt es, einen Vorwand zu finden, dem Lancia eine Pause zu gönnen:

Meinst Du nicht auch, dass das Wasser etwas heißer wird als sonst? Lass‘ uns doch einmal da vorne halten, Lumpi muss sich ohnehin mal die Beine vertreten“.

Lancia Lambda; Originalfoto bereitgestellt von H.G. Becker

Während sie ungeduldig am Steuer ausharrt, geht Lumpi einem natürlichen Bedürfnis nach und „er“ schaut auf der Karte nach, ob es nicht demnächst eine „Abkürzung“ gebe, denn man habe nicht ganz die ideale Route genommen.

„Er“ sitzt heute ohnehin nur in der zweiten Reihe, denn eine alte Freundin hat sich als Beifahrerin eingefunden.

Sie hat es nicht ganz so gut getroffen in ihrem Leben, und es hat sie einige Überwindung gekostet, die Freundin zu fragen, ob man sie denn vielleicht einmal mitnehmen könne, sie würde auch für die Verpflegung unterwegs sorgen.

Für sie ist es die erste Fahrt im Automobil überhaupt und sie kann kaum fassen, wie ihr geschieht. Ein wenig fürchtet sie sich schon, als der Lancia auf langen Geraden in der Ebene immer schneller wird und sogar einen Eisenbahnzug überholt.

So schaut sie noch ein wenig kariert, als man beim Picknick an einem Waldsee ein Foto mit dem Selbstauslöser macht:

Lancia Lambda; Originalfoto bereitgestellt von H.G. Becker

Unser wackerer Lancista tut so, als würde er nichts bemerken, er hat gerade ein Bad im See genommen und sitzt nun mit leicht verrutschtem Mantel und Barett da wie ein Maler, der mit dem Kohlestift eine Skizze der Szenerie anfertigt.

Seine Gattin, die ihre Schuhe irgendwo ins Gras geworfen hat, lacht genau im richtigen Moment, als der Verschluss der Kamera auslöst. Die in diesen Dingen unerfahrene Freundin muss dagegen noch lernen, in solchen Situationen entspannt zu sein.

Unterdessen macht der Lancia nebenher „bella figura“ – selbst das Wenige, das man von ihm sieht, lässt seine besondere Klasse erkennen.

Dass der Lancia Lambda für alle Lebenslagen ideal geeignet und ausgestattet ist, wird auch auf dem folgenden Foto deutlich.

Damit ist weniger die nachgerüstete Stoßstange gemeint, sondern vielmehr das formidable Angebot an Sitzgelegenheiten, welche der Wagen dank seiner einzigartigen Linienführung bietet. Nur völlig ignorante Passanten nehmen das nicht bewundernd zur Kenntnis:

Stört es hier, dass der Abzug rechts oben stark beschädigt ist?

Nein, denn das Zentrum des Geschehens ist ganz links angesiedelt. Das Mienenspiel unserer beiden Lancisti ist einfach unbezahlbar – so sieht wahre Liebe aus!

Dann noch die frisch aufgegangenen Blüten im Gras vor dem Wagen – das kann man sich besser kaum ausdenken. Haben Sie bemerkt, wie die Fotos aus dieser bezaubernden kleinen Serie immer besser werden?

Nun, das hat nicht nur mit den abgebildeten Situationen zu tun, sondern auch damit, dass wir den Winter hinter uns gelassen haben und alles mit einem Mal von Sonnenlicht umspült und durchflutet erscheint – bei der damaligen Fototechnik wirkte sich das segensreich aus.

Am Ende steht eine Aufnahme, die noch einmal alles zusammenfasst, was die Faszination solcher Bilder eines Lancia Lambda ausmacht:

Die torpedohafte, für mich unerreichte Linie des Wagens, die Lebensfreude, die ein solches Wunderwerk seinen Besitzern (einschließlich Lumpi und der braven Freundin) bescherte, die einzigartige Architektur von Vorkriegsautos, die überhaupt erst eine solche Szenerie ermöglichte und nicht zuletzt die unauffällig arbeitende Spitzentechnologie des Lancia Lambda, die ihn zum idealen automobilen Begleiter in allen Lebenslagen machte:

Lancia Lambda; Originalfoto bereitgestellt von H.G. Becker

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Vom Ätna nach Herrenwies: Ein Fiat 510 Tourer

Vom schneebedeckten Ätna auf Sizilien ins sommerliche Herrenwies im Schwarzwald – klingt merkwürdig, aber es ist etwas für jeden dabei – für die Fraktion der Fernreisenden, die Liebhaber heimischer Idyllen und in jedem Fall für die Freunde früher Fiats.

Wer sich nun genüsslich einen Kaffee oder Tee macht, und sich auf einen opulent bebilderten Bericht über eine Reise im Automobil über eine Distanz von rund 1.900 km freut, den muss ich (vorerst) enttäuschen.

So kann ich eigentlich nur mit zwei Aufnahmen aufwarten, die für Start und Ziel stehen, aber die haben bereits ihren Reiz. Den Einstieg wagen wir mit einer Zeitreise über 100 Jahre zurück.

Wir schreiben das Jahr 1919 und der Erste Weltkrieg ist erst kurz zuvor zuendegegangen – nebenbei ein Krieg, in den Europa aufgrund absurder Bündnisse und irrationaler Loyalitäten hineingerutscht ist und der dann eine aberwitzige Eigendynamik entfaltete.

Nun schweigen die Geschütze, es gibt keine echten Sieger, selbst die jahrelang aufgeputschte Rüstungsindustrie steht auf allen Seiten angeschmiert da. Was tun mit den Produktionskapazitäten, dem Maschinenpark und dem Können der Entwickler und Arbeiter?

Für Giovanni Agnelli, Geschäftsführer von Fiat, ist die Sache klar. Im armen Italien gab es abgesehen vom schon damals recht entwickelten Norden – keinen Markt, um die gewachsenen Kapazitäten mit den bisherigen meist großen Modellen auszulasten.

Also musste ein neues massenproduktionstaugliches Modell her, das man international vertreiben konnte. Dabei orientierte man sich am erst 1915 eingeführten 2-Liter-Typ 70, der 21 PS leistete. Dem Motor schrumpfte man auf 1,5 Liter und holte nun 23 PS heraus.

Damit war Fiats erster Kleinwagen geboren – der Typ 501. Er sollte ein nie dagewesener Erfolg werden, jedenfalls für einen europäischen Hersteller. Rund 70.000 Exemplare wurden davon gebaut und sie fanden tatsächlich Käufer auf der ganzen Welt.

Dabei machte Fiats großer Wurf optisch nicht gerade viel her, aber das zählte nicht – der Typ 501 war legendär für seine Robustheit und schreckte vor keiner Herausforderung zurück:.

Fiat 501 Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir ein Exemplar des kompakten Fiat am Hang des Vulkans Ätna auf Sizilien. Der Wagen diente dort deutschen Touristen Mitte der 1920er Jahre bei der Erkundung der Lavafelder, die beim Ausbruch 1913 entstanden waren.

Das verrät die Beschriftung des Abzugs. Sonst wäre man vermutlich nicht darauf gekommen, dass man sich hier bereits dem schneebedeckten Gipfel des Giganten genähert hatte.

Ich vermute, dass der einheimische Fahrer des Fiat diese Fotografie angefertigt hat, auf der seine Fahrgäste quasi als Besitzer posieren.

Jetzt fragen Sie sich vielleicht, wie man eigentlich darauf kommt, dieses Gefährt präzise als Fiat 501 zu identifizieren. Nun, man muss bloß einige Exemplare davon gesehen haben, dann klappt das auch ohne Markenemblem.

Die Proportionen der Vorderpartie mit den niedrigen Luftschlitzen und der hoch bauenden, eher kurzen Motorhaube finden sich so nur bei den kleinen Fiats der ersten Hälfte der 1920er Jahre. Zur Illustration füge ich nun doch ein weiteres Bild ein:

Fiat 501 Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier sieht man nun auch den noch leicht birnenfömigen Kühler, den alle Fiat-Modelle bis etwa 1924 besaßen, teils lackiert wie oben, teils glänzend vernickelt wie hier.

Die Kühlerform präge man sich ein, wir begegnen ihr gleich wieder.

Übrigens will ich nicht ausschließen, dass es sich bei dem Fiat auf dem letzten Foto auch um den stärkeren Typ 505 (2,3 Liter Hubraum, 33 PS) handeln könnte, der parallel angeboten wurde und ganz ähnlich aussah, bloß insgesamt größer ausfiel.

Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass der Fiat mit dem glänzenden Kühlergehäuse bereits Vorderradbremsen besitzt – diese waren also schon kurz vor der Einführung des neuen Kühlers anno 1925 verfügbar. Auch hier war Fiat ganz auf der Höhe der Zeit.

Auf dem langen Weg nach Norden wären wir den Vierzylindertypen 501 und 505 von Fiat gewiss noch einige Male begegnet, insbesondere als Taxi wie hier im Doppelpack vor der Kulisse des Doms in Mailand:

Fiat 501 oder 505 in Mailand; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Habe ich jetzt doch mehr als nur zwei Fotos präsentiert?

Nun, es gibt Schlimmeres, solange die Himmelsrichtung stimmt, denn es geht nach wie vor heimwärts gen Norden, wo uns die Aussicht auf ein weiteres Exemplar der damaligen Fiat-Familie erwartet.

Unterwegs geht hoffentlich alles gut – möge uns eine größere Kalamität erspart bleiben, wie sie 1924 diesem Fiat 501/505 bei Treviso in der Provinz Venetien widerfuhr – man wünscht sich, dass die Insassen mit wenigen Blessuren davongekommen sind:

Fiat 501 oder 505 bei Treviso; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Venetien lassen wir ohnehin rechts liegen, dafür braucht man mehr Urlaub und der war in den 1920er Jahren ein so knappes Gut, wie sich das in unseren Tagen ein Arbeitnehmer mit sechs Wochen Auszeit (plus Feiertage) nicht vorstellen kann.

Auf gehts also von Mailand über die 1924 neu eröffnete erste autobahnähnliche Straße der Welt (Autostrada dei Laghi) Richtung Como. Auf der schnugeraden Piste überholen uns die weit schnelleren Alfas und Lancias der feinen Mailänder Gesellschaft, die zum Wochenende an den Lago Maggiore oder den Comer See strebt.

Wir lassen uns davon nicht beirren, fahren aber hier die Spitzengeschwindigkeit von 70-75 km/h aus, um Strecke zu machen, denn auch die kleinen Fiats waren schon damals drehzahlfest ausgelegt.

Mag sein, dass sich während der Fahrt ein Kabel- oder Kühlwasseranschluss löst, vielleicht gibt ein Teil der Zündung den Geist auf, für das man aber Ersatz mitführt. Wahrscheinlicher ist indessen ein platter Reifen – das war bei langen Strecken beinahe Standard:

Fiat 501 oder 505; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier hat es einen Fiat mit Zulassung in Bozen aus dem 1920 dank der Großzügigkeit der Siegermächte von Italien einkassierten Südtirol erwischt.

Wir verkneifen uns einen Kommentar zum überschätzten Thema Völkerrecht und wünschen den frisch eingemeindeten Fiat-Kameraden gute Fahrt, denn wir sind nun auf der letzten Etappe ins ebenfalls gedemütigte Germanien.

Dort geht’s der breiten Masse dreckig – ein idealer Nährboden für Radikale roter und brauner Couleur, es braut sich etwas zusammen. Dennoch gibt es immer noch eine heile Welt für die wenigen, die trotz der allgemeinen wirtschaftlichen Misere prosperieren.

Damit sind wir nun endlich am Ende unserer langen Tour vom Ätna nach Herrenwies im Schwarzwald angelangt. Vor der Kulisse des winzigen Orts mit der Kirche St. Antonius wird wird im Juli 1928 dieses Idyll für die Nachwelt festgehalten:

Fiat 510: Originalfoto: Sammlung Patrick Schnurr

Das ist doch ein Fiat der frühen 1920er Jahre!. Das sollte nach der langen Vorbereitung klar sein. Aber lang ist auch die Motorhaube dieses Wagens, ungewöhnlich lang.

Zudem erscheinen die Insassen auf einmal so klein – am Ätna sah das doch noch ganz anders aus. Sollte die Luftveränderung zwischenzeitlich soviel bewirkt haben, dass man die Dinge nun ganz anders sieht?

Nun, die Sache ist ganz einfach: Wir haben hier schlicht einen viel größeren und stärkeren Fiat vor uns, der parallel zu den Typen 501 und 505 entstand – nämlich das Sechszylindermodell 510 mit 3,5 Litern Hubraum und 46 PS Leistung.

Das war Anfang der 1920er Jahre bei deutschen Serienherstellern nicht zu finden. Wer so etwas dennoch wollte, kam an ausländischen Fabrikaten nicht vorbei und Fiat gehörte nicht umsonst zu den führenden Importmarken.

Dabei dürfte dieses prächtige Exemplar erst recht spät seinen Weg nach Deutschland gefunden haben – dafür sprechen die mächtigen Bremstrommeln an den Vorderrädern:

Eigentlich heißt es, dass Vorderradbremsen bei Fiat erst beim Übergang zum kantigen Flachkühler 1925 eingeführt wurden. Doch wie bei einigen anderen Marken waren sie offenbar bereits kurz vorher verfügbar, hier also wohl im Jahr 1924.

Andere ausländische Fabrikate waren in der Hinsicht übrigens noch früher zur Erkenntnis gelangt, dass vorn gebremste Räder eine überlegene Lösung gegenüber den bisher üblichen Getriebe- oder Kardanbremsen waren, welche die auf die Hinterachse wirkende Handbremse unterstützten. Dazu gelegentlich mehr.

Für heute sind wir am Ziel, und ich bin ziemlich sicher, dass die wenigsten nach dem bescheidenen Anfang am Ätna mit diesem Ausgang gerechnet hätten. Doch Fiat war damals ein Hersteller, der das gesamte Spektrum abdeckte – vom Kleinwagen bis zum Luxusauto.

Die Welt war auch in der Hinsicht eine andere, mag es die Marke Fiat noch geben und sogar die dreistellige, mit „5“ beginnende Typenbezeichnung über 100 Jahre überdauert haben…

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Austro-Daimler-Revue: vom AD 25 PS zum ADV

Eigentlich wollte ich es mir heute leicht machen und wieder einmal Bilder des Austro-Daimler AD6-17 PS vorstellen, die sich zwischenzeitlich eingefunden haben.

Bei der Sichtung der Aufnahmen begann ich jedoch über die Bedeutung kleiner Unterschiede im Erscheinungsbild zu grübeln, woraufhin ich die Literatur konsultierte (Franz Pinczolits; Austro-Daimler, 1986; Martin Pfundner: Austro-Daimler und Steyr, 2007).

Diese half mir aber nur bedingt weiter, da die dort gezeigten Aufnahmen teils mäßiger Qualität sind und äußere Details kaum beschrieben werden. Also versuche ich es einmal selbst, wobei einiges Mutmaßung ist.

Klar ist meines Erachtens, dass alle Typen von Austro-Daimler ab spätestens 1920 bis zum Erscheinen des Typs ADM anno 1923 einen Spitzkühler mit dekorativem Markenemblem wie hier zu sehen besaßen:

Austro-Daimler der frühen 1920er Jahre; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wie es scheint, nahm Austro-Daimler 1919 zunächst die Produktion der beiden Vorkriegsmodelle 9/20 PS und 14/32 PS mit Vierzylindermotoren wieder auf.

Die Leistung der Aggregate wurde etwas angehoben und die Frontpartie mit einem Spitzkühler nach obigem Muster versehen. Der kleinere Typ wurde nunmehr als AD 25 PS angeboten und wie üblich mit verschiedenen Aufbauten angeboten.

Ein besonders attraktives Exemplar davon ist mir vor längerer Zeit in Form dieses feschen Sport-Zweisitzers ins Netz gegangen:

Austro-Daimler AD 25 Sport-Zweisitzer um 1920; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Neben dem AD 25 PS wurde der deutlich größere AD 35 PS angeboten. Sein Radstand von 3,10 Metern erlaubte nun auch großzügige Tourenwagenaufbauten, die Platz für drei Sitzreihen und damit sechs bis sieben Insassen ermöglichten.

Wie bei allen bisherigen Austro-Daimlern befanden sich die Hebel für Handbremse und Gangschaltung auch beim aufgewärmten 35 PS-Modell noch rechts außen an der Karosserie – jedenfalls bei offenen Ausführungen. Das entnehme ich der Aufnahme eines Austro-Daimler auf Seite 127 des Standardwerks von Pinczolits.

Demnach müsste der Wagen auf folgendem Foto ebenfalls ein Austro-Daimler des mittelgroßen Vierzylindertyps AD 35 PS sein, wie er nach dem 1. Weltkrieg noch eine Weile gebaut wurde:

Austro-Daimler AD 35 Tourenwagen um 1920; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ich hatte dieses eindrucksvolle Fahrzeug bisher als den Nachfolgetyp AD6-17 identifiziert. Diese Neukonstruktion, die ab 1921 gebaut wurde, besaß ausweislich der Zeichnung, die auf S. 129 des Buchs von Pinczolits zu sehen ist, jedoch bereits Mittelschaltung.

Doch was macht man, wenn so ein Austro-Daimler von der „falschen“ Seite aufgenommen wurde wie folgendes Exemplar, das 1929 am Werbellinsee im nördlichen Brandenburg abgelichtet wurde?

Austro-Daimler AD6-17 Tourenwagen ab 1921; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Lediglich die deutlich schlichtere Gestaltung der Seitenlinie ohne die nach innen geneigte „Schulter“ ist hier ein Indiz für eine jüngere Entstehung.

Bestätigt wird der Eindruck, dass wir es hier bereits mit dem neuen Sechszylindertyp AD6-17 zu tun haben, durch ein zweites Foto desselben Wagens, was nebenbei den Wert auch technisch mäßiger Aufnahmen unterstreicht:

Austro-Daimler AD6-17 Tourenwagen ab 1921; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Das Fehlen außenliegender Hebel für Handbremse und Schaltung sagt uns, dass dies höchstwahrscheinlich ein AD6-17 war. Da an den Vorderrädern keine Trommelbremsen zu sehen sind, ist das äußerlich sonst identische Nachfolgemodell ADV auszuschließen.

Kein verlässliches Indiz für Typ oder Entstehungszeitpunkt scheint dagegen die Gestaltung der Schwellerpartie zwischen Trittbrette und Aufbau zu sein. Dort findet man bei Austro-Daimlern der frühen 1920er Jahre nämlich zum einen glatte Flächen wie oben und hier:

Austro-Daimler AD6-17 Tourenwagen ab 1921; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Zum anderen begegnet man einer bewussten Hervorhebung der Wartungspunkte für die hintere Blattfeder, die bei den damaligen Austro-Daimler-Wagen in Cantilever-Form ausgeführt war (dabei hing die Achse am hinteren Ausleger der Feder).

Diese Lösung erforderte zwei Wartungsdeckel (statt sonst einem), nämlich am vorderen Ende und in der Mitte (vor dem hinteren Kotflügel).

Es finden sich einige Fotos solcher Austro-Daimler-Wagen, bei denen diese Deckel sehr auffällig gestaltet waren wie hier – und zwar rund:

Austro-Daimler ADV ab 1922; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Übrigens hatte ich diesen Austro-Daimler bislang ebenfalls als AD6-17 angesprochen inzwischen meine ich aber, dass es sich um dessen Nachfolgetyp ADV handelt.

Dieser wurde 1922/23 eingeführt (die Angaben variieren) und besaß laut Literatur nunmehr Vorderradbremsen. Ob das von Anfang an der Fall war? Nun, angeblich ist das „V“ in der Modellbezeichnung ADV ein Hinweis darauf.

Dann wäre dieser Austro-Daimler eines der ersten Serienautos im deutschsprachigen Raum gewesen, der Vierradbremsen besessen hätte.

Für ein so starkes (60 PS) und schweres Reiseauto wäre das naheliegend gewesen. Gerade bei längerer Abwärtsfahrt sind gebremste Vorderräder ein Vorteil, weil dann dort die Hauptlast aufliegt und der Fahrer im Unterschied zur Kombination von Hand- und Getriebebremse beide Hände am Lenkrad halten kann.

Nach diesem etwas langatmigen Versuch, eine gewisse Systematik in die Spitzkühlermodelle von Austro-Daimler aus den 1920er Jahren zu bringen, will ich die verbleibenden Leser mit einem Schmankerl belohnen, an dem wir uns erfreuen und zugleich – wenn gewollt – unser vorläufiges Wissen erproben können:

Austro-Daimler AD6-17 Tourenwagen ab 1921; Originalfoto: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Diese schöne Aufnahme, die mir Leser Jason Palmer aus Australien in digitaler Form zur Verfügung gestellt hat, zeigt einen Austro-Daimler Tourer der frühen 1920er Jahre.

Zwar sehen wir hier nicht, ob Handbrems- und Schalthebel außen- oder innenliegend sind. Ich würde aber die sehr schlichte Gestaltung der Seitenlinie als Indiz dafür nehmen, dass wir es hier nicht mehr mit einem Vierzylindertyp AD 35 PS um 1920 zu tun haben.

Auch die Länge der Motorhaube scheint aus dieser Perspektive eher für den späteren Sechszylindertyp AD6-17 zu sprechen. Dessen Nachfolger ADV können wir aufgrund des Fehlens von Vorderradbremsen ausschließen.

Wie immer bei solchen nur oberflächlich dokumentierten Manufakturwagen ist zu bedenken, dass die Realität vielschichtiger war, als es die Literatur ahnen lässt. Es gab verschiedene Optionen beim Kauf sowie die Möglichkeit der späteren Nachrüstung bzw. des Umbaus einzelner Elemente – von daher ist mein heutiger Essay mit Vorsicht zu genießen.

Umso mehr bin ich an Ihrer Meinung und den Ihnen vorliegenden Dokumenten zu den Austro-Daimler-Typen mit Spitzkühler interessiert. Möglicherweise gab es schon beim Kühler selbst Varianten, die mir entgangen sind, vielleicht gab es Übergangsmodelle, bei denen schon Elemente des Nachfolgers wie die Mittelschaltung einflossen usw.

Jedenfalls finde ich die Premiumautomobile österreichischer Provenienz sehr spannend, zumal sie in Deutschland heute völlig unterbelichtet sind. Ach, eine Sache fällt mir noch ein:

Könnte das runde Objekt am Frontscheibenrahmen des Austro-Daimler auf dem Foto von Jason Palmer eine „Tax Disc“ sein, mit welcher britische Autobesitzer die gezahlte KfZ-Steuer nachwiesen?

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Drillingsforschung: Steyr-Typen II, V und VII

Die Zwillingsforschung ist ein interessantes Feld – geht sie doch anhand früh getrennter Zwillinge der Frage nach, inwieweit sich deren spätere Persönlichkeit und Entwicklung trotz unterschiedlicher Lebensumstände dennoch gleicht.

Die Ergebnisse fallen ungünstig für diejenigen aus, die für menschliches Fehlverhalten reflexartig die Gesellschaft, den Kapitalismus oder den weißen Mann verantwortlich machen. Denn offenbar ist manches Angeborene viel stärker als jedes Milieu.

Aber auch die Verfechter des absolut freien Willens müssen zur Kenntnis nehmen: Unsere genetische Prägung grenzt den tatsächlichen Spielraum unserer Entschlüsse und unseres Handelns erheblich ein.

Schon meine eigene Amateur“forschung“ anhand von Geschwisterpaaren in der eigenen Familie kommt zum Ergebnis: Es gibt ebenso ausgeprägte ererbte Persönlichkeitszüge wie anerzogene sowie – gern übersehen – selbst erarbeitete.

Was hat das mit Vorkriegautos zu tun? Nun, eine ganze Menge. Nehmen wir als Beispiel Charles W. Nash – den Gründer der gleichnamigen US-Marke. Seine Kindheit und Jugend hätten ihn nach üblichen Soziologen-Thesen zu einem Gewohnheits-Kriminellen oder zumindest Landstreicher machen müssen.

Mit sechs Jahre von den Eltern verlassen, dann zu einem Farmer in Obhut gegeben, der ihn schlecht behandelte. Mit zwölf rannte Charles davon, verdingte sich auf einer anderen Farm, lernte das Schreinerhandwerk, arbeitete dann in einem Lebensmittelladen, bei einem Kissenhersteller usw.

Wir überspringen einige berufliche Stationen. 1912 war Nash der Direktor von General Motors, 1916 gründete er seine eigene Automarke. Jemandem mit diesem Lebenshunger und Leistungsethos, mit dieser Laufbahn würde man doch eher jedes Staatsamt anvertrauen als jemandem ohne Berufs- oder Studienabschluss, nicht wahr?

Zurück zur Zwillingsforschung, die sich heute am besonders interessanten Fall von Drillingen abarbeitet.

Gegenstand der Betrachtung sind die drei Varianten des von Hans Ledwinka entwickelten Sechszylinderwagens, mit dem der östereichische Waffenhersteller Steyr 1920 in den Automobilbau einstieg und auf Anhieb erfolgreich war:

Steyr Typ II oder V; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Das neu geschaffene Steyr-„Waffenauto“, so eine zeitgenössische Bezeichnung, war äußerlich so markant wie technisch raffiniert.

Dank im Zylinderkopf v-förmig hängenden Ventilen und obenliegender Nockenwelle war der Motor hocheffizient und drehfreudig. Die Leistung von 40 PS reichte für gut 100 km/h Spitze.

Die ausgezeichnete Grundkonstruktion, die sich insbesondere im anspruchsvollen Terrain Österreichs bestens bewährte, wurde vom Steyr Typ II über den Nachfolger Typ V (1924) bis zum Typ VII (1925) beibehalten. Während Fahrwerk und Antrieb in Details verbessert wurden, blieb die Optik bis zur Einführung des Flachkühlers praktisch dieselbe.

So kann die obige Aufnahme sowohl einen Steyr Typ II als auch einen Typ V zeigen. Diese ernüchternde Erkenntnis verdanke ich dem österreichischen Steyr-Kenner Thomas Billicsich. Selbst die dritte Version – der Typ VII – unterscheidet sich äußerlich kaum.

Hier haben wir eine weitere Aufnahme, die einen Steyr mit identischem Aufbau zeigt – nur der runde Wartungsdeckel an der hinteren Blattfederaufnahme fehlt hier. Das mag kleinen Änderungen innerhalb ein und derselben Serie geschuldet sein:

Steyr Typ II oder V; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Während auch hier ungewiss bleibt, ob wir einen Steyr Typ II oder V vor uns haben (selbst der Typ VII ist nicht gänzlich ausgeschlossen), kann ich heute zumindest kleine Erfolge auf dem Feld der Drillingsforschung vermelden.

Denn während bei vielen Abbildungen dieser Steyr-Spitzkühlermodelle eine genaue Typansprache kaum möglich erscheint, gibt es doch Ausnahmen. Hier haben wir die erste, dank Leser Matthias Schmidt aus Dresden:

Steyr Typ II; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Dieser Steyr-Tourer besitzt eine meines Wissens nur beim frühen Steyr Typ II verbaute Karosssrie.

Sie unterscheidet sich von den sonst zu sehenden sehr schlicht und geradlinig gehaltenen Aufbauten durch die nach hinten ansteigende und leicht nach innen geneigten Schulterlinie. Dies war eine Ausführung, wie sie kurz nach dem 1. Weltkrieg im deutschprachigen Raum in Mode war, aber bald wieder zugunsten rein funktioneller Linienführung verschwand.

Man sieht auf dieser Aufnahme auch eine spezielle Verschlusskappe über der Wartungsöffnung an der vorderen Aufnahme der hinteren Blattfeder, die sich nur bei frühen Exemplaren des Steyr III findet, sofern man der Literatur trauen kann.

Übrigens ist auch die Türgestaltung archaischer als bei den beiden weiter oben gezeigten Exemplaren. Spätere Ausführungen des Steyr Typ II scheinen dann tatsächlich nahezu identische Aufbauten besessen zu haben wie der Typ V, jedenfalls beim Tourer.

Kommen wir nun zum letzten Objekt unserer Drillingsforschung – meines Erachtens ein Steyr des späten Spitzkühlertyps VII mit 50 statt 40 PS bei gleichem Hubraum (3,3 Liter):

Steyr Typ VII; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Verzeihen Sie zunächst die mäßige Qualität dieser Abbildung. Das Originalfoto ist wesentlich größer, stark verblasst, fleckig und ziemlich unscharf. Mehr ließ sich trotz einiger Korrekturen leider nicht herausholen.

Jetzt könnten Sie ja fragen, woran überhaupt zu erkennen ist, dass dies ebenfalls ein Steyr ist. Solche Spitzkühler-Tourer gab es schließlich auch von einigen anderen Herstellern, beispielsweise Simson aus Suhl (Thüringen).

Nun, es ist die Summe mehrerer Übereinstimmungen, die mein Urteil begründet: die Position der Schublade oder Klappe im Schweller, die Form der Türen, die Gestaltung der Nabenkappen, die Zahl von Radbolzen und -speichen sowie die ansatzweise zu erkennenden hohen Luftschlitze in der hinteren Hälfte der Motorhaube.

Ein Detail weicht aber ab – haben Sie’s bemerkt?

Dieser Stey weist als einziger der bisher gezeigten eindeutig Vorderradbremsen auf – die großen Trommeln sind klar zu erkennen. Das ist – wenn ich die Literatur richtig interpretiere – ein dem Steyr Typ VII ab 1925 vorbehaltenes Merkmal.

Hinweise auf zumindest optional erhältliche Vorderradbremsen beim immerhin bis 1925 gebauten Typ V konnte ich nicht finden. Mich wundert das ein wenig bei einem ganz klar als Reisewagen für den Alpenraum konzipierten Automobil.

Da verbaute man einen Tank im Heck, der – halten Sie sich fest – satte 100 Liter fasste und ergänzte einen Reservetank mit nochmals 60 Litern Volumen vor der Frontscheibe. Das reichte locker, um von Salzburg nach Florenz ohne Tankstopp zu fahren.

Und ausgerechnet für so einen geborenen Alpenbezwinger soll es 1924/25 (Steyr Typ V) keine Vorderradbremsen gegeben haben? Kann ich kaum glauben.

Vielleicht lässt sich dieser Punkt von sachkundiger Seite noch klären. Auch sonst sind ergänzende/korrigierende Hinweise zu den Ergebnissen meiner heutigen Drillingsforschung wie immer willkommen – schöne Fotos solcher Steyr-Wagen aber auch!

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Braucht bloß etwas Vorbereitung: Citroen B14 Tourer

Autos und Zweiräder der Vorkriegszeit gehören zu den wenigen Zeitmaschinen, die einen zuverlässig in die Welt von gestern zurücktransportieren.

Zusammen mit einer mechanischen Sucherkamera, einem Grammophon und einer Schreibmaschine ist man mit nahezu allem ausgestattet, was damals an „moderner“ Alltagstechnologie verfügbar war – sofern man das Kleingeld dafür hatte.

Doch schon eine Landpartie mit dem Automobil braucht etwas Vorbereitung. Der Wagen hat nämlich den Winter über in der Garage gestanden. Da kann man nicht einfach losfahren. Also schauen wir erst nach Reifendruck, Benzin, Kühlwasser und Ölstand, alles in Ordnung.

Während der Standzeit ist das Motoröl nach unten abgesackt – bei einem Kaltstart würden Bauteile wie die Ventile eine Weile ohne Schmierstoff arbeiten müssen – nicht gut.

Also drehen wir den Motor bei ausgeschalteter Zündung etliche Male mit der Anlasserkurbel durch – je nach Hubraum schrauben wir zuvor die Zündkerzen heraus, dann geht’s leichter, weil der Verdichtungsdruck der Kolben nach außen entweichen kann.

Als nächstes wird dem Vergaser frischer Sprit zugeführt. Bei Wagen mit Tank im Heck erledigt das während der Fahrt eine mechanische Benzinpumpe am Motor.

Doch zum Start müssen wir an dieser erst einmal von Hand Kraftstoff nach vorne fördern, sonst orgeln wir endlos beim Anlassen. Bei manchen Modellen flutet man noch die Schwimmerkammer des Vergasers von Hand. Spannend ist das, nicht wahr?

Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dann den Zündzeitpunkt am Lenkrad oder Armaturenbrett auf „spät“ gestellt, sofern keine Automatik vorhanden, und die Luftzufuhr am Vergaser gedrosselt („Choke“), damit das Gemisch möglichst „fett“ und entsprechend zündwillig ist.

Schalthebel in Leerlaufposition und Zündung betätigt – nach kurzer Zeit springt der Motor an – so sollte es jedenfalls sein. Wenn nicht, hat man ein Problem…

Wir haben heute keine Probleme, denn mit etwas Vorbereitung läuft alles wie geschmiert unter der Haube und wir kommen zuverlässig ans Ziel – heute mit einem Citroen B14 Tourer!

Um auf der sicheren Seite zu sein, machen wir uns erst einmal mit einer Limousine dieses von 1926-28 auch im Kölner Citroen-Werk gebauten Typs vertraut:

Citroen B14 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wenn ein Taxifahrer wie in diesem Fall einen solchen Wagen wählte, war das im Regelfall ein Qualitätsausweis. Tatsächlich vertrauten in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre auch viele deutsche Käufer auf dieses französische Modell – zumal es devisenschonend fast vollständig mit heimischen Materialien und Vorprodukten gefertigt wurde.

Wir behalten aber nur ein Detail dieses Wagens im Hinterkopf: das Schubfach in der Schwellerpartie mit den beiden glänzenden Knöpfen.

Diesem begegnen wir im Rahmen unserer Vorbereitungen gleich wieder, jetzt an einem Citroen B14, der am Klausenpass eine Pause zur Abkühlung des Motors einlegte:

Citroen B14 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier registrieren wir erneut auch die acht schmalen und hohen Entlüftungsschlitze in der hinteren Hälfte der Motorhaube sowie die vier Radbolzen an den Scheibenrädern, diesmal sogar mit einer verchromten Kappe versehen.

Bis auf die erwähnte Schublade im Schweller sehen wir alle diese Details auf der folgenden Aufnahme wieder, die einen weiteren Citroen B14 zeigt – nun aber in der preisgünstigeren Tourenwagenausführung.

Diese besitzt aber immerhin eine Zweifarblackierung und eine zusätzliche Windschutzscheibe für die Passagiere auf den hintersten Sitzen:

Citroen B14 Tourer; Familie von Hermann König

So, das war jetzt aber genug der Vorbereitung. Wir haben unterdessen unseren Wagen klargemacht, zum Laufen gebracht und uns vergewissert, dass keine ungewöhnlichen Geräusche auftreten oder Flüssigkeiten austreten.

Dann kann’s ja losgehen – denn heute steht eine beschauliche Landpartie an. Die Schwiegermutter will besucht werden bzw. will die Tochter wieder einmal mit allerlei Weisheiten zu Ehealltag und Haushaltsführung bedenken.

Irgendwann ist dort der Kuchen verputzt, der Kaffee getrunken und der Gesprächsstoff erschöpft – zum Glück hat man ein Automobil und damit einen Vorwand, sich rechtzeitig zu absentieren: „Muss jetzt noch nach dem Wagen schauen, liebe Schwiegermama, Du weißt ja: Diesen Franzosen ist nicht zu trauen, da hilft nur deutscher Ordnungssinn!“

Draußen am Auto zündet sich der Automobilist erst einmal eine Zigarette an. Dann schaut er bei geöffneter Haube nach der Kraftstoffzufuhr – auf der Hinfahrt hatte der Motor unterwegs etwas geruckelt. Sieht aber alles dicht aus, vielleicht waren noch ein paar Rückstande im Tank, die kurzzeitig im Vergaser hängengeblieben waren.

Schon tritt die bessere Hälfte vor die Tür, verdreht die Augen und bedeutet: „Lass‘ uns bloß losfahren, für heute habe ich genug Belehrung erfahren“.

Das ist das erhoffte Signal, es kann losgehen und der Citroen fliegt mit Tempo 80 zurück über die Landstraße. Allerdings will es das Gesetz des Automobilismus, dass man noch eine Pause im Wald einlegt, um dem Wagen Gelegenheit zur Abkühlung zu geben und den Besuch bei der Schwiegermutter mit einem Kontrastprogramm zu kompensieren.

Darunter kann man sich jetzt alles Mögliche vorstellen, jedenfalls gehört es dazu, dass man unter diesen Umständen die bessere Hälfte am Lenkrad des Wagens ablichtet. Auch in dem Moment erweist sich der Wert einer guten Vorbereitung.

Denn hier stimmen nicht nur die Blende und Belichtungszeit der Kamera, sondern auch die Wiedergabe der Details, die wir benötigen, um genau zu wissen, was das für ein Auto war:

Citroen B14 Tourer; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ganz ehrlich: Ohne die frühere Beschäftigung mit dem Modell B14 von Citroen wäre ich wohl nie darauf gekommen, was das für ein Auto ist. Das Foto war schon einige Zeit Bestandteil meines Fundus, bis irgendwann der Groschen fiel.

Nebenbei: Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass es nur wenige historische Autofotos gibt, die man von vornherein als hoffnungslosen Fall abschreiben kann. Nicht immer entdeckt man auf solchen zunächst unzugänglichen Aufnahmen Raritäten, doch manchmal auch das.

Wir sind heute jedenfalls glücklich mit dem Resultat unserer soliden Vorbereitung und werfen noch einen genaueren Blick auf den Citroen:

Sehen Sie sich einmal Größe und Neigung des Lenkrads an – man weiß, was damit anzustellen ist, aber das sieht noch ziemlich anders aus als das, was heute der billigste Kleinwagen zu bieten hat.

Immerhin scheint dieser Citroen einen elektrisch betriebenen Scheibenwischer besessen zu haben – darauf deutet der Motor oben an der Frontscheibe hin. Links von dieser ist der elektrisch ausklappbare Fahrtrichtungsanzeiger zu sehen, das war’s mit dem Komfort.

Werfen wir noch einen abschließenden Blick auf die Heckpartie des Wagens, wenn sich schon so eine Gelegenheit ergibt. Leider ist diese Partie dadurch beeinträchtigt, dass bei der Aufnahme unerwünschtes Seitenlicht in die Kamera eintrat:

Immerhin sehen wir hier gut die vor den rückwärtigen Passagieren angebrachte zweite Windschutzscheibe – ein nicht ganz alltägliches, aber sinnvolles Zubehör.

Studieren lässt sich außerdem ungewöhnlich gut die Befestigung des Verdeckgestänges sowie die Gestaltung des am Heck angebrachten Gepäckkoffers. War man an diesem Tag vielleicht doch nicht nur die Schwiegermutter besuchen gewesen?

Hatte man gar eine Fernreise unternommen? Ein verlockender Gedanke. Braucht nur etwas Vorbereitung, dann könnte es losgehen, von mir aus sehr gern im Citroen B14.

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Vor 110 Jahren: Winterfreuden im Automobil

Nun ist er da – der Winter. Nach dem üblichen Schmuddelwetter um die Weihnachtszeit fallen die Temperaturen in meiner Heimatregion – der klimatisch begünstigten Wetterau – nachts unter null Grad und morgens ist Schneeschieben angesagt.

Das weiß ich schon jetzt, während ich am Schreibtisch sitze, auf dem es sich meine Katze „Ellie“ gemütlich hat – die Banker’s Lamp mit der guten 60 Watt-Birne wärmt ihr den Pelz.

Der Wetterbericht verbreitet wie neuerdings bei jeder Gelegenheit Panik und es gibt genügend Zeitgenossen, die sich davon anstecken lassen. Heute nachmittag fuhr doch tatsächlich einer bei plus 1,5 Grad auf feuchter Landstraße mit 45-55 km/h vor mir her.

Da der Gegenverkehr ein Überholen nicht zuließ, beschloss ich, mich nicht zu echauffieren. Stattdessen genoss ich das Gleiten durch die Landschaft mit Sitzheizung und 20 Grad Innentemperatur.

Solchen automobilen Luxus gab es vor dem 1. Weltkrieg (und noch lange Zeit danach nicht). Und dennoch war schon der Besitz irgendeines Kraftfahrzeugs der reine Luxus.

Man macht sich keine Vorstellung davon, wie besch…en der Alltag der meisten Leute war, die jeden Tag zu Fuß, mit dem Pferdewagen oder bestenfalls mit Fahrrad oder Straßenbahn zur Arbeit oder zu allerlei Besorgungen unterwegs sein mussten – das ganze Jahr über.

Ja, mag jetzt einer sagen, aber war denn das Autofahren in der Vorkriegszeit nicht auch eine Plage? Auf den ersten Blick will das so scheinen – jedenfalls wenn man solche Fotos als Beweismittel heranzieht:

Brennabor Typ AL 10/45 PS Pullman-Limousine, Bauzeit: 1927-29; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Zweifellos: Ohne Schneeketten konnten überfrorene Partien schon einmal zu solchen Situationen führen, bei denen Handarbeit angesagt war. Natürlich blieben die Damen dann im Wagen, denn das war (und ist) Männersache wie ein Reifenwechsel.

Aber ganz so schlimm kann es nicht gewesen sein, denn zum einen hatte man eine Kamera dabei, um die Situation festzuhalten, zum anderen wusste man sich zu helfen und schon bald ging es weiter.

Nur weil Schnee lag, konnte man ja nicht einfach das Leben einfrieren, nicht wahr?

Wer auf ein Auto angewiesen war wie etwa ein Landarzt oder ein Geschäftsmann, für den ging der Alltag selbstverständlich weiter – für professionelle Fahrer erst recht:

Dixi Typ 6/24 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser junge Fahrer, der offenbar einen hohen Angestellten der Reichspost chauffierte, konnte sich kaum mit „gefährlichen Straßenverhältnissen“ herausreden – er musste unter solchen Bedingungen ebenso zuverlässig zu Diensten stehen wie sein „Dixi“ aus Eisenach.

Erst recht kein Pardon wurde bei der Armee gegeben. Im Zweifelsfall mussten mehrere Männer gemeinsam anpacken, um einen im Schnee festgefahrenen Wagen zu befreien wie diesen großen NAG irgendwann und irgendwo im Ersten Weltkrieg:

NAG Chauffeur-Limousine; originale Feldpostkarte aus Sammlung Michael Schlenger

Immerhin verfügten diese Soldaten über angemessene Winterkleidung. Das war bekanntlich auf deutscher Seite im Zweiten Weltkrieg nicht immer Fall.

In der offenbar unausrottbaren Überheblichkeit von Schreibtischtätern meinte man in Berlin anno 1941 „den Russen“ leichterhand besiegen zu können – zu Weihnachten würde man wieder zuhause sein.

So sind Bilder wie das folgende zu erklären, auf dem junge Wehrmachtssoldaten an der Ostfront zu sehen sind. Sie kümmern sich um ein beschlagnahmtes Horch-Cabriolet , das einem Vorgesetzten zugeteilt worden war:

Horch-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Natürlich war das ein für den Militäreinsatz völlig ungeeignetes Fahrzeug, nicht nur im Winter – aber Prestige war manchen Offizieren wichtiger als praktischer Nutzen. Und genügend Menschenmaterial war vorhanden, um die Fuhre bei Bedarf anzuschieben.

Bilder solcher Schinderei von Mensch und Maschine haben die Landser tausendfach nach Hause geschickt – erstaunlich, dass man mit dem aus Zivil-PKW bunt zusammengewürfelten Wehrmachts-Fuhrpark einst überhaupt soweit kam.

Leider scheinen diejenigen, die in diesen Tagen erneut meinen, dass deutsches Material nun wirklich den Sieg über den Russen bringen werde (selbst aber noch keinen scharfen Schuss abgegeben haben), nichts aus dem Fiasko gelernt zu haben, das sich aus deutscher Überheblichkeit im 2. Weltkrieg im Osten ergab.

Zurück zum Winterthema. Nachdem wir bisher überwiegend Fotos von Automobilen im Schnee gesehen haben, die aus irgendeiner Notwendigkeit unterwegs waren, wenden wir uns nun der Luxuskategorie zu.

Damit meine ich Aufnahmen solcher Fahrzeuge, die einst aus reinem Vergnügen auf verschneiten Straßen zum Einsatz kamen. Dabei lassen wir die Uhr rückwärtslaufen, was ohnehin in mancherlei Hinsicht erstrebenswert ist.

Den Anfang macht dieser Audi 225 Front, der mit seinem Vorderradantrieb einst über besonders gute Traktion im Winter verfügte:

Audi „Front“ Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dass man auch mit Heckantrieb einigermaßen sicher im Winter unterwegs sein kann, das weiß ich aus eigener Anschauung. Als Student absolvierte ich einst auch im Winter meine Wochenendtour zur Freundin nach Aachen mit dem heckgetriebenen 1200er Käfer.

Aus Kostengründen, aber auch ein wenig aus Trotz, absolvierte ich meine Touren über die A45 und die A4 auch im Winter stets mit Sommerreifen (mit reduziertem Luftdruck).

Einige Mal kam ich dabei auf verschneiter Straße im Mittelgebirge in haarige Situationen. Die unangenehmste war die, dass ich plötzlich ein Räumfahrzeug vor mir hatte, dass mit Salz um sich warf. Das wollte ich meinem Volkswagen nun auf keinen Fall zumuten.

Also wechselte ich auf die linke Spur, überholte das Gerät und fuhr über die zugeschneite Autobahn heim. Allerdings hatte ich nach dem Führerschein auch ein Sicherheitstraining absolviert, bei dem ich Fahren, Bremsen und Lenken auf glatter Fahrbahn gelernt hatte.

Jedenfalls lässt sich gerade mit schmalen Reifen mit eher großem Durchmesser im Winter auch ein Auto mit simplem Profil und primitivem Fahrwerk so verlässlich bewegen, dass man eine Vergnügungstour wie dieser Austro-Daimler ADM unternehmen kann:

Austro-Daimler ADM; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Im Alpenraum war und ist man ohnehin gewohnt, bei winterlichen Verhältnissen zurechtzukommen.

Wäre das in den 1920er Jahren mit dem damaligen Material völlig verrückt gewesen, hätten sich diese Damen kaum zu einem solchen Ausflug überreden lassen.

Hier haben wir sie nochmals aus anderer Perspektive im selben Auto bei gleicher Gelegenheit:

Austro-Daimler ADM; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ja, natürlich fuhr man offen bei einer solchen Gelegenheit, schließlich wollte man etwas sehen. Auch das ein Aspekt, der manchem „Schneeflöckchen“ von heute, dem die Wahrung der „Work/Life“-Balance schwer zu schaffen macht, zu denken geben sollte.

Nur wenn es wirklich dicke kam und es vom Himmel herunterhaute, bevorzugten auch unsere Altvorderen die Vorzüge eines Daches über dem Kopf, wenn es im Auto auf Tour ging.

Das perfekte Beweisfoto will ich Ihnen heute zum Schluss dieser kleinen Winterreise präsentieren. Ich habe bislang nichts gefunden, was hiermit vergleichbar wäre:

Mit diesem Dokument geht es ziemlich genau 110 Jahre zurück in die Vergangenheit.

Wir schauen durch den Sucher einer Kamera, die jemand mitten im Schneetreiben betätigt hat. Schon eine Weile fegt der Wind die Flocken von links fast waagerecht durch die Luft.

Doch davon lässt sich dieses Paar – und erst recht nicht der vorbildlich posierende Hund auf dem Trittbrett – beirren. Die Skier sind auf der linken Wagenseite fest verzurrt, auf der Gepäckbrücke am Heck sind zwei große Koffer befestigt.

Hier war jemand wild entschlossen, so ziemlich das Luxuriöseste zu unternehmen, was man damals unternehmen konnte – von einer Ozeanüberquerung oder Fahrt im Orient-Express abgesehen: einen Ausflug in ein Wintersportgebiet im eigenen Automobil!

Was das für ein Auto war, dem man sich so selbstverständlich anvertraute, konnte ich bisher nicht herausfinden. Das ist aber auch ausnahmsweise nicht wichtig.

Anhand von Details wie den Gasscheinwerfern an der Front, den elektrischen Parklichtern vor der Frontscheibe und dem sanften Anstieg der Motorhaube würde ich sagen, dass dieses Fahrzeug zwischen 1912 und 1914 gebaut wurde.

Damals wusste man mit solchen Verhältnissen umzugehen, konnte ihnen sogar einen sportlichen Aspekt abgewinnen. Nicht auszudenken, wenn sich unser immerwandelndes Klima wieder einmal in diese Richtung bewegt.

Andererseits: für Kenner und Könner wären das Winterfreuden wie vor 110 Jahren!

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Perlentaucher: Frisch an Land gezogene Fotoschätze

Die Welt der Oper hat sich mir erst spät erschlossen. Als Schüler entdeckte ich zunächst die Welt der klassischen Symphonik und tauschte in der Pause einschlägige CDs – Mitte der 1980er Jahre das Nonplusultra der Musikwiedergabe – mit Gleichgesinnten, darunter meinem diesbezüglich bestechlichen Deutschlehrer.

Später lernte ich die Kammermusik lieben – speziell die Streichquartette von Beethoven und Schubert. Irgendwann kamen Werke von Bach sowie die Musik des italienischen Barock hinzu.

Vor fünf Jahren war ich dann reif für die nächste Horizonterweiterung und begann intensiv Operneinspielungen unter Mitwirkung von Maria Callas zu hören. Mit solcher „Begleitmusik“ sind viele meiner seither verfassten Blog-Einträge entstanden.

Auch wenn Sie vielleicht nicht den Zugang zu dieser Kunst gefunden haben, verdanken sie ihr etwas – nämlich einen Gutteil der Energie und Stimmung, die mich erfüllt, wenn ich nächtens meine Improvisationen zu einem so profanen Gegenstand wie Vorkriegsautos niederschreibe.

Wenn ich mich zu einer Art Perlentaucher in dieser Hinsicht entwickelt habe, möchte ich aber auch das inspirierende Wirken etlicher Mitstreiter würdigen, die aus den Tiefen der Vergangenheit beständig Schätze an die Oberfläche unserer Tage bringen.

Einigen von ihnen ist der heutige Blog-Eintrag gewidmet. Da es sich um Zeitgenossen handelt, die kein großes Aufsehen um ihre Person nötig haben, finden sie nur in den Bildunterschriften der Fotofunde Erwähnung, die ich heute präsentieren will.

Diese Aufnahmen haben zwei Dinge gemeinsam: Zum einen sind sie von erlesener Qualität, zum anderen ist nach wie vor rätselhaft, was für Automobile darauf abgebildet sind. Vielleicht lässt sich mit Ihrer Hilfe, werte Leser, ja das eine oder andere Mysterium auflösen.

Den Anfang macht dieses Foto:

unidentifizierter Tourenwagen um 1912; Originalfoto aus Sammlung Bart Buts (Belgien)

Hier haben wir einen typischen Tourenwagen aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg, wie die gasbetriebenen Scheinwerfer verraten – der zugehörige Karbidentwickler ist auf dem Trittbrett montiert.

Der steil aufragende Windlauf vor der Frontscheibe spricht gegen eine Entstehung um 1913/14, man findet ihn meist an Fahrzeugen bis 1912, jedenfalls im deutschen Sprachraum, wo diese Aufnahme entstand.

Solche schrägstehenden Luftschlitze finden sich damals bei Marken wie Horch und Opel, waren dort aber anders ausgeführt, außerdem passt die Kühlergestaltung nicht dazu.

Die Zahl von 12 Radspeichen spricht für eine relativ starke Motorisierung, meist finden sich nur deren zehn. Auch das Platzangebot mit drei Sitzreihen spricht für ein gehobenes Modell.

Da im Einzelfall eine Spezialkarosserie verbaut worden sein kann, ist letztlich nur der Kühler ein verlässlicher Lieferant von Hinweisen auf die Marke – wer hat eine Idee?

Wir wenden uns unterdessen dem nächsten Fotofang zu, diesmal einem, der laut dem dafür verantwortlichen Perlentaucher aus England stammen dürfte:

unidentifizierter Tourenwagen um 1912; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Bei britischen (und französischen) Fahrzeugen aus der Zeit vor 1920 gelten die im deutschsprachigen Raum bewährten Regeln nicht, was die Datierung anhand der Gestaltung der Frontpartie angeht.

Dort findet man solche traditionellen Aufbauten, bei denen die Motoraube unvermittelt im rechten Winkel auf die Windschutzscheibe trifft, nämlich noch bis Kriegsaubruch, teilweise darüber hinaus.

Die Kleidung der Damen im Heck spricht für die Zeit bis 1914, während der Fahrer in dieser Montur auch ohne weiteres noch in den 20er Jahren hätte unterwegs sein können.

Der Zustand des Wagens spricht aus meiner Sicht aber dafür, dass das Foto entstand, als das Auto noch fabrikneu war – ich tippe auf 1910 bis 1914.

Während Sie vielleicht sinnieren und recherchieren oder sich schlicht über die arrogante Pose des Hundes amüsieren, schreiten wir fort mit der Sichtung dessen, was unsere Perlentaucher in letzter Zeit zutagegefördert haben:

unidentifizierter Tourenwagen um 1920; Originalfoto aus Sammlung Jason Palmer (Australien)

Wer sich in diesen Dingen auskennt oder schon eine Weile meinen Blog verfolgt, wird dieses Fahrzeug vermutlich auf Anhieb als deutschen Tourenwagen aus der Zeit kurz nach dem 1. Weltkrieg ansprechen.

Damals war die ausgeprägte „Schulter“ entlang der Flanke des Wagens hierzulande ebenso Mode wie die Verwendung schnittiger Kühler nach Vorbild von Daimler und Benz. Dummerweise gab es diese auch als Nachrüstteil im Zubehör, und meist findet sich dann kein Markenemblem darauf.

Auch die keilförmig ausgestellten Luftschlitze in der Haube sollte man nicht überbewerten. In seltenen Fällen (hier) sind sie markenspezifisch, doch meist sind sie bloß modischer Akzent.

Obiger Wagen, der wieder einmal einen der mittig angebrachten monumentalen Suchscheinwerfer trägt, die allen möglichen Zwecken einschließlich schnöder Angeberei gedient haben können, mag also am Ende irgendein 0815-Fabrikat gewesen sein.

Das Gegenteil möchte man spontan von dem folgenden Fahrzeug annehmen:

unidentifizierter Zweisitzer ab 1910; Originalfoto aus Sammlung Jörg Pielmann

Bei der an eine umgedrehte Schaufel erinnernden Motorhaube und dem dahinterliegenden Kühler möchte man spontan an einen Renault denken.

Sicher, diese Marke ist am bekanntesten für diese ikonische Konstellation, aber sie lieferte damit zugleich das Vorbild für zahllose Kopien und Lizenznachbauten – übrigens auch in Deutschland, wo der abgebildete Wagen zugelassen war.

Zwar neigt mancher hierzulande auf dem Automobilsektor (und nicht nur dort) sich für die Krone der Schöpfung zu halten, aber vergessen wir folgendes nicht:

Nachdem deutsche Hersteller das Auto aus der Wiege gehoben haben, waren es französische Marken, die es alltagstauglich gemacht und über den Rang eines Kuriosums oder Spielzeug für Superreiche oder Sportsmänner hinaus entwickelt haben.

Eine derartige Masse von Autobauern um die Jahrhundertwende wie in Frankreich hat es in dieser entscheidenden Phase in Deutschland nicht annähernd gegeben und die meisten hiesigen Hersteller mussten zuerst französisch Modelle studieren oder nachbauen, bevor sie den Anschluss an die internationale Entwicklung fanden.

Mit so einem Fall könnten wir es hier zu tun haben, es könnte sich aber auch um eines der in die hunderten gehenden französischen (und belgischen!) Fabrikate jener Zeit handeln.

Dabei liefert die ans Skulpturenhafte grenzende Karosserie keinerlei Hinweis – solche meisterhaft von Hand geformten Aufbauten als Sportzweisitzer waren gang und gebe.

So viel zum Ertrag einiger unserer eifrigsten Perlenfischer aus der jüngeren Zeit. Was aber habe ich selbst zu dieser Kategorie unbekannter Schätze beizutragen?

Nun, normalerweise halte ich mich so lange zurück, bis ich einen solchen Fund zumindest einigermaßen genau ansprechen kann. Doch umfasst mein Fotobestand dermaßen viele unidentifizierte Fahrzeuge, dass ich heute gern die Schatulle öffne und eines davon zeige:

unidentifizierter Roadster um 1925; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Schön, nicht wahr? Während die heitere Gesellschaft auf diesem Foto ein Orientierungsproblem bloß simuliert, haben wir indessen ein echtes.

Was soll das für ein Zweisitzer mit Roadsteraufbau sein? Gehen wir systematisch heran: Linkslenkung, ein Indiz für eine Entstehung ab 1925. Winzige Bremstrommeln (wie es scheint auch vorne), Cycle-Wings mit angesetzten Innenkotflügeln und schmale Drahtspeichenräder, das deutet auf einen Wagen der Klasse unter 1 Liter-Hubraum mit weniger als 20 PS hin.

So viele Autos in dieser Machart gab es in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre aber nicht mehr. Könnte das im Raum Baden zugelassene Auto ein Eigenbau gewesen sein? Die kantigen Formen ab der Frontscheibe bis zum Heck würden dazu passen.

Jedenfalls ein Dokument von großem Reiz, selbst wenn sich wohl nicht mehr zuverlässig ermitteln lässt, was für ein Fahrzeug darauf zu sehen ist.

Man soll aber nie aufgeben in dieser Hinsicht, manche verlorengeglaubte Perle findet doch eines Tages noch zurück ans Licht. Damit komme ich am Ende zum eingangs angerissenen Thema Oper zurück – denn dort gibt es ebenfalls das Phänomen der Perlentaucher.

Eine bedeutende Vertreterin dieser Profession war die erwähnte Maria Callas, die etliche in Vergessenheit geratene Werke zurück auf die Bühne brachte und ihnen mit ihrer atemberaubenden Präsenz und Hingabe neues Leben schenkte.

Für die Opernfreunde unter meinen Lesern möchte ich den heutigen Blog-Eintrag mit einer eigenen Trouvaille abrunden. Wie es der Zufall will, trägt das Werk den passenden Namen: „Les pêcheurs de perles“ – „Die Perlenfischer“, geschrieben von George Bizet 1863.

Das Werk war wohl aufgrund seines indischen Sujets kein großer Erfolg und ist heute kaum noch bekannt, während Bizets Gassenhauer-Oper „Carmen“ fast jeder kennt.

Erst dieser Tage, stieß ich auf ein Duett aus den Bizetschen „Perlenfischern“, noch dazu in deutscher Fassung – gesungen von Hermann Prey und dem einzigartigen Fritz Wunderlich.

Ja, zwar gibt es solche Stimmen längst nicht mehr, doch sie sind nur scheinbar verstummt und sprechen zu uns Perlenliebhabern so lebendig wie die Automobilfotos von einst…

Videoquelle: YouTube.com; hochgeladen von Addiobelpassato

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.