Das Jahr beginnt sich dem Ende zuzuneigen – das Geschäft lässt nach und meine Kunden bitten um Einreichung letzter Rechnungen. Die zwei, drei Wochen vor dem Jahreswechsel sind die einzigen, in denen ich Liegengebliebenes sichten und aufarbeiten kann.
Die bisher wertvollste Aktion in wirtschaftlicher Hinsicht war ein Tarifwechsel in meiner privaten Krankenversicherung. Mit nunmehr 1000 EUR Selbstbehalt pro Jahr ließ sich die Monatsprämie fast halbieren und weit günstiger als die gesetzliche Variante ist die Sache ebenfalls immer noch.
Wer glaubt, dass Privatversicherte alles erstattet bekommen und immer den höchsten Standard genießen können, der ist schief gewickelt – das wäre unbezahlbar, wenn man nicht gerade sechsstellig pro Jahr verdient.
Da es kaum Umverteilung nach Einkommen innerhalb der privaten Tarifgemeinschaft gibt, bekommt man im Lauf der Zeit die unbarmherzige Logik versicherungsmathematischer Kalkulation zu spüren – gesetzlich Versicherte ahnen nichts davon (was fatale Fehlanreize setzt). Für mich als Ökonomen ist das in Ordnung.
Die nächste wertvolle Aktivität – nunmehr in ideeller Hinsicht – war das Durchgehen des Stapels an Dokumenten auf meinem Tafelklavier von 1800 – ein Stück von Thomas Preston aus London, an dem nur noch einige Tasten funktionieren, vor vielen Jahren bei ebay für den Gegenwert einer alten Vespa gekauft (dies zum Beweis, dass sich der Blogwart nicht nur für altes Blech erwärmt).
Dort entdeckte ich nun etwas wieder, was mich zum heutigen Blog-Eintrag veranlasste. Fortuna wollte es zudem, dass ich heute abend einen noch unbearbeiteten Abzug auf meinem Schreibtisch wiederfand, der zu der Entdeckung auf dem Tafelklavier passt.
Ob das nun ein Fall für Spezialisten ist oder eher nicht, das werden wir im Folgenden anhand des leicht überarbeiteten Fotos klären:

Eine schöne Aufnahme zweifellos, aber sicher kein Fall für Experten, oder?
Der herzförmige Kühlergrill, die drei waagerechten Haubenschlitze und das einem Thorshammer ähnelnde Markenemblem lässt keinen Zweifel: Das ist ein Röhr „Junior“ 6/30 PS – ein von 1933-35 hergestellte Lizennachbau des Tatra 75.
Das Modell, das den Röhr-Werken aus Ober-Ramstadt aus ihrer durch Bau genialer, aber unrentabler Wagen selbstverschuldeten Misere helfen sollte, wurde nach meinem Eindruck vor allem als Cabrio-Limousine verkauft.
Jedenfalls besaß keiner der bisher von mir vorgestellten Wagen dieses Typs einen geschlossenen Aufbau wie das Exemplar auf obigem Foto.
Das macht diese Limousine noch nicht zum Fall für Experten, denn sie ist in der Literatur gut dokumentiert – die Karosserien kamen von Drauz aus dem nahegelegenen Darmstadt.
Das kann man alles so schon in der Standardliteratur zu deutschen Vorkriegsautos nachlesen. Doch ist die Marke Röhr selbst ein klarer Fall für Experten – für „den“ Experten, um es genau zu sagen, nämlich Werner Schollenberger.
Er hat unter anderem im humorvoll benamten Karren Verlag eine detailreiche Betrachtung unter dem Titel „Röhr – Die Automobilkonstruktionen von Hans-Gustav Röhr und Joseph Dauben“ vorgelegt.
Der Röhr Junior spielt dort nur eine untergeordnete Rolle, denn er war ja keine echte Röhr-Konstruktion mehr. Doch ist es das Exemplar dieser empfehlenswerten Publikation, das ich heute wiederfand, welches mich inspirierte.
Leser Gottfried Müller hat es mir vor einiger Zeit mit einer freundlichen Widmung vermacht – vor allem aber versehen mit dieser Originalzeichnung von eigener Hand:
Auf gekonnte und zugleich ironische Weise wird hier das Spezialistentum illustriert, das sich im Zuge jahrelanger Beschäftigung mit Vorkriegsautos entwickeln und praktizieren lässt.
Für dieses herrliche Opus möchte ich mich bei der Gelegenheit in aller Öffentlichkeit bedanken, ebenso für die Übersendung besagten Röhr-Buchs, das auch ein treffliches Weihnachtsgeschenk abgibt.
Jetzt kommt das „aber“: Ich selbst verstehe mich gar nicht als Experte – jedenfalls nicht für irgendeine Vorkriegsmarke. Auch „weiß“ ich nur das über einzelne Hersteller und Fahrzeugtypen, was andere bereits irgendwo nieder- oder selber abgeschrieben haben.
Von daher sehe ich mich eher als Universalist, der sich für (fast) alles interessiert und von allem etwas versteht, aber von nichts Genaueres als andere weiß.
Experte bin ich allenfalls in der Bildanalyse, der Besprechung stilistischer Details und dem Versuch einer Chronologie anhand äußerer Merkmale bei wenig oder gar nicht abgedeckten Autos. Das liegt mir und das hilft mir bei der Identifikation von Typen, an denen mancher sich vergebens abgearbeitet hat.
Gottfried Müller hat aber letztlich auch das mit seiner Zeichnung trefflich thematisiert. Dem Experten überlasse ich nun nur noch die Frage, wo genau der Röhr „Junior“ auf dem heute vorgestellten Foto aufgenommen wurde.
Das Kennzeichen verweist m.E. auf das sowjetisch besetzte Thüringen der ganz frühen Nachkriegszeit. Im Hintergrund sieht man ein großzügiges Fachwerkhaus mit aufwendigem Sockelgeschoss im hierzulande eher seltenen Renaissancestil.
Dieses Detail scheint mir auf eine einst wohlhabende Kaufmannstadt mittlerer Größe zu verweisen – wer kann es aber genau sagen? Das wäre dann wirklich ein Fall für Experten!
Copyright: Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.