Wuppertal kann warten: Unterwegs im Wanderer W 240

Zurück aus Italien nach 13 Stunden Autofahrt und gut ausgeschlafen hat mich die Heimat nördlich der Alpen wieder.

Auch wenn man die Strecke noch so genau kennt, kostet der permanente 360 Grad-Blick beim Fahren einige Kraft. Nur so kann man als Vielfahrer in den letztlich unvermeidlichen kritischen Situationen angemessen reagieren oder sogar vorausschauend sich darauf einstellen.

Hinzu kommt, dass ich wo es geht und es die Lage erlaubt, schnell fahre. Die Konzentration bei hohem Tempo lässt bei mir keine Müdigkeit aufkommen, die stellt sich eher ein, wenn es gemächlich zugeht. Man ist dann gut beraten, kurz zu halten, etwas herumzugehen oder auch ein paar Minuten die Augen zu schließen. Danach ist der Kopf wieder klar.

Freilich ist jeder anders und jeder muss selber wissen, wo seine Grenzen sind und wie er solche Trips angeht. Ich verstehe völlig die Leute, die konsequent mit Tempo 100 auf der rechten Spur ihres Weges ziehen, niemand wird dadurch beeinträchtigt. Nur zum Überholen sollte man schon um einiges schneller sein als das…

Auch mit Tempo 50 die Gotthard-Paßstraße hinauf und dann abwärts in jeder Serpentine fast zum Stillstand kommen, so etwas erlebt man ebenfalls und das muss wirklich nicht sein – es sei denn, man ist allein unterwegs und hat alle Zeit der Welt.

Damit wären wir bei diesen Herren, die es 1938 auf dem Heimweg aus Mittelitalien wahrlich nicht eilig hatten und einfach auf der Straße für Fotozwecke haltmachen konnten:

Wanderer W240 anno 1938 in der nördlichen Toscana; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

58 Kilometer waren es von hier nach Florenz und gut 10 Kilometer nach Piancaldoli in die entgegengesetzte Richtung – so ist das Straßenschild im Hintergrund zu interpretieren.

Das versetzt uns an den Raticosa-Pass, über den es von Florenz kommend auf knapp 1000 Meter Höhe Richtung Norden nach Bologna und damit in die Po-Ebene geht.

Die Straße macht einen exzellenten Eindruck, sie scheint erst vor kurzem instandgesetzt oder modernisiert worden zu sein – jedenfalls meine ich eine entsprechende Walze zur Verdichtung und Glättung des Belags im Hintergrund rechts von der hochgereckten Hand eines der drei Herren an Bord zu erkennen.

„Wuppertal kann warten“ dachten sich die Insassen des dort zugelassenen Cabriolets, als sie im Sommer 1938 anhielten, bevor sie dem Abzweig nach Norden weiter folgten:

Wanderer W240 anno 1938 in der nördlichen Toscana; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Was den Wagen angeht, haben wir es passend zum heutigen Sujet mit einem „Wanderer“ zu tun, wie es bereits das geflügelte „W“ als Kühlerfigur verrät.

Allerdings war dieser Wanderer nicht gerade ein Musterbeispiel für die Bescheidenheit eines Pilgers zu den großen Stätten der Andacht in weltlicher und geistlicher Hinsicht, wie sie Mittelitalien in einzigartiger Dichte bietet.

Nein, dieser Wanderer war ein luxuriöser Vertreter seines Standes – mit enorm teurem Manufakturaufbau als 2-Fenster-Cabriolet von „Gläser“ aus Dresden. Den gab es als Typ W240 von Wanderer für ungeheure 5.250 Reichsmark.

Bei Erscheinen anno 1935 entsprach dieser Preis mehr als dem dreifachen Brutto-Jahreseinkommen eines sozialversicherungspflichtigen Durchschnittsverdieners in Deutschland. Von der Relation betrachtet wären das heute über 150.000 EUR.

Die Ansprache als Wanderer W 240 gelingt anhand der feinen schräggestellten Kühlerstreben in Verbindung mit dem einteiligen Feld für die Luftschlitze in der Motorhaube.

Trotz seines immensen Preises war das 1,3 Tonnen wiegende Cabrio mit 40 PS wie bereits der Vorgänger W 235 (35 PS) für ein Fahrzeug seiner Klasse noch untermotorisiert.

Wanderer reagierte schon im Herbst 1935 auf die Kritik und bot den Wagen nun mit 50 PS aus 2,3 Litern Hubraum an. Spitze 100 km/h waren damit im Land der mangels Autobesitzern leeren Autobahnen wenigstens diesen exklusiven Gefährten möglich.

Ob „unser“ Wanderer noch das 2 Liter Aggregat mit 40 PS besaß oder die speziell für Reisen über die Alpen eher geeignete 2,3 Liter-Variante mit 50 Pferdestärken, muss offen bleiben. Die Literatur liefert keine Hinweise auf äußerliche Unterscheidungsmerkmale.

Dass wir es tatsächlich mit dem 2-Fenster-Cabrio zu tun haben (es gab auch eine 4-Fenster-Version), ist auf dem nächsten Foto zu erkennen, das denselben Wagen zeigt:

Wanderer W240 anno 1938 am Gardasee; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Fotografiert wurde der Wanderer an der linken Uferseite des Gardasees mit Blick auf Riva an dessen Nordende.

So ist es auf der Rückseite vermerkt und das lässt sich auch dann problemlos verifizieren, wenn man noch nie am Gardasee war, den die Italiener bisweilen ironisch als „Deutschlands südlichsten See“ bezeichnen.

„Wuppertal kann warten“ werden die Insassen auch bei dieser Gelegenheit gedacht haben. Ich kann das auch ohne Berücksichtigung der sich damals verschärfenden politischen Situation und des alsbald begonnenen 2. Weltkriegs nachvollziehen.

Unsere „Wandersleute“ scheinen es wahrlich nicht eilig gehabt zu haben. Denn nur kurze Zeit spät hielten sie abermals an und machten diese Aufnahme ihres wackeren Wagens:

Wanderer W240 anno 1938 am Gardasee; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

An dieser Stelle bricht die Bildüberlieferung ab und – egal, was noch kam, die Verhältnisse sollten sich kaum zum Besseren wenden. Was aus den Insassen wurde, welchen Anteil sie am politischen und militärischen Geschehen hatten, das wissen wir nicht.

Vielleicht hat der schöne Wanderer die Wirren der folgenden Jahre überlebt und sei es nur für eine begrenzte Zeit in Wuppertal oder nach einer Wehrmachtskarriere irgendwo sonst…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Anhalten und die Zeit anhalten: Hansa 1100 Limousine

Beim heutigen Radeln in Umbrien ging mir wie so oft durch den Kopf, wie einfach es doch sein kann, einen uralten Traum wahrwerden zu lassen: die Zeit anzuhalten, wenn es gerade am schönsten ist.

Hier scheint das vorzüglich gelungen zu sein – so bietet sich die Kulturlandschaft in der Valle Umbra seit gut 2000 Jahren dar:

Val di Chiona, Juli 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Die Umbrer sind ein stolzer und im besten Sinne konservativer Menschenschlag – die Moderne hat bei ihnen nur eine Chance, wo sie wirklich eine Verbesserung mit sich bringt: Mobilität, Kommunikation und Zahnbehandlung vor allem.

Ansonsten hält man die Zeit an, soweit es geht und das sogar, wenn einer etwas ganz Neues macht.

So verfolge ich seit letztem Jahr mit Sympathie den Baufortschritt bei diesem Anwesen, das im Chiona-Tal etwas erhöht in Sichtweite von Spello liegt:

Val di Chiona, Juli 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Viel mehr als ein paar verfallene Mauern werden dort nicht gestanden haben, bevor dieser Neubau entstand – ich kann mich nicht erinnern, bei meinen regelmäßigen Radtouren früher dort etwas Nennenswertes gesehen zu haben.

Stück für Stück entstand dann ein Haus im lokalen Stil, nur der niedrige Anbau geht etwas in die Neuzeit hinein. Gemauert wird mit dem örtlichen beige- bzw- rosafarbenen Kalkstein, den es nur hier am Monte Subasio gibt. Auch die betonierte Einfahrt vorne wird noch mit Naturstein verblendet, da bin ich zuversichtlich.

Hier nimmt sich einer die Zeit, dieselbe anzuhalten – jedenfalls in stilistischer Hinsicht. Auch für Fensterläden und Echtholzfenster nach Maß ist gesorgt, beides ein Standard in der Region bis heute – die entsprechenden Handwerke florieren und die Leute können sich das dank soliden Wohlstands auch in der Mittelschicht leisten.

Um solche Momente zu genießen, in denen die Zeit gewissermaßen angehalten wird, muss man sich freilich selbst die Zeit nehmen anzuhalten. Im vorliegenden Fall bediente ich mich dabei dieser Zeitmaschine aus dem englischen Hause Raleigh:

Val di Chiona, Juli 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Das etwas modifizierte Gerät aus den 1980er Jahren erinnert mich an eine Zeit, die von mir aus trotz Kalten Kriegs in vielerlei Hinsicht hätte anhalten können. Außer den digitalen Geräten fällt mir nichts ein, was sich seither für den Normalbürger verbessert hätte.

Die Freiheit, das Stilbewusstsein, die Kompetenz und Ordnung im Alltag von damals hätte man ruhig konservieren können, meine ich als Kind der 70/80er Jahre.

Bemerkenswert, dass man einst mit einem Bruchteil des heutigen Abgabenaufkommens die staatlichen Kernaufgaben wie Verteidigung und Infrastruktur auf heute undenkbarem Niveau wahrnehmen konnte – auch von Armutsrenten und Bildungsdefiziten war kaum die Rede.

Erst recht die Damen aus Schlesien auf dem folgenden Foto hätten gewiss gern die Zeit angehalten, zumindest was die privaten Verhältnisse angeht, wenn sie gewusst hätten, was ihnen wenige Jahre nach dieser Aufnahme blühen sollte:

Hansa 1100 Limousine; Originalfoto Sammlung Michael Schlenger

Sie nahmen sich auf einer Nebenstraße in einer unbekannten Gegend Zeit anzuhalten. Und mit dieser Momentaufnahme haben sie zugleich für uns die Zeit angehalten.

Gewiss, der hübsche Hansa 1100 (1934-39) in der späteren Ausführung mit gerundetem Frontscheibenrahmen und profilierten Radkappen ist uns schon einige Male begegnet.

Ich halte ihn für einen der markantesten und gelungensten deutschen Wagen seiner Klasse in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre und mit der Sechszylinderversion 1700 war zugleich eine gediegen motorisierte Alternative verfügbar.

Im Fotoalbum einer der Damen – vielleicht der jungen Blondine auf dem Beifahrersitz – ist die Aufnahme einst im Fluchtgepäck anno 1945 nach Westen gelangt. Heute ist dieses Foto vielleicht alles, was an den Moment von einst, die untergegangene Heimat dieser Frauen und an das erinnert, was sie damals beschäftigt oder für die Zukunft inspiriert hat.

Die Fotografie ist zusammen mit alten Handschriften, Musiknoten oder auch einem historischen Haus ein wunderbares Medium dafür, um die Zeit anzuhalten. Dafür nehmen wir uns hier immer wieder gerne Zeit, um innezuhalten, und werden immer wieder auf’s Neue belohnt, obwohl es doch vordergründig bloß um alte Autofotos geht…

Jetzt habe ich glatt vergessen, dass erst der letzte Blog-Eintrag einen Hansa zum Gegenstand hatte. Muss ich das bedauern?

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Montags ans Meer mit Peugeot 201 von 1934/35

Montags ans Meer – das ist ein Privileg von Urlaubern und Rentnern. Ich bin weder das eine noch das andere, auch wenn ich derzeit in Umbrien in Mittelitalien weile.

Der heutige, herrlich sommerliche Montag lud zwar zu einem Ausflug ans Meer ein, das rund eine Stunde Fahrtzeit entfernt liegt.

Doch zum einen galt es bis zum frühen Nachmittag noch einiges an Schreibtischarbeit zu erledigen – das ist der moderate Preis, den mal als digitaler Nomade zu entrichten hat. Zum anderen zieht es mich nicht sonderlich ans Meer – Umbrien bietet mit uralter Kulturlandschaft und endlosen Eichenwäldern viel mehr, wenn der Kalauer erlaubt ist.

Also setzte ich mich unvernünftig wie stets gegen 15 Uhr im prallen Sonnenschein auf das über 40 Jahre alte „Raleigh“-Tourenrad und sauste im warmen Wind die 300 Höhenmeter ins Tal zum Endpunkt des römischen Aquädukts, der einst Spello versorgte und wo die Leute heute noch bestes Quellwasser aus den Bergen für den Hausgebrauch abfüllen.

Ab dort ging es entschieden langsamer wieder zurück und hinauf, ohne eine Menschenseele zu treffen. Montags sind die Leute hier entweder bei der Arbeit oder fahren lieber ans Meer, anstatt sich nach dem Wochenende erneut auf dem Rennrad zu quälen.

Mir war das recht, denn gegen die trainierten Lokal-Amateure alter Altersklassen bis hoch ins Rentenalter bin ich mangels Training an dem sechs Kilometer langen Anstieg chancenlos.

Dafür erlaube ich mir auf dieser atemberaubenden Tour den einen oder anderen Fotohalt.

Blick auf die Valle Umbra Richtung Süden, Juli 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Erst abends ging es dann doch zu meiner eigenen Überraschung ans Meer. Auf die Idee kam ich anhand noch unveröffentlichter Fotos von Autos, an denen es nicht viel zu rätseln gibt und auch über die es auch wenig Bemerkenswertes zu erzählen gibt.

Auf solche Aufnahmen aus meinem Fundus greife ich auf Reisen zurück, wenn ich nicht die gewohnte Literatur bei mir habe. Die Peugeot-Modelle der 1930er Jahre sind in der Hinsicht eine sichere Bank, denn sie haben zwar viel Charakter, sind aber zugleich so konventionell, dass es keine Sensationen dazu vermelden gibt.

Mit seinen robusten Großserienwagen trug Peugeot mit Citroen und Renault sowie einigen vergessenen Marken wie Berliet oder Licorne zu dem enormen Motorisierungsgrad der Franzosen bei, der damals um ein Mehrfaches über dem deutschen Landen lag.

Mit so einem Brot-und Butter-Gerät wie diesem expressiv gestalteten Peugeot 201 von 1934/35 konnte man sich durchaus bei den Eingeborenen oder Rentiers am Meer blicken lassen, die selbiges wenigstens am Montag für sich zu haben glaubten:

Peugeot 202 von 1934/35; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Das Foto gefällt mir in mehrfacher Hinsicht:

So wirkt die markante Frontpartie des Peugeot, die es nur 1934/35 so gab , aus dieser Perspektive besonders repräsentativ, auch wenn sich hinter dem Kühler und unter der hohen Haube nur ein Vierzylinder mit 1,3 Litern Hubraum und knapp 30 PS verbarg.

Daneben finde ich die Perspektive gelungen, die den Blick auf eine Dünenlandschaft freigibt – so verkörpert der Wagen für den Betrachter perfekt die Funktion, einen mühelos hinaus aus dem Alltag und an ersehnte Orte transportieren zu können.

Das Automobil wird ja gern als Plage betrachtet, die es auch sein kann – speziell wenn es von inkompetenten oder sich überschätzenden Zeitgenossen bewegt wird. Aber das große Freiheitsversprechen im Sinne der Überbrückung von Raum und Zeit erfüllt es immer noch. Ich denke bei jeder meiner Trips in den Süden daran.

Nicht zuletzt sind es die schönen Holzhäuser im Hintergrund, deren verspielte Details von solidem Wohlstand und der Liebe zur schönen Form kündet, mit der sich der Mensch über die Barbarei der bloßen Funktion seiner Schöpfungen zu erheben vermag.

Ich habe keine Ahnung, wo diese Ferienhäuser einst standen – vielleicht ist ihr Stil ja regionalspezifisch und unter meinen Leser sind ja auch einige Frankophile. Wenn uns dann noch jemand anhand des Kennzeichens darüber unterrichtet, von woher einst der wackere Peugeot 21 kam, dann ist dieser Montag am Meer auch für mich perfekt…

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Ist etwa schon Herbst? Steyr XII Tourer anno 1935

Erst kürzlich warf ich hier die Frage auf, ob wir denn einen sorgenfreien Sommer vor uns haben, da hat es uns schon kalt erwischt und das Wetter gibt sich untypisch herbstlich für den Monat Juni.

Was ist davon zu halten? Nun, ich bin zwar alles andere als begeistert, würde das aber einfach unter „Wetterkapriolen“ verbuchen.

Auch in meinem Blog ist all‘ das möglich, nicht nur ein Sprung in den Herbst, sondern auch einer zurück in der Zeit. Es klingt paradox, doch der heutige Sprung führt uns nur ein Jahr retour und zugleich vom Sommer in den Herbst.

Wie so alles in unserem Dasein ist das nur eine Frage der Perspektive und des Ausgangspunkts. Nehmen wir einfach den vorletzten Blogeintrag als Basis, der uns in den Sommer 1936 transportierte.

Abgesehen von dem dabei präsentierten Tatra 57A finden sich alle wesentlichen Darsteller dieser Episode auch heute wieder:

Familie aus Niederösterreich, Herbst 1935; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Kommen Ihnen diese Herrschaften (m/w/d…) bekannt vor? Nun, auch heute werden Sie uns wieder in automobiler Gesellschaft begegnen, allerdings nicht im Sommer 1936, sondern im Herbst 1935.

Dieser merkwürdige Zeitsprung ergab sich, da ich ganz vergessen hatte, dass ich aus demselben Album, aus dem die Tatra-Bilder stammten, eine zweite Fotoreihe erworben hatte – diese fand sich gestern abend bei der Durchsicht des Stapels an Originalabzügen auf meinem Schreibtisch, der sich teils aus Neuzugängen, teils aus vorausgewählten älteren Blogkandidaten speist.

Meist weiß ich ich nicht mehr, was sich zuunterst in dem Stapel befindet, weshalb ich ihn immer wieder durchsehe, um Material für den nächsten Blogeintrag zu finden.

So kommen Sie heute in den Genuss einer Fortsetzung der kürzlichen Bilderreihe mit der reizvollen Begleiterscheinung, dass wir ein weiteres Jahr zurück in die Vergangenheit zurückreisen bzw. rund fünf bis zehn Jahre, wenn man die Bauzeit des abgebildeten Automobils als Basis der Betrachtung wählt:

Steyr Typ XII, aufgenommen im Herbst 1935; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Während die Grundform dieses Tourenwagens völlig beliebig ist und sich so bei unzähligen Herstellern im deutschsprachigen Raum ab Mitte der 1920er Jahre findet, geben uns zwei Details einen klare Hinweis auf Hersteller und Typ.

Die Scheibenräder mit dem großem Lochkreis und ebenfalls großzügig dimensionierter Nabenkappe sind typisch für die österreichische Marke Steyr in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre. In Verbindung mit den in zwei Reihen angeordneten Luftschlitzen hat man es in den allermeisten Fällen mit dem Mittelklassetyp XII zu tun.

Dieser mit einem 6-Zylindermotor (ohc) ausgestattete Wagen der 1,6 Liter-Klasse erfreute sich sich einst auch in Deutschland einiger Beliebtheit, spielt aber in der hiesigen „Oldtimer“szene leider keine Rolle.

Auch deshalb zeige die die ausgezeichneten Wagen aus Österreich so gern in meinem Blog, vor allem wenn sie sich in Verbindung mit soviel Zeugnissen einstigen Lebens präsentieren lassen wie in diesem Fall:

Familie aus Niederösterreich, Herbst 1935; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Man sieht hier wie auch bei den noch folgenden Bildern, dass der Steyr zu ausgiebigen Ausflügen im Alpenraum genutzt wurde.

Der Motor war zwar für einen „Bergsteiger“ recht klein dimensioniert, aber er ließ sich dank der obenliegenden Nockenwelle und der entsprechend präzisen Ventilsteuerung höher drehen als die damals gängigen und weniger effizienten Seitenventiler.

Noch im Herbst 1935 – also 10 Jahre nach Einführung des Typs XII – wurde dieser Steyr von seinen Besitzern und Passagieren geschätzt und das gewiss nicht nur, da er noch über ein hinreichend dimensioniertes Trittbrett für vier Personen verfügte:

Steyr Typ XII, aufgenommen im Herbst 1935; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Mir gefallen hier neben dem Typ XII aus dem Hause Steyr besonders die so unterschiedlichen Typen der Gattung Homo Sapiens.

Sie begegnen uns dank wohlgewählter und auf die Figur zugeschnittener Kleidung alle vollkommen individuell. So abwechslungsreich kann Konvention sein, wenn sie Uniformität vermeidet.

Getreu der alten Weisheit, dass Abwechslung die Sinne erfreut, wechseln wir auf der folgenden Aufnahme das Thema und das Fortbewegungsmittel – was uns wiederum neue reizvolle Perspektiven auf die Welt eröffnet:

St Gilgen am Wolfgangsee in Österreich, Herbst 1935; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieser Ausschnitt hat sich mit etwas Glück nicht geändert, sicher findet ein Leser heraus, auf welchen Ort am Seeufer wir hier schauen. Nachtrag: Hab’s inzwischen selbst ermittelt – wir schauen hier auf St. Gilgen am Wolfgangsee!

Sollte jemand sachkundig sein, was das hier mit abgebildete Motorboot angeht, sind daran anknüpfende Informationen ebenfalls willkommen.

So leicht, wie ich zu Abschweifungen aller Art neige, genießen auch Ihre Assoziationen, Erinnerungen und Überlegungen meine unbedingte Sympathie. Scheuen Sie sich nicht, in den Kommentaren festzuhalten, was Ihnen dazu einfällt.

Selbst fachkundige Anmerkungen zu den Güterwagen im Hintergrund der folgenden Aufnahmen sind erlaubt – denn ich kann nicht wissen, was sich auf diesen alten Fotos sonst noch alles Spannendes verbirgt:

Steyr Typ XII, aufgenommen im Herbst 1935; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Mich reizt hier neben dem fesch sitzenden Barett unserer schon wohlbekannten Dame auch die Frage nach dem Inhalt der Kameratasche, die sie trägt.

Im Bücherregal hinter mir befindet sich genauso ein Teil aus Leder mit vernickeltem Verschluss. Darin befindet sich eine schön erhaltene Balgenkamera von Zeiss Ikon der 1930er Jahre mit dem enormen Negativformat 6×9 cm.

Bei diesen Kameras wurden die Abzüge meist ohne Vergrößerung direkt im Negativformat angefertigt, was ihre häufig phänomenale Qualität erklärt. Die hier wiedergegebenen Fotos dürften auf dieselbe Weise entstanden sein, kommen aber natürlich aufgrund der stark reduzierten Auflösung zwecks Online-Publikation nicht an das Original heran.

Wundern Sie sich also nicht, wenn Sie hier die Schärfe im Detail vermissen. Vielleicht vermissen Sie aber auch etwas anderes – das junge Mädchen, das auf den Fotos der ersten Bilderreihe von Sommer 1936 so bezaubernde Figur gemacht hatte.

Nun, hier haben wir sie wieder, bloß ein Jahr früher noch als Fünfjährige, dafür mit den mutmaßlichen Großeltern:

Steyr Typ XII, aufgenommen im Herbst 1935; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der Steyr ist nun mit aufgespannntem Verdeck und seitlichen Steckscheiben zu sehen – hier sieht es noch mehr nach Herbst aus als auf den bisherigen Aufnahmen.

Doch ein Idyll ist diese Szene allemal, zwei friedlich grasende Kühe vor einem Bauernhaus runden es ab. Die selbstbewusste Würde der älteren Leute tut ein übriges.

Die Ruine im Hintergrund wirkt ein wenig düster, aber sie ist bewusst einbezogener Teil der Inszenierung wie der schräg ins Bild hineinragende, doch nur als Staffage dienende Steyr. Gerne wüsste man, wer die besten Fotos dieser Serie gemacht hat.

Eine Aufnahme fällt indessen aus dem Rahmen, denn sie zeigt tatsächlich nur den Steyr, und hier lässt sich der Wagen endlich einmal im selten zu findenden Gewand mit vollem Tourenwagen-Outfit studieren:

Steyr Typ XII, aufgenommen im Herbst 1935; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

A bisserl langweilig ist das aber schon nach all dem Leben in den zuvor gezeigten Fotos, nicht wahr? Stimmt und das ist alleine meine Schuld, denn diese Aufnahme habe ich selbst „gemacht“.

Es handelt sich um einen Ausschnitt aus dem folgenden Original und ich meine, dass dieses Beispiel meine oft geäußerte These illustriert, dass ein gelungenes Autofoto von der Anwesenheit des Menschen „lebt“.

Steyr Typ XII, aufgenommen im Herbst 1935; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Sehen Sie, was ich meine? Das Automobil ist hier kein Selbstzweck mehr, es ist Diener des Menschen, der mit ihm seinem Dasein Räume und Perspektiven öffnet, die ihm sonst kaum zugänglich wären.

Hier haben wir auch noch einmal unser kleines Fräulein, das sich gar nicht kamerascheu uns zuwendet. Fünf Jahre war das Mädchen damals alt und es hatte noch sein ganzes Leben vor sich.

Dass sie in der Gesellschaft von Automobilen ihre Kindheit verbringen konnte, war gewiss ein Privileg und diese Fotos erzählen davon. Doch wie sich ihr weiterer Lebensweg gestaltete, davon wissen wir nichts. Frühling, Sommer, Herbst und Winter folgen ihrem eigenen Gesetz, auch bei uns Menschen.

Dennoch werden wir unserer kleinen Freundin noch einmal begegnen, aber dann wirklich zum letzten Mal…

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Erfolgreicher Beutezug gen Süden…

Was haben uns die Römer eigentlich gebracht?“ so lautet die Frage des Anführers der Judäischen Volksfront (oder war es die Volksfront von Judäa) im satirischen (und zeitlos aktuellen) Historienfilm „Life of Brian“ der britischen Komikertruppe „Monty Python“, die heutzutage von humorlosen Zeitgenossen mit Klagen überzogen würde.

Was als rhetorische Frage seitens des Chefs der Widerstandstruppe gedacht war, mündet unbeabsichtigt in eine nicht endenwollende Aufzählung der vielen Vorzüge der römischen Zivilisation durch ein besonders eifriges Mitglied.

Was haben uns die Germanen eigentlich gebracht?“ – diese Frage wäre umgekehrt aus der Perspektive der in der Spätantike über drei Jahrhunderte lang endlos heimgesuchten Bewohner des italienischen Stiefels unbeantwortet geblieben.

In der Tat – außer Plünderungen und sinnlosen Zerstörungen einer Hochkultur, die von den Barbaren aus dem Norden offenbar als Zumutung bzw. Anklage ihres eigenen Unvermögens wahrgenommen wurde, haben die Germanenzüge vom 4 bis ins 7. Jh. praktisch nichts hinterlassen.

Die einzige mir bekannte Ausnahme sind simple Flechtbandmuster bei frühromanischen Kirchen auf italienischem Boden, die wohl germanischen Vorbildern entlehnt waren. Ein Glück muss man sagen, dass Goten, Langobarden und Co. trotz jahrhundetelanger Präsenz kulturell so gut wie keine Spuren hinterlassen haben.

So war in Italien ausreichend Restsubstanz und Kompetenz vorhanden, um bereits ab dem 11. Jh. die Proto-Renaissance und dann die eigentliche Renaissance auf den Trümmern der Antike zustandezubringen – eine auf ganz Europa ausstrahlende und bis heute fortwirkende kulturelle Leistung, die sich ganz allein aus Italien speiste.

Solche Gedanken gehen mir durch den Kopf, wenn ich wieder einmal die lange Strecke über die Alpen ins über 1000 km entfernte Umbrien unter die Räder nehme.

Auch heute wüsste ich nichts, was ich als Nordländer den dort Einheimischen als Bereicherung mitbringen könnte – außer dem Interesse an ihrer uralten und immer noch lebendigen Hochkultur.

Unterwegs unternehme ich in alter Tradition einen Beutezug besonderer Art – ich schaue, was sich so alles an interessanten Automobilen dingfest machen lässt. Das Beste nördlich der Alpen war ein großartiges US-Coupé der frühen 1950er Jahre mit prächtiger Patina, das mit über 120 km/h auf der rechten Spur dahinzog – das Kennzeichen war polnisch.

In der Schweiz gab es nichts mitzunehmen, obwohl einem auch dort bisweilen US-Oldtimer begegnen. Bei Como entdeckte ich einen orangenen Lotus um 1980 – mit seiner radikalen Keilform eine rollende Anklage an das verschwurbelte Autodesign der Gegenwart.

Auf der Höhe von Milano dann der erste Fiat 500 (natürlich das Original), der auf der Autobahn sein Bestes gab. Weitere Klassiker gab es unterwegs – darunter einige Alfa Spider und Porsche 356 – der strahlend schöne Sonntag lud zur Ausfahrt mit dem alten Blech ein.

Das war es wohl, was mich zum heutigen Thema inspirierte. Die Beutetour, die ich dabei mit Ihnen absolvieren will, führt allerdings auf einer anderen Route nach Süden – über die Großglockner-Hochalpenstraße.

An deren höchsten Stelle – der Edelweißspitze auf über 2500 Meter Höhe – fand sich einst einiges an automobilem Beutegut versammelt.

Edelweißspitze an der Großglockner-Hochalpenstraße; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Auf einer zeitgenössischen Postkarte von Ende der 1930er Jahre wurde einst dieses prächtige Panorama mitsamt spannendem Auto-Material festgehalten.

Wir wollen heute schauen, was sich dort versammelt hatte und ich darf schon jetzt sagen, dass alle vier Fahrzeuge perfekt in unser Beuteschema passen, da sie unterschiedliche Stile repräsentieren und aus drei Ländern stammen.

Den Anfang machen die beiden Wagen am linken Rand:

Die Limousine ist sicher ein Mercedes-Benz – dafür spricht schon die Gestaltung der Radkappen. Ich vermute hier einen 170V (ab 1936), überlasse das Urteil den Markenkennern, zu denen ich mich in diesem Fall nicht zähle.

So klassisch der Mercedes auch anmutet, so kann er doch nicht mit der Raffinesse des Ford davor mithalten. Klingt wie ein Sakrileg – aber wer würde nicht einen solchen schicken Roadster der Dresdener Manufaktur „Gläser“ einem braven Serien-Benz vorziehen?

Die Basis war ein simpler Ford „Eifel“ (ab 1936) – aber seien wir ehrlich: der Mercedes war nicht gerade ein Musterbeispiel für souveränes Leistungsgewicht, gut möglich, dass der Eifel „Roadster“ ihm bei der Auffahrt zur Edelweißspitze frech die schöne Heckpartie mit dem flachliegenden Reserverad zeigte.

Gewiss, der Mercedes war nicht zum sportlichen Fahren gedacht, aber in einer dermaßen grandiosen Szenerie könnten bei den Insassen doch gewisse Neidgefühle aufgekommen sein. Wer will hier schon in einer Limousine den Berg hinaufschnaufen?

Kein Wunder, dass auch unsere beiden anderen „Beutewagen“ offene Aufbauten besitzen:

So unterschiedlich diese beiden Wagen äußerlich erscheinen, so sehr ähneln sie sich von der Leistungscharakteristik. Beide waren oberhalb der zuvor gezeigten Wagen angesiedelt.

Das Cabriolet im Hintergrund war ein Steyr, wahrscheinlich ein Typ 220 mit dem feinen 6-Zylindermotor, der 55 PS aus 2,3 Litern leistete. Da konnte der Meredes bei allen klassischen Qualitäten nicht annähernd mithalten.

Leider gelang es Steyr nach dem 2. Weltkrieg nicht mehr, an die Tradition dieser hervorragenden Wagen anzuknüpfen, die ganz auf der Höhe des europäischen Automobilbaus waren und in Deutschland heute zu Unrecht kaum bekannt sind.

Doch auch der deutlich ältere Fiat im Vordergrund war Ende der 30er Jahre am Berg noch konkurrenzfähig. Wie der Schriftzug auf dem Kühler verrät, haben wir es bei diesem Beutestück mit einem Typ 521 (ab 1927) zu tun.

Auch er besaß einen 6-Zylindermotor, zwar mit „nur“ 50 PS, allerdings aus einem langhubigen 2,5 Liter-Aggregat – genau das, was man sich am Berg wünscht.

Bei dieser Bestandsaufnahme unseres Beutezugs nach Süden belassen wir es für heute. Wir sparen uns auch die Überlegung, was die ab 1938 einsetzenden Feldzüge germanischer Prägung unseren Nachbarvölkern eigentlich gebracht haben außer neuerlicher Zerstörung.

Zur zivilisatorischen Leistung unserer Anrainer südlich der Alpen nur dies: Es gibt kaum einen Alpenpass, der nicht bereits von den Römern mit Straßen befestigt wurde. Auch am „Hochtor“ auf dem Scheitelpunkt der Großglockner-Hochalpenstraße haben sie ihre Spuren in Form eines archäologisch gut dokumentierten Heiligtums hinterlassen.

Und Meister des Straßenbaus sind die Italiener in ihrem Land mit anspruchsvollster Topografie heute noch. Wir könnten von ihrer Effizienz lernen, wenn wir nicht an der offenbar unausrottbaren deutschen Arroganz zugrundegingen…

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Schon 1922 mit Frontantrieb? Berliet Type VH 12CV

Sorgen Sie sich auch wegen der Möglichkeiten der Bildmanipulation durch die Technologie der Künstlichen Intelligenz – und sind Sie auch schon mal auf ein Exempel hereingefallen?

Nun, wirklich neu an der Sache ist im Kern nur die ins Gigantische gesteigerte Geschwindigkeit der Datenverarbeitung und die resultierenden nahezu infiniten Kombinationsmöglichkeiten auf Basis definierter Rechenregeln – der ominösen Algorithmen.

Dabei wurde schon immer versucht, mit Bildern etwas dazustellen, was es so nicht wirklich gibt bzw. dessen Wahrheitsgehalt der Betrachter nicht ohne weiteres prüfen kann. Über Jahrhunderte waren beispielsweise Kirchenfresken mit mythologischen Themen die einzigen Abbildungen, welche überhaupt existierten.

Im Unterschied zur römischen Antike waren die allermeisten Menschen ab dem Mittelalter bis in die Neuzeit Analphabeten – und so waren gemalte Bibelszenen ihr alleiniger Zugang zur Welt außerhalb des unmittelbaren eigenen Erlebnishorizonts.

So großartig die christliche Freskenkunst auch anmutet, war sie doch in erster Linie ein brilliantes Manipulationsprogramm, was die Erklärung der Welt, die Zuordnung von Gut und Böse, die Definition von Oben und Unten angeht.

Zwar ist die Technologie der Bildkreation heute raffinierter als je zuvor, doch ist im Unterschied zu früher ein aufgeklärter, an den Mechanismen der Manipulation geschulter Mensch davor geschützt, sich von Bildern in Angst oder Aggression versetzen zu lassen.

Wird im öffentlichen Raum mit emotionalisierenden Bildern gearbeitet, anstatt – wie man es in einer modernen Gesellschaft erwarten sollte – mit rein an den Verstand gerichteten Sachargumenten, darf man sicher sein, dass man manipuliert werden soll.

Aber ich hab’s doch in den Nachrichten oder auf Youtube gesehen„, diese Ausrede kann im 21. Jh schlicht nicht mehr als Argumentationsersatz durchgehen.

Der moderne Mensch ist im Bewusstsein immer wieder neuer Versuche der Manipulation mittels Bildern mit der Haltung eines Skeptikers und Selberdenkers gut beraten. Genau in dieser ultimativen Tugend des vernunftbegabten Individuums üben wir uns heute.

Wir gehen die Sache dabei ganz entspannt an und lassen uns erst einmal zu einem Ausflug im Tourenwagen an die Loreley im Mittelrhein verführen:

Berliet Typ VH 12CV; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ein toller Schnappschuss, nicht wahr? Der Tourer rauscht hier förmlich durchs Bild – der Fotograf hat gerade noch so rechtzeitig auf den Auslöser gedrückt, dass die Insassen scharf abgebildet sind, während sich der Vorderwagen schon im Unschärfebereich befindet.

Dass der Fahrer gerade im rechten Moment in die Kamera schaut, während sein Beifahrer begeistert den Blick in die Ferne gerichtet hält, das ist ein glücklicher Zufall, nicht wahr?

Dumm nur, dass der Markenschriftzug auf dem Kühler schwer zu entziffern ist. Doch das ist halb so wild, denn der Blogwart profitiert in diesem Fall von ein paar Jahren der Beschäftigung mit solchen Autos der Zwischenkriegszeit.

Das dürfte ein Berliet sein„, so das vorläufige Urteil, das sich von der Szene als solcher unbeeindruckt aus der Erfahrung ergibt. Der französische Lastwagenhersteller baute lange Zeit nebenher auch eine Reihe solider Personenwagen, die hierzulande heute kaum bekannt sind – und wohl auch einst Exoten in deutschen Landen waren.

Ich will Sie gar nicht lange mit der Frage behelligen, was für ein Typ genau hier zu sehen ist. Nach oberflächlichen Recherchen könnten wir hier einen 12CV mit Typbezeichnung VH von etwa 1922 vor uns haben. Das Foto ist indessen auf Pfingsten 1927 datiert.

In technischer Hinsicht gäbe es zu den konventionellen Berliet-Wagen nicht viel zu sagen, würde hier nicht etwas auf einen frühen Frontantriebstyp hindeuten. Das glauben Sie nicht?

Ich hab’s doch gesehen, die Vorderräder drehen durch, während die Hinterräder stillstehen – offenbar wurde das Foto gerade beim Kavaliersstart aufgenommen.“

Tja, so ist das mit der vermeintlichen Evidenz von Bildern, speziell im Fall von Fotografien, die nur von unbedarften Zeitgenossen als objektive Zeugnisse angesehen werden können.

Bestand die Welt damals nur als Grautönen? Natürlich nicht – und mit demselben nüchternen Blick sollte man auch das Übrige sezieren, was hier sonst zu sehen ist.

Der vermeintliche Fahrer könnte auch der Wagenbesitzer gewesen sein, während der Chauffeur zum Zweck des Fotos auf dem Beifahrerseitz Platz genommen hat – das wäre eine fast typische Situation bei solchen Motiven.

Können wir das genau entscheiden? Nein, also enthalten wir uns des Urteils, ganz gleich, was uns das Bauchgefühl in diesem Fall nahelegt.

Fest steht aber eines – das Hinterrad.

Wie kann das sein, wenn das vordere heftig zu rotieren scheint? Ist also doch etwas dran an der Frontantriebsthese? Ich bitte Sie: ganz gleich, was einem auf dem Bild als scheinbar eindeutige Wahrheit präsentiert wird, ist doch völlig unplausibel.

Sehen die Damen auf der Rückbank so aus, als würden sie sich gerade in einem Wagen mit durchdrehenden Rädern ablichten lassen? Und wie wahrscheinlich ist das, dass gerade in dem Moment einer zugegen ist und auf den Auslöser drückt?

Man erkennt die Absicht und weiß: Hier soll mit visuellen Mitteln etwas suggeriert werden, es soll ein bestimmter Eindruck erzeugt werden.

Aber man sieht’s doch auf dem Foto, wie sich die Vorderräder drehen!“ – Nein, selbst wenn man das sieht, dann ist das im Hinblick auf die Tatsachen egal:

Da mögen sich die Räder noch so drehen auf diesem Ausschnitt – denn es ist doch merkwürdig, dass der ganze Vorderwagen gleichzeitig von derselben Bewegung erfasst zu sein scheint – so als ob die Partie verwackelt wäre.

Spätestens jetzt sollte beim Betrachter der Denkapparat anfangen, plausible Erklärungen dafür zu finden, weshalb das Ganze so aussieht, wie es aussieht?

Ganz einfach: weil jemand wollte, dass es so aussieht. An dieser Stelle darf jemand in der geschätzten Leserschaft einspringen und besser erklären als ich, wie man beim Belichten eines analogen Fotoabzugs durch gezielte Bewegungen genau diesen Effekt erzielte.

Wenn dann noch jemand eine zündende Idee hat, was das merkwürdige Nummernschild angeht (evtl. ein Diplomaten-Kennzeichen), dann bin ich restlos glücklich.

Denn dann weiß ich wieder einmal, dass meine Leserschaft mit genug Erfahrung, Wissen und Verstand ausgestattet ist, um im Zweifelsfall meine subjektiv gefärbten Bildgeschichten zu korrigieren, zu ergänzen oder gegebenenfalls auch ganz über den Haufen zu werfen…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

DAS ist doch mal ’ne Überraschung! Ford Model „T“

Der 1. Mai war für mich heute zum Glück nur ein halber Arbeitstag – ab dem frühen Nachmittag konnte ich mich der Verehrung unseres Zentralgestirns widmen.

Bekanntlich schickt die Sonne keine Rechnung für ihr selbstloses Tun (nur die Solarlobby giert nach üppiger Vergütung und fatalem Einspeisevorang im Netz…), also ist man gut beraten, sich ihrer über den Winter vermissten Wohltaten dankbar zu zeigen.

Beim Spaziergang am Ortsrand, dort wo Schafe und Ziegen weiden und gepflegte Kleingärten Auge und Herz erfreuen, begegneten uns auffallend wenige Mai-Ausflügler – hatte man vielleicht im Wetterdienst „amtlich“ vor intensivem Sonnenschein gewarnt?

Wenn Sie jetzt mit Blick auf den Titel denken, dass ich mir bei der „leichtsinnigen“ UV-Strahlenexposition einen Sonnenstich eingehandelt haben muss, kann ich Sie beruhigen.

Wer sich wie ich draußen bewegt und nicht nur wie ein Schnitzel träge unter der Sonne vor sich hinbrät, der verträgt den Aufenthalt im Freien bei intensivem Sonnenschein so gut wie unsere Vorfahren vor Jahrtausenden, die einst aus südlichen Gefilden bei uns anlangten und vor rund 7500 Jahren in der hessischen Wetterau sesshaft wurden, wo ich heute lebe.

Also alles nach wie vor klar im Oberstübchen, darf ich versichern.

Dennoch beharre ich darauf: „DAS ist doch mal ’ne Überraschung“, im Folgenden eines der meistgebauten Automobile aller Zeiten zu Gesicht zu bekommen – nämlich das von 1908-1927 in rund 15 Millionen Exemplaren produzierte Model „T“ von Ford.

Zum einen ist dieses legendäre Automobil, das individuelle Mobilität von einem Privileg der Schönen und Reichen quasi zu einem universellen Menschenrecht machte, noch nie ausdrücklich Gast in meinem Blog gewesen – ein unhaltbarer Zustand nach bald 10 Jahren.

Zum anderen werden Sie gleich sehen, dass DAS hier wirklich eine Überraschung darstellt:

Ford Model T von Anfang der 1920er Jahre; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Diese schöne Aufnahme fand erst kürzlich den Weg in meinem Fundus und beim Kauf wusste ich nicht genau, was ich da an Land gezogen hatte. In der von mir bevorzugten Preisklasse von 5 EUR zzgl. Versand darf man nicht anspruchsvoll sein.

Immerhin ahnte ich, dass wir es mit einem Tourenwagen der frühen 1920er Jahre zu tun haben, der wohl in Südfrankreich aufgenommen worden war.

Nach dem Einscannen war mir klar: DAS ist ein Ford Model T, und zwar eine Ausführung aus der Zeit direkt nach dem 1. Weltkrieg bis 1923.

Man erkennt dies daran, dass das Kühlergehäuse nicht mehr aus blankem Messing besteht, sondern in Wagenfarbe lackiert ist (ab 1917/18). Gleichzeitig weist das Fehlen einer Blechverkleidung unterhalb des Kühlers auf eine Entstehung vor 1924 hin.

DAS lässt sich auf folgender Ausschnittsvergrößerung besser erkennen, auf der auch schemenhaft der „Ford“-Schriftzug zu sehen ist:

Natürlich haben die mit Adler-Auge ausgestatteten Leser unter Ihnen sogleich die DAS-Plakette unterhalb der Windschutzscheibe gesehen.

Wie diese mit der mutmaßlich französischen Zulassung zusammengeht und warum die Dame und der Herr rechts gemeinsam ein Kamerastativ präsentieren – DAS zu erläutern, überlasse ich gerne Ihnen.

Jedenfalls bin ich der Ansicht, dass Sie DAS so noch nie gesehen haben – wie einige tausend andere Originalfotos von Vorkriegsfotos in meinem Blog und den Markengalerien, die ich in den letzten 10 Jahren aufgebaut habe…

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Fund(e) des Monats: NAG Typ C4b „Monza“

Wenn ich heute geradezu verschwenderisch mit dem Material aus meinem Fotofundus sowie dem von Sammlerkollegen umgehe, hat das nur zum Teil damit zu tun, dass ich die letzten Tage jede freie Minute Sonne getankt habe.

Das notorische Schlafdefizit, welches ich meiner unstillbaren Neugier und diesem Blog „verdanke“, wird durch die Energiezufuhr seitens des Fusionsreaktors in durchschnittlich rund 150 Millionen Kilometern Entfernung locker überkompensiert.

Eine Dosis New Orleans Rhythm & Blues – als Abwechslung zum üblichen Klassikprogramm – ergänzt die Rezeptur. Aktuell läuft „Earl King“ über die Lautsprecher, die illiuminierten Leistungsanzeigen des Verstärkers tanzen inspiriert mit.

Machen wir es zur Abwechslung kurz – der Fund des Monats April 2025 ist eine hinreißende Variation über das öfter anklingende Thema NAG C4b „Monza“ in meinem Blog.

Zu Erinnerung: Dabei handelte es sich um eine sportliche Werksversion des Typs C4 der Berliner Traditionsfirma der ersten Hälfte der 1920er Jahre – damals eines der am häufigsten gebauten deutschen Autos überhaupt.

Bereits die „normale“ Tourenwagenausführung des 30 PS-Wagens sah flott aus, zumindest wenn sie so dynamisch inszeniert wurde wie auf dieser Aufnahme:

NAG Typ C4; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Als Hommage an einen Werksrennwagen auf dieser Basis, mit dem NAG im italienischen Monza einen vielbeachteten Erfolg erzielte, brachte man eine Straßenversion heraus, die bei gleichem Hubraum (2,5 Liter) stärker war und vor allem unglaublich rasant daherkam.

Für mich ist dieser Typ C4b mit 40 bis 45 PS eines der aufregendsten deutschen Autos der frühen 1920er Jahre überhaupt.

Kein anderer hiesiger Hersteller baute in Serie einen derartig radikal daherkommenden Sport-Tourer:

NAG Typ C4b „Monza“; Originalfoto: Sammlung: Klaas Dierks

Jetzt mögen die Verwöhnten unter Ihnen denken: „Ja, schön und gut, diese Rakete auf Rädern hat uns der Blog-Wart aber schon einige Male präsentiert – was ist denn heute so aufregend anders?

Um es vorwegzunehmen: Aufregender wird es heute nicht, aber dennoch werden Sie am Ende eine neue Perspektive auf diesen faszinierenden Straßensportler gewinnen. Bleiben Sie dran, Sie werden’s nicht bereuen.

Etliche Exemplare sind zwar bereits in meiner NAG-Galerie versammelt – mehr als irgendwo sonst in der Literatur oder im weltweiten Netz. Und einige stellen dieses Beispiel in den Schatten, das ich hier erstmals präsentiere:

NAG Typ C4b „Monza“; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Vergleichen Sie einmal diesen Sport-Tourer mit dem Standard-Tourer auf dem eingangs gezeigten Foto – außer dem markanten NAG-Kühler und den (beim Monza eher seltenen) Stahlspeichenrädern gibt es keine Gemeinsamkeiten.

Dass man auf praktisch demselben Chassis und mit kaum verändertem Antrieb so ein völlig anders daherkommendes Automobil in Serie bauen konnte, das gehört zu den vielen Reizen von Vorkriegswagen – das geht in der Moderne schon lange nicht mehr.

Und dann konnte so ein Sport-Tourer genauso als verlässlicher Reisewagen eingesetzt werden, sofern man nur Minimalgepäck mitführte und über einen gesunden Body-Mass-Index verfügte.

Wirklich sportlich fahren ließ sich so ein Fahrzeug bei voller Besetzung natürlich nicht – aber darauf kam es nicht an. Es gab vor 100 Jahren eine Klientel, für die ein Auto weit mehr war als ein Fortbewegungsmittel oder ein Wohlstandsindikator.

Ein NAG C4b „Monza“ war ein ästhetisches Statement – wer so etwas „Unvernünftiges“ fuhr, gab damit zu erkennen, dass er etwas von Lebenskunst verstand. Wie ich zu sagen pflege: Kultur beginnt dort, wo nicht mehr schnöde Notwendigkeiten das Dasein diktieren.

Dem vermeintlichen Vernunftwesen Mensch wohnt nämlich die Freude am Überfluss, am Genuss des Augenblicks und am Spiel unter der Sonne inne:

NAG Typ C4b „Monza“; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ich bin sicher, dass Sie den NAG C4B „Monza“ so noch nie gesehen haben. Es handelt sich übrigens um dasselbe Fahrzeug wie auf dem zuvor gezeigten Foto.

Den Aufnahmeort zu ermitteln, das überlasse ich gerne einem Leser, der schneller in solchen Sachen ist als ich. VIelleicht entstand das Foto am Wolfgangssee, aber das ist nur eine unfundierte spontane Eingebung.

Letztlich steht auch heute das Auto im wahrsten Sinn im Vordergrund – als Transporter in die weite Welt, als Überwinder von Zeit und Raum, als Ermöglicher von Situationen wie dieser, in denen erwachsene Männer mit Bubenfreude Dinge tun, die in keinem Reiseführer „vorgesehen“ sind, während die Damen die Herren tun lassen, was sie tun müssen:

Na, habe ich zuviel versprochen in Sachen NAG C4b „Monza“? Wenn Sie sich jetzt fragen, wo denn verdammt nochmal alle diese umwerfend leicht daherkommenden Sport-Tourer geblieben sind, kann ich es auch nicht sagen.

Aber eines kann ich Ihnen versprechen: Von genau diesem Modell liegen mir aufgrund einer glücklichen Fügung (ok., es war auch nicht ganz kostenlos) ein phänomenaler Fundus an Originalaufnahmen vor, mit dem ich noch viele solcher Funde des Monats bestreiten kann…

Nachtrag: Gerade stelle ich fest, dass die beiden zuletzt vorgestellten Fotos denselben einst im Bezirk Wiesbaden zugelassenen NAG zeigen, den ich bereits früher anhand dieser Aufnahme von Leser Klaas Dierks präsentieren konnte – wahrlich ein Fund des Monats…

NAG Typ C4b „Monza“; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

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Kurztrip ins Tessin: Ein „Overland“ Tourer von 1916

Wer meinen Blog schon eine Weile mitliest, kennt meinen Drang nach Süden über die Alpen – im Unterschied zu den Aktivitäten germanischer Stämme in der Spätphase des Römischen Reichs (ab etwa 300 n. Chr.), ein durch und durch friedlicher.

An sich wäre ich angesichts des April-Wetters wieder mal reif für einen Italien-Trip, doch aktuell reicht die Zeit nur für einen kurzen Schnupperaufenthalt im italienischsprachigen Teil der Schweiz – dem Tessin.

Das eröffnet immerhin eine prächtige Perspektive angesichts wenig erbaulicher hiesiger Verhältnisse – und das in jeder Hinsicht, wie wir gleich sehen werden.

Passend zum Thema Kurztrip will ich nicht unerwähnt lassen, wie „lange“ es brauchte, bis ich den Tourer auf dieser schönen Aufnahme identifiziert hatte, dessen Konterfei einst auf einer schweizerischen Ansichtskarte verewigt wurde:

Overland Typ 86 von 1916; originale Postkarte aus Sammlung Michael Schlenger

Die Gestaltung des runden Kühleremblems mit diagonalem Markenschriftzugs hatte mich bereits an den US-Hersteller Overland denken lassen, der seit 1903 im Bundesstaat Indiana Automobile baute.

Doch das früheste mir vorliegende Foto eines Overland (siehe hier) von 1918 zeigt einen Wagen mit gerundeter Kühlergestaltung. Also tat ich, was ich bei mutmaßlichen US-Fabrikaten immer tue, wenn ich nicht selber auf die Lösung komme.

Ich lud das Foto auf einer einschlägigen Facebook-Gruppe hoch (im vorliegenden Fall der des Antique Automobile Club of America) und hatte binnen 10 Minuten die Antwort, dass es sich um einen Overland Tourer des Modelljahrs 1916 handelt.

Nach kurzer eigener Recherche fand ich hier die Bestätigung in Form eines fast identischen Wagens des 6-Zylinder-Typs 86 mit 50 PS Leistung – man sieht: neben dem Ford Model T gab es in den Staaten damals schon Serienwagen ganz anderen Kalibers.

So schnell kann es gehen, wenn man gängige digitale Kommunikationsformen nutzt. Nach meiner Erfahrung tun sich viele auf dem Sektor in deutschen Landen immer noch schwer.

Keine Wunder, wer sich vor „Handystrahlen“ fürchtet und seine problemlos günstigen und zuverlässigen Strom produzierenden Kernkraftwerke zerstört, ohne vergleichbaren Ersatz zu haben, der hat es nicht mehr so mit moderner Technologie und kühler Ratio.

Verlassen wir dieses unerbauliche Terrain und wenden uns wieder dem Overland zu, der einst irgendwo auf einem Trip im Tessin abgelichtet wurde:

Overland Typ 86 von 1916; originale Postkarte aus Sammlung Michael Schlenger

Der Kleidung der Insassen nach zu urteilen, dürfte die Aufnahme in der ersten Hälfte der 1920er Jahre entstanden sein. Leider wissen wir nichts über die abgebildeten Personen und den Anlass der Fahrt.

Dass es sich um keine ganz gewöhnlichen Ausflug gut situierter Zeitgenossen handelte, die sich so einen teuren Importwagen und einen angestellten Fahrer leisten konnten, das verrät die Aufmachung des hinter dem Auto stehenden Herrn mit Fliege.

Mir gefällt sein blasierter Ausdruck ebenso wie das Erscheinungsbild der übrigen Insassen.

Hand auf’s Herz: Wäre es nicht eine schöne Idee, wenn man sich wieder etwas mehr Mühe dabei geben würden, wie man seinen Mitmenschen in der Öffentlichkeit erscheint?

Jedenfalls finde ich, dass diese Herrschaften durchweg interessante Charaktere abgeben:

So unterschiedlich diese Typen auch sein mögen, sieht man doch allen an, dass sie sich um ein Erscheinungsbild bemüht haben, das das Beste an ihnen hervorkehrt.

Jeder Einzelne dieser Zeitgenossen könnte ohne weiteres eine Rolle in einem Stummfilm der 1920er Jahre übernehmen – wann haben Sie zuletzt in der Öffentlichkeit solches charakterstarkes Personal gesehen?

Bemerkenswert, was man Spannendes und Erfreuliches selbst bei einem kurzen Trip ins Tessin zu sehen bekommt, an dem man selbst gar nicht teilgenommen hat und bei dem erst ein Tip aus Übersee das Bild vervollkommnete…

Dergleichen versöhnt mich am Ende doch wieder in gewisser Weise mit der Gegenwart.

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Mehr Italien Wagen! Fiat 509 Tourer, Spider und Limousine

Der April des Jahres 2025 zeigt sich ausnahmsweise einmal von seiner frühlingshaften Seite – jedenfalls in meiner Heimatregion, der hessischen Wetterau.

Im Unterschied zu sonst habe ich mir gedacht „Diesmal kann man mehr Italien wagen!“.

Also schon früh die mediterranen Kübelpflanzen aus der Oldtimerhalle geholt, wo sie dank des ausgeglichenen Klimas des alten Ziegelbaus jeden Winter gut überstehen.

Das Zitronenbäumchen hat sogar aus Langeweile eine Frucht produziert. Nun steht es zusammen mit Olivenbäumen, deren einer bereits 30 Jahre im Topf residiert, zusammen mit den weniger empfindlichen Oleandern im Hof des Fachwerkanwesens.

Abgesehen vom Grünzeug aus dem Süden bin ich auch sonst der Ansicht, dass man unbedingt mehr Italien wagen sollte im Alltag – auf dem Teller und im Glas, im Kleiderschrank und in der Garage sowieso.

Der 1100er Fiat kommt bald ebenfalls heraus und wird technisch durchgesehen, der anstehende TÜV dürfte wie immer Formsache sein. Nur optisch stehen kleine Arbeiten unter Verwendung guter alter Originalteile an, die noch der Vorbesitzer beschafft hatte.

Noch mehr Italien-Wagen – nunmehr großgeschrieben – gibt es heute in Sachen Vorkriegs-Fiat des Typs 509. Der 1925 eingeführte Kleinwagen machte vor, was in der Klasse von unter einem Liter in Großserie möglich war, wenn man es wollte und konnte.

Der dank obenliegender Nockenwelle drehfreudige Motor produzierte muntere 22 PS, in sportlichen Werksversionen auch 27 bis über 30 PS. Über 90.000 Wagen dieses robusten und trotz kompakter Abmessungen erwachsen aussehenden Autos entstanden bis 1929.

Da es von deutschen Herstellern nichts Vergleichbares in nennenswerten Stückzahlen gab, verkaufte sich der Fiat 509 auch hierzulande hervorragend. Der an einem alten Citroen-Modell „orientierte“ 1-Liter Opel des Typs 4 PS war leistungsmäßig und optisch keine Konkurrenz.

So hat der Fiat mit seiner klassischen Kühlergestaltung auch auf diesem Foto die Nase vorne, während der brave Opel dagegen ziemlich „alt“ aussieht:

Fiat 509 und Opel 4PS am Fichtelberg; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Zuverlässig zu erkennen ist der kleine Fiat an der markant hervorstechenden Abdeckung der Lichtmaschine am unteren Ende des Kühlers.

Ansonsten folgte seine Gestaltung der Linie der größeren und stärkeren Modelle 503 (1,5 Liter) und 507 (2,3 Liter).

Am häufigsten stößt man auf den Fiat 509 in deutschen Landen und anderswo als Tourer.

Hier haben wir ein Exemplar, das in Graz abgelichtet wurde. Dass es sich nicht um den größeren Fiat 503 handelt, verrät der geringere Abstand zwischen den Türen:

Fiat 509 Tourer; Originalfoto aus Privatbesitz (via Thomas Frewein)

Natürlich begegnet uns der Fiat 509 Tourer auch in Italien – hier anhand eines Exemplars, das einst am Gardasee unterhalb des Castello di Arco aufgenommen wurde. Hier erkennen wir auch wieder die erwähnte Abdeckung des Dynamo:

Fiat 509 Tourer; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Langjährige Leser werden sich vermutlich auch an das folgende Foto erinnern – diese Form des Recyling wird im Fall eines klassischen Themas sicher keinen Anstoß erregen.

Immerhin haben wir hier die Besonderheit eines nur zweitürigen Tourers:

Fiat 509 Tourer; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Einen gewissen Neuigkeitswert sollte unterdessen die folgende Aufnahme haben – denn sie ist um 1960 entstanden und zeigt einen an der Kühlerpartie leicht modifizierten, ansonsten originalen Fiat 509 Tourer:

Fiat 509 Tourer; Originalfoto aus der Nachkriegszeit: Sammlung Michael Schlenger

Mit dieser schönen Aufnahme, die vom Nachleben eines Exemplars dieses Typs irgendwo im Süden erzählt, will ich das Thema Tourer vorerst abschließen.

Denn es gibt noch mehr Italien zu wagen auf dem Chassis des Fiat 509. Gerne gekauft wurde der Häufigkeit zeitgenössischer Fotos nach zu urteilen, auch die zweisitzige offene Version als „Spider“.

Dieser Ausführung sind wir ebenfalls schon das eine oder andere Mal begegnet. Ich will mich bemühen, auch hier etwas „Neues“ zu zeigen und hoffe, mich nicht zu sehr zu wiederholen (wobei es Schlimmeres gibt).

Leser Jörg Pielmann hat diese ausgezeichnete Aufnahme eines Fiat 509 „Spider“ beigesteuert, die ich noch nicht präsentiert zu haben glaube:

Fiat 509 „Spider“; Originalfoto: Sammlung Jörg Pielmann

Zwar gab es diesen Aufbau auch auf Basis des etwas stärkeren Fiat 503, doch sieht man diesem die etwas großzügigeren Proportionen an (Prospektabbildung hier).

Auch die folgende Frontalaufnahme eines solchen Fiat 509 „Spider“ verdanke ich Jörg Pielmann – vielleicht kann noch jemand etwas zu dem Kennzeichen sagen:

Fiat 509 „Spider“; Originalfoto: Sammlung Jörg Pielmann

Bleibt zum (vorläufigen) Abschluss der heutigen Abhandlung „Mehr Italien Wagen!“ noch die geschlossene Ausführung auf dem Chassis des Fiat 509.

Auch davon habe ich bereits bei anderer Gelegenheit Exemplare gezeigt, doch meine ich, dass dieses hier ein Novum darstellt:

Fiat 509 „Limousine“; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Dieser hervorragend in Szene gesetzte Fiat war einst zwischen Mergentheim und Würzburg unterwegs, so ist es laut dem Besitzer des Originalfotos überliefert.

Wenn Sie jetzt auf den Geschmack gekommen sind und Ihnen der Sinn nach noch mehr „Italien Wagen“ in Bezug auf den Fiat 509 steht, dann könnten Sie unter anderem an meinem Blog-Eintrag zur Sportversion 509S Gefallen finden.

Ansonsten gilt auch sonst die Devise „Mehr Italien wagen“, um bei Laune zu bleiben…

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Kurz vor dem Untergang: Austro-Daimler AD 6-17

Mit dem Stichwort „Untergang“ löst man im deutschsprachigen Raum reflexhaftes Interesse aus – irgendwie scheinen die Leute Lust darauf zu haben oder gruseln sich zumindest gern.

Ich habe schon viele herbeigeschriebene Untergänge miterlebt. Anlass dazu gaben in den letzten 40 Jahren apokalyptische Neuerungen wie Privatfernsehen, Internet, Mobiltelefonie, das Jahr 2000, Künstliche Intelligenz – zwischenzeitlich auch hochgejazzte Phänomene wie „Waldsterben, Ozon und Feinstaub“, in letzter Zeit „das Virus“ und neuerdings „der Russe“.

In allen Fällen bin ich gut gefahren, mit manipulativen Bildern, Geschichten und Slogans unterfütterte Erzählungen zu ignorieren bzw. das exakte Gegenteil davon anzunehmen. Der Maßstab für einen echten Untergang waren für mich stets der von Troja, derjenige des weströmischen Reichs, sodann der der Titanic und der 1. Weltkrieg.

Gemessen an echten Katastrophen – der Massenmord an den Juden und das „Area Bombing“ im 2. Weltkrieg sowie die Vertreibung 1945 wären ebenfalls zu erwähnen – mutet der Untergang, an dem wir uns heute delektieren, harmlos an.

Auf die Idee gebracht hat mich Wendelin Zuber aus der Schweiz, der von mir wissen wollte, was für ein Wagen auf folgendem Foto abgebildet ist, das 1923 am Grimselsee entstand:

Austro-Daimler AD 6-17 am Grimselsee 1923; Quelle: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv Ans. 15864-34

Der mächtige Tourenwagen war rasch als Austro-Daimler des 1920 vorgestellten Typs AD 6-17 identifiziert.

Der von Ferdinand Porsche entwickelte Wagen stellte mit seinem 60 PS leistenden Sechszylindermotor mit Ventilsteuerung über obenliegende Nockenwelle (ohc) ein geradezu ideales Reisefahrzeug im Alpenraum dar.

Allerdings ist dieses Exemplar aus dem Bilderfundus der Universität Zürich das erste, welches mir mit schweizerischer Zulassung begegnet ist. Leser Wendelin Zuber vermutet hier eine Züricher Registrierung – vielleicht weiß jemand es genau?

Unterdessen schauen wir, was wir an Vergleichsmaterial autreiben können, welches meine Identifikation des Wagens unterstützt. Ich darf diesbezüglich auf meine wachsende Austro-Daimler-Bildergalerie verweisen.

Dort findet sich diese hübsche Aufnahme, welche die Frontpartie des Wagens in wünschenswerter Klarheit erkennen lässt. Das geflügelte Kühlwasser-Thermometer war übrigens ein Extra, das man sonst kaum an diesen Wagen findet.

Austro-Daimler AD 6-17; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Was ist denn nun mit dem kurz bevorstehenden Untergang, mag jetzt ein alltagsmüder Zeitgenosse fragen?

Nun, auf den müssen wir noch ein wenig warten – aber im Unterschied zu modernen Erzählungen stand er tatsächlich bald bevor, als das Foto aufgenommen wurde, auf das mich Wendelin Zuber aufmerksam gemacht hat.

Das weiß ich aber nur, weil der Bildbeschreibung im Archiv der Universität Zürich ein Hinweis darauf zu entnehmen ist.

Dort heißt es nämlich, dass das Auto „bei der Steinbrücke zwischen den natürlichen Grimselseen“ fotografiert wurde, welche dem später dort angelegten Stausee vorangingen.

So werfen wir hier einen (vorläufig) letzten Blick auf das Grimsel Hospiz im Hintergrund, dessen Vorläufer sich bis 1397 zurückverfolgen lassen:

Schon vier Jahre nach diesem Foto – anno 1927 – begannen die Arbeiten an der Spitellamm-Staumauer und ab 1928 ging das Hospiz im Grimsel-Stausee unter.

Doch auch dieser Untergang fiel letztlich halb so wild aus – denn man baute vor und errichtete etwas höher das neue, bis heute betriebene Hotel Grimsel-Hospiz.

So ein richtig endgültiger Untergang ist also gar nicht so leicht zu bewerkstelligen und der Mensch als Überlebenkünstler kann letztlich die meisten vermeintlich finalen Episoden bewältigen. Ob er an einer dann doch irgendwann mal scheitert, auch das wird man sehen.

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Zwischenstopp im Elektrozeitalter! BMW 327/28

Elektroantrieb ist eine großartige Sache – jeder kennt unzählige Anwendungen, deren Nutzen niemand in Zweifel zieht und die sich wie alle echten Innovationen von allein am Markt durchsetzen.

Wer beispielsweise einen Garten und sensible Nachbarn hat, weiß es zu schätzen, dass man heute fast alles mit leisen Elektrowerkzeugen und sogar kabellos erledigen kann – sofern man nicht zur Fraktion derer gehört, die noch selber mechanische Arbeit verrichten.

Der Stromhunger wächst bereits seit 150 Jahren unaufhörlich, was gern vergessen wird, wenn im 21. Jh. das Elektrozeitalter ausgerufen wird, als ob das etwas Neues wäre.

Wirklich neu und Unfug ist die vermehrte dezentrale Einspeisung von Zufallstrom, womit nichts zur stabilen Versorgung rund um die Uhr und nichts zur Aufrechterhaltung der elementaren Netzfrequenz von 50 Hertz beigetragen wird – im Gegenteil.

Wäre das nicht von fachfremder Seite verordnet, würde niemand auf die Idee kommen, Stromquellen mit maximaler Energiedichte, Rund-um-die Uhr-Bereitschaft und großen Turbinen für das Setzen und Halten der Netzfrequenz eine nach der anderen abzuschalten.

So kürzlich im Fall eines der modensten, effizientesten und saubersten Kohlekraftwerke der Welt (Moorburg in Hamburg) geschehen. Eine Milliardeninvestition einfach gesprengt, die Turbinen wurden nach China verkauft. Die Kohle (aus dem Boden) wird jetzt woanders verbrannt.

Zu den wertvollsten Elektrizitätsquellen gehörte schon früh die Wasserkraft, sie erfüllt auch heute noch alle Anforderungen an intelligente Stromversorgung – hohe Energiedichte, jederzeitige Verfügbarkeit, Regelbarkeit und kostengünstige, risikoarme Produktion.

Heute unternehmen wir einen Ausflug in eine Gegend, in der das Elektrozeitalter schon früh begann und bis heute anhält. Unser zuverlässiger Begleiter dabei ist ein alter Bekannter, von dem man allerdings nie genug bekommen kann:

BMW 327/328 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Vor grandioser Bergkulisse wirkt der ab 1937 gebaute, hinreißend gestaltete BMW mit seinem leistungsfähigen Sechszylinder geradezu winzig.

Allerdings trägt auch die großwirkende Dame daneben zu dem Eindruck bei. Zum Glück ist die Qualität des Fotos ausreichend, um auch nach 86 Jahren noch nah herantreten zu können.

Wie ich darauf komme, dass diese Aufnahme höchstwahrscheinlich 1939 entstanden sein dürfte, das erfahren Sie zum Schluss. Wir machen uns erst einmal an den Wagen heran, in der Hoffnung mehr erkennen zu können:

Mmh, viel gewonnen scheint noch nicht zu sein. Weder lässt sich das Nummernschild genau erkennen, noch ist zu sehen, ob die Räder Zentralverschlussmuttern aufweisen.

Wäre das der Fall, hätten wir es nämlich mit einem BMW 327/28 zu tun, welcher den noch stärkeren Sportmotor des BMW 328 besaß.

Aber wir haben Glück, denn ich habe diese Aufnahme zusammen mit einer zweiten erstanden – sehr günstig, offenbar war ich der Einzige, der das Angebot gesehen hatte.

Und dieses zweite Foto ist nun wirklich elektrisierend:

BMW 327/328 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die BMW-Gourmets werden erfreut die Zentralverschlussräder zur Kenntnis nehmen – der einzige äußere Hinweis auf das extra starke Modell 327/28.

Dann wäre da das Nummernschild, das eine Zulassung in München verrät. Dieser Umstand wäre an sich nicht bedeutend – er ist es aber, auch darauf komme ich zurück.

Schwierigkeiten bereitete mir zunächst die Ortsangabe „San Floriano“ auf der Rückseite des Abzugs. Damit würde man nämlich im Grenzland zwischen Italien und Slowenien landen, aber die Topographie stellt sich dort anders dar, wenngleich die Berge nicht weit weg sind.

Dann fiel mein Blick auf die markanten Bauten der Zeit um 1900, die in Verbindung mit den aus dem Fels kommenden Leitungen links davon auf ein Wasserkraftwerk hindeuteten.

So suchte ich nach „San Floriano“ in Verbindung mit dem Begriff „impianto idroelettrico“, was im Italienischen für ein Kraftwerk steht, das Strom aus Wasserkraft erzeugt.

Auf diese Weise landete ich bei einem Ort namens San Fiorano im Valsaviore, einem Abschnitt des Valcamonica nördlich des Lago d’Iseo in der oberitalienischen Lombardei.

Das Tal liegt ideal für vielfältige Nutzungen von Wasserkaft zur Stromerzeugung und so wird das dort seit gut 125 Jahren praktiziert – teils durch Aufstauen des Oglio-Flusses im Tal selbst , teils durch hochgelegene Speicher beiderseits des Tals.

Dazu gibt es im Netz Dokumentationen sowohl der heutigen Anlagen, als auch der historischen mit ihrer oft spektakulären Architektur der Turbinenhäuser und anderer Zweckbauten, die man einst bewusst nicht rein funktionell gestaltete.

Im ersten Anlauf bin ich daran gescheitert, die auf dem zweiten Foto im Talgrund zu sehenden Bauten genau zu orten. Mag sein, dass sie nicht mehr existieren oder stark verändert wurden.

Jedenfalls finden sich sehr ähnliche Schmuckfassaden im historisierenden Stil an mehrere Stellen des sehr langen Tals, weshalb ich diese Aufgabe Lesern mit mehr Zeit und Glück anvertrauen möchte.

Ich möchte zum Abschluss noch einmal auf den prächtigen BMW mit den eleganten Radverkleidungen und der Zweifarblackierung zurückkommen:

Die groß erscheinende Dame daneben kam mir zwar nicht bekannt vor, aber das Auto selbst hatte ich mit genau diesem Farbschema schon einmal gesehen.

Auch in jenem Fall handelte sich um einen in München zugelassenes Exemplar und auch dieses war einst in Oberitalien abgelichtet worden – in Verona und in Mailand. Auf den entsprechenden Fotos, die ich vor gut einem Jahr hier vorgestellt hatte, war das Jahr 1939 vermerkt.

Ich halte es nach der Lage der Dinge für sehr wahrscheinlich, dass die beiden „neu“ aufgetauchten Fotos des BMW 327/28 dasselbe Auto zeigen und auf der gleichen Reise abgelichtet wurden – nun aber auf dem Heimweg.

Die weitere Route könnte über Bormio und den Stelvio-Pass weiter gen Norden geführt haben, wo auf unsere Reisenden anno 1939 ein ungewisses Schicksal wartete.

Damit verabschiede ich mich für heute – denn auch ich werde morgen früh den Heimweg aus Italien antreten. Ob ich nach rund 11-12 Stunden Fahrt dann abends noch die Energie für einen weiteren Bericht aus der automobilen Welt der Vorkriegszeit aufbringe, wird sich weisen.

Vielleicht vermag unterdessen ja jemand der bemerkenswerten Örtlichkeit, an der wir mitten im Elektrozeitalter Halt gemacht haben, noch das Eine oder Andere abzuringen…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Augen-Therapie bei Alltags-Tristesse: Horch 305/350

Leiden auch Sie an der Tristesse des Alltags?

Ich meine nicht die Tatsache, dass wir unser Leben irgendwie bewältigen müssen, dabei Rückschläge erleiden, Illusionen aufsitzen, Enttäuschungen erleben – all‘ das gehört zur „conditio humana“, das ist einfach unser gemeinsames Menschenschicksal.

Ich meine etwas anderes.

An sich lebe ich in Umständen, wie sie besser kaum sein könnten. Ein eigenes Heim, ein eigener Garten und einer der schönsten Kleinstädte Deutschlands – Bad Nauheim. Die wogenden Felder der Wetterau, Taunus und Vogelsberg in der Nähe, mildes Klima, immer noch heile Welt verglichen mit den Metropolen.

Heute drehte ich eine Runde mit dem Alltagsauto – ich wollte Unterboden und Radkästen in der Waschanlage vom Salz des Winters reinigen. Bei der Gelegenheit machte ich Halt an der Post – wohl die einzige Bausünde in Bad Nauheim – ein Machwerk im Betonbrutalismus der 70er Jahre.

Anschließend stand ich an der Ampel auf der Brücke über die Usa, die seit 125 Jahren klaglos Busse und Laster trägt, die es zu ihrer Entstehungszeit noch kaum gab.

Links von mir sah ich eine Gruppe von Leuten, die sich über irgendetwas auszutauschen schienen. Mir fiel auf, dass sie alle nachlässig gekleidet waren, unpassende Sachen zusammengewürfelt, formlose Jacken und Mäntel aus billigsten Kunstfasern.

Die Szene erinnerte mich an die Endphase der sozialistischen Staaten oder auch kurz nach dem 2. Weltkrieg, als man froh war, überhaupt irgendetwas auf dem Leib tragen zu können.

So eine schöne Stadt im Speckgürtel von Frankfurt/Main, vorfrühlingshaftes Wetter und dann diese Tristesse. Ich fuhr wie geplant in die Waschanlage, anschließend nach Hause in unseren Hof, wo mich meine vierbeinige Mitbewohnerin Ellie auf der Holzbank erwartete.

Ich war zurück in unserem kleinen Idyll, aber die Szene an der Brücke hatte etwas in mir aus der Balance gebracht.

Nur so kann ich mir erklären, weshalb ich beim Durchsehen des Bilderfundus für den heutigen Blog-Eintrag spontan an diesem Foto hängenblieb:

Horch 305 oder 350 Tourer; Originalforo: Sammlung Michael Schlenger

Etwas in mir wollte eine Augen-Therapie für die erlebte Alltags-Tristesse – und diese von Licht durchflutete, wohl inszenierte Situation war das, wonach mir der Sinn stand.

Das Foto hatte gerade erst seinen Weg zu mir gefunden – wie fast immer ein Schnäppchen in der 5 Euro-Kategorie. Dass ich hin und wieder bereit bin, deutlich mehr für diese Leidenschaft hinzublättern, davon werden Sie gelegentlich profitieren.

Zurück zu der herrlichen Momentaufnahme, die einen Horch-Tourenwagen irgendwo in der Bergwelt der Alpen zeigt. Wo genau das war, das ist so egal, wie die Frage, ob der Wagen nun ein Typ 305 von 1927/28 oder ein Typ 350 (1928-32) war.

Ein Achtzylinder-Horch war es in jedem Fall und zwar einer mit der nach Cadillac-Vorbild gestalteten prächtigen Kühlerpartie, welche ab 1928 die bis dato für ein Auto dieses Kalibers verstörend primitive Gestaltung hinter sich ließ:

Die Kühlerfigur – ein geflügelter Pfeil – tauchte fast zeitgleich mit der repräsentativen neuen Frontpartie auf. Anfänglich war sie auf einem senkrechten Unterteil montiert, die ab Frühjahr 1928 einer geschwungenen Variante wich, wie sie hier zu sehen ist.

Die amerikanischen Vorbildern nachgeahmte Doppelstoßstange scheint ab Werk zumindest optional verfügbar gewesen zu sein – es gibt auch vergleichbare Horch-Wagen, die darauf verzichteten, obwohl erst sie den modernen „Look“ vollständig macht

Der kleine Achtzlindertyp 305 (3,4 Liter, 65 PS) war im letzten Produktionsjahr 1928 äußerlich nicht mehr vom souverän motorisierten Modell 350 (4 Liter, 80 PS) zu unterscheiden, wenn ich das richtig verstanden habe.

Da der Horch 350 wesentlich länger und öfter gebaut wurde und der überlegene Reisewagen war, spricht einiges dafür, dass wir auch hier eher dieses Modell vor uns haben und nicht den deutlich schwächeren 305.

Genau ermitteln lässt sich das wohl nicht mehr, jedenfalls waren die Insassen sehr zufrieden mit dem Gebotenen, auch wenn die Tourenwagenausführung mit dem simplen Verdeck ohne Fütterung und ohne Kurbelscheiben beim Horch 8 nur noch selten gekauft wurde:

Die gelöste Stimmung dieser Herrschaften und ihre wohlgewählte Reisekleidung sind es, die mich an diesem Foto besonders erfreuen.

Dass man sich in der Öffentlichkeit seinen Mitmenschen von seiner besten Seite zeigt, sollte eine Selbstverständlichkeit sein.

Sich so vorteilhaft wie möglich zu geben, Unvollkommenheiten möglichst zu kaschieren und nicht mit allzu intimen Details hausieren zu gehen – wie man das macht, das kann man auf diesen Fotos unserer Altvorderen häufig studieren.

Zwar braucht man nicht in Knickerbockern und Kleidern wie anno 1930er herumzulaufen, aber zumindest sollte man sich die Frage stellen, ob die Mitbürger alles sehen wollen oder müssen, was einem vor dem heimischen Spiegel in den Sinn kommt.

Schon der Anblick eines typ- und figurgerecht gekleideten Zeitgenossen – zusammen mit einem gewinnenden Lächeln – hilft zumindest bei einem oft geplagten Augen-Menschen wie mir zuverlässig gegen Alltags-Tristesse…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Beflügelte Vorschau auf den Sommer: Wanderer W10-IV

Da hat es unser Blog-Wart aber auf einmal eilig. Hat er doch kürzlich erst das zur aktuellen Jahreszeit passende Foto eines FN in Eiseskälte gezeigt (hier). Gewiss, doch in meinem Blog unternehme ich ganz nach Tagesform gern virtuelle Ausflüge in die von mir bevorzugte Jahreszeit – den Sommer.

Der Winter kann ja durchaus seine Reize haben, speziell wenn bei Frost die schon merklich höherstehende Sonne vom tiefblauen Himmel scheint wie heute.

Erstmals kam sie wieder nachmittags über das Dach meiner Oldtimer-Scheune – in Wahrheit ein massiver Ziegelbau mit schönem offenen Dachstuhl. So konnte ich im windgeschützten Hof noch etwas Buchenholz für die verbleibenden Tage des Februar ofengerecht zukleinern.

Die Bewegung an der frischen Luft hat mir die letzten Monate gefehlt – wenngleich meiner vierbeinigen Mitbewohnerin Ellie das Verständnis dafür fehlte und sie mich vom malträtierten Polstersessel im geheizten Wintergarten aus beaufsichtigte.

Vom Schwung der Spaltaxt zusätzlich beflügelt wanderten die Gedanken in den Sommer und nach getaner Arbeit fand ich im Fotofundus das dazu passende Bildmaterial.

„Abholen“ möchte ich Sie zunächst mit dieser winterlichen Aufnahme, bevor wir uns anschließend einer beflügelten Vorschau auf den Sommer hingeben:

Wanderer W10 (frühe Ausführung); Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier finden wir uns mitten im verschneiten Wald wieder, und der einzige „Wanderer“, der sich bei dieser Gelegenheit blicken lässt, ist der gleichnamige Wagen des Typs W10 6/30 PS, neben dem sich die darin Reisenden gewiss nur kurz zur Fotozwecken aufhalten.

Der Hersteller des Wagens wäre auch ohne das geflügelte „W“ auf dem Kühlwasserstutzen zu ermitteln gewesen, denn das eigentliche Markenemblem befindet sich darunter.

Die Kühlerfigur war bei Wanderer erst etwa 1929 eingeführt worden, während der abgebildete Wagen bereits seit Herbst 1926 in Produktion war. Die schmucklose Vorderpartie sollte der Wanderer W10 noch bis 1930 beibehalten.

Um was für eine Variante (W10-I, II oder III) es sich genau handelte, lässt sich meines Erachtens nach nicht mit Bestimmtheit sagen und es ist auch egal.

Wir halten uns nicht länger damit auf, denn wir wollen ja eigentlich einen Vorgeschmack vom Sommer erhaschen. So bleibt es bei der Festellung, dass es sich eher um eine frühe Ausführung des W10 mit eventuell nachgerüsteter Kühlerfigur handelt.

Von Vorfreude beflügelt wechseln wir nun Jahreszeit und Ambiente – wobei sich das Thema Wanderer auf erfreulichere und vielfältigere Weise manifestiert.

Wir nähern uns mit respektvollem Abstand, damit der Kontrast nicht zu heftig ausfällt. Außerdem können wir so das schöne Hotel Alpenrose würdigen, das sich in Bayrischzell befindet und heute noch genau so aussieht – zumindest von außen:

Wanderer W10-IV in Bayrischzell; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Neben dem beeindruckenden historischen Hotelgebäude wirkt der Wanderer mit Berliner Zulassung winzig. Doch bot er in der Limousinenausführung für ein Auto der unteren Mittelklasse ausreichenden Komfort auch für längere Fahrten.

Der 30 PS leistende 1,6 Liter-Vierzylinder hatte bei voller Besetzung freilich nur in der Ebene genügend Leistung. Eine Gebirgstour wäre darin eine Quälerei für Mensch und Maschine gewesen.

Wanderer hatte das Defizit erkannt und dem W10 von 1927-1928 eine deutlich elastischere 40-PS-Maschine mit 2 Litern Hubraum verpasst. Sie wurde aber dann wieder einkassiert, weil man lieber den neuen 6-Zylindertyp W11 mit 50 PS an den Mann bringen wollte.

Der 1,6-Litermotor mit 30 PS wurde unterdessen weitergebaut und sollte bis Produktionsende des Wanderer W10 beibehalten werden.

Die Frontpartie hatte man aber 1930 so überarbeitet, dass der Wanderer endlich seinen unnötig unscheinbaren Charakter verlor und ein markantes „Gesicht“ erhielt, das ihn optisch deutlich aufwertete.

So glänzte einem die nunmehr verchromte statt nur vernickelte neue Kühlermaske schon von weitem entgegen, sodass sich der Wagen frühzeitig als modernisierter Wanderer W10 zu erkennen gab:

Wanderer W10-IV in Bayrischzell; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Auch technisch war einiges verfeinert worden.

Die traditionelle Maggentzündung war durch eine Batteriezündung (12 Volt) ersetzt worden. Ein Luftfilter und ein moderner Zenith-Vergaser wurden verbaut.

Die hauseigene Gestängebremse war durch eine per Drahtseil betätigte (System Perrot) ersetzt worden, die eine gleichmäßigere Bremswirkung ermöglichte. Vorder- und Hinterachse hatten hydraulische Hebelstoßdämpfer erhalten, die den Fahrbahnkontakt verbesserten und das Aufschaukeln der Karosserie bei Unebenheiten eindämmten.

Damit war der Wanderer W10 angesichts der Krise im deutschen Automobilbau 1930 noch einmal reaktiviert und geschickt verjüngt worden. Das hatte Erfolg und so blieb der adrette Wagen in der ersten Hälfte der 1930er Jahre noch eine Weile präsent.

Für die Großstädter war dies ein Wanderer ganz nach ihrem Geschmack, denn so hatten sie zwar das Gefühl auf dem Land zu sein, mussten aber nicht zwingend per pedes gehen. Die zweibeinigen Wanderer hatten demgegenüber klar das Nachsehen, sehen hier aber auch so gesund gebräunt aus, wie das sein soll:

Viel mehr vermag ich dieser Situation nicht abzugewinnen und auch zum Wanderer W10 in seinen vielfältigen Erscheinungsformen ist inzwischen alles gesagt (Quelle dazu: Th. Erdmann/G. Westermann, „Wanderer Automobile„, Verlag Delius-Klasing, 2. Auflage, 2011, .

Er gehört zu den häufigeren Gästen in einem Blog (siehe auch meine Wanderer-Galerie), wenngleich er nicht die Klasse des 6-zylindrigen Schwestermodells W11 10/50 PS erreichte. Der hatte sich allerdings mit der auf diesem Sektor dominierenden US-Konkurrenz angelegt, was ihm nicht gut bekam, weshalb er viel seltener blieb.

Weitere Wanderer-Episoden wird es freilich geben – ich habe noch jede Menge Material zu den ganz frühen wie auch den späten Typen. Wir werden der sächsischen Marke also immer wieder einen Besuch abstatten – solchermaßen beflügelt entlasse ich Sie für heute…

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Winter vor 110 Jahren: Ausfahrt im offenen „FN“ Tourer

Mitte Februar – um diese Zeit beginnt mir mit schöner Regelmäßigkeit die kalte Jahreszeit allmählich zuviel zu werden. Zwar werden die Tage spürbar länger, und heute schien endlich wieder einmal den ganzen Tag die Sonne.

Doch meine Betriebstemperatur erreiche ich erst, wenn es richtig schön warm ist – und damit meine ich 30 Grad Celsius und darüber. Bis es so weit ist, gilt es indessen noch, sich eine ganze Weile zu gedulden.

Gegen Abend verabschiedete ich einen Freund aus alten Zeiten. Wie das so ist nach seltenen Treffen, zog sich die Sache eine Weile hin – es gibt immer noch etwas zu sagen. Wir standen an seinem Auto im Hof, er hatte seine Jacke mit Fellkragen übergezogen und es nicht eilig.

Ich dagegen bloß mit Flanellhemd und hochgekrempelten Ärmeln, denn im Haus war es ja schön mollig, wo der Kaminofen tüchtig sein Werk verrichtete. Draußen war es indessen bitterkalt, der klare Sternenhimmel kündigte eine frostige Nacht an.

Man kann das eine Weile sportlich nehmen und sollte nicht immer gleich ängstlich ausweichen, wenn es mal ungemütlich wird. Irgendwann war es dann aber auch gut, wir sagten einander adieu und ich war froh, wieder ins Haus zu kommen.

In den nächsten Tagen soll es – durchaus typisch für den Februar – noch einmal richtig kalt werden. Mancherorts sind an die 10 Grad Kälte angesagt, was man so liest.

Was machte man bei solchen Verhältnissen vor 110 Jahren – im Februar 1915? Wenn man zu den Glücklichen zählte, die sich nicht dem Horror des 1. Weltkriegs ausgesetzt sahen und denen es auch daheim an nichts fehlte?

Nun, man unternahm eine Ausfahrt im Automobil, natürlich offen, damit man die Winterlandschaft besser genießen kann:

FN um 1911, aufgenommen im Februar 1915; Orignalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Erinnerung an die Fahrt nach Donzdorf bei 8 Grad Kälte, Februar 1915“ so schrieb einst jemand an die Base Hilde Grotz in Göppingen.

Die unweit von Göppingen gelegene Kleinstadt Donzdorf ist nach oberflächlicher Betrachtung keiner großen Rede wert, sieht man vielleicht von dem Schlösschen ab.

Uns interessiert ohnehin weit mehr der beachtlich dimensionierte Wagen mit der auffallenden Ausführung von Motorhaube, dahinterliegendem Tank und von dort zur Windschutzscheibe überleitendem Windleitblech – kurz: Windlauf.

Die Kühlergestaltung mit den horizontalen Streben und dem kronenförmigen Verschluss des Kühlwasserstutzens spricht für einen belgischen Wagen der Marke FN, die hier schon öfters thematisiert wurde. Die FN-Wagen verkauften sich in Deutschland vor dem 1. Weltkrieg bemerkenswert gut, selbst in den 1920er Jahren finden sich noch einzelne Exemplare.

Woran genau das lag, ist schwer zu sagen, da es sich zwar um gut konstruierte und hervorragend verarbeitete Wagen handelte, sie aber technisch keineswegs herausragten.

Ich vermute, dass der belgische Markt für die vielen dort ansässigen Hersteller zu klein war und die Industrie daher auf Export ausgerichtet war. Angesichts der überschaubaren Stückzahlen der deutschen Autoproduzenten wurde jedes zusätzliche Angebot aus dem Ausland absorbiert.

Datieren lässt sich das abgebildete Exemplar auf 1910-12, während die Motorisierung offenbleibt. FN bot damals von Kleinwagen mit 1,5 Litern Hubraum bis zum 6,8 Liter-Luxusauto das volle Spektrum an. Der Wagen auf dem Foto dürfte in der Mitte angesiedelt gewesen sein (Nachtrag: Leser Andrew Brand hält den Typ 1560 für wahrscheinlich).

Sie sehen: Viel Mühe mache ich mir trotz des schönen Fotos nicht, denn die belgischen Marken interessieren in Deutschland heute niemanden mehr, was vor 100 und mehr Jahren noch ganz anders war.

So ändern sich die Zeiten, nur der Lauf der Jahreszeiten nicht.

Nun ist es Mitternacht, draußen zieht Väterchen Frost durch die stillen Gassen. Unsere Freigänger-Katze „Ellie“ hat es sich auf dem alten Sofa im Wintergarten gemütlich gemacht. Jetzt wartet sie darauf, dass ich den Rechner herunterfahre und das Licht lösche.

Dann kommt sie bald zum Kuscheln, denn auch sie mag die Kälte überhaupt nicht, wie wohl ihre unbekannte, aber sicher ebenso liebenswerte Vorfahrin vor 110 Jahren…

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Unerwarteter Gegenverkehr auf der Axenstrasse…

Im abgelaufenen Januar habe ich meine Leser ganz schön verwöhnt, stelle ich gerade fest. Fast jeden Tag ein Blog-Eintrag, natürlich wie immer mit schwankender Qualität – wie im wirklichen Leben, das muss man verstehen.

Ich schreibe das Ganze meist um Mitternacht spontan herunter, korrigiere die Tippfehler meist erst am nächsten Tag. Nach dem Verwöhnprogramm des Monats Januar, das immerhin 5.271 Besucher angezogen hat, habe ich mir eine kurze Auszeit erlaubt.

Der Grund ist treuen Lesern wohlbekannt: Nach 1.150 Kilometern Fahrt bin ich heute in meinem Zweitdomizil im italienischen Umbrien angelangt. Da ist man besser einigermaßen ausgeschlafen, wenn man sich auf die Reise macht.

Der angenehme Teil war wie gewohnt die Ankunft in der umbrischen Tiefebene, wenn man von Cesena-Nord kommend die Berge nach einer guten Stunde hinter sich lässt und statt endloser Laubwälder mit einem Mal Ackerland und Zypressen das Bild bestimmen.

Kurz hinter dem prallgefüllten Tiber-Stausee riss der Himmel auf, die Sonne lachte und verließ mich nicht mehr, bis ich am Ziel war. Man erwischt sich dabei, dass man mit zufriedenem Lächeln hinter dem Lenkrad sitzt.

Unterwegs gab es aber doch ein bemerkenswertes Ereignis, an dem ich Sie teilhaben lassen möchte. Dieses begab sich in der Schweiz und entpuppte sich als veritable Zeitreise ins Jahr 1918, gekrönt durch eine besondere Art Gegenverkehr, der mich rätseln lässt.

Ich kam wie immer über Basel in die Schweiz und hielt Ausschau nach dem Abzweig Richtung Luzern und Gotthard – was soll schon sein außerhalb der Saison? Nun, im Winter werden natürlich die Hauptrouten gen Süden saniert, hätt‘ ich mir ja denken können.

Also hieß es auf den Schildern: „Gotthard und Chiasso (Italien) via Zürich“. Na gut, so groß ist die Schweiz ja nicht, und ausgeschildert wird das Ganze schon sein. So dachte ich mir.

Offenbar hatten die Schweizer allerdings nicht bedacht, dass ich ohne Navigationsgerät unterwegs bin (es ist schon eines vorhanden, aber ich nutze es nicht), und daher ganz auf Beschilderung und Bauchgefühl angewiesen bin.

Solchermaßen unvorbereitet näherte ich mich Zürich, doch irgendwann war nur noch die Wahl zwischen „Zürich Innenstadt“ geradeaus und „Zug/Cham/Luzern“ oder so ähnlich zur Rechten. Der Hinweis auf die Umleitung zum Gotthard war irgendwie verschwunden, ohnehin war kaum ein ausländisches Auto unterwegs um diese Zeit.

Also folgte ich der Himmelsrichtung, denn dass es nun nach Süden gehen musste, war klar. Irgendwann fiel mir auch ein, dass es von Zürich ja von jeher auch eine Hauptroute zum Gotthard gibt, obwohl ich noch nie in dieser Gegend war.

Langer Rede kurzer Sinn: Ich fand mich bald genau auf der Strecke wieder, die ich schon anhand einiger Fotos hier im Blog, aber noch nie in natura gestreift hatte.

Nach einer Weile fuhr ich dann gegenüber meiner üblichen Route entlang des Ostufers des Urnersees, dem südlichen Abschnitt des Vierwaldstättersees, und bemerkte die alten Abschnitte der berühmten Axenstraße mit ihren in den Fels gehauenen Tunnels und Galerien.

Mit einem Mal war ich selbst auf dieser Route mit ihren auch heute noch grandiosen Ausblicken unterwegs und dachte spontan an den Gegenverkehr, der mir dort begegnen würde, wenn ich eine Zeitreise in den Juni 1918 unternehmen könnte:

unbekannter Tourenwagen auf der Axenstraße (Schweiz), aufgenommen im Juni 1918; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Jetzt mögen Sie sagen, dass diese Aufnahme überall im Alpenraum entstanden sein könnte, solche Stellen mit „Fenstern“ in den Tunnels gibt es ja auch beispielsweise am Gardasee, wenn man sich ihm von Norden nähert.

Gewiss, aber ich konnte von diesen Herrschaften mit ihrem großzügigen Tourenwagen noch zwei weitere Aufnahmen „im Gegenverkehr“ dingfestmachen.

Hier eine etwas andere Perspektive, welche die Damen und Herren zu einem Zeitpunkt im Reisedress zeigt, während man auf dem Kriegsschauplatz in Frankreich im Sommer 1918 immer noch noch meinte, unzählige junge Männer zu opfern: für exakt nichts.

unbekannter Tourenwagen auf der Axenstraße (Schweiz), aufgenommen im Juni 1918; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieses Idyll hätte man weiter nördlich damals auch haben können.

Worum ging es doch gleich ursprünglich in jenem Krieg? Um irgendeinen banalen Lokalkonflikt auf dem Balkan. Vielleicht lernt man ja etwas daraus nach über 100 Jahren, vermutlich nicht.

Egal, die Geschichte geht ihren Gang und was in Europa geschieht, wird im globalen Kontext ohnehin immer unbedeutender.

Also erfreuen wir uns an dem, was wir haben und das sind in Ermangelung aktueller Durchbrüche auf dem alten Kontinent vor allem die großartigen Zeugen der Vergangenheit.

Hier haben wir nun die dritte Aufnahme des Tourenwagens, der anno 1918 auf der Axenstraße für einen dermaßen beeindruckenden Gegenverkehr sorgte, dass selbst die damals noch gesellschaftsfähig gekleideten Radler innehielten:

unbekannter Tourenwagen auf der Axenstraße (Schweiz), aufgenommen im Juni 1918; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Jetzt haben wir endlich auch den Beweis, dass diese Situation tatsächlich auf der Axenstraße aufgenommen wurde. Denn im Hintergrund sehen wir die markante Kirchturmspitze der Ortschaft Flüelen, wenn ich mich richtig erinnere.

Ebendort sauste ich gerade noch auf dem Weg nach Süden vorbei, als ich im Geiste dieses Gefährts im Gegenverkehr gewahr wurde.

Was genau war das für ein Wagen? War es ein deutsches, österreichisches oder italienisches Fabrikat? Ich habe es bislang nicht ermitteln können.

Vorschläge dazu sind willkommen und wie immer auch abwegige Gedanken zu diesen Fotos. Meine Sicht der Dinge habe ich geschildert – Ihre mag eine andere sein, und das ist gut so!

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Stimme(n) aus der Stille: Adler 6/25 PS Tourenwagen

Zum Wochenende hin gibt’s wie in jedem anständigen Haushalt, der nichts verkommen lässt, Resteverwertung. Die gereichte Kost wird indessen nicht so schwer werden wie beim jüngsten „BMW meets Bach“-Thema – versprochen!

Auch gibt es diesmal wenig zu sinnieren oder zu recherchieren – denn eigentlich tische ich Ihnen heute nur x-mal das Gleiche auf. Als geübter Hobbykoch meine ich aber, auch einer simplen Rezeptur traditioneller Machart einige raffinierte Seiten abgewinnen zu können.

Auf der Menükarte steht nur ein einziges Gericht – doch zum Glück nicht angerührt in der für ihren kalten Funktionalismus berüchtigten Frankfurter Küche – sondern in den prächtigen Adlerwerken unweit des Hauptbahnhofs zu Frankfurt am Main.

Viele Jahre – von der kaufmännischen Ausbildung über das VWL-Studium bis zu meiner Tätigkeit bei einem örtlichen Wertpapierverwalter (Kennern als „Asset Manager“) bekannt – fuhr ich täglich mit der Bahn dort vorbei, ohne mir viel dabei zu denken.

Erst als ich in der Frühzeit meines Dilettierens über Vorkriegsautos auf alten Fotos vor bald 10 Jahren über diese Aufnahme stolperte, begann ich eine intensivere Beziehung zu der Traditionsmarke Adler zu entwickeln – jedenfalls, was deren Automobile betrifft:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die wirklichen Veteranen der Altautofraktion wussten es natürlich lange vor mir: Das war ein Adler des Typs 6/25 PS, der ab 1925 in rund 6.500 Exemplaren gebaut wurde.

Das technisch konventionelle Fahrzeug mit 1,6 Liter Vierzylindermotor (seitengesteuert) war der bis dato größte Erfolg der Marke. Mit Vierradbremsen, vier Gängen und 12 Volt-Elektrik sowie markentypisch makelloser Verarbeitung war der Wagen ein grundsolides Angebot.

Im Unterschied zu einigen anderen Wagen der um 1925 einsetzenden Flachkühler-Ära am deutschen Markt wirkte der Adler durchaus gefällig gestaltet. Mit seinen serienmäßigen Scheibenrädern und der markant gestalteten Frontpartie stach er aus der Masse ähnlicher Fahrzeuge deutscher Provenienz hervor.

Sofern sich der Käufer für die spektakuläre Adler-Kühlerfigur entschieden hatte, kam der Wagen beinahe repräsentativ daher:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Vielleicht fragen Sie sich an dieser Stelle die Frage, was mich dazu bewogen hat, den adretten Adler 6/25 PS im Titel mit „Stimme(n) aus der Stille“ in Verbindung zu bringen.

Nun, das ist einfach erklärt. Ich suchte nach einem Motto, das sich für einen Bilderreigen des Immergleichen eignet, der ohne viele Worte auskommt und zugleich die Frage aufwirft: Was ist aus all den tausenden Wagen dieses Typs geworden, die in den meisten Fällen als Tourer und nur selten mit geschlossenem Aufbau gekauft wurden?

Zum Glück hatte ich gerade eine Platte mit Liedern der geheimnisvollen italienischen Sängerin Mina (nicht zu verwechseln mit Milva) aufgelegt und gerade wickelte sie mich mit der Nummer „La Voce del Silenzio“ auf’s Angenehmste ein.

Das wäre doch ein passender Titel – die alten Adler Fotos als paradoxe „Stimme(n) aus der Stille“ zu präsentieren und zu lauschen, was sie uns – wenn auch stumm – am Ende doch zu sagen vermögen. Und das ist eine ganze Menge, wie wir im Folgenden sehen werden.

Dieser Adler etwa erzählt – mag er selbst sonst völlig schweigend dastehen – von der gestalterischen Schönheit so banal erscheinender Gegenstände wie eines Gartenzauns an einer großzügigen Vorstadtvilla:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Das folgende Exemplar wiederum lässt uns an den bisweilen auftretenden Problemen damaliger Kameras teilhaben.

Hier war unbeabsichtigt Seitenlicht auf den eingelegten Film gefallen. Das konnte beispielsweise passieren, wenn man den belichteten Film herausnehmen wollte, aber vergessen hatte, ihn zuvor ganz zurückzuspulen:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der aufmerksame Betrachter erfährt hier aber auch etwas anderes: Auffallend viele dieser Adler wurden nachträglich mit wohl ledernen „Seitenschürzen“ an den Vorderkotflügeln ausgestattet. Das kenne ich in dieser Häufung von keinem anderen Wagen.

Ich schließe daraus, dass die vorderen Kotflügel ihren Zweck nur unvollkommen erfüllten. Der Hersteller scheint darauf nicht reagiert zu haben. Auch die bei obigem Modell montierte Doppelstoßstange stammte aus dem Zubehörhandel.

Überhaupt fällt auf, dass die Fahrer deutscher Wagen jener Zeit oft die Behebung von Mängeln ihrer Fahrzeuge selbst in die Hand nahmen – im Fall von Stoßstangen nahm man meist Maß an den moderneren US-Modellen, welche den Stil auch solcher funktioneller Bauteile vorgaben.

Wer auf dem Land wohnte, wo außer dem Hausarzt und dem Gutsbesitzer kaum ein Mensch ein Auto besaß, konnte freilich noch gut auf Stoßstangen verzichten. Wenn sich einer freilich in die Großstadt traute – hier im Fall von „Vati in Darmstadt“ – galt es vorsichtig zu sein:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Erst recht kam man ohne großstädtischen Ballast aus, wenn man einen Tourenwagen des Typs Adler 6/25 PS bestimmungsgemäß in der Botanik ausfuhr, um sich an derselben und der Stille zu erbauen, die beim Abstellen des Motors zu vernehmen war.

Dieser Herr etwa fühlte sich irgendwo im Wald mit sich, der Welt, seinem Adler so zufrieden, dass er genau hier und genau so für die eigene Erinnerung und die Nachwelt festgehalten werden wollte:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Andere Vertreter (m/w/d) der Adler-Fraktion wiederum bevorzugten die reizvolle Umgebung eines herrschaftlichen Landsitzes, auch wenn es wohl nicht der eigene war.

Vielleicht bekommt jemand heraus, vor welcher Schlossanlage diese Aufnahme entstand. Der Abzug trägt auf der Rückseit den Stempel eines Fotogeschäfts aus Kassel – das könnte helfen:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Auf der folgenden Aufnahme geht es zwar weit bodenständiger zu, jedenfalls die Architektur im Hintergrund betreffend, aber immerhin ist hier überliefert, wo das Foto entstand und auch wann.

Denn umseitig ist vermerkt: „Pinneberg, Juni 1930“: Die teuer gekleideten Kinder neben dem Wagen wollen eher nicht zu den einfachen Häusern in dieser Straße passen – zum Adler dagegen durchaus:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

So viel Menschliches ist auf diesen nur vordergründig schweigenden Dokumenten zu sehen. Da beginnt der Adler 6/25 PS allmählich in den Hintergrund zu rücken, wenngleich er als Charaktertyp auch in solchen Situationen stets auf Anhieb zu erkennen ist.

Bei der Gelegenheit darf ich an die bereits erwähnten Seitenschürzen erinnern – diese nicht gerade schmückenden Teile, welche eine spätere Kotflügelgestaltung vorwegnehmen. Sie müssen von vielen Fahrern des Adler 6/25 PS als Notwendigkeit empfunden worden sein:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Weiter geht es mit der Resteverwertung auf gehobenem Niveau. Dass ich einigen von Ihnen auch mit bereits vorgestellten Aufnahmen des Adler 6/25 PS eine Freude machen kann, das weiß ich genau.

So zeige ich mit Vergnügen wieder dieses Foto eines Wagens des Typs, der in den 1960er Jahren in der DDR regelmäßig bei Veranstaltungen in der dort bereits vorbildlich organisierten Veteranenszene mit von der Partie war. Wir wissen in diesem Fall sogar, wem dieses schöne Exemplar gehörte, nämlich Heiner Goedecke aus Leipzig:

Adler 6/25 PS Tourenwagen von Heiner Goedecke (Leipzig); aufgenommen in den 1960er Jahren

Von diesem speziellen Fahrzeug, das sehr wahrscheinlich noch existiert, finden sich in einem älteren Blog-Eintrag einige weitere Fotos.

Das hatte ich fast vergessen, als mir kürzlich eine Aufnahme desselben Adler 6/25 PS in die Hände fiel, die ebenfalls zu dieser Zeit bei einer Veranstaltung in der DDR entstanden sein muss.

Hier haben wir das gute Stück neben einem russischen Militär-LKW, wenn ich es richtig sehe:

Adler 6/25 PS Tourenwagen von Heiner Goedecke (Leipzig); aufgenommen in den 1960er Jahren

Zu diesem speziellen Exemplar können sicher noch einige Zeitzeugen etwas sagen. Doch ich will mich nicht zu weit vom heutigen Motto entfernen: „Stimme(n) aus der Stille“. Denn hier sind die alten Fotos selbst die Botschaft und vieler Worte bedarf es nicht.

Nebenbei: Wie so ein Adler 6/25 PS in der Tourenwagenausführung aussah, werden Sie spätestens jetzt verinnerlicht haben, ohne dass ich darauf ausführlich eingehen musste.

Also lassen wir noch ein letztes Mal für heute eine Aufnahme eines Adler 6/25 PS ganz aus sich selbst heraus sprechen und lauschen, was sie uns vielleicht zu sagen hat:

Adler 6/25 PS Tourenwagen von Heiner Goedecke (Leipzig); aufgenommen in den 1960er Jahren

Ein zauberhaftes Dokument finde ich. Hier ist der Wagen ebenso wie die Fachwerkscheune im Hintergrund nur eine gut gewählte Kulisse. Der Fotograf hat die Schärfentiefe mit seltener Präzision auf den Bub hinter dem Lenkrad gelegt, dafür musste man sehr versiert sein.

Und jetzt überlasse ich es ganz Ihnen, was Ihnen dieses schöne stille Foto sagt, das einen Moment festhält, von dem nichts geblieben ist als – bestenfalls – die Scheune mit ihren verwitterten Balken und den typischen Tonziegeln, die man hierzulande nur noch selten findet.

Damit Sie das Wochenende aber nicht allzu melancholisch beginnen, sei Ihnen anempfohlen, was die hinreißende Mina einst zum Thema „Stimme der Stille“ zu singen hatte. Das war anno 1968 – seitdem geht es stilistisch leider eher den „Bach runter“…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Glückliche Heimkehr: BMW 303 / 309 4-Fenster-Cabriolet

Wenn man sonst keine Probleme hat, macht man sich welche, aber so richtig, und sieht anschließend zu, wie man aus dem Schlamassel wieder rauskommt – deutsche Tradition.

Heute wollen wir diese Kompetenz anhand eines auf den ersten Blick unproblematisch erscheinenden Gegenstands erproben – des BMW 303 bzw. 309. von 1933 bzw. 1934.

Warum nenne ich hier zwei unterschiedliche Modelle in einem Atemzug, nämlich einen Sechszylindertyp und einen Vierzylindertyp? Tja, hier zeichnen sich schon die ersten selbstgeschaffenen Probleme ab.

Denn wenn ich es richtig sehe, lassen sich die beiden von Leistung und Charakteristik so unterschiedlichen Typen äußerlich nicht zuverlässig auseinanderhalten.

Vielleicht kann ja jemand sagen, ob dieser wohlgenährte Herr vor der Kulisse der Nürburg einst einen BMW 303 mit 30 PS aus 1,2 Litern oder einen Typ 309 mit 22 PS aus 850 ccm fuhr:

BMW 303 oder 309 Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die Stoßstange war beim Sechszylindertyp 303 serienmäßig, beim schwächeren 309 konnte sie aber als Zubehör geordert werden. Und genau das dürften prestigebedürftige Zeitgenossen gern gemacht haben.

Wer aufgepasst hat, wird an dieser Stelle beanstanden, dass ich im Titel die 4-fenstrige Cabrio-Ausführung angekündigt hattte. Keine Sorge, der werden wir uns noch widmen.

Mir ging es bloß darum, das grundsätzliche Erscheinungsbild der Frontpartie der beiden BMW-Modelle zu veranschaulichen. Tatsächlich müssen wir dem fülligen Besitzer in diesem Fall sogar dankbar sein, verdeckt er doch den ansonsten arg langweiligen Aufbau.

Für ein Automobil von 1933/34 war die geschlossene Ausführung sehr konservativ geraten, um es zurückhaltend auszudrücken. Von der Kühlerpartie abgesehen, hätte das auch ein Auto der zweiten Hälfte der 1920er Jahre sein können.

Böse Zunge könnten jetzt sagen, dass dies kaum verwunderlich sei, wurde doch die Limousine bei Daimler-Benz in Sindelfingen gefertigt, wo es von einzelnen kühnen Cabriolet-Entwürfen abgesehen eher ängstlich-bieder zuging.

So kommt es, dass dieser BMW 303 als Limousine auch vor einem historischen Gebäude kaum sonderlich modern wirkt:

BMW 303 Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Bemerkenswert an dieser Aufnahme ist nicht nur die phänomenale Wirkung des großzügigen Bauernhauses aus dem beschaulichen Groß-Grönau in Schleswig-Holstein – es dürfte mit einiger Wahrscheinlichkeit noch existieren.

Interessant ist auch das Aufnahmedatum: Mai 1942. Hier hatte jemand mitten im 2. Weltkrieg das Bedürfnis verspürt, den mit Tarnscheinwerfern versehenen Wagen vor einer Kulisse zu dokumentieren, die sonst nichts von den Umständen ahnen lässt.

Vielleicht war es das letzte Foto, bevor der Wagen für das Militär eingezogen wurde. Vielleicht aber auch die letzte Fahrt, bevor der Besitzer selbst an die Front musste – etwa als Arzt.

Wir wissen nichts darüber, nur eines ist klar: Die gigantische Katastrophe, die von deutscher Seite damals aus freien Stücken und – in vielen Fällen – mit großer Hingabe angerichtet wurde, war drei Jahre später vorbei, im Mai 1945 nämlich.

Gut ein Jahr später – am 23. September 1946 – war jedoch jemand schon wieder in der Lage, mit seinem Vorkriegs-BMW einen Ausflug zu unternehmen – da musste einer schon viel Glück gehabt oder eher: sich in brillianter Weise aus dem Schlamassel nach oben gearbeitet haben:

BMW 303 oder 309 4-Fenster-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme kündet zugleich von den kolossalen Problemen, die ich mir mit dem ziellosen Einsammeln solcher Fotorelikte bisweilen selber mache.

Man muss schon einigermaßen bekloppt sein, um sich die Mühe zu machen, so ein Dokument zu enträtseln. Alternativ bzw. ergänzend hilft es, wenn man schon vieles in der Hinsicht gesehen hat und grundsätzlich bei Problemen aller Art zu besonderer Form aufläuft.

Vielleicht erinnern Sie sich an diese Aufnahme eines nahezu identischen 4-Fenster-Cabriolets, das ebenfalls kurz nach dem 2. Weltkrieg aufgenommen wurde.

BMW 303 oder 309 4-Fenster-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ich hatte den Wagen seinerzeit als BMW 315 angesprochen, also den stärkeren Nachfolger des 303, aber aus dieser Perspektive konnte es ebenso ein früheres Modell sein – das Serien-Cabrio wurde von 1933 bis 1936 meines Wissens nicht verändert.

Sehen Sie die Ähnlichkeit der Linienführung am hinteren Verdeckausschnitt? Wichtig ist auch der leicht gerundete Verlauf des hinteren Türabschlusses.

Übrigens wurde diese 4-fenstrige Cabrio-Karosserie von Reutter in Stuttgart entworfen und anfänglich auch dort für BMW gebaut.

Jedoch genügten die Kapazitäten dort nicht, sodass man bald von dem aufwendigen Transport der Chassis von Eisenach nach Stuttgart und zurück absah und die Aufbauten nach Reutter-Vorbild schlicht selbst baute.

Damit sind wir nun tatsächlich an dem Ort angelangt, auf den ich mich mit dem Titel „Glückliche Heimkehr“ bezog.

Denn nach all den Katastrophen der 1930er und 40er Jahre gelangte dieser BMW 303 bzw. 309 mit halbwegs intakter Cabrio-Karosserie an einen besonderen Ort zurück, der für uns Deutsche einer der wichtigsten Orientierungspunkte und dauerhafte Inspiration sein sollte.

Die Rede ist zwar nicht vom Geburtsort des BMW und des historisch bedeutendsten und begnadetsten deutschen Komponisten – Johann Sebastian Bach – denn das wäre Eisenach in Thüringen.

Doch für alle die, die im historischen Mitteldeutschland eine ganz besondere Konzentration schöpferischer Geister über Jahrhunderte sehen, repräsentiert auch das sächsische Leipzig eine ebensolche Heimkehr zu den Ursprüngen:

BMW 303 oder 309 4-Fenster-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Vor dem Bach-Denkmal an der Thomas-Kirche in Leipzig, wo der Meister einst wirkte, wurde 1958 dieser BMW fotografiert. Wenn ich mich nicht irre, trug er ein Nachkriegskennzeichen aus dem sächsischen Reichenbach.

Bemerkenswert sind die beiden Volkswagen und der Heckflosser, die mit dem BMW abgelichtet wurden. Doch der von der Zeit gezeichnete BMW mit wohl von einem DKW geborgten Stoßstangen war für den unbekannten Fotografen eindeutig das großartigste Motiv.

Ich kann das gut nachvollziehen – so wie neben der Kunst von Bach alles Gegenwärtige in musikalischer Hinsicht verblasst. Man hat uns in der Schule – in meinem Fall der ehrwürdigen Augustinerschule in Friedberg/Hessen – exakt nichts davon mit auf den Weg gegeben.

Ich musste mir diese Schöpfungen, die zum Besten zählen, was deutscher Geist für die Menschheit zustandegebracht hat, selbst erschließen. Auch im Elternhaus fand keinerlei Erziehung in der Richtung statt.

Die Deutschen sind im 21. Jh. immer noch ein mit sich selbst zutiefst im Unreinen befindliches Volk. Das ist der Schlamassel, aus dem wir herausmüssen, indem wir uns des Besten in uns vergewissern und zugleich fatalen Neigungen eine Abfuhr erteilen:

Perfektionismus im Banalen, belehrendes Gehabe, lustvolle Hierarchiegläubigkeit, verbiesterte Humorfeindlichkeit und: die Geringschätzung von Schönheit und Überfluss.

Die Kunst Bachs kann bei diesem Heilungsprozess helfen, meine ich. Wie das geht, zeigt uns das Ensemble „Netherlands Bach Society“ anhand der weltlichsten Komposition des Meisters aus Eisenach bzw. Leipzig überhaupt – der „Kaffeekantate“ (BWV 211).

Hier tritt uns Bach bei aller Genialität als Menschenfreund und augenzwinkernder Beobachter gegenüber – und das auf zeitlose Weise, wie uns diese Musiker mit Freude vorspielen:

Wem die Eingangsarie des Herrn „Schlendrian“ zu anstrengend ist, obwohl es darin um zeitlose Probleme von Vätern mit ihren Kindern geht, mag zu 5:00 Min. springen. Dort kommt alsbald die Tochter zu Wort, die ausgiebig ihre Kaffee-Leidenschaft schildert.

Und wenn Sie bis zum Schluss durchhalten, werden Sie erfahren, wie alt die Redewendung „Die Katze lässt das Mausen nicht“ ist (ab 23::30 min).

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Wagenden winkt der Weg gen Walhall: Hanomag „Garant“

Wer im Titel eine Anspielung an den Komponisten Richard Wagner wähnt, wagt wahrlich wenig.

Denn des Großmeisters der deutschen Romantik Neigung zu Alliterationen in den Texten zu seinen Werken – also aufeinanderfolgenden Wörten mit gleichem Anklang – ist unter Wissenden weithin während – und entsprechend leicht zu persiflieren.

Auf der Woge von Wagner über Wagen nach Walhall ist somit leicht zu surfen, wenn mir diese flapsige Wortwahl erlaubt ist.

Damit wir uns recht verstehen: Wagners Musik gehört für mich zu den wenigen singulären Großtaten deutscher Kultur – neben der Kunst von Bach und Dürer sowie der Bibelübersetzung Luthers und Goethes Faust.

Nicht zufällig finden sich diese Urheber in dem Bau wieder, um den es heute zumindest im Hintergrund geht – der „Walhalla“ an der bayrischen Donau. In dem klassizistischen Bau von Anfang des 19. Jahrhunderts sollten Größen aus dem (weitgefassten) deutschen Sprachraum einen Tempel zur Andacht finden.

Doch bevor wir uns der Walhalla nähern, möchte ich an ein Fahrzeug erinnern, das aufgrund seines bodenständigen Charakters von vornherein keine Chance hatte, in das Museum grandioser Germanen (und solcher, die man dafür hielt) aufgenommen zu werden.

Die Rede ist vom Hanomag „Garant“ – einem biederen Vierzylinderauto der unteren Mittelklasse, welches der Hersteller aus Hannover von 1934 bis 1938 fertigte. Mit 23 PS aus 1,1 Litern Hubraum war er ein direkter Konkurrent des Fiat 508 4m, dem er auch von Abmessungen und Erscheinungsbild zumindest ähnelte.

Hier haben wir die Ausführung des Hanomag „Garant“ als Cabrio-Limousine von 1935/36:

Hanomag „Garant“ Cabrio-Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Gegenüber den beeindruckenden Produktionszahlen des Fiat 508 4m mit über 70.000 Exemplaren (1934-37) blieb der Hanomag eher selten (ca. 12.000 Stück von 1934-38).

Doch bisweilen findet sich ein Foto eines dieser Fahrzeuge, die meines Wissens keinen internationalen Absatz fanden – eine Schwäche in einem noch unterentwickelten Heimatmarkt. DKW zeigte damals, wie man es besser macht.

Bei Hanomag hatte der Bau von PKWs allerdings generell nicht die Bedeutung wie bei anderen Herstellern. Die Nischenexistenz spiegelt sich im Fall des „Garant“ auch in der Abkehr von den Ganzstahl-Karosserien von Ambi-Budd wider, die 1935 einem von Karmann gefertigten Manufakturaufbau als Cabrio-Limousine wichen.

Diese kam anfänglich noch mit einem angesetzten Kofferraum daher, welcher auf diesem Foto zu erahnen ist:

Hanomag „Garant“ Cabrio-Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Diese Gestaltung der Heckpartie wich 1936 einer harmonischen Ausführung mit integriertem Kofferraum und gekonnt abfallender Linienführung – damals auch als Stromlinienheck bezeichnet.

Entsprechende Aufnahmen scheinen nach meiner Wahrnehmung allerdings Seltenheitswert zu haben.

Erst beim Studium eines Fotos, das ich vorrangig aufgrund der Szenerie erworben hatte, ging mir auf, dass hier genau so ein Wagen auf dem Weg gen Walhall zu sehen ist:

Hanomag „Garant“ Cabrio-Limousine (Karmann); Originalfoto: Michael Schlenger

So wirkungsvoll diese Aufnahme mit der „Walhalla“ im Hintergrund auch gestaltet ist, leidet sie doch unter den Mängeln derselben.

Ein weißer Marmorbau passt nun einmal nicht so gut vor eine deutsche Waldkulisse wie das Vorbild – der Parthenon-Tempel in Athen – auf die dortige Akropolis. Auch leidet die Wirkung der Walhalla unter der überdimensionierten Treppenanlage davor – sie lässt den Tempel in Relation unverdient klein erscheinen.

Was die Architekten Anfang des 19. Jahrhunderts zudem mangels eigener Anschauung nicht wussten, war der Umstand, dass die klassischen Tempel der Antike ihre Spannung aus der gezielten Abweichung von der Geraden in der Horizontalen wie der Vertikalen bezogen.

Die beeindruckendste Partie der Walhalla ist ohnehin der Innenraum mit einer vom kühlen Weiß abweichenden Farbfassung – man muss das gesehen haben.

Warum man bei der Bezeichnung dieses Tempels ausgerechnet auf die „Walhall“ der nordischen Tradition Bezug nahm, in der es weniger erhaben zuging und die germanischen Helden sich mit Bier und Wurst die Zeit vertreiben mussten, erschließt sich mir nicht.

Aber dieser ganze Germanenkult ging ohnehin nie an mich und als Freund der klassischen Antike finde ich die Verehrung haufenweise germanischer Barbarenführer in der Walhalla verstörend, die außer Zerstörung der Welt der Antike nichts Bleibendes zustandebrachten.

Genug davon, das deutsche Gemüt scheint zwischen primitivem Gefolgschaftsdenken und destruktivem Ausbreitungsfuror einerseits und der großbürgerlichen Sehnsucht nach der wohltemperierten Grandiosität mittelmeerischer Tradition nie eine Balance gefunden zu haben.

Dieses Problem gilt es aber heute auch nicht zu lösen – also zurück zum Ausgangspunkt:

Während ich die Zulassung dieses Wagens nicht ermitteln konnte – nur Oberbayern als Region ist gesichert – konnte ich der Identität von Hersteller und Typ auf die Spur kommen.

Das erste Indiz lieferte die Gestaltung der Stoßstange mit „Mittelrippe“ in Verbindung mit dem Scheibenrädern und Chromradkappen. Viele Kandidaten kommen da nicht in Betracht und rasch landete ich beim „Garant“ aus dem Hause Hanomag.

Die schön gestaltete Heckpartie hatte ich bis dato noch nie an dem Modell gesehen, aber in Verbindung mit der für meine Begriffe in Bild und Detailtiefe etwas sparsamen Literatur zu Hanomag-PKWs gelangte ich alsbald ans Ziel.

Indessen muss dem Wagen der finale Einzug nach Walhall versagt bleiben, denn dieser ist nur dem wirklich alles Wagenden verheißen – außerdem den Walküren, die der germanischen Sage nach im Kampf gefallene Recken zu ihrem Altersruhesitz brachten…

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Eine grüne Vision wird wahr! Mercedes-Benz 170 (W15)

Wenn Sie beim Stichwort „Grüne Vision“ zusammenzucken, ist das nicht meine Schuld. Doch keine Sorge, es gibt Dinge, die sich selbst so grün(d)lich unmöglich machen, dass diese keines weiteren Kommentars bedürfen.

Es geht daher heute unpolitisch zu – für den Fall, dass Sie anderes befürchtet hatten.

Wir machen stattdessen einen Ausflug ins Grüne, wie er eigentlich sein soll – erbaulich für den Städter, schonend für die Umwelt und dem Herz des Autofreunds wohltuend.

Das Fahrzeug unserer Wahl ist eines, wie es das längst nicht mehr gibt – hauptsächlich weil das wuchernde Vorschriftendickicht es praktisch unmöglich macht, so etwas zu bauen:

Ein kompakter Viersitzer mit gut einer Tonne Wagengewicht, ausreichender Leistung, guten Bremsen, modernem Fahrwerk und – jetzt halten Sie sich fest: einem 6-Zylindermotor!

Diese Vision verwirklichte Damler-Benz ganz ohne ins Grüne strebende Absichten anno 1931 mit dem Mercedes 170 – nicht zu verwechselt mit dem späteren 170V.

Natürlich gab es in bester Markentradition auch Cabriolet-Versionen, aber die überzeugen den Ästheten aufgrund der kompakten Abmessungen nicht so recht:

Mercedes-Benz 170 (W15) Cabriolet C; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Das riesige Verdeck und die kastige, hohe Tür tun der Linie des Wagens einfach nicht gut.

Unglücklich finde ich auch die arg hohen Luftschlitze in der Motorhaube, die aber auf die offenen Versionen beschränkt waren, wie es nach dem Studium der für meine Begriffe etwas dürftigen Literatur zu dem Modell scheint.

Die klassische Limousine war nach meinen Maßstäben ausgewogener proportioniert. Ein Fan der Mercedes-Optik jener Zeit werde ich allerdings nicht mehr – jedenfalls was die geschlossenen Aufbauten betrifft.

Doch das alles relativiert sich, wenn man mit so einem Mobil ins Grüne aufbricht und sich Visionen ganz eigener Art hingibt:

Mercedes-Benz 170 (W15) oder 200 Limousine; Originalfoto: Sammlung Marcus Bengsch

Ich weiß, dieses Exemplar könnte auch ein Mercedes 200 mit Flachkühler aus dessen Einführungsjahr 1933 gewesen sein, aber es gab den äußerlich identischen 170er zumindest gegen Aufpreis ebenfalls mit Vorderstoßstange.

Mir ging es ohnehin eher darum, Sie ins Grüne zu entführen, welches sich auf alten Fotos meist in Grautönen manifestiert – aber warten Sie ab, Sie erleben am Ende Ihr grünes Wunder.

Hauptsache, wir sind jetzt abseits der Städte, der Industrieareale und ausgebauten Landstraßen – darauf kommt es an, wenn man sich der wahren Verführungskraft des Grünen hingeben will.

Auf diese Foto befinden wir uns schon fast am Ziel für heute:

Mercedes-Benz 170 (W15) Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wer entwickelt hier keine Sehnsucht nach dem Grünen? Für einen Moment kann man hier glatt die politischen Umstände der 1930er Jahre vergessen, auch wenn sie durchscheinen.

Ich erspare Ihnen und mir an dieser Stelle die Herleitung, dass die Limousine im Hintergrund mit Kölner Zulassung sehr wahrscheinlich ein Mercedes-Benz 170 (W15) war.

Zumindest der Stern auf dem Kühler ist zu erahnen. Vielleicht prägen Sie sich noch die Silhouette der Frontpartie ein, bevor es weitergeht.

Diese Aufnahme, so reizvoll ist, repräsentiert nur eine Zwischenstation auf der Suche nach der angekündigten grünen Vision, wie sie eigentlich sein soll – nämlich: dem Auge schmeichelnd, von alter Kultur geprägt und mit der Moderne harmonisch vereint.

Genau das, liebe Leser, hielt jemand kurz vor dem 2. Weltkrieg für uns auf einem der damals neuen und noch sehr teuren Agfa-Farbdiafilme fest.

DAS ist das Original – grüner wird’s nicht, wie mein Großonkel Ferdinand im Auto zu pflegen sagte, wenn jemand mal wieder vor der Ampel nicht in die Gänge kam:

Mercedes-Benz 170 (W15) Limousine; Originaldia: Sammlung Michael Schlenger

Ich versichere Ihnen: Diese Aufnahme ist nicht nachkoloriert und von ein paar entfernten Flecken abgesehen auch nicht nachbearbeitet.

Der Zustand des Mercedes – aus meiner Sicht muss das ein 170 (W15) sein – spricht gegen eine frühe Nachkriegsaufnahme. Mir liegen noch einige Farbdias weiterer Autos aus der Vorkriegszeit vor, welche ich bei Gelegenheit zeige – das gab es also, wenn auch selten.

Das wär’s von meiner Seite für heute – ich hoffe, diese grüne Vision der besonderen Art hat Ihre Zustimmung gefunden.

Wenn jetzt noch einer herausfindet, wo dieses Foto entstanden ist und wie grün es dort in unseren Tagen (hoffentlich) aussieht, dann ist das Glück für den passionierten Vorkriegsautofreund und unheilbaren Nostalgiker vollkommen…

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