Fund des Monats – Ein Horch 930V Roadster

Unter Horch-Kennern weckt der ab 1937 gebaute Typ 930V mit seinem „kurzen“ Radstand von 3,10 Meter und Leistung von „nur“ 80-90 PS nicht gerade die größte Leidenschaft.

Mit etwas mehr als 2.000 Exemplare gehörte der Horch 930V zu den meistgebauten Typen der sächsischen Manufaktur überhaupt. Man erkennt ihn von vorn anhand der beiden ovalen Zierblenden an der Frontpartie:

Horch 930 V Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese schöne Aufnahme, die einst bei einer Automobilausstellung entstand, ist eines der ältesten Vorkriegsautofotos in meiner Sammlung – sie hing schon in meiner Studienzeit am Schwarzen Brett in der Küche meiner WG und war Zeuge vieler unterhaltsamer Abende…

Heute dient sie mir als Ausgangspunkt einer nicht minder abwechslungsreichen Reise durch die Geschichte des Horch 930V, an deren Ende ein spektakuläres Exemplar auf uns wartet.

Ein Detail auf obigem Foto sei noch erwähnt – die geteilte und leicht v-förmige Windschutzscheibe, ein weiteres typisches Element jedes Horch 930V. Doch das „V“ in der Bezeichnung hatte nicht unmittelbar damit zu tun.

Die v-förmige Frontscheibe hatte es bei Horch ja bereits ab 1935 gegeben, zumindest beim exklusiven Modell 853 mit mächtigem 5-Liter-Reihenachtzylinder. Hier haben wir zum Vergleich ein überlebendes Exemplar dieses Typs:

Horch 853 Cabriolet; aufgenommen 2017 bei den Classic Days auf Schloss Dyck; Bildrechte: Michael Schlenger

Tatsächlich verwies das „V“ in der Bezeichnung des 930V auf den kompakteren V8-Motor, der in dem zwei Jahre nach dem Horch 853 vorgestellten, weit kleineren Wagen zum Einsatz kam.

Das Aggregat war bereits 1932 entwickelt worden. Ab 1933 wurde es beim Horch 830 verbaut, mit anfangs nur 60 PS aus 3 Litern. Für den 1937 eingeführten Typ 930V hatte man Hubraum und Leistung jedoch deutlich gesteigert, zuletzt auf 3,8 Liter und 92 PS.

Soviel an dieser Stelle zu Technik – viel interessanter sind die Aufbauten. Hier haben wir eine frühe Limousine, erkennbar am vorderen Ausstellfenster:

Horch 930V Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das Ausstellfenster besaßen auch die frühen Cabrioausführungen wie die auf dem ersten Foto. Dort war zudem zu sehen, dass sich die Luftschlitze in der Motorhaube auf zwei übereinanderliegende Reihen verteilten, eingerahmt von einer Chromleiste.

Auf der Abbildung der Limousine sehen wir zwar nur eine Reihe davon, aber dafür lässt sich hier besagte Chromleiste besser erkennen. Aus stilistischer Sicht sei angemerkt, dass die ineinanderfließenden Elemente des Hecks die Formen der späten 1940er und frühen 1950er Jahre vorwegnehmen.

Selbst beim winzigen, mit Heckmotor ausgestattenen Renault 4V der Nachkriegszeit lebte genau diese Gestaltung fort:

Renault 4CV, aufgenommen 2012 bei Butzbach (Hessen): Bildrechte: Michael Schlenger

Nach diesem für Horch-Freunde vermutlich verstörenden Vergleich geht es nun weiter mit dem Typ 930V und zwar wiederum in der Ausführung als Limousine.

Diesmal haben wir es mit der späteren Version zu tun, die ohne vordere Ausstellfenster auskommen musste – ob schon 1938 oder erst 1939, das kann vielleicht ein sachkundiger Leser sagen (bitte dazu Kommentarfunktion nutzen).

Im Gegenzug bekam die spätere Variante der Limousine Stoßstangenhörner spendiert, die dem dichter werdenden Straßenverkehr in den Städten mit immer mehr Wagengrößen Rechnung trugen.

Einen solchen Horch 930V sehen wir – passend zur aktuellen Jahreszeit – hier:

Horch 930V Limousine; Originalfoto aus Sammlung Frank-Alexander Krämer

Diese Aufnahme aus der Zeit des 2. Weltkriegs zeigt einen Horch 930V als Kommandeurswagen der Wehrmacht, der noch das Kennzeichen des zivilen Vorbesitzers aus dem Nürnberger Raum trägt.

Wann und wo das Foto entstanden ist, konnte mir der Besitzer des Fotos – Frank Alexander Krämer aus Landau – leider nicht sagen. Nur, dass darauf ein Unteroffizier namens Foesel posiert, ist überliefert.

Hier haben wir ein Beispiel dafür, dass es oft kleine Details sind, die auf alten Autofotos die Identifikation des Wagens erlauben. Im vorliegenden Fall verraten uns die überlackierten ovalen Chromblenden an der Front, dass wir einen Horch 930V vor uns haben.

Die an diesem Wagen montierten Positionsleuchten sind übrigens nicht serienmäßig bei dem Modell – sie wurden nachgerüstet.

Wir setzen unsere Reise fort, kommen aber an der Tatsache nicht vorbei, dass viele Fotos solcher Horch-Wagen im Zweiten Weltkrieg entstanden, als sie als Offizierswagen beschlagnahmt wurden. Hier haben wir ein von der Wehrmacht eingesetztes Horch 930V-Cabriolet, das bei einer Marschpause in einem Waldstück abgestellt wurde:

Horch 930V Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Trotz der Vegetation im Vordergrund hat der Fotograf das Kunststück vollbracht, alle wesentlichen Details auf das Negativ zu bannen: die ovalen Ziergitter an der Front, die Radkappen mit gekröntem „H“, die geflügelte Weltkugel auf dem Kühler, die geknickte Frontscheibe und das vordere Ausstellfenster, das auf ein frühes Modell hindeutet.

Was verrät uns aber, dass dies ein Militärfahrzeug war? Der Notek-Tarnscheinwerfer am in Fahrtrichtung links befindlichen vorderen Kotflügel war im Krieg ja bisweilen auch an PKW zu finden, die weiterhin privat genutzt werden durften. Zudem wirkt der Lack nicht wie der eines Armeefahrzeugs und die Chromteile besitzen noch Glanz.

Nun, letzteres kann täuschen, doch der entscheidende Hinweis auf die militärische Nutzung ist der helle Streifen, der entlang des vorderen unteren Endes des Kotflügels aufgemalt worden ist. Dieser diente bei nächtlicher Kolonnenfahrt hinter einem fahrenden oder entgegenkommenden Fahrzeugen als Orientierung bei eingeschaltetem Tarnlicht.

Ich habe dies bisher nur bei Wehrmachts-PKW auf Fotos der ersten beiden Kriegsjahre gesehen, sodass Polen- oder Frankreichfeldzug als Situation in Frage kommen. Bei nicht an der Front eingesetzten Wagen scheint man damals oft noch auf Militärlackierung und Umkennzeichnung verzichtet zu haben (dieser Horch trägt noch sein Zivilkennzeichen).

Das nächste Exemplar des Horch 930V ist wieder ein Cabriolet, doch der Krieg ist nun zuende, und noch (oder wieder) in privater Hand befindliche Fahrzeuge des Typs wurden am Laufe gehalten – wie dieses hier:

Horch 930V Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wer nach dem Krieg in Deutschland so einen Wagen bewegen konnte, durfte sich glücklich schätzen. Der enorme Benzinverbrauch von fast 20 Litern auf 100 km/h machte den Unterhalt zu einem ziemlich luxuriösen Vergnügen.

Doch hier konnte sich das offenbar jemand leisten und der Besitzer des Horch schaut versonnen lächelnd in die Kamera. Sein Haarschnitt ist ein Indiz für die frühe Nachkriegszeit, während der breit gestreifte Anzug und das geschlossene Hemd mit spitzem Kragen noch wie der Horch aus Vorkriegsproduktion stammen könnten.

Gewissheit verschafft uns der ramponierte Vorderkotflügel mit dem herabhängenden Keder zwischen vorderem Trittbrettende und Kotflügel. Ein solcher Horch, der erst ab 1937 gebaut wurde, wäre vor dem Krieg auf keinen Fall in diesem Zustand gewesen.

Ein weiteres Detail unterstützt die Einordnung in die frühe Nachkriegszeit: Die Sturmstange am Verdeck war stets vollverchromt, während sie hier von den Gelenken abgesehen in Wagenfarbe lackiert ist. Hier hat man sich also später ein paar Freiheiten genommen.

Das Baumaterial im Hintergrund spricht für die Wiederaufbauphase, wobei für meinen Geschmack das traditionelle schnörkellose, aber wohlproportionierte Haus mit Sprossenfenstern ein Ideal darstellt, auf das fast nur Minderwertiges folgte.

Vielleicht zur gleichen Zeit – wenige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs – entstand im Osten Deutschlands eine Bilderreihe, in der für einen Moment noch einmal die mondäne Welt aufscheint, in der Horch-Automobile vor dem Krieg zuhause waren.

Jetzt mag einer die Nase rümpfen und denken: „Was war am 930V denn mondän? Das war doch bloß das kleine Einstiegsmodell von Horch, zudem in großer Zahl produziert.“ Und hatte ich nicht selbst gesagt, dass sich am Heck der Limousine schon die biederen Formen der Nachkriegszeit abzeichnen?

Alles richtig. Doch gab es auf Basis des Horch 930V noch etwas, was zu den elegantesten und zugleich seltensten deutschen Autos der unmittelbaren Vorkriegszeit zählte – und das war der Roadster mit Karosserie von Gläser (Dresden).

Angeblich sollen nur 30 Stück davon gebaut worden sein, nach manchen Quellen noch weniger. Mir war noch nie ein originales Foto dieser Rarität begegnet, als ich wieder einmal elektronische Post von Leser Matthias Schmidt erhielt, zufällig ebenfalls aus Dresden.

Auf dem ersten Bild, das er mir übersandte, ahnte ich noch nicht, was ich da vor mir hatte:

Horch 930V Roadster (Karosserie Gläser); Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Natürlich ist schon das begeisternd: Ein Horch-Cabriolet mit perfekten Proportionen und mit genau der richtigen Menge an Zierrat, direkt von vorn aufgenommen. Eine im Auto tänzerisch posierende junge Frau mit einem Lächeln, in das man gern alles Mögliche hineininterpretieren möchte. Der Hund daneben weiß um die Exklusivität seiner Situation.

Aber basiert dieses im Raum Annaberg (Sachsen) zugelassene Schmuckstück von Automobil tatsächlich auf dem Horch 930V? Wo sind denn die ovalen Zierbleche abgeblieben, die oben als typisch für das Modell hervorgehoben wurden? Immerhin: vermissen tut man sie hier nicht.

Tatsächlich kam der von Gläser auf dem Chassis des Horch 930V gebaute Roadster ohne dieses Detail aus. Er hatte andere Reize zu bieten:

Horch 930V Roadster (Karosserie Gläser); Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Hier können wir nun die Flanke dieses Wagens genießen, die auf willkommene Weise von einem Paar schlanker Frauenbeine unterbrochen wird, das jedem Fotomodell Ehre machen würde.

Für mich ein Beispiel für die These, dass das klassische Automobil daran zu erkennen ist, dass es zu allen Zeiten vollkommen mit weiblicher Schönheit harmoniert. Kein Wunder, dass in einer Zeit, in der fanatische Ideologen die natürlichen Geschlechter verschwinden lassen wollen, auch keine vergleichbaren automobilen Schöpfungen mehr entstehen.

Wer die Linien dieses Roadsters dennoch „ungestört“ studieren möchte, hat auf der nächsten Aufnahme Gelegenheit dazu – unser schönes Fräulein hat Verständnis für das Ansinnen und gibt sich hier vergleichsweise zurückhaltend:

Horch 930V Roadster (Karosserie Gläser); Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Man mag beanstanden, dass der Bildausschnitt nicht ideal ist, auch dass die Schwellerpartie mit der „Gläser“-Plakette am Ende lädiert erscheint und schon einmal (nicht perfekt) überarbeitet wurde.

Doch ändert das nichts an dem bei deutschen Autos der direkten Vorkriegszeit seltenen, beinahe sinnlichen Schwung der Gürtellinie – ich wüsste auf Anhieb wenig Vergleichbares.

Raffiniert auch, dass die Gläser-Leute die Ausführung der Luftschlitze beim Horch 930V ebenso verworfen haben wie die Zierblenden an der Front. Die hier gewählte Ausführung vermeidet parallele Linien in der Horizontalen und unterstreicht das Dynamische an der Karosserie – man sieht förmlich die Luftströmung daran entlangstreichen.

Genug dieser Karosserie-Poesie, denn auch der Innenraum will gewürdigt werden – dort werden wir bereits erwartet:

Horch 930V Roadster (Karosserie Gläser); Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Was soll man sagen? Diesem vorbildlich posierenden Hund ist anzusehen, dass auch er es gewohnt war, in einer Welt „bella figura“ zu machen, die damals von der Lebenswirklichkeit fast aller Deutschen so weit entfernt war wie die Rückseite des Mondes.

Dass es das dennoch gab, auch das macht diese Fotos der Nachkriegszeit so berührend – ganz abgesehen von der Seltenheit des herrlichen Horch 930V Roadsters. Offenbar hatten es damals die in Berlin von Moskaus Gnaden regierenden Kommunisten noch nicht geschafft, im Osten unseres Landes die Reste großbürgerlicher Tradition auszurotten.

Dies gelang erst ab den 1970er Jahren mit der weitgehenden Beseitigung des verbliebenen Unternehmertums und dem Ausplündern derer, die über Krieg und sowjetische Besatzung Kunstgegenstände und Luxusobjekte wie diesen Horch hatten retten können.

Möglicherweise ist auch dieser wundervolle Wagen im Zuge der verbrecherischen Umtriebe des SED-Regimes zur Devisenbeschaffung im Westen gelandet. Es würde mich jedenfalls sehr wundern, wenn dieses Traumstück nicht noch irgendwo existiert.

Etwas fehlt aber noch. Zwar verdanke ich es der Findigkeit und Großzügigkeit von Matthias Schmidt, dass ich diese Bilderreihe des Horch 930V Roadster zeigen darf. Doch eine Heckansicht war nicht dabei.

Hier konnte ich selbst Abhilfe schaffen, indem ich einen neuzeitlichen Abzug vom originalen Negativ des einstigen Auto Union-Werksfotografen Friedrich Meiche erworben habe:

Horch 930V Roadster (Gläser); Abzug vom Originalnegativ des Auto Union-Werksfotografen Friedrich Meiche

Auf diesem Foto lassen sich die makellosen Linien des Horch 930V Roadsters mit Gläser-Karosserie studieren – sie passen perfekt zu den Proportionen dieses „kompakten“ Modells.

Was mich an dem Blechkleid aus dieser Perspektive besonders begeistert: Man sieht keine einzige gerade Linie, keinen rechten Winkel – genau wie in der Natur, aus der wir stammen. Hier fehlt nur noch: eine charmante Beifahrerin, leichtes Reisegepäck und Futter für den Hund, ein voller Tank, freie Fahrt für freie Bürger und das Glück wäre vollkommen…

© Michael Schlenger, 2021. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Transatlantische Ahnenforschung: LaSalle von 1930

Wenn ich heute ein wenig automobile Ahnenforschung betreibe, ist das nicht nur mit einiger Hin- und Herreiserei über den Atlantik verbunden – es geht dabei auch rund 350 Jahre zurück in die Vergangenheit:

1658 kam in einem Städtchen in der südfranzösischen Region Okzitanien ein gewisser Antoine Laumet auf die Welt. Als junger Mann studierte er nach kurzer Militärkarriere Rechtswissenschaften.

Aus obskuren Gründen wanderte er in die französische Kolonie Acadia an der nordamerikanischen Ostküste aus. Dort schlüpfte er in die Identität eines Adligen aus seiner Heimatregion und nannte sich fortan Antoine de la Mothe, Sieur de Cadillac.

Unter diesem Namen führte er eine schillernde und in weiten Teilen fragwürdige Existenz als Händler, Entdecker und Militärbefehlshaber. Als solcher vollbrachte er zumindest eine Tat, die ihm bleibenden Ruhm verschaffte. So gründete Antoine de la Mothe, Sieur de Cadillac, im Jahr 1701 das Fort Pontchartrain du Détroit.

Damit dürfte klar sein, woher der die 1902 in Detroit gegründete Marke Cadillac ihren Namen hatte. Sogar das von Antoine de la Mothe erfundene Familienwappen wurde als Logo übernommen – so erinnert noch heute jeder Cadillac an einen Hochstapler.

Auf diesem Cadillac von 1930 prangt das Wappen gleich zweimal – auf dem Kühler und auf dem Deckel, der die Öffnung für die (nur im Notfall benötigte) Starterkurbel verschließt:

Cadillac von 1930; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Es ist eine Ironie, dass dieser majestätische Luxuswagen einst ausgerechnet im sogenannten „Arbeiter- und Bauern-Staat“ DDR überlebt hat, der so „demokratisch“ war wie der Adelstitel von Antoine de la Mothe, Sieur de Cadillac, echt war.

An der Frontpartie dieses Cadillac sind also gleich mehrere Lügengebäude verewigt. Der Qualität und Schönheit des Wagens mit seinem Achtzylindermotor (knapp 100 PS) tut das freilich keinen Abbruch – er trägt dieses historische Erbe mit Würde.

Bevor es nochmals zurück über den Atlantik auf Ahnenforschung geht, nutze ich die Gelegenheit, um ein zweites Foto desselben Cadillac aus dem Modelljahr 1930 zu zeigen:

Cadillac von 1930; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier begegnet uns nicht nur das erfundene Familienwappen von Antoine de la Mothe, Sieur de Cadillac, auf der Nabenkappe wieder – wir sehen auch die durchgehende Reihe an Luftschlitzen, an der das Modelljahr zu erkennen ist.

In vorangegangenen Modelljahren (seit 1926) reichten die Luftschlitze beim Cadillac nämlich stets nur bis zum Beginn des vorderen Haubendrittels. Einen entsprechenden Vergleich anhand mehrerer Fotos bringe ich bei Gelegenheit.

Nun aber nochmals zurück ins Dunkel der Geschichte – ins Jahr 1643. Damals wurde in Rouen (Normandie) ein gewisser René Robert Cavelier geboren. Nach kurzem Aufenthalt als Novize im Jesuitenorden brach auch er nach Amerika auf.

Zwar wechselte er ebenfalls zwischen diversen Professionen hin und her, doch letztlich machte er sich einen bleibenden Namen als Erforscher der Großen Seen und des Mississippitals bis hinunter zum Golf von Mexiko.

Im Unterschied zum Sieur de Cadillac erhielt René Robert Cavelier einen echten Adelstitel und durfte sich von nun an nach einem Familienanwesen in der alten französischen Heimat Sieur de La Salle nennen.

Auch wenn La Salle keinen direkten Bezug zur späteren US-Autometropole Detroit aufwies, wurde er zum Namenspatron einer dort neu geschaffenen Marke, die 1927 im General Motors Konzern zwischen Buick und Cadillac platziert wurde.

Auch für LaSalle musste das Familienwappen des Namensgebers herhalten, welches immerhin authentischer war als das des Sieur de Cadillac. Man findet es von Schwingen eingerahmt auf dem Kühler auch dieses Autos:

LaSalle Cabriolet, Modelljahr 1930; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Zugegebenermaßen ist das Emblem hier kaum zu erkennen, aber auf dem Originalabzug ist es deutlich genug sichtbar.

Zudem entspricht die gesamte Frontpartie fast vollständig der des Cadillacs von 1930, sodass das abweichende Kühleremblem nur die etwas preisgünstigere Schwestermarke LaSalle als Kandidaten übrig lässt.

Die hier zu sehenden Drahtspeichenräder sind ein optionales Zubehör, ansonsten halten sich die Unterschiede in Grenzen – zumindest am Vorderwagen.

Sehr interessant ist der Aufbau als vierfenstriges Cabriolet mit geteilter Frontscheibe. Ich dachte erst an eine in Europa gefertigte Ausführung- der abgebildete Wagen besitzt ein französisches Kennzeichen – doch tatsächlich haben wir es mit einer serienmäßigen Karosserie (Series 340 All-Weather Phaeton) zu tun.

In Abgrenzung zum Cadillac des Modelljahrs 1930 war der LaSalle etwas kompakter und sein Achtyzlindermotor leistete bei gleichen Abmessungen „nur“ 90 PS. Zu den bemerkenswerten Extras zählte übrigens ein Autoradio.

Damit wären wir fast am Ende, wenn da nicht noch die Personen auf dem Trittbrett zu würdigen wären. Wie es der Zufall will, können wir auch hier Ahnenforschung betreiben, denn auf dem Abzug ist umseitig in feiner Frauenhandschrift folgendes vermerkt:

„Ma fille, son père et son fils“. Mein Schulfranzösisch reicht aus für die Übersetzung: „Meine Tochter, ihr Vater und ihr Sohn“. Das passt perfekt zum Alter der Personen:

Leider nicht überliefert ist der Rufname des Hundes, der sich hier wie die meisten seiner Artgenossen gern bei solchen Familienfotos „auf den Arm nehmen“ lässt.

Der Kleidung nach zu urteilen, könnte dieses Foto sowohl vor dem Zweiten Weltkrieg als auch kurz danach entstanden sein. Möglicherweise gibt das Nummernschild Aufschluss diesbezüglich (ggf. Kommentarfunktion nutzen).

Auch eine regionale Einordnung wäre eine schöne Abrundung dieses heutigen Kapitels zur Ahnenforschung, das zwar räumlich und zeitlich ein wenig ausgeufert sein mag, aber dafür vielleicht die eine oder andere wenig bekannte Facette zutagegefördert hat.

Jedenfalls bin ich sicher, dass Sie, liebe Leser, künftig beim Anblick eines Cadillac und seines Emblems an den fragwürdigen Charakter des Sieur de Cadillac denken müssen und ein wenig schmunzeln werden – die heutigen Besitzer solcher Wagen wohl weniger…

© Michael Schlenger, 2021. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Vielleicht doch etwas Rares? Fiat 1500 Cabriolimousine

Wer in meinem Blog für Vorkriegsautos auf alten Fotos schon ein wenig länger mitliest, kennt vielleicht meine Schwäche für zwei spezielle Mittelklassewagen, die in den 1930er Jahren in deutschen Landen eine gewisse Verbreitung fanden, aber heute so gut wie verschwunden sind.

Der eine ist der Hansa 1700 mit klassischem Coupéaufbau und Sechszylindermotor, der andere ist der Fiat 1500 – ein Vertreter der Stromlinie ebenfalls mit Sechszylinder.

Wer mit dem Fiat 1500 ein mäßig erfolgreiches Vierzylindermodell der 1960er Jahre verbindet, wird nun möglicherweise aufhorchen – bauten die Turiner vor dem Krieg wirklich einen Sechsyzlinder in dieser Hubraumklasse?

Tatsächlich und ich wundere mich, warum dieses komfortable und leistungsfähige Modell mit der modernen Stromlinienkarosserie heute kaum noch jemand kennt. Am deutschen Markt gab es jedenfalls nichts Vergleichbares.

Der Fiat 1500 sprach in Deutschland seinerzeit Individualisten an, die einen gut motorisierten Qualitätswagen wollten, der dennoch aus dem Rahmen fiel. Kein deutsches Großserienauto jener Zeit kam mit einer so windschnittigen Frontpartie daher:

Fiat 1500 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Diese außergewöhnliche Aufnahme, die mit dem damaligen Filmmaterial nicht so einfach zu realisieren war, verdanken wir Leser Klaas Dierks, aus dessen Fotofundus ich auch dieses Jahr wieder einige Schätze vorstellen darf.

Er lieferte auch gleich die Information mit, dass wir hier quasi im Ausstellungsraum des Hamburger Fiat Generalvertreters Klok stehen. Natürlich bot man dort die im einstigen NSU-Werk in Heilbronn gefertigten Fiat-Modelle an, die hierzulande daher als NSU-Fiat firmierten und im Detail einige Besonderheiten aufwiesen.

Bei aller Individualität, vor allem bei den offenen Versionen (wie wir noch sehen werden), waren Exemplare des Fiat 1500 immer an der markanten Frontpartie mit dem stark geneigten Kühlergrill und den halb eingelassenen Scheinwerfern zu erkennen.

Dieses Detail genügt meist bereits zur Identifikation des Typs, wie das draußen vor dem Schaufenster stehende weitere Exemplar belegt. Und insoweit wird uns auch das Fahrzeug keine Schwierigkeiten bereiten, welches ich heute „neu“ zeigen kann.

Es handelt sich wieder einmal um eine offene Version des Fiat 1500 und ist auf den ersten Blick ein Indiz dafür, dass diese gar nicht so rar waren, wie ich noch dachte, als ich vor längerer Zeit folgende Ausführung als Fund des Monats vorstellte:

Fiat 1500 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Neben der hübschen Aufnahmesituation fand ich hier die Karosseriegestaltung mit den sonst nirgends zu findenden seitlichen Zierleisten besonders.

Damit hob sich dieser Wagen von der Ausführung ab, wie sie Gläser aus Dresden auf Basis des Fiat 1500 anbot. Eine entsprechende Prospektabbildung findet sich auf der hervorragenden Website von Ferdinand Lanner mit Schwerpunkt Fiat.

Leser Rolf Ackermann, der zu fast jedem Vorkriegsexoten etwas auftreiben kann, hat mir folgende Aufnahme aus dem Album seiner Familie zur Verfügung gestellt:

Fiat 1500 Cabriolet von Gläser; Originalfoto aus Sammlung Rolf Ackermann

Hier haben wir genau solch ein Cabriolet von Gläser aus Dresden (man ahnt die typische Plakette hinter dem Vorderkotflügel), das wahrscheinlich in meinem Heimatort Bad Nauheim aufgenommen wurde (das Haus im Hintergrund kommt mir vertraut vor.)

Nicht ganz so elegant ist die Linienführung einer dritten offenen Version des Fiat 1500, die ich heute anhand einer Aufnahme aus meiner eigenen Sammlung vorstellen kann.

Mein Bauchgefühl sagt mir, dass wir es mit einem kurz nach dem 2. Weltkrieg modifizierten Fahrzeug zu tun haben, auch wenn ein eindeutiger Datierungshinweis fehlt.

Hier haben wir das gute Stück, das an der Frontpartie unschwer als Fiat 1500 zu erkennen ist:

Fiat 1500 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Vergleicht man diesen Wagen mit dem Gläser-Cabriolet, fallen etliche Unterschiede auf:

Am markantesten sind die kiemenartigen Luftschlitze in der Seitenwand des Motorraums (die Haube war bei Fiat 1500 bereits wie bei modernen Autos oben aufliegend). Die Gestaltung der Schlitze nimmt Bezug auf die große Luftklappe, die sich bei serienmäßigen Fiats dieses Typs findet.

Vor den Schlitzen befindet sich eventuell die Plakette der Karosseriebaufirma oder des Autohauses, das den Fiat einst an den Mann brachte – es kann aber auch ein Fehler auf dem Abzug sein:

Das eigenwillige Firmenlogo über der Tür des Fahrradladens im Hintergrund könnte einen Hinweis auf den Aufnahmeort und vielleicht das Entstehungsdatum des Fotos liefern.

Für eine Nachkriegsmodifikation spricht aus meiner Sicht die an der Unterseite des Vorderkotflügels angesetzte Partie, die in das Trittbrett übergeht. Das Ganze ist zwar recht ordentlich gemacht, wirkt auf mich aber nicht gerade wie das Werk eines hervorragenden Karosseriebauers der 30er Jahre.

Möglicherweise hat sich hier jemand ein wenig von US-Wagen der 1940er Jahre inspirieren lassen, wie das auch Peugeot mit dem 1948 vorgestellten Typ 203 tat.

Interessant ist ein weiteres Detail an diesem Fiat – und zwar der hintere Türpfosten, den es bei einem Cabriolet eigentlich gar nicht geben sollte:

Bei näherer Betrachtung der Dachpartie scheint mir dieser Fiat 1500 gar keine Cabrio-Karosserie zu besitzen, sondern einen Aufbau als Cabrio-Limousine, bei der auch die Querholme der Fenster stehenblieben, wenn man das Verdeck niederlegte.

Eine solche Ausführung scheint mir dann am Ende doch etwas Rares zu sein, denn die Literatur nennt nur eine Cabrio-Limousine, die der niederländische Fiat-Importeur Leonard Lang aus Amsterdam anbot (Belegfoto).

Diese Ausführung war jedoch viertürig und besaß die typischen senkrechten Türgriffe, die in der Karosserie versenkt waren. Dagegen besaß „unser“ Fiat wie auch das Gläser-Cabriolet konventionelle außenliegende Griffe.

Kennt jemanden den Hersteller dieser speziellen Version des Fiat 1500, sofern es sich nicht ohnehin um die Kreation eines lokalen Karosseriebaubetriebs handelt? So oder so tragen Beispiele wie dieses dazu, unser Bild von diesem interessanten Wagentyp zu vervollständigen, das facettenreicher war, als es die Literatur vermuten lässt.

Apropos Facetten: Unsere nächste Begegnung mit dem Fiat 1500 wird uns nach Afrika führen, und zwar in ein ganz und gar exotisches Umfeld…

© Michael Schlenger, 2021. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Spurensuche unter dem Vulkan: Ein Lancia „Ardea“

Von den Vorkriegstypen der italienischen Marke Lancia ist den meisten wohl – wenn überhaupt – nur das legendäre Modell „Lambda“ geläufig, das in meinem Blog schon in den unterschiedlichsten Varianten und Versionen gewürdigt wurde.

Tatsächlich besteht auch meine Lancia-Fotogalerie fast nur aus Aufnahmen dieses einzigartigen Fahrzeugs – eine „neue“ kommt gelegentlich zu ihrem Recht. Doch heute geht es um einen Lancia vom entgegengesetzten Teil des Spektrums.

Das einzige Foto eines Lancia aus meiner Sammlung, das bislang in eine ähnliche Richtung ging, ist das folgende, das 1958 in Brunnen (Schweiz) entstand:

Lancia „Aprilia“ und Fiat 500 „Topolino“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das Auto mit dem Brezelfenster auf der linken Seite ist anhand des steilen Heckabfalls eindeutig als Lancia „Aprilia“ zu identifizieren – ein hochmodernes Mittelklassefahrzeug mit 50 PS starkem V4-Zylindermotor (ausführliches Porträt).

Rechts sieht man einen Fiat 500C mit der ab 1949 verbauten Frontpartie. Dieser Typ wird im heutigen Blog-Eintrag abermals eine hübsche Nebenrolle spielen.

Dem Modell „Aprilia“ stellte Lancia 1939 einen äußerlich ähnlichen, aber deutlich kompakteren Typ namens „Ardea“ zur Seite, das ebenfalls von einem V4-Motor angetrieben wurde, der jedoch nur gut 25 PS aus 900ccm Hubraum leistete.

Bis 1941 entstanden die ersten knapp 3.000 Exemplare des Lancia „Ardea“ – darunter einige Versionen mit Lieferwagenaufbau – ein nicht unwesentliches Detail, wie man noch sehen wird. Der überschaubare italienische Markt lag sonst ganz in den Händen von Fiat.

Umso erfreulicher ist es, wenn man endlich mal ein historisches Foto eines „Ardea“ findet. Das gelingt nur durch Zufall – etwa wenn man eine Aufnahme erwirbt, die man vor allem deshalb erwirbt, weil man die Situation reizvoll findet:

Lancia „Ardea“ und Fiat 500C; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Originalabzug ist wesentlich größer und die Fahrzeuge im Vordergrund sind dort eher unauffälliges Beiwerk. Tatsächlich galt mein Interesse zunächst auch gar nicht ihnen, sondern dem Aufnahmeort, der mir bekannt vorkam.

Doch will ich an dieser Stelle noch nicht zuviel verraten. Also schauen wir uns erst einmal an, was da für Gefährte am Straßenrand stehen und das sind ja einige.

Ein einfacher Fall ist natürlich der Wagen mit der geöffneten Motorhaube am rechten Rand. Auch wenn er einen Kombiaufbau besitzt, fühlt man sich gleich an den Fiat 500C auf dem eingangs gezeigten Foto aus Brunnen in der Schweiz erinnert:

Dieser Fiat 500 mit der charakteristischen Nachkriegs-„Nase“ liefert uns einen Hinweis darauf, dass dieses Foto kaum früher als 1950 Jahren entstanden ist. Damals war die Mobilität allmählich wieder in Gang gekommen – Wohlstandsbäuche waren allerdings noch die Ausnahme – so auch auf diesem Dokument.

Bei näherem Hinsehen erkennt man, dass der Fiat an einer kleinen Tankstelle mit drei Zapfsäulen und einem vorne offenen Kassenhäuschen stand. Die zwei Männer an der linken Säule scheinen mit einem ausgebauten Teil am Boden beschäftigt zu sein.

Das große Schild mit dem Stern hinter den beiden rechten Zapfsäulen erinnert auf den ersten Blick an das Logo des Ölkonzerns Texaco, aber die Art der Beschriftung will nicht so recht passen. Die Auflösung stammt von Leser Georg Klioba: Es handelt sich um das Logo der Ölgesellschaft CALTEX (California Texas Oil Company), die 1936 von Texaco mitbegründet wurde.

Eindeutig zu erkennen ist dagegen die Marke einer weiteren Tankstelle gleich links um die Ecke. Dort lesen wir in großen Lettern seitenverkehrt „MOBILGAS“ und links davon ist das ebenfalls spiegelverkehrte Emblem zu sehen – ein Pegasus. Die Standard Oil Co. of New York verwendete den Markennamen „Mobiloil“ bzw. „Mobilgas“ und das zugehörige Logo nur bis 1961, sodass wir hier einen weiteren Datierungshinweis haben.

Folgender Bildausschnitt lässt dieses Detail besser erkennen:

Wer sich übrigens fragt, was das für Stangen sind, die vom Kopf des Pegasus schräg nach oben zu laufen scheinen, dem kann geholfen werden: Sie gehören zum Stromabnehmer eines elektrischen Omnibusses.

Das „O-Bus“-Konzept bewährt sich seit den 1930er Jahren in etlichen europäischen Großstädten und ist den heute propagierten Batteriebussen haushoch überlegen – pure Ideologie vernagelt leider auch hier den Blick auf’s Vernünftige

Für mich hat es seinen Reiz, wenn Details solcher Fotos Anlass zu Abschweifungen ins Gegenwärtige oder Grundsätzliche geben. Die Beschränkung auf’s automobile Objekt ist mir zu schlicht und das Persönliche des Blog-Formats erlaubt mir eine subjektive Sicht auf die Dinge, die in echter Fachliteratur unangebracht wäre.

Auch der Schwenk auf – eigentlich nicht zum Thema gehörende – zweirädrige Veteranen ist mir damit möglich. Man kommt ja auf Fotos jener Zeit an Motorrädern oft kaum vorbei, die damals überwiegend noch Alltagsvehikel waren.

Hier haben wir aber die schöne Situation, dass zwei Maschinen auf Reisen zu sehen sind – darunter eine Vorkriegs-BMW mit Press-Stahlrahmen – und wahrscheinlich kamen sie aus Deutschland. Einer der Mitfahrer dürfte dieses Foto gemacht haben und dabei auch den Lancia Ardea mit auf’s Bild gebannt haben:

Da haben wir ihn nun endlich, den kompakten Lancia mit seiner noch ganz im Stil der mittleren 1930er Jahre gehaltenen Vorderfront.

Die konservative Formensprache wurde bis Produktionsende 1953 im Wesentlichen beibehalten – vermutlich fehlte dem Nischenhersteller Lancia schlicht das Geld für die Presswerkzeuge, die eine modernisierte Karosserie erfordert hätte.

Somit können wir nicht ausschließen, dass wir hier ein nach dem 2. Weltkrieg gebautes Exemplar vor uns haben – tatsächlich kam die Produktion von Lieferwagenaufbauten erst ab 1945 in Fahrt.

Doch – wie gesagt – vereinzelt gab es schon vorher ähnliche Nutzfahrzeugvarianten. Zudem ist die auf dem Foto zu erkennende Rechtslenkung ein dermaßen traditionelles Element, dass der Lancia „Ardea“ unabhängig vom Baujahr als Vorkriegswagen durchgehen kann.

Mein Peugeot 202 von 1949 entspricht bis auf die Hydraulikbremsen ebenfalls vollkommen der Vorkriegskonstruktion und fährt sich auch entsprechend. Lancia gönnte immerhin dem Ardea 1949 einen auf 30 PS erstarkten Motor – und erstmals ein 5-Gang-Getriebe!

Damit wäre ich fast am Ende meiner Spurensuche – doch warum trägt sie im Titel den Zusatz „unter dem Vulkan“? Nun, das hat mit dem Aufnahmeort zu tun, der sich anhand der Bauten im oberen Teil des Fotos identifizieren lässt – wenn man schon einmal dort war:

Diesen Blick auf die wie Stufen eines Amphitheaters aufeinandergestapelten mehrstöckigen Häuser im Hintergrund und die mächtige Festung am rechten oberen Bildrand gibt es nur an einem Ort: An der Piazza Vittoria in Neapel.

Man gelangt dorthin, wenn man die grandiosen Hotels der Belle Epoque an der Via Partenope hinter sich lässt und sich dem Eingang zum Park der Villa Communale nähert. Bei einer Reise an den Golf von Neapel vor einigen Jahren erinnerte ich mich an das Foto mit dem Lancia und machte dort eine Aufnahme aus ähnlicher Perspektive.

Die Straße existiert noch, ist aber stillgelegt und dient als Parkplatz für Zweiräder. Die Tankstelle von einst ist längst verschwunden. Nur der Hintergrund ist noch derselbe:

Neapel, Piazza Vittoria, 2017; Bildrechte: Michael Schlenger

Zugegeben: Ein wenig prosaisch sieht es hier heute schon aus, doch Neapel ist eine Stadt voller Kontraste, die einen Aufenthalt von ein paar Tagen rechtfertigt – wenngleich die Schattenseiten europäischer Großstädte leider auch dort immer deutlicher zutagetreten.

Doch wendet man sich um, geht der Blick auf’s Meer am düsteren Castel d’Ovo vorbei auf eine der großartigsten Landschaften Europas, – den herrlichen Golf von Neapel, der zusammen mit der angrenzenden Amalfiküste Schätze für ein ganzes Leben birgt.

Genau diesen Blick auf den Golf haben einst auch die Motorradreisenden aus Deutschland genossen, denen wir das rare Dokument eines Lancia Ardea verdanken:

Neapel, Blick über den Golf auf die Halbinsel von Sorrent, 2017; Bildrechte: Michael Schlenger

Sicher ein ungewohnter Anblick in einem Blog für Vorkriegsautos auf alten Fotos – doch bin ich sicher: bei solchen Abschweifungen wird es keine Beschwerden geben…

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Urlaub in Deutschland vor 70 Jahren: Stoewer V5

Der Sommer des Jahres 2020 liegt vielleicht schon hinter uns – in meiner Region jedenfalls hat es stark abgekühlt, reichlich Regen hat die Wasserstände wieder normalisiert und das Licht wirkt beinahe herbstlich.

Sicher werden wir noch einige spätsommerliche Tage erleben, aber zumindest die Urlaubszeit ist für die meisten vorbei. Mehr Leute als sonst haben ihre Ferien dieses Jahr in Deutschland verbracht.

Wie es scheint, wollten sich viele Urlaubsreisende nicht dem Risiko aussetzen, von einer erratischen, europaweit völlig unkoordinierten Politik im Umgang mit Urlaubern auf dem falschen Fuß erwischt zu werden und blieben lieber daheim.

Recht gibt ihnen die Art und Weise, wie Rückkehrer aus dem Ausland in den Medien für steigende Zahlen von „Corona-Fällen“ verantwortlich gemacht werden – obwohl positiv Getestete fast nie krank sind und auf den Test schon vor Wochen angesprochen hätten, wenn sie ihn denn absolviert hätten. Diese Stimmungsmache lenkt von den tatsächlich sehr niedrigen und stagnierenden Zahlen der wirklich durch das Virus Gefährdeten ab.

Ein Grund mehr, den Alltag hinter sich zu lassen und noch rasch einen Kurzurlaub in Deutschland zu absolvieren. Dabei geht es 70 Jahre zurück, in den Sommer des Jahres 1950, als die Politik noch die Sorgen der breiten Masse im Blick hatte.

Bei einem solchen Ausflug in die frühe Nachkriegszeit kurz vor dem enormen Wirtschaftsaufschwung, der Deutschland endgültig in die Moderne katapultierte, dürfen zwei Dinge nicht fehlen: Ein Vorkriegsauto und eine sachkundig bediente Kamera.

Mit beidem haben wir hier übrigens vor längerer Zeit schon einmal Bekanntschaft gemacht, und zwar anhand dieser hübschen Aufnahme:

Stoewer V5, aufgenommen 1950 in Horn-Bad Meinberg; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier hat jemand mit Sinn für malerische Ansichten auf den Auslöser gedrückt – laut rückseitiger Beschriftung des Abzugs 1950 in „Horn-Bad Meinberg“ im Lippeschen Bergland.

Man könnte meinen, dass diese wohlkomponierte Aufnahme in den 1930er Jahren entstanden ist, doch ein winziges Detail verrät die spätere Datierung. Es befindet sich an dem kompakten Wagen, der vor einer BMW-Vertretung abgestellt ist.

Es kostete mich seinerzeit einige Zeit, das Auto zu identifizieren, denn damals war ich zum einen noch nicht mit der Marke vertraut, zum anderen fehlte mir eine zweite, weit bessere Aufnahme desselben Fahrzeugs, die sich erst später fand – diese hier:

Stoewer V5, aufgenommen 1950 in Moosheim; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch hier weist fast nichts auf die Nachkriegszeit hin – bis auf das Kennzeichen, das im britisch besetzten Niedersachsen (daher die vertikale Kennung „BN“) ausgegeben worden war – im Raum Hannover, um genau zu sein.

Ich kann versichern, dass es sich um dasselbe Kennzeichen wie auf der ersten Aufnahme handelt. Wenn der Wagen hier anders wirkt, dann deshalb, weil hier das Verdeck der Cabriolimousine geöffnet ist, was das Auto auf einmal leicht und großzügig wirken lässt.

Entstanden ist dieses Bild laut Beschriftung in Moosheim (vermutlich im oberschwäbischen Bad Saulgau). Die mehrstöckigen alten Fachwerk-Bürgerhäuser sind hier vielleicht ein letztes Mal so zu sehen, wie sie sich mehrere Jahrhunderte über darboten.

Heute sind sie entweder überrestauriert, verschandelt oder abgerissen, fürchte ich. Vielleicht erkennt ein Leser die genaue Örtlichkeit und weiß, wie es dort 2020 aussieht.

Zu dem Auto kann ich selbst Näheres sagen: Es handelt sich um den ersten deutschen Serienwagen mit Frontantrieb – den Stoewer V5. Damit kam die Stettiner Manufaktur Ende 1930 dem weit größeren DKW-Konzern einige Wochen zuvor (siehe hier).

Mit seinem 25 PS starken V4-Aggregat war der Stoewer den schwachen Zweitaktern von DKW auf dem Papier haushoch überlegen. Allerdings machte der weit höhere Preis die Erfolgsaussichten wieder zunichte – ganze 2.000 Stück entstanden bis 1932.

Fast 20 Jahre später war einer davon immer noch auf Deutschlands Straßen unterwegs und durch Zufall konnte ich mehrere schöne Aufnahmen von dessen Reise im Jahr 1950 ergattern, die ein Verkäufer separat und über einen längeren Zeitraum gestreckt anbot, ohne dass klar war, dass sie ursprünglich zusammengehörten.

Erst das Kennzeichen und die Beschriftungen auf der Rückseite ließen mich erkennen, was da so nach und nach Eingang in meinen Fundus fand:

Stoewer V5, aufgenommen 1950 in Rothenburg ob der Tauber; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch bei diesem schönen Abzug, der eine beschauliche Szene am Klingentor in Rothenburg ob der Tauber zeigt, wurde mir erst nach Erwerb bewusst, dass er Teil derselben Serie war, die auseinandergerissen auf den Markt kam.

Ich möchte nicht wissen, wieviele weitere dieser wunderbaren Zeugnisse einer Deutschlandreise im Jahr 1950 durch die Lappen gegangen sind. Eines davon konnte ich erst ganz am Ende identifizieren, nachdem es schon länger in meinem Fundus geschlummert hatte.

Für mich ist das die schönste Aufnahme, weil sie den Stoewer „unterwegs“ zeigt – auf freier Strecke, nicht abgestellt vor einer Altstadtkulisse. Doch auch hier hat der unbekannte Fotograf ganze Arbeit geleistet und eine perfekt komponierte Szene abgeliefert:

Stoewer V5, aufgenommen 1950 bei Zwingenberg (Neckar); Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Mit dieser bezaubernden Aufnahme, die vor der majestätischen Burg Zwingenberg im Nekartal entstand und nun auch zwei der Insassen zeigt, nehmen wir Abschied vom Stoewer V5, der die Urlauber einst sicher wieder wohlbehalten in die norddeutsche Heimat zurückgebracht hat.

Wenige Jahre später waren aus der Zeit gefallene Bilder wie diese vielerorts Geschichte und die Moderne brach sich hierzulande mit einer Wucht Bahn, deren ästhetische Ergebnisse man in vielen Fällen nur bedauern kann.

Auch den Stoewer dürfte es spätestens in den 60er Jahren „erwischt“ haben…

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Typisch Deutsch: Ein Ford „Eifel“ Cabriolet

Typisch deutsch – das waren einst Tugenden wie Anstrengungsbereitschaft, Präzision, Zuverlässigkeit, Innovationsfreude. Die Deutschen wurden dafür zwar nicht geliebt, aber für die Qualität ihrer Güter und Leistungen geschätzt oder auch gefürchtet.

Mittlerweile registrieren selbst unsere Nachbarn sich häufendes strukturelles Versagen hierzulande wie Verzögerungen bei Infrastrukturprojekten (Rheintalzubringer an Gotthard- und Ceneri-Basistunnel), Rückbau grundlastfähiger Stromversorgung, Abgasbetrug beim halbstaatlichen VW-Konzern, Hinterherhinken bei Mobilfunkabdeckung und faktische Bedeutungslosigkeit im globalen IT-Sektor („Wirecard“ lässt grüßen).

Dass Deutschland nicht mehr für Dichter und Denker von einzigartigem Rang steht, ist schon länger klar. Dass es aber mittlerweile auch kaum noch mit genialen Forschern oder brillianten Ingenieuren aufwarten kann, Fleiß vor allem bei der Selbstverleugnung (Stichwort: die „Mannschaft“) an den Tag legt, und selbst bei Median-Vermögen, Immobilienbesitz und Altersabsicherung weit unter dem europäischen Durchschnitt liegt, ist Zeichen einer im Niedergang befindlichen Gesellschaft.

Ein Grund mehr, sich mit deutscher Gründlichkeit der Nachlassverwaltung zu widmen – denn da wird man immer noch mit einer Qualität konfrontiert, die in den heute global bedeutenden Bereichen hierzulande in der Breite immer seltener erreicht wird.

Wer noch vor der sogenannten Rechtschreibreform in unserer Schriftsprache sattelfest wurde, wird über die Schreibweise „Typisch Deutsch“ im Titel gestolpert sein.

Tatsächlich ist das ein beabsichtigter Lapsus, denn das Auto, um das es heute geht, ist so „Deutsch“, wie man sich das nur vorstellen kann. Zuvor sei eine Rückblende auf ein ganz ähnliches Fahrzeug erlaubt, das nur „deutsch“ war, wenngleich auf hohem Niveau:

Ford „Eifel“ Cabriolet mit Aufbau von Gläser (Dresden); Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Momentaufnahme aus Kriegszeiten habe ich vor längerem hier besprochen. Das Fahrzeug ließ sich als Ford „Eifel“ identifizieren, der einen Aufbau als Zweifenster-Cabriolet von der Karosseriemanufaktur Gläser aus Dresden erhalten hatte.

Gläser-Aufbauten zählten zum Geschmackvollsten, was im deutschen Karosseriebau der Vorkriegszeit zu bekommen war. Doch andere Hersteller wussten ebenfalls Karosserien zu fertigen, die dem Gläser-Stil recht nahekamen.

Hier haben wir ein schönes Beispiel, das Leser Klaas Dierks zu verdanken ist:

Ford „Eifel“, 2-Fenster-Cabriolet von Deutsch; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Entstanden ist dieses liebenswerte Dokument kurz nach dem 2. Weltkrieg, wie das Besatzungskennzeichen an dem Wagen verrät.

Die markante Ausführung des Kühlergrills im Stil des legendären Ford V8 verrät, dass dieser Wagen frühestens 1937 entstanden sein kann. An sich war das mit 34 PS aus 1,2 Liter Hubraum aufwartende Modell „Eifel“ bereits seit 1935 auf dem Markt.

Wenn man der Literatur trauen kann, haben wir hier einen Ford „Eifel“ von 1938/39 vor uns, der damals von „Deutsch“ in Köln eine solche Karosserie erhielt. Die Karl Deutsch GmbH war einer der Hauptlieferanten offener Aufbauten für das Kölner Ford-Werk.

Meine erste Begegnung mit einem Ford von „Deutsch“ fand Ende der 1980er Jahre statt. Damals bekam ich bei einem Schulkameraden im hessischen Friedberg ein von Deutsch gebautes Cabriolet auf Basis eines Ford „Capri“ zu Gesicht, welches sein Vater besaß – damals der Inhaber des bis heute existierenden Autohauses Ford Kögler.

Was aus dem Capri mit Cabrio-Aufbau von Deutsch wurde, von dem nur einige Dutzend entstanden, weiß ich nicht, aber meine Faszination für „Deutsch“ hält bis heute an. Unverkennbar deutsch ist auch die Aufmachung der beiden Kinder, die vor dem Ford posieren:

Mit Lederhosen und Janker ausstaffiert dürften die beiden Buben wohl irgendwo im Bayrischen beheimatet gewesen sein.

Die Frage, ob die Bayern überhaupt Deutsche sind, oder vielleicht eher den Österreichern zuzuschlagen sind, will ich hier besser nicht aufwerfen. Dafür treibt mich etwas anderes um: Ist der eine Bub (der größere) vielleicht gar keiner?

Natürlich meine ich nicht solche neuzeitlichen Kreationen wie „das dritte Geschlecht“, sondern die Möglichkeit, dass hier ein Mädchen als Bub verkleidet wurde.

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Mütter dazu neigen, mit ihren Kindern allerlei Experimente anzustellen: Ich musste beispielsweise als Grundschüler einst unbedingt als Mädchen frisiert fotografiert werden, damit die Ähnlichkeit mit meinen Cousinen dokumentiert werden konnte…

Zurück zum Ford „Eifel“ mit Cabriolet-Aufbau von „Deutsch“: Eine weitere Aufnahme dieses Typs kann ich aus meinem eigenen Fundus beisteuern, und zwar diese hier:

Ford „Eifel“ Cabriolet (Deutsch); Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Entstanden ist dieses Foto im Februar 1940 im polnischen Krakau. Die deutschen Soldaten, die darauf zu sehen sind, scheinen nicht mehr die jüngsten zu sein, vermutlich gehörten sie nicht zu einer kämpfenden Einheit.

Der Ford „Eifel“ mit Aufbau von Deutsch, vor dem sie posieren, ist natürlich auch dann ein erfreulicher Anblick, wenn er nur teilweise sichtbar ist. Gleichwohl werden solche Fotos – unabhängig von einer persönlichen Verstrickung der abgebildeten Personen stets überschattet von den Verbrechen, die in deutschem Namen in den besetzten Territorien begangen wurden.

Angriffskriege haben zwar alle im 2. Weltkrieg involvierten Parteien zuhauf geführt – übrigens auch die Polen, die die Schwäche Russlands nach dem kommunistischen Umsturz 1917/18 für weitreichende Eroberungen nutzten. Aber die Deutschen haben sich leider die Finger noch gründlicher schmutzig gemacht als die Gegner von einst.

Typisch deutsch“ – das bleibt ein schwieriges Kapitel, doch wenn es um alte Autos geht, ist man mit „Typisch Deutsch“ allemal auf der sicheren – erfreulicheren – Seite.

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Luxusproblem: Prominenter Protos C1 10/45 PS

Es gibt wenige Automobiltypen der 1920er Jahre, die sich so einfach identifizieren lassen wie das Modell, mit dem ich mich heute befasse. Regelmäßige Leser kennen den Wagen aus diversen Blog-Einträgen, die ich mit Fotos aus dem eigenen Fundus und von Lesern illustriert habe.

Bei der letzten Gelegenheit konnte ich gleich drei Aufnahmen ein und desselben Typs zeigen (hier), der einst alles andere als selten war – aber heute eine Rarität darstellt.

Beginnen möchte ich mit einem schönen Foto aus der Sammlung von Matthias Schmidt (Dresden), das 1927 am Wolfgangssee in Österreich entstand:

Protos Typ C1 10/45 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Trotz einiger technischer Unvollkommenheiten hat hier jemand mit malerischem Blick eine Szene komponiert, die durch den Blick auf das im Dunst liegende gegenüberliegende Ufer mit der Silhouette von St. Wolfgang bezaubert.

Die beiden großen Tourenwagen liegen zwar außerhalb des Schärfebereichs, sind aber klar als Protos des Typs C1 10 /45 PS (1924-27) anzusprechen. Die in zwei Gruppen angeordneten zehn Luftschlitze pro Haubenseite sprechen eine eindeutige Sprache.

Letzte Gewissheit gibt der markante Spitzkühler mit dem einzigartigen, noch aus der Jugendstilepoche stammenden Dekor am Oberteil:

Wir werden der unverwechselbaren Kühlerpartie gleich in wünschenswerter Deutlichkeit wiederbegegnen.

Das von Matthias Schmidt bereitgestellte Foto soll aber illustrieren, dass sich mit etwas Glück auch Vorkriegswagen identifizieren lassen, wenn die Bedingungen nicht ideal sind.

Nahe am Ideal ist dagegen die folgende Aufnahme, die auf einer Postkarte aus meiner Sammlung wiedergegeben ist.

Dabei wird sich zeigen, dass wir es nicht mit irgendeinem Protos C1 10/45 PS zu tun haben, sondern mit dem wohl prominentesten Exemplar dieses Typs:

Protos Typ C1 10/45 PS; originale Postkarte aus Sammlung Michael Schlenger

Auf den ersten Blick wirft dieses Foto der Nachkriegszeit keine Probleme auf. Der expressiv gestaltete leicht gepfeilte Kühler und die zehn Luftschlitze sagen alles.

Das Kennzeichen „M-HR 135“ erinnert an die Schlichtheit der Nummernschilder der alten Bundesrepublik. Diese „mussten“ leider einem angeblichen Euro-Kennzeichen weichen, das ich in Nachbarländern wie Italien, Belgien und Frankreich so bisher vergeblich gesucht habe – denn natürlich kocht dort jeder weiter sein eigenes Süppchen…

Zurück zum Protos C1/10/45 PS. Dass wir es hier nicht mit irgendeinem Tourenwagen dieses Typs zu tun haben, verrät schon die hohe und senkrecht stehende Frontscheibe, die ich nur von geschlossenen Aufbauten kenne (siehe meine Protos-Galerie).

Dieses Detail dürfte mit der Historie des Wagens zusammenhängen, der die Zeiten überdauert hat. Erzählt wird sie hier vom Besitzer des ProtosRuprecht von Siemens.

Demnach wurde der Wagen bis in die 1950er Jahre in Hamburg von einem Gemüsehändler gefahren, bevor er in den Besitz Ruprecht von Siemens‘ gelangte. Der mochte den Lieferwagenaufbau nicht und ließ den Protos wieder in einen Tourenwagen zurückverwandeln.

Ich könnte mir vorstellen, dass dabei die Frontscheibe als Erinnerung an die Historie des Wagens beibehalten wurde – eine Einstellung, die ich sympathisch finde. Man darf einem so alten Auto ansehen, dass es während seines langen Lebens ganz unterschiedlichen Zwecken diente und so oder so seinen Besitzern treue Dienste leistete.

Damit könnte ich es bewenden lassen und meinen Lesern empfehlen, das oben verlinkte Video mit Ruprecht von Siemens zu genießen. Doch war da nicht die Rede von einem Luxusproblem?

Gewiss, und das findet sich auf der Rückseite der Postkarte aus meiner Sammlung, auf der der Protos C1 10/45 PS von Ruprecht von Siemens abgebildet ist:

Von Ruprecht v. Siemens verfasste Postkarte aus Sammlung Michael Schlenger

Die Sütterlinschrift, in der der Text auf der Rückseite der Postkarte mit dem Protos von Ruprecht v. Siemens verfasst ist, habe ich zwar nie gelernt. Man kann sich aber mit etwas Geduld darin einlesen, sodass man das Wesentliche erfasst.

Im vorliegenden Fall konnte ich den Text fast vollständig entziffern, nur die ersten drei Wörter wollen keinen rechten Sinn ergeben (Ergänzungen von mir in Klammern):

(fuhr ein?)…nalwagen von Benz mit (,) der für diese Fahrt extra aus einem Museum in London nach München gebracht wurde.

Das Protosverdeck hat ein Original-Golde-Gestell, das mein Karosseriebauer zufällig noch hatte.

Mit besten Grüßen

Ihr Ruprecht v. Siemens

Ganz offenbar ist mir da eine von Ruprecht v. Siemens selbst verfasste Postkarte ins Netz gegangen, deren Adressat mir leider unbekannt ist. Wie es scheint, berichtete er darauf (und vermutlich auf einer zweiten Karte) von einer Oldtimer-Ausfahrt im München der Nachkriegszeit, als sein Protos bereits wieder als Tourenwagen hergerichtet war.

Und nun habe ich folgendes Luxusproblem: Wie könnte der erste Teil der Nachricht gelautet haben, an den die Karte aus meiner Sammlung anknüpft? Kann hier ein Leser weiterhelfen? Oder gar Ruprecht von Siemens selbst?

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Ein dringender Fall für den Friseur: DKW F8

Seit Beginn dieser Woche darf sich der gemeine Deutsche wieder frisieren lassen – offenbar ein Privileg, das während der Ausgangsbeschränkungen der letzten Wochen Politikern und Talkshow-Insassen vorbehalten war, an deren äußerem Erscheinungsbild es nicht mehr auszusetzen gab als sonst – wie war das nur möglich?

Egal, für den Untertan galten schon immer besondere Verhaltensregeln, und so dürften aktuell wieder einige Landsleute dringende Fälle für den Friseur sein wie der junge Mann auf dem folgenden Foto:

DKW F8 Front-Luxus Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese hübsche Aufnahme aus Chemnitz entstand zu einer Zeit, in der auch sonst der Gürtel enger zu schnallen war, nämlich kurz nach dem 2. Weltkrieg.

Während der Hunger ungestillt bleiben musste, ließ sich für einen kurzen Moment immerhin ein gewisser Appetit nach Luxus befriedigen – und sei es nur, indem man so tat, als gehöre einem das Auto mit der opulent verchromten Kühlermaske.

Vielsagend finde ich übrigens, dass „er“ mit der Hand den Wagen berührt, während „sie“ mit besitzergreifender Geste die Hand auf seine Schulter legt. „Das ist meiner!“, ist ihrem selbstbewussten Gesichtsausdruck zu entnehmen, während er mehr schlecht als recht versucht, den stolzen Autobesitzer zu geben.

Ob ihre perfekte Frisur ebenfalls auf Nähe zu politischen „Größen“ mit Sonderrechten schließen lässt, sei einmal dahingestellt – für mich ist sie jedenfalls ein Beispiel dafür, wie man auch unter materiell ärmlichen Umständen seine Würde bewahren kann.

Was das für ein schickes Auto ist, neben dem die beiden posieren, bewegt den Leser sicher ebenso wie einst mich. Möglicherweise kommen Markenkenner auf Anhieb darauf – mich hat es jedenfalls einige Zeit gekostet herauszufinden, dass es ein DKW ist.

Man möchte das erst nicht glauben, denn der Wagen wirkt nicht gerade wie ein schmalbrüstiger Zweitakter mit Holzkarosserie. Das Fehlen des Markenemblems und der vier Ringe, die auf die Zugehörigkeit von DKW zum Auto Union verwiesen, hat mich jedenfalls zunächst etwas anderes vermuten lassen.

Allerdings handelt es sich auch nicht um irgendeinen der so populären Frontantriebswagen der sächsischen Marke, sondern um die Sonderausführung „Front Luxus-Cabriolet“ mit Stahlkarosserie von Baur.

Dies zu beweisen, bedarf es einiger Schritte, bei denen das titelgebende Motto „Ein dringender Fall für den Friseur“ eine ganz eigene Bedeutung erlangt. Beginnen wir mit einem kleinen Detail, das mich letztlich auf die Spur des Herstellers DKW gebracht hat:

Bei genauem Hinsehen erkennt man, dass die seitlichen Luftschlitze in der Motorhaube links vom Scheinwerfer unterbrochen wirken. Das ist auch tatsächlich der Fall, wir haben es bei diesem Modell mit zwei übereinanderliegenden Reihen von Schlitzen zu tun.

Wer Zweifel hegt, kann sich gleich davon überzeugen, dass die Beobachtung zutrifft.

Vorher möchte ich aber noch auf ein anderes Detail hinweisen, das es im Hinterkopf zu behalten gilt – und zwar die unten durch die Frontscheibe geführten Achsen der Scheibenwischer. Wir werden ihnen später wiederbegegnen.

Nun aber zum angekündigten Vergleichsfoto, das ebenfalls nach dem Krieg in Ostdeutschland entstand:

DKW IFA F8 der frühen Nachkriegszeit; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Trotz der Unschärfe kann man die erwähnten beiden Reihen Haubenschlitze erkennen – ansonsten findet sich dieselbe Kühlermaske mit senkrechten Stäben, die Kennzeichen des DKW F8 von 1939 war.

Das rautenförmige Emblem in der Mitte der Scheinwerferstange und die profilierten Stoßecken sind jedoch Kennzeichen des ab 1949 in Zwickau weitergebauten F8. Motorenseitig war die Vorkriegskonstruktion übernommen worden.

Dabei hätte gerade diese Anlass zum „Frisieren“ gegeben, denn schon vor dem Krieg waren die 20 PS des DKW F8 arg knapp bemessen.

Dessen war man sich bei DKW durchaus bewusst war. Angesichts der drohenden Konkurrenz des von Ferdinand Porsche neuentwickelten Volkswagens entstand 1938 der erste Prototyp eines nunmehr dreizylindrigen Typs (F9).

Da mit dem Beginn der Serienfertigung des DKW F9 nicht vor 1940 gerechnet wurde, entwickelte man mit dem F8 ein Übergangsmodell, das 1939 den bisherigen Typ F7 ablöste. Zwar verzichtete man dabei auf ein „Frisieren“ des faktisch unveränderten Motors, doch bei beim Fahrwerk entschied man sich für einen grundlegend anderen „Zuschnitt“.

Das neue Chassis (mit Anleihen bei der Konzernschwester Wanderer) bedeutet nicht zuletzt dank verbesserter Bremsen einen deutlichen Fortschritt gegenüber dem F7. Auch die Geräuschdämmung wurde verbessert.

Bei unveränderter Karosserieform wurde der neue DKW F8 vom Markt gut aufgenommen, wie mehrmonatige Wartefristen nach Vorstellung Anfang 1939 bewiesen. Kriegsbedingt sollten aber nicht viele Käufer in den Genuss eines DKW F8 kommen.

Lediglich beim Militär erhielt man gegebenfalls Gelegenheit dazu, wie folgendes Foto illustriert:

DKW F8 (Luftwaffenfahrzeug); Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wie das Kürzel „WL“ auf Kotflügel und Nummernschild verrät, gehörte dieser Wagen zu einer Einheit der deutschen Luftwaffe – über Ort und Entstehungszeitpunkt der Aufnahme ist mir nichts bekannt.

Sämtliche Chromteile sind matt überlackiert – im typischen Blaugrau von Luftwaffenfahrzeugen. Einer der beiden mit den typischen Tarnkappen versehenen Scheinwerfern ist hier merkwürdig verdreht. Evtl. sollte er auf schlechten Wegen den rechten Fahrbahnrand beleuchten.

Auf dieser Aufnahme sieht man außerdem die im Normalfall oben am Scheibenholm angebrachten Scheibenwischer. Dies war so bei allen gängigen Versionen des DKW F8 zu finden, je nach Ausstattung war mitunter nur ein Wischer serienmäßig.

Erinnern Sie sich an die unten an der Windschutzscheibe angebrachten Scheibenwischer des eingangs gezeigten DKW F8? Nun, diese sind der entscheidende Hinweis auf eine Sonderausführung mit der Bezeichnung „Front Luxus-Cabriolet“.

DKW F8 Front Luxus-Cabriolet; zeitgenössische Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger

Der Aufbau dieser äußerlich geschickt „frisierten“ Version wurde im Fall des DKW F8 vom Karosserielieferanten Baur gefertigt – und zwar im Unterschied zu den übrigen Ausführungen komplett mit Stahlblech statt Kunstleder beplankt.

Üppiger Chromschmuck und Ledersitze setzten luxuriöse Akzente, während unter der Haube weiterhin der vertraute 20-PS-Zweizylinder-Zweitakter werkelte. Wie opulent das Front Luxus-Cabriolet dabei wirkte, lässt sich hier bewundern:

DKW F8 Front-Luxus Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Diese reizvolle Aufnahme, die ich Leser Marcus Bengsch verdanke, zeigt das Spitzenmodell des DKW F8 aus ungewöhnlicher Perspektive, aber durchaus gekonnt.

An der Vorderpartie fallen die beiden Reihen Haubenschlitze ins Auge, außerdem kann man nun die untenliegenden Scheibenwischer von innen besichtigen. Der Scheibenwischermotor ist hinter dem linken Wischer montiert, der rechte wird über eine damit verbundene Stange betätigt.

Dieses Detail wurde noch vor Kriegsbeginn geändert – die Wischer wanderten wie bei den Normalausführungen nach oben, sodass diese Ausführung nur selten zu sehen ist.

Bekommen wir am Ende noch einmal die Kurve zurück zum Thema „Ein dringender Fall für den Friseur?“ Ja, nicht ohne dabei ein weiteres Detail ins Visier zu nehmen, das typisch für die bewunderten Front Luxus-Cabriolets von DKW war:

Hier haben wir zum einen die mächtige Sturmstange vor uns, die bei geschlossenem Verdeck einen eleganten Akzent setzte, zum anderen die wie ein Komentenschweif breit auslaufende seitliche Zierleiste, die das dunkel lackierte Oberteil von der hell gehaltenen und leicht wirkenden Flanke trennt.

Ob die Dame auf dem Beifahrersitz bereits ahnte, dass sie bei Fortsetzung der Fahrt bald ein dringender Fall für den Friseur sein würde? Ohne eine schützende Kappe, wie sie die vergnügte Nachbarin trug, oder ein Kopftuch, richtet der Fahrtwind bei damaligen Cabriolets früher oder später die robusteste Haarpracht zugrunde.

Die Frage, ob es das alles wert war, wird man zumindest im Fall des DKW F8 Front Luxus-Cabriolet – vom Volksmund nicht ohne Grund als „kleiner Horch“ bezeichnet – gewiss bejahen können…

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Very British: Rolls-Royce Phantom II „Continental“

Der Titel meines heutigen Blog-Eintrags klingt ein wenig widersprüchlich.

„British“ und „Continental“ passt aus Perspektive der Inselbewohner eigentlich gar nicht zusammen – das fängt beim Frühstück an und hört bei der Frage, auf welche Seite das Lenkrad gehört, längst nicht auf. So konnte auch der „Brexit“ nur die überraschen, die den Selbstbehauptungswillen der Engländer (außerhalb der Londoner Blase) verkennen.

Dass es dennoch in Einzelfällen zu einer glücklichen Synthese aus britischen und kontinentalen Traditionen kommen kann, zeigt eindrucksvoll der Wagen, den ich heute anhand von zwei Fotos aus meiner Sammlung vorstelle.

Schon die vollständige Bezeichnung des Fahrzeugs ist an Opulenz schwer zu überbieten: Rolls-Royce Phantom II Continental 3-Position Drophead Coupé Owen Gurney Nutting

Diese für den Novizen mysteriös anmutende Aneinanderreihung exotisch-klingender Wörter, die so nur im Englischen funktioniert, beschreibt den Wagen für den Eingeweihten absolut präzise und nimmt (fast) alles vorweg, um das heute geht.

Bevor ich loslege, sei klargestellt, dass ich von Rolls-Royce soviel Ahnung habe wie von Bugatti – nämlich fast gar keine. Markenenthusiasten mögen daher nachsichtig sein und etwaige Fehler wohlwollend korrigieren.

Zum Einstieg ein paar Worte zur zeitlichen Einordnung:

Im Jahr 1929 fand beim Luxushersteller Rolls-Royce ein Modellwechsel statt. Das Basismodell 20 HP (heute noch für den Gegenwert eines klassischen VW-Bullis erhältlich) wurde vom 20/25 HP abgelöst.

Für das Überleben der Marke in der Weltwirtschaftskrise war dieser Rolls-Royce 20/25 HP von entscheidender Bedeutung. Über 3.800 Stück davon entstanden, von denen die meisten noch heute existieren.

Solchermaßen abgesichert konnte Rolls-Royce daneben sein bisheriges Spitzenmodell verfeinern – den Typ 40/50 HP „Phantom“. Dieser war der Nachfolger des legendären „Silver Ghost“, der den einzigartigen Ruhm der Marke begründete.

Bei der Gelegenheit -und passend zum Stichwort „Continental“ – hier das Foto eines solchen „Silver Ghost“, das ich 2015 anlässlich der „Kronprinz Wilhelm Rasanz“-Ausfahrt am Niederrhein machen konnte:

Rolls-Royce 40/50 hp „Silver Ghost“; Bildrechte: Michael Schlenger

Dieses Auto von 1914 unternahm seinerzeit eine Tour durch Europa und war eher zufälliger Teilnehmer an der „Kronprinz Wilhelm Rasanz“ – ein Beleg für das phänomenale Leistungsvermögen dieser frühen Wagen.

Die Leistungsbezeichnung 40/50 HP sollte wie gesagt auch der „Phantom“ von 1925 sowie dessen Nachfolger „Phantom II“ von 1929 tragen. Freilich hatte dieser mit dem „Silver Ghost“ technisch kaum noch etwas gemein.

Der für seine Laufruhe gerühmte Sechszylinder besaß beim „Phantom“ einen auf 7,7 Liter gestiegenen Hubraum und die seitlich stehenden Ventile waren solchen gewichen, die v-förmig im Zylinderkopf hingen und so einen verbesserten Gaswechsel ermöglichten.

Der ab 1929 gebaute Phantom II verfügte vor allem über ein neues Chassis, das eine tiefere Anbringung des Rahmens und damit bessere Fahreigenschaften mit sich brachte. Dabei ließ man es aber nicht bewenden.

Neben dem „Standardmodell“ des Phantom II bot man eine leistungsgesteigerte und auch fahrwerkseitig sportlichere Version an, den „Continental“. Damit hatte man freilich weniger den europäischen Kontinent als Absatzmarkt im Blick.

Vielmehr richtete sich das Angebot an Rolls-Royce-Käufer, zu deren Lebensstil Touren auf dem europäischen Festland wie nach Südfrankreich oder Oberitalien gehörten.

Speziell auf den oft römischen Routen folgenden französischen Landstraßen ließen sich weit höhere Durchschnitte als auf den meist gewundenen, schmalen Straßen Englands erreichen. Dazu erhöhte man beim Phantom II „Continental“ die Leistung von rund 120 auf 130 PS.

Damit waren prinzipiell bis zu 150 km/h Spitze möglich – um 1930 ein unerhörter Wert. In der Praxis war die Höchstgeschwindigkeit weniger relevant, dafür der mit der höheren Leistung einhergehende bessere Durchzug aus niedrigen Drehzahlen, der selbst bei Steigungen ein stets souveränes schaltarmes Fahren ermöglichte.

Nun aber genug der Worte – hier haben wir Foto Nr. 1 eines solchen Rolls-Royce Phantom II „Continental“:

Rolls-Royce Phantom II „Continental“ 3-Position Drophead Coupé Owen Gurney Nutting; Originalabzug aus Sammlung Michael Schlenger

Vor dem Schaufenster eines Autohändlers mit angeschlossener Tankstelle wirkt der Wagen merkwürdig verloren. Entstanden ist diese Aufnahme in Redditch in der mittelenglischen Grafschaft Worcestershire, wo einst Royal Enfield Motorräder baute.

Auch wenn diese Aufnahme der Nachkriegszeit unspektakulär wirkt, lässt sie ein wichtiges Detail erkennen, das sich in der Bezeichnung des Wagens wiederfindet. Hier sieht man nämlich die mittlere der drei Positionen, in denen sich das Verdeck fixieren ließ.

Genau darauf verweist der Zusatz „3-Position Drophead Coupé“. Der Kontinentaleuropäer muss auch hier zur Kenntnis nehmen, dass in England manches anders ist.

Ein Cabriolet als Coupé zu bezeichnen, bei dem man das Dach („head“) niederlegen („drop“) kann, darauf muss man erst einmal kommen. Was wir auf dem Kontinent unter Coupé verstehen, also einen Zweitürer mit stets festem Dach, wird in England mit einem entsprechenden Zusatz versehen – dort heißt es dann „Fixed-Head Coupé“

Nach diesem kleinen Exkurs, der eine Vorstellung von den Komplikationen vermittelt, die einem beim Studium der unterschiedlichen Karosseriebezeichnungen auf dem „Kontinent“ und auf der „Insel“ begegnen, nun weiter zu Foto Nr. 2, das dasselbe Auto zeigt – diesmal aber vor einem angemessenen Hintergrund:

Rolls-Royce Phantom II „Continental“ 3-Position Drophead Coupé Owen Gurney Nutting; Originalabzug aus Sammlung Michael Schlenger

Hier bekommt man auf einmal einen Eindruck von den enormen Dimensionen und perfekten Proportionen dieses Wagens. Es fällt schwer zu glauben, dass dieser „Continental“ auf einem gegenüber der Standardausführung verkürzten Chassis ruht.

Aber das Auto musste auch nur zwei Personen Platz bieten – da konnte man schon auf ein paar britische „inches“ verzichten. Hier sehen wir das Verdeck in ganz geschlossener Position, Nr. 3 wäre dann „ganz geöffnet“.

Der Entwurf für dieses hochelegante Reisefahrzeug mit den angesetzten Koffer für reichlich Gepäck stammte angeblich vom Geschäftsführer der Hauptvertretung von Rolls-Royce in London – H.R. Owen, einem Piloten des 1. Weltkriegs

Owens Entwurf wurde von der Karosseriebaufirma Gurney Nutting umgesetzt, die erst 1919 gegründet worden und auf britische Oberklassemarken spezialisiert war. Damit wären nun auch die letzten Namensbestandteile dieses Wagens geklärt.

Ganze 12 Exemplare entstanden einst in genau der Ausführung. Tatsächlich findet man heute noch überlebende Wagen, wenn man im Netz nach Rolls-Royce Phantom II Continental 3-Position Drophead Coupé Owen Gurney Nutting sucht.

Eines davon wurde in den 1950er oder 60er Jahren von der Firma Swanmore Garage Ltd. in Boscombe (Vorort von Bounemouth) zum Verkauf angeboten. Der zweite Abzug trägt jedenfalls den Stempel dieses Händlers.

Es bleibt die Frage, wie zwei Fotos desselben Wagens von zwei unterschiedlichen Orten über die Zeiten zusammenbleiben können – außer wenn sie von einem einstigen Besitzer stammen.

Er könnte den Wagen bei Swanmore gekauft haben – einer auf Oberklassewagen spezialisierten Firma – von wo die professionelle Verkaufsaufname stammt. Das andere Foto könnte er selbst an der Tankstelle der Poole Garage in Redditch gemacht haben.

Lässt sich vielleicht noch mehr über dieses großartige Auto herausfinden, das britische und kontinentale Eigenschaften so harmonisch vereint?

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Mehr als nur ein altes Auto: Citroen Type B2

Eigentlich geht es mir in meinem Blog darum, die Schönheit wirklich alter Automobile zu zelebrieren. Das muss nicht bedeuten, dass ein Fahrzeug so perfekt sein muss, als sei es gerade aus der Fabrikhalle gerollt.

Tatsächlich bevorzuge ich auch bei meinen eigenen historischen Fahrzeugen ein Erscheinungsbild, das eher dem einstigen Alltagszustand entspricht – dabei reicht die Bandbreite von gut gepflegt bis schwer patiniert, aber immer noch hübsch anzuschauen.

Das Auto, das ich heute anhand eines historischen Fotos vorstelle, fällt in eine eigene Kategorie, die man nur als heruntergekommen bezeichnen kann. Dennoch verdient auch ein solcher Zustand Sympathie, wenn er authentisch – also Ausdruck seiner Zeit – ist.

Wenn man beim Anblick des Wagens schlucken muss, um das es geht, liegt das nicht nur daran, wie verbraucht das Auto aussieht, sondern auch an den äußeren Umständen, die etwas Bedrückendes haben.

Ich habe vor einer ganzen Weile hier denselben Typ anhand eines Fotos präsentiert, das demgegenüber auf den ersten Blick aus einer heilen Welt stammt:

Citroen Type B2; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses Foto entstand ausweislich der Beschriftung beim „Kloster Drakenburg“ im Winter 1941.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Angriff der deutschen Wehrmacht kurz vor Moskau festgefressen, das Heer litt unter unzureichender logistischer Vorbereitung, vor allem was Kleidung angeht, die Schutz vor zweistelligen Minusgraden bot.

Die Herren auf dieser Aufnahme ahnten offenbar nichts von dem Drama, das sich im Osten abspielte und das den Soldaten auf beiden Seiten furchtbare Opfer abverlangte.

Sie haben sich an einem sonnigen Wintertag um einen Wagen versammelt, der der Beschlagnahmung zu Beginn des Kriegs entgangen war, weil er wie praktisch alle Autos der 1920er Jahre veraltet, zu schwach und zu reparaturanfällig war.

Es handelt sich um den Type B2 von Citroën die 1921 vorgestellte Nachfolgeversion des Typs A, des ersten Automobils, das der französische Hersteller 1919 herausbrachte.

Firmeneigner André Citroën hatte nach Vorbild von Henry Fords Model „T“ ein Fahrzeug speziell für die Massenproduktion entwickeln lassen. Bekannter wurde allerdings erst der ab 1921 gebaute kleinere Typ 5CV, der ein noch größerer Erfolg war und das Vorbild für den späteren Opel 4 PS-Typ „Laubfrosch“ abgab.

Jedenfalls findet man zumindest hierzulande Aufnahmen dieses frühen Citroën eher selten. Das Foto, das ich heute präsentiere, stammt aus Frankreich, hat aber in Form einer zeitgenössischen Postkarte irgendwie den Weg nach Deutschland gefunden:

Citroen Type B2; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme macht es dem Betrachter nicht einfach: Das Auto ist in bemitleidenswertem Zustand, die Frontpartie ist heftig zerdellt und die Vorderräder wurden durch solche mit nicht originalen Dimensionen ersetzt.

Man fragt sich, was man anstellen muss, um im damals dünnen Verkehr die Schutzbleche so zuzurichten, wie das hier der Fall ist.

Die Antwort liegt für mich in einem gnadenlosen Einsatz irgendwo auf dem Lande, entweder auf einem Bauernhof oder in einem Handwerksbetrieb, wo schon mal etwas unbeabsichtigt auf das Auto fallen konnte oder beim Abstellen des Wagens im Weg war.

Kann jemand anhand des Nummernschilds – nach in Frankreich lange üblicher Manier hier von Hand gemalt – etwas zu Ort und Zeitpunkt der Zulassung sagen?

Der Zustand des Citroën lässt mich vermuten, dass er nach dem 2. Weltkrieg aufgenommen wurde, als im von Kämpfen zwischen deutschen und alliierten Truppen vielerorts verwüsteten Frankreich Autos absolute Mangelware waren.

Dafür würden auch die auf den Vorderkotflügeln angebrachten Blinker sprechen, die eventuell ein Zubehörteil waren oder von einem anderen Wagen stammten.

Offensichtlich waren keine Reifen mehr in der originalen Dimension verfügbar, weshalb man Räder eines anderen Autos mit passendem Lochkreis montierte, deren Reifen breiter waren und einen geringeren Durchmesser aufwiesen.

Auch das lässt mich vermuten, dass das Foto erst kurz nach dem 2. Weltkrieg entstand. Ein weiteres Indiz findet sich auf dem nächsten Ausschnitt, das kaum weniger verstörend ist als der Anblick der schwer mitgenommenen Frontpartie des Citroën:

Hier ist zu erkennen, dass der Wagen auf der rechten Seite zwei Türen besaß. Aus meiner Sicht ist das ein Merkmal, anhand dessen sich der Citroën Type B2 vom stilistisch sehr ähnlichen, aber kleineren Typ 5CV unterscheiden lässt.

Offenbar stammt auch das Hinterrad von einem Fremdfabrikat. Solche Felgen mit Radkappen besaßen frühe Citroëns nicht.

Was aber eher den Blick auf sich zieht, ist der finster dreinschauende Mann mit Schiebermütze, der zwei kleine Jungen festhält. Sein Gesichtsausdruck ist hier vorsichtig mit „säuerlich“ zu bezeichnen.

Man fragt sich, was sich hinter dieser wenig sympathischen Physiognomie verbirgt. Der Gesichtsfarbe nach zu urteilen, handelt es sich um einen Landwirt oder einen im Freien arbeitenden Handwerker.

Sein Alltag scheint nicht leicht gewesen zu sein und als Hobby-Psychologe möchte man ihm einen Hang zum Jähzorn zuschreiben, so wie er in die Kamera schaut. Vielleicht ist er aber auch nur unvorteilhaft wiedergegeben.

Immerhin scheint seine Beschäftigung lukrativ genug gewesen zu sein, um einen alten Citroën zu ermöglichen, was keineswegs selbstverständlich war. Doch unübersehbar waren nicht die Mittel vorhanden, um das Auto mehr als notdürftig am Leben zu erhalten.

Wenn die beiden Kinder etwas verwahrlost erscheinen, sollte man diesen Eindruck nicht überbewerten. Sie wurden damals allgemein nicht so verwöhnt wie heute und mussten alte Sachen von Geschwistern auftragen oder bekamen improvisierte Kleidung verpasst.

Das vermutlich gummierte Mäntelchen des uns freundlich anschauenen Jungen im Vordergrund könnte ein weiterer Hinweis auf die frühe Nachkriegszeit sein. Möglich aber auch, dass man hier schlicht vorhandene alte Materialien verwendet hat.

Sein mutmaßlicher Bruder auf dem Trittbrett schaut ängstlich drein. Sein Kittel scheint erst recht improvisiert zu sein und er trägt einen Verband über dem linken Auge. Vielleicht wollte man bei ihm eine Fehlstellung eines Auges korrigieren,

So prekär die Verhältnisse dieser Familie auf uns oft verwöhnte Menschen des 21. Jahrhunderts auch wirken, muss man die Aufnahme im rechten Kontext sehen: Offenbar besaß man nicht nur ein altes Auto, sondern auch eine Kamera und konnte sich teures Filmmaterial leisten – das war bis in die 1950er Jahre alles andere als selbstverständlich.

Letztlich sieht man auf diesem Foto weit mehr als nur ein altes Auto, das Anlass zum Nachdenken gibt. Der Wohlstand unserer Zeit wurde mit Härten erarbeitet und erkauft, an denen viele heute zerbrechen würden, die meinen ihr Dasein beklagen zu müssen.

Gleichzeitig zeugt die Aufnahme trotz des desolaten Zustands des Citroën davon, dass man wusste, was man an dem Wagen hatte. Er gehörte zur Familie wie ein alter Klepper, der schon reif für’s Gnadenbrot war, aber immer noch brav seinen Dienst verrichtete.

Ein Auto in diesem Zustand erzählt uns mehr von der Lebenswirklichkeit unserer Vorfahren als manches auf übertriebenen Hochglanz gebrachte Fahrzeug, das die Zeiten überdauert hat, dem aber jegliche Spuren der Zeit abgehen…

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Das erste „richtige“ Phänomen-Auto: Typ 8/18 PS

Mein letzter Blog-Eintrag zur sächsischen Marke Phänomen befasste sich mit dem PKW-Typ 12/50 PS des in Zittau ansässigen Herstellers.

Heute ist das erste „richtige“ Automobil an der Reihe, das die 1888 von Karl Gustav Hiller gegründeten Phänomen-Werke anboten.

1907 hatte Hiller ein Dreirad auf den Markt gebracht, dessen Motor über dem gelenkten Vorderrad angebracht war. Dieses „Phänomobil“ war kein schöner Anblick, aber funktionstüchtig und fand bis kurz nach dem 1. Weltkkrieg vor allem als Nutzfahrzeug zahlreiche Käufer:

Phänomobil 4/9 oder 6/12 PS ab 1912; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Diese Aufnahme zeigt wahrscheinlich eine ab 1912 gebaute Ausführung des Phänomobils, die anstatt eines Einzylinder-Motors nunmehr einen weiterhin luftgekühlten Zwei- oder Vierzylinder mit 9 oder 12 PS besaß.

Schon 1910 hatte Hiller parallel zum Phänomobil ein vollwertiges Automobil ins Programm genommen, den Typ 8/18 PS mit wassergekühltem Vierzylinder.

Diese Motorisierung wird in der älteren Literatur (von Fersen: „Autos in Deutschland 1885-1920“ u. Schrader: „Deutsche Autos 1885-1920“) dem Phänomobil zugeschrieben. Tatsächlich ist sie dem ab 1910 gebauten Phänomen-Auto 8/18 PS zuzuordnen (erwähnte Literatur nennt dagegen als erstes Auto der Marke den Typ 10/28 PS von 1912).

Die lückenhafte ältere Literatur bereitete mir lange Schwierigkeiten, was die Ansprache des Phänomen-Autos auf folgender Aufnahme angeht:

Phänomen Typ 8/18 PS; Originalfoto von: anonym

Diese prachtvolle Aufnahme wurde mir vor einigen Jahren von einem Leser zur Verfügung gestellt, der ungenannt bleiben wollte. Es handelt sich um einen Ausschnitt aus einem auf Karton aufgezogenen Foto, das mir digital in voller Größe vorliegt.

Der auf dem Original angebrachte Stempel verweist auf das „Atelier für das moderne Bildnis“ von Gustav Fuhrmann im Städtchen Rothenbach im Landkreis Landeshut (Schlesien, seit 1945 zu Polen gehörig).

Dazu passend trägt das Auto ein Kennzeichen der Provinz Schlesien (Kennung: „IK“):

Die Identifikation des Wagens als frühes Phänomen-Automobil stand rasch fest: Auf dem Originalabzug ist auf der Nabenkappe des Vorderrads „Zittau“ zu entziffern, wo die Marke ansässig war.

Der breite, oben geschwungene Kühlerausschnitt passt zum ersten Phänomen-Automobiltyp 8/18 PS, wie er in der Publikation „Pioniere des Automobils an der Neiße“ Zittauer Geschichtsblätter, Heft 48, 2013) auf den Seiten 122-123 abgebildet ist.

Aus meiner Sicht stimmt der Wagen auf dem heute vorgestellten Foto in allen wesentlichen Details mit den Aufnahmen des 8/18 PS-Typs in der erwähnten Publikation überein. Dennoch will ich nicht ausschließen, dass es sich um eine frühe Version des darauf basierenden Nachfolgers 10/28 PS handelt, der ab 1912 gebaut wurde.

Ein Indiz dafür könnten die elektrisch betriebenen Positionsleuchten im Windlauf vor der Frontscheibe sein. Vielleicht lässt sich das noch klären. Die mir vorliegenden Fotos des Phänomen 10/28 PS bzw. 10/30 PS zeigen jedenfalls bereits eine modernere Kühlerpartie, die wohl ab 1914 aufkam.

Möglicherweise wurde der Typ 8/18 PS auch parallel zum wesentlich stärkeren Modell 10/28 PS weitergebaut – die mir vorliegende Literatur ist diesbezüglich nicht eindeutig.

Betrachtet man den übrigen Aufbau, spricht das Vorhandensein eines Spritzschutzes zwischen Trittbrett und Rahmen gegen eine Entstehung schon 1910, das Fehlen einer kastenförmigen Abdeckung der vorderen Aufhängung der hinteren Blattfeder aber dagegen, dass dieser Wagen wesentlich nach 1912 entstanden ist:

Das ab 1912 gebaute Modell 10/28 PS bzw. 10/30 PS scheint auch wesentlich größer gewesen zu sein als dieser Tourenwagen.

Zum Vergleich hier eine Aufnahme, die einen Phänomen Typ 10/30 PS zeigt, der wie das 10/28 PS-Modell vor dem 1. Weltkrieg entstand. Dieses Fahrzeug wurde bei einer Oldtimer-Veranstaltung 1961 in Dresden abgelichtet (Hinweis von Matthias Schmidt, Dresden):

Phänomen Typ 10/30 PS, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier ist der birnenförmige Kühler zu sehen, der dem zeitgenössischer NSU-Wagen gleicht und wohl ebenfalls noch vor Beginn des 1. Weltkriegs den breiten und niedrigeren Kühler des Erstlingstyps 8/18 PS ablöste.

Wahrscheinlich existiert das oben abgebildete Fahrzeug noch, jedenfalls hat ein Phänomen 10/30 PS Typ in Ostdeutschland in originalem Zustand überlebt (siehe hier).

Zu den Typen 10/28 bzw. 10/30 PS sowie dem noch stärkeren Modell 16/45 PS von Phänomen haben sich einige Originalfotos in meinem Fundus angesammelt. Die Freunde dieser interessanten Marke können daher noch einiges Phänomenales erwarten!

Mein Dank gilt an dieser Stelle Automobilhistoriker Thomas Ulrich aus Berlin. Ihm verdanke ich den Hinweis auf die Schrift „Pioniere des Automobils an der Neiße“, in der nebenbei auch die Freunde von Zweirädern der Marke auf ihre Kosten kommen.

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Urahn eines Welterfolgs: Der erste Fiat 500

Der Fiat 500 gehört wie der VW Käfer und der Mini zu den Autos, die wohl jeder kennt. Nicht zufällig waren es diese drei, von denen es moderne Wiedergänger gibt.

Besonders gelungen ist aus meiner Sicht der seit 2007 angebotene Fiat 500. Kein Wunder, dass er äußerlich unverändert immer noch gebaut wird, denn er ist wie sein Vorbild aus den 1950er Jahren ein Augenschmaus.

2019 war das bisher beste Verkaufsjahr und entgegen manchen Gerüchten wird der Fiat 500 noch eine Weile weitergebaut. Ein Nischendasein dürfte dagegen der 2020 vorgestellte vollelektrische Fiat 500 führen, der wie alle Autos seiner Art am Kernübel des Elektroantriebs leidet: weniger Mobilität zum drastisch höheren Preis.

Als Drittwagen für die Stadt wird er wohl einige Liebhaber finden, die für diesen Luxus tausende Euro Subventionen von ihren steuerzahlenden Mitbürger kassieren, die einen fast 40.000 EUR teuren Kleinwagen meist für dekadent halten werden.

Dabei sollte gerade der Fiat 500 von Anfang an ein erschwingliches Auto für möglichst viele Menschen sein, die sonst ganzjährig mit Fahrrad und Straßenbahn unterwegs waren und genau das hinter sich lassen wollten, was neuerdings als urbane Utopie gepriesen wird.

Heute beleuchte ich die Anfänge des Fiat 500, aber nicht anhand des legendären Modells der Nachkriegszeit – der aus gutem Grund „Nuova 500“ hieß. Vielmehr geht es zurück in die 1930er Jahre, als erstmals ein Fiat „Cinquecento“ das Licht der Welt erblickte.

Der Vater des Wagens – Dante Giacosa – sollte derselbe sein, der auch das Nachkriegsmodell „Nuova 500“ entwickelte, obwohl beide kaum etwas gemeinsam hatten – außer, dass sie sehr kompakt und hübsch anzuschauen waren.

Fiat-Reklame aus „Kfz-Handel und -Bewirtschaftung“, Ausgabe vom 17.02.1939 (Original aus Sammlung Michael Schlenger)

Selbst ohne Vorkenntnisse wird man auf dieser Reklame auf Anhieb den zweisitzigen Fiat 500 erkennen, auch wenn die Typbezeichnung hier nicht auftaucht.

Es ist kaum ein Zufall, dass Fiat sein Einstiegsmodell 1939 auf der IAMA in Berlin zeigte – schon die Weltpremiere hatte 1936 in der Reichshauptstadt stattgefunden.

Neben dem Fiat 500 ganz links sieht man die beiden weiteren Erfolgsmodelle – den 1100 und den 1500. Zur Technik des Fiat 500 – sei folgendes vermerkt:

– Der Motor war ein wasserkühlter 4-Zylinder mit 570ccm, vorne längs eingebaut – der Fiat 500 der Nachkriegszeit erhielt einen im Heck montierten 2-Zylinder mit Luftkühlung.

– Die Vorderräder waren unabhängig voneinander aufgehängt und wurden mit einer Querblattfeder gefedert; Hebelstoßdämpfer waren Standard.

– Das kurze Chassis bot nur Platz für zwei Personen, außerdem einen Notsitz für Kleinkinder oder einen Hund – der spätere Fiat „Nuova 500“ war dagegen ein Viersitzer.

Nach seiner Vorstellung wurde der Fiat 500 auch in Deutschland ein achtbarer Erfolg. Er wurde sogar hierzulande gefertigt und zwar als NSU-Fiat im alten NSU-Automobilwerk in Heilbronn. Eine Verbindung mit dem gleichnamigen Motorradbauer bestand nicht.

So begegnet einem der Fiat 500 immer wieder auf Abbildungen aus dem Deutschland der 1930er Jahre – beispielsweise auf dieser Ansichtskarte aus Stolberg im Harz:

Ansichtskarte aus Stolberg (Harz); Original aus Sammlung Michael Schlenger

Angesichts der eindrucksvollen Kulisse des Ratskellers (links) mit dahinterliegender gotischer Martinikirche, in der 1525 Martin Luther eine Predigt hielt, schrumpfen die im Vordergrund abgestellten Autos zu Spielzeug.

Das gilt sogar für die mächtige Buick-Pullmanlimousine von 1933, die links neben dem Ausflugsbus von Mercedes-Benz steht. Wie kompakt der benachbarte Fiat 500 geraten war, ist hier besonders augenfällig.

Aber selbst im Vergleich zum braven Ford Köln links daneben ist der Fiat 500 noch eine ganze Nummer kleiner:

Abgesehen von den längst verschwundenen Autos bietet sich diese Ansicht dem Besucher der sehenswerten, vom Bombenkrieg fast ganz verschont gebliebenen Altstadt noch genauso dar.

Das Stichwort Krieg ist in diesem Kontext leider nicht zu vermeiden – auch nicht im Hinblick auf den kleinen Fiat 500, dem wie seinen damaligen Besitzern einige harte Jahre bevorstanden – gleich die nächste Aufnahme verweist unmittelbar darauf:

NSU-Fiat 500 Cabrio-Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der junge Soldat, der es sich hier auf der Motorhaube bequem gemacht hat und sich nonchalant mit den genagelten Sohlen seiner Stiefel auf der Stoßstange abstützt, war den Kragenspiegeln nach zu urteilen ein Gefreiter der Luftwaffe.

Die Aufnahme dürfte kurz nach Kriegsausbruch 1939 entstanden sein, als bereits die Tarnüberzüge auf den Scheinwerfern vorgeschrieben waren. Das Ärmelabzeichen weist den Soldaten als Mitglied des Kraftfahrerpersonals aus (Leserhinweis).

Auf dem Kennzeichen des Fiat fehlt der typische Winkel, der PKW kenntlich machte, die in Kriegszeiten weiterhin privat bewegt werden durften. Denkbar ist aber auch, dass der Fiat bereits seinen „Einberufungsbefehl“ erhalten hatte und demnächst beim Militär abgeliefert werden musste.

Ein Detail verrät, dass es sich um einen NSU-Fiat gehandelt haben muss. Die Normalausführung des Fiat 500 besaß ein Rolldach, das sich bis ganz hinten öffnen ließ.

Hier sieht man jedoch ein bis zum Windschutzscheibenrahmen reichendes Verdeck. Daran ist die Cabrio-Limousine zu erkennen, die serienmäßig nur als NSU-Fiat in Deutschland gefertigt wurde.

Die nächste Aufnahme transportiert uns nun direkt zur Wehrmacht, wo sich offenbar eine Trosseinheit ebenfalls einen Fiat 500 einverleibt hatte. Das Militär nahm angesichts notorischen Fahrzeugmangels alles, was man bekommen konnte, wenn es nicht gerade aus den 1920er Jahren stammte oder vollkommen exotisch war.

Hier sehen wir einen gutgelaunten Soldaten im Arbeitsanzug, der den Kühlergrill abgenommen hat, um mit einer Ölspritze Wartungsarbeiten im Motorraum vorzunehmen:

Fiat 500 (Wehrmachtsfahrzeug); Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auf diesem Foto sind einige interessante Details zu erkennen:

– Der Motor baut sehr flach, wie es typisch für klassische Seitenventiler ist, denen der hoch aufbauende Zylinderkopf kopfgesteuerter Motoren fehlt.

– Oberhalb des Motors sitzt die Lichtmaschine, deren Welle zugleich den Lüfterflügel antreibt, der sein Werk hinter dem Motor verrichtet, wo auch der Kühler angebracht ist – eine seltene Anordnung, die man vor allem von frühen Renault-Wagen kennt.

– Der hochangebrachte Wasserkasten des Kühlers bestimmt die Höhe der dahinter beginnenden „Motorhaube“. Darunter befand sich außer dem Kraftstofftank nicht viel – hier entwich hauptsächlich die durch den Kühler nach hinten geschaufelte Abwärme durch die Luftschlitze nach oben.

In der folgenden Querschnittsabbildung wird deutlich, dass man durch diese technisch einwandfreie Lösung einigen Platz im Vorderwagen verschenkte:

Fiat 500 Querschnittsmodell; Quelle: www.autoevolution.com

Hätte man den Benzintank im Heck untergebracht, wäre ein zusätzlicher Gepäckraum entstanden, doch dann hätte man eine Kraftstoffpumpe installieren müssen. Konstrukteur Dante Giacosa hätte uns vermutlich erklären können, warum das unterblieb.

Weiter geht es mit dem großen Rad der Zeit – auf der nächsten Aufnahme befinden wir uns schon in der frühen Nachkriegszeit – in Leipzig, um genau zu sein. :

NSU-Fiat 500 Cabrio-Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Entstanden ist dieses Foto anlässlich einer Hochzeit – der Herr mit dem Zylinder könnte der Brautvater gewesen sein.

Leider ist aufgrund der ungünstigen Lichtverhältnisse und Spiegelungen auf den Scheiben des Wagens – nicht zu erkennen, ob jemand im Wagen sitzt.

Dafür können wir hier den bereits erwähnten Verdeckansatz ausmachen, der uns verrät, dass auch dieser Wagen ein NSU-Fiat 500 mit dem für den deutschen Markt produzierten Aufbau als Cabrio-Limousine war.

Das Nummernschild wurde in der Sowjetischen Besatzungszone im Raum Leipzig (vertikal vorangestellte Buchstaben SL) ausgegeben, und zwar ab 1948 (siehe die mittig am unteren Rand des Kennzeichens angebrachte „48“).

Auf den letzten beiden Fotos, mit denen ich diese Zeitreise im Fiat 500 abschließen möchte, bleiben wir in dem Teil Deutschlands, der 1945 vom braunen Sozialismus befreit wurde, sich aber nun mit einer rotlackierten Variante konfrontiert sah.

Das neue Regime fuhr die Oppression der Reste des Bürgertums und freien Unternehmertums nur allmählich hoch. Sieht man von weiterbetriebenen KZs wie Buchenwald und Sachsenhausen ab, dauerte es in der „DDR“ noch eine Weile, bis Nonkonformismus tödlich wurde.

Erst nach dem Bau der Mauer ab 1961 musst der ordinäre Genosse, der nicht die Reiseprivilegien von Funktionären und politisch verlässlichen Wissenschaftlern besaß, damit rechnen, beim ungenehmigten Verlassen des Arbeiter- und Bauernparadieses hinterrücks erschossen zu werden.

Ende der 1960er Jahre, als der Bau des „antifaschistischen Schutzwalls“ bereits vollendet war, sind die folgenden Aufnahmen entstanden:

Fiat 500 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die junge Frau neben dem Fiat trägt unter dem Mantel mit Reißverschluss ein über dem Knie endendes Kleid – wie es in Ost und West in den 1960er Jahren aufkam. Sie schaut uns verhalten lächelnd an, doch scheint ihr Alltag von großem Ernst geprägt zu sein.

Der Fiat hat sich der „neuen Zeit“ ebenfalls unterwerfen müssen und trägt nun nachgerüstete Blinker auf den Kotflügeln. Übrigens haben wir es hier mit einer Limousine ohne Rolldach zu tun, die eher selten verkauft wurde.

Die zweiteilige Stoßstange könnte von einem DKW der Vorkriegszeit stammen – sie scheint nachträglich lackiert worden zu sein. Auch der helle Lack des Fiat dürfte erst aus der Nachkriegszeit stammen.

Nun die zweite Aufnahme desselben Wagens, aufgenommen im September 1968:

Fiat 500 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

An sich wäre das ein sehr schönes Dokument, das vom Weiterleben eines Fiat 500 der Vorkriegszeit rund 30 Jahre nach seiner Entstehung kündet.

Der schlanke Mann auf der Stoßstange ist perfekt in der Mode jener Zeit gekleidet – die Vorbilder dafür bezog man aus dem Westen, Schnitt und Materialien waren damals auch im Osten noch auf der Höhe der Zeit.

Doch auch „er“ schaut eher missvergnügt in die Kamera. Über 20 Jahre sozialistische Diktatur hatten je nach gesellschaftlicher Position womöglich ihren Tribut gefordert – weitere 20 Jahre sollten noch folgen.

Für mich, der 1969 in eine Bundesrepublik hineingeboren wurde, die ihre Bürger lange Zeit von staatlichen Anmaßungen weitgehend unbehelligt ihr Dasein führen ließ, ist das eine schwer erträgliche Vorstellung.

Damit will ich es für heute bewenden lassen, was das lange Leben des ersten Fiat 500 als automobiler Begleiter in deutschen Landen angeht. Aber wir werden dem großen Wurf von Dante Giacosa wiederbegegnen – auf einer Reise, die uns abermals in die Nachkriegszeit führt, doch diesmal im Westen unseres Landes

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Prekäre Nachkriegsexistenzen: Zwei Mercedes-Benz 290

Erst vor ein paar Wochen habe ich hier die majestätischen Cabriolets auf Basis des Sechszylindertyps 290 von Daimler-Benz anhand einiger Vorkriegsaufnahmen gestreift.

Heute ist das von 1934 bis 1937 gefertigte Modell erneut an der Reihe, doch diesmal in anderem Gewand und in einer Welt, die nicht mehr dieselbe war wie wenige Jahre zuvor.

Nur eine Gemeinsamkeit gilt es festzuhalten – das lange Chassis, das sowohl dem seinerzeit präsentierten Cabriolet D als Unterbau diente als auch der mächtigen Pullman-Limousine, um die es in diesem Blog-Eintrag geht:

Mercedes-Benz 290 Pullman-Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das ist auf den ersten Blick ein schönes Foto, das den fast 4,90 m langen Mercedes aus vorteilhafter Perspektive zeigt.

Doch dann bemerkt man eine ganze Reihe Details, die einem sagen, dass dieser Wagen seine beste Zeit hinter sich hat:

  • die typischen Radkappen mit dem Mercedes-Stern fehlen und das Profil der Reifen ist stark abgefahren,
  • der Verschlussdeckel auf der Öffnung für die (nur im Notfall benötigte) Startkurbel im unteren Bereich der Kühlermaske ist verlorengegangen,
  • die ursprünglich breite Stoßstange wurde durch eine andere ersetzt, die von einem kleineren Modell (evtl. vom 230) stammt und zudem Stoßstangenhörner trägt,
  • der Bezug des Trittbretts ist weitgehend abhandengekommen und der Stopfen für die Wagenheberaufnahme am hinteren Ende fehlt.

Außerdem erkennt man am Seitenteil der Haube ein Schild, auf dem „Taxi“ zu lesen ist – einmal in Kyrillisch und einmal in Deutsch:

Zu dem Befund passt das Kennzeichen, das in den 1950er Jahren in Leipzig ausgegeben wurde, also in der russischen Besatzungszone, die seit 1949 von Moskaus Gnaden unter der Bezeichnung „Deutsche Demokratische Republik“ firmierte.

Wie der Mercedes 290 nach 1945 in die Hände eines Taxifahrers gelangt ist, darüber wüsste man gern mehr. Immerhin wurden für die Pullman-Limousine neu 9.900 Reichsmark aufgerufen, was vor dem Krieg dem sechsfachen Jahreseinkommen eines durchschnittlichen sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmers entsprach.

Legt man das heutige sozialversicherungspflichtige Durchschnittsentgelt von ca. 40.500 EUR p.a. zugrunde, landet man bei einem Wert von über 240.000 EUR. Damals wie heute hätte man sich dafür eine Wohnung kaufen können.

Es liegt auf der Hand, dass ein solcher Mercedes 290 in der exklusiven Ausführung als Pullman-Limousine nicht gerade ideal für das Droschkengewerbe war. Auch der durstige Motor mit fast 20 Litern Verbrauch auf 100 Km sprach dagegen.

Nicht zufällig sollte sich damals der agilere, dennoch weit sparsamere und nur halb so teure Mercedes 170V bis in die Nachkriegszeit als als Taxi bewähren.

Nach 1945 musste man jedoch mit dem vorliebnehmen, was die geschlagene Wehrmacht zurück- und die Besatzer übriggelassen hatten. So hielt sich offenbar dieser wackere Taxifahrer aus Leipzig mit einem solchen Monstrum von Wagen über Wasser.

Vielleicht hatte der uns ernst fixierende Fahrer einige Jahre zuvor Offiziere der Wehrmacht in ganz ähnlichen Wagen herumkutschiert (wenn er Glück hatte), wobei das Militär offene Wagen bevorzugte.

Später mögen es Vertreter der Roten Armee oder Funktionäre der kommunistischen Partei (damals: SED, nach mehrfacher Umbenennung heute: Die Linke) gewesen sein, die sich eine Taxifahrt im luxuriösen Mercedes leisten konnten.

Der ordinäre „Genosse“ (vormals: „Volksgenosse“), um dessen Wohl man sich so besorgt gab, konnte sich dagegen bereits privilegiert fühlen, wenn er ein Fahrrad oder Moped aus Vorkriegszeiten sein eigen nannte und im übrigen unter dem Radar des Regimes blieb.

Wie es der Zufall will, hat sich in meinem Fundus eine Aufnahme materialisiert, die einen weiteren Mercedes 290 in der Ausführung als Pullman-Limousine zeigt, der nach Kriegsende ebenfalls weiter „Dienst schob“.

Er ist auf dieser Postkarte der 1950er Jahre versteckt, die das grandiose Nordtor der Wiener Hofburg zeigt, das wie weite Teile der österreichischen Haupstadt den Krieg glimpflich überstanden hat oder wieder in alter Schönheit hergestellt wurde:

Ansichtskarte des Wiener Burgtors, gelaufen 1959; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Die spektakuläre Kulisse, die sich heute noch so darbietet, wenn man die Herrengasse herunterkommt, lässt die Fahrzeuge auf dem Michaelerplatz davor ganz klein erscheinen.

Erst auf den zweiten Blick bemerkt man den Mercedes 290 Pullman, der zwischen einem Volkswagen und einem Ford Taunus wie ein Dinosaurier aus grauer Vorzeit wirkt:

Meine Vermutung ist, dass der ältere Herr mit Schirmmütze, der sich an den Kotflügel des Ford lehnt und das Treiben auf der Straße beobachtet, der Fahrer des Mercedes war.

Ob es sich bei dem Wagen ebenfalls um ein Taxi handelt, ist nicht ganz klar – jedenfalls kann ich keinen Hinweis darauf erkennen. Vielleicht kann ein Leser etwas dazu sagen.

Möglicherweise war es auch „bloß“ das Auto einer vermögenden Privatperson, die einfach den aus Vorkriegstagen gewohnten Wagen weiternutzte und dem mit ihr altgewordenen Fahrer ein Auskommen ermöglichte.

In beiden Fällen – ob in Leipzig oder Wien – fristeten diese Vorkriegs-Mercedes vermutlich eine prekäre Existenz und auch ihre Besitzer werden womöglich nur mit Mühe den Alltag bewältigt haben.

War ein Vorkriegsauto erst einmal soweit heruntergekommen, standen seine Chancen nicht gut, in irgendeiner Scheune oder Garage abgestellt zu werden, wo es besseren Zeiten entgegenschlummern konnte. Die letzte Station war leider meist der Schrottplatz…

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Glanzstück aus Suhl: Simson „Supra“ So 40 PS

Heute schlage ich bei der Dokumentation von Vorkriegsfotos auf alten Fotos ein neues Kapitel der Geschichte der Autoproduktion von Simson aus Suhl auf.

Die für ihre Waffenproduktion bekannte Thüringer Firma war einer der vielen deutschen Nischenhersteller der 1920er Jahre – aber in diesem Fall muss man sagen: was für einer!

Nach dem 1. Weltkrieg tat sich Simson zunächst mit technisch verfeinerten Versionen der Typen B, C und D hervor, die sich optisch eng an die Mode hierzulande anlehnten. Ein Fahrzeug aus dieser Familie habe ich hier zuletzt vorgestellt.

Für weitere Impulse sorgte ab 1922 der zuvor bei Steiger tätige Konstrukteur Paul Henze, der auch den Konstruktionen von Simson seinen unverwechselbaren Stempel aufdrücken sollte.

Henze entwickelte für Simson eine neue Typenreihe, die dank modernem Ventiltrieb drehfreudige Motoren besaßen. Dabei zielte er von vornherein auf Sporteinsätze ab.

Das Ende 1924 vorgestellte Spitzenmodell mit der Bezeichnung „Supra S“ wurde unter anderem mit der folgenden Reklame beworben:

Simson Reklame für das Sportmodell „Supra So“; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser Sporttyp zeichnete sich durch einen hochmodernen Leichtmetallmotor aus, der über vier Ventile pro Zylinder verfügte, die über zwei obenliegende Nockenwellen betätigt werden – im Rennsport sollte das noch lange das Maß aller Dinge bleiben.

Für den Kenner waren der Königswellenantrieb, die Trockensumpfschmierung, die Zwei-Vergaseranlage und die Vierradbremse nach belgischem ADEX-Patent weitere Schmankerl.

In der serienmäßigen Sportversion Simson „Supra S“ leistete dieses hochfeine Aggregat bereits 50 PS aus 2 Litern Hubraum, damals ein beachtlicher Wert. Die zweisitzigen Rennversionen, die zahlreiche Siege einfahren sollten, kamen auf 60 PS und mehr.

Vom Prestige dieses Sportwagens sollte eine parallel hergestellte Variante profitieren, die sich im wesentlichen durch einen einfacheren Ventiltrieb und längeren Radstand unterschied – der Simson „Supra So“.

Sein Aggregat musste bei sonst gleicher Konstruktion mit nur einer obenliegenden Nockenwelle und zwei statt vier Ventilen pro Zylinder auskommen. Infolgedessen waren hier nur 40 PS bei identischem Hubraum drin.

Ansonsten wurde beim Simson „Supra So“ ein vergleichbarer Aufwand getrieben wie beim Sportmodell, bis hin zu den ausgesucht hochwertigen Materialien und der äußerst präzisen Fertigungsqualität.

Und so sah dieses Glanzstück des PKW-Baus von Simson aus Suhl in natura aus:

Simson „Supra So“ 8/40 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bei dieser Aufnahme handelt es sich um einen Originalfoto der Nachkriegszeit, das einen der wenigen überlebenden Simson-Wagen dieses Typs zeigt.

Man sieht hier sehr schön den markanten Kühler, der sich stark von dem konventionellen Spitzkühler der Vorgängertypen unterscheidet. Weitgehend verdeckt sind hier die beiden großkalibrigen Auspuffrohre, die durch die linke Haubenseite nach unten wegführen.

Der Tourenwagenaufbau entspricht der in der Literatur gezeigten Karosserievariante „Karlsruhe“ – eine reichlich einfallslose Bezeichnung für einen so edlen Wagen – aber gekonntes Marketing war bei deutschen Autobauern damals ohnehin die Ausnahme.

Zeitgenössische Besprechungen loben die Drehfreudigkeit des Motors, seinen ruhigen Lauf und die leichte Schaltbarkeit des Getriebes – mangels Synchronisation nicht selbstverständlich.

Beindruckt zeigten sich zeitgenössische Tester zudem von der guten Straßenlage infolge günstiger Gewichtsverteilung, der sicheren Bremsleistung und dem Sitzkomfort der Insassen.

Viel mehr Worte will ich gar nicht verlieren zu diesem in technischer und ästhetischer Hinsicht meisterhaft gestalteten Wagen. Einen Wunsch kann ich meinen Lesern aber noch erfüllen.

Vom selben Wagen gibt es eine weitere Aufnahme, die ihn mit niedergelegtem Verdeck zeigt. Entstanden ist sie am gleichen Ort und am selben Tag, vermutlich wurden beide Fotos für Pressezwecke geschossen:

Simson „Supra So“ 8/40 PS; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt

Diese Aufnahme verdanke ich Matthias Schmidt aus Dresden, der schon viele schöne Aufnahmen deutscher Vorkriegswagen zu meinem Blog beigesteuert hat.

Eine Sache trübt hier leider den Genuss: Das Verdeck ist nicht vollständig niedergelegt oder es handelt sich um eine nicht originalgetreue Nachfertigung. Normalerweise liegt ein Tourenwagenverdeck ganz flach auf, auch beim Simson „Supra So“ (siehe hier).

Vermutlich wurde hier später ein nach Cabriolet-Manier dick gefüttertes Verdeck verbaut, das sich aufgrund des vielen Materials nicht flach zusammenlegen lässt.

Das ist aber auch das Einzige, was sich hier beanstanden lässt – fast. Denn beim zweiten Hinschauen stören auch die großen Bosch-Hupen unterhalb der Scheinwerfer. Mag sein, dass diese während der bis 1927 reichenden Bauzeit des Simson „Supra So“ irgendwann verfügbar waren – stimmig wirken sie bei einem Tourer der 1920er für mich nicht.

Für mich bleibt die Frage, wo dieser Wagen heute beiheimatet ist und wie er sich im 21.Jahrhundert darbietet. In dieser Übersicht der wenigen noch existierenden Simson-Automobile jedenfalls scheint er nicht enthalten zu sein – oder irre ich mich?

Nachtrag: Der hier vorgestellte Simson „Supra“ Typ So stand zur Zeit der Fotos (um 1970) im Automuseum von Uwe Hucke in Nettelstedt (Ostwestfalen). Heute befindet sich das Fahrzeug wieder am Ort seiner Entstehung in Suhl. Daneben ist ein weiterer überlebender Wagen des Typs mit identischem Aufbau bekannt – er befindet sich in Dresden (Quelle: Reinhard Barthel, Stand: März 2020).

Verwendete Literatur: Simson – Autos aus Suhl, von Ewald Dähn, transpress, 1988

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Wo sind sie geblieben? Hansa 1100/1700

Dass die Deutschen bis heute an einem schweren geschichtlichen Erbe zu knabbern haben, steht außer Frage. Man merkt das auf vielen Ebenen, obwohl die heutige Generation jenseits der Pflicht zur Erinnerung doch keine Schuldgefühle mehr plagen sollten.

Im Hinblick auf die automobilhistorische Hinterlassenschaft der Vorväter leg(t)en jedenfalls Franzosen, Briten und Italiener einen anderen Stolz auf die eigenen Traditionslinien an den Tag, als dies speziell im Westen unserer Republik der Fall ist.

Dem Großreinemachen nach dem Krieg und dem Willen, nun alles besser und schöner zu machen als je zuvor, fiel dort ein Großteil der überlebenden Vorkriegswagen zum Opfer, wenn es keine Prestigewagen waren – und auch die konnte es erwischen.

So sind selbst zahlreich gebaute Wagen von Marken wie Brennabor, Hanomag, NSU-Fiat, NAG, Presto, Protos und Stoewer nach meiner Wahrnehmung im Westen fast völlig verschwunden – und keineswegs nur die Modelle, die ab 1939 eingezogen wurden. In Ostdeutschland sieht das zum Glück anders aus.

Ein weiterer, einst bedeutender Hersteller, auf den dieser Befund zutrifft, ist Hansa aus Bremen. Auf von mir besuchten Klassikerveranstaltungen stößt man eher auf ein Rudel Bentleys, BMWs, Bugattis, Horchs und Mercedes als auf einen Hansa.

Bentley-Vorkriegsmodelle bei den Classic Days auf Schloss Dyck 2017; Bildrechte: Michael Schlenger

Das mag noch verständlich sein, was die frühen Modelle bis in die 1920er Jahre betrifft. Doch ausgerechnet das meistgebaute Hansa-Modell – der Typ 1100/1700 aus den 30ern – scheint hierzulande weitgehend ausgestorben zu sein.

Dabei ist diese erfolgreiche Neukonstruktion von 1934 eines der attraktivsten Mittelklassemodelle eines deutschen Herstellers überhaupt, wie ich finde:

  • komplikationslose Motoren – ein 1,1 Liter Vierzylinder mit 28 PS und ein 1,6 Liter-Sechszylinder mit 40 PS,
  • zeitgemäße Fahrwerke mit hydraulischen Bremsen,
  • moderates Gewicht von gut einer Tonne und damit ordentliche Fahrdynamik,
  • sehr gut aussehende Limousinen- und Cabrioletaufbauten.
Hansa-Reklame für das Modell 1100/1700; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Dumm nur, dass die adretten Wagen recht teuer waren – wie traditionell alle deutschen Modelle mit unzureichenden Stückzahlen.

Fast 3.000 Reichsmark waren für die 2-türige Cabrio-Limousine in der Motorisierung mit 1100er Motor zu berappen, die wir hier (teilweise) sehen:

Hansa 1100 Cabrio-Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Leider ist mir über diese schöne Szene nichts Näheres bekannt. Sie scheint auf dem Lande entstanden zu sein, der Art des Fachwerks nach zu urteilen irgendwo in Mitteldeutschland. Vielleicht weiß es ein Kenner genauer.

Nachtrag: Leser Uwe Beesdo aus Steinigtwolmsdorf – seines Zeichens Tischler mit Spezialisierung auf historische Holzbauten – weiß es genauer und schreibt mir: „Im Hintergrund sieht man ein sogenanntes Umgebindehaus. Diese Holzbauweise ist typisch für die Oberlausitz (Ostsachsen), sowie Teilen von Schlesien.“

Die vier Luftklappen in der Haube – nebenbei einer der Kostentreiber in der Produktion – verraten, dass sich diese junge Familie einen Vierzylinder-Hansa 1100 geleistet hat. Das Fehlen des zweiten Scheibenwischers und eines Chromrings am Scheinwerfer dürfte auf eine preisgünstige Basisausführung verweisen, die mir noch nicht begegnet ist.

Dass es auch anders ging, das zeigen zwei weitere Fotos eines Hansa jener Zeit, die ich heute präsentieren will. Zugleich verraten diese Dokumente, dass man mit der Sechszylinder-Version nicht zwangsläufig glücklicher sein musste:

Hansa 1700 Cabriolet; Originalabzug aus Sammlung Michael Schlenger

Das könnte eine wunderbare Aufnahme sein, wenn die junge Dame am Steuer nicht so missgelaunt schauen und die Kamera meiden würde. Nehmen wir zu ihren Gunsten an, dass sie nicht gern fotografiert wurde.

Die nunmehr fünf statt vier Luftklappen (in der oberen Reihe) verraten, dass wir hier die Sechszylindervariante (Hansa 1700) vor uns haben, die zudem einen fast 20 cm größeren Radstand aufwies – der längere Vorderwagen war wiederum ein Kostentreiber.

Hier haben wir nun vollverchromte Scheinwerfer und zwei Scheibenwischer. Kaum so gedacht sein dürfte, dass das niedergelegte Verdeck den Blick in den Rückspiegel blockierte, vermutlich wurde es nicht in der vorgesehenen Ruhelage fixiert.

Nicht grundlegend anders stellt sich die Situation auf dem zweiten Foto dar, das bei derselben Gelegenheit entstand. Hier hatte „sie“ nun die Kamera in der Hand und „er“ schaut so freundlich ins Objektiv, wie man das erwarten würde:

Hansa 1700 Cabriolet; Originalabzug aus Sammlung Michael Schlenger

Nun ist auch der Vorderwagen ganz zu sehen, wenngleich das Nummernschild auch auf dem Originalabzug unleserlich ist.

Dennoch haben wir eine Vorstellung davon, wo diese beiden Fotos entstanden sein könnten – oder zumindest, woher die beiden herkamen, die sich mit dem Hansa abgelichtet haben. Auf der Rückseite der Abzüge ist nämlich der Stempel eines Fotoladens in Schwarzenberg/Sachsen erhalten.

Da der Osten Deutschlands in meiner hessischen Schulkarriere nicht vorkam – dafür wurden sozialistische Diktaturen wie die in Nicaragua ausführlich (und seitens des Lehrpersonals oft wohlwollend) abgehandelt – war mir der einst bedeutende und heute noch sehenswerte Ort im Erzgebirge nicht geläufig.

So lernt man nicht zuletzt über solche Aufnahmen reizvolle Winkel unseres Landes kennen oder bekommt zumindest eine Ahnung davon, was die deutsche Teilung in den Köpfen angerichtet.

Zum Abschluss wäre noch ein kleines Rätsel zu lösen, bei dem wiederum historische Kennntnis des Ostens wie des Westens unseres Landes gefragt ist.

Die folgende Aufnahme aus der frühen Nachkriegszeit zeigt abermals einen Hansa, doch ist offen, ob es sich um das Basismodell 1100 oder die Sechszylindervariante 1700 handelt. Außerdem stellt sich die Frage, wo das Auto zugelassen war:

Hansa 1100 oder 1700, aufgenommen ab 1948; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch wenn die Radkappe links vorne und das Kühleremblem verlorengegangen sind, die Stoßstange zum Teil fehlt und das Blech arg mitgenommen ist, haben wir es mit einem heiteren Dokument aus der frühen Nachkriegszeit zu tun.

Ob die vier, die sich vor dem Hansa haben fotografieren lassen, nur Passanten oder die Insassen des Wagens waren, muss wohl offenbleiben. Ihre Kleidung wirkt auf den ersten Blick etwas zusammengewürfelt, doch keineswegs vernachlässigt.

So vollkommen individuell diese Zeitgenossen wirken, ist ihnen ein beträchtliches Stilbewusstsein gemeinsam:

Ob nun die alpenländische Jacke des heiteren Herrn im Vordergrund, die opulente Dauerwelle seiner adretten Nachbarin im zeittypischen Kostüm oder die kühne Kombination aus Karojacke und Nadelstreifenhose des in die Ferne schauenden Herrn mit der Gefährtin im kurzen hellen Faltenrock – diese Leute scheinen kurz nach dem Krieg in materieller Hinsicht nicht das schlechteste Los gezogen zu haben.

Doch wo könnte dieses Zeitdokument entstanden sein? Das Nummernschild muss aus der Besatzungszeit stammen (weiße Buchstaben auf schwarzem Grund) und die „48“ in der Mitte unten verrät, dass es frühestens 1948 ausgegeben wurde. Bloß wo?

Vielleicht gibt die beachtliche Kirche im Hintergrund einen Hinweis – ich tippe auch hier auf Mittel- oder Ostdeutschland. Wer es genauer weiß, nutze bitte die Kommentarfunktion.

Außerdem würde ich mich über Hinweise auf überlebende Fahrzeuge dieses attraktiven Hansa-Typs freuen. Denn „Wo sind sie geblieben?“ war ja die Eingangsfrage.

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Tankwarts Liebling: Mercedes 15/70/100 PS

Eigentlich sollte mein heutiger Blog-Eintrags mit „Dick & durstig“ überschrieben sein.

Doch daran könnten ja mögliche Rechteinhaber wie ein Hersteller von Haushaltstüchern oder die „Musik“gruppe Böhse Onkelz Anstoß nehmen – die vermutlich beide keinen Spaß verstehen.

„Tankwarts Liebling“ trifft die Sache aber genauso gut – eigentlich noch viel besser, wie sich zeigen wird.

Die Freunde klassischer Mercedes-Wagen jedenfalls werden auf ihre Kosten kommen – vielleicht sogar der heutige Besitzer des Autos, um das es geht. Denn ich kann mir gut vorstellen, dass der „Star“ dieses Abends noch unter uns weilt.

Und wenn ich „Mercedes“ schreibe, meine ich auch einen echten Mercedes – mit Stern, aber noch ohne „Benz“-Anhängsel. Bis zur Fusion mit den Benz-Werken im Jahr 1926 war ein „Mercedes“ das Produkt der Daimler-Motoren-Gesellschaft, wie auf dieser hübschen zeitgenössischen Reklame zu sehen:

Reklame der Daimler-Motoren-Gesellschaft vor 1927; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Für Kenner sind solche Details zwar nichts Neues – meine Erfahrung zeigt aber, dass man dieses Wissen nicht mehr bei allen Freunden alter Automobile voraussetzen kann. Ich schreibe für ein breites Publikum, für das Vorkriegsfahrzeuge mitunter rätselhaft sind.

Gern ziehe ich auch bereits gezeigte Fahrzeuge desselben Typs heran, da im Vergleich Gemeinsamkeiten wie Unterschiede zutagetreten und den Blick schärfen helfen.

Auch heute beginne ich mit einem Foto aus meiner Sammlung, das ich vor einigen Jahren präsentiert habe:

Mercedes 15/70/100 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Obige technisch hochwertige Aufnahme (hier in Ausschnittsvergrößerung) zeigt den von Ferdinand Porsche in der ersten Hälfte der 1920er Jahre für die Daimler-Motoren-Gesellschaft konstruierten Typ 15/70/100 PS.

Die technischen Details dieses mächtigen Automobils – offenbar im Dienst der Reichswehr – hatte ich im seinerzeitigen Blog-Eintrag aufgeführt, weshalb ich hier nur daran erinnern will, was die Typenbezeichnung besagt:

Aus den knapp vier Litern Hubraum des Sechyszylinders errechneten sich 15 Steuer-PS, die Höchstleistung betrug 70 PS und nur bei Aktivierung des Kompressors – also mit verdichteter Ansaugluft – fielen kurzzeitig 100 PS an.

Für dieses technische Kabinettstückchen war der Gegenwert eines Hauses zu entrichten. selbst wenn man sich nur für die preisgünstigste Tourenwagenausführung entschied. Deren Preis von 19.000 Reichsmark ließ sich um fast ein Viertel steigern, wenn man eine geschlossene Version oder eines der aufwendigen Werks-Cabriolets wünschte.

Bevor wir uns dem eigentlichen Gegenstand des heutigen Blog-Eintrags zuwenden, sei auf ein Detail verwiesen, das sich an allen mir bekannten historischen Fotos der Tourenwagenausführung des Mercedes 15/70/100 PS wiederfindet – die mittig unterteilte und horizontal neigbare Frontscheibe:

Außerdem sieht man neben dem Spitzenkühler mit Mercedes-Stern und (optionalem) Markenschriftzug auf beiden Seiten die für das Modell typischen großen Positionsleuchten auf den Vorderschutzblechen und die lange Reihe schmaler Luftschlitze in der Haube.

Die Drahtspeichenräder waren übrigens alternativ zu klassischen Holzspeichenrädern erhältlich und verleihen dem Wagen optisch eine sportliche Note.

Wieviel die Ausführung der Räder ausmacht, wird im direkten Vergleich mit dieser sonst weitgehend identischen Tourenwagenausführung des Mercedes 15/70/100 PS deutlich:

Mercedes 15/70/100 PS Tourenwagen; Originalfoto vermittelt via Wolf-Dieter Ternedde (Seesen)

Dieses aus ähnlicher Perspektive aufgenommene Foto zeigt zweifellos den gleichen Mercedes Typ 15/70/100 PS wiederum als Tourenwagen – lediglich mit den für diesen Aufbau üblichen aufgesteckten Seitenfenstern aus Kunstleder und Zelluloid.

Die massiven Speichenräder (Holz oder Stahl) lassen den Wagen weit schwerer wirken als das von der Reichswehr verwendete Exemplar.

Zudem fällt die einteilige Frontscheibe auf, die ebenfalls zum etwas behäbigeren Eindruck des Wagen beiträgt. Sehr stimmig kommt mir dieses Detail nicht vor. Was könnte der Grund für diese in der mir zugänglichen Literatur nicht vorkommenden Lösung sein?

Nun, ein Blick auf das Kennzeichen – das in der Bundesrepublik Deutschland ausgestellt wurde – könnte ein Schlüssel zur Aufklärung sein. Denn es ist nicht gesagt, dass dieser Kompressor-Mercedes unbeschadet in die Nachkriegszeit gelangt ist.

Einen Kriegseinsatz können wir ausschließen – dafür war der Wagen 1939 schlicht zu alt. Doch könnte er bei Bombardierungen oder durch Vandalismus von Besatzungssoldaten Schaden genommen haben.

Vielleicht ist die einteilige Frontscheibe aber auch ein Hinweis auf das Baujahr – immerhin blieb das Modell 15/70/100 PS über die Fusion von Daimer und Benz hinaus bis Ende der 1920er Jahre im Programm (nunmehr als Typ 400).

Vielleicht kann ein Mercedes-Kenner etwas dazu sagen. Bei der Gelegenheit stellt sich mir auch die Frage, ob man aus dieser Perspektive Unterschiede zum noch stärkeren Schwestermodell 24/100/140 PS erkennen kann.

Mir scheint das nicht der Fall zu sein – ich lasse mich aber gern eines Besseren belehren. Für die Ansprache der beiden oben gezeigten Wagen als Typ 15/70/100 PS habe ich mich übrigens aufgrund der Tourenwagenkarosserie entschieden. Mein Eindruck ist, dass sich die Spitzenmotorisierung häufiger in Verbindung mit aufwendigeren Aufbauten findet.

Sicher sagen lässt sich jedenfalls, wo letztere Aufnahme entstanden ist, die ich hier in ganzer Pracht zeige:

Das Originalfoto – offensichtlich aus den 1960er Jahren – wurde mir über Wolf-Dieter Ternedde aus Seesen im Harz zur Verfügung gestellt.

Nachdem ich für ihn einige Vorkriegsfotos von Fahrzeugen identifiziert habe, die in seiner Heimatstadt abgelichtet wurden und Eingang in ein Buch über das alte Seesen erhalten sollen, ließ er mir jüngst diese Aufnahme mit Angabe des Aufnahmeorts zukommen.

Demnach wurde der Mercedes an der Esso-Tankstelle in Seesen aufgenommen, die bis in die 1990er Jahre existierte. Der Fotograf war der damalige Tankstellenpächter und seiner Witwe ist es zu verdanken, dass wir es heute bewundern dürfen.

Somit war der Mercedes 10/70/100 PS damals nicht nur aufgrund seines großen Durstes bei engagierter Fahrweise „Tankwarts Liebling“, sondern in diesem Fall auch wegen seines Seltenheitswerts.

Offenbar lag die Kamera griffbereit mit Schwarzweißfilm geladen, sodass wir heute noch am seltenen Ereignis eines solchen Vorkriegs-Mercedes mit Hamburger Zulassung teilhaben können.

Bleibt der Aufruf an die Mercedes-Veteranen-Fraktion, ob jemand weiß, was aus diesem Wagen geworden ist und wer ihn heute besitzt. Es würde mich sehr wundern, wenn jemand nicht angetan wäre von diesem schönen Dokument eines Tankstopps „seines Mercedes“ im Harz-Städtchen Seesen vor über einem halben Jahrhundert

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Unterwegs durch die deutsche Geschichte im DKW „Front“

Heute befasse ich mich nicht mit eigenwilligen Konstruktionen, in Vergessenheit geratenen Nischenherstellern oder Luxusautomobilen für die oberen zehntausend.

Nein, heute geht es anhand von Fotos eines durch und durch bodenständigen Fahrzeugs durch einige Episoden der deutschen Geschichte – begleitet vom unverkennbaren Sound und „Duft“ eines Zweitaktmotors.

Die Reise beginnt in einem Ort, von dem ich nie zuvor gehört hatte – Tangermünde.

Kein Wunder: als Schüler an einem hessischen Gymnasium der 1970/80er Jahre erfuhr man so gut wie nichts von der reichen Geschichte des östlichen Teils Deutschlands. Dieser sollte einem nach den Wünschen der roten Ideologen in der damaligen Schulbürokratie Hessens möglichst fremd bleiben.

So wäre ich von mir aus unmöglich darauf gekommen, dass die folgende Aufnahme einst vor dem spätmittelalterlichen Rathaus der einstigen Hansestadt und zeitweiligen Kaiserresidenz Tangermünde entstand:

DKW F5 in Tangermünde; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der großartige Bau kann heute noch in voller Schönheit bewundert werden, wie auch das gesamte Städtchen fast unbeschadet durch den 2. Weltkrieg gekommen ist und von den Verheerungen der sog. Moderne verschont geblieben ist.

Das Kleinod, das im Nordosten Sachsen-Anhalts an der Mündung des Tangers in die Elbe liegt, lebt vor allem von ihrer über Jahrhunderte gewachsenen Schönheit, die auch durch Autoverkehr kaum beeinträchtigt wird.

An Ostern 1937, als diese Aufnahme entstand, waren Automobile noch weit seltener als heute – der einzige Wagen auf dem ansonsten leeren Platz vor dem Rathaus war dieser DKW-Frontantriebswagen:

Auch wenn die Aufahme etwas verwackelt und die Ausschnittsvergößerung heftig ist, sieht man genug, um den DKW als Typ F5 „Meisterklasse“ ansprechen zu können.

Die ab 1931 gebauten DKW-Fronttriebler mit ihrem einfachen, aber zuverlässigen und anspruchslosen Zweizylinder-Zweitaktmotor wurden äußerlich stetig weiterentwickelt und lassen sich daher anhand kleiner Details recht gut datieren.

Die breiten schrägstehenden Luftschlitze in der Motorhaube und die seitlichen „Schürzen“ an den vorderen Schutzblechen finden sich zwar bereits beim 1934 eingeführten Typ F4 „Meisterklasse“.

Doch zwei Elemente verweisen hier auf den Nachfolger F5 „Meisterklasse“, dessen Produktion noch Ende 1934 anlief: Der F5 besaß eine bis über den Schweller nach unten reichende Tür und verfügte über größere Radkappen als der F4.

Hier zum Vergleich das Foto eines sonst fast identischen DKW F4 in der Standardausführung als Cabrio-Limousine:

DKW F4 am Fernpass; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Man erkennt hier, dass die Tür vorne abgerundet war und oberhalb des Schwellerabschlusses endete. Im direkten Vergleich wirken zudem die Radkappen kleiner als beim DKW F5 aus Tangermünde.

Diese schöne Winteraufnahme ist ebenfalls datiert – sie entstand an Ostern 1938 am rund 1.200 Meter hoch gelegenen Fernpass in den österreichischen Alpen, über den bereits die Römer eine erste befestigte Straße bauten.

Vom selben Fahrzeug entstand bei dieser Gelegenheit eine weitere Aufnahme, diesmal im Schneetreiben:

DKW F4 am Fernpass; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Gut gefällt mir die lässige Eleganz, mit der die wackere DKW-Passagierin das wenig erbauliche Wetter ignoriert.

Auch darin wird deutlich, wieviel sich seit jener Zeit gewandelt hat – und das nicht nur zum Guten. Erst kürzlich sah ich einheimische Männer mit Handschuhen bei acht Grad Plus den Weg vom Parkplatz zum Eingang des Supermarkts absolvieren…

Auch was die Klarheit des Schriftbilds auf dem Nummernschild angeht, sehe ich die heutigen Verhältnisse nicht als Fortschritt an. Irgendwo las ich, dass die verunglückt wirkende Schrift auf den deutschen „Euro“-Kennzeichen (und nur dort) maschinenlesbar sein solle.

Abgesehen davon, dass auf deutschen Straßen zahllose ausländische Fahrzeuge mit allen möglichen anderen Schriften unterwegs sind, die problemlos erfassbar sind, zeigt gerade diese Ausschnittsvergrößerung aus einem rund achtmal so großen Foto wie gut die hierzulande früher gebräuchliche Schrift selbst auf große Distanzen unter ungünstigen Bedingungen zu lesen ist.

Der Wimpel am in Fahrtrichtung rechten Kotflügel verweist auf die deutsche Nationalität des DKW – sie ist nicht zwangsläufig als Bekenntnis zur national-sozialistischen Ideologie zu interpretieren.

Natürlich kommen wir an der ab 1933 von Berlin aus ausgeübten Diktatur nicht vorbei – wenn wir uns mit deutschen Wagen jener Zeit beschäftigen. Da das NS-Regime in freien Wahlen nie eine Mehrheit der Wähler gewinnen konnte, liegt es mir jedoch fern, alle Menschen auf solchen Zeitdokumenten reflexartig damit zu identifizieren.

So können wir nicht wissen,wie beispielsweise diese Bewohner der Reichshauptstadt bei der letzten freien Reichstagswahl Anfang 1933 votierten, bei der die NSDAP dort lediglich 31,2 % der Stimmen erhielt:

DKW F4 aus Berlin; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Interessant an diesem DKW – zweifellos wieder ein Typ F4 von 1934 – ist das ungewöhnliche Farbschema mit hellem Karosseriekörper und dunkel abgesetzten Partien (Schutzbleche, Motorhaube, Dach).

Das war offenbar eine privat in Auftrag gegebene, durchaus gelungene Lackierung, die an die „Front Luxus“-Ausführungen erinnert, die bei DKW für einen Aufpreis in Ganzstahlausführung mit Drahtspeichenrädern und Ledersitzen erhältlich war.

Offenbar müssen diese hocheleganten Luxusversionen auch manche Besitzer standardmäßiger DKW inspiriert haben.

Ein trauriges Kapitel der jüngeren deutschen Geschichte scheint dagegen in der folgenden Aufnahme auf, auch wenn man es ihr auf den ersten Blick nicht ansieht.

Dieser hervorragend getroffene serienmäßige DKW F4 „Meisterklasse“ war dem Nummernschild nach zu urteilen im einstigen Landkreis Glatz in Schlesien zugelassen.

Das Auto hinterlässt zwar noch einen glänzenden Eindruck, dem Reifenprofil und dem Lack der Frontpartie nach zu urteilen, war der DKW zum Zeitpunkt der Aufnahme aber gewiss nicht mehr neu.   

Setzt man als spätestes Datum dieses Fotos 1939 an – danach mussten privat weitergenutzte PKW Tarnscheinwerfer besitzen – sollte das kleine Mädchen, das uns hier so freundlich anschaut, wenige Jahre später sein Zuhause verlieren.

Vermutlich floh es wie meine ebenfalls schlesische Mutter im Februar 1945 mit Ihrer Familie in einem der letzten Züge vor der näherrückenden Sowjetarmee gen Westen und absolvierte einen Großteil des Wegs durch Böhmen nach Bayern zu Fuß.

Mehr als einen kleinen Koffer wird es dabei nicht bei sich gehabt haben. Der enthielt neben etwas Kleidung und Waschzeug die wichtigsten Urkunden und Zeugnisse, das Sparbuch und auf jeden Fall den kostbarsten Besitz: das Fotoalbum.

So muss uns dieses schöne und zugleich bedrückende Dokument erhalten geblieben sein. Es erzählt davon, dass nicht nur in den von Deutschen verheerten Nachbarländern sondern auch bei uns einer unschuldigen Generation alles genommen wurde.

Übrig blieb ein geschlagenes und aus meiner Sicht bis heute traumatisiertes Volk, dem auch rund 75 Jahre nach Ende der national-sozialistischen Herrschaft ein gesundes Verhältnis zu sich selbst unmöglich erscheint.

Sinnbildlich dafür steht aus meiner Sicht diese letzte Aufnahme eines DKW F4 „Meisterklasse“, die kurz nach dem Krieg entstanden ist:

DKW F4 nach dem 2. Weltkrieg; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Gesichter sind ernst, der Kamera abgewandt. Die Kleidung ist stark getragen und nachlässig. Vom ausgeprägten Stilbewusstsein breiter Schichten der 1930er Jahre ist fast nichts übriggeblieben.

Der DKW sieht ebenfalls ziemlich mitgenommen aus. Auch er weist eine nicht standardmäßige Zweifarblackierung auf wie bereits der Wagen aus dem Berlin der Vorkriegszeit. Allerdings sind hier zusätzlich die Kotflügel hell lackiert und nur die Partie oberhalb der Gürtellinie ist dunkel gehalten.

Sonderlich überzeugend finde ich das Ergebnis nicht, aber soviel ist klar:

Aus historischer Perspektive sind alle hier gezeigten Fahrzeuge auf ihre Weise authentisch. Sie stehen jeweils für unterschiedliche Epochen und Ereignisse der Geschichte unseres Landes, die allesamt eine Beschäftigung verdienen, ob es einem im Einzelnen gefällt oder nicht…

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Exklusive Eleganz: Steyr Typ 120/220 „Gläser“-Cabriolet

Für mich zählen die Manufakturwagen der österreichischen Marke Steyr zum Interessantesten, was die Welt der Vorkriegswagen im deutschsprachigen Raum zu bieten hat.

Die Autos aus dem gleichnamigen Ort in Oberösterreich zeichneten sich immer durch moderne Technik und attraktive Linienführung aus. Das galt auch noch, als man in den 1930er Jahren neben reinen Luxusautos wie dem rassigen Typ 430 bzw. 530 auch volkstümlichere Modelle zu bauen begann.

Den Auftakt stellte der Steyr Typ 100 dar, ein Wagen der gehobenen Mittelklasse mit 1,4 Liter Vierzylinder (32 PS). Trotz kompakter Ausmaße gelang es, dem Modell eine rundherum gelungene Karosserie zu verpassen, die von der damaligen Stromlinienmode beeinflusst war.

Dabei verschmolzen traditionelle Elemente wie der hochstehende Kühlergrill mit dem Vorderwagen, der nur noch angedeutete Kotflügel besaß. Folgende Aufnahme aus dem Fundus von Klaas Dierks setzt die Frontpartie perfekt in Szene:

Steyr Typ 100; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Diese für damalige Verhältnisse ungewöhnliche Perspektive verrät, dass die neue Modellreihe von Steyr besondere Wirkung auf die Zeitgenossen ausübte. Den einstigen Fotografen muss die skulpturenhaften Anmutung des Wagens inspiriert haben.

So radikal traute man sich die neue Linie seitens des Herstellers nicht zu präsentieren. Interessanterweise sind auch Ansichten der Heckpartie die Ausnahme, obwohl diese ebenfalls einen ganz eigentümlichen Reiz entfaltet.

Mangels Vergleichsaufnahmen hat es mich viel Zeit gekostet herauszufinden, dass auch der Wagen auf dem folgenden Foto aus meiner Sammlung ein Steyr dieser neuen Modellreihe ist:

Steyr Typ 100, 120, 200 oder 220; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Technisch wie gestalterisch ist diese Privataufnahme von atemberaubendem Niveau. Mir ist bislang kein Foto begegnet, das die Heckansicht eines Autos dermaßen gekonnt in Szene setzt und in eine Landschaft einbettet, wie sie malerischer kaum sein könnte.

Der ernst in die Ferne gehende Blick des perfekt gekleideten und frisierten großgewachsenen Mannes, der glatt als Filmschauspieler durchgehen würde, verleiht dem Foto eine düstere Würde, die zum Aufnahmezeitpunkt passt: November 1940.

Vielleicht können Steyr-Kenner sagen, welche Modellvariante genau wir hier sehen:

  • einen Steyr 100 mit 1,4 Liter-Vierzylinder (32 PS), ab 1935,
  • den mit 2 Liter-Sechszylinder (50 PS) ausgestatteten Typ 120 (ab 1935),
  • den 1936 auf den Typ 100 folgenden Steyr 200 (1,5 Liter-Vierzylinder, 35 PS) oder
  • den Typ 220 mit 2,3 Liter-Sechszylinder (55 PS), der ebenfalls 1936 erschien.

Alle vier basierten auf demselben Karosserieentwurf, unterschieden sich aber in den Dimensionen sowie in Details wie Kühlergrill, Scheinwerfer, Haubenschlitze, Felgen usw.

Dem Buch über die „Steyrer Automobil-Geschichte“, das Hubert Schier 2015 publiziert hat und das Maßstäbe für ein zeitgemäßes Werk über Vorkriegswagen setzt, entnehme ich, dass es neben den geschlossenen Werksaufbauten eine Fülle offener Varianten gegeben hat, von denen kaum eine aussah wie die andere.

Zwar wurden die meisten Cabriolets – ob vier- oder zweiseitzig – von der für ihre Stilsicherheit zurecht gerühmten Manufaktur „Gläser“ in Dresden gefertigt. Doch dabei scheint man sich den Luxus im Detail individueller Ausführungen gegönnt zu haben.

Ein Beispiel dafür zeigt die folgende Aufnahme aus meiner Sammlung, die einst vor dem noch existierenden Hotel Niederländischer Hof in Schwerin entstand:

Steyr Typ 120 oder 220 „Gläser“ Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dass es sich bei diesem schöngezeichneten Cabriolet mit offenbar vier Sitzen überhaupt um einen Steyr handelt, verrät die Silhouette der Kühlerfigur.

Ohne dieses Detail hätte ich als Nicht-Steyr-Spezialist vermutlich vergeblich gerätselt, was dies für ein Auto gewesen sein könnte.

Die Frage, ob es nun ein Steyr-Typ 100, 120, 200 oder 220 war, der auf dieser Aufnahme verewigt ist, konnte ich anhand erwähnter Literatur mit einiger Sicherheit beantworten.

So scheint die Ausführung der Motorhaube mit zwei seitlichen Chromgriffen und darunterliegenden verstellbaren Luftklappen den Sechszylindertypen 120 bzw. 220 vorbehalten gewesen zu sein.

Da die Literatur genau ein Foto liefert, das ein fast identisches Steyr-Cabrio des Typs 220 zeigt (vgl. H. Schier: „Die Steyrer Automobil-Geschichte, 1. Aufl. 2015, S. 262), halte ich die Annahme für begründet, dass auch mein Foto einen solchen Steyr 220 zeigt. Leser Gerald Strass plädiert allerdings für den Typ 120.

An der Herkunft der Karosserie aus dem renommierten Hause Gläser kann kein Zweifel bestehen, da die typische ovale Plakette mit schwarzem Fond vor der Tür zu erahnen ist.

Die wohlgeformten glatten Scheibenräder scheinen parallel zu den verbreiteten gelochten Felgen verfügbar gewesen zu sein, wobei letzteren die Eleganz abgeht.

Übrigens scheint keines der Fotos eines Steyr 200 bw. 220 Cabrios (4-sitzig) in der mir zugänglichen Literatur dieselbe Linienführung an der Schwellerpartie unterhalb der Tür aufzuweisen. Durchweg ist diese Partie flacher ausgeführt.

Nur bei nochmals eleganteren zweisitzigen Cabriolets aus dem Hause Gläser findet man eine Entsprechung. Umso erstaunlicher, dass ich eine weitere Aufnahme auftreiben konnte (eBay macht’s möglich), die einen Steyr praktisch identischer Machart zeigt:

Steyr Typ 120 oder 220 „Gläser“ Cabriolet am Sorpe-Stausee; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Diese zauberhafte Aufnahme aus Besitz von Marcus Bengsch, die kurz nach dem Krieg im britisch besetzten Rheinland entstand, wie das Kennzeichen verrät, zeigt ebenfalls ein Steyr-Cabriolet mit praktisch identischen Details wie auf der Aufnahme oben.

Sieht man von der geschmackvollen Zweifarblackierung ab, stimmt alles überein – sogar die Gläser-Plakette findet sich an derselben Stelle wider. Daher glaube ich, dass auch dieser Wagen ein Steyr Typ 120 bzw. 220 war, wobei hier die Anordnung von Haupt- und Nebelscheinwerfern (aufpreispflichtig) besser zu sehen ist.

Auch wenn der Vorderreifen einen fragwürdigen Eindruck macht, hat dieser Steyr die Wirren des 2. Weltkriegs erstaunlich gut überstanden. Was das junge Paar auf der Haube in dieser Zeit durchmachte, davon lässt diese schöne Momentaufnahme nichts ahnen.

Was mag aus dem Steyr geworden sein, nachdem die beiden hier so glücklich mit ihm posierenden Personen vielleicht wieder zu mehr Geld gekommen sind?

Aus heutiger Sicht ist es schwer vorstellbar, aber vermutlich haben sich die zwei irgendwann einen Wagen mit wetterfestem Aufbau und moderner Charakteristik gekauft. Wenn die Finanzen es hergaben, werden sie kaum hinter den Sechyzlinder-Standard zurückgefallen sein, den sie vom Steyr gewohnt waren.

Dabei kommt mir in den Sinn, dass die Generation, die gerade den Führerschein macht oder gemacht hat, gar nichts mehr von den Wonnen der Laufkultur eines Sechszylinders weiß, wenn der Herr Papa nicht noch einen klassischen BMW oder Jaguar fährt.

Und so leicht, wie man sich heute an schwachbrüstige, rauh laufende Dreizylinder ohne jede Elastizität anpasst – unter anderem durch zunehmende Schleicherei – so leicht entledigte man sich spätestens in den 1960er Jahren der überlebenden Schönheiten einer untergegangenen Epoche.

Von daher wundert es mich nicht, dass mir auf keiner Veranstaltung in Deutschland auch nur irgendeine Variante dieses klassisch-eleganten Steyr-Typs begegnet ist…

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

 

 

Überleben im Sozialismus: Adler Standard 6 Landaulet

„Überleben im Sozialismus“ – ist das nicht ein unnötiger Widerspruch? Schließlich geben sich die Vertreter der sozialistischen Ideologie – ob in braunem, rotem oder grünem Gewand – gern als große Menschenfreunde.

In Wahrheit ist es von jeher das Ziel sozialistischer Fanatiker, das Individuum – diesen unbotmäßigen Lümmel – zu vernichten. Dazu äußerte sich ein hierzulande bis 1945 amtierender Reichskanzler: „Was haben wir das nötig, Sozialisierung der Banken und Fabriken?… Wir sozialisieren die Menschen!“ (zitiert nach Sebastian Haffner, 1978).

Die Generation, die zwischen den Weltkriegen großgeworden war, konnte nicht ahnen, was ihr bevorstand – speziell in Ostdeutschland, wo sozialistischer Zwang die Menschen über 1945 hinaus noch Jahrzehnte drangsalierte.

Welch‘ selbstbewusstes Bürgertum begegnet einem auf den Fotos der Vorkriegszeit, vor allem in Kreisen, wo man sich bereits ein Automobil leisten konnte – im Unterschied zu den USA im damaligen Deutschland ein noch exklusives Vergnügen.

Diese Aufnahme eines Adler Standard 6 steht stellvertretend für den Stolz derer, die es geschafft hatten, sich einen der enorm teuren Wagen nach Vorbild amerikanischer Großserienfabrikate zu erarbeiten:

Adler „Standard 6“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier liefert der 6-Zylinder-Wagen aus den Adlerwerken in Frankfurt am Main freilich bloß die Staffage. Ich habe dieses eindrucksvolle Modell bereits in etlichen weit besseren Dokumenten vorgestellt, die in meiner Adler-Galerie versammelt sind.

Mir geht es diesmal auch mehr um die Funktion des Fahrzeugs bei der Selbstinszenierung seiner einstigen Besitzer und Nutzer als um technische Daten oder stilistische Feinheiten.

Wie der Nimbus der großen Adler-Wagen der Vorkriegszeit auch nach dem Ende des nationalsozialistischen Regimes 1945 fortwirkte – diesmal unter dem international angelegten Sowjet-Sozialismus – ist faszinierend.

Denn die Überlebenden des untergegangenen totalitären Regimes wollten auch unter dem übergangslos installierten neuen Kommando stalinistischer Prägung einfach nicht davon ablassen, ihrem Dasein eine eigene Note zu geben und sich mit den Insignien des Bürgertums zu schmücken – und sei es nur für einen einzigen Tag:

Adler „Standard 6“ Landaulet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dies ist eines von drei zusammengehörigen Fotos von einer Hochzeit irgendwo auf dem Lande im sächsischen Raum – entstanden in den frühen 1950er Jahren.

Das Brautpaar hatte sich für diesen Tag das edelste Fahrzeug gegönnt, das damals in seiner Gegend verfügbar war – das konnte nur ein mondäner Vorkriegswagen sein.

Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass es sich nicht nur um einen überlebenden Adler Standard 6 aus den frühen 1930er Jahren handelt, sondern um eine Variante mit Spezialaufbau als Landaulet.

Während der Vorderwagen mit senkrechten Luftschlitzen und sieben Radbolzen typisch für den Adler Standard 6 (bzw. den Standard 8) in der Erscheinungsform ab 1931 ist, fällt die schrägstehende Frontscheibe völlig aus dem Rahmen.

Wir bekommen sie gleich noch aus anderer Perspektive zu sehen. Zuvor will ich auf das Brautpaar und die Kinder im Vordergrund eingehen, da sie noch mehr über das Referenzsystem verraten, das damals unverändert maßgeblich war:

Hier geht es nicht in Arbeiter- und Bauernkluft zum Duz-Genossen auf dem Standesamt, sondern in traditionellem Brautkleid und Anzug zur Kirche. So hätte das bis ins Detail auch bei vermögenden Leuten der Zwischenkriegszeit ausgesehen.

Das Füllhorn, das der Junge in der Mitte in Händen hält, verweist noch auf viel ältere Traditionen. Es handelt sich um das Symbol der Fruchtbarkeit in der klassischen Antike, aus der Bürgertum und Adel jahrhundertelang ihre Vorbilder bezogen.

Doch nicht nur solche Äußerlichkeiten hatten die seit 1933 anhaltenden sozialistischen Einebnungsversuche überlebt, sondern auch der Wunsch nach dem Auftritt im luxuriösen Automobil, den die neuen Herren in Berlin gern für sich reserviert hätten.

Dem gar nicht konformen Abgrenzungsbedürfnis konnte man kaum besser nachkommen als mit diesem beinahe majestätisch anmutenden Spezialaufbau auf Basis eines Adler Standard 6:

Adler „Standard 6“ Landaulet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die schrägstehende Frontscheibe lässt den formal noch den 1920er Jahren zugehörigen Adler weit moderner erscheinen – im „imperialistischen“ Westen hielt Mercedes-Benz noch in der frühen Nachkriegszeit an solchen Formen fest.

Gut zu erkennen ist hier das beim „Facelift“ Ende 1930 nach oben gewanderte Adler-Emblem auf der Kühlermaske.

Daneben fällt das Schild auf der Windschutzscheibe mit der russischen Bezeichnung für „Taxi“ ins Auge – damit wissen wir, womit der Fahrer im Alltag sein Geld verdiente.

In voller Pracht sehen wir diesen überlebenden Adler Standard 6 hier, als die frisch vermählten Genossen (bis 1945: Volksgenossen) ihre Hochzeitsreise antraten:

Adler“Standard 6″ Landaulet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Für mich ist dies eine hochinteressante Aufnahme. Denn noch einmal scheint hier in allen Details die bürgerliche Welt der Vorkriegszeit auf, noch ahnt man nichts von den staatlichen Zwangsvorstellungen vom neuen „sozialistischen“ Menschen.

Offenbar hatten weder das nationalsozialistische Regime noch das von Moskau gesteuerte neuerliche Menschenexperiment sozialistischer Prägung die bürgerlichen Instinkte ausmerzen können – nämlich den Wunsch

  • sich vor anderen auszuzeichnen,
  • auf eigenen Füßen zu stehen,
  • die Früchte des Erreichten selbst zu genießen,

Kurz: kein bloßer Befehlsempfänger und keine vom Staat restlos vereinnahmte Arbeitsameise zu sein.

Nun wüsste man nur noch gern, ob neben dem widerständigen Geist des Bürgertums in Ostdeutschland auch dieser Adler die sozialistische Herrschaft überlebt hat…

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Abschied vom Sommer: DKW F5 Luxus Cabriolet

Bald haben wir Ende September und traditionell endet zum 21. kalendarisch der Sommer. Vor 80 Jahren hatten die Völker Europas um diese Zeit bereits Abschied vom Sommer nehmen müssen.

Anfang bzw. Mitte September 1939 waren deutsche und sowjetische Truppen in Polen einmarschiert und teilten das Land nach kurzen Kämpfen unter sich auf – mit dieser Aggression im Einklang mit dem Hitler-Stalin-Pakt begann der 2. Weltkrieg.

Wenige Wochen zuvor – am 16. Juni 1939 – unternahm der Besitzer dieses DKW seine „erste Fahrt im eigenen Wagen“, wie er auf der Rückseite des Abzugs vermerkte:

DKW F5 „Reichsklasse“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ausweislich des Kennzeichens unternahm unser hoffnungsfroher DKW-Besitzer seine erste Ausfahrt irgendwo im Landkreis Grünberg in Niederschlesien.

Trotz der mäßigen Qualität des Abzugs lässt sich der DKW als Typ F5 in der Basisausführung „Reichsklasse“ identifizieren.

Dabei handelte es sich um die ab Ende 1934 gebaute bis dahin erfolgreichste Variante der populären Frontantriebswagen von DKW mit Zweizylinder-Zweitaktmotor und 20 PS aus 700 ccm.

Fast 75.000 Exemplare des F5 wurden bis 1938 gefertigt – zu erkennen übrigens an den über die Schwellerpartie nach unten hinausreichenden Türen. Dabei waren die lackierte Kühlereinfassung und der Verzicht auf eine seitliche Zierleiste an der Motorhaube Kennzeichen der Einstiegsversion „Reichsklasse“.

Trotz bescheidener Motorisierung nutzten viele Besitzer dieser für einen Kleinwagen ausgesprochen attraktiv gezeichneten Fahrzeuge die neu gewonnene Mobilität für Fernreisen oder Ausflüge ins Gebirge:

DKW F5 „Reichsklasse“; Originalfoto aus Sammlung Volker Wissemann

Diese stimmungsvolle Aufnahme eines DKW F5 „Reichsklasse“ verdanken wir Leser Volker Wissemann, der selbst DKW-Vorkriegswagen besitzt und bewegt.

Im Unterschied zum ganz oben gezeigten Wagen handelt es sich hier nicht um eine Limousine, sondern um eine Cabrio-Limousine – seinerzeit ein vor allem im deutschsprachigen Raum beliebte Karosserieversion.

Noch attraktiver waren jedoch die Front-Luxus-Ausführungen, die im Zwickauer Horch-Werk ganz aus Stahl gefertigt wurden und zum schönsten gehören, was jemals auf das Chassis eines Kleinwagens mit Zweitakter montiert wurde.

Einen Vorgeschmack gibt diese Aufnahme, die ein solches DKW F5 Front Luxus Cabrio irgendwo am Rand einer Landstraße zeigt:

DKW F5 Front Luxus Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bereits hier kann man das wichtigste Erkennungsmerkmal der „Front Luxus“-Ausführung erkennen: die zum Heck hin breit auslaufende seitliche Chrom-Zierleiste in Form eines Kometenschweifs.

Besagte Leiste verläuft hier oberhalb des oberen Türscharniers, was auf einen Zweisitzer hindeutet – der Fotograf muss also mit einem weiteren Auto unterwegs gewesen sein. Bei der viersitzigen Version lief die Leiste durch das Scharnier hindurch.

Gut erkennbar ist hier, dass bei den Front-Luxus-Ausführungen des DKW F5 die Türen nicht mit der Schwellerunterseite abschlossen, sondern die Türunterseite oberhalb verlief und nach vorn anstieg, was für die Spannung sorgt, die der Serienversion fehlt.

Was auf obiger Aufnahme kaum zu erkennen ist, sind die in Wagenfarbe lackierten Drahtspeichenräder – ein weiteres Merkmal der Front-Luxus-Versionen.

Dieses Detail – und weitere – sind auf folgendem Foto in wünschenswerter Deutlichkeit zu erkennen:

DKW F5 Front Luxus Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der aufmerksame Betrachter wird außerdem die beiden Hupen oberhalb der Stoßstange sowie die vollverchromten Scheinwerfer bemerken, die dem Front-Luxus-Modell ebenso vorbehalten waren wie die lederbezogenen Sitze im Innenraum.

Kurios bei dieser Aufnahme ist der Korbsessel hinter dem Fahrersitz. Könnte es sich um ein Picknickzubehör gehandelt haben? Serienmäßig gab es so etwas nämlich nicht.

Dafür kann man hier die Ausführung der seitlichen Zierleiste studieren, die opulent wie ein Kometenschweif ausläuft. Dieses Element findet sich bei vielen Luxuswagen der späten 1930er Jahre und macht sich auch am DKW F5 „Front Luxus“ sehr gut.

Das Kennzeichen des Wagens scheint mit „IE“ zu beginnen, gefolgt von einer Zifferfolge, die mit „10…“ startet. Dies passt perfekt zum Stempel des Fotogeschäfts auf der Rückseite des Abzugs, das sich in Sorau befand.

Sowenig wie Grünberg in Schlesien den meisten heutigen Lesern noch etwas sagt, dürfte dies bei „Sorau“ der Fall sein. Ich selbst bin diesbezüglich familiär vorbelastet, da meine Mutter im niederschlesischen Liegnitz geboren wurde.

Zwar musste sie schon als Dreizehnjährige im Februar 1945 mit ihrer Mutter aus ihrer Heimatstadt fliehen, doch brachte sie genügend Erinnerungen mit in den rettenden Westen, um mir einiges davon zu vermitteln.

Es ist erstaunlich und mit dem Abstand von rund 80 Jahren berührend, was zum Erinnerungsgut eines Kindes jener Zeit gehört. So etwa dieser Spruch: „Sag‘ an, mein Kind, so rauh der Wind – Berlin, Stettin, wieviele Städte das sind?“

Wer mit der Welt der Städtenamen in Deutschlands Osten vertraut ist, hört hier die Namen Sagan (Niederschlesien) und Sorau (Brandenburg) heraus und damit schließt sich der Kreis.

Die fesche Dame, die einst im letzten Sommer vor dem 2. Weltkrieg in dem DKW F5 Front Luxus Cabriolet posierte, scheint aus der Gegend von Sorau gestammt haben, die wie Niederschlesien 1945 Polen zugeschlagen wurde und anschließend von den noch verbliebenen Deutschen „gesäubert“ wurde.

Dass dieses Foto noch existiert, spricht dafür, dass sie Glück im Unglück hatte und wie meine Mutter ebenfalls in den Westen gelangte und dort ein neues Leben anfing.

Dieses dürfte aber ohne den herrlichen DKW begonnen haben, denn mehr als einen Koffer und das, was man in Kopf und Herzen trug, konnte kaum einer retten.

Glücklich schätzen konnte sich dagegen, wer nach dem Krieg immer noch über seinen treuen DKW F5 verfügen konnte, und sei es nur in der Form als Cabrio-Limousine:

DKW F5 Cabrio-Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses Foto ist dem Besatzungskennzeichen nach zu urteilen, nach 1945 entstanden und man darf annehmen, dass diese Insassen des DKW mehr Glück gehabt haben als unzählige andere in Europa, denen der Krieg Leben, Heimat und Wohlstand genommen hatte.

Bemerkenswert, dass dieser DKW F5 in der frühen Nachkriegszeit entsprechend dem Farbschema des „Front Luxus“ Cabriolets umlackiert worden war. Da wusste jemand offensichtlich noch, was im letzten Sommer vor dem Krieg so glänzend daherkam…

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

 

 

 

 

 

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