Über Michael Schlenger

Ich bin gelernter Kaufmann und studierter Ökonom (Dipl-Vw.). Nach langen Jahren der Tätigkeit in der Wissenschaft und im Bereich Vermögensverwaltung arbeite ich als freiberuflicher Übersetzer und Texter mit Spezialisierung auf den Finanzsektor. Privat sammle und warte ich historische Automobile und Motorräder - je älter und patinierter, desto besser. Auf bestimmte Marken bin ich nicht festgelegt. Mein Fotoarchiv umfasst mehrere tausend historische Originalaufnahmen und sonstige Dokumente von Vorkriegsfahrzeugen. Am Herzen liegen mir außerdem historische Baudenkmäler, Musik von Renaissance bis Spätromantik sowie klassische Literatur. In allen Lebensbereichen folge ich dem Grundsatz der Aufklärung: Glaube nichts, prüfe alles, denke selbst!

Groß? Great! – Ein Cadillac V16 von 1930

Ich kann Autos aller Größenklassen etwas abgewinnen – ob einem genialen Winzling wie dem Fiat 500, einer soliden Mittelklasse-Limousine wie dem Volvo “Amazon” oder einem repräsentativen Luxuswagen wie dem Jaguar XJ.

Was sich jemand in seine Garage oder vors Haus stellt, ist seine Sache, auch wenn selbsternannte automobile Blockwarte meinen zu wissen, wieviel(e) Autos andere Leute brauchen. Anderen die eigenen Maßstäbe aufzuerlegen, ist eine nervige Unart.

Wenn einer in den 1930er Jahren mit seinem Dixi DA1 von Hamburg ins österreichische Salzkammergut fuhr, dann muss ich sagen: großartig, was sich mit so einem Wägelchen anstellen lässt und großartig, was er seinen Besitzern für Bewegungsfreiheit schenkte:

Dixi DA1; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wenn anno 1930 auf der anderen Seite des Atlantiks einer seinen neuen Cadillac ablichtete und das Foto der buckligen Verwandschaft in “Good old Germany” zusandte, dann sage ich anerkennend: “great!” – was schlicht dasselbe bedeutet, nämlich: großartig!

Dass der Wagen dermaßen dimensioniert ist, dass er nicht auf das Foto passte, mag ein Neider als Übertreibung anprangern.

Wir genießen dagegen die Details eines perfekt gestalteten Luxusautomobils, dessen eigentliche Größe unter der Motorhaube lag:

Cadillac V16 Limousine von 1930; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der majestätisch daherkommende Riese war leicht zu identifizieren: Auf den Radkappen erkennt man in der Vergrößerung ein Kürzel, das einem kurz den Atem stocken lässt: V16!

Genau das empfand die Konkurrenz, als Cadillac seinerzeit den spektakulären Motor mit 16 in spitzem V-Winkel angeordneten Zylindern und 7,4 Liter Hubraum enthüllte.

Man hatte im Vorfeld Gerüchte von einem in Entwicklung befindlichen 12-Zylinder gestreut. Die schon damals leicht zu beeindruckenden Zeitungsleute schluckten den Köder und verbreiteten die Mär.

Als Cadillac dann einen V16 präsentierte, stand die automobile Welt für einen Moment still. Zwar gab es andere Hersteller wie Duesenberg, die weit stärkere Motoren anboten – der V16 von Cadillac brachte es “nur” auf rund 180 PS – dennoch war dieser Antrieb einzigartig.

Wohl erstmals überhaupt besaß ein Serienwagen einen hydraulischen Ventilspielausgleich und das Aggregat wurde bewusst als Kunstwerk gestaltet – mit sorgfältig kaschierten Leitungen und Kabeln und ganz auf Effekt getrimmter Oberflächenbearbeitung.

Den Motor als Designobjekt zu präsentieren, das war bis dato die Domäne von Bugatti. Am amerikanischen Luxuswagenmarkt schlug Cadillacs V16 jedenfalls ein wie eine Bombe. Genau 3.251 Exemplare entstanden im Jahr 1930.

Man erkennt die 1930er Version des V16 unter anderem an den drei übereinanderliegenden Zierleisten auf den Deckeln der Behälter, die im Schwellerblech eingelassen sind.

Das war auch schon alles, was ich heute zu diesem grandiosen Automobil berichten möchte, von dem es zahlreiche Karosserievarianten gab. Das obige Foto zeigt die serienmäßige 6-Fenster-Limousine mit Aufbau von Fleetwood – eine besonders häufige Variante.

Eine exzentrische Cabriolet-Ausführung ist im folgenden Video zu sehen, das gewohnt kenntnisreich von der amerikanischen TV-Legende Jay Leno präsentiert wird. Natürlich wird der Wagen auch ausgefahren, wie es sich gehört.

Am Ende werden Sie ebenfalls der Meinung sein: Ein wirklich großes Auto? Yeah, that’s great!

Cadillac V16 von 1930; Videoquelle: Youtube, Jay Leno’s Garage

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Lichtblick gefällig? Sunbeam 16-20 hp Double Phaeton

An diesem Wochenende wird in Mitteleuropa die Uhr zurückgestellt – irgendwie passend für eine Region, die generell auf dem absteigenden Ast zu sein scheint.

In meiner Tätigkeit als Finanzübersetzer fällt mir das auf spezielle Weise auf: Waren vor 25 Jahren noch viele deutsche Unternehmen bei internationalen Aktienanlegern gefragt, sind sie in den Portfolios global ausgerichteter Investoren zunehmend unterbelichtet – sofern sie dort überhaupt noch vertreten sind.

Deutsche Großbanken inzwischen ebenso zurückgefallen wie heimische Universitäten, von denen längst keine mehr Weltrang erreicht. Auch bei Kennziffern für Wettbewerbsfähigkeit und Korruption ist ein besorgniserregender Abwärtstrend ablesbar.

Zur Korrektur dieser düsteren Lage bräuchte es einen Befreiungsschlag, wie ihn nach dem 2. Weltkrieg Wirtschaftsminister Ludwig Erhard wagte, als er mit der Aufhebung staatlicher Preiskontrollen in Deutschland die phänomenalen Kräfte der Marktwirtschaft entfesselte.

Fatalerweise zeigen die Signale weiterhin in die falsche Richtung und dann steht uns auch noch die dunkle Jahreszeit bevor! Da ist man für jeden Lichtblick dankbar, meine ich.

Den liefert uns heute Leser Klaas Dierks mit einem Fotodokument aus seinem Fundus, das im wahrsten Sinne des Wortes die Sonne aufgehen lässt – denn so eine großartige Aufnahme vertreibt zuverlässig alle Trübsal:

Sunbeam 16-20 hp von 1909/10; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Gewiss, von Sonnenlicht durchflutet ist die Szenerie nicht gerade. Es mag ein bedeckter, doch recht heller Tag gewesen sein, als sie vor über 100 Jahren auf eine Fotoplatte gebannt wurde.

Das Mauerwerk des Hauses, die Form der Dachziegel und der Kiesweg entlang eines sorgfältig gestutzten Rasens lassen einen an England denken, wo die Sonne übrigens öfters lacht, als es das alberne Klischee der ewig Regenschirm tragenden Nation will.

Ich gebe zu, dass ich erst mit Hilfe meiner Facebook-Gruppe für Vorkriegswagen den Hersteller und Typ dieses großzügig wirkenden Tourenwagens ermitteln konnte.

Passenderweise handelt es sich um einen “Sunbeam”, der erste seiner Art in meinem Blog und ein wahrlich willkommener Lichtblick. Denn mir ist wichtig, hierzulande kaum bekannte Fabrikate vorzustellen, damit den Kennern nicht langweilig wird.

Bevor wir uns an den Details dieses Fotos erbauen, möchte ich zur Einordnung eine Reklame zeigen, die genau solch einen Sunbeam zeigt, der Ende 1909 eingeführt wurde:

Sunbeam-Reklame aus: The Autocar, November 1909, Quelle: Grace’s Guide

Demnach sah der Sunbeam des Typs 16-20 hp so aus wie der Wagen auf dem heute präsentierten Foto.

Speziell die Form des Vorderkotflügels und die “getreppte “Anordnung des Aufbaus mit getrennten Abteilen für Fahrer und Passagiere stimmen bis ins Detail überein.

Wer das auf der obigen Reklame nur schwer nachvollziehen kann, wird mit der folgenden Aufnahme zufriedener sein. Hier ist zwar der Vorderkotflügel etwas anders ausgeführt, doch der übrige Aufbau ist identisch mit dem des Wagens auf Klaas Dierks’ Foto:

Sunbeam 16-20 hp von 1910; Quelle: Autovercity

Man mag jetzt kleine Abweichungen beanstanden wie das fehlende seitliche Lederpolster im Fahrerabteil oder den fehlenden Spritzschutz zwischen Trittbrett und Chassisrahmen.

Aber ich bitte Sie: Mehr Übereinstimmung ist bei einem solchen Manufakturwagen aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg nicht zu erwarten.

Also mäkeln wir nicht herum, sondern genießen wir, was uns dieser “Sunbeam” an Einblicken gewährt:

Man sieht hier sehr schön, wie sich der mehrsitzige Tourenwagen aus der Verdoppelung des ursprünglich für zwei Personen reservierten “Phaeton”-Aufbaus entwickelt hat.

Der Fahrer sitzt erkennbar in einer äußerlich noch separierten “Wanne”, an welche eine weitere für die rückwärtigen Passagiere gesetzt wurde. Das hatte auch mit der “Arbeitsteilung” zu tun, denn anfänglich fuhren die meisten Autobesitzer noch mit Chauffeur.

Vorne wurde gelenkt, geschaltet, gebremst und das Verkehrsgeschehen im Blick behalten – die Brötchengeber im Fonds genossen unterdessen die Fahrt, waren ins Gespräch vertieft oder grüßten huldvoll das Fußvolk, sofern sie es nicht ignorierten.

Haben Sie übrigens bemerkt, dass hier weder Schalt- noch Bremshebel zu sehen sind, wie sie noch bis in die 1920er Jahre meist rechts vom Fahrer außerhalb der Karosserie angebracht waren? Offenbar war dies ein frühes Beispiel für eine Anbringung im Innenraum.

Zeittypisch verfügt der 1909/10 gebaute Sunbeam noch über kein strömungsgünstiges Windlaufblech zwischen Motorhaube und Frontscheibe. Bei britischen und französischen Wagen wurde dieses Detail auch erst später Standard als bei deutschen Serienautos, die ab 1910 fast ausnahmslos mit dieser im Sport erprobten Lösung ausgestattet wurden.

Wenn die beiden Damen im Heck des Wagens wenig enthusiastisch erscheinen bzw. uns ganz ignorieren, ist zu bedenken, dass eine solche Aufnahme damals je nach Helligkeitsverhältnissen mehrere Sekunden Belichtungszeit erfordern konnte.

So lange halten nur professionelle Schauspieler ein Lächeln durch. Also seien wir gnädig mit den Insassen des hinteren Abteils dieses Sunbeam “Double Phaeton”:

Immerhin ist auch dieser Ausschnitt ein erfreulicher Lichtblick, finde ich. Denn er zeigt uns die Haarpracht der beiden Ladies ganz von opulenten Hüten befreit, wie sie damals in der Öffentlichkeit üblich waren.

Dass es sich um eine intime Situation auf einem Privatgrundstück handelt, das belegt nicht zuletzt der wackere Wachhund, der sich zufrieden mit sich selbst und der Welt in seinem vertrauten Zuständigkeitsbereich zeigt.

Das außerordentliche Talent von Haushunden, in solchen Momenten eine perfekte Pose einzunehmen, ist mir schon oft aufgefallen – man könnte Bildbände füllen mit solchen Fotos:

Letztlich erkennen wir uns in unseren vierbeinigen Begleitern selbst zum erheblichen Teil wider – das ist keine Einbildung. sondern unserer engen Verwandschaft geschuldet. Auch von daher verdienen Haustiere unsere Sympathie. Die Freundschaft mit ihnen ist eine Konstante im menschlichen Dasein seit unserer Sesshaftwerdung.

Auch sie sind ein Lichtblick in einem Dasein, das genügend Anlass zu düsteren Gedanken gibt und in dem es vielen versagt bleibt, ein materiell sorgenfreies Leben zu führen wie die Eigner des großartigen Sunbeam vor über 100 Jahren.

Das ist ein weiterer Gedanke, der sich bei der Betrachtung früher Autofotos einstellt. Individuelle Mobilität ist eines der großen Geschenke menschlichen Erfindungsgeist an den Menschen – sie sollte jedermann zugänglich sein und bleiben.

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Wirklich alles gut bedacht? Ein “Piccolo” 5/6 PS

Ende Oktober – wechselhaftes Wetter wie immer um diese Zeit. Gegen Mittag recht mild und trocken, da bietet sich nach getaner Schreibtischarbeit ein Gang in den Garten an, dachte ich. Der mächtige alte Maronenbaum wirft nämlich beängstigende Mengen Laub ab.

Ein kurzer Blick zum Himmel, dort zeigen sich die ersten Kraniche in V-Formation auf dem Weg in südliche Gefilde, damit ist immer eine Empfindung von Abschied für mich verbunden.

Zwei Stunden später fällt die geplante Schicht im Garten ins Wasser und bis abends bleibt es regnerisch. Gut bedacht zeigt sich da der ehemals gläserne kleine Wintergarten am östlichen Ende des Hauses. Noch vor Einsetzen der Schlechtwetterperiode erhielt er ein Dach in Ziegelrot passend zu den alten Tonziegeln des gut 120 Jahre alten Fachwerkbaus.

Eine hübsch anzuschauende Regentonne ist jetzt an das Fallrohr angeschlossen. Doch hatte ich nicht bedacht, welche Mengen Wasser trotz der kleinen Fläche herunterkommen. Jetzt ist das Teil kurz vor dem Überlaufen, und ich weiß kaum wohin mit dem Inhalt. Denn der Garten ist seit Wochen tief durchfeuchtet.

So ist das in der hessischen Wetterau – wir haben oft meist warme trockene Sommer, doch der Wasserhaushalt kommt in der kühlen Jahreshälfte stets wieder ins Lot.

Die Wetteraussichten um diese Zeit ließen es auch schon vor 120 Jahren angeraten erscheinen, sich auf teils ergiebige Regenfälle einzustellen. Da stand man dumm da, wenn man beim Kauf seines ersten Automobils am Zubehör gespart hatte wie hier:

“Piccolo” 5-6 PS; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Tatsächlich war ein Dach bei diesem leichten Zweisitzer aufpreispflichtig. Gebaut wurde er ab 1904 unter dem Namen “Piccolo” von der Firma Ruppe & Sohn im thüringischen Apolda.

Das vom Chassis her noch der Kutschentradition entstammende Gefährt besaß einen vorn montierten luftgekühlten 2-Zylinder (V-Anordnung), der aus 800ccm Hubraum 5-6 PS leistete.

Speziell für Landärzte war das ein ideales Einstiegsautomobil, sie verdienten auch gerade genug, um sich so eine teure Maschine leisten zu können. Für die breite Masse war auch nur der Gedanke an irgendein motorisiertes Gefährt völlig abwegig.

Das hatte man bei Ruppe & Sohn wohl nicht gut bedacht, als man den “Piccolo” in Reklamen vollmundig als Volksauto anpries. Dennoch scheint der Absatz bis Produktionsende 1907 recht ansehnlich gewesen zu sein, da man immer wieder auf Fotos davon stößt.

Die wohl umfangreichste Kollektion an zeitgenössischen Fotos, Werbung und Presseartikeln zum “Piccolo” hat Wolfgang Spitzbarth auf seiner hochinformativen Website zum deutschen Automobilkonstrukteur Karl Slevogt zusammengetragen.

Unter der Rubrik “Ruppe, MAF” findet man dort reichhaltiges Material und viele Erläuterungen zum Piccolo, weshalb ich interessierte Leser ausdrücklich darauf verweise.

Mir geht es bekanntlich ohnehin eher um eine spielerische, meist sehr subjektive Auseinandersetzung mit den Autos aus der Vorkriegszeit sowie den Menschen, in deren Leben sie eine Rolle spielten – daher das Format als Online-Tagebuch (Web-Log, kurz: Blog).

Wichtiger als Konstruktionsdetails und Fahreigenschaften ist mir oft das Erscheinungsbild oder auch die Aufnahmesituation. Dabei gilt es auch, ein einmal gewähltes Thema durchzuhalten – heute geht es um Variationen von “Alles gut bedacht”.

Im Unterschied zu dem Herrn auf dem ersten Foto hat es der Besitzer dieses “Piccolo” besser gemacht und tatsächlich auch die Eventualität von Regenwetter bedacht:

“Piccolo” 5-6 PS; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Wohl als Praktiker mit zwei- oder vierbeinigen Patienten im Umland, die bei jedem Wetter seine Hilfe brauchen können, hat er sich nicht nur für das Klappverdeck entschieden, sondern auch einen ledernen Beinschutz geordert.

Dieser hielt Nässe und Kälte ab, denn eine Heizung besaß damals noch kein Auto – das tauchte meines Wissens erst ab den frühen 1920er Jahren als Zubehör auf. Erwähnenswert ist auch der Spritzschutz am vorderen Ende der Kotflügel, selten zu sehen beim “Piccolo”.

So gesehen hat dieser “Piccolista” wirklich alles gut bedacht, was den Einsatz bei Wind und Wetter angeht. Dank recht großen Gasscheinwerfer waren sogar nächtliche Fahrten möglich. Schön nebenbei, dass hier das Töchterchen mit aufgenommen wurde.

Nur eines konnte dem Fahrer gegebenenfalls dazwischenfunken und das war ein Defekt am Motor, speziell an der damals allgemein noch anfälligen Zündanlage. Hatte der Hersteller ansonsten alles gut bedacht bei diesem Wagen?

Ich möchte hier Zweifel äußern. Ein luftgekühlter Motor mit frei im Fahrtwind stehenden einzelnen Zylindern sollte thermisch stabil sein, wenn er korrekt konstruiert ist, meint der Motorradfahrer in mir.

Warum aber setzte man beim “Piccolo” einen zusätzlichen Lüfter in einem runden Gehäuse vor das Aggregat?

Sollte diese über den Motor und einen Riemen angetriebene Vorrichtung ein thermisches Defizit ausgleichen? Und konnte sie das überhaupt wirksam oder störte sie möglicherweise sogar den kühlenden Luftstrom durch ihre Platzierung vor den Zylindern?

Bar jeder Fachkenntnis würde ich vermuten, dass eine zusätzliche Kühlung der nicht im Fahrtwind liegenden Zylinderhälften wichtiger gewesen wäre, sofern diese zu heiß werden drohten. Dann hätte sich aber eine andere Lösung mit Luftleitblechen angeboten.

Mir scheint, dass der Zusatzlüfter nicht gut bedacht war, vielleicht brachte er gar nichts oder war sogar eher abträglich. Dass man die Strömungseffekte irgendwie gemessen oder gar berechnet hat, möchte ich bezweifeln.

Im damaligen Automobilbau war längst noch nicht alles mit Bedacht wohlersonnen, sondern vieles basierte auf Bauchgefühl und Erfahrung. Im Fall von Ruppe & Sohn wurde vermutlich erst mit dem Antritt des brillianten Ingenieurs Karl Slevogt wirklich auf rationaler Grundlage konstruiert und nach Möglichkeit alles gut bedacht.

Die Apollo-Wagen waren das Ergebnis dieses neuen Kapitels bei Ruppe & Sohn.

Das ist aber eine andere, sehr umfangreiche Geschichte, die Sie am besten auf Wolfgang Spitzbarths Website studieren können, auch wenn ich hier ab und zu Apollo huldige…

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Großer Mann, was nun? Hansa 1100 Limousine

Sicher ist Ihnen schon einmal der Buchtitel “Kleiner Mann, was nun?” begegnet. Den trug ein “sozialkritisches” Werk von Hans Fallada, welches den Abstieg eines Angestellten in der Wirtschaftskrise der späten 1920er Jahre beschreibt.

Mir gingen solche Schinken, in denen menschliche Miseren literarisch durchgekaut werden, die sich täglich in der Zeitung zum Überdruss darboten, immer gegen den Strich. Wer will sich in seinen knappen Mußestunden noch mit so etwas befassen?

Natürlich lässt sich schicksalhaftes Geschehen auch erbaulich darstellen – dazu bedarf es freilich großer Meisterschaft und eines Helden, mit dem zu leiden sich lohnt.

Die Irrfahrten des Odysseus nach dem Krieg gegen Troja bis hin zu dem Moment, an dem er als letzter Überlebender seines Schiffs an die Gestade seiner Heimatinsel Ithaka gelangt – das hat Format, gerade weil es in einer völlig fremden Welt spielt, in der man sich am Ende auf wundersame Weise beinahe zuhause wähnt.

Odysseus räumt am Ende unter den Freiern und Schnorrern auf, die seiner Frau während 20-jähriger Abwesenheit zusetzten – man billigt ohne zu zögern das Gemetzel, nachdem man so lange mit Odysseus die Launen der Götter erlitten hat.

Ein Happy End der besonderen Art. Die Beschäftigung mit der Literatur der alten Griechen lohnt sich jedoch auch in anderer Hinsicht. Denn in den Grundfragen des Daseins ist damals bereits alles vorgedacht worden.

In oft rätselhaften Sentenzen wie “Ich weiß, dass ich nichts weiß” oder auch dem meist missverstandenen “Krieg ist der Vater aller Dinge” findet sich zeitlose Weisheit.

Ein weiteres Beispiel, das wir heute einer praktischen Prüfung unterziehen, ist die Aussage “Der Mensch ist das Maß aller Dinge“, die dem Philosophen Protagoras zugeschrieben wird.

Oft wird dieser Ausspruch als Ausfluss menschlicher Arroganz verstanden – in dem Sinne, dass der Mensch im Mittelpunkt des Universums stehe und daher auf Erden nach Gutdünken mit seinen Mitgeschöpfen verfahren kann, wie er will.

Tatsächlich ist gemeint, dass der Mensch nur über (unvollkommene) menschliche Maßstäbe verfüge, die ihm als einzige zur Verfügung stehen. Sich außerhalb zu stellen und eine objektive Sicht der Dinge zu erlangen, ist ihm nicht möglich.

Die Einsicht in die beschränkte Erkenntnisfähigkeit des Menschen ist vielmehr Ausdruck von Bescheidenheit und Mahnung, Verbreitern angeblich endgültiger Wahrheiten zu misstrauen.

Was hat nun das Gesagte mit dem Hansa 1100 zu tun, der ab 1934 als Vierzylindertyp 1100 und als 6-Zylindermodell 1700 in überschaubaren Stückzahlen gebaut wurde? Nun, das sollen die folgenden Fotos aus meiner Sammlung illustrieren:

Hansa 1100; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ein harmonisch wirkender Wagen mit perfekten Proportionen und aus dieser Perspektive ein wenig britisch anmutend, nicht wahr?

In der Tat deutet hier nichts darauf hin, dass diesem soliden Mittelklassewagen irgendein Makel anhaften könnte.

Noch attraktiver wirkt der zweitürige Wagen mit seiner coupéhaften Anmutung in der folgenden Situation:

Hansa 1100; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Sehr adrett, finde ich? Die junge Dame in Abendgarderobe trägt nicht unerheblich zu dem harmonischen Eindruck bei. Wer könnte mehr als dieses Auto brauchen?

Nur am Rande sei erwähnt, dass die vier Luftklappen in der Haube Kennzeichen des 1100er Hansa waren, während der sechzylindrige Typ 1700 deren fünf besaß und etwas länger war.

Für den kleinen Mann war dieses Automobil im Deutschland der 1930er Jahre unerreichbar – ein Durchschnittsverdiener konnte sich allenfalls ein Fahrrad oder Moped leisten.

Der Blickwinkel des kleinen Mannes, nach dessen Maßstäben der Hansa ein großartiger Traumwagen war, bringt uns also nicht weiter.

Schauen wir stattdessen, wie sich das Auto aus Sicht der gehobenen Mittelschicht darstellt – ganz offenbar war das dann doch ein eher knapp dimensioniertes Gefährt:

Hansa 1100; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Skeptisch scheint sich der Herr, welcher die leicht geöffnete Tür hält, mit dem Hansa auseinanderzusetzen: “Ob wir da wohl alle reinpassen? Leider gibt’s ja keinen außenliegenden Schwiegermuttersitz mehr…

Das hat er vielleicht gedacht, während sich die Damen freundlich der Kamera zuwandten. “Der Mensch ist das Maß aller Dinge” – deshalb verlieren wir spontan das Interesse an dem Wagen, sobald wir einiger Artgenossen ansichtig werden – auch da sind wir nicht objektiv.

Mich beispielsweise lenkt die junge Frau im körpernah gehaltenen weißen Kostüm mühelos von der Betrachtung des Autos ab – wir begegnen ihr später noch einmal.

Derselbe Hansa 1100 zeigt sich auf der nächsten Aufnahme wiederum in anderem Format:

Hansa 1100; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier geraten erstmal die Maßstäbe ins Rutschen und mit Blick auf den plötzlich sehr kompakt wirkenden Hansa stellt sich die Frage: “Großer Mann, was nun?

Mit der Information ausgestattet, dass der flotte Hansa nur 1,47 Meter hoch war – ein Mercedes 170 beispielsweise war 10 cm höher – relativieren sich die anfänglich so angemessen erscheinenden Verhältnnisse doch deutlich.

Das war kein Wagen für großgewachsene Männer, vor allem dann nicht, wenn sie im Auto den Hut auflassen wollten, was damals üblich war.

“Der Mensch ist doch letztlich das Maß aller Dinge, verehrter Herr” – so hätte vermutlich ein zeitgenössischer Autoverkäufer argumentiert und dringend vom Hansa abgeraten.

Dabei war der Herr auf dem vorangegangenen Foto gar nicht besonders groß, behaupte ich. Er wirkt eventuell bloß so, weil er weiter vorne steht.

Dass auch dies eine Frage des Maßstabs ist, kann ich anhand einer letzten Aufnahme “unseres” Hansa 1100 deutlich machen, welche nochmals die Perspektive verschiebt.

Darauf sehen wir nun einen wirklich großen Mann – in dessen Welt es jede Menge alltägliche Hindernisse gegeben haben muss, die andere gar nicht wahrnahmen:

Hansa 1100; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Man erkennt: Die Dinge stellen sich immer wieder neu dar, je nach dem, welche und wessen Perspektive man einnimmt.

Dass der Mensch aber auch in anderer Hinsicht als nur bei den Maßstäben für “Klein und Groß” nicht objektiv ist, das zeigt sich darin, dass Sie vielleicht an dem Riesen ganz rechts oder an dem fasziniert zu ihm aufschauenden Herrn ganz links hängenbleiben.

Ich dagegen bekenne mich dazu, dass mich das strahlende Lächeln der hier nun dunkel gekleideten jungen Frau vollkommen einnimmt, die uns bereits begegnet ist.

Sie trägt hier einen ausgesprochen typgerechten Hut – keck schräg, wie das ein ungeschriebenes, sich objektiver Maßstäbe entziehendes Gesetz will.

In meiner Welt stellt eine solche Erscheinung locker den schicksten Wagen in den Schatten, bei Ihnen mag das vielleicht anders sein – und beides hat seine Berechtigung.

Es gibt nicht nur eine Sicht auf die Welt, es gibt viele und so sehr das unsere universelle Erkenntnisfähigkeit beschränkt, so sehr bereichert sie den persönlichen Kosmos, in dem ein jeder von uns während der Spanne seines Daseins zuhause ist.

Wenn also nun ein großer Mann daherkommt und behauptet, er habe unstrittige und endgültige Wahrheiten im Angebot, er allein wisse, wo es lang geht und Gefolgschaft einfordert – dann entgegnet man besser: “Nein, der Mensch ist letzlich das Maß aller Dinge” und vertraut sich wieder seiner eigenen Sicht auf die Welt an und bleibt bei seinen Leisten.

Das Schicksal großer Helden ist nämlich hinlänglich bekannt…

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Ford, Fort oder was? Fahrt im Citroen 8 CV

Wem der Titel Rätsel aufgibt, hat es bereits erfasst: Es gibt ein Problem zu lösen, an dem ich gescheitert bin. Dabei habe ich heute genügend Lösungsmittel eingeatmet!

So galt es, einem alten Weinfass aus Frankreich, dessen Eichenholz in Ehren ergraut war, mit Öllasur einen schönen Palisanderton zu verpassen. Das Teil soll zwar nur als Regentonne am Carport dienen, aber auch funktionelle Dinge sollten dem Auge gefallen – die Welt ist an vielen Stellen hässlich – vor allem grau – genug.

Anschließend musste der Pinsel gereinigt werden – nach Gebrauch einfach wegwerfen widerstrebt mir auch bei Gegenständen ohne großen Wert. Dazu bedient sich auch der handwerklich dilettierende Schreibtischtäter fachgerecht chemischer Waffen.

Leider scheint mir der bei der Gelegenheit inhalierte Pinselreiniger keine höhere Inspiration verschafft zu haben – von daher bleibt es dabei: Ich konnte dieser Aufnahme nicht ihr Geheimnis entlocken!

Citroen 8CV, aufgenommen 1934; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Natürlich wirft der Wagen selbst keine großen Probleme auf – der recht steil im Wind stehende Kühler mit den beiden spitz zulaufenden Winkeln verrät: Das ist ein Citroen ab Ende 1932.

Damals brachte der französische Hersteller einen Nachfolger der 4- bzw. 6-Zylindertypen C4 und C6 heraus, welche ich schon öfters hier besprochen habe. Sie wurden auch im Kölner Werk gefertigt und in deutschen Landen gern gekauft.

Die drei Motorenvarianten wurden mit den französischen Steuer-PS bezeichnet – also 8 CV, 10 CV und 15 CV. Die Hubräume der beiden Vierzylinder betrugen 1,5 bzw. 1,8 Liter – der 2,7 messende Sechszylinder maß knapp 2,7 Liter.

Äußerlich waren diese Modelle praktisch identisch gestaltet, nur das Spitzenmodell besaß bauartbedingt eine längere Motorhaube – ein Reihensechser braucht nun einmal deutlich mehr Platz als ein Vierzylinder mit ähnlichem Bohrung/Hub-Verhältnis.

Vielleicht erinnern Sie sich an diesen Citroen 8CV aus deutscher Produktion, der damals hierzulande als Typ 1,4 Liter 6/30PS verkauft wurde – ich habe ihn hier vorgestellt:

Citroen 1,4 Liter 6/30 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der Aufnahmewinkel lässt den Wagen kompakter erscheinen als sein Pendant auf dem heute neu gezeigten Exemplar – ich meine aber, dass es sich in beiden Fällen um eine Vierfenster-Limousine des kleinen Typs 8CV handelt.

Interessanter finde ich ohnehin zwei andere Aspekte: Zum einen begrüßt der Ästhet in mir die Zweireiher-Jacketts der beiden Herren, welche nur bei schlanker Figur gut aussehen, weil dann die Schulterpartie gegenüber der Taille betont wird – genau das ist hier der (seltene) Fall:

Wer Gardemaß besitzt wie der Herr links, wirkt auch ohne Hut stattlich – das sorgfältig pomadierte Haar betont den schmalen und hohen Schädel.

Man möchte hier einen Mann von Welt mit Bildung, Geschmack und Manieren vermuten. Gewiss spielte er gut Klavier, denn wer Klavier spielen kann, hat Glück bei den Frauen – so pflegte mein Großonkel Ferdinand zu sagen, der mir einiges beigebracht hat.

Ebenso gefällt mir aber auch der kleinere Herr mit Fliege – nur ganz selten wirkt diese so stimmig wie hier. Der Hut sitzt leicht schräg, so muss das sein! Nichts ist öder als die Waagerechte, das gilt nicht nur für Automobilgestaltung.

Der Dame zwischen den beiden kann ich weniger abgewinnen, bei dieser Kopfform ist die gewählte Bedeckung desselben keine gute Idee. Ein ausladenderer Hut würde ihr besser zu Gesicht stehen, auch die modische Wellenfrisur ist bei ihr nicht ideal.

Dergleichen Betrachtungen haben ihren Reiz und wenn Sie ganz anderer Meinung sind, was diese Zeitgenossen des Citroen betrifft, nutzen Sie bitte die Kommentarfunktion (ich schalte alles frei, sofern es sich nicht um reinen Unsinn handelt).

Wo aber bleibt nun das “zum anderen”, welches ich als interessant ankündigte? Das werden die in dieser Hinsicht zurecht strengen Leser unter Ihnen fragen. Nun, das kann ich gleich nachliefern, und zwar in Form der Rückseite des heute gezeigten Fotos:

Was lesen Sie hier? Ich tue mich schwer damit. Das zweite Wort nach “In” scheint “Ford” zu sein, aber was soll “Ford de l’Eau” sein?

Immerhin gibt es ein “Fort de l’Eau” in Form einer Küstenfestung im einst französischen Algerien, heute zu finden in Burj-al-Kiffan, einer Vorstadt von Algier.

Könnte das Foto anno 1934 dort an der Strandpromenade entstanden sein? Denkbar, aber dann müsste etwas bei der Beschriftung schiefgelaufen sein:

“Ford” war sicher nicht gemeint, also eher “Fort” oder etwas ganz anderes?

Und wie hießen die beiden Personen, welche ebenfalls auf der Rückseite erwähnt sind? Waren es ein “Carlo” und ein “Majer”? Beides kommt mir merkwürdig vor.

Sie sehen: Offenbar hat das heute eingeatmete Lösungsmittel nicht den erhofften Effekt gezeitigt, was das lässige Knacken solcher Nüsse angeht.

Zum Glück gibt es Leser, die in solchen Fällen zu großer Form auflaufen. Also hoffe ich auf Ihre Inspiration, wo die meine versagt.

Mein Kopf ist unterdessen bereits mit weiteren Novitäten aus alter Zeit befasst – es hat sich einiges an automobilem Material eingefunden, das Anlass zu mal unterhaltsamen, mal nachdenklichen Betrachtungen gibt…

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Weitere Variation mit 6-Zylindern: Wanderer W 240

Blickt man auf Etappen des eigenen Lebenswegs zurück, stellt man man irgendwann fest, dass die Zeit rast. Fast 12 Monate ist es her, dass ich die 6-Zylindertypen W21 bzw. W22 von Wanderer hier besprochen habe.

Das hat etwas Beklemmendes, aber es schafft auch Distanz zum täglich ventilierten Zeitgeschehen, welches oft ein Jahr später schon Geschichte ist und neuen Sensationsthemen gewichen ist.

Am Lauf der Dinge ändert der Einzelne nullkommanix, er ist daher gut beraten, sich aktuellen Aufforderungen zum “Haltung zeigen” unauffällig zu entziehen und sein privates Dasein so gut es geht zu bestreiten und dabei seinen Nächsten wohlwollend zu begegnen.

Die entschlossene Wanderung ins Private kann einen auf ganz unterschiedliche Pfade führen – wir praktizieren hier die gepflegte Bildungsreise in die automobile Vorkriegszeit.

Das hat den Charme, dass uns die damaligen Malaisen und Katastrophen nicht mehr betreffen – auch wenn gerade die Älteren noch einiges Ererbte jener Zeit mit sich schleppen.

Gleichzeitig können wir uns auf die schönen Dinge konzentrieren, die es ja in jeder noch so düsteren oder beladenen Epoche auch gegeben hat – der Mensch kann ohne ein Mindestmaß an erhebenden Momenten nicht sein.

Für mich zählen speziell die Automobile der 1930er Jahre zu den Dingen, die uneingeschränkte Bewunderung verdienen. Während damals ansonsten beinahe alles dem Abgrund entgegenraste, entstanden unzählige wunderbare Schöpfungen aus Blech.

Das galt nicht nur für solche grandiosen Manufakturwagen, welche von Meistern des Karosseriebaus in Frankreich, Italien, England und Deutschland kreiert wurden:

Delahaye 2-Fenster-Cabriolet auf Schloss Chantilly, September 2015; Bildrechte: Michael Schlenger

Auch viele Serienwagen erreichten eine gestalterische Klasse, die aus heutiger Sicht zum Niederknien ist.

Selbst eine bis Ende der 1920er Jahre in ästhetischer Hinsicht eher biedere Marke wie Wanderer baute um die Mitte der 1930er Jahre großartig aussehende Automobile, auch wenn sie in Sachen Motorisierung klar hinter dem Stand der Technik lagen.

Die gerade einmal 35 bzw. 40 PS leistenden Sechszylindertypen W21 und W22, welche von 1933 bis 1935 gebaut wurden, habe ich vor bald einem Jahr hier besprochen.

Zur Erinnerung ein Foto, das die wesentlichen Merkmale erkennen lässt:

Wanderer W 22 4-türige Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wir prägen uns an dieser Stelle folgende Dinge ein: Kotflügel ohne seitliche “Schürzen” (was damit gemeint ist, wird gleich deutlich), schüsselförmige Scheinwerfergehäuse, schrägstehende Kühlermaske mit v-förmig zulaufenden Leisten, zwei Reihen Luftschlitze.

Diese gut gestalteten, nicht gerade billigen, aber nur mit Mühe in die Nähe des damals aktuellen Autobahntempos von rund 100 km/h zu bringenden Wagen erhielten Anfang 1935 einen vor allem äußerlich überarbeiteten Nachfolger.

Diesen erkennt man (in der 2 Liter-Version mit 40 PS) an folgenden Details:

Seitlich weit nach unten reichende Vorderkotflügel, tropfenförmige Scheinwerfer, neu gestaltete Luftschlitze in nur einer statt zuvor zwei Reihen, Kühlermaske noch mit v-förmigen Zierleisten:

Wanderer W 240 4-türige Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Auch wenn es nerven mag, ist hier auf ein weiteres Detail hinzuweisen. Die äußerst zahlreichen Wanderer-Modelle der 1930er Jahre sind leider so ziemlich die am schwersten einzuordnenden deutschen Serienwagen.

So ist die leicht ansteigende Unterkante des Vorderkotflügels von Bedeutung. Unter anderem dieses Detail unterscheidet den Wanderer W240 nämlich von seinem optisch überarbeiteten, aber technisch weitgehend gleichen Nachfolger W40 von anno 1936.

Nur diese Information ist es, welche es erlaubt, folgenden Wanderer als W240 anzusprechen, der einst am Rhein vor dem Loreleyfelsen für Mit- und Nachwelt festgehalten wurde:

Wanderer W 240 4-türige Limousine; Originalfoto: Sammlung Jürgen Klein

Auf diesem schönen Dokument, das wir Leser Jürgen Klein verdanken, sind auch die nunmehr einreihigen Luftschlitze in der Motorhaube zu erkennen, welche es bei den Vorgängertypen W21 bzw. W22 noch nicht gab.

Ein hübsches Detail, das mir erst jetzt auffällt, während ich die Tastatur bearbeite und mich musikalisch von der Bach-Kantate BWV 51 verwöhnen lasse, ist die Chromhülle um das Reserverad am Heck des Wagens.

Das war entweder ein aufpreispflichtiges Extra oder ein im Handel erhältliches Zubehörteil – jedenfalls habe ich das so noch nirgends an einem Wanderer dieser Zeit gesehen.

Selbstredend gab es auch vom Wanderer des äußerlich modernisierten Typs 240 von Gläser (Dresden) gefertigte Ausführungen als 2-Fenster-Cabriolet (4-Fenster-Version: W250).

Meist findet man den Cabriolet-Aufbau mit heller Lackierung des Karosseriekörpers und dunkel abgesetzten Anbauteilen wie hier:

Wanderer W 240 2-Fenster-Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

So schön diese Aufnahme mit den beiden adretten Damen anmutet, verrät der Tarnüberzug auf den Frontscheinwerfern, dass dieses Foto nach dem Beginn des 2. Weltkriegs irgendwo in Deutschland aufgenommen wurde.

Während hier eitel Sonnenschein herrscht und man gern den beiden Fotomodellen mehr Aufmerksamkeit schenken würde, beklemmt der Gedanke, dass gleichzeitig die männliche Jugend in einen Krieg gegen mehrere Nachbarstaaten gehetzt wurde.

Gleichzeitig rollten Tag und Nacht die Güterzüge, in denen jüdische Mitbürger in Viehwaggons in Vernichtungslager gekarrt wurden – eine gigantische, fast bis Kriegsende laufende Logistikoperation, von der später niemand etwas mitbekommen haben will.

Das muss leider doch gesagt werden, wenn man diese Aufnahmen aus jenen Zeiten studiert. Bilder können eine starke Wirkung entfalten: Sie können uns im besten Sinn verführen, aber auch manipulieren, indem sie uns eine heile Welt vorgaukeln.

So hat mich am Ende ungewollt die Geschichte doch noch eingeholt, verflixt. Leider geschehen in unseren Tagen wieder Dinge, zunehmend auch in unseren Städten, deren verstörender Wirkung man sich doch nicht ganz entziehen kann..

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Herummäkeln zwecklos! DKW PS 600 Roadster

Die zwecklosen Dinge sind die Würze des Lebens, meine ich.

Ein früherer Vorgesetzter von mir fragte bei allen möglichen Gelegenheiten: “Ist das wirklich notwendig?” – Meine genervte Antwort war irgendwann, dass man mit der Notwendigkeit als Maßstab über kurz oder lang wieder in der Steinzeit landet.

Wer an Automobile – das teuerste Konsumgut für die meisten – ohne Not mit einer reinen Zweckbetrachtung herangeht, ist ein armer Tropf. Selbst ein praktischen Verwendungen dienendes Gefährt sollte gefällig daherkommen, gern auch etwas angeberisch.

Manche meinen zu wissen, wieviel(e) Auto(s) man braucht, wie groß es sein darf, was es verbrauchen soll usw. Diese Bevormunderei ist in Deutschland mit seiner Kontroll- und Neidkultur leider besonders ausgeprägt.

Doch was geht es andere an, wenn ich mir einen großen Spritsäufer mit V8 zulege, der völlig unzweckmäßig ist, wenn ich damit pro Jahr nur einige hundert Kilometer fahre?

Die automobile Realität sah und sieht für die breite Masse in Deutschland doch in Wahrheit prosaisch aus. Für angebliche Exzesse fehlt es den meisten am Spielgeld – “Vater” Staat muss vorrangig gemästet werden, das wollten die Deutschen schon immer so.

Die automobile Bescheidenheit sehe ich jeden Tag selbst hier im Speckgürtel von Frankfurt/Main. Fast alle Leute, die selbst dafür bezahlen müssen, fahren banale Gebrauchtwagen, überwiegend von günstigen Herstellern aus Asien oder Frankreich.

Neue deutsche “Premiumautos” sind die Domäne von Dienstwagenfahrern oder Möchtegerns, welche sich zwar keinen Wagen kaufen, aber leasen können. Beides war in der Vorkriegszeit weitgehend unbekannt, und ein Auto zu besitzen, war in Deutschland ein Privileg an sich.

Man kann sich kaum vorstellen, dass das erste DKW-Automobil – der simple Zweitakttyp P 15 PS von 1928 – seinerzeit einen exklusiven Besitz darstellte, den man mit Stolz präsentierte:

DKW Typ P 15 PS, 2-sitziges Cabriolet; Originalfoto: Volker Wissemann

So gefällig dieser Kleinwagen auch aussah, war er doch in technischer Hinsicht noch von nackter Notwendigkeit geprägt.

Der 600ccm messende Zweizylindermotor war aus einem Motorradaggregat abgeleitet, die Karosserie war zwar selbsttragend, aber weitgehend aus Holz.

Das wohl einzige Komfortmerkmal waren die mittig an der Vorderachse angebrachten Reibungsstoßdämpfer, die man auf dem Foto von Volker Wissemann gut erkennen kann.

Gestalterisch indessen – das muss man DKW lassen – war dieses Gefährt ausgesprochen gelungen, was übrigens auch für die späteren Modelle gilt. Von der ungeschlachten “Schwebeklasse” abgesehen, sah ein DKW stets mindestens eine Klasse besser aus, als es seinen Fahrleistungen entsprach.

Nicht ganz 5.000 Exemplare seines automobilen Erstlings P 15 PS brachte DKW in dreieinhalb Jahren (Juni 1928 bis Dezember 1931) an den Mann. Diese extrem niedrige Zahl für einen Kleinwagen kündet von der erschütternden Armut im Deutschland jener Zeit.

Und dennoch gab es auch damals eine Minderheit, der bei aller Ungemach der Sinn nach radikal Unvernünftigem stand – diese Leute verdienen unsere besondere Sympathie.

So bot DKW neben der 15 PS-Standardausführung eine um sagenhafte 3 Pferdestärken leistungsgesteigerte Sportversion an. Sie mögen jetzt lächeln, aber in Verbindung mit weniger Gewicht (ca. 500 kg) und echter Roadster-Optik war das schon ein Lichtblick.

Das als PS 600 firmierende Gerät wurde parallel zum P 15 PS in weit geringeren Stückzahlen gefertigt – ganze 500 Wagen entstanden bis 1931.

Nicht zufällig hat dieses unvernünftige Fahrzeug erstaunlich viele Spuren hinterlassen. Die eine oder andere Aufnahme habe ich über die Jahre bereits hier vorgestellt.

Erst vor kurzem stieß ich wieder auf ein Exemplar, und das in einem durch und durch bürgerlichen Umfeld, wo es ansonsten im Alltag eher zweckmäßig zuzugehen hatte:

DKW PS 600 Roadster; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Klar, hier haben wir es nicht gerade mit einer Arbeitersiedlung zu tun, die hohen Sprossenfenster deuten auf einen gewissen Wohlstand hin. Aber selbst so zweckmäßige Dinge wie einen Kühlschrank oder einen Staubsauger gab es auch dort noch meist nicht.

Wie kam da jemand auf die Idee, sich ausgerechnet so ein unvernünftiges Gefährt ohne jeden praktischen Nutzen vor die Tür zu stellen? Nun, weil es jemand wollte und vielleicht dafür bereit war, auf anderes zu verzichten oder etliche Extraschichten einzulegen.

Leider wissen wir nichts über den Besitzer dieses DKW PS 600 mit Zulassung in Herford (Westfalen). Immerhin konnte er seine Freundin, Schwester oder die charmante Nachbarin überreden, doch einmal auf dem Fahrersitz zu posieren.

Gar nicht so schlimm, dieses unpraktische Automobil, stellt man bei näherer Betrachtung fest:

Hier ist alles Herummäkeln zwecklos – den kleinen Sportwagen würde kaum jemand wieder aus der Garage schubsen, wenn sich einer der wenigen Überlebenden dorthin verirren würde.

Ohne solche Dinge, die einen über das rein Zweckmäßige erheben, sind wir einfach nur arme Wichte, die auf Erden freudlos ihre Zeit absitzen und ein Dasein als Sklaven vorgeblicher Notwendigkeiten führen…

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Eine Frau will nach oben: Renault um 1911

Vielleicht haben Sie schon einmal von “gläsernern Decken” gehört – eingebildeten (und daher unsichtbaren) Hindernissen, welche Frauen im 21. Jh. in unseren Gefilden davon abhalten, in hohe und gut bezahlte Positionen zu gelangen.

Böse Zungen behaupten, dass diese These bereits durch auffallend oft qualifikationsloses Politpersonal widerlegt wird. Aber dass wäre ja unvorstellbar, da doch schon bei einfachen Jobs hohe Anforderungen zu erfüllen sind, oder?

Bleiben wir bei den Verhältnissen in der freien Wirtschaft bzw. dem, was davon übrig ist. Niemand, wirklich niemand, der alle Sinne beisammen hat und es will, wird durch irgendwen oder irgendetwas davon abgehalten, Top-Qualifikationen in gefragten Berufsfeldern zu erlangen und einen Karriereweg bis in die obersten Etagen zu absolvieren.

Die Damen, welche dennoch anderes behaupten und sich von bösen Männern in patriarchalisch geführten Firmen kleingehalten sehen, können ja schlicht ihren eigenen Laden aufmachen und dort endlich Geschlechtergerechtigkeit praktizieren. Sicher wären dann die Chefetagen in der Autoindustrie oder der IT-Branche ganz anders besetzt, oder?

Damit wir uns recht verstehen: Tatsächlich meinte der Gesetzgeber hierzulande früher, mit absurden Vorschriften Frauen schon den Einstieg ins Berufsleben möglichst schwerzumachen. So mussten bis in die Nachkriegszeit verheiratete Frauen in Deutschland vor Aufnahme einer Berufstätigkeit eine Genehmigung des Ehemanns vorlegen.

Dass sich ein übergriffiger Staat in die persönliche Wahlfreiheit einmischt, ist also wahrlich nichts Neues – immerhin sind wenigstens diese Hürden später restlos abgebaut worden.

Zu Beginn meiner Berufstätigkeit im Finanzsektor zu Beginn der 1990er Jahre waren jedenfalls ehrgeizigen und fähigen Frauen längst keine Grenzen außer denen gesetzt, die sich selbst auferlegten.

Geht man weiter in die Vergangenheit zurück, waren die Verhältnisse grundlegend andere.

Bis zum 1. Weltkrieg war der Haushalt noch die Domäne der Weiblichkeit, weil irgendjemand diesen anspruchsvollen Job machen musste und die Männer dafür die körperlich noch fordernderen und oft hochriskanten übrigen Tätigkeiten übernahmen.

So äußerten viele Damen damals zwar den berechtigten Wunsch, ebenfalls das Wahlrecht zu erhalten – doch dass sie auch Zugang zu den “privilegierten” Männer-Arbeitsplätzen auf Segelschiffen oder Lokomotiven, im Bergbau oder in Stahlwerken, im Baugewerbe oder Chemiefabriken wünschten, ist nicht überliefert.

Man sieht: Nicht jede Ungleichverteilung in einer Gesellschaft war und ist zwanghaft als Ergebnis boshafter “Diskriminierung” zu werten.

Wie konnte aber eine Frau trotz aller Zwänge kurz nach der Jahrhundertwende nach oben gelangen? Nun, der einfachste Weg bestand darin, eine gute Partie zu machen.

Eine gute Partie auf’s Land erforderte nicht gleich den Gang zum Traualtar, sondern ließ sich damals bei den oberen Zehntausend bereits mit dem Automobil absovieren:

Renault Chauffeurlimousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die Damen kommen einem hier nicht sonderlich durch das Patriarchat beeinträchtigt vor, auch wenn sie sicher keinen Franc zum Haushaltseinkommen beitrugen – von einer eventuell opulenten Mitgift abgesehen.

Gut gefällt mir hier zweierlei: Zum einen die galante Geste des Herrn mit Zylinder, zum anderen die lässige und durchaus selbstbewusste Haltung des Herrn über die Zylinder, welche sich unter der Haube dieses Wagens verbargen:

Dieser junge Mann war “nur” der Chauffeur der Familie, aber zugleich hochgeschätzt für sein Können, weshalb er hier wie selbstverständlich mitposiert.

Betrieb und Wartung eines solchen frühen Automobils erforderten große Kompetenz und äußerste Disziplin – gute Umgangsformen waren weitere Voraussetzungen, bei deren Vorliegen ein weit über dem Durchschnitt abhängig Beschäftigter liegendes Salär winkte.

Was aber war das für ein Fahrzeug, dessen Aufbau man als Chauffeur-Limousine oder auch Außenlenker bezeichnen würde?

Den einzigen Hinweis liefert die eigentümliche Gestaltung der Motorhaube, welche erkennen lässt, dass dieser Wagen keinen Kühler an der Front, sondern hinter dem Antriebsaggregat besaß.

Diese Anordnung und die daraus resultierende Formgebung war Anfang des 20. Jh typisch für Renault-Wagen, wurde aber auch zeitweilig von etlichen anderen Herstellern übernommen – darunter der weitgehend vergessenen deutschen Marke Komnick.

Ein Detail lässt mich annehmen, dass wir es tatsächlich mit einem Renault zu tun haben. Dazu werfen Sie bitte noch einmal einen Blick auf die Radnabe auf dem vorherigen Foto und prägen sich deren Gestaltung ein.

Nicht immer, aber oft war diese Partie markentypisch ausgeführt – im Idealfall war der Herstellername auf der Nabenkappe eingeprägt. Das ist hier zwar nicht der Fall, doch der Vergleich mit dem Renault auf folgendem Foto macht die Sache klarer:

Renault Landaulet um 1911; Bildquelle: “Renault – L’Empire de Billancourt”, J. Borgé und N. Viasnoff, 1977, S. 94

Diese Aufnahme stammt aus dem Standardwerk von Borgé/Viasnoff zu Renault-Automobilen – nicht mehr ganz taufrisch, aber etwas Besseres liegt mir nicht vor.

Der dort abgebildete Renault – mit Aufbau als Landaulet – weist nicht nur dieselbe Gestaltung von Haube und Rädern auf, sondern besitzt auch bereits eine Art “Schwellerblech” bzw. einen ledernen Schutz zwischen Trittbrett und Chassisrahmen.

Das findet man erst bei Renaults ab etwa 1910/11, was einen ungefähren Datierungshinweis liefert. Die frühen Wagen der Marke sind nicht leicht nach Entstehungszeitpunkt und Motorisierung zu unterscheiden.

Uns interessiert heute ohnehin etwas anderes: Wie kam damals eine Dame der feinen Gesellschaft entgegen allen Hindernissen leichtfüßig nach oben?

Das verrät uns ein kleines Detail auf folgendem Bildausschnitt:

Welches Detail ich meine, das wird spätestens bei Betrachtung der zweiten Aufnahme desselben Renaults klar, die mich bereits seit längerem fasziniert.

Der Abzug ist im Original von hervorragender Qualität – ich habe ihn bloß etwas zu grob aufgelöst eingescannt. Jedenfalls ist es ein beeindruckendes Dokument, auf dem uns zumindest eine Person bereits bekannt – der sympathisch wirkende Chauffeur.

Daneben finden sich zwei hervorragend gekleidete Herren, die hier auf vorzügliche Weise posieren und sich zu inszenieren wussten.

In den Schatten gestellt werden sie indessen von einer imposanten Dame, welche es hier tatsächlich nach oben geschafft hat, was angesichts ihrer Kleidung gewiss einiges Geschick und vielleicht etwas Förderung durch einen ihr zugetanen Herren erforderte:

Renault Chauffeurlimousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Na, was meinen Sie? Dieses Frauenzimmer wirkt nicht gerade wie ein Mauerblümchen, das unbeachtet am Wegesrande sein bescheidenes Dasein fristet.

Nein, diese Dame strahlt eine enorme Selbstsicherheit aus, die auf eine herausgehobene gesellschaftliche Position schließen lässt. Vielleicht war sie eine vermögende Witwe, welche in Wahrheit die Sponsorin dieses Ausflugs und Besitzerin des Wagens war.

Auf jeden Fall macht sie nicht den Eindruck, dass sie den beiden Herren in irgendeiner Form untergeordnet gewesen wäre – was hätte sie wohl zu den angeblichen Hindernissen gesagt, die ihre Geschlechtsgenossinen über 100 Jahre später auf dem Weg nach oben aufhalten?

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Spurensuche: Beckmann-Automobile (Folge 4: 1905)

Die zweite Oktoberhälfte hat bereits begonnen und erstmals sind in meiner Heimatregion – der hessischen Wetterau – die Temperaturen nachts auf knapp über den Gefrierpunkt gefallen.

Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, das Nahen der kühlen Jahreszeit so lange zu ignorieren und ohne Jacke vor die Tür zu gehen, wie es noch mindestens 10 Grad sind. Doch dies lässt sich nun nicht mehr durchhalten, auch in der Werkstatt habe ich erstmals den Gasstrahler anwerfen müssen, da einem sonst die Kälte in die Knochen kriecht.

Im Haus wartet der im letzten Jahr vorausschauend installierte Kaminofen auf den ersten Betrieb – wohlig warme Winterabende vor glühenden Scheiten stehen in Aussicht.

Doch für’s Erste genügt noch die Gastherme, die ich nach 35 Jahren Betrieb – ebenfalls vorausschauend – ersetzt habe. An dieser Front herrscht nun Ruhe – komme da, was wolle.

Jetzt ist zwar die Kasse leer, doch dafür lässt sich der Blick wieder entspannt auf die erbaulichen Dinge im Leben richten – die nächste Folge meiner Beckmann-Spurensuche, die ich seit Juli 2023 zusammen mit dem Urenkel von Paul Beckmann – Christian Börner – unternehme.

Dank seiner Informationen und Dokumente lässt sich ein weit umfassenderes und in manchen Details präziseres Bild der Beckmann-Automobilproduktion im schlesischen Breslau zeichnen.

Damit soll keineswegs einer noch ausstehenden Gesamtdarstellung der Beckmann-Historie vorgegriffen werden, welche dereinst Buchformat annehmen könnte.

Vielmehr geht es darum, neues Interesse an dieser einst renommierten Firma zu wecken und Gleichgesinnte zu veranlassen, in ihren Archiven nach weiteren Beckmann-Relikten zu fahnden – seien es Fotos, Reklamen, Prospekte, Besprechungen oder auch Plaketten oder andere Fahrzeugteile.

Bislang waren wir auf unserer Spurensuche erst bis Anfang 1905 gelangt. Eigentlich könnte man jetzt wieder zwei, drei Jahre der Firmenhistorie zusammen abhandeln, doch 1905 war ein so bedeutendes Jahr für Beckmann, dass ich die heutige Folge darauf beschränken will.

Welche Zäsur das Jahr 1905 markiert, das wird deutlich, wenn man sich vor Augen ruft, mit was für Fahrzeugen Beckmann noch in dieses Jahr getreten war und mit was für Wagen man es beendete.

Hier werfen wir einen Blick in die Auslieferungshalle von Beckmann, in der 9 oder 10 auslieferungsbereite Autos der Typen XIV, XV, XVII und XVIII versammelt sind. Alle diese Modelle wurden bis 1905 gebaut – sie wirken überwiegend noch recht archaisch:

Beckmann-Auslieferungshalle, aufgenommen 1904/05; Fotoquelle: autopolska.eu (via Christian Börner)

Das Auto rechts hinten ist das modernste – wie an der Kühlerpartie zu erkennen ist, handelt es sich sehr wahrscheinlich um den 30 PS starken Typ XVIII.

Von dieser Gestaltungsweise sollte Beckmann noch im Lauf des Jahres 1905 Abschied nehmen. Adieu sagte man auch der bis dahin gängigen Chassis-Konstruktion aus miteinander verschraubten Rohren und ging zum klassischen Leiterrahmen über.

Von 1905 an verbaute Beckmann – vom 6,5 PS-Einzylinder- abgesehen auch nur noch selbstentwickelte Motoren, wie schon beim 1904 eingeführten Typ XVIII.

Die Vielzahl der angebotenen Aggregate lässt die folgende Reklame erkennen, die zugleich die entfesselte Schaffenskraft der Entwickler bei Beckmann illustriert:

Beckmann-Reklame von 1905; Original via Christian Börner

Die bemerkenswerte Motorenvielfalt kündet von den weitreichenden Ambitionen, mit denen Paul Beckmann am deutschen Markt auftrat. Es ist offensichtlich, dass man damit mehr als nur einen lokalen Bedarf stillen wollte – dazu später mehr.

Freilich gilt es zu bedenken, dass mehrere dieser Motoren weitgehend baugleich waren und sich nur im Hubraum unterschieden.

Eine weitere Erklärung könnte laut Christian Börner darin liegen, “dass mit bestimmten Motoren bzw. deren möglichen Leistungen geworben wurde und wenn sich genügend Kunden dafür fanden, wurde ein solcher Motor gebaut.  Da es damals noch keine Serienproduktion gab, bedurfte es keiner riesigen Investitionen für komplexe Fertigungsmaschinen. Interessierte sich kein Kunde dafür, verschwand so ein nie gebauter Motor wieder aus den Annoncen.”

Dies scheint auch bei besser dokumentierten frühen Autoherstellern so gehandhabt worden zu sein. Ähnliches galt übrigens für das Karosserieangebot: nicht alles, was man den Kunden an Aufbauten offerierte, wurde auch tatsächlich gefertigt.

Interessant ist daneben die Frage, ob die Erwähnung regionaler Vertriebspartner in Reklamen auch bedeutete, dass diese tatsächlich Beckmann-Wagen an den Mann brachten. Dies ist nach gegenwärtigem Stand schwer zu beantworten.

In der bis heute dürftigen (und heillos veralteten) Literatur über die zahlreichen deutschen Autohersteller aus der Zeit vor Mitte der 1920er Jahre findet sich die Vermutung, dass Beckmann nie mehr als regionale Bedeutung in Schlesien erlangte.

Mir kam diese Behauptung schon immer unplausibel vor – die Großstadt Breslau und Schlesien allgemein waren auf vielfältige Weise mit der Reichshauptstadt Berlin verbunden – verkehrstechnisch, handelsmäßig und sehr oft auch ganz persönlich, wie ich aus der Familiengeschichte meiner in Liegnitz gebürtigen Mutter weiß.

Dass in Berlin als Hauptabsatzmarkt für Automobile keine Beckmann-Wagen gefahren sein sollen, ist schon von daher völlig abwegig. Tatsächlich machte die Firma dort gute Geschäfte mit Droschken beispielsweise, so Christian Börner.

Doch war Beckmann als Automarke auch in anderen bedeutenden Regionen des Deutschen Reichs vertreten. Das von Pommern bis an den Rhein reichende Vertriebsgebiet macht die folgende Reklame von 1905 anschaulich:

Beckmann-Reklame von 1905; Original via Christian Börner

Vor diesem Hintergrund möchte ich meinen Aufruf erneuern, weitere Dokumente zu Beckmann-Automobilen in digitaler Form einzureichen, damit sich das Bild dieser Marke vervollständigen und schärfen lässt.

Das gewachsene Selbstbewusstsein von Beckmann als hervorragender Automobilhersteller schlug sich nicht zuletzt im 1905 geänderten Erscheinungsbild der Kühlerpartie nieder. Nicht nur erhielten die Wagen einen ansprechend gestaltes Kühlergehäuse, sie trugen nun erstmals auch das Beckmann-Firmenemblem an der Front.

Beides ist gut auf der folgenden Aufnahme des Beckmann-Stands auf der Internationalen Automobil-Ausstellung in der Berlin 1905 zu erkennen:

Beckmann-Stand auf der IAA 1905; Abbildung aus Sammlung Christian Börner (Pinneberg)

Dass Beckmann einen Platz im gehobene Segment des deutschen Automobilmarkts beanspruchte, wird nicht zuletzt daran deutlich, dass 1905 ein neues Spitzenmodell für das Folgejahr konstruiert wurde, welches nunmehr 40 PS leistete.

Was Beckmann mit diesem 40 PS-Typ in den Jahren 1906 und 1907 publikumswirksam anstellte, das ist so spannend, dass es eine eigene Betrachtung in der nächsten Folge unserer Spurensuche verdient.

Hier als kleiner Vorgeschmack eine Seitenansicht dieses 8,6 Liter-Giganten:

Beckmann 40 PS-Typ von 1906; Abbildung via Christian Börner (Pinneberg)

Mitte November gibt es das Gerät dann aus vorteilhafterer Perspektive zu bestaunen – und zwar mit Firmenchef Paul Beckmann höchstselbst am Steuer!

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Wo bleibt das Positiv(e)? Ein Lancia “Astura”!

Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten – das war schon früh das Motto der Zeitungsleute, später haben sich die Fernsehfritzen als würdige Nachfolger erwiesen.

Im Internetzeitalter kommen zwei Dinge hinzu: Erstens ist es so leicht wie nie, Bilder und Berichte von Kriegen und Katastrophen aus aller Welt zu servieren. Und zweitens lassen sich die seit dem Ersten Weltkrieg erprobten Mittel der Propaganda auf immer raffiniertere Weise in den Alltag der Leute schmuggeln.

Die Techniken der Manipulation – Stichworte: Framing, Nudging und das besonders perfide Gaslighting – werden von interessierter Seite auf immer mehr Lebensbereiche angewandt. Einen großangelegten Feldversuch gab es vor nicht allzulanger Zeit, viele haben ihn leider erst im nachhinein oder gar nicht bemerkt.

Das ständige Füttern mit schlechten Nachrichten, das Schüren von Ängsten, das Zeichnen von Untergangsszenarien erklärt nach meiner Auffassung als Hobby-Psychologe eine zunehmend zu beobachtende Zermürbung, Zerrüttung und Ermüdung.

Dem lässt sich freilich etwas entgegensetzen, nämlich die Verweigerung manipulativer Medienangebote und die bewusste Auseinandersetzung mit den schönen und großartigen Dingen, die es ja auch gibt bzw. gab.

Dem von außen auferlegten Kult des Negativen und der über kurz oder lang damit einhergehenden Ermattung und Verzweiflung gilt es zu entrinnen – indem man in seinem Alltag dem Positiven die Hauptrolle gönnt.

Eine Anleitung, wie man aus der Negativsicht auf die Welt eine Positiverfahrung macht, das will ich heute vorführen. Sie vermuten völlig richtig, dass ich das anhand eines alten Automobilfotos tun werde.

Wer noch die gute alte Analogfotografie praktiziert hat, der weiß, dass auch die erbaulichste Aufnahme ihren Anfang unweigerlich in einem Negativbild nimmt. Das musste so sein, weil beim Belichten des verwendeten Films unterschiedlich helle Partien des Motivs genau umgekehrt festgehalten werden, wie wir sie wahrnehmen.

Das Ergebnis ist oft verstörend, doch zum Glück lässt sich aus jedem Negativ anschließend ein positives Konterfei fabrizieren. Probieren wir es einfach anhand dieses Fundstücks:

Lancia Astura; originales Negativ aus Sammlung Michael Schlenger

Tatsächlich war es um die Qualität dieses alten Negativs weit schlechter bestellt, als es obige Version ahnen lässt. Belichtung und Kontrast ließen arg zu wünschen übrig.

Trotzdem erwarb ich das alte Dokument im achtbaren Format 9×6 cm, da ich neben dem 50er Jahre-Omnibus schemenhaft ein Auto der 1930er Jahre registrierte.

Zwar habe ich bei obiger Wiedergabe des Negativs schon kräftig nachgeholfen, dennoch bin ich sicher, dass Sie die große Limousine nicht auf Anhieb identifizieren können.

Ein wenig erinnerte der Wagen an die BMW-Modelle 326, 327 und 328, was an sich schon ein hübsches Ergebnis wäre. Die weitere Auseinandersetzung sollte aber eine noch positivere Überraschung zeitigen.

Lassen wir also das Negativ(e) hinter uns und beschränken uns im Folgenden ganz auf die Positivsicht dieser leicht verwackelt festgehaltenen Situation:

Lancia Astura; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Na, sieht die Welt hier nicht gleich viel freundlicher und einladender aus?

Die Schirmpinien lassen einen an Italien als Aufnahmeort denken – schon deshalb ist das Gemüt spontan heiter gestimmt. Der Omnibus am rechten Bildrand – ich tippe hier auf einen Fiat – könnte die Dame und ihren Fotografen auf einer Reise im Süden transportiert haben.

Der Ort lässt sich nicht näher eingrenzen – im Hintergrund sieht man bloß eine leicht ansteigende Straße, auf der rechts neben der Dame mit etwas gutem Willen eine Vespa zu erkennen ist.

Unser Interesse gilt aber natürlich der großzügigen Limousine mit schrägstehendem Kühler, sehr großen Radkappen auf Lochfelgen und ungewöhnlich gestalteten Luftauslässen in der Motorhaube.

Zunächst dachte ich an ein US-Fabrikat der zweiten Hälfte der 1930er Jahre und ging die bekanntesten Marken durch – Fehlanzeige. Doch dann brachte mich irgendetwas an der Linienführung dazu, es mit dem italienischen Hersteller Lancia zu versuchen.

Und obwohl von den Oberklassemodellen dieses Fabrikats in den 30ern kaum ein Wagen aussah wie der andere, wurde ich beim Achtzylindermodell “Astura” von 1936 fündig.

Der Entwurf zu diesem Fahrzeug stammte zwar von 1931, doch der feine V8-Motor mit obenliegender Nockenwelle und anfänglich gut 70, später 80 PS war auch einige Jahre später noch auf der Höhe der Zeit.

Mit Spitzengeschwindigkeiten zwischen 120 und 130 km/h war der Lancia “Astura” ideal geeignet für die italienischen Autobahnen, von denen die erste bereits in den 1920er Jahren entstanden war.

Die Aufbauten kamen meist von renommierten Carossiers wie Pinin Farina und waren speziell bei den Coupés und Cabriolets von großer Eleganz.

Der “Astura” auf unserem Negativ-Beispiel war zwar nur eine Limousine, aber dafür bietet er das Positive, dass ein weitgehend übereinstimmendes Exemplar mit Pinin Farina-Aufbau noch existiert, nämlich im faszinierenden Museum Nicolis bei Verona:

Lancia “Astura” Berlina Gran Sport von 1936; Originalfoto: Museo Nicolis

Wenn Sie dieses Positiv-Erlebniss vertiefen wollen, dann können Sie das in der 43 Fotos umfassenden Bildergalerie dieses speziellen Exemplars tun.

Dort macht man intensive Bekanntschaft mit der großartigen Ästhetik dieser an Krisen und sich anbahnenden Katastrophen so reichen Zeit.

Man kann sich dabei in der Betrachtung eines Haubenfeststellers oder Aschenbechers beispielsweise verlieren. Diese gestalterische Qualität wurde später nie wieder erreicht und verdeutlicht, weshalb Vorkriegswagen so speziell sind.

Auch wenn man der Ansicht ist, dass die Gegenwart in dieser Hinsicht kaum noch etwas zu bieten hat, wollen wir uns einer Negativsicht verweigern und stattdessen dem Positiven an unserer Zeit huldigen – nämlich dass diese herrlichen Schöpfungen und viele schöne andere Dinge von Menschenhand uns heute so leicht zugänglich sind wie nie zuvor.

An den Schattenseiten können wir meist wenig ändern – sich einseitig damit zu befassen, macht düster, depressiv und destruktiv. Fragen wir also bei allen/m Negativen also immer auch: Wo ist das Positiv(e)?

Im Zweifelsfall finden Sie hier in meinem Blog das Gegenbild, die Ablenkung und Erbauung, die man braucht, um sich nicht verrückt machen zu lassen…

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Sieg nach Punkten: Adler Standard 6 vs. NSU 6/30 PS

Heute las ich einen Artikel über die altehrwürdigen “Bundesjugendspiele”, welche schon zu meiner Grundschulzeit in den 1970er Jahren abgehalten wurden. Darin hieß es, dass man die Ergebnisse der Teilnehmer beim Laufen, Springen, Werfen usw. nicht mehr genau festhalte, denn “Kinder können nichts mit diesen absoluten Zahlen anfangen”.

Das glaube ich in Zeiten des “Schreibens nach Gehör” und anderer Experimente an den wehrlosen Grundschülern sogar. Exaktes Rechnen und Vergleichen kann ja auch zu unschönen Erkenntnissen führen – davor muss die Jugend unbedingt geschützt werden.

Nun gehöre ich jedoch einer Generation an, die noch Schlimmes erlitten hat, was den Umgang mit Zahlen betrifft – ich musste sogar einen Beruf daraus machen: erst als Kaufmann, dann als Volkswirt (mit dem gefürchteten großen Statistikschein…).

Von daher kann ich nichts dafür, wenn ich heute den braven Sechszylindertyp 6/30 PS von NSU aus dem Jahr 1928 einem unbarmherzigen Vergleich mit dem 1927 eingeführten Adler Standard 6 unterziehe.

Wie kann ich nur so grausam sein – der NSU hat doch von vornherein keine Chance, oder? Nun, dass ich ihn gegen der Adler antreten lassen, das hat er sich selbst zuzuschreiben, denn rein äußerlich tat er ganz schön groß:

NSU 6/30 PS Limousine von 1928; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Mit über vier Metern Gesamtlänge und geräumiger Sechsfenster-Karosserie will dieser Wagen offenbar hoch hinaus. Dazu passend hat ihm NSU einst den ersten selbstkonstruierten Sechszylindermotor verpasst.

Ende der 1920er Jahre war ein Sechszylinder die Voraussetzung dafür, einigermaßen mit der erdrückenden Konkurrenz der preiswerten und gut ausgestatteten US-Importmodelle mithalten zu können, auf die zeitweise rund ein Drittel des deutschen Markts entfiel.

Nun mögen Sie denken, dass NSU mit diesem bieder anmutenden und schwach motorisierten Gefährt von vornherein chancenlos war. Dabei war die Tourenwagenversion durchaus gelungen, nicht wahr?

NSU 6/30 PS Tourenwagen von 1928; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

In der Tat kommt hier der von italienischen Modellen inspirierte Kühler mit klassischer Silhouette gut zur Geltung – so aufgenommen, wirkt das Gefährt beinahe sportlich.

Allerdings war der gerade einmal 1,6 Liter messende Motor mit seinen 30 PS Spitzenleistung zwar kultiviert, aber wenig durchzugsstark. 80 km/h waren damit maximal drin – genug für die Landstraße, aber für gebirgiges Terrain war der kompakte Antrieb nicht ideal.

Dennoch meinte man bei NSU, dem Chassis auch einen großen geschlossenen Aufbau verpassen zu müssen – und zwar genau denselben, den die Berliner Karosseriefabrik Ambi-Budd unter anderem an die Adler-Werke in Frankfurt am Main lieferte.

Prägen Sie sich bitte die Details des Aufbaus des NSU ein – speziell die Anordnung der seitlichen Zierleisten und Türscharniere:

Bei der Gelegenheit sei auch auf die kleinen Radkappen mit den nur vier Bolzen verwiesen, wie man das sonst eher an Kleinwagen fand.

Jetzt unternehmen wir einen großen Sprung, obwohl sich an Radstand und Wagenlänge kaum etwas tut – dafür aber unter der Haube und vor allem in stilistischer Hinsicht.

Dazu wenden wir uns einer “neuen” Aufnahme eines alten Bekannten zu – des Adler “Standard 6” aus Frankfurt am Main.

Wir hatten diesen Wagen bereits einige Male zu Gast – wie auch sein Vierzylinder-Pendant “Favorit” – beide gehörten zu den meistverkauften deutschen Mittelklassewagen ihrer Zeit.

Nun aber zum “Standard 6” – hier anhand eines Fotos von Leser Matthias Schmidt (Dresden):

Adler “Standard 6”; Originalfoto: Matthias Schmidt (Dresden)

Obwohl dieser Wagen praktisch dieselben Abmessungen hat wie der NSU und mit identischem Limousinenaufbau von Ambi-Budd daherkam, spielte er in einer anderen Liga.

Das betrifft zum einen die weit raffiniertere, an US-Vorbildern orientierte Kühler- und Haubenpartie. Allein die Kühlerfigur und die Scheinwerferstange mit einer “6” in einer Raute machen mächtig etwas her. Die Gestaltung der Räder verweist ebenfalls auf die gehobene Klasse des Wagens.

Die eigentliche Stärke lag jedoch im Verborgenen. Hinter den Rädern arbeiteten unauffällig vier hydraulische Bremsen – die ersten an einem deutschen Serienwagen. Und unter der Motorhaube fand sich ein Sechszylinder, der mit 2,5 Litern Hubraum und 45 PS das Mehr an Elastzität und Spitzenleistung bot, welches man beim NSU vermisste.

Der kleine Sechszylinder aus Heilbronn mit den äußerlich großen Ambitionen krankte zudem an einer veralteten Kühlung (Thermo-Siphon-Prinzip) und anderen Malaisen, welche erst die Ingenieure von Fiat behoben, nachdem die Turiner die Autofabrikation von NSU 1929 übernommen hatten.

So musste sich der NSU-Sechszylinder dem Adler letztlich klar nach Punkten geschlagen geben – aber auch gestalterisch war er kaum konkurrenzfähig. Nur beim Preis von 6.600 Mark (für die Limousine) hatte er die Nase vorn (Adler: 7.700 Mark).

Allerdings waren dies ohnehin Sphären, in die sich damals kein Durchschnittsverdiener verirrte. Nur wenige Betuchte konnten sich in Deutschland überhaupt ein Automobil leisten – meist reichte es bei Otto-Normalverbraucher nur für ein Fahrrad.

Von daher irritiert es ein wenig, dass NSU sich so gar keine Mühe gab, wenigstens mit etwas Zierrat um die anspruchsvolle Kundschaft zu buhlen.

Aber so ist das im Leben – am Ende kann nicht jeder Sieger sein. Womit wir wieder zurück bei den eingangs erwähnten Bundesjugendspielen wären. Ich weiß es noch genau: Neun Jahre alt war ich im Jahr 1978 und erhielt eine Urkunde, auf der stand: “Zweiter Sieger”.

Dieser offenkundige Unfug hat mich damals so irritiert, dass ich den Moment bis heute in Erinnerung behalten habe. Der fatale Feldzug gegen das Leistungsethos hierzulande hat tatsächlich schon viel früher begonnen, als man es gemeinhin denkt…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Treu, auch wenn’s ernst wird: Presto Typ D 9/30 PS

Ob auf einen alten Freund Verlass ist, das zeigt sich in dem Moment, wenn’s ernst wird. Wer einem auch dann treu zur Seite steht, der hat wahrlich unsere Zuneigung verdient.

So verhält es sich auch mit einem meiner ältesten Freunde auf vier Rädern – dem Typ D 9/30 PS aus dem Presto-Werk im sächsischen Chemnitz. Er gehörte zu den meistgebauten deutschen Wagen der ersten Hälfte der 1920er Jahre – neben dem Brennabor Typ P 8/24 PS, dem NAG C4 10/30 PS und dem Protos Typ C 10/30 PS.

Von diesen hebt er sich mit seiner besonders schnittigen Linienführung ab, welche in erster Linie dem scharfkantigen Spitzkühler und den ebenfalls spitz zulaufenden Vorderkotflügeln zu verdanken ist:

Presto Typ D 9/30 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Auch wenn der Presto wie nahezu alle deutschen Serienwagen technisch nur bewährten Standard bot – der Fortschritt fand nach dem 1. Weltkrieg lange Zeit außerhalb deutschen Landen statt – gehört er aufgrund seiner Ästhetik zu meinen Favoriten.

Aufgrund der achtbaren Stückzahlen haben sich in meiner Presto-Galerie inzwischen über dreißig Originalfotos dieses Typs eingefunden. Darunter befinden sich etliche Exemplare mit Spezialkarosserien, die aber stets alle modelltypischen Elemente aufweisen.

Wer nun meint, dass man von so einem über die Jahre ans Herz gewachsenen Freund bereits alle Seiten kennt, der darf im Fall des Presto Typ D 9/30 PS immer noch mit Überraschungen rechnen – und die sind stets erfreulich.

Beginnen wir die Betrachtung zum Aufwärmen mit einer konventionellen Ansicht des Wagens, welche ich noch nicht vorgestellt habe:

Presto Typ D 9/30 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir die gängigste Ausführung als Tourenwagen mit ungefüttertem Verdeck, aber mit Platz für sieben Insassen. Das Studium derselben will ich mir heute sparen, denn dann käme ich vermutlich nie zum eigentlichen Punkt.

Vielleicht nehmen Sie sich aber selbst ein wenig Zeit, um die “Besatzungsmitglieder” ein wenig kennenzulernen – es sind ja einige sympathisch wirkende Individuen dabei.

Wichtiger für den weiteren Verlauf ist indessen, dass auch aus dieser Perspektive typische Gestaltungselemente des Presto Typ D 9/30 PS zu sehen sind.

Da wäre zum einen der gerade Verlauf des Vorderkotflügels zum Trittbrett hin, zum anderen die sechs nach innen eingepressten “Kiemen” in der Motorhaube, welche der Entlüftung des “Maschinenraums” dienen.

Zusammen mit der bereits beschriebenen Frontpartie wären das die modellspezifischen Eigenheiten – alles übrige war in keiner Weise der Marke oder gar dem Typ vorbehalten. Die Grundform fand sich so bei praktisch allen deutschen Tourern der frühen 1920er Jahre.

Presto blieb sich während der gesamten Bauzeit des Typs D 9/30 PS treu – es gab kaum nennenswerten Veränderungen. So meint man bald, diesen alten Freund in allen seinen Facetten zu kennen.

Doch was, wenn man die gewohnten Gefilde verlässt und man in Lebenslagen gerät, in denen es ernst wird? Kann man dem Presto dann auch ganz vertrauen? Oder erweist er sich als launischer Geselle, der sich nur im Alltag bewährt, sonst aber das Weite sucht?

Nun, anhand von zwei “neuen” Aufnahmen kann ich zeigen, dass auf den Presto auch in den außergewöhnlichen Momenten des Lebens ganz Verlass war, in denen es um unverbrüchliche Treue und stete Einsatzbereitschaft in allen Lagen geht.

Das erste Beispiel zeigt einen Presto Typ D 9/30 PS in einer Ausführung, die mir so noch nicht begegnet ist. Er erweist sich hier als würdiger Begleiter an einem großen Tag, an dem es etwas zu feiern gibt, an dem es aber auch – richtig verstanden – durchaus ernst wird:

Presto Typ D 9/30 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Sie werden den Wagen trotz des spektakulären Aufbaus gewiss rasch als weiteren Presto des Typs D 9/30 PS identifiziert haben, bevor Sie sich wieder den beiden künftigen Eheleuten zuwenden.

Nebenbei: Angesichts der Tatsache, dass jede zweite Ehe geschieden wird, war ich früh der Auffassung, dass eine echte Partnerschaft ein zuverlässigeres Band braucht als ein einmaliges Ja-Wort vor dem Pfarrer oder Standesbeamten – nämlich die tägliche liebevolle Erneuerung eines unausgesprochenen Bundes im Alltag.

Ob sich das Eheversprechen im Fall dieses Paares als haltbar erwiesen hat, wissen wir zwar nicht. Doch hat die Erinnerung daran in Form dieses Dokuments die Zeiten überdauert. Bald 100 Jahre dürfte das her sein, nach menschlichen Maßstäben eine kleine Ewigkeit.

Damals wie heute gab es freilich weitere Lebenslagen, in denen es ernst – ja brenzlig – werden konnte und das im wörtlichen Sinne.

Wenn irgendwo etwas anzubrennen oder gar abzubrennen droht, auch dann ist ein treuer Partner gefragt, der “presto” zur Stelle ist und der Situation angemessen zu handeln versteht.

Solche treuen Freunde, deren Wert sich in der Stunde der Not zeigt, das waren und sind unsere Feuerwehrleute! Ihnen gebührt unsere Sympathie und Dankbarkeit in einer Weise wie vielleicht keiner anderen Berufsgruppe.

Gewiss, solange alles im Lot ist im Leben, gilt unsere Bewunderung vor allem den Vertretern der schönen Künste, dann schenken wir der Bedienung beim Bäcker oder an der Tankstelle gern ein Lächeln, grüßen freundlich den Postboten – jedenfalls sollten wir das tun.

Wenn aber einmal die Hütte brennt, stellt sich der Ernst des Lebens plötzlich in aller Härte ein – dann sind andere, handfeste Qualitäten gefragt als Formvollendung und Höflichkeit.

Wenn es darauf ankommt, ist mit einem Mal die von Schöngeistern gern geringgeschätzte Technik unser treuster Freund. Mit den ernst zupackenden Männer, die sie bedienen, besteigen plötzlich echte Helden die Bühne des Lebens.

Nach dieser notwendigen Lobpreisung unserer Feuerwehren muss ich nun wieder die Kurve zum Presto Typ D 9/30 PS bekommen.

Dass mir das gelingt, verdanke ich Alexander Güntner, der mir das folgende Foto aus dem Archiv der Feuerwehr Ulm mit der Genehmigung zur Wiedergabe zukommen ließ:

Presto Typ D 9/30 PS; Originalfoto: Archiv der Feuerwehr Ulm

Wie bereits vom Einsender vermutet, haben wir es auch hier mit einem Presto des Typs D 9/30 PS zu tun.

Zwar handelt es sich “nur” um den gängigen Tourenwagen, doch hier geht es nicht um eine unbeschwerte Ausfahrt. Vielmehr diente der Wagen einem ernsthaften Zweck – nämlich, die angehängte Motorspritze zum Einsatzort zu bringen, an dem es gerade “heiß” herging und es Leben und Behausung zu retten galt.

Viel ernster kann es im Leben kaum zugehen – und dann wünscht man sich einen alten Freund, auf dessen Treue man unbedingt zählen kann.

Dieser Presto D 9/30 PS, welcher einst vor der Ulmer Stadtmauer abgelichtet wurde, ließ diejenigen nicht im Stich, die auf ihn angewiesen waren, da bin ich sicher…

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Gab’s doch gar nicht, oder? Horch “460” Sport-Cabriolet

Eine intensive Arbeitswoche liegt hinter mir – als Solo-Selbständiger muss man nacharbeiten, was sich während des Urlaubs angesammelt hat. Dass einen die Kunden brauchen, ist freilich ein gutes Gefühl, das einen für die eine oder andere Sitzung am Rechner kompensiert.

Nun ist Wochenende und die noch vorhandene Energie wendet sich vom Broterwerb anderen Aktivitäten zu, die einem zwar keiner bezahlt, aber deren Wert in ihnen selbst liegt.

So hat der große alte Maronenbaum ganz hinten im Garten begonnen, seine Früchte abzuwerfen. Ein Teil davon fällt auf den Fußweg neben dem Grundstück, der von Schulkindern, aber auch Nachbarn genutzt wird, die dort mit dem Hund entlanggehen.

Da gilt es jeden Tag, die stachligen Kastanienhüllen einzusammeln, neben dem Abfall, welchen die umweltbewegte Jugend dort ganzjährig fallenlässt. Noch befriedigender war der abendliche Einkauf zwei Orte weiter – angesichts des schönen Wetters mit dem Fahrrad.

Jemand musste den Leuten die Anweisung gegeben haben, dass man im Oktober mit Pullover und Jacke vor die Tür gehen muss – so kam ich mir mit Polohemd merkwürdig vor, als ich bei tiefstehenden Sonne den Radweg durch das Wettertal entlangsauste.

Was andere tun, denken oder meinen, das soll das eigene Urteil nicht beeinflussen – das ist eine der Maximen, die ich meiner Erziehung verdanke, und so halte ich mich für weitgehend immun, was den Herdentrieb angeht.

Man muss ja nicht automatisch richtig liegen, wenn man sich einen eigenen Reim aus den Dingen macht – wobei das speziell in den herausfordernden Jahren von 2020-2022 schon hilfreich war. Oft genug gewinnt man so ein anderes Bild der Welt.

Auch bei der Beschäftigung mit historischen Automobilen – vor allem der Vorkriegszeit – erweist es sich immer wieder als nützlich, nichts zu glauben, alles zu prüfen, und selbst zu denken, wie sich das Programm der Aufklärung zusammenfassen lässt.

Erproben wir das einmal bei einem Objekt, welches auf den ersten Blick ein klarer Fall zu sein scheint, aber sich bei kritischer Betrachtung der konventionellen Einordnung entzieht:

Horch “Sport-Cabriolet”; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Die großgewachsene und schlanke Dame neben diesem offenbar zweitürigen Cabriolet lässt den Wagen kleiner erscheinen, als er tatsächlich war.

Wer mit scharfem Auge und Sachkenntnis ausgestattet ist, erspäht ein “H” auf dem Kühlergehäuse, registriert die Gestaltung von Kühlerfigur und Radkappen und weiß: das muss ein Horch sein!

Daran kann kein Zweifel bestehen – die sächsische Luxusmanufaktur baute ab Mitte der 1920er Jahre zwar stark von US-Vorbildern geprägte Wagen, doch im Detail waren diese Horch-Automobile unverwechselbar.

Was fällt hier noch ins Auge? Nun, da wäre vor allem die doppelte Reihe an Luftschlitzen in der Motorhaube, aber auch die massive einteilige Stoßstange.

Wie gehen diese beiden Elemente zusammen? Lässt sich daran erkennen, mit welchem Horch-Typ genau wir es zu tun haben?

Das ist das Problem, vor dem wir heute stehen, und das sich meines Erachtens nicht lösen lässt, ohne ein neues Horch-Modell zu erfinden – den nirgends dokumentierten Typ 460!

Schauen wir aber erst einmal, was die Horch-Galerie an Familienähnlichkeit hergibt.

Da wäre zunächst der Horch 420 zu nennen, welcher die erstmals 1931 auftauchenden zwei übereinanderliegenden Reihen Luftschlitze besaß – hier am Beispiel einer Pullman-Limousine:

Horch 420 PUllman-Limousine: Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Diese eindrucksvolle Aufnahme verdanken wir Leser Klaas Dierks, einer derjenigen, die uns immer wieder an den Schätzen aus über Jahre aufgebauten Sammlungen teilhaben lassen.

Sie sehen: Hier kommen Sie in doppelter Hinsicht auf Ihre Kosten – nicht nur stelle ich Ihnen meine Arbeit als Blogger nicht in Rechnung, auch meine geschätzten “Lieferanten” tun dies nicht. Es gibt sie noch, die guten Dinge, das soll an dieser Stelle festgehalten sein.

Die Frontpartie des Horch auf dem obigen Foto stimmt bis auf ein Detail mit derjenigen des zuvor gezeigten Sport-Cabriolets überein. Nur die zweigeteilte statt einteilige Stoßstange unterscheiden die beiden Ausführungen.

Was will uns das sagen? Nun, beide besaßen denselben, 90 PS leistenden Achtzylindermotor mit komplexer Ventilsteuerung (OHC) und 4,5 Litern Hubraum. Der wurde neben dem erwähnten Typ 420 auch im parallel angebotenen 450 angeboten, der allerdings über einen längeren Radstand verfügte.

Auch dieser Horch 450 besaß jedoch weiterhin die zweigeteilte Vorderstoßstange wie der Typ 420. Nur die parallel angebotene Ausführung als Sport-Cabriolet – der Horch 470 – besaß eine einteilige Stoßstange wie der Wagen auf dem Foto von Matthias Schmidt:

Dummerweise zeichneten sich die zweitürigen Horch-Sport-Cabriolets aber durch eine bis zur Windschutzscheibe reichende Motorhaube aus.

Das ergibt sich jedenfalls aus dem Studium des Standardwerks “Horch – Typen, Technik, Modelle” von P. Kirchberg/J. Pönisch, Verlag Delius-Klasing, 2011.

Eine bessere Gesamtschau der Horch-Vorkriegswagen wird man schwerlich finden, aber selbst eine solche von hervorragenden Kennern erstellte Abhandlung kann nicht jede Variante zeigen, die es in der an Spezialmodellen so reichen Horch-Geschichte gab.

Werfen wir zunächst noch einen Blick auf ein Horch-Sport-Cabriolet, wie es sich zwischen 1931 und 1933 typischerweise darstellte – nämlich mit bis an die Frontscheibe durchgehender Motorhaube:

Horch 8 Typ 470 oder 480 Sport-Cabriolet, Bauzeit: 1931-32; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Was ist nun von dem Horch Sport-Cabriolet auf dem Foto von Matthias Schmidt zu halten, welches zwar ebenfalls zwei Reihen Luftschlitze und eine einteilige Vorderstoßstange besitzt, aber dessen Motorhaube nicht bis zur Windschutzscheibe reichte?

Sollte es zwischen den Horch Modellen 420, 440 und 450 einerseits und den Typen 470 bzw. 480 ein bis dato unbekanntes Modell 460 gegeben haben, welches Elemente beider Reihen vereinte?

Ich tendiere zwar zur Auffassung, dass die Wirklichkeit komplexer (mitunter auch völlig anders) ist, als sie einem präsentiert wird, doch im Fall des eingangs gezeigten Horch Sport-Cabriolets meine ich, dass wir es schlicht mit einer Variante des Typs 420 zu tun haben.

Genaueres hätte uns vielleicht die freundliche Dame neben dem fraglichen Wagen sagen können – doch sie ist längst verstummt.

Eine Botschaft aber vermittelt sie uns vielleicht doch: Nehmen wir die Dinge leicht, mit Heiterkeit und erfreuen wir uns selbst und unsere Mitmenschen mit einer gewissen Eleganz, wo es geht, es gibt hässliche Dinge genug…

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Eng verwandt und doch verschieden: OM 469 und 665

Kurz vor Einbruch der Dämmerung verließ ich kurz meine Hobbywerkstatt, ging über den Hof, um meiner Katze “Ellie” ihr Abendessen zuzubereiten. Sie selbst war zwar nicht zu sehen – vermutlich trieb sie sich wieder in Nachbars großem Garten herum.

Doch dafür machten über mir einige Wildgänse lautstark auf sich aufmerksam – die ersten kleinen Schwärme überflogen wie jedes Jahr im Herbst von Osten kommend die Wetterau, um am Taunus auf Südkurs abzudrehen.

Ich weiß nicht, ob Sie das kennen, aber ich nehme mir immer etwas Zeit für dieses Schauspiel – dann fliegt zumindest mein Herz mit den Zugvögeln.

Keine Sorge, diesmal bleibe ich in deutschen Gefilden, es muss erst wieder etwas Geld in die Kasse kommen, bevor es auf Achse über die Alpen geht. Doch ein wenig Italien ist auch heute mit im Spiel, auch wenn es diesmal nur bis Brescia in der Lombardei reicht.

Dort wurden ab 1908 Automobile unter dem Markennamen Züst gebaut – einer in Mailand ansässigen Maschinenbaufirma. Die Fabrikation von Züst wurde 1917 von den “Officine Meccaniche” – kurz O.M. – übernommen, die ihren Sitz ebenfalls in Mailand hatte.

Das Werk in Brescia nutzte O.M. in der Folge für den Automobilbau, zunächst noch auf Basis von Züst-Modellen. 1921 erschien dann das erste Eigengewächs – der Typ 465 mit einem kompakten Vierzylindermotor, der aus 1,3 Litern Hubraum knapp 20 PS schöpfte.

Auf sich aufmerksam machte O.M. aber erst mit dem 1923 vorgestellten Typ 469, der zwar mit 1,5 Litern ebenfalls eher kleinvolumig war, aber bereits achtbare 30 PS leistete. Die Italiener pflegten schon damals die Kunst hoher Literleistung bei großer Zuverlässigkeit.

Während damals in Deutschland allenfalls einige Luxuswagen mit Vierradbremsen ausgestattet wurden, wartete der O.M. 469 bereits bei Erscheinen 1923 damit auf – außerdem wurde ein Vierradgetriebe verbaut, damals ebenfalls noch die Ausnahme.

Im Unterschied zu Fiat, wo man bereits ab 1919 den Großserienbau praktizierte, bewegte sich die Autoproduktion von O.M. weiterhin im Manufakturbereich. Das erklärt, weshalb kaum ein Wagen der Marke wie der andere aussah.

Man muss sich daher an einigen typischen Merkmalen orientieren, um einzelne Fahrzeuge halbwegs sicher ansprechen zu können.

Interessanterweise fanden einige O.M.-Wagen in den 1920er Jahren auch den Weg in den deutschsprachigen Raum – offenbar boten sie Qualitäten, die man bei heimischen Fabrikaten vermisste. Ein Beispiel ist dieses Exemplar mit österreichischer Zulassung:

O.M. Typ 469 Tourer; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Wäre da nicht das “O.M.”-Emblem auf dem Kühlergehäuse, könnte dieses Fahrzeug auch als Fiat um 1925 durchgehen.

Doch ein Detail scheint damals typisch für die O.M.-Wagen gewesen zu sein und auch von unterschiedlichen Karosserielieferanten meist beibehalten worden zu sein. Damit meine ich die Mittel”rippe” auf den Kotflügeln – hier auch hinten gut zu erkennen.

Wenn ich nach der Betrachtung der nicht sehr zahlreichen Fotos von O.M.-Automobilen jener Zeit richtig liege, erlaubt diese Besonderheit die Identifikation auch dann, wenn sonst kaum Markenspezifisches zu sehen ist.

Schwierig wird es freilich, wenn es um die Ansprache des genauen Typs geht. Im Fall des obigen Fotos von Leser Matthias Schmidt vermute ich, dass wir es mit dem kompakten Modell 469 zu tun habe, von dem ich im Blog schon einige Exemplare zeigen konnte.

Daneben gab es ebenfalls ab 1923 das Sechszylindermodell 665 “Superba”. Dessen Motor war mit nur 2 Litern Hubraum ebenfalls eher klein, leistete aber bereits 40 PS – ich wüsste keinen deutschen Serienwagen mit solcher Literleistung in der damaligen Zeit.

Dummerweise sah der O.M. 665 seinem kleinen Bruder ziemlich ähnlich, jedenfalls was die wenigen familientypischen äußeren Details angeht. Nur die Abmessungen können einen Hinweis darauf geben, dass man es eher mit dem Sechs- als dem Vierzylinder zu tn hat.

Zu einem solchen Vergleich muss man aber überhaupt erst einmal die Gelegenheit haben. Mir scheint, dass ich heute mit einem geeigneten Beispiel aufwarten kann, wenngleich man sich in solchen Fällen nie ganz sicher sein kann.

Jedenfalls ging mir vor kurzem dieser prächtige Tourer in Form eines zeitgenössischen Fotoabzugs ins Netz:

O.M. Tourer, wahrscheinlich Typ 665; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Festzuhalten ist hier schon einmal, dass der Tourer im Raum Berlin zugelassen war – wie an der Kennung bestehend aus römisch “I” und dem Buchstaben “A” zuverlässig zu erkennen.

Im Berlin der 1920er Jahre fanden sich Automobile aller internationaler Marken – auch ein Kleinserienhersteller wie O.M. konnte in der damals noch atemberaubend wohlhabenden und kultivierten deutschen Metropole Käufer finden.

Wie komme ich darauf, dass dieser Wagen ein O.M. sein könnte? Ein Sechszylinder-Fiat des Typs 512 beispielsweise sah aus dieser Perspektive doch genau so aus, oder?

Nun, das mag für die Haubenpartie mit den weit unten liegenden Luftschlitzen gelten, doch die bereits erwähnte “Mittelrippe” auf den Kotflügeln fand sich bei den in Serie gefertigten Fiats jener Zeit meines Wissens ebensowenig wie das weit nach hinten geschwungene hintere Schutzblech.

Sofern es sich also bei dem in Berlin zugelassenen Tourer tatsächlich um einen O.M. handelte, würde ich für das große Modell 665 plädieren, ohne dafür freilich mehr als den subjektiven Eindruck anführen zu können, dass es sich um ein größeres Fahrzeug als dasjenige auf dem eingangs gezeigten Foto von Matthias Schmidt zu handeln scheint, welches ich als Vierzylindermodell 469 ansprechen würde.

Erschwerend kommt hinzu, dass beide Typen bis Anfang der 1930er Jahre gebaut und im Lauf der Zeit modernisiert wurden.

So ist letztlich jeder O.M. aus der nur einige tausend Exemplare umfassenden Produktion trotz grundsätzlicher Familienähnlichkeit letztlich als Individuum anzusehen – auch Geschwister können bekanntlich sehr unterschiedlich sein.

Ein Bild von einem überlebenden Wagen des O.M.-Typs 665 “Superba” können Sie sich auf der italienischen Website machen, auf der dieser restaurierte Tourer unter anderem aus ähnlicher Perspektive zu sehen ist wie der Berliner Wagen:

O.M. 665 “Superba”; Bildquelle: www.autoclass.com

Man wird im Detail einige Unterschiede bemerken, aber ich meine von der Tendenz her viel Familienähnlichkeit zu erkennen.

Und sollte ich am Ende falsch liegen, konnte ich Ihnen dennoch vielleicht eine schöne kleine Flucht aus dem Alltag bieten, auch wenn wir uns den Zugvögeln diesmal nicht ganz auf ihrem Weg in wärmere Gefilde anschließen können…

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Bote einer neuen Zeit: Opel Tourer von 1910

Ich bin ein wenig in Eile heute abend – eigentlich wollte ich dem Blog wieder mehr Zeit widmen. An Material und Ideen mangelt es wahrlich nicht.

Doch dann sah ich in der Dämmerung den Igel, der seit letztem Jahr im Garten lebt, wie er sich auf Nahrungssuche auf die Straße hinaus gewagt hatte. Schnell ein Kehrblech hervorgeholt, den stachligen Kerl draufgehoben und zurück dorthin gebracht, wo er schon im letzten Herbst mit Futter für den Winter versorgt wurde.

Es brauchte eine Weile, bis er Mut fasste und sich auf das Angebot einließ. Anschließend scheint er wieder in den Garten zurückgekehrt zu sein, wo reichlich altes Laub unter dem prächtigen Maronenbaum Unterschlupf bietet.

Nun hoffe ich, dass ich wieder allabendlich am Klappern der Schalen vor der Tür zum Garten erkenne, dass es sich der Igel schmecken lässt. Auch wenn es heute noch einmal spätsommerlich mild war, steht doch unweigerlich die kalte Jahreszeit bevor.

So kam mir der Igel heute wie der Bote einer neuen Zeit vor, die nicht gerade zu meinen Favoriten gehört – von mir aus kann es das ganze Jahr über warm und sonnig sein.

Doch kann der Anbruch einer neuen Zeit auch seine Reize haben, jedenfalls wenn sich diese so behutsam andeutet wie auf dem alten Autofoto, das ich heute präsentiere:

Opel Chauffeurlimousine ab 1910; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ziemlich beeindruckend und beinahe ein wenig unheimlich erscheint das antike Automobil hier, während es von acht Personen umlagert ist, die teils noch wie aus dem 19. Jh wirken.

Tatsächlich hatten die Porträtierten auf der linken Seite den überwiegenden Teil ihres Lebens noch im 19. Jahrhundert zugebracht, als diese Aufnahme entstand.

Vor allem für sie, die noch das Kutschenzeitalter erlebt hatten, war dieses Fahrzeug Bote einer neuen Zeit. Doch auch den jüngeren drei Personen rechts davon muss das Auto ziemlich modern vorgekommen sein.

Der Grund dafür ist auf der Aufnahme sehr gut zu erkennen:

Die Gestaltung des Kühlers und die Form des Markenemblems sind typisch für Opel-Automobile vor dem 1. Weltkrieg, welche damals das gesamte Spektrum vom leichten Doktorwagen bis zur starken Limousine wie hier abdeckten.

Das Fahrzeug war dem Kennzeichen nach zu urteilen in Waiblingen bei Stuttgart zugelassen und war dort sicher eines der ersten Automobile überhaupt. Noch 1912 reichte der Nummernkreis in Waiblingen gerade einmal von 301 bis 400 (Quelle: Andreas Herzfeld, Handbuch Deutsche Kfz-Kennzeichen, Band 1, S. 117).

Bote einer neuen Zeit war dieser Opel auch deshalb, weil er mit dem 1910 bei deutschen Serienwagen eingeführten “Windlauf” ausgestattet war – ein dem Sport entliehenes strömungsgünstiges Blech, das von der Motorhaube zur Windschutzscheibe überleitete.

Hier wirkt besagter Windlauf noch wie nachträglich aufgesetzt und so mag es sich tatsächlich verhalten haben, sofern der Besitzer des Wagens diesen ebenfalls als Bote einer neuen Zeit erscheinen lassen wollte.

In die Zukunft weist auch das Erscheinungsbild der beiden Damen rechts von dem Opel, die für die Zeit vor 1914 bemerkenswert leger wirken. Im Halbschatten neben ihnen ist der Chauffeur zu erkennen – damals noch Vertreter einer hoch angesehenen Zunft, der jedoch nach dem 1. Weltkrieg keine große Zukunft mehr beschieden war.

So mahnt uns diese Aufnahme daran, dass nichts bleibt, wie es ist – außer den Dingen, an denen wir entschlossen festhalten, weil wir ohne sie nicht sein wollen.

Tatsächlich müssen wir nicht jeden Boten der Moderne unterschiedslos willkommen heißen, auch wenn der Zeitgeist anderes behauptet. Wir sollten uns schon darüber im Klaren sein, wo wir klare Grenzen ziehen müssen, um uns und unsere mühsam und unter Opfern erarbeiteten Werte nicht selbst zu verlieren.

Im dem heute vorgestellten Foto wirft die ungeheure Zäsur des 1. Weltkrieg bereits ihre Schatten voraus – die darauf versammelten Personen hätten sicher gern auf die große Transformation verzichtet, welche den Völkern Europas danach verordnet wurde…

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Fund des Monats: Ein “Speedwell” von 1909

Für den Fund des Monats September bleibt mir heute nicht viel Zeit – doch das passt durchaus zum Namen und der kurzen Lebensdauer der Marke, die ich vorstellen darf.

Nur von 1907 bis 1914 entstanden in Dayton im US-Bundesstaat Ohio die Wagen, welche ein gewisser Pierce D. Schenck unter der Bezeichnung “Speedwell” bauen ließ.

Nach bescheidenen Anfängen mit Einbaumotoren von Rutenber entschied man sich für die Eigenfertigung eines großvolumigen Vierzylinders, der anfänglich 40 (später 50 PS) leistete.

1909 wurden 100 Exemplare gebaut, bis zum Ende der Marke sollten rund 4.000 Stück mit unterschiedlichsten Aufbauten entstehen.

Bemerkenswert ist, dass Speedwell-Wagen bereits ab 1909 über einen “Torpedo” verfügten, also ein Luftleitblech am hinteren Ende der Motorhaube, wie es ab 1908 erstmals bei reinen Sportwagen zum Einsatz kam:

Speedwell von 1909; Prospektabbildung via Varun Coutinho (USA)

Diese Prospektabbildung schickte mir Varun Coutinho aus den Vereinigten Staaten mitsamt der genauen Ansprache des Wagens zu, nachdem ich in meiner Vorkriegsautogruppe auf Facebook ein entsprechendes Foto mit der Bitte um Identifikation gezeigt hatte.

Entstanden war die Aufnahme 1914 in Chicago und zur Verfügung gestellt hat sie mir Sammlerkollege und Leser Klaas Dierks. Ich hatte auf ein US-Modell vor 1910 getippt, hegte aber Zweifel daran, dass es gelingen konnte, den Hersteller zu identifizieren.

Das markante Emblem auf dem Kühlergrill verwies lediglich auf die American Automobile Association (AAA), half also erst einmal nicht weiter:

Speedwell von 1909; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Tatsächlich findet sich die von Benz bzw. Daimler inspirierte Kühlerform bei zahlreichen amerikanischen Fabrikaten der Frühzeit, doch die Kombination mit dem “Torpedo” führte besagten US-Experten letzlich auf die richtige Spur.

Die besonders sportlich wirkende Ausführung als “Runabout” mit minimalistischer Karosserie war durchaus typisch für die Zeit, stellte also keinen “Special” dar, wie man ihn heute gern auf Basis erhaltener, doch unvollständiger Chassis zu fertigen pflegt.

Leider ruinierte sich Speedwell kurz vor dem 1. Weltkrieg mit Experimenten, welche Motoren mit Drehventilen umfassten. So war die Marke bereits 1915 Geschichte.

Bedeutung über den kurzlebigen Automobilbau hinaus hat Speedwell dadurch erlangt, dass Gründer Schenck einen Teil seinen anfänglich überdimensionierten Fabrikgebäude an die Gebrüder Wright vermietete, welche dort kurzzeitig ihre neuen Fluggeräte bauen ließen.

So erwies sich “Speedwell” letztlich als gutes Omen für eine Entwicklung, die uns bis heute über Raum und Zeit gebieten lässt…

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Entdeckung auf zwei Rädern: Fiat 501 Tourer

Zurückgekehrt aus dem Süden muss ich mich in deutschen Landen stets erst wieder ein wenig einfinden. Dass wir doch alle bloß “Europäer” seien, das behaupten nur Leute, die nichts mit den Kulturnationen unseres Kontinents anfangen zu wissen.

Gerade weil jenseits des Alpenhauptkamms und vor allem südlich der Po-Ebene so vieles großartig anders ist, zieht mich Italien von jeher so an wie kein anderes Land.

Bei der Gelegenheit sei versichert, dass der träge dahinfließende Po randvoll ist – die im Hochsommer verbreiteten Panikmeldungen erweisen sich regelmäßig als Märchen.

Wer übrigens von falscher Bewirtschaftung und Windindustrie verschonte gesunde Wälder sehen möchte, dem sei angeraten, statt der Tour an die Adria kurz vor der Küste die Abfahrt “Cesena Nord” zu wählen und die Route nach Süden einzuschlagen – ins grüne Herz von Umbrien hinein.

Mehr als zwei Stunden lang geht es durch wildromantische Täler, die auch nach einem langen Sommer mit üppigen Laubwäldern aufwarten, bis man in der umbrischen Ebene anlangt.

Dort bietet sich dem Reisenden, Pilger oder Wanderer eine seit 2500 Jahren gepflegte Kulturlandschaft, die bis heute intakt ist:

Blick auf Spello (Umbrien) am 25. September 2023; Bildrechte: Michael Schlenger

In diese in Deutschland nur wenig bekannte Region Italiens zog es mich kürzlich wieder – diesmal weil mir der Sinn nach Entdeckungen auf zwei Rädern stand.

Dass sich dabei ausgerechnet ein Fiat 501 als einer der Höhepunkte erweisen sollte, das konnte ich nicht ahnen. Wer in meinem Blog bereits länger mitliest, weiß natürlich um die Meriten dieses frühen Großserienmodells der Turiner Firma.

Als erster europäischer Hersteller überhaupt brachte Fiat 1919 mit dem 1,5 Liter-Typ 501 ein für die Massenfabrikation geeignetes Automobil auf den Markt. Rund 80.000 Exemplare davon wurden in alle Welt verkauft.

Auch nach Deutschland mit seiner der Marktnachfrage nicht annähernd gewachsenen Autoindustrie gelangten zahlreiche Fiats dieses für seine Robustheit berühmten Vierzylindermodells.

Dort fanden sogar 501er mit Sonderkarosserie Absatz wie dieser sportlich angehauchte Tourer (ausführlicher Beitrag):

Fiat 501 Sport-Tourer; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Mit minimalistischen Kotflügeln – die ihren Namen in diesem Fall besonders verdienen – , ungewöhnlich niedriger Gürtellinie und Verzicht auf ein Trittbrett wirkt der Fiat kompakt, geradezu unscheinbar.

Dass der 501 in Wahrheit ein beeindruckend dimensioniertes Fahrzeug war, speziell in der Ausführung als serienmäßiger Tourer, das war mir lange Zeit nicht bewusst.

Sicher: mir war das Modell von zeitgenössischen Bildern vertraut, die ich im Blog besprochen habe. Doch trotz seiner einstigen Verbreitung in deutschen Landen war mir noch nie ein Exemplar in natura begegnet.

Das sollte sich erst ändern, als ich in ganz anderer Mission in Italien unterwegs war, nämlich auf zwei Rädern ganz ohne Motorkraft. Anlass dazu gab eine Veranstaltung für historische Fahrräder, die von Enthusiasten im umbrischen Foligno ausgerichtet wird.

Wem der Name Foligno nichts sagt, der sollte wissen, dass in der uralten Stadt inmitten der Valle Umbra der spätere Stauferkaiser Friedrich II. seine ersten Lebensjahre verbrachte, außerdem wurde dort die erste Ausgabe von Dantes Commedia Divina gedruckt.

Leider haben alliierte Bombardierungen der Altstadt im 2. Weltkrieg schwere Schäden zugefügt, weshalb Foligno nicht mehr mit der makellosen Schönheit anderer umbrischer Städte aufwarten kann. Dennoch ist auch dort die Identifikation mit der Region groß und Traditionen wie die Giostra della Quintana werden begeistert fortgeschrieben.

Von Foligno aus findet jährlich im September eine Ausfahrt mit klassischen Stahl-Rennrädern und sonstigen historischen Drahteseln statt – die Francescana Ciclostorica.

Auf zwei Rundkursen geht es durch die Valle Umbra – und im Fall der längeren Route auch hinauf in die über dem Tal liegenden Orte wie Assisi, Spello, Trevi und Montefalco, allesamt von modernen Entstellungen verschont und mit grandiosen Kunstschätzen gesegnet.

Der sportliche Aspekt ist nebensächlich – der Genuß der Landschaft und der guten Gesellschaft Gleichgesinnter steht im Vordergrund. Unterwegs wird wiederholt gehalten, um sich mit kulinarischen Köstlichkeiten zu stärken, wozu einer der ausgezeichneten Weine der Region gehört – also nichts für Verzichtsfetischisten.

Ich hatte mir für die Teilnahme auf Basis eines Rahmens der Torpedowerke aus Frankfurt/Main einen “Halbrenner” gebastelt, wie er von 1900 bis 1930 beliebt war. Die Anbauteile dazu hatte ich meinem Fundus entnommen und nach eigenem Gusto montiert.

Hier präsentiert sich das Gerät vor dem Einsatz:

Torpedo “Halbrenner” in Collepino (Umbrien); Bildrechte: Michael Schlenger

Wenn Sie sich spätestens jetzt fragen, was das Ganze mit Vorkriegsautomobilen zu tun hat, dann kann ich nur zu etwas Geduld raten – es lohnt sich auszuharren.

Ich hatte mich in Anbetracht der nicht vorhandenen Gangschaltung für den kürzeren Kurs entschieden, welcher lediglich 35 km umfasste und sich – vom kurzen Anstieg zu einem Weingut abgesehen – auf ebene Strecken beschränkte.

Am Morgen der Fahrt präsentierte sich das Wetter den über 500 Teilnehmern zunächst unfreundlich. Doch 10 Minuten nach dem vorgesehenen Starttermin hörte es auf zu regnen und nach dem frenetischen Absingen der italienischen Nationalhymne ging es auf die Reise.

Ich hatte mir ein zum Rad passendes Outfit zugelegt und noch am Vortag letzte Details wie die passende Krawatte ausgewählt – so konnte man sich als Deutscher durchaus sehen lassen, meine ich:

Start zur La Francescana Ciclostorica 2023 in Foligno: Bildrechte: Luca Petrucci

Die Fahrt gestaltete sich trotz wiederholter Regenschauer sehr erfreulich.

Das lag nicht zuletzt daran, dass die zahlreichen weiblichen Teilnehmer große Sorgfalt auf die in Italien noch ausgiebig gepflegten Äußerlichkeiten verwendet hatten, ohne welche keine den Niederungen des Notwendigen enthobene Kulturnation bestehen kann.

Mit spektakulären Hüten, Frisuren und Kleidern sowie maximal unpraktischem Schuhwerk begaben sich die Vertreterinnen des schönen Geschlechts gutgelaunt auf die von mancher Pfütze und kühler Brise begleitete Tour.

Hin und wieder war ein kurzer Zwischenhalt erforderlich, damit die lokale Polizei den Radlern freie Bahn auf den wenigen Passagen verschaffen konnte, die über öffentliche Straßen führten.

Dann ergab sich Gelegenheit, mit der Nachbarin anzubandeln oder Studien bei den Vorausfahrenden zu betreiben:

La Francescana Ciclostorica; Bildrechte: Michael Schlenger

Selbstredend mussten solcherlei Anstrengungen früher oder später dazu führen, dass sich Appetitgefühl einstellt.

Bei der von mir gewählten kurzen Tour waren gleich drei Pausen vorgesehen, bei denen man sich zuverlässig durch das regionale Angebot an Köstlichkeiten essen konnte.

Gleich der erste Halt führte zum Weingut Arnaldo Caprai, dessen Weine (keineswegs nur der lokale Sagrantino) nach meiner Einschätzung zu den besten Umbriens gehören, ohne (vor Ort) übermäßig teuer zu sein.

Um dorthin zu gelangen, war die einzige nennenswerte Steigung zu bewältigen, welche der Autor selbstredend im ersten und einzigen Gang absolvierte, während es etliche andere Teilnehmer offensichtlich weniger militant angingen:

La Francescana Ciclostorica 2023, Weingut von Arnaldo Caprai bei Montefalco (Umbrien); Bildrechte: Michael Schlenger

Jetzt sind wir quasi in Sichtweite dessen, was im Titel des heutigen Blog-Eintrags angekündigt wurde – eine Entdeckung auf zwei Rädern, welche sich als absolut beeindruckender Fiat 501 entpuppte.

Denn als wir Pedalisten auf dem Weingut der Familie Caprai angelangten, hatten sich dort zu unsere Begrüßung bereits einige Vertreter der Fiat-Dynastie versammelt.

Sie umfassten gleich drei Generationen der Turiner Automobile, obwohl zwischen dem ältesten Vertreter und dem jüngsten nur rund 20 Jahre liegen.

Die ganze Zeitspanne von 1919 bis 1939 sehen wir hier – in automobiler Hinsicht wie auch sonst eine Periode ungeheurer Umwälzungen, doch in diesem Fall vollkommen beschaulich:

Fiat Vorkriegswagen auf dem Weingut Arnaldo Caprai bei Montefalco (Umbrien), September 2023; Bildrechte: Michael Schlenger

So interessant das Nebeinander von gleich drei Versionen des Erfolgsmodells 508 “Balilla” auch ist, gilt unsere besondere Aufmerksamkeit heute den beiden Fiats ganz links.

Sie kontrastieren in außerordentlicher Weise und illustrieren den Sprung in die Moderne, den Fiat Ende der 1930er Jahre mit dem 1100er (“Millecento”) vollzog, dessen geschmeidiger und drehfreudiger Motor noch bis in die 1960er Jahre kaum verändert gebaut werden sollte.

Leider kann ich in diesem Fall nur mit einer Ausschnittsvergrößerung mäßiger Qualität aufwarten, da ich zum Aufnahmezeitpunkt noch nicht wusste, was ich daraus in meinem Blog machen würde:

Jedenfalls wird hier schlagartig deutlich, wie grundlegend sich die Gestaltungsprinzipien bei Fiat – aber auch bei anderen Herstellern – zwischen 1919 und 1939 wandelten.

Denn diese beiden Wagen stehen jeweils stellvertretend für diese Baujahre.

Dass der weit moderner geformte Millecento keineswegs ein Kleinwagen war, auch wenn er neben dem 20 Jahre älteren Tourer so wirkt, dass begreift man, wenn man einmal direkt davor steht.

Dazu bot sich bei einem späteren Halt die Gelegenheit, auch wenn sich das Wetter zwischenzeitlich gegen uns Zweiradfahrer verschworen hatte und die Aussicht auf eine Fortsetzung der Tour in einem solchen Automobil durchaus verlockend erschien:

Fiat 1100 “Musone”; Bildrechte: Michael Schlenger

Wer sich hier an den Ford “Eifel” erinnert fühlt, liegt mit seinem Bauchgefühl nicht schlecht.

Auch Fiat folgte Ende der 1930er Jahre – wie übrigens auch Renault – stilistischen Tendenzen, welche die damals führende US-Autoindustrie entwickelt hatte.

Mit dem spitz zulaufenden Kühler sollte der Millecento bis in die späten 1940er Jahre gebaut werden. Hier haben wir ihn in Bestzustand mit originaler Zulassung in der umbrischen Hauptstadt Perugia.

So wenig es an dem markant gestalteten, technisch ausgereiften und bestens verarbeiteten 1100er Fiat auszusetzen gibt, so verblasst er mit seinen beinahe modernen Proportionen aus meiner Sicht gegen den älteren 501, der uns in eine frühe Ära mit vollkommen anderen Gestaltungsprinzipien transportiert.

So etwas wie Familienähnlichkeit will sich jedenfalls nicht erkennen lassen, wenn man dann direkt vor einem Exemplar von Fiats erstem Großserienerfolg steht:

Fiat 501 Tourer; Bildrechte: Michael Schlenger

Hätte ich die Wahl, würde ich mich für das ältere Modell entscheiden – wobei mir die Tatsache entgegenkommt, dass ich bereits Besitzer eines originalen Fiat 1100 aus den 1960er Jahren bin, dessen kultivierter kopfgesteuerter Motor wie gesagt eine Vorkriegskonstruktion ist.

Mit nur 23 Pferdestärken statt deren 32 wie im 1100er war der 501 natürlich nicht annähernd so leichtfüßig zu bewegen. Doch seine Stärken entfaltete der langhubige Motor gerade auf hügeligen Strecken, wie sie in Italien überwiegen, und früh erlangte er legendären Ruf für astronomische Laufleistungen – die damals noch aufwendige Pflege vorausgesetzt.

So begegnet einem der Fiat 501 in allen Weltregionen – selbst im fernen Australien haben einige davon überlebt. Nun stand ich in Italien endlich vor einem Original und diese Entdeckung gehörte zu den schönsten, die ich auf zwei Rädern machen durfte.

Das war eigentlich schon alles, was ich Ihnen erzählen wollte. Beim nächsten Mal kehre ich wieder zum üblichen Muster der Besprechung historischer Fotos von Vorkriegswagen zurück.

Nur für den Fall, dass Sie den Autor noch einmal in Bewegung sehen wollen, habe ich ein kurzes Video meiner Ankunft in Foligno eingefügt…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Mobile Waschanlage: Ein Plymouth von 1936

Sachen gab’s, die gibt’s nicht mehr – das könnte ein Motto meines Blogs sein, in dem es um weit mehr geht als nur um Vorkriegsautos auf alten Fotos.

Eigentlich ist die Beschäftigung mit dem Blech von einst auf ebenso altem Papier nur ein Vorwand, in der Welt von damals auf Entdeckungsreise zu gehen. Nicht etwa, weil alles besser war, ganz gewiss nicht.

Aber es gab nun einmal eine ganze Menge Dinge, die leider verloren sind. Ihnen nachzuforschen, bisweilen nachzutrauern, das ist ein Luxus, den man sich auch mit wenig Aufwand leisten kann.

Hier im Blog gibt es die Wunder aus längst vergangenen Tagen sogar frei Haus, zumindest für Sie, geschätzte Leser. Den größten Aufwand mussten ohnehin diejenigen treiben, an deren längst vergangenem Leben mit Automobilen wir heute teilhaben dürfen.

Nicht nur war der Besitz eines Autos außerhalb der USA, wo sich jeder Arbeiter eines leisten konnte, eine ziemlich teure Angelegenheit. Noch einmal exklusiver wurde es, wenn man damit zum Vergnügen auch noch ins Ausland reisen wollte.

Dass sich dennoch viele nicht davon abhalten ließen, wenigstens einmal im Leben mit dem eigenen Wagen beispielsweise die Alpen zu überwinden, um ins Sehnsuchtsland Italien zu gelangen, davon erzählen eine ganze Menge Bilder.

Heute haben wir es wieder mit so einem Fall zu tun – nebenbei lernen wir eine ingeniöse Lösung kennen, welche wir im 21. Jh. auch gut gebrauchen könnten, jedenfalls wenn der Sommer mal wieder heiß und trocken ist – also nicht dieses Jahr.

Die Rede ist von der im Titel bereits erwähnten mobilen Waschanlage. Dafür interessieren Sie sich vermutlich auch mehr als für den ebenfalls angekündigten Plymouth des Modelljahrs 1936, oder?

Doch bevor wir uns der mobilen Waschanlage nähern, wollen wir diesem Gewächs aus dem Hause Chrysler (nicht GM!) ebenfalls Gerechtigkeit zukommen lassen.

Für amerikanische Verhältnisse war das 6-Zylinder-Auto mit rund 80 PS Leistung aus 3,3 Litern Hubraum ein preisgünstiger Mittelklassewagen – rund eine halbe Million Exemplare wurden davon binnen eines Jahres verkauft.

Am europäischen Markt dagegen war man damit im Luxussegment unterwegs. Das galt selbst dann, wenn man sich nur für die Exportmotorisierung mit nur “2,8 Litern” entschied. Allein die Liste der Extras für Komfort und Optik ist beeindruckend lang.

Solche US-Großserienwagen wurden von Leuten gekauft, die nicht an technischen Raffinessen interessiert waren, sondern ausgereifte, leistungsfähige Technik für ein langes Autoleben und komfortable Kilometerfresserei suchten.

Genau so ein Exemplar mit – wie ich vermute – Zulassung irgendwo in Nordeuropa begegnet uns nun im italienischen Städtchen Cernobbio am Comer See:

Plymouth, Modelljahr 1936; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dass wir es mit einem Plymouth zu tun haben, das zu ermitteln, erforderte eine gute Viertelstunde Recherche. Der markante Kühlergrill mit der lackierten mittigen Unterteilung verwies schon einmal auf ein US-Fabrikat um die Mitte der 1930er Jahre.

Sofern man die Lösung nicht gleich weiß, geht man einfach die gängigsten US-Marken jener Zeit durch, also etwa 20 an der Zahl, und sucht im Netz nach Fotos davon in Verbindung mit den Jahreszahlen von etwa 1934 bis 1937.

Oft ist schon meine US-Fotogalerie ausreichend, doch dieses Exemplar fehlte bislang dort – wie gesagt ein 1936er Plymouth. Hier haben wir ihn als Limousine in dunkler Lackierung und mit aufpreispflichtigen zwei Ersatzrädern – vielleicht ein Hinweis auf die Langstreckenambitionen des Besitzers und auf jeden Fall ein optischer Akzent.

Das war auch schon alles, was ich zu dem Auto erzählen will, denn interessanter ist der Ort, an dem es einst abgelichtet wurde. Der Plymouth befand sich nämlich direkt an einer mobilen Waschanlage, wie sie einem nach langer Urlaubsfahrt auch heute gewiss willkommen wäre.

Das glauben Sie nicht? Nun, ich biege mir hier schon manches so zurecht, wie es mir gefällt und blende bisweilen das eine oder andere aus, das mir nicht zusagt – aber im Großen und Ganzen halte ich mich an das, was auf diesen alten Zeugnissen zu sehen ist.

Also auch hier – aber schauen Sie selbst:

Plymouth, Modelljahr 1936; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die versprochene mobile Waschanlage wurde offensichtlich von der Gemeinde des Städtchens Cernobbio am Comer See betrieben.

Dort gibt es vor allem einige herrschaftliche Villen zu bewundern, von denen die Villa d’Este heute noch Schauplatz eines der exklusivsten Schönheitswettbewerbe für klassische Automobile überhaupt ist.

Dorthin hatte sich also unserer wackerer Plymouth von anno 1936 verirrt, als ihm der lokale Sprengwagen entgegenkam, der es freilich weniger auf verdreckte Autos abgesehen hatte als auf Straßen, auf denen es in trockenen Sommern den Staub zu binden galt.

Der Sprengmeister, dessen Gefährt noch von einem Pferd gezogen wurde, wirft einen interessierten Blick auf den modernen Wagen mit einem Vielfachen an Pferdestärken, bequemen Polstern und einem festen Dach über dem Kopf.

Was der Fotograf dieser Szene eher im Auge hatte – das exklusive US-Auto, die “mobile Waschanlage” oder die Kombination aus beidem, das wissen wir nicht.

Leider lässt sich das auch mit einem Ortstermin nicht mehr feststellen, obwohl ich zufälligerweise morgen um diese Zeit ganz in der Nähe weilen werden – auf dem Weg zu einer speziellen Klassikerveranstaltung in Umbrien, die ausnahmsweise wenig mit Autos, dafür aber viel mit Stil und Freude an historischer Technik zu tun hat…

Gut eine Woche lang herrscht daher Funkstille im Blog, bevor ich heimkehre. Bis dahin findet ja jemand heraus, wo genau in Cernobbio dieses Foto entstand. Das wäre fast so ein Wunder wie die mobile Waschanlage…

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Spurensuche: Beckmann-Wagen (Folge 3: Wieder 1903)

Heute geht es weiter auf der im Juli begonnenen Suche nach Spuren der einst im schlesischen Breslau beheimateten Automarke Beckmann. In der letzten Folge waren wir bereits bei den ersten selbstkonstruierten Wagen mit bis zu 30 PS Leistung angelangt.

Eigentlich müssten wir das nächste Kapitel ab 1905 aufschlagen, in dem die Beckmann-Wagen immer mehr an Format gewannen.

Doch bei der Beschäftigung mit Vorkriegswagen muss man es im 21. Jahrhundert nicht eilig haben – die Epoche liegt bereits so weit zurück, dass man sich die eine oder andere Abweichung von der Chronologie leisten kann, wenn sich der Anlass dazu ergibt.

Nur zu gern lasse ich mich von der öden geraden Linie der Geschichtschreibung ablenken, vor allem dann, wenn ein Beinahe-Zeitzeuge und Nachkomme eines einstigen Autofabrikanten mich mit reizvollem Material versorgt.

Die Rede ist von Christian Börner, Urenkel des Gründers der Beckmann-Autowerke.

Er hat mir nicht nur das Material zu den beiden bisherigen Folgen dieser Spurensuche zur Verfügung gestellt. Ihm verdanke ich auch eine bemerkenswerte Rückblende in das Jahr 1903, in deren Mittelpunkt – unter anderem – ein Beckmann-Auto steht.

Heute soll Christian Börner selbst zu Worte kommen und zwar anhand dieses Fotos:

Beckmann-Wagen von 1903; Originalfoto aus Familienbesitz (Christian Börner)

“Wer sind diese drei Kinder? Welches Fahrzeugmodell ist das? Wann und wo ist das Foto entstanden?” Das mögen Sie jetzt fragen.

Mein Name ist Christian Börner, und ich will es Ihnen erzählen.

Zunächst zu den Fahrzeuginsassen, oder eher Fahrzeug“auf“sassen: Das sind die drei Kinder des Fabrikbesitzers Paul Beckmann, meines Urgroßvaters.

Am Lenker sitzt etwas arrogant Otto (Jg. 1894), als wüsste er, dass er einst die Nachfolge seines Vaters antreten würde. Das war zwei Jahre nach dessen Tod im Jahr 1914 der Fall, als Otto volljährig und uneingeschränkt geschäftsfähig wurde. 

In der Mitte hat die 1896 geborene Erna Platz genommen, meine Großmutter. Sie schaut wenig begeistert drein, sie mochte das Autofahren ihr Leben lang nicht.

Anders verhielt es sich mit ihrer Schwester Ilse (Jg. 1898), die vis-a-vis sitzt und sich uns zuwendet. Man sieht es ihr noch nicht an, aber sie sollte später als Sportfahrerin auf Beckmann Karriere machen.

Was lässt sich zu der abgebildeten Voiturette sagen?

Nun, es handelt sich um die seitlich offene Version (Beckmann-Modell XIV), deren Produktion 1901 begann und 1903 endete. Aber ich kann es noch genauer sagen. Hier sehen wir die erste Version mit senkrechter Lenksäule und Hebel. Denn ab 1902 gab es eine schrägstehende Lenksäule mit Lenkrad.

Diese Aufnahme stammt von 1903 und zählt zu den drei Fotos, welche die Frauen meiner Familie bei ihrer Flucht aus Breslau im Januar 1945 als einziges „Erbe“ retten konnten.

Meine schon erwähnte Großmutter und ihre Tochter Ursula hatten wichtigeres Fluchtgepäck mitzuschleppen und vor dem Erfrieren zu bewahren – den ein halbes Jahr alten Enkel Christian. Ihnen ist es zu verdanken, dass Sie heute meine Zeilen lesen können.”

Soweit Christian Börner im O-Ton.

Er weiß auch augenzwinkernd zu berichten, dass die Beckmann-Wagen die ersten mit Sicherheitsgurt waren. Wenn Paul Beckmann seine Kinder auf dem Automobil umherkutschierte, sicherte er sie nämlich mit Ledergurten davor, beim Bremsen oder in scharfen Kurven aus dem Wagen zu fallen. 

Gefällt Ihnen diese persönliche Rückschau in Sachen Beckmann, die Sie wohl nirgends anders finden?

Dann schauen Sie zur Mitte des nächsten Monats wieder in meinen Blog, wenn die nächste Folge ansteht. Aber gern auch vorher – es gibt ja soviel zu erzählen…

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Taugt doch für etwas! Hanomag 2/10 PS Limousine

Um es vorwegzunehmen: Der erste Hanomag-PKW, welchen der Maschinenbauer aus Hannover von 1925-28 baute – das Modell 2/10 PS – dieses Minimalgefährt und ich werden gewiss keine Freunde mehr.

Zu weit entfernt war dieses vermeintliche Volksmobil von echten Entwürfen für den Alltagsbedarf, wie sie in den frühen 1920er Jahren längst existierten: In den Staaten der Ford T, in England der Austin 7, in Frankreich der Citroen 5CV und in Italien der Fiat 501.

Nur in Deutschland meinte man, mit etwas Besonderem aufwarten zu müssen. So ließ sich Hanomag auf die Bastelei eines gewissen Fidelis Böhler ein, die konsequent am Massenmarkt vorbeikonstruiert war: lauter Einzylindermotor mit Motorradleistung, kein elektrischer Anlasser, kein Platz für eine Familie mit Kindern.

Die in der Literatur mangels anderer Qualitäten bemüht betonten Novitäten wie etwa die noch ungewohnte Pontonkarosserie machten keinen der genannten Praxismängel wett.

Oft heißt es, der Hanomag 2/10 PS sei “seiner Zeit zu weit voraus” gewesen oder “von den Käufern nicht verstanden worden”. Das erinnert an die Entschuldigungen, welche heute bei einer radikal an der Realität vorbeiregierenden Politik vorgebracht werden.

Seien wir ehrlich: Außer kinderlosen Avantgardisten konnte doch kein Normalbürger damals ernsthaft Begeisterung für diese komische Kiste mit kulturlosem Krachantrieb aufbringen – wenn nicht gerade eine junge Dame darauf herumturnte:

Hanomag 2/10 PS Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ungeachtet meiner grundsätzlichen Geringschätzung dieses Sackgassengefährts möchte ich heute dennoch Gnade walten lassen, denn ich habe festgestellt, dass der Hanomag 2/10 PS doch für etwas taugte – außer seinen Besitzern das befriedigende Gefühl zu geben, den verständnislosen Mitbürgern ihren exklusiven Geschmack vorführen zu können.

So bot er in Gestalt der Limousine die formidable Möglichkeit, das Dach nicht nur von vorn – wie oben – sondern ebenso leicht auch von hinten zu erklimmen und sich dort zumindest zeitweise im Luftreich der Illusion aufzuhalten.

Im besten Fall war das Resultat dann so erbaulich wie auf der folgende Aufnahme:

Hanomag 2/10 PS Limousine; Oiginalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier ist fast nur am Ersatzrad und am Fehlen des mittigen Scheinwerfers zu erkennen, dass wir den Hanomag diesmal von hinten betrachten.

Die Idee, ein Auto von vorn wie von hinten nahezu identisch zu gestalten – siehe den unsäglichen Zündapp “Janus” – empfand ich schon immer als eine Beleidigung des Betrachters, der bei einem dermaßen teuren Gegenstand wie einem Automobil zurecht etwas Bemühen um eine einfallsreiche Form erwarten darf.

Doch heute ist mir das beinahe egal, denn die Aufnahmesituation versöhnt mich diesmal mit diesem automobilen Machwerk. Ja, der Hanomag 2/10 PS taugt doch für etwas!

Ich bilde mir ein, dass die charmante Dame auf dem Dach des Wägelchens sich einfach köstlich über selbigen amüsiert hat, als sie solchermaßen abgelichtet wurde:

Der Kontrast zwischen ihrem reizvollen Erscheinungsbild und der Blechkiste unter ihr könnte kaum größer sein. Selbst der Glanz ihrer Stiefel stellt den Lack des Hanomag mühelos in den Schatten, von anderen Ansehnlichkeiten ganz zu schweigen.

Mir ist bewusst, dass ich mit meinem schroffen Urteil über den Hanomag 2/10 PS auf Widerspruch einiger Verehrer des “rasenden Kohlenkastens” stoße.

Doch abweichende Ansichten muss man aushalten und Kritik auch sportlich nehmen können. Das ist im wirklichen Leben nicht anders und gegebenenfalls unüberbrückbare Meinungsdifferenzen gehören auch bei letztlich banalen Themen wie Vorkriegsautos dazu.

Rede und Gegenrede – gern auch engagiert und zugespitzt – sind die Vorausetzung jedes argumentativen Austauschs und so sind mir auch ganz andere Sichtweisen willkommen. Wer also dem Hanomag 2/10 PS auch ohne weibliche “Besatzung” vorteilhafte Seiten abgewinnen kann, möge das im Kommentarteil tun.

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.