Fund des Monats: Der Osterhase im Fiat 500

Ein Fiat 500 als Fund des Monats – wie kommt man auf so etwas? Nun, das geht so: Am Ostersamstag fuhr ich aus Italien zurück, knapp 1200 Kilometer in die hessische Wetterau.

Da hat man viel Zeit, um sich Gedanken zu machen – ziemlich genau 12 Stunden, Pausen eingerechnet. Den besten Schnitt fahre ich übrigens in Italien, trotz offiziellen Tempolimits von nur 130 km/h auf der Autobahn.

Das kann man durchaus als Mittel erreichen, wenn man öfters 140 fährt – außer um’s tiefrote Bologna herum – und es wie der Einheimische macht: In Bau- oder Engstellen das Tempo halten, egal was dort steht, solange niemand am arbeiten ist. Geblitzt wurde ich in Italien in 25 Jahren noch nie – solange man es nicht übertreibt, lässt einen die Polente in Ruhe.

In Deutschland dann gibt’s zwar auf der A5 bald kein Tempolimit mehr, aber die Strecke ist über lange Zeit nur zweispurig ausgebaut – völlig unzureichend. Ständig wird man von Zeitgenossen aufgehalten, die mit 100 Sachen LKW überholen, oder von LKW, die noch langsamere Zeitgenossen überholen.

Fast noch Mitleid habe ich dabei mit den armen Vertretern der Elektrofraktion, die ihre teuren Gefährte batterieschonend auf der rechten Spur bewegen müssen. Sympathie stellte sich allerdings diesmal bei einem speziellen Hindernis ganz anderer Art ein.

Denn vor Karlsruhe bemerkte ich, dass Reisebusse ausscherten, um einen Langsamfahrer hinter sich zu lassen. Ich war innerlich schon auf 180.

Doch als ich den „Schleicher“ sah, war alles vergessen. Es war ein Fiat 500 – doch keiner der adretten Wiedergänger unserer Tage, mit welchem die Marke einen Riesenerfolg gelandet hat.

Nein, es war ein Heckmotor-500er der 1960/70 Jahre, damals „500 Nuova“ geheißen, um ihn vom Vorgänger 500er – dem Frontmotor-„Topolino“ – abzugrenzen, dessen Wurzeln bis in die 1930er Jahre zurückreichten.

Es handelte sich aber nicht etwa um den Fiat eines örtlichen Enthusiasten, weit gefehlt. Das winzige Auto, das innen mit Gepäck vollgestopft war, besaß ein altes schwarzes Kennzeichen, das auf eine Zulassung in Padua hinwies.

Wie aus dem Ei gepellt sauste der Kleine die Autobahn entlang, am Steuer eindeutig eine gutgelaunte Italienerin, neben ihr eventuell noch ein Beifahrer, sicher bin ich nicht.

Kurz nachdem ich den Fiat überholt hatte, machte ich halt zum Tanken und wie erhofft sah ich von der Zapfsäule den Wagen mit Vollgas vorbeifahren. Ich fühlte mich an meine Italienfahrt als Student mit 1200er Käfer erinnert, der 150-160.000 km auf der Uhr hatte, mit dem ersten Motor.

Natürlich hieß das ebenso Dauervollgas, aber gute Wartung vorausgesetzt, steckten diese Autos das weg, sonst hätte man solche Touren nicht gewagt. Aber ein Fiat 500 ist kein 1200er Käfer, der mit etwas Nachhilfe immerhin 120 km/h Spitze schaffte.

Daher Hut ab vor der Italienerin, die sich mit ihrem Cinquecento auf die deutsche Autobahn gewagt hatte. Übrigens ist die Präsenz des Fiat 500 im italienischen Alltag bemerkenswert hoch, was man vom „Käfer“ hierzulande nicht behaupten kann.

Das liegt wohl weniger am Auto als an der mittlerweile grassierenden „German Angst“ (Stichwort: Fahrradhelm bei Dreijährigen auf dem Laufrad – gerade heute wieder gesehen).

Jetzt wird’s aber allmählich Zeit für den Osterhasen im Fiat, mögen Sie jetzt denken. Grundsätzlich schon, aber bis Sie den zu Gesicht bekommen, müssen Sie noch etwas Geduld haben, auch wenn ich ab jetzt auf kurzweilige Fotos umstelle.

Dazu begeben wir uns in die Nachkriegszeit und wieder nach Südwestdeutschland. Dort hatte damals ein Paar das Glück, über einen Fiat 500 des ab 1936 gebauten Vorkriegstyps zu verfügen und auch über das Geld für Benzin und Übernachtungen, um Urlaub mit dem Wagen zu machen.

Dabei ging es Richtung Süden, Richtung Gebirge – einen Drang, den man als Deutscher von den germanischen Vorvätern (m/w/d) ererbt hat und welcher seine konstruktivste Ausprägung in der friedlichen Urlaubsreise gefunden hat:

Fiat 500; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ich habe keine Idee, wo genau dieses stimmungsvolle Foto entstanden ist, habe gerade auch keine Zeit zum Recherchieren. Aber wenn jemand es herausfindet oder sogar spontan sagen kann, wäre ich für einen Hinweis im Kommentarteil sehr dankbar.

Auf der nächsten Aufnahme sind wir schon höher hinaus, auch hier könnte die markante Topografie Aufschluss über die Örtlichkeit geben:

Fiat 500; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nun haben wie zweimal „sie“ mit dem Fiat gesehen, da möchte man doch auch wissen, wie „er“ ausgesehen hat.

Für die nötige Geschlechtergerechtigkeit sorgen die beiden folgende Fotos. Hier haben wir „ihn“ zunächst anlässlich eines Halts irgendwo an der Autobahn:

Fiat 500; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Für mich sieht der Herr mit Baskenmütze und Nickelbrille wie ein „Intellektueller“ im positiven Sinne aus – also kein verkrachter Künstler, der nur wirr reden und herumschmieren kann, sondern jemand, der vielleicht aus einer musischen Begabung eine profitable Existenz gemacht hat – als Professor oder als Kunsthändler.

Hier haben wir ihn nochmals. diesmal mit dem einzigen Ortshinweis“Luitpoldbad“:

Fiat 500; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Sie sehen, über den wackeren Fiat verliere ich bei alledem kein Wort – dieser wohl genialste und zugleich schönster aller Kleinstwagen bedarf keiner Worte und auch warum er den Spitznamen „Topolino“ (Mäuschen) erhielt, erklärt sich ganz von selbst.

Wo aber bleibt denn jetzt der Osterhase? Den müssen Sie schon selbst finden. Doch das ist ganz einfach. Ich wollte bloß erst diese Bilderreihe bringen, zu deren Präsentation ich einige Jahre auf die richtige Gelegenheit gewartet habe.

Über die Besitzer des Fiats ist nichts bekannt und vermutlich ist außer diesen Aufnahmen nichts von ihnen geblieben, sonst wären die Aufnahmen nicht kommentarlos auf dem Markt gelandet, wo ich sie entdeckt habe.

Die Geschichte, die sie erzählen, ist ohnehin zeitlos – so wie die Geschichte vom Osterhasen ein uraltes Stück ist, welches sich die frühe christliche Kirche mit ihren in der Hinsicht begabten „Marketing“-Leuten genial angeeignet hat wie so vieles andere.

Und nun kommt endlich der Osterhase ins Spiel…

Fiat 500; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Spurensuche: Beckmann-Automobile (1912-1913)

In der letzten Ausgabe dieser Reihe, in der ich gemeinsam mit Beckmann-Urenkel Christian Börner der Historie der einst bedeutenden Breslauer Marke nachspüre, gab ich der Hoffnung auf den bevorstehenden Frühling Ausdruck.

Nun, einen Monat später – Ende März – lässt selbiger noch auf sich warten. Selbst im italienischen Umbrien, wo ich derzeit einen kurzen Urlaub verbringe, ist es unerwartet kalt und regnerisch.

Doch das passt mir sogar, denn ich habe ebenso unerwartet viele Aufträge abzuarbeiten. Als Selbständiger genießt man manche Freiheit, nur eine nicht: sechs Wochen bezahltes Nichtstun. Auf diesem speziellen Sektor müssen sich die „fleißigen“ Deutschen nur den Franzosen geschlagen geben.

Immerhin ein wenig Frühling kann ich mir herbeizaubern. Denn unter den mitgeführten CDs (ich bevorzuge physische Musikkonserven, man weiß ja nie, was kommt) findet sich auch das „Sechste Madrigalbuch“ von Claudio Monteverdi aus dem Jahr 1614.

Darin findet sich neben manchen anderen Schätzen das zauberhafte Werk „Zefiro torna“ – in dem die Rückkehr des lauen Frühlingswinds Zephyr besungen wird. In dieser Hinsicht haben deutsche Ensembles nichts zu bieten – neben Italienern sind es vor allem britische Sänger, welche diese prächtigen Renaissancewerke zum Strahlen bringen.

Ich empfehle hier (neben Roberto Alessandrini mit Concerto Italiano) „The Consort of Musicke“ unter Leitung von Anthony Rooley. Ihre Darbietung der Monteverdi-Madrigale aus dem Jahr 1990 begleitet mich schon seit fast 35 Jahren – ich war bei aller Rückständigkeit meiner Interessen schon früh ein Jünger der Digitalisierung.

Damals konnte ich nicht ahnen, dass ich dereinst selbst etwas in einem digitalen Format produzieren würde – nämlich dieses online geführte Tagebuch (englisch: Web-Log, kurz: Blog) zum abwegigen Thema „Vorkriegsautos auf alten Fotos“.

Auch Christian Börner, der mir einiges an Jahren voraus hat – er ist noch kurz vor Kriegsende in Breslau auf die Welt gekommen – ist fleißiger Nutzer dieser großartigen Technologie, welche unser aller Horizonte erweitert – geografisch wie historisch.

Nach diesem Vorwort übernimmt Christian Börner das Kommando, damit ich nicht weiter abschweife. Er bringt uns heute das erweiterte Angebot von Beckmann ab 1912 nahe:

„1912/1913 brachte die Firma Beckmann einen beeindruckende 34 Seiten umfassenden Verkaufsprospekt heraus, in dem 10 unterschiedliche Fahrzeugtypen vorgestellt wurden. Ein Originalexemplar dieses Prospekt hat sich in der Bibliothek des Deutschen Museums in München erhalten.

Darin Einsicht nehmen zu dürfen, war eine Offenbarung.

Gleich auf Seite 1 ist eine Ansicht des Beckmann’schen Firmengeländes zu sehen. Wie damals üblich, wurden Fabriken stets etwas überdimensioniert dargestellt:

Abbildung aus Beckmann-Verkaufsprospekt von 1912/13; via Christian Börner

Was außerdem auffällt, sind die rauchenden Schlote. Diese sollten wohl den Eindruck erwecken, dass die Firma kerngesund war und prosperierte.

Und das tat Beckmann zu dieser Zeit.

Auf der folgenden Seite des Prospekts findet sich der Hinweis darauf, dass Beckmann eine der ältesten Automobilfabriken ist (war). Das kann man wohl so stehenlassen.

Abbildung aus Beckmann-Verkaufsprospekt von 1912/13; via Christian Börner

Geradezu modern wirkt die verkaufsfördernde Aussage, welche auf die Produktqualität abstellt: „Vom Guten das Beste“. Auch dem wollen wir nicht widersprechen.“

An dieser Stelle erlaube ich mir in meiner Funktion als Blog-Wart, Herrn Börner kurz zu unterbrechen. Denn mir fallen in dieser Preisung der Beckmann-Produkte weitere Dinge auf.

An erster Stelle wird die elegante Bauart der Wagen hervorgehoben. Wo gibt es das heute noch? Auch die übersichtliche Anordnung der Bedienelemente wird betont. Das traut sich schon lange kein zeitgenössischer Hersteller mehr.

Auch Christian Börner weist auf die völlig anderen Prioritäten damaliger Autokäufer hin:

„Gibt es einen wesentlichen Unterschied zu heute? Ja, es fehlen beispielsweise die Verbrauchsangaben und die Emissionswerte, ohne deren Nennung jeder Hersteller heute sofort eine Abmahnung von einer bekannten Umweltorganisation bekäme, die das zum Geschäftszweck erkoren hat.

Um das zu vermeiden, werden heute solche angeblich unverzichtbaren Informationen in mehrzeiligen Texten in unlesbarer Miniaturschrift für 2 Sekunden in TV-Werbespots eingeblendet. Auflage formal erfüllt, aber völlig sinnlos! Man fühlt sich an den Geßler-Gruß erinnert, den Friedrich Schiller in „Wilhelm Tell“ verewigt hat.“

Meine Leser wissen, dass ich solche Spitzen schätze, denn man mag über vieles unterschiedlicher Ansicht sein, aber Konsens unter Normalbürgern dürfte wohl sein, dass wir eher weniger als mehr solcher Bürokratie brauchen, wenn die Wirtschaft wieder brummen soll wie einst zu Pionierzeit des Automobils oder auch zu Zeiten Ludwig Erhards.

Ich übergebe nun wieder das Wort an Christian Börner, der uns im Folgenden vier der zehn Beckmann-Typen aus besagtem Verkaufsprospekt präsentiert:

Ab 1912 hatte Beckmann sein Angebot von Geschäfts- und Lieferungswagen verstärkt. Diese wurden bevorzugt mit dem 8/20 PS-Vierzylindermotor ausgerüstet, der einen Hubraum von 2,1 Litern hatte.

Der Motor entstand in Doppel-Blockbauweise, also mit je zwei paarig gegossenen Zylindern:

Motor des Beckmann Typ 8/20 PS; Abbildung via Christian Börner

Die besagten Lieferwagen von Beckmann, welche mit diesem bis in die 1920er Jahre gebauten Aggregat verkauft wurden, konnten dann beispielsweise wie folgendes Exemplar aussehen.

Damit wurden der „besseren Gesellschaft“ Kinder- und Damenmoden ins Haus gebracht:

Lieferungswagen des Beckmann Typs 8/20 PS; Abbildung via Christian Börner

Den Beckmann 8/20 PS gab es aber auch mit verkürztem Radstand – als sportlich wirkenden Zweisitzer, wie er im Prospekt von 1912/13 abgebildet ist. So ein Fahrzeug darf übrigens trotz seiner Kompaktheit als reiner Luxus betrachtet werden.

Denn für einen Doktorwagen war er zu teuer und für eine Familie zu klein. Also blieb nur die Funktion als Repräsentationsfahrzeug beim ziellosen Flanieren oder für Reisezwecke, wobei die Heckpartie einen gewissen Stauraum für Gepäck bot:

Beckmann 8/20 PS Zweisitzer; Abbildung aus Verkaufsprospekt von 1912/13; via Christian Börner

Als nächstes Modell ist der Beckmann-Typ 10/30 PS an der Reihe.

Eine solche Motorleistung sollte am deutschen Markt bis Mitte der 1920er Jahre ein Standard bleiben – vor dem 1. Weltkrieg bewegte man sich damit schon in deutlich gehobenen Sphären.

In diesem Fall kommt eine kolossal teure Karossierung als „Aufsatz-Limousine“ hinzu:

Beckmann 10/30 PS Aufsatz-Limousine; Abbildung aus Verkaufsprospekt von 1912/13; via Christian Börner

Hier ließ sich das geschlossene Passagierabteil mitsamt dem Dach über dem Fahrer nach oben abnehmen, sodass man plötzlich über einen Tourenwagen verfügte.

Nach dieser Verwandlung, welche mit vier kräftigen Personen ohne weiteres möglich war, sah das Auto dann so aus wie der folgende Tourer – der freilich mit der Motorisierung 22/50 PS bereits in der damaligen Spitzenklasse angesiedelt war – wenn auch nicht an deren oberstem Ende (dort waren 80-100 PS üblich):

Beckmann 22/50 PS Tourenwagen; Abbildung aus Verkaufsprospekt von 1912/13; via Christian Börner

Man macht sich heute kein Vorstellung mehr von dem ungeheuren Wert, den ein solcher stark motorisierter Reisewagen mit enormer Steigfähigkeit repräsentierte.

Für den im Beckmann-Prospekt von 1912/13 genannten Preis von 15.000 Goldmark konnte man sich auch ein einfaches Haus mit kleinem Grundstück kaufen.

Das brauchten die solventen Käufer solcher Automobile aber nicht, denn sie besaßen bereits mindestens ein luxuriöses Haus mit großem Grundstück. Man ersieht daran, für welche Klientel Beckmann damals selbstverständlich tätig war.

In diesen Kreisen gab es auch extravagante Wünsche, die es bei Bedarf zu erfüllen galt – auch hier stand Beckmann anderen deutschen Herstellern in keiner Weise nach.

So gab es den Typ 22/50 PS auch mit einem Aufbau als Sport-Limousine, der bereits Anklänge an strömungsgünstige Fahrzeuge der 1920er Jahre aufweist:

Beckmann 22/50 PS Tourenwagen; Abbildung aus Verkaufsprospekt von 1912/13; via Christian Börner

Für den unwahrscheinlichen Fall, dass Sie immer noch nicht von der Klasse der Beckmann-Wagen kurz vor dem 1. Weltkrieg überzeugt sein sollten, weiß Christian Börner Sie vielleicht endgültig mit der damaligen Zubehörliste zu beeindrucken.

„Derartige Mehrausstattungslisten sind heute viel länger und manches Mobil unserer Tage lässt sich endpreislich locker auf das Doppelte des Basispreises katapultieren… Aber eines ist mir bei der Lektüre aufgefallen: Es finden sich nirgends Informationen zur Beleuchtungsanlage. Diese war wohl selbstverständlich und daher nicht weiter wichtig.“

Beckmann-Sonderausstattunngsliste aus Verkaufsprospekt von 1912/13; via Christian Börner

Mir ist noch etwas anderes aufgefallen:

Beckmann-Käufer mussten sich nicht mit einem an sich völlig ausreichenden bis 80 km/h reichenden Tacho begnügen , sondern konnten auch einen ordern , der auf bis zu 120 km/h ausgelegt war – ein Tempo, das auf damaligen Straßen an Wahnsinn grenzte.

Da war es nur konsequent, wenn man als so ein „Raser“ auch über gleich drei Hupen verfügen konnte, wenn man nochmals in die Schatulle griff. Nicht zuletzt hätte ich auch die 8-Tage-Uhr geordert – denn nur so wirkte das Armaturenbrett einigermaßen gut bestückt.

Und das Auge fuhr und fährt bekanntlich mit – das hat sich unter Auto-Gourmets seit den Tagen von Beckmann nicht geändert.

Dass damals der 1. Weltkrieg „dazwischenkam“, sollte uns nachdenklich stimmen: Nichts ist garantiert, nichts bleibt wie es ist, das sagt uns die Historie – oft genug schon die eigene Familiengeschichte wie im Fall von Beckmann-Urenkel Christian Börner und auch mir.

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Früh bildet sich der Italien-Fan: Brixia-Züst 10 PS

Die Leidenschaft für das Sehnsuchtsland südlich der Alpen kann sich gar nicht früh genug entwickeln.

Nach etlichen Fehlversuchen germanischer Horden, die außer Plündern und alles in Brandsetzen nichts Konstruktives zustandebrachten, waren es in der Spätantike unter anderem die Langobarden, welchen es gelang, im von der Völkerwanderung verheerten Italien stabile Strukturen zu etablieren, die freilich auf lokaler Expertise basierten.

Ihre Hinterlassenschaften gehören zu den interessantesten jener Zeit – speziell in Umbrien, wo ich mich gerade aufhalte.

Dort kam es nach Zusammenbruch der römischen Verwaltung zu einer kleinen Renaissance auf lokaler Ebene, von der im Frühmittelalter entstandene Baudenkmäler des klassischen Stils zeugen wie der zauberhafte Tempietto del Clitunno.

Schon meine zweite Italienreise führte mich einst als Student, der sich in den Semesterferien auf archäologischen Grabungen als Hilfsarbeiter verdingte, um auf harte, aber spannende Weise Geld für den Urlaub zu verdienen, nach Umbrien.

Früh bildet sich der Italien-Fan. Und die Liebe zu der hierzulande kaum bekannten Region in Zentralitalien ist über die Jahrzehnte nur gewachsen und heute kann ich mich glücklich schätzen, mich dort regelmäßig aufhalten zu können.

Zwar habe ich dieses Mal einen Haufen Arbeit mitgenommen ins beschauliche Collepino, aber heute war zwischendurch Zeit für einen kurzen Ausflug in den knapp 5 Kilometer entfernten Nachbarort San Giovanni – mit dem Fahrrad auf wechselndem Belag.

Dazu hatte ich mir eigens ein geländegängiges Gerät gebastelt, unter Verwendung eines alten Rahmens mit doppeltem Oberrohr, modernen „Gravelbike“-Reifen und einer 3-Gang-Nabenschaltung, garniert mit klassischem Brooks-Sattel:

San Giovanni, Provinz Perugia (Umbrien), 25. März 2024; Bildrechte: Michael Schlenger

Eine hübsche Ansicht nicht wahr? Auf 700 Meter Höhe machte sich der Frühling zwar noch rar, aber die Sonne schien und San Giovanni bot willkommene Gelegenheit zu einem Halt.

Allerdings verließ ich das winzige Örtchen mit einem Gefühl der Beklemmung.

An der kleinen Piazza mit Trinkbrunnen erinnerte eine Tafel nicht nur an die Gefallenen des 1. Weltkriegs, sondern auch an ein halbes Dutzend junger Männer, die vor rund 80 Jahren von deutschen Soldaten verschleppt wurden.

Solche Aktionen waren meist die Reaktion auf Partisanenanschläge auf deutsches Militär, nachdem die Italiener sich des Mussolini-Regimes entledigt und gegenüber den Alliierten kapituliert hatten.

Wie in Frankreich waren die Aktivitäten der „Resistenza“ zwar militärisch unbedeutend und oft von Abenteurertum oder auch purer Mordlust motiviert, aber das macht die deutschen Vergeltungsaktionen nicht besser, da sie meist Unschuldige trafen.

Wer nicht gleich erschossen wurde, landete als Zwangsarbeiter in Deutschland, wo den Italienern oft kaum ein besseres Schicksal blühte als den russischen Gefangenen.

Von den Verschleppten aus San Giovanni überlebten die meisten den Krieg nicht bzw. nur kurze Zeit. Nun stand ich da mit meinem Rad, wo sich einst dieses Drama abspielte und auch wenn ich selbst nichts damit zu tun habe und weiß, dass im Krieg allen Seiten Furchtbares widerfahren ist, verließ ich den Ort betrübt.

In Mittelitalien begegnen einem solche Erinnerungen an deutsche Barbarei auf Schritt und Tritt. Doch obwohl die Einheimischen ihrer unglücklichen Opfer regelmäßig gedenken, habe ich als Deutscher nie ein böses Wort darüber zu hören bekommen.

Das war eine lange Vorrede. Doch nach getaner Arbeit habe ich Muße, das Feuer knistert gemütlich im Kamin und Marcella Pobbe singt für mich im Hintergrund aus Verdis Trovatore. Da scheint die Zeit stillzustehen.

Dass ich heute dennoch die Kurve kriege, dafür hat ein aufmerksamer Leser gesorgt, der bemerkt hat, wo ich mich aufhalte und meine Liebe zum Land jenseits der Berge kennt.

Er sandte mir das dazu passende Autofoto, welches von einem frühen Italien-Fan aus Deutschland erzählt und auch Leser aufwecken sollte, die zwischenzeitlich eingenickt sind:

Brixia-Züst 10 PS-Modell (vermutlich); Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Hier haben wir den willkommenen Fall, dass der Markenname unübersehbar auf den Kühlergrill lackiert wurde: „Brixia Züst“ ist da mit etwas gutem Willen zu lesen.

Was zunächst wenig italienisch klingt, war dem Schweizer Robert Züst zu verdanken, der in Intra am Lago Maggiore einen Maschinenbaubetrieb unterhielt. Seine Söhne machten daraus ab 1905 eine Automobilfirma mit Sitz in Mailand.

1906 wurde in Brescia (lateinisch: Brixia) ein Zweigwerk gegründet. Die dort gebauten Fahrzeuge firmierten bis 1912 als „Brixia-Züst“.

Neben gehobenen Modellen mit 24 bzw. 40 PS entstand unter dem Namen „Brixia Züst“ ab 1908 auch ein dreizylindriger 1,5 Liter-Typ, der 10 PS leistete.

Vergleiche mit anderen Fotos veranlassen mich zu der Annahme, dass das Foto von Klaas Dierks einen solchen Wagen zeigt. Mehr konnte ich dazu vorerst nicht in Erfahrung bringen – aber vielleicht hat ja jemand mehr Informationen dazu.

Bemerkenswert ist, dass der Brixia-Züst auf dem Foto ein deutsches Nummernschild besitzt. Wir haben es also mit einem frühen Italien-Fan in automobiler Hinsicht zu tun.

Zwar waren die großen Fiats jener Zeit auch in deutschen Landen bekannt und wurden geschätzt – doch auf einen Brixia-Züst musste man erst mal kommen, wenn man sich damals ein Automobil zulegen wollte.

Aber herrje, wieso sollte nicht damals auch jemand empfänglich gewesen sein auch für den abseitigen Reiz des Südens – das ist ein altes Stück, das mit immer wieder neuen Aufführungen erfreut.

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Die Richtung stimmt! Steyr II oder V in Matrei

Heute nehme ich es mal nicht so buchhalterisch genau – denn es werden keine Luftschlitze oder Speichen gezählt, keine Radstände abgeschätzt und es wird keine Datierung alten Blechs auf ein, zwei Jahre genau versucht.

Heute lässt mich das alles kalt – ganz hippiemäßig komme ich mir vor, wenn ich mich dem preußischen Arbeitsgebot unbedingter Präzison verweigere und frech behaupte: „Ach was, Hauptsache die Richtung stimmt!“

Daran schuld ist aber weder die Freigabe von Cannabis in haushaltsüblichen Mengen – die Lösung eines dringenden „Problems“, an dem sich wahre Regierungskunst zeigt – oder gar eine fundamentale Wandlung in meinen Prioritäten.

Zugegeben, nachdem die Wochen seit Jahrebeginn beruflich aufreibender waren als sonst und die Sonne fast nie zu sehen war, kann es sein, dass ich ein wenig müder bin als sonst, wenn ich zu später Stunde noch einen Eintrag im Blog angehe.

Aber der eigentliche Grund für meine ungewohnte Großzügigkeit ist ein anderer.

So kann ich mir nicht merken, wie man die Modelle II und V der österreichischen Qualitätsschmiede Steyr aus der ersten Hälfte der 1920er Jahre auseinanderhält.

Und das obwohl Leser und Markenspezialist Thomas Billicsich es mir schon einigemal erklärt hat. So wird er wohl auch diesmal einschreiten müssen und auf den Unterschied der beiden Typen hinweisen – wenn ich mich recht entsinne, kam es auf den Kühlergrill an:

Steyr Typ II oder V; Postkarte von 1931 aus Matrei am Brenner; Original: Sammlung Michael Schlenger

Wie gesagt, mir genügt es vollkommen, hier einen prächtigen Steyr-Tourer der frühen 20er mit dem markanten Emblem am Spitzkühler zu sehen – das leichte Motorrad am Bildrand gefällt mir nebenbei auch.

So ein Dokument ist ganz nach meinem Geschmack – ich würde sagen: Die Richtung stimmt.

Apropos Richtung: Diese schöne Ansicht reiste im Juli 1931 als Postkarte nach Bremen – auch diese Richtung stimmt, wie ein geschätzter anderer Leser sicher bestätigen wird.

Allerdings zieht es mich aktuell doch in genau die gegenteilige Richtung und zwar eine, die für mich immer stimmt – auch wenn ich dabei eine andere Route bevorzuge.

Das Foto entstand nämlich auf halber Strecke zwischen Innsbruck und dem Brennerpass, welcher bekanntlich nach Italien führt. Die Römer bauten um 200 nach Christus die erste befestigte Straße über den Brenner, womit man einigermaßen kommod von Verona nach Augsburg reisen konnte – oder umgekehrt, was ich schon damals bevorzugt hätte.

Am Aufnahmeort gab es im 4. Jahrhundert eine römische Straßenstation, deren Name Matreium lautete. Er hat sich bis in unsere Tage erhalten – dort findet sich heute das Straßendorf Matrei am Brenner.

Allerdings sollte man in diesem Fall landläufige Vorstellungen von einer Dorfansicht vergessen, denn Matrei präsentiert sich trotz gewohnt „schonender“ US-Bombenangriffe kurz vor Kriegsende im März 1945 mit prachtvollen Bürgerhäusern, welche für mich wieder einmal die Frage aufwerfen, welche Berufe moderne Architekten eigentlich erlernt haben:

Steyr Typ II oder V; Postkarte von 1931 aus Matrei am Brenner; Original: Sammlung Michael Schlenger

Angesichts dieser Szenerie ist mir nun wirklich völlig gleichgültig, ob der Steyr ein Typ II oder V war – denn die Richtung stimmt so oder so: Entweder zeigt seine Kühlerfront in Richtung Italien oder unser Blick geht dorthin.

Und das ist das Entscheidende: dass die Richtung stimmt. Denn unzufrieden mit den Fortschritten des Frühlings in hessischen Gefilden geht es morgen gen Süden über die Alpen. Dass ich dabei wie gewohnt den Gotthardpass nehme – geschenkt.

Das wussten schon unsere barbarischen Vorfahren, die es am Ende der Antike nach Italien drängte: Ob Brenner oder Gotthard – Hauptsache, die Richtung stimmt!

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„Outdoor“-Freunde mit Stil: Chevrolet Sedan von 1931

Bei Wind und Wetter draußen unterwegs zu sein – ausgekühlt, eingesaut oder durchgeschwitzt, das kenne ich von Kindesbeinen an.

Sei es mit Freunden durch Wald und Wiesen streunend, mit dem Fahrrad in Taunus und Vogelsberg oder später in den Semesterferien als Helfer auf archäologischen Grabungen in meiner Heimatregion- der hessischen Wetterau.

Ach ja, beim „Bund“ habe ich auch das volle „Outdoor“-Programm genossen – als Panzergrenadier mit Grundausbildung in Herbst und Winter, was ich schon einmal den auffallend vielen ungedienten Schreibtisch-Kriegern unserer Tage voraus habe.

Ich kann mich nicht erinnern, dass bei irgendeiner dieser Aktivitäten die Hervorbringungen der rührigen Outdoor-Fashionbranche eine Rolle gespielt hätten. Ich bin mit 100 % Naturmaterialien und der Natur entlehnten Farben großgeworden, ohne je dem Kult der „Grünen“ nahegestanden zu haben.

So halte ich es auch heute: An die frische Luft geht es mit Lederschuhwerk, Baumwolle, Leinen oder Schurwolle – meine liebe Mutter hat mich diesbezüglich sehr „streng“ erzogen, wofür ich ihr ewig dankbar bin.

Wenn ich vom Schreibtisch aus auf die Straße schaue, die zum örtlichen Rosenmuseum führt, bekomme ich bisweilen das ganze Spektrum farbenfroher Polyester-Derivate in Form von Jacken und Rucksäcken geboten, wenn eine Reisegruppe bei völlig normalem Wetter in einer Aufmachung draußen vorbeizieht, als habe sich eine Himalaya-Expedition verirrt.

Dabei scheint gerade bei den älteren Herrschaften (m/w/d) der Irrtum verbreitet zu sein, dass Farben aus dem Kita-Wachsmalkasten wie Giftgrün, Knallgelb und Neonpink irgendeinen Verjüngungseffekt bewirken könnten.

Zumindest in der Hinsicht war früher fast alles besser – denn heillos geschmacksverirrte Zeitgenossen waren noch die Ausnahme, wenn man alten Fotos wie diesem traut:

Chevrolet Sedan Modelljahr 1931; Originalfoto: Michael Schlenger

So stilvoll präsentierten sich diese „Outdoor“-Fanatiker vor gut 90 Jahren. Es muss einer der ersten sonnigen Frühlingstage gewesen sein.

Doch die Luft war noch kühl und man war gut beraten, mit Mantel und Kopfbedeckung vor die Tür zu gehen. So ein Barett oder eine Schiebermütze hat weit mehr Pep als eine Baseballkappe – die ich als US-Brauchtum durchgehenlasse, bei uns aber keine Tradition hat.

Gut gefällt mir, dass einst auch die Herren Bein zeigen durften – aber im Unterschied zu den Damen nur blickdicht bestrumpft, weil man sich der Grenzen des Vorzeigbaren noch sehr bewusst war.

Wenn Sie das jetzt uninteressant oder deplatziert finden – ich weiß, in Deutschland sind Äußerlichkeiten vielen inzwischen völlig egal – kann ich es nicht ändern. Ich schreibe hier, was mir gefällt – und dazu gehört neben Vorkriegsautos eben auch das:

Wenn ich mir das Erscheinungsbild dieser Leute betrachte, bin ich einfach der Meinung, dass mit der Vorkriegszeit nicht nur in Sachen Automobilstil etwas verlorengegangen ist, dem man nachtrauern mag, das aber auch Inspiration für’s Heute birgt.

Kulturhistorisch interessant ist zudem die Tatsache, dass es die Städter damals wie heute auf’s Land trieb und man das Erlebnis suchte, sich irgendwo im Grünen niederzulassen, den Ausblick, den Geruch und die Weite des Himmels zu genießen.

Nun, wir kommen von „draußen“, denn die Welt unserer direkten Vorfahren, die in der Jungsteinzeit hiesige Gefilde besiedelten, war eben keine der betonierten Großstädte, in denen uns neuerdings verwirrte Ideologen möglichst platzsparend einkerkern wollen.

Bleibt die Frage, was unsere „Outdoor“-Freunde damals für einen Wagen fuhren. Gewiss nahmen Gleichgesinnte gern das Rad, schon deshalb weil das Kleingeld für ein motorisiertes Gefährt bei weitem nicht reichte.

Doch wer konnte, nahm natürlich das Auto, denn damit kam man weiter und schneller dorthin, wo es besonders schön war. Im vorliegenden Fall war es ein Chevrolet, der hier geduldig am Wegesrand wartet:

Chevrolet Sedan Modelljahr 1931; Originalfoto: Michael Schlenger

Den entscheidenden Hinweis auf die Marke gibt der Umriss des Emblems auf den Radkappen – übrigens heute fast unverändert Ausweis eines „Chevies“.

Dass wir es mit einem US-Fabrikat zu tun haben, darauf deuten auch die bei Mittelklassewagen deutscher Provenienz eher seltenen Drahtspeichenräder hin.

Im Fall von Chevrolet wurden sie ab dem Modelljahr 1930 verbaut, der Vorgänger besaß Scheibenräder. Die Gestaltung der Haubenschlitze erlaubt dann eine Datierung auf 1931.

Technisch war der Chevrolet in den Staaten ein solider Billigheimer – im damaligen Deutschland dagegen war der 6-Zylinderwagen mit 50 PS ein durchaus gehobenes Fahrzeug.

Damit konnte man sich „outdoor“ sehen lassen, etwa hier irgendwo am Strand:

Chevrolet Sedan Modelljahr 1931; Originalfoto: Michael Schlenger

Hier haben wir eine sonst weitgehend identische Ausführung als viertürige Limousine mit Zweifarblackierung, welche den Wagen weit attraktiver erscheinen lässt.

Was hier so repräsentativ erscheint, war wie gesagt in den Staaten ein erschwingliches Automobil für jedermann – über 620.000 Stück wurden davon 1931 gebaut.

Doch schon damals waren bereits die Tage gezählt, als man sich noch draußen mit Stil zu bewegen wusste. Die Nachkriegszeit war in vielerlei Hinsicht ein Segen, doch ab Ende der 60er (in die mein Geburt fiel) begann aus meiner Sicht ein Niedergang in ästhetischer Hinsicht, dessen Ergebnisse wir heute auf allen Ebenen besichtigen müssen….

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Hier ist schon Frühling: Opel „6“ 2 Liter Cabriolet

Vermissen Sie auch den Frühling? Hier in der sonst milden Wetterau in Hessen war es heute wieder empfindlich kühl – auch wenn ich das zu ignorieren versuchte.

Die Sonne machte nachmittags zaghafte Anstalten, etwas Wärme zu verbreiten und endlich regnete es einmal nicht. Ideale Bedingungen, so dachte ich mir, mein über den Winter gebasteltes Vintage-Geländerad zu erproben.

Das glänzt mit einem alten Doppelrohrrahmen, einem schicken „Brooks“-Ledersattel, einer modernen Dreigang-Nabenschaltung und einer speziellen 28 Zoll-Bereifung, die auf Asphalt hohe Geschwindigkeiten erlaubt, auf Kies und Waldboden aber guten Seitenhalt bietet.

Erst kürzlich lernte ich, dass solche „Gravel-Bikes“ auf Basis alter Fahrradrahmen total angesagt sind, hip und trendy usw. – jedenfalls bei Leuten, die nicht nur zum Schein in die Pedale treten wollen wie bei den derzeit beliebten Elektromofas.

Nur mit T-Shirt auf dem Oberkörper begab ich mich damit auf eine kleine Testrunde von vielleicht 15-20 km. Kurz vor dem Ortsausgang überholte ich mich ein ganz in hautengem Dress gekleideter Rennradler, bei dem nur das Gesicht Luftkontakt hatte.

Der hatte wohl nicht dieselbe Zuversicht wie ich, unterwegs den Frühling zu erhaschen. Damit lag er zwar richtig, denn es sollte empfindlich kalt bleiben, aber dennoch konnte ich ihn ein wenig ärgern, indem ich mich in seinen Windschatten hing.

Er hatte einen winzigen Spiegel am Lenkerende und bemerkte, dass ich mich nicht abschütteln ließ. Einmal schaltete er noch hoch, aber das half ihm nicht, denn ich war noch frisch und er wohl nicht – außerdem blies ihm der kühle Wind entgegen.

Nach kurzer Jagd bog ich dann bei Rosen „Ruf“ ab und blieb von da an fast allein. Über die alte Römerstraße von Friedberg nach Arnsburg – heute ein Feldweg – ging es Richtung Münzenburg. Deren Doppelturm-Silhouette sehen Sie von der A5 auf dem Weg nach Norden rechter Hand kurz hinter der Raststätte „Wetterau“.

Auf dem Rückweg über die Landstraße blies mir nun der kalte Vorfrühlingshauch ins Gesicht, doch das Rad mit seinen neuen Lagern und trotz Stahlrahmen niedrigem Gewicht ließ sich weit flotter bewegen, als ich erwartet hatte. Mit gut durchbluteten Armen fuhr ich bald wieder in den heimischen Hof – so wach war ich schon lange nicht mehr…

Dies war meine Inspiration für den heutigen Blog-Eintrag, denn ich habe die Nase voll vom Winter und kann es kaum erwarten, dass der Frühling einkehrt. So begab ich mich in meinem Fundus aus hunderten noch unveröffentlichten Fotos von Vorkriegswagen auf die Suche.

Irgendwo sollte doch der Frühling zu finden sein!

Tatsächlich: Jemand hatte ihn erhascht und mit einer schönen Aufnahme für die Nachwelt festgehalten. Anno 1950 war das im Neckartal – aber das Auto war klar ein Vorkriegsmodell:

Opel „6“ 2 Liter Cabriolet: Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Zugegeben: So wirklich frühlingshaft mild scheint es damals auch noch nicht gewesen zu sein – die Eltern sind recht warm gekleidet.

Doch das Mädchen auf dem Kühler traut sich schon etwas mit den kurzen Ärmeln, zumal es von unten angenehm warm gewesen sein dürfte.

Mir gefällt die ansteckende Fröhlichkeit auf diesem Dokument aus einer Zeit, als der Zweite Weltkrieg gerade erst fünf Jahre vorbei gewesen war. Der Vater mit dem Bub auf dem Arm war sicher Soldat gewesen und seine Frau hat vermutlich auch eine schwere Zeit erlebt.

Doch nun war man zusammen mit dem eigenen Auto und fuhr aus purer Lust in die Weinberge – wer sich das damals leisten konnnte, gehörte zu den „happy few“.

Und dann noch mit einem schicken 6-Zylinder-Cabriolet von Opel – mit das Schönste, was die Rüsselsheimer in den 1930er Jahren zustandegebracht hatten.

Das adrette Vierfenster-Cabrio mit zwei Türen wurde ab 1935 gebaut; das Basismodell „6“ mit dem 2-Liter-Motor (36 PS) war ein Jahr zuvor erschienen

Bis Produktionsende 1937 verkaufte sich der Opel ausgezeichnet. Was davon den Krieg überstanden hatte, sollte für die Besitzer die Basis für einen neuen Autofrühling darstellen…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Der Herde fern und doch ganz nah: Austro-Daimler ADV

Mit dem Titel meines heutigen Blog-Eintrags bin ich sehr zufrieden. Denn er spielt mit der schillernden Doppeldeutigkeit des Begriffs der Herde und beschreibt zugleich treffend das, was ich diesmal an Bildmaterial zu bieten habe.

Zufälligerweise, geht es dabei fast genau 100 Jahre zurück in die erste Hälfte der 1920er Jahre. Damals fuhr unter Deutschlands Automobilisten die Mehrheit – von Masse möchte ich mangels derselben nicht sprechen – vor allem Modelle in der Klasse von etwa 25 bis 30 PS Spitzenleistung.

Am verbreitetsten waren: Brennabor Typ P 8/24 PS, Presto Typ D 9/30 PS, NAG Typ C 10/30 PS und Protos Typ C 10/30 PS. Etwas darüber angesiedelt war der Mercedes Knight 16/45 PS, von dem ebenfalls einige tausend Exemplare entstanden:

Daimer „Mercedes“ 16/45 PS (vermutlich); Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wem das alles zu ordinär war und wer sich fern der Herde bewegen wollte – noch dazu mit forcierter Gangart – für den kam aus deutscher Produktion allenfalls noch der Kompressor-Mercedes 10/40/65 PS in Betracht.

Von den zuvor genannten, in größeren Stückzahlen gebauten Wagen unterschied der sich vor allem durch die moderne Motorenkonstruktion mit v-förmig im Zylinderkopf hängenden Ventilen und Steuerung über obenliegende Nockenwelle.

Wer es sich auf den damaligen Straßen traute, konnte damit ohne Weiteres die magische Grenze von 100 km/h übertreffen.

Der im Alltag wichtigeren Elastizität des Motors – geschätzt auf Reisen und auf Bergstrecken – wurde allerdings durch den relativ geringen Hubraum von 2,6 Litern Grenzen gesetzt.

Welche Wahl hatte nun der Herrenfahrer, welcher damals abseits der Herde fahren wollte – und noch dazu mit der Souveränität, die man sich für längere Touren gen Süden und über die Alpen wünschte?

Da kam im deutschsprachigen Raum neben dem raren Simson Typ F 14/65 PS eigentlich nur ein Modell eines etablierten Herstellers in Betracht: Der Typ ADV von Austro-Daimler!

Dieses phänomenale Fahrzeug mit seinem prachtvollen 4,4 Liter Sechszylinder, der dank obenliegender Nockenwelle besonders drehfreudig war und 60 PS leistete, habe ich in meinem Blog bereits das eine oder andere Mal gewürdigt.

Doch bislang konnte ich „nur“ die gängige offene Ausführung als Tourenwagen zeigen:

Austro-Daimler ADV; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Auf dieser Aufnahme erkennt man die vorderen Trommelbremsen, welche den 1923 eingeführten Typ ADV vom technisch sonst weitgehend identischen Vorgänge AD617 unterschieden.

Serienmäßig bot diese gerade bei Abfahrten so wichtige Zutat unter deutschen Herstellern damals meines Wissens niemand. Ein Beispiel für ein anderes ausländisches Serienfabrikat, welches sogar schon ab 1920 Vorderradbremsen verbaute, bringe ich bei Gelegenheit.

Mit den Vorderradbremsen verwies der Austro-Daimler ADV seinerzeit alle deutschen Konkurrenten auf hintere Plätze. Doch so sehr sich der Besitzer eines solchen Wagens damit bereits fern der Herde bewegte, gab es die Möglichkeit auf noch mehr Distinktion.

Wer richtig solvent war und bei Fernreisen Wert auf vollwertigen Wetterschutz legte, der kaufte den Austro-Daimler ADV kurzerhand als Limousine und dann natürlich mit dem besonders aufwendigen und kolossal teuren Sechsfensteraufbau:

Austro-Daimler ADV; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der Herr mit den Segelohren und der Sturmfrisur gab auch durch seine extravagante Kleidung zu erkennen, dass er ein Dasein fern der Herde bevorzugte. Im 19. Jh hätte man ihn halb geringschätzig, halb heimlich bewundernd als Dandy bezeichnet.

Man sieht an seinem Beispiel, dass man sich Individualität in der äußeren Erscheinung nicht notwendigerweise durch Verstümmelungen mittels allerlei Blechzutaten in der Haut oder wilder Malereien unter derselben erkaufen muss.

Dieser Paradiesvogel von Mann mit der wenig stahlhelmgerechten Haarpracht war ein Musterbeispiel für einen Zeitgenossen, der sich bewusst außerhalb der Herde platzierte, ohne zu provozieren und aus Hässlichkeit einen Kult zu machen.

Da können die Damen diesmal leider nicht mithalten, denen ich sonst doch so gern gerecht zu werden mich bemühe. Doch die antifeminine Mode jener Jahre wirkte leider nur an wenigen Frauentypen überzeugend, wobei ich nichts gegen einen frechen Bubikopf und ein Charleston-Kleid einzuwenden habe, wenn Gesicht und Figur dazu passen.

Doch bei dieser „Konkurrenz“ erzielt diesmal der Herr für mich den ersten Preis in diesem Mode-Concours.

Er war mit seinem sportlich karierten Dress der Herde aus meist feisten Mittelklasse-Automobilisten fern, denen man den „Genuss“ von zu fettem Essen, Schnaps und Zigarren deutlich ansah.

Gleichzeitig war er mit dem mächtigen Austro-Daimler ADV mit Limousinenaufbau aber auch der Herde ganz nah und das im wahrsten Sinne des Wortes.

Denn Fortuna wollte, dass ich zusammen mit dem Albumblatt, auf dem die obige Aufnahme die Zeiten überdauert hat, ein umseitig aufgeklebtes Foto erwarb, das die vom Individualisten verachtete Herde diesmal von ihrer schönsten, ja liebenswerten Seite zeigt.

Vermutlich auf einer der Touren mit dem Austro-Daimler muss diese stimmungsvolle Aufnahme entstanden sein, mit der ich für heute schließen möchte – denn eine solche zeitlose Szenerie bedarf keiner weiteren Kommentierung:

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Repräsentant des Zeitgeschmacks: Buick von 1925-27

Meine jüngste Besprechung des Brennabor Typ R 6/25 PS hat nicht nur Zustimmung erfahren. Speziell meine Kritik der kruden Gestaltung dieses von 1925-28 gebauten Fahrzeugs mochte manchem harsch erscheinen.

Ich will heute darlegen, dass mein Urteil nicht lediglich subjektiv und dem modernen Geschmack geschuldet ist. Als Maßstab für den damaligen Zeitgeschmack ziehe ich dazu einen Wagen heran, der nicht lediglich in ein paar tausend Exemplaren entstand, sondern von dem pro Jahr 200.000 bis 250.000 Wagen abgesetzt wurden.

Es liegt auf der Hand, dass es sich bei diesen Stückzahlen nur um ein US-Fabrikat handeln kann. Die amerikanischen Hersteller hatten nach dem 1. Weltkrieg in nahezu jeder Hinsicht die Führungsrolle am globalen Automarkt übernommen.

Speziell ab Mitte der 1920er Jahre repräsentierten US-Wagen den automobilen Zeitgeschmack auch in weiten Teilen Kontinentaleuropas und verdrängten die technisch wie gestalterisch oft rückständigen einheimischen Fabrikate. Nur in Frankreich und Italien konnten Citroen und Fiat ihre Position einigermaßen halten.

Wer sich schon immer gefragt hat, warum sich renommierte deutsche Hersteller wie Adler, Opel, Horch oder Stoewer ab 1925 darum bemühten, möglichst amerikanisch erscheinende Wagen auf den Markt zu bringen, findet die Antwort darin: Weil alle Welt US-Wagen wollte.

Warum selbst auf größere Serien eingestellte Hersteller wie Brennabor hierzulande letztlich das Nachsehen hatten und der Großteil der Kundschaft lieber „Amerikaner“wagen kaufte, findet heute die Antwort am Beispiel der Buick-Modelle von 1925-27.

Zur Erinnerung: Brennabor stieg damals mit diesem Gefährt des Typs R 6/25 PS in den Ring:

Brennabor Typ R 6/25 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

So reizvoll dieses Dokument auch ist – diesem Tourer mit seiner aus primitiven Formen zusammengesetzten Karosserie ließ sich schon damals ästhetisch wenig abgewinnen.

Die Frontpartie habe ich bereits in meinem letzten Blogeintrag beanstandet – hier kann man nun auch die an einen militärischen Kübelwagen erinnernde Heckpartie studieren.

Lassen Sie dieses Vehikel noch einmal auf sich wirken – ich verspreche Ihnen: Am Ende werden Sie sich an einem offenen Wagen derselben Zeit erbauen können, an dem einst wirklich fähige Gestalter ihres Amts gewaltet haben.

Lassen wir nun einige Bilder erzählen, auf welchem Stand die moderne Autogestaltung damals war. Beginnen wir mit dem Buick des Modelljahrs 1925, in dem auch der Brennabor Typ R 6/25 PS erschien.

Hier zunächst eine Aufnahme aus England, welche die charakteristische Kühlerpartie und die markante Gestaltung der Vorderkotflügel und der Scheinwerfer erkennen lässt:

Buick von 1925 mit britischer Zulassung; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Selbst in England, wo damals eine größere Herstellervielfalt herrschte als in deutschen Landen, fanden die neuartig gestalteten US-Autos Anklang und wurden dort teils auch hergestellt.

Die Mittelklassewagen von Buick boten ein unverwechselbares Gesicht und man schreckte nicht vor dem Auge schmeichelnder Formgebung zurück, welche die quasi-religiöse Doktrin „form follows function“ souverän ignorierte, weil man den Käufergeschmack im Blick hatte.

Die Buicks von damals kamen hervorragend an, sodass für das Jahr 1926 nur wenige Änderungen am äußeren Erscheinungsbild erfolgten. Dazu gehört eine waagerechte Stange zwischen den Scheinwerfern, wie hier zu sehen:

Buick von 1926 mit türkischer Zulassung; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier sieht man neben erwähnter Scheinwerferstange nun auch die zeittypische Gestaltung der Haubenpartie, von der Brennabor damals Lichtjahre entfernt war.

Hatte die Marke aus Brandenburg vor dem 1. Weltkrieg noch international Erfolg, ist mir von den Modellen um Mitte der 1920er Jahre nichts Vergleichbares bekannt.

Auch das gibt zu denken, was die Zeitgemäßheit angeht. Obiges Foto eines 1926er Buick ist übrigens in der Türkei entstanden, wo man damals ebenfalls US-Großserienfabrikaten klar den Vorzug vor den einst geschätzten deutschen Automobilen gab.

In Deutschland wurde auch die Tourenwagenversion des 1926er Buick gern gekauft – hier haben wir ein Exemplar vor einem mir unbekannten Monumentalbau:

Buick von 1926 mit deutscher Zulassung; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Unser kleiner Ausflug ins „Buick-Territorium“ jener Zeit führt uns nun erneut zurück nach England.

Dort entstand die folgende Aufnahme vor der Kulisse kaum weniger beeindruckender Schöpfungen der Natur – großen alten Bäumen, wie man sie auf der Insel noch heute weit häufiger findet als in von der „Flurbereinigung“ verheerten heimatlichen Gefilden:

Buick von 1926 mit britischer Zulassung; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Sind Sie allmählich auf den (Zeit)Geschmack gekommen? So sah der nämlich ab Mitte der 1920er Jahre aus und die rapide wachsenden Marktanteile amerikanischer Fabrikate in Europa und speziell in Deutschland kündeten davon, was die Käufer wirklich wollten.

Das waren: Repräsentativ wirkende, wohlgestaltete, leistungsfähige und gemessen am Gebotenen preiswerte sowie zuverlässige Autos. All das boten in der vom Markt geforderten Stückzahl damals vor allem US-Wagen – da nutzten auch hilflose Appelle deutscher Wettbewerber an den Patriotismus der Kunden nichts.

Bleibt zum Abschluss noch ein Blick ins Jahr 1927.

Während Brennabor mit seinem Typ R 6/25 PS einige tausend deutsche Kunden (mehr als grobe Schätzungen scheint es nicht zu geben) zufriedenstellen konnte, begeisterte Buick hunderttausende mit wirklich dem Zeitgeschmack entsprechenden hervorragenden Wagen, vor denen man sich gern inszenierte.

Werfen Sie nochmals einen Blick auf das eingangs gezeigte Foto eines offenen Brennabor Typ R 6/25 PS und vergleichen es nun mit dem folgenden aus derselben Zeit:

Buick von 1927; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ich weiß: Es ist gemein, einen Tourer mit einem Zweisitzer-Cabrio zu vergleichen und es ist gemein, den griesgrämigen und ungesund erscheinenden Insassen des Brennabor diese sportliche junge Dame entgegenzusetzen.

Aber so sah die Konkurrenz damals aus und es hat seinen Grund, weshalb die Amerikaner mit ihrem Stil und ihrer Qualität bei den damaligen Zeitgenossen das Rennen machten.

Das ist kein Urteil aus heutiger Sicht, sondern entspricht den damaligen Gegebenheiten. Die Freunde hiesiger Vorkriegswagen müssen diese bittere Pille schlucken.

Heute haben die Amis die Lufthoheit im IT-Bereich, auch da gibt es nichts zu deut(sch)eln…

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Wie konnte das nur passieren? Brennabor Typ R 6/25 PS

Wie konnte das nur passieren? Das fragt man sich immer wieder, wenn es beispielsweise um den Ausbruch des 1. Weltkriegs vor 110 Jahren geht.

Wie konnte es passieren, dass aus einem Regionalkonflikt ein völlig entfesselter Krieg der europäischen Großmachte wurde, der für alle Beteiligten selbstzerstörerisch war?

Leider – so fürchte ich – bekommt man die Mechanismen in unseren Tagen angesichts der bislang „nur“ rhetorischen Zuspitzung eines anderen Regionalkonflikts vorgeführt. Ich will dieses verminte Gelände nicht weiter betreten, nur kurz meine Antwort auf die Frage geben:

Weil diejenigen, die über den Krieg entschieden und entscheiden, zumindest in der Neuzeit nicht davon betroffen waren. Da ist es geradezu konsequent, wenn die meisten Befürworter (wie aktuell hierzulande) selbst noch nie einen scharfen Schuss abgegeben und – auch nur übungshalber – im Dreck gelegen haben.

Übergehen wir den 1. Weltkrieg und daran anknüpfende Fragen der Gegenwart. Stattdessen werfen wir einen Blick auf ein anderes, zum Glück harmloses Ereignis von Mitte der 1920er Jahre, das freilich auch die Frage aufwirft „Wie konnte das nur passieren?“

Den Anlass dazu liefert die Einführung des Brennabor Typ R 6/25 PS anno 1925. Sieht man von der Vierradbremse ab, handelte es sich in technischer Hinsicht um eine fast vollständige Weiterführung des seit 1922 gebauten Typs S 6/20 PS, der hier zu sehen ist:

Brennabor Typ S 6/20 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Schon dieses Gefährt mit seinen fehlproportionierten Scheinwerfern und den viel zu weit auseinanderstehenden Haubenschlitzen ließ kaum Ansätze zu gekonnter Gestaltung erkennen.

Ich wüsste kein Serienfabrikat aus dem deutschsprachigen Raum, das in der ersten Hälfte der 1920er Jahre dermaßen unattraktiv daherkam. Doch die altehrwürdige Marke aus Brandenburg, die vor dem 1. Weltkrieg in einer anderen Liga unterwegs gewesen war, setzte beim optisch überarbeiteten Typ R 6/25 PS noch einen drauf.

Der erschien trotz der weiter vorn im Alphabet stehenden Typbezeichnung tatsächlich erst 1925 und hatte außer 5 zusätzlichen PS und Vorderradbremse wenig zu bieten.

Was ihn aber dennoch dermaßen „auszeichnete“, dass man ihn auf Anhieb erkennt, war eine an Grobschlächtigkeit schwer überbietbare Karosseriegestaltung:

Brennabor Typ R 6/25 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Man möchte kaum glauben, dass dieser Aufbau nicht etwa von einem begabten Bastler zusammengestoppelt worden war, sondern aus einer der größten deutschen Automobilfabriken mit Serienfertigung im Fließbandverfahren stammte.

Hier passt optisch so ziemlich gar nichts zusammen und fast hat man den Eindruck, dass man für die Vorderräder der Einfachheit halber die hinteren Kotflügel übernommen hat.

Die lange Haube des Vorgängers – dort noch eine der besseren Ideen – hatte man radikal gekürzt, was in Verbindung mit den nun auf einmal winzigen Luftschlitzen ebenso verunglückt wirkt wie die beiden unterschiedlich hohen Türen.

„Wie konnte das nur passieren?“ – Das fragt man sich hier schon.

Auf diesem Foto spricht einen letztlich nur das Leben auf zwei und vier Beinen an, und man studiert lieber die Gesichter der Insassen und sinniert über die Rasse des Hundes, der Einlass begehrt, als schwelgerisch den Blick über die Karosserielinien gleiten zu lassen.

Versöhnlich stimmt allerdings der Umstand, dass ich dieses Foto zusammen mit einem zweiten erwerben konnte, welches denselben Wagen zeigt:

Brennabor Typ R 6/25 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der Wagen wirkt hier nicht ganz so verunglückt, weil die schlimmste Partie verdeckt ist und das Auge eher auf der Kühlerpartie verweilt, die sogar Ansätze gestalterischer Rafinesse zeigt.

Das mit einem „A“ Kennzeichen verweist auf eine Zulassung dieses Wagens im Bezirk Anhalt – vielleicht kann es jemand genauer sagen.

Schön ist hier jedenfalls wieder die menschliche Komponente – wobei der Hund es diesmal in den Innenraum geschafft hat, er gehört also klar zur Familie.

Man hätte diesen Leuten gern gewünscht, dass sie Ihr Leben in Frieden weiterleben dürfen, doch das war ihnen nicht vergönnt, wie wir wissen. Sehr wahrscheinlich wurde der Junge auf der Rückbank im 2. Weltkrieg als Soldat für die Zwecke der Mächtigen missbraucht, die sich anmaßen, über das Leben anderer für ihre persönlichen Ziele und Obsessionen verfügen zu können, ohne selbst dabei viel zu riskieren.

„Wie konnte das passieren?“ – Die Antwort auf diese Frage liefert letzlich die Gegenwart, denn der Mensch lernt offenbar aus der Geschichte nur, dass er nichts dazulernt.

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Zylinderzuwachs bei Hansa: Ein HAG von 1906/07

Ungeachtet der Rückwärtsgewandheit der meisten meiner Interessen – die schon auch einmal einige Jahrtausende zurückreichen können – begebe ich mich in meinem Blog eher selten in die automobile Frühzeit.

Das liegt ganz gewiss nicht an mangelnder Zuneigung zu den ersten Motorwagen, welche den Weg für unsere heutige Mobilität ebneten. Nebenbei: wie alle wirklich bahnbrechenden Erfindungen war das Auto ganz und gar dem freien Markt zu verdanken.

Mit dem Abstand von weit über einem Jahrhundert und aus der Perspektive einer heillos überregulierten und von Planwirtschaft in die Irre geleiteten Ökonomie ist es faszinierend zu sehen, wie sich einst wie von Geisterhand die Kräfte von Technikern, Kapitalgebern und Vertriebsleuten koordinierten, um unseren Vorfahren eine neue Welt bis dato unbekannter Bewegungsfreiheit zu eröffnen.

So beschlossen anno 1905 zwei fortschrittlich und unternehmerisch denkende Herren im Oldenburgischen namens Allmers und Sporkhorst Automobile zu bauen – dazu wurde die Hansa Automobil-Gesellschaft gegründet.

Es ist nicht überliefert, dass sie dafür eine staatliche Stelle um irgendeine Form der Unterstützung baten oder sich für ihr Vorhaben in besonderer Weise rechtfertigen mussten. Sie taten es einfach, weil sie einen Absatzmarkt sahen und es sich zutrauten, trotz des Kapitalrisikos erfolgreich zu sein.

Tatsächlich präsentierte die Hansa Automobil-Gesellschaft – kurz HAG – schon ein Jahr später das erste fertigkonstruierte Fahrzeug – den HAG 7/9 PS. Wie viele der damals neu beginnenden deutschen Hersteller nahm man sich französische Wagen zum Vorbild, welche seinerzeit in den wichtigsten Belangen führend waren.

Dazu gehörte typischerweise, dass man als neuer Anbieter erst einmal bewährte Motortypen aus Frankreich zukaufte. Wohl am häufigsten waren das Aggregate von DeDion-Bouton – so auch im Fall des ersten Hansa, der als HAG 7/9 PS firmierte.

Ein solcher Wagen mit DeDion-Einzylinder-Motor ist in Halwart Schraders Klassiker „Deutsche Autos 1885-1920“ auf Seite 186 abgebildet – als offener Zweisitzer und anhand des „HAG“-Schriftzugs auf dem Kühlernetz klar als solcher ausgewiesen.

Der Zufall wollte es, dass mir Leser Klaas Dierks kürzlich ein Foto aus seiner Sammlung in digitaler Kopie zusandte, das auf den ersten Blick glatt denselben Wagen zeigen könnte:

HAG von 1906/07; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Die Perspektive, der Aufbau als Zweisitzer, das geöffnete Verdeck, die Zahl der Insassen und auch Details wie die Gestaltung der Kotflügel stimmen vollkommen überein.

Es war um die Mittagszeit, als mich dieses schöne Dokument erreichte. Wie meist in solchen Fällen ließ ich mich gern dadurch von der Arbeit abhalten, wenn auch nur kurz.

Ich war schnell der Überzeugung, dass es sich um den gleichen Typ handeln müssen, bloß das Kennzeichen unterscheide die beiden Wagen.

Die Gestaltung der Kotflügel – noch nicht in das Trittbrett übergehend, sondern weiter nach unten reichend genügte mir als Datierungshinweis – das fand sich ab 1908 bei deutschen Wagen kaum noch.

Mit der Bestimmung des Baujahrs 1906/07 lag ich wohl richtig, aber eines hatte ich in der Eile übersehen, worauf mich Klaas Dierks mit seinem Blick fürs Detail hinwies: Kühler und Haube bei seinem „HAG“ sind höher und: auf der Haubenoberseite sieht man eine der Abführung der Motorwärme dienende zusätzliche Klappe:

Daraufhin warf ich nochmals einen Blick in die Literatur: Tatsächlich wurden neben dem einzlindrigen HAG 7/9 PS frühzeitig auch eine stärkere Zweizylinderversion mit 10 PS Spitzenleistung angeboten, außerdem ein von Fafnir zugekaufter Vierzylinder mit 12 PS.

Da der Fafnir-Motor angeblich bereits 1907 durch einen von Hansa selbst gebauten Motor mit 14 PS abgelöst wurde, kommt man nicht umhin, bei diesem frühen Exemplar bereits einen nicht unwesentlichen Zuwachs an Zylindern und Hubraum zu vermuten.

Mangels Vergleichsdokumenten muss vorerst offen bleiben, was sich unter der Haube des HAG auf dem Foto von Klaas Dierks verbarg.

Mit Genugtung festhalten dürfen wir aber zumindest, dass diese Aufnahme ein Novum darstellt und nun an erster Stelle meiner „Hansa“-Galerie steht – kein schlechtes Ergebnis gemeinsamer Altauto-Archäologie, meine ich…

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Neues von der Insel: Morris Cowley „Flatnose“

Bei meinem täglichen Nachrichtenkonsum, der sich meist auf das Lesen von Schlagzeilen beschränkt, um zu wissen, was gerade heiß gehandelt wird, bevor es dem nächsten Aufreger Platz macht, ist mir über die Jahre eines aufgefallen:

Vielsagend ist es nämlich, wenn bestimmte Regionen ganz übergegangen werden, als ob sie nicht existierten. Wann etwa hat man das letzte Mal etwas über die Verhältnisse in der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt gelesen – also Japan?

Kann es sein, dass es von dort nichts zu berichten gibt, an dem sich der gemeine Journalist hierzulande in besserwisserischer Absicht abarbeiten kann? Kann es sein, dass man dort eine ganze Menge Probleme einfach nicht hat bzw. mit den vorhandenen gut klarkommt, etwa der Alterung der Bevölkerung?

So scheint es sich auch mit Großbritannien zu verhalten. Das Land steckt in ähnlichen strukturellen Schwierigkeiten wie die Nachbarn auf dem Festland – und doch scheint es auf der Inseln an Dingen zu mangeln, auf die man besonders hämisch deuten könnte.

Das Ausscheiden aus der von Deutschen und Franzosen dominierten EU – und damit die Zurückgewinnung der Souveränität über die eigenen Geschicke – scheint bei den Briten von zu erwartenden Reibungsverlusten abgesehen nicht die üblen Folgen gezeitigt zu haben, welche sich der beleidigte Brüsseler Beamtenadel so sehnlich gewünscht hatte.

Nachdem der Untergang Britanniens ausgeblieben ist, wird das Land in der hiesigen Berichterstattung mit Nichtbeachtung gestraft. Zu groß ist dann trotz ökonomischer Herausforderungen der Kontrast zum wirklich kranken Mann Europas – Deutschland.

Um dem blinden Fleck in der Berichterstattung etwas entgegenzuhalten, will wenigstens ich heute von „der Insel“ berichten und zugleich eine Brücke zum Kontinent schlagen.

Ausgangspunkt meiner Betrachtung ist diese schöne Aufnahme, welche Kenner natürlich sofort richtig einsortieren werden, jedenfalls was die Herkunft des Autos betrifft:

Morris Cowley „Flatnose“ Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Zwar wirkt die Frontpartie mit dem kantigen Kühlergehäuse, den schmalen Haubenschlitzen und dem auffallend kurz gehaltenen Vorderkotflügel einigermaßen markant.

Doch den einzigen klaren Hinweis gab mir letztlich nur die ungewöhnliche Zahl der Radbolzen – nämlich drei an der Zahl.

An einem Wagen der Mittelklasse würde man normalerweise mindestens deren vier erwarten, doch ein britischer Hersteller meinte vor rund 100 Jahren hier sein eigenes Süppchen zu kochen und beschloss entgegen dem Konsens, dass es auch drei tun.

Die Rede ist von der Firma Morris, die ab 1919 ihr Modell „Oxford“ mit dem als „Bullnose“ bekannten Rundkühler und ebendiesen drei Radbolzen erfolgreich auf dem Markt platzierte. Wie Citroen und Fiat machte man sich dabei das Vorbild der US-Autobauer zunutze, um relativ preisgünstige und doch robuste Wagen in großen Stückzahlen zu fertigen.

Motorenseitig beschränkte man sich im Fall des Basismodells „Cowley“ auf einen konventionellen Vierzylinder mit 1,5 Litern Hubraum. Wem der Sinn nach mehr Leistung stand, musste auf den darüber angesiedelten Morris „Oxford“ ausweichen, der auch mit einem 1,8 Liter-Aggegat erhältlich war.

Einen in äußerlicher Hinsicht bedeutenden Einschnitt gab es beim Morris Cowley 1926 mit dem Wechsel zum Flachkühler – volkstümlich „Flatnose“ genannt.

Mit so einem überarbeiteten Exemplar haben wir es auf dem eingangs gezeigten Foto zu tun. Wo dieses aufgenommen wurde, muss offen bleiben. Der Maschendrahtzaun im Hintergrund könnte ein Hinweis auf Deutschland sein, aber das erscheint abwegig, oder?

Keineswegs und das ist die eigentliche Überraschung des heutigen Blog-Eintrags!

Denn offenbar waren die Beziehungen zwischen Großbritannien und Deutschland während der bis 1931 reichenden Produktionszeit des Morris „Cowley“ so gut, dass es sogar zum Export dieses Modells in unser damals automobilistisch akut unterversorgtes Land kam.

Ich muss zugeben, dass mir das gar nicht bekannt war – bis mir Leser Jürgen Klein eine digitale Kopie dieses schönen Fotos aus seiner Sammlung zukommen ließ:

Morris Cowley „Flatnose“ Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Jürgen Klein

Hier sieht man nicht nur den erwähnten Flachkühler in Verbindung mit den typischen drei Radbolzen, sondern auch ein deutsches Nummernschild aus dem Rheinland sowie einen Cabriolet-Aufbau, der mir stark nach einem deutschen Karosseriehersteller aussieht.

Dieses Ergebnis britisch-deutscher Zusammenarbeit gefällt mir gut – und man wünschte sich, dass es dabei geblieben wäre und nicht die totalitären Tendenzen in Deutschland den friedlichen und fruchtbaren Austausch mit „der Insel“ zunichtegemacht hätten…

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Fast ein kleiner Daimler: Wanderer W 10/IV-Limousine

Wem der Titel meiner heutigen Betrachtung auffallend wohlwollend erscheint, dem sei gesagt: Es steckt ein vergiftetes Lob darin, allerdings nicht nur.

Generell stehe ich auf dem Standpunkt, dass wer Spott auf sich zieht, diesen auch ertragen muss – nichts ist kindischer als das rituelle Beleidigtsein der Betroffenen, das den offenen und ehrlichen Austausch in unseren Tagen erschwert bis unmöglich macht.

Die Kommunikationskultur hat durch die Mutation saftiger Meinungsäußerungen, wie sie für Zeugen der Bonner Republik noch zur Würze des Wettstreits zählten, in justiziable Vergehen wie „üble Nachrede“ oder „Beleidigung“ schwer gelitten.

Nebenbei: In den USA gibt es das m.W. nicht – dort darf jeder nach Herzenslust gnadenlos durch den Kakao gezogen werden – so wie bei uns noch zu Zeiten von „Hurra Deutschland„.

Auch in den späten 1920er Jahren pflegte man hierzulande einen zwanglosen Umgang mit lustvollen Beschimpfungen und Überspitzungen.

Legendär sind die Sottisen, welche die gefürchtete Autozeitschrift „Motor-Kritik“ damals gewohnheitsmäßig absonderte, wenn ein Hersteller es ihrer Meinung nach verdient hatte.

Als beispielsweise Wanderer anno 1930 von der schwierigen Wirtschaftslage getrieben, seinem absatzschwachen neuen Sechszylindertyp 10/50 PS einen Neuaufguss des bereits eingestellten 1,5 Liter-Vierzylindermodells 6/30 PS zur Seite stellte, schrieb die Motor-Kritik:

Als Vierzylinder zum Preis eines Sechszylinders ist der 6 PS-Wanderer „Heute der Wagen von gestern„. Das war zwar bitterböse, aber warum sollten Motorjournalisten auf Empfindlichkeiten von Autoherstellern Rücksicht nehmen?

So frech die Formulierung war, so entbehrte sie keineswegs einer gewissen Fundierung. Der Preisvergleich des „neuen“ alten Wanderer Typ 10 /IV mit dem „Sechszylinder“ bezog sich dabei keineswegs auf den hauseigenen W11 10/50 PS:

Wanderer W10 11/50 PS: Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieser eng an US-Vorbildern orientierte Wagen war ja viel teurer als der vierzylindrige kleine Bruder. Nein, im Hinterkopf dürften die Spötter von der „Motor-Kritik“ neben den stark gefragten US-Fabrikaten auch den Mercedes-Benz 200 mit 6-Zylinder gehabt haben.

Der bot mehr Hubraum, Leistung und Laufkultur – relativ gesehen, denn agil war dieses Gefährt ebenfalls nicht – dabei kostete er nur geringfügig mehr. Als Limousine waren dafür anno 1931 5980 Reichsmark zu berappen.

Mit fast identischem Radstand bot Wanderer seinen W10/IV damals als viertürige Limousine für kaum weniger an: 5.250 Mark musste man für den Vierzylinder auf den Tisch blättern.

Im Gegenzug konnte man sich nach Lieferung des Wagens so präsentieren:

Wanderer W10/IV Limousine; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

So schön dieses Dokument aus der Sammlung von Leser Matthias Schmidt auch ist – man sieht endlich auch einmal Teile der Innenausstattung – so wenig will sich hier Begeisterung einstellen, was die Gestaltung des Autos angeht.

Gewiss, die neuen Chrom-Scheinwerfer, die Doppelstoßstange und die beim Sechszylindertyp W11 10/50 PS erstmals verwendete Kühlerfigur in Gestalt eines geflügelten W setzten gewisse Glanzakzente.

Doch mit der repräsentativen Erscheinung und dem Prestige selbst des kleinen Mercedes-Benz 200 konnte der sportlich gepreiste Wanderer nicht mithalten.

Die einfallslose Gestaltung der Scheibenräder beispielsweise lässt den Wagen arg simpel erscheinen, übrigens ein Unterscheidungsmerkmal zu frühen Exemplaren des parallel angebotenen W11 10/50 PS.

Doch in einer Hinsicht war der Vierzylinder-Wanderer am Ende doch fast ein kleiner „Daimler“ – wenn diese populäre Bezeichnung für einen Mercedes-Benz erlaubt ist.

Genau dieser 4-türiger Limousinenaufbau, der auf dem Foto von Matthias Schmidt zu sehen ist, wurde nämlich ausgerechnet im Sindelfinger Mercedes-Werk gefertigt.

Die Spötter von der Motor-Kritik hätten zu dieser Idee sicher auch noch etwas zu sagen gehabt, überliefert ist es aber nicht. So denke ich mir einfach etwas in ihrem Sinne aus:

Der neuinthronisierte, zwischenzeitlich abgesetzte 4-Zylinder-Wanderer bietet jetzt eine Karosserie von Mercedes mit entsprechendem Preisschild, damit es auch jeder merkt. Die Bescheidenheit, welche der Hersteller seinen Kunden traditionell abverlangt, erfordert aber den Verzicht auf Extras wie zwei zusätzliche Zylinder und einen halben Liter Hubraum. Unser Fazit daher: Ein Meisterstück nach dem Grundsatz „Weniger ist mehr“!

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Natürlich war der Wanderer W10/IV 6/30 PS ein Auto, an dem es in der Sache wenig zu beanstanden gab, aber ein bisschen Spaß und Spott muss einfach sein – gerade in Zeiten, in denen es sonst wenig zu lachen gibt…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Fund des Monats: Ein „Alba“ der frühen 1920er Jahre

Der „Fund des Monats“ mag für meine Leser im Idealfall eine Aufregende oder doch zumindest erfreuliche Sache sein. Für mich stellt er eher eine Entspannungsübung dar.

Denn meist muss ich mir keine Geschichte dazu ausdenken, nicht einmal einen reizvollen Titel oder irgendwelche Anspielungen auf die Irrungen und Wirrungen im Abendrot des Alten Europa. Denn der Fund des Monats spricht im Regelfall bereits für sich.

Schrieb ich gerade „Abendrot“? Nun, das meine ich im Sinne des Zyklus, den Zivilisationen durchlaufen, in der Tat genau so. Wer einen anderen Eindruck von unseren Zeiten hat, den beglückwünsche ich zu seinem Optimismus.

Allerdings kann auch ich wenigstens heute mit etwas aufwarten, was die immerwährende Hoffnung verkörpert, dass in der Asche noch genügend Glut vorhanden ist, um irgendwann neues Licht aufleuchten zu lassen.

Was ich damit meine, sollte spätestens am Ende der heutigen Betrachtung klar sein. Deren Gegenstand allein ist bereits so erfreulich, dass sich sogleich alle düsteren Gedanken verflüchtigen:

„Alba“ der frühen 1920er Jahre; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

So als habe eine wohlmeinende Gottheit die Notwendigkeit gesehen, mir ein Zeichen zu geben, dass dem vom Schicksal Bedrückten dereinst ein strahlendneuer Tag harrt, so flog mir kürzlich auf dem Postweg diese prächtige Aufnahme zu, die vor etwas mehr als 100 Jahren entstand – im Juli 1923, um genau zu sein.

Auch wenn man schon viel gesehen hat, geht einem hier doch das Herz auf, oder? Ein Tourenwagen mit vielleicht Jagdzwecken dienender Spezialkarosserie, eine charmante Dame am Volant, der mutmaßliche Gatte derselben und am Heck der eigentliche Herr über die Maschine – der Chauffeur.

Hier ist alles versammelt, was das Herz des Vorkriegsautoenthusiasten begehrt – oder sagen wir fast. Denn zumindest mir fehlt hier ein aufmerksamer Hund, der die Szenerie abrundet – dabei wäre für ihn auf der Rückbank reichlich Platz gewesen!

Nun werden Sie vielleicht denken: „Schön und gut, aber was soll denn dieses Fahrzeug abgesehen von dem speziellen Aufbau und den Personen so besonders machen? Es wirkt doch keineswegs spektakulär, müsste irgendein gängiges Fabrikat jener Zeit sein.

Tja, so kann man sich irren und so ging es auch mir, als ich mich daran machte, den Hersteller zu ermitteln. Ich war beim Erwerb sicher, dass dies ein Kinderspiel sei.

In gewohnter Manier legte ich das Hauptaugenmerk auf die Kühler- und Haubenpartie – bei Vorkriegsautos in den meisten Fällen der einzige hersteller- und typspezifische Part:

Doch schon beim Kühleremblem musste ich die weiße Fahne hissen, obwohl es doch recht gut zu erkennen ist.

Dann fiel mir aber auf der Nabenkappe des Vorderrads ein Schriftzug auf. Schon machte sich Triumphgefühl breit, das musste jetzt ein einfacher Fall sein!

Doch weit gefehlt, jedenfalls wollte sich das Rätsel so leicht nicht lösen lassen. Vielleicht sind Sie, verehrte Leser, ja gewitzter und lesen mühelos, was da geschrieben steht:

Na, was sagen Sie? Dass es nur weniger Buchstaben sind, welche der Form des Sechsecks angepasst sind, soviel dürfte klar sein. Aber darüber hinaus?

In meiner Not griff ich zum „Reserverrad“, das in diesem Fall bereits an der Hinterachse montiert ist, und versuchte dort mein Glück.

Doch auch dort wollte sich keine spontane Erleuchtung einstellen, außer der, dass am Anfang oder Ende ein „A“ zu sehen ist:

Doch wie Odysseus sich auf der Schiffsplanke seines geborstenen Schiffs festklammerte, als es ihn der Insel der Nymphe Calypso entgegentrieb, auf der ihm (fast) alle Wonnen winkten, derer er bedurfte, so verfiel ich im letzten Moment darauf, mein Glück auf einem Eiland ganz eigener Magie zu versuchen.

Die (nur leicht übertriebene) Rede ist von Claus Wulffs phänomenaler Online-Präsenz, auf der er in vollendeter Großzügigkeit alle seine über viele Jahre gesammelten Schätze in Sachen Historische Autoembleme ausbreitet.

Ich weiß nicht, wie oft ich dort der Verzweiflung nah die erhoffte Erkenntnis fand, was die Identität von Vorkriegsautos auf alten Fotos angeht.

So war es auch diesmal und ich wurde so schnell fündig wie noch nie – denn die (mutmaßliche) Lösung fand sich schon bald am Anfang seines alphabetischen Markenarchivs:

„ALBA“ aus Frankreich bot sich an, wie Sie sich selbst vergewissern können. Die Gestaltung des „L“ ist dabei charakteristisch.

Ich war wie vom Donner gerührt – doch im Unterschied zu Odysseus, der es sich sieben Jahre auf der Insel der Calypso gutgehen ließ, bevor ihm einfiel, dass er doch ursprünglich zum Ehegespons auf Ithaka zurückwollte, kehre ich nun umgehend zu den Tatsachen zurück.

Über die französische Firma Alba erfährt man wenig mehr, als dass sie von 1913-28 einige Vierzylinderwagen mit Motoren von Ballot baute.

Die in der Literatur zu findende Bezeichnung des Alba als „Kleinwagen“ passt nicht so recht zu dem heute gezeigten Exemplar – es fällt auch schwer zu glauben, dass die Marke über so lange Zeit nur mit leichten Konstruktionen gegen die Großserienkonkurrenz von Citroen bestanden haben soll.

Jedenfalls bin ich bis zum Gegenbeweis der Überzeugung, dass wir es beim heutigen „Fund des Monats“ mit einer speziellen Ausführung eines größeren „Alba“-Wagens zu tun haben, auch wenn zugegebenermaßen das Kühleremblem rätselhaft erscheint.

Dennoch stimmt mich schon der Name zuversichtlich, denn „Alba“ heißt auf Italienisch der Sonnenaufgang, welcher laut der berühmten Arie „Nessun dorma“ aus Puccinis Oper Turandot dem Heros am Ende den Sieg verheißt:

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.