Fund des Monats: Ein Dessauer von 1912/13

Vermutlich gehört der Fund des Monats zu den von vielen Leser besonders geschätzten Rubriken meines Blogs – für mich ist er beinahe eine Entspannungsübung.

Denn wenn ein Vorkriegsfahrzeug auf einem historischen Foto aufgrund seiner Seltenheit für sich spricht, muss ich mir keine Herleitung ausdenken, welche bisweilen ein Eigenleben entwickelt und an den Nerven einiger Konsumenten zu zehren scheint.

So dachte ich heute, dass ich – wieder einmal unter Zeitdruck stehend – ein paar Worte zum Fund des Monats August 2024 routiniert herunterschreiben kann und damit davonkomme.

Doch bei Sichtung des Materials geriet ich etwas ins Schwitzen – obwohl kühle Abendluft durchs Fenster hereinweht und lässige Vorkriegs-Rhythmen von Cab Calloway zusätzlich für eine „coole“ Atmosphäre sorgen.

Meine Arbeit würde sich darauf beschränken, dieses großartige Foto aus der Sammlung von Leser Klaas Dierks zu präsentieren, dachte ich – zumal er den Hersteller identifiziert hatte:

Dessauer-Tourer von 1912/13; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Na, woran denken Sie spontan, wenn Sie die schrägstehenden Luftauslässe in der Motorhaube sehen? Ein Opel, nicht wahr?

Knapp daneben ist auch vorbei – denn was hier im Dienst der Königlich-Bayrischen Armee im 1. Weltkrieg daherkommt wie ein Rüsselsheimer war in Wahrheit ein Dessauer.

Als solche wurden die ab 1911 von den Motoren-Werken Dessau gebauten Automobile vermarktet. Wie der an einen „Nassauer“ erinnernden Name auf die Zeitgenossen wirkte, ist nicht überliefert, aber bemerkenswert ist das Fabrikat allemal.

Klaas Dierks konnte die Marke „seines“ Wagens anhand des Kühleremblems mit einem zweizeiligen Schriftzug klar als einen Vertreter „Der Dessauer“ ansprechen. Dabei mag ihm ein Blick auf Claus Wulffs famose Website zu Kühleremblemen aus aller Welt die letztendliche Gewissheit gegeben haben.

Denn dort ist ein ultrarares Emblem der nur bis 1913 existierenden Marke abgebildet.

Sie müssen es mir nachsehen, dass ich nicht länger bei dem Foto des Dessauer verweile, das können Sie bei Bedarf eigenständig tun. Zudem bin ich sicher, dass Klaas Dierks selbst noch einiges zu dem Wagen und seinem Einsatz beim deutschen Militär zu ergänzen weiß.

Mit Blick auf die Uhr will ich stattdessen rasch noch einige Dokumente aus meinem eigenen Fundus präsentieren, anhand derer sich der Marke weitere Facetten abgewinnen lassen.

So verwendete man anfänglich ein anderes Kühleremblem, auf welchem das Akronym MWD zu sehen war, welches auf die ursprüngliche Firmenbezeichnung „Motoren-Werke Dessau“ Bezug nahm:

Dessauer-Reklame von 1911; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Kühleremblem-Spezialist Claus Wulff hat hier noch eine Leerstelle in seiner Sammlung, wenn ich das so sagen darf, aber das weiß er sicher selbst. Überhaupt möchte ich seine „Sorgen“ nicht haben, was hunderte andere noch unentdeckte Originale in dieser Hinsicht betrifft.

Interessanterweise trat man man mit dem „Dessauer“ unter anderem gegen das Opel-Modell 8/20 PS an und überbot dessen Spitzenleistung zunächst mit dem 8/22 PS-Typ, später mit dem 8/24 PS-Modell – und das zu einem niedrigeren Preis.

Auf dieses alleinige Modell konzentrierte man sich nach Gründung der „Anhaltische Automobil-Fabrik und Motoren-Fabrik AG“ anno 1912.

Die Bezeichnung findet sich auf folgender Reklame, die zwar grafisch gelungen ist (eine Arbeit von Ernst Neumann-Neander), aber mit dem Verweis auf die im Automobilbau übliche „Präzisionsarbeit“ die Chance verpasste, sich von der Konkurrenz abzugrenzen…

Dessauer-Reklame von 1911; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Wie es scheint, gelang es der Firma auch nicht, ausreichend Kapital für die notwendige Skalierung der Fertigung aufzubringen, denn schon 1913 geriet das Unternehmen in Zahlungsschwierigkeiten und ging pleite.

Eine reife Leistung in einer Zeit, in der in Deutschland die Nachfrage nach Automobilen richtig Fahrt aufnahm.

Immerhin verabschiedete man sich mit einer ästhetisch herausragenden Reklame (wieder von Neumann-Neander) im Sommer 1913 kurz vor dem Ende der Produktion:

Dessauer-Reklame von 1911; Original aus Sammlung Michael Schlenger

So ging es stilvoll im Dessauer dem Ende entgegen – zugleich ein passendes Bild für die allgemeine Tendenz der Zeit in deutschen Landen.

Ob nach dem Ende des Herstellers ein anderer die Produktionsanlagen übernahm, ist mir ebenso unbekannt wie die Zahl der gefertigten Dessauer-Automobile.

So, gerade noch geschafft.

Morgen geht es zur „Classic Gala“ in Schwetzingen – Deutschlands hochkarätigster Klassikerveranstaltung nach dem Ende der legendären „Classic Days auf Schloss Dyck“.

Einen Dessauer werde ich dort gewiss nicht antreffen, aber Inspiration für den Blog sollte sich finden lassen…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Spurensuche: Beckmann-Automobile (von 1911-1924)

Ende August 2024 – heute war ein schöner warmer Sommertag von der Art, wie er sich in Deutschland dieses Jahr etwas rar gemacht hat. Gegen Abend beim Gießen der stets durstigen Oleander im Hof machte sich plötzlich unerwartete Kühle breit – das Thermometer sank auf nur noch 18 Grad und es begann früh zu dunkeln.

Unsere Katze Ellie saß verloren im großen Garten, auf den Boden geduckt und schaute mich fragend an: „Wo ist denn der Sommer hin, eben war er doch noch da?“

Da wurde mir bewusst, dass der Herbst vor der Tür steht und wie immer um diese Zeit stellte sich leise Melancholie ein.

Was hatte man sich alles vorgenommen, vieles geplant – und mit einem Mal merkt man, dass die Dinge und die Zeit ihr Eigenleben haben und es anders kommt als erhofft. Dieses Erleben ist eine Konstante im Dasein, damit souverän umzugehen, ist Lebenskunst.

In gewisser Weise gefiel mir sogar die Stimmung, die sich einstellte, denn sie passte perfekt zur letzten Folge der Beckmann-Spurensuche, die ich gemeinsam mit Beckmann-Urenkel Christian Börner seit gut einem Jahr hier unternehme.

Auch diese letzte Folge mit der merkwürdig anmutenden, von 1911-2024 reichenden Spanne ist aus Sicht von Christian Börner von Wehmut geprägt, denn dieser Abschied sollte eigentlich ein Wiedersehen der besonderen Art sein – doch daraus wurde leider nichts.

Damit übergebe ich an Christian Börner:

„Kennen Sie das? Sie freuen sich auf etwas ganz Besonderes, für Sie Einmaliges und dann kommt es im letzten Augenblick ganz anders. Seit 38 Jahren hattee ich auf den Tag hingefiebert, an dem ich zum ersten Mal ein einsatzfähiges Auto aus der Produktion meines Urgroßvaters Paul Beckmann, dem Autobauer aus Breslau sehen und quasi „in Besitz nehmen“ kann und als Beifahrer darin mitfahren kann. Das war für mich über Jahrzehnte meines Lebens eine Vision, die sich buchstäblich im allerletzten Augenblick aufgelöst hat.

Das nun folgende Geschehen weist beinahe romanhafte Höhen und Tiefen auf und illustruiert für mich par excellence, warum die Beschäftigung mit Vorkriegsautomobilen eine so spannende, aber auch strapaziöse Sache sein kann. Nun wieder Christian Börner:

„Auch wenn wir im Rahmen der Beckmann-Spurensuche eigentlich bereits am Ende der Firmengeschichte anno 1927 angelangt waren, müssen wir für die heutige Zeitreise zunächst in das Jahr 1911 zurück.

Dieses Jahr war für Beckmann zwar nicht von besonderen Ereignissen geprägt, Produktion und Vertrieb liefen offenbar problemlos. Erst aus der Gegenwartsperspektive kam damals etwas im Wortsinn Bedeutsames ins Rollen im Breslauer Werk.

Dort wurde nämlich anno 1911 wurde ein siebensitziger Doppel-Phaeton (oder Tourenwagen) des vierzylindrigen Spitzentyps 21/45 PS fertiggestellt und einem unbekannt gebliebenen Kunden ausgehändigt.

Gut drei Jahre später – nach Ausbruch des 1. Weltkriegs – wurde das Auto für das deutsche Militär beschlagnahmt. Während die Masse der Soldaten mit Eisenbahn und Pferdefuhrwerk transportiert wurde bzw. zu Fuß ins Verderben marschierte, wurden für Offiziere, Melder und Kuriere in großer Zahl Automobile benötigt.“

Hier haben wir exemplarisch einen etwas jüngeren und deutlich kleineren Beckmann-Tourer im Militärdienst:

„So wurde auch der prächtige Beckmann 21/45 PS Tourenwagen als Heereskraftwagen eingesetzt – wo und wie genau ist unbekannt.

Erst 1920 gab es wieder ein Lebenszeichen von dem Fahrzeug. Anstatt ihn dem ursprünglichen Besitzer zurückzugeben wurde er zwecks Beschaffung wertvoller Devisen zusammen mit über 20.000 anderen Wagen aus deutschem Militärbestand exportiert.

Dazu wurden notwendige Reparaturen vorgenommen und die äußerlich nicht mehr moderne Karosserie durch eine zeitgemäße ersetzt. Solchermaßen fit für ein neues Autoleben gemacht, landete „unser“ Beckmann 10/45 PS in die schwedische Provinz Västernorrlands,wo er im Dezember 1920 auf einen Großhändler zugelassen wurde.

1924 wurde der Beckmann weiterverkauft, aber schon im Jahr darauf stillgelegt. Laut den erhaltenen Zulassungsdokumenten wurde er verschrottet, aber das galt nur für die Karosserie. Chassis, Motor, Getriebe und einiges mehr wurden tatsächlich eingelagert und dämmerten (bzw.) rosteten einer besseren Zukunft entgegen.“

Als noch 1944 in Breslau geborener Urenkel von Paul Beckmann hatte Christian Börner das sprichwörtliche Benzin im Blut, das einen wahren Automobil-Enthusiasten ausmacht. Bereits mit 18 Jahren, also 1962, begann er immer intensiver nach überlebenden Beckmann-Autos zu forschen.

„Damalige Recherchen waren mühsam und zeitaufwendig, denn sie erfolgten ausschließlich postalisch, meine Bemühungen blieben überwiegend ohne Antwort.

Dann, nach 24 Jahren des Suchens, der erste Lichtblick: Ich erfuhr, dass ein Landwirt und Oldtimer-Sammler in Lagan/Südschweden Reste eines Beckmanns besitzt. Also nichts wie hin!

Was fand ich dort 1986 vor? Fragmente des erwähnten 21/45 PS-Autos von 1911, wenn auch in bedauernswertem Zustand:

Beckmann 21/45 PS von 1911 im Jahr 1986; Bildrechte: Christian Börner

Wie man gut erkennen kann, hatte der damalige Besitzer begonnen, das Chassis und die Radnaben zu entrosten und zu lackieren. Von der Karosserie waren nur die Vorderkotflügel erhalten geblieben. Wichtiger war aber der kaum wiederzubeschaffende Beckmann-Kühler.

Erfreulicherweise hatte sich auch das Nummernschild der schwedischen Erstzulassung aus dem Jahr 1920 erhalten:

Beckmann 21/45 PS von 1911 im Jahr 1986; Bildrechte: Christian Börner

Und dann natürlich noch der komplette Motor mit seinen zwei mächtigen Zylinderblöcken – das unersetzliche Herz des Beckmann, dessen Leistung hauptsächlich dem großen Hubraum zu verdanken war:

Beckmann 21/45 PS von 1911 im Jahr 1986; Bildrechte: Christian Börner

Getriebe sowie die Gestänge von Schaltung und Handbremse waren ebenso vorhanden wie beide Achsen – technisch gesehen war also alles Wesentliche vorhanden.

Für versierte Oldtimer-Restauratoren, die vor einer Wiederherstellung der verlorenen Karosserie und des Inenraums nicht zurckschrecken, eine beinahe „ideale“ Basis.

Aber schon an diesem Punkt zeigte sich, dass die Dinge im Leben bisweilen nicht die erhoffte Richtung nehmen:

Der Besitzer hatte mir den Wiederaufbau zugesagt, hielt sein Versprechen aber nicht ein und trennte sich rund 20 Jahre später wieder von dem Chassis.

Auf Umwegen in Schweden und Dänemark fand sich schließlich ein Käufer für den Beckmann, und zwar in Norwegen. Es war 2006, als der heutige Besitzer, Rune Aschim aus Oslo, den Mut aufbrachte und damit begann, aus den Fragmenten wieder ein Automobil zu machen.

Der nunmehrige Besitzer des Beckmanns und ich als Urenkel des Herstellers lernten sich kennen und fieberten gemeinsam der Revitalisierung in kleinen Schritten entgegen.“

Hier haben wir zur Illustration des dabei im Detail Geleisteten eine Aufnahme des komplett überholten Motors:

Beckmann 21/45 PS von 1911, Motor in restauriertem Zustand; Bildrechte: Runde Aschim

Die größte Herausforderung war freilich der komplette Neuaufbau einer an zeitgenössischen Vorbildern Tourenwagen-Karosserie.

Die Rekonstruktion kam aufgrund unerwarteter Schwierigkeiten erst im Juni 2024 zum Abschluss als ein für Christian Börner wichtiges Ereignis bedrohlich näherrückte. Hier haben wir den beeindruckenden Aufbau im Frühjahr 2024 vor uns:

Beckmann 21/45 PS von 1911 mit rekontruierter Karrosserie; Bildrechte: Runde Aschim

Wieder Christian Börner:

Seine erste Bewährungsprobe sollte der wiedererstandene Beckmann-Tourer bei der Herkomer-Konkurrenz 2024 bestehen. Diese Traditionsveranstaltung findet alle zwei Jahre statt und es dürfen nur Fahrzeuge vor Baujahr 1930 teilnehmen).

Vielleicht fragen Sie sich, warum ausgerechnet dort, mehr als eineinhalbtausend Kilometer südlich von Oslo, dem Wohnsitz des Besitzers?

Nun, es sollte eine Reminiszenz an den Erzeuger dieses Wagens, Paul Beckmann, sein. Denn wie in unserer Sourensuche berichtet hatte er an zwei (1906 und 1907) der insgesamt drei historischen Herkomer-Konkurrenzen erfolgreich teilgenommen, und zwar mit einem ähnlich starken Vorgängermodell. Sicher erinnern Sie sich:

Beckmann 40 PS-Modell von 1907; Originalfoto via Christian Börner

An dieser Stelle, kurz vor dem Ziel, geschah nun das, auf was ich eingangs anspielte – dass im Leben immer wieder die besten Vorhaben und die schönsten Szenarien auf eine Weise durchkreuzt werden, die uns deutlich macht, dass wir nicht Herr über alles im Dasein sind.

So berichtet Christian Börner weiter:

Genau eine Woche vor dem Rallyestart, für den der Wagen angemeldet war, stellte sich ein Beamter der norwegischen Zulassungsbehörde quer. Er sah die noch existierenden schwedischen Zulassungsdokumente der Jahre 1920 bis 1924 ein und stellte fest, dass diese nur auf das damals zugeteilte und erhaltene Kennzeichen AC607 (siehe Foto) abstellten, aber keine Chassisnummer beinhalteten. Diese geht zwar aus dem originalen Fabrikschild hervor, doch das genügte ihm nicht. Zu allem Überfluss verabschiedete sich der Beamte stante pede in seinen Sommerurlaub. Aus der Traum!

Man sieht, auch außerhalb Deutschlands gibt es Verwaltungsbeamte, die eines vergessen haben: Sie sind nicht das Aufsichtspersonal der Bürger, sondern deren Angestellte und werden von diesen gut dafür bezahlt, bestimmte wiederkehrende Verfahren fair, d.h. im Interesse des unbescholtenen Bürgers zu regeln.

Dazu gehört, dass man sich ein Gesamtbild der Situation macht, von vorhandenen Ermessensspielräumen Gebrauch zu machen und sich daran zu orientieren, was der Geist des Gesetzes ist. Der Zweck von Zulassungsbestimmungen ist nicht der, die Zulassung von Automobilen möglichst schwierig zu machen, sondern sie nachvollziehbar zu gestalten.

Wenn kein Risiko damit verbunden ist, kann in Fällen, die der Gesetzgeber nicht im Detail antizipieren konnte, der gesunde Menschenverstand eingesetzt werden, um eine auf plausiblen Kritierien fundierte Zulassung zu erlangen. Denn eine formal nachvollziehbare Zulassung ist der Zweck der Vorschriften, nicht deren Vereitlung durch möglichst strikte Auslegung einzelner Punkte, die im konkreten Einzelfall irrelevant sind.

Im Fall des Beckmann fragt man sich, was mit der Verweigerung der Zulassung durch einen einzelnen Staats“diener“ gewonnen bzw. welche Gefahr damit verhindert wurde. Es kann nicht der Zweck staatlicher Vorschriften sein, dass diese bzw. ihre subjektve Auslegung eine Eigendynamik entwickeln, welche der Lebenswirklichkeit der Bürger zuwiderläuft.

Wieder Christian Börner:

Nun steht der weltweit einzige noch erhaltene Beckmann-Wagen in Norwegen und keiner weiß, wie es weitergehen soll. Können Sie meine Enttäuschung und die des Besitzers nachvollziehen?“

Beckmann 21/45 PS von 1911 im Juli 2024

Zum Schluss möchte ich nochmals an Christian Börner übergeben, der übrigens doch an der Herkomer-Konkurrenz 2024 in einem anderen Wagen des Beckmann-Besitzers Rune Aschim teilgenommen hat – in einem herrlichen 12-Zylinder Packard.

Wie er mir mitteilte, hat dieses Erlebnis ein wenig den Schmerz gelindert, der sich aus dem geplatzten Traum ergab, welcher ihn jahrzehntelang begleitete. Vielleicht wird ja zu einem späteren Zeitpunkt doch noch etwas daraus.

Aus welchen Quellen habe ich als Chronist der Automobilfirma Otto Beckmann & Co eigentlich meine Informationen gesammelt? Mir stand leider nichts zur
Verfügung, was ich einem Firmennachlass oder in Original-Dokumenten am Ort des
Geschehens, also Breslau (heute) Wroclaw, hätte finden können. Dort ist bei Kriegsende bzw. danach alles verlorengegangen.

Was die zeitgenössische Literatur betrifft, vor allem Automobil-Periodika, so war einiges in Staats- und Universitätsbibliotheken zu finden, vor allem in der Bibliothek des Deutschen Museums in München. Dort habe ich über Jahre hinweg viel Freizeit investiert.

Die Nachkriegs-Fachliteratur zu Beckmann weist aber fast durchweg große Lücken und einige Fehler auf. Lediglich der Klassiker aller Bücher über alte Autos, die dreibändige Chronik des Nestors der deutschen Automobilhistoriker Hans-Heinrich von Fersen „Autos bzw. Sportwagen in Deutschland“, weist insgesamt 10 Seiten über Beckmann auf. Bei den zwei jüngeren Bänden von Halwart Schrader sind es 3 ½ Seiten, bei Oswald noch weniger.

Ausgerechnet die 640 Seiten umfassende „Chronik des Automobils“ von Hans-Otto Neubauer hat keine Zeile für Beckmann übrig – obwohl ich diesem damals mein bis dahin mageres Material zur Verfügung gestellt hatte.

Kurios ist, dass kein einziger dieser Autoren das richtige Jahr des Beginns des Beckmann’schen Automobilbaus genannt hat. Es erscheint mir sicher zu sein, dass alle deutschen Publikationen, die nach von Fersens Büchern erschienen sind, weitgehend von diesem „inspiriert“ worden sind (man könnte es auch Abschreiben nennen). Für das richtige Datum des Beginns des Automobilbaus bei Beckmann – 1898 – hätte man nur mal in die „Automobil-Welt“ von 1905 hineinzuschauen brauchen.

Bevor wir nun Abschied von der Firma Beckmann nehmen, möchte ich den Aufruf von Christian Börner nicht unerwähnt lassen, seiner unbedingt sehenswerten und heute wieder quícklebendigen Geburtsstadt einen Besuch abzustatten.

Er selbst hat dort bleibende Spuren hinterlassen in Form einer von ihm initiierten Gedenktafel, die am Standort der Firma Beckmann an diesen bemerkenwerten Teil der langen und wechselhaften Geschichte der Stadt erinnert.

Wer hätte das gedacht im Februar 1945, als die Familie Beckmann angesichts der vorrückenden Roten Armee wie die meisten Breslauer aus der anschließend heftig umkämpften Stadt fliehen musste?

Wie mir Christian Börner einmal schrieb, hing sein Leben als Einjähriger damals an einem seidenen Faden – buchstäblich mit Goldschmuck und Familiensilber erkaufte man sich auf dem Weg nach Westen das, was der Kleine zum Überleben benötigte.

Erst kürzlich ist Christian Börner 80 geworden und er ist voller Tatendrang. Ich bin dankbar, dass er mich an den Früchten seiner lebenslangen Spurensuche in Sachen Beckmann hat teilhaben lassen und hoffe, dass sich doch noch das eine oder andere Fragment findet.

Sie, liebe Leser, haben hoffentlich ebenfalls davon gehabt – noch einmal wird eine solche Fortsetzungsgeschichte quasi aus erster Hand nicht mehr möglich sein. Daher erlaube ich mir, Christian Börner unser aller Dank und Verehrung für sein Tun auszusprechen. Ich und mein Blog waren dabei nur das Medium.

Nun ist es wieder spät geworden, just in dem Moment ist unsere Katze Ellie hereingekommen – ihr ist’s nun wirklich zu frisch draußen. Ein paar schöne warme Tage wird es wohl noch geben, aber der Sommer neigt sich unweigerlich dem Ende zu.

Erwarten und planen wir generell nicht zuviel. Es kann jeden Tag alles ganz anders kommen. Lassen wir uns lieber überraschen, wenn uns Fortuna doch einmal hold ist – eine zeitlose Lehre, meine ich.

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Der Führer in Farbe! Essex von 1930

Keine Sorge – ich will es nicht einem gewissen „Intelligenzblatt“ nachtun, das in seiner Historie auffallend oft „den Führer“ auf’s Titelbild gehievt hat. Ob sich dahinter eine Neurose der Macher oder der Leserschaft verbarg (oder beides), sei dahingestellt.

Auch unabhängig von dieser Obsession mit dem Untoten aus Deutschlands finsterster Zeit fand ich besagte Publikation, die von sich progressiv dünkenden Zeitgenossen bevorzugt wurde, schon als Schüler vor 40 Jahren als unseriös.

Die orientalische Erzählfreude in den oft endlosen Beiträgen zu reinen Sachproblemen der Zeit ging mir auf die Nerven und weckte Misstrauen. Den Begriff der Relotiade kannte man noch nicht, aber praktiziert hat man die Technik wohl schon damals.

Dennoch will auch ich heute mit einer (allerdings keineswegs billigen) Sensation aufwarten und dem „Führer“ ein ausführliches Porträt widmen – in Farbe und sogar schon von 1930.

Natürlich geht es um dabei um ein Auto, was haben Sie gedacht? Genug der Worte – machen Sie sich selbst ein Bild:

Deutschsprachiger Essex-Prospekt von 1930; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Wenn jetzt einer enttäuscht ist, weil er auf ganz anderes Material gehofft hat, muss ich sagen: Dieser „Führer“ war mit das Beste, was Deutschland damals passieren konnte, jedenfalls für diejenigen, die sich überhaupt ein Auto leisten konnten.

Die vom US-Hersteller Hudson anno 1919 geschaffene Marke Essex sollte das untere Ende des Markts abdecken und das gelang mit zunehmendem Erfolg, wenn auch nicht vergleichbar den gigantischen Stückzahlen der Marktführer Ford und Chevrolet.

Wirklich einschlagen sollten die ab 1927 ausschließlich mit 6-Zylindermotor ausgestatteten Essex-Wagen in Europa – und speziell für den deutschen Markt wurde in Berlin die Hudson Essex Motor Company m.b.H. gegründet.

Diesen Aktivitäten haben wir meinen Prospekt von 1930 zu verdanken, in welchem der Essex als Führer präsentiert wird – die Sprache ist erkennbar auf deutsche Gemüter abgestimmt.

Einigen Teilen des Textes merkt der Kenner aber durchaus die Übersetzung an:

Deutschsprachiger Essex-Prospekt von 1930; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Haben Sie den Verweis „Printed in Great Britain“ bemerkt? Auch in England war die Marke Essex sehr präsent und ich vermute, dass dem deutschen Prospekt eine englische (nicht eine amerikanische) Fassung zugrundelag.

Bisweilen stößt man auf Wortbildungen wie „letzter Geschmack“, die verraten, dass sich jemand bei der Übertragung des Originals nicht sicher war, was die deutsche Entsprechung war – hier wäre „höchster Geschmack“ oder „hervorragender Geschmack“ angebracht gewesen.

Weiter geht’s dem Führer entgegen:

Deutschsprachiger Essex-Prospekt von 1930; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Sind Sie auch am „wohl ausprobierten“ Modell hängengeblieben? Ein fähiger Übersetzer hätte weniger an der englischen Formulierung geklebt und „gut erprobt“ geschrieben.

Jaja, sicher alles richtig bemerkt, unser Blog-Wart ist schließlich vom Fach, aber wo bleiben die Bilder des Führers in Farbe?“ – Das mögen Sie zurecht einwerfen.

Ich sehe die Notwendigkeit und will Sie nicht länger auf die Folter spannen, auch wenn wir später zum Text zurückkehren werden.

Hier nun die erste von drei Seiten des Prospekts, welche die Karosserievarianten des Führers in grafisch ansprechender, wenn auch nicht ganz wirklichkeitsgetreuer Farbgebung zeigen:

Deutschsprachiger Essex-Prospekt von 1930; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Herrlich, nicht? Da sieht man doch gern über die grünen oder braunen Reifen hinweg, in jeder Hinsicht eine fragwürdige Farbgebung, meine ich.

Nur Nummernschilder mit weißem Untergrund wie in Deutschland üblich hätte man sich gewünscht – aber das lag nicht im Ermessen der Gestalter des deutschen Prospekts.

Weiter geht’s mit dem schicken Coupé und den mehr oder wenigen offenen Versionen – von der Cabriolimousine (hier als Brougham bezeichnet) über den sportlich daherkommenden Roadster (mein Favorit) bis hin zum Tourer, der damals kaum noch gekauft wurde:

Deutschsprachiger Essex-Prospekt von 1930; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Natürlich muss ich auch diese schöne Seite mit meiner Übersetzer-Brille betrachten.

Sehr schmunzeln musste ich bei „Steuerrad“, denn das englische „steering wheel“ wurde auch früher schon in deutschen Landen stets als Lenkrad bezeichnet.

Aber sei’s drum: Dergleichen Fehler machen auch die automatischen Übersetzerdienste unserer Tage mit schöner Regelmäßigkeit, weshalb ich so bald nicht arbeitslos werde.

Hier noch die dritte Seite mit den ab Werk verfügbaren Aufbauten nebst Erläuterungen:

Deutschsprachiger Essex-Prospekt von 1930; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Festzuhalten ist hier ein Detail, welches sich auf die Karosserie bezieht. Der Essex war wie praktisch alle Großserienwagen seiner Zeit eine Ganzstahlkonstruktion.

Im Unterschied zu der in Deutschland damals immer noch überwiegenden, enorm aufwendigen Kombination aus Holzgerippe und Blechbeplankung war dies die Voraussetzung für kostensenkende Massenproduktion.

Genau habe ich es nicht recherchiert, aber ich schätze, dass bereits ab 1920 der Großteil der Serien-PKW in den USA eine Ganzstahlkonstruktion aufwies. Die in die Millionen pro Jahr gehenden Stückzahlen in den Staaten sind anders nicht zu erklären.

Gleichzeitig ist es bemerkenswert – nicht nur bei Essex – wieviele Karosserievarianten die US-Hersteller ab Werk anboten.

Anbieter von Spezialaufbauten hatte es da schwer – außer in Deutschland, wo sich viele Käufer eines US-Wagens nur das Chassis liefern ließen und bei einem einheimischen Karosseriebauer einen Manufakturaufbau orderten.

Hier noch einige Ausführungen zur Technik des Essex des Modelljahrs 1930 – vielleicht hat ja ein Leser eine Idee, was mit den „nach außen gespreizten Federn“ gemeint ist:

Deutschsprachiger Essex-Prospekt von 1930; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Nicht zuletzt enthält mein originaler Essex-Prospekt aus dem Jahr 1930 eine prächtige Abbildung des Motors, der mit seinem für amerikanische Verhältnnisse moderaten Hubraum von 2,6 Litern gut 50 PS Leistung abwarf.

Speziell für Käufer, zu deren Nutzungsprofil Reisen im Gebirge gehörten, waren diese drehmomentstarken und auch vollbesetzt kraftvollen US-Automobilen den meisten deutschen Fahrzeugen derselben Preisklasse überlegen.

Deutschsprachiger Essex-Prospekt von 1930; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Der damals noch nicht vergiftete Begriff des „Führers“ war also insgesamt durchaus berechtigt, meine ich.

Dass der Essex des Modelljahrs 1930 nicht nur im Prospekt gute Figur machte, sondern tatsächlich sehr zufriedene Käufer in deutschen Landen fand, das zeigt dieses Foto, welches mir Leser Jürgen Klein in digitaler Form zur Verfügung gestellt hat:

Essex Standard Sedan, Modelljahr 1930; Originalfoto: Sammlung Jürgen Klein

Damit wäre der Führer aus dem Hause Essex wieder im gewohnten Schwarz-Weiß-Modus angelangt – den Sie von meinem Blog gewohnt sind, jedenfalls in automobiler Hinsicht.

Ansonsten erlaube ich mir alle möglichen Zwischentöne und bediene mich auch einer bisweilen farbenfrohen Ausdrucksweise – denn dass es möglichst bunt zugehe in unseren Tagen, ist ja sogar offizielle Doktrin, wenn ich das richtig verstehe.

Da muss auch Platz für den „Führer in Farbe“ sein – und sei es nur in der harmlosen Form eines alten Autoprospekts aus einer Zeit, bevor von sich eingenommene „Eliten“ im Verbund mit allzuwilligen Untertanen Deutschland und Europa in die Katastrophe stürzten…

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Vom Charme des Backsteins: Adler „Favorit“

Oh, da wird sich unser Blog-Wart aber diesmal die Sympathien der Freunde der Marke Adler aus Frankfurt am Main verscherzen! Wie kann er nur dem Modell „Favorit“ der späten 1920er Jahre den Charme eines Backsteins zuschreiben?

Nun, liebe Leser, wenn Sie jetzt so denken, dann möchte ich darauf wie folgt antworten: 1. Die Gleichsetzung des Adler „Favorit“ mit einem Backstein haben Sie vorgenommen. 2. Was ist eigentlich an einem soliden Backstein auszusetzen? und 3. Wie langweilig wäre es, wenn es hier nur sachlich und ohne Schelmereien zuginge?

Probieren wir es zur Abwechslung einmal, rein faktenbasiert zu sein, etwa so:

Adler „Favorit“: von 1929-33 gebautes Vierzylindermodell mit 35 PS aus 1,9 Litern Hubraum, Seitenventiler, Spitze 80 km/h – einzige Besonderheit: Hydraulikbremsen. Preis als 4-türige Limousine: 5.575 Reichsmark.

Reicht das schon, um uns für den Adler zu begeistern? Wohl kaum. Denn für 600 Mark weniger bekam man anno 1929 in Deutschland auch das hier:

Chevrolet „AC International“: 6-Zylindermodell mit 45 PS aus 3,2 Litern Hubraum, im Zylinderkopf hängende Ventile, Spitze 95 km/h.

Wer sich nicht an der höheren Kfz-Steuer und dem höheren Verbrauch des US-Modells störte und mit herkömmlichen Gestängebremsen leben konnte, hatte außer patriotischen Anwandlungen kaum einen Grund, den Adler „Favorit“ zu kaufen.

Man könnte damit die Betrachtung beenden – und müsste nicht einmal mehr die Stückzahlen vergleichen (Adler „Favorit“: ca. 14.000, Chevrolet 6 von 1929: >1 Million).

Ist es das, was Sie bevorzugen? Wieder sage ich: Wohl kaum. Denn der eigentliche Charme des Adler liegt darin, dass es ihn angesichts der schieren Übermacht der Amerikaner-Wagen am deutschen Markt überhaupt gab.

Während sein deutlich kräftigerer Bruder – der Sechszylindertyp „Standard 6“ von der Papierform mit dem Chevrolet 6 mithalten konnte (vom Preis her freilich nicht), wäre der Favorit an sich kaum der Rede wert, was nicht heißt, dass er schlecht war.

Aber er repräsentiert nun einmal den damaligen Stand vieler deutscher Serienwagen, war ziemlich geräumig und war gestalterisch bei Erscheinen auf der Höhe der Zeit.

Nehmen wir uns also etwas Zeit und betrachten ihn aus verschiedenen Perspektiven – er wird uns dam Ende wie ein guter alter Freund erscheinen: Ehrlich, unprätentiös, verlässlich.

Adler „Favorit“; Originalfoto: Sammlung: Marcus Bengsch

Hier haben wir den „Favorit“ als 6-Fenster-Limousine mit Zulassung im Raum Tuttlingen auf einem Foto von Leser Marcus Bengsch.

Irgendwelche Beanstandungen? Nein.

Brauchen Sie Erläuterungen, woran, man den „Favorit“ erkennt? Vorerst nicht. Sie werden ihn auf den folgenden Fotos sofort wiedererkennen – das markante Kühlergesicht war eine seiner Stärken.

Über jeden Zweifel erhaben war traditionell auch die Verarbeitung und die Haltbarkeit der Adler-Wagen – dieses Foto von Leser Matthias Schmidt (Dresden) weist eigens darauf hin:

Adler „Favorit“; Originalfoto: Sammlung: Matthias Schmidt (Dresden)

Dieses im Raum Pirmasens zugelassene Exemplar lässt neben der achtbaren Laufleistung auch gut die typische Gestaltung der Räder und Naben erkennen.

Fünf Radbolzen verweisen i.d.R. auf den „Favorit“, während deren sieben stets einem „Standard 6“ oder gar dem sehr seltenen „Standard 8“ vorbehalten waren.

Leser Klaas Dierks hat das nächste Foto eines „Favorit“ beigesteuert – wie man sieht, haben wir es erneut mit der 6-Fenster-Limousine zu tun, dem nach meiner Wahrnehmung häufigsten Aufbau – zugeliefert in Ganzstahl-Ausführung von Ambi-Budd aus Berlin:

Adler „Favorit“; Originalfoto: Sammlung: Klaas Dierks

Spätestens jetzt sind Sie ganz ohne oberlehrerhafte Hinweise soweit, den Adler „Favorit“ im Schlaf zu erkennen, falls er Ihnen im Traum begegnen sollen (es gibt Schlimmeres, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, denn ich träume viel und ziemlich wild).

Ein weiteres Exemplar hätte ich noch (wieder beigesteuert von Matthias Schmidt), um das Gelernte aus nochmals leicht veränderter Perspektive zu verinnerlichen:

Adler „Favorit“; Originalfoto: Sammlung: Matthias Schmidt (Dresden)

Was sagen Sie jetzt? Wäre so ein Adler nicht doch vielleicht ein heimlicher Favorit, wenn es um solide deutsche Mittelklassewagen jener Zeit geht?

Nun, es gibt einige überlebende Exemplare und die Mitglieder des Adler Motor Veteranen-Clubs kümmern sich mit Hingabe darum.

Aber seien Sie gewarnt: Der erwähnte Chevrolet 6 derselben Zeit steht demnächst ebenfalls auf der Agenda und er verkaufte sich nicht ohne Grund auch in Deutschland wie geschnitten Brot (naja, sagen wir eher : wie Schwarzwälder Kirschtorte – denn jedes Auto war damals in Deutschland ein teures Vergnügen).

Doch was hat nun das Ganze mit dem Charme des Backsteins zu tun? Wie so oft spielt der Titel meiner Blog-Einträge auf etwas an, was mich gerade beschäftigt.

Heute war das – lachen Sie nicht! – ein Haufen Backsteine. Diese waren vom Abriss eines maroden Anbaus der 1980er Jahre übriggeblieben, waren aber selber älter als dieses. Ich hatte die Ziegel seinerzeit aus dem Schutt geborgen, was nicht nur die Entsorgungskosten etwas minderte, sondern auch die Aussicht auf Wiederverwendung bot.

Nach rund fünf Jahren bin ich nun endlich dazu gekommen, dieses schöne alte Baumaterial einem neuen Dasein als Trockenmauer im Garten zuzuführen. Dafür galt es freilich hunderte Ziegel von Hand von Mörtel und sonstigen Anhaftungen zu befreien.

Wie macht man das als sonst gewohnheitsmäßiger Schreibtischtäter? Ganz einfach: Man beginnt bei 30 Grad in der Mittagssonne im Hof mit der Arbeit – schön der Sonne zugewandt, damit man den Teint aufmöbelt, so lange das noch geht hierzulande.

Aus selbigem Grund arbeitet man ohne Handschuhe – auch wenn sich am Ende das Gefühl von Schmirgelpapier einstellt. Mit einem vorne zugespitzten Hammer wird sodann jeder Backstein mit Hingabe von allen Seiten bearbeitet – ein Training für Arm- und Handmuskulatur, welches nicht zur allzu häufigen Wiederholung empfohlen wird.

Bei sinkender Sonne war das Werk vollbracht – der Ziegelhaufen war in eine prächtige hüfthohe doppellagige Trockenmauer von beachtlicher Länge verwandelt.

Jedenfalls hatte ich bei dieser intellektuell nicht anspruchsvollen, aber befriedigenden Tätigkeit (wer Haus, Hof und Garten hat, braucht keinen Psychiater) Zeit, über dies und das nachzudenken. Mir war rasch klar, dass ich mein Backsteintrauma verarbeiten und in etwas Positives transformieren musste.

Eigentlich hatte ich vor, als Thema irgendetwas mit „bekloppt“ zu wählen, Assiziationen diesbezüglich stellen sich ebenfalls haufenweise ein – doch dann stieß ich in meinem in die Tausende gehenden Fundus unveröffentlichter Aufnahmen von Vorkriegsautos auf das hier:

Adler „Favorit“; Originalnegativ aus Sammlung Michael Schlenger

Wer hier keinen Adler „Favorit“ und den Charme des Backsteins erkennen kann, dem ist nicht zu helfen.

Das Erscheinungsbild der Autos hat sich seither stark gewandelt, doch die Schönheit von historischen Ziegelbauten gehört zu den Dingen aus der Welt von gestern, an denen wir uns im Alltag immer noch erfreuen können.

Ein solches Fachwerkhaus wie hier zu besichtigen ist für Jahrhunderte gemacht und damit im besten Sinne nachhaltig. Wer das Raumklima solcher Bauten kennt, weiß, dass es dort nichts zu „dämmen“ gibt.

Selbst die Originalfenster lassen sich aus energetischer Sicht beibehalten, wenn man das alte Prinzip der Kastenfenster anwendet und ein zweites derselben Machart innen anbringt.

In Verbindung mit einer hocheffizienten Gastherme und einem ergänzenden Kaminofen lässt sich der ganze Charme des Backsteins in die Gegenwart retten – man darf sich von vorübergehenden Anwandlungen Made in Berlin nicht verrückt machen lassen.

Dann vielleicht noch ein Adler „Favorit“ in der alten Maschinenhalle nebenan – oder doch ein Chevrolet 6? Beide waren für die Ewigkeit gemacht, sofern man das menschlichen Maßstäben sagen darf – und die überlebenden Exemplare werden uns noch lange begleiten.

Vielleicht werden sie einst sogar die letzten Autos sein – auch das hätte Charme wie alte Backsteine….

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Wirklich erlesen! „Elite“-Spitzkühler-Tourenwagen

Heute befassen wir uns mit dem schillernden Begriff der Elite – da müssen Sie durch, auch wenn’s nicht immer jedem passt. Aber ein Blog lebt von der subjektiven Inspiration des Autors – ohne die könnten Sie hier nicht tausende Porträts von Vorkriegsautos kostenfrei lesen.

Also was sagt uns „Elite“? Irgendetwas Exklusives, Abgehobenes, vielleicht? Ist das etwas Positives oder eher Negatives? Nun, es kommt wie immer darauf an.

Von der Wortherkunft her ist der Begriff positiv. Er geht auf das lateinische Verb „eligere“ zurück, das Auslesen nach Qualität bezeichnet – ob bei Äpfeln, Birnen oder Volksvertretern.

Im Französischen wurde durch das Verschleifen der Konsonanten daraus „élire“ und die Franzosen waren auch diejenigen, die daraus das Hauptwort „l’elite“ abgeleitet haben.

Nicht zufällig spielt das Elitedenken bei der Auslese der politischen Führer in unserem von jeher zentralistisch geprägten Nachbarland eine wichtige Rolle. Die Führungsschicht rekrutiert sich meist aus Absolventen spezieller Elitehochschulen – Kritiker bezeichnen das Ergebnis als eine Art Politadel, der sich aufführt, als hätte es nie eine Revolution gegeben.

Dass die Eliten auch unseres Landes bzw. in den EU-Führungszirkeln keine Selektion mehr im Sinn einer Besten-Auslese mehr darstellen, ist ausgeschlossen. Denn das sind unsere Angestellten, die wir dafür entlohnen, Probleme zum Vorteil der Bürger zu lösen, nicht wahr?

Somit ist es abwegig anzunehmen, dass die Eliten unserer Tage in Wahrheit nicht auserlesen sind, sondern ihre Privilegien bisweilen bloß ersessen, ererbt, ermogelt usw. haben. Das wäre ja wirklich unglaublich!

Nachdem wir geklärt haben, dass mit unseren Eliten alles zum Besten steht, vom unkorrumpierbaren Bürgermeister bis zum politisch strikt neutralen Bundespräsidenten, können wir beruhigt zum unterhaltsamen Teil in Sachen „Elite“ übergehen.

Unter der Marke „Elite“ wurden von der gleichnamigen AG ab 1913 in Brand-Erbisdorf (Sachsen) PKW und Nutzfahrzeuge gebaut. Die Geschichte der Firma ist dermaßen verwickelt, dass ich diesbezüglich auf den mehrseitigen Abriss in „Ahnen unserer Autos“ von Gränz/Kirchberg (1975) verweise – ein heute noch nützliches Werk, nebenbei.

So chaotisch die Unternehmenstrategie war – wenn man überhaupt davon sprechen kann – so erlesen wirken die Elite-Wagen, welche speziell Anfang der 1920er Jahre entstanden:

„Elite“-Vierzylinder-Tourenwagen der frühen 1920er Jahre; Originalfoto: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Wirklich erlesen erscheint hier alles – vom schicken Spitzkühler mit „Elite“-Schriftzug und typischem Markenemblem bis hin zu den abgebildeten Personen.

Wie so oft auf Fotos von Vorkriegswagen hat sich der Besitzer in elitärer Manier hinter’s Lenkrad geklemmt, während der Chauffeur, der die Fuhre eigentlich am Laufen hält, auf eine subalterne Position verbannt wurde.

Das lassen wir jetzt mal unkommentiert, zumal die Eliten jener Zeit das Können ihrer Fahrer in der Regel sehr zu schätzen wussten und ihnen mit dem gebotenen Anstand begegneten.

Was den abgebildeten „Elite“-Wagen angeht, geht mein Dank an Jason Palmer aus Australien, der Oldtimer-Sammler und ein hervorragender Kenner speziell europäischer Modelle ist. Er stellt mir immer wieder einzigartige Dokumente in der Hinsicht zur Verfügung.

Es gibt zwar eine umfassende Gesamtdarstellung der bis 1929 gebauten „Elite“-Personenwagen von Malte Krüger („Der Luxus-Automobilbau der Elite-Werke in Brand-Erbisdorf„, in: Die Geschichte der Verwaltung in Sachsen und der Region Freiberg, Festvorträge anlässlich der Vergabe des Andreas-Möller-Geschichtspreises 2006, hrsg. von der Stiftung für Kunst und Kultur der Kreissparkasse Freiberg, 2008)

Doch trotz des detaillierten Abrisses der Firmen- und Modellgeschichte, muss ich mich im vorliegenden Fall auf Vermutungen stützen, da es nur wenige Aufnahmen klar datierter und typmäßig genau bestimmter Elite-Wagen gibt.

Die Kleidung der Insassen – speziell der Damen – spricht für eine Aufnahme der frühen 1920er Jahre, wozu auch die Art der elektrischen Beleuchtung mit schüsselförmigen Hauptscheinwerfer und darunter angebrachten kleinen Lichtern (Positionslampen oder zur Ausleuchtung von Kurven) passen würde.

Bei den Elite-Wagen scheint man bis etwa 1924/25 an dem Benz-ähnlichen Spitzkühler festgehalten zu haben. In dieser Zeit wurde neben Vierzylindermotoren mit 40-50 PS auch ein Sechszylinder mit 55 PS angeboten. Die Haubenlänge spricht hier für einen 4-Zylinder.

Technisch scheinen diese Wagen noch ganz auf Vorkriegsstand gewesen zu sein. Ihre durchaus beachtliche Leistung bezogen sie im Wesentlchen aus relativ großen Hubräumen, die über denen gängiger deutscher Wagen jener Zeit lagen.

Sie sahen daher eindrucksvoller aus, als sie es tatsächlich waren – sehr teuer waren die „Elite“-Wagen obendrein. Doch scheint es gerade der schöne Schein gewesen zu sein, der einigen Exemplaren die Wertschätzung eingebracht hat, welche ihr Überleben ermöglichte.

Und nun verneigen wir uns nochmals gedanklich vor Jason Palmer aus Australien, der uns nämlich noch ein weiteres wirklich elitäres Vergnügen beschert hat.

Ja, es haben einige immer noch beeindruckende Elite-Wagen in Ostdeutschland überlebt. Aber. liebe Leser, jetzt schauen Sie sich einmal dieses Gerät an – das in Australien die Zeiten überdauert hat – Jason Palmer hat es vor einiger Zeit für uns fotografiert:

„Elite“-Vierzylinder-Tourenwagen der frühen 1920er Jahre; Bildrechte: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Hier haben wir einen Elite 12/40 PS von 1923, der anno 1924 nach Australien gelangte und dort einen siebensitzigen Tourer-Aufbau der Karosseriebaufirma Cheetham & Borwick erhielt.

2017 wurde die Restaurierung dieses wohl einzigartigen „Elite“ abgeschlossen. Ist das nicht ein großartiges Beispiel für eine wirklich gelungene Auslese über Zeiten und Regionen hinweg?

Jason Palmer hat sich seinerzeit die Mühe gemacht, das schöne Kühleremblem für uns in bester Qualität aufzunehmen:

„Elite“-Vierzylinder-Tourenwagen der frühen 1920er Jahre; Bildrechte: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Kann es sein, dass sich die eigentliche Elite unserer Tage – im Sinne von Kennern mit erlesenem Geschmack und sicherem Urteil – nicht auf Teppichetagen staatsnaher Konzerne und in gepanzerten Limousinen findet, sondern schlicht auf dem Boden der Tatsachen?

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Halt, Rasterfahndung! Ein Laurin&Klement um 1924

Kennen Sie noch den Begriff der Rasterfahndung? Mir ist er erstmals als Schüler im Westdeutschland der 1970er und 80er Jahre begegnet, als eine gut organisierte Gruppe von Terroristen Jagd auf ihr nicht genehme Bürger machte: Richter, Banker, Verbandsvertreter…

Diesem mörderischen Treiben, bei dem man auch „Kollateralschäden“ in Kauf nahm, lag eine krude Ideologie der gerechtfertigten Selbstjustiz zugrunde, wie sie sich im pseudowissenschaftlichem Dunstkreis der Universitäten herausgebildet hatte.

Interessanterweise fanden sich kaum Leute mit richtigen Berufen in diesen Kreisen und auch die bemerkenswert breite Unterstützer dieser Figuren speiste sich vorwiegend aus einem speziellen Segment der „akademischen“ Schicht.

Ich kann mich sogar an Lehrer erinnern, die zumindest den Versuch unternahmen, den möglicherweise doch verständlichen Motiven der Terroristen nachzugehen. Das scheiterte indessen bei uns an durch Erziehung und eigenes Denken gefestigten Überzeugungen.

Von daher hatte auch das Prinzip der Rasterfahndung für den Normalbürger nichts Anrüchiges – im Gegenteil, man wollte die brandgefährlichen Gesuchten möglichst schnell zur Strecke bringen, deren Konterfeis damals auf Plakaten allgegenwärtig waren.

Ich weiß nicht, ob das überhaupt noch „erlaubt“ ist, bspw. nach einem jüngeren Mann mit auffallend heller Haut, ohne Bart, mit schmalen Lippen und dunklen Augenhöhlen zu fahnden, der in einem dunklen Tourenwagen tschechischer Herkunft abgelichtet wurde.

Das ist doch diskriminierend, anhand solcher Äußerlichkeiten zu sieben, oder? Ich wage es dennoch einmal und eröffne hiermit meine ganz private Rasterfahndung:

Laurin & Klement Tourer um 1924; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Diese technisch ausgezeichnete Aufnahme hat mir in digitaler Form Leser Matthias Schmidt aus Dresden übermittelt, der öfters auch in Tschechien auf Jagd nach solchen Dokumenten bzw. überlebenden Originalen ist.

Die gemessen an der geringen Größe des Landes auffallend reichhaltige tschechische Automobiltradition ist vor allem in westdeutschen Landen vielen nicht bewusst. Die Sprachbarriere und die räumliche Distanz mag das erklären.

Dabei wurzeln die interessanten tschechischen Marken allesamt in einer Epoche, in der die Hersteller noch einer größeren Welt angehörten – der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie. Das mehrsprachige Riesenreich scheint weit durchlässiger für Talente und Produkte auf dem Automobilsektor gewesen zu sein als zu Zeiten der darauf folgenden viel kleineren Nationalstaaten – was keine Wertung der politischen Entwicklung sein soll.

Zu den herausragendsten Fabrikaten auf (später) tschechischem Boden zählt sicher Laurin & Klement aus dem böhmischen Mlada Boleslav. Die Geschichte der Firma reicht bis 1895 zurück, soll aber hier nicht nacherzählt werden.

Denn mit dem Foto aus der Sammlung von Matthias Schmidt haben wir bereits einen gewaltigen Zeitsprung in die frühen 1920er Jahre gemacht, als sich Laurin & Klement in der neu gegründeten Tschechoslowakei wiederfand.

Nachdem man eine Weile auf Vorkriegsmodellen basierende Automobile gefertigt hatte, deren Typen mit Buchstaben bezeichnet wurden, brachte man ab 1923 eine Reihe von Neukonstruktionen heraus, die nunmehr mit dreistelligen Zahlen gekennzeichnet waren.

Die resultierende Typenvielfalt ist nicht ganz leicht zu überschauen, und es gibt in der mir zugänglichen Literatur (vor allem: L&K – Skoda, Jahre des Aufstiegs 1895-1945, von P. Kozisek und J. Kralik) nicht viele eindeutig angesprochene Modelle oder gar Hinweise auf äußerliche Unterscheidungsmerkmale.

Dass der zur Fahndung ausgeschriebene Wagen ein Laurin & Klement war, ist klar – das steht ja auf dem Kühlergrill. Was das „AS“ darunter bedeutet, ist schon schwieriger zu sagen, ich meine es steht für die tschechische Bezeichnung für Aktiengesellschaft.

Sie sehen, ich verlasse hier früh den Grund gesicherter Tatsachen und lade Sie ein, gemeinsam darauf hinzuwirken, dass wir das gesuchte Exemplar zur Strecke bringen.

Die Kühlerform verweist m.E auf die ab 1923 neu eingeführten Typen und es finden sich Abbildungen sehr ähnlicher Tourenwagen unter den Bezeichungen 100 bzw 105 (Nachfolger) mit 7/20 PS-Vierzylinder sowie Typ 150 mit 6/20 PS Schiebermotor nach Knight-Patent.

Ob die parallel erhältlichen Modelle wie der fabelhafte Sechszylindertyp 450 (19/60 PS) ähnlich aussahen, nur größer waren, kann ich nicht sagen.

Meine vorläufige Vermutung ist, dass das Foto von Matthias Schmidt einen der kleinen Vierzylinder mit 1,7 bzw. 1,5 Litern Hubraum zeigt, wie sie bis zur Übernahme durch Skoda 1925 gebaut wurden.

Wer es genau weiß, möge sich bitte vertrauensvoll per Kommentar melden.

Sachdienliche Hinweise sind aber auch zu einem anderen Detail erwünscht: Der Originalabzug des heute gezeigten Fotos weist eine leicht erhabene Rasterstruktur auf, die ich auch bei anderen zeitgenössischen Aufnahmen der 1920er Jahre bemerkt habe.

Im Scan wirkt diese Struktur eher störend, aber in natura scheint sie den Eindruck größerer Schärfe zu erzeugen. Von daher würde ich meine heutige Rasterfahndung auf dieses Detail erweitern wollen – ebenso auf das Kennzeichen, mit dem ich nichts anzufangen weiß.

Abschließend will ich den Blick auf ein Element lenken, was uns zwar in der Sache nicht weiterbringt, aber von dokumentarischem Wert ist: die Stoßstange.

Dieses sicher aus dem Zubehörhandel stammende Teil scheint so konstruiert zu sein, dass es bis zu einem gewissen Tempo die Aufprallenergie aufnehmen kann, indem sich das Oval verformt, mit dem die Stange am vorderen Rahmenausleger befestigt ist.

Es gab ähnlich einteilige Ausführungen auch bereits mit Teleskopdämpfer, doch dieses Exemplar scheint mir eine sehr frühe Ausführung zu sein. Also scheint sich der Blick aufs Detail im Zuge einer Rasterfahndung doch auszuzahlen, meine ich…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Genug unter der Haube: Nash „Special Six“ von 1929

Weit nach Mitternacht – morgen ist ein normaler Arbeitstag, aber irgendetwas hält mich davon ab, in die Federn zu steigen. Vielleicht war es das Gefühl, bei tagsüber sagenhaften 18 Grad Celsius um einen weiteren Sommertag mitten im August betrogen worden zu sein.

Immerhin hält der im wettertechnisch zuverlässigeren Italien kürzlich konsolidierte Teint noch vor – da kann man schon einmal ein Wochenende mit Bastelarbeiten im Haus zubringen.

Nun höre ich eine CD mit einer italienischen Swing-Combo, die ich in meinem italienischen Domizil vom örtlichen Barbetreiber Flavio empfohlen bekam, mit dem ich mich in Sachen klassischer Nachkriegsmusik auszutauschen pflege.

Sie sehen, bei mir geht es nicht immer altertümlich zu – immerhin bis in die 60er Jahre reicht mein Verständnis „modernen“ Musikschaffens – (ok, bis in die 80er gehe ich auch noch mit)

Bei den treibenden Rhythmen von „That mellow saxophone“ dargeboten von den „Good Fellas“ (Bagana Records, 2005) wird man schwerlich müde.

Also suche ich mir eine Beschäftigung im Vorkriegsauto-Fotofundus und schreibe noch rasch eine Nummer herunter. Eine zuverlässige Quelle in der Hinsicht sind vor allem US-Fabrikate und so wurde ich bei „N“ wie Nash fündig.

Die amerikanischen Hersteller und Modelle sind in der Literatur und online so hervorragend dokumentiert, wie man das in D’land nur selten findet. Man greift einfach in die Fotokiste und holt etwas wie das hier hervor, über das man sich nicht groß das Hirn zermarten muss:

Nash „Special Six“, Modelljahr 1929; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Passt diese in Deutschland entstandene Aufnahme nicht bestens zu meinem vorherigen Blog-Eintrag, in welchem ich den Damen empfahl, möglichst schnell unter die Haube zu kommen, um rechtzeitig Gelegenheit zu haben, einen etwaigen Fehler bei der ersten Partnerwahl zu korrigieren?

Ja, hier haben wir in der Tat gleich mehrere Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts, die zumindest huttechnisch bereits unter der Haube zu sein scheinen. Dies Kopfbedeckung war eine Spezialität der 1920er Jahre und verschwand in den 30ern zugunsten wieder opulenterer und schmeichelnder Varianten.

Doch dieses durchaus interessante Thema – gibt es eigentlich Literatur dazu? – soll heute nicht weiter verfolgt werden. Denn wir haben auf dem Foto bereits genug unter der Haube.

Diese Festellung bezieht sich vor allem auf die Limousine, welche hier abgebildet ist. Der Hersteller – Nash – ist leicht identifiziert, denn so steht es auf dem Kühlergrill.

Die Gestaltung der Luftschlitze und weitere Details verraten, dass wir hier ein Exemplar des Modelljahrs 1929 vor uns haben. Solche Finessen entnimmt man am besten dem Standard Catalog of American Cars von Kimes/Clark, welcher über 1.500 Seiten umfasst.

Dort finden wir auch die titelgebende Information, wonach dieser Nash von anno 1929 genug unter der Haube hatte, um deutsche Käufer davon zu überzeugen, dass dieser Großserienwagen die bessere Wahl als teure einheimische Manufakturautos war.

Die Kombination aus zwei Reihen Luftschlitzen in der Motorhaube und Scheinwerfern mit einer Spitze an der Oberseite verraten, dass wir es mit dem mittleren Modell von Nash zu tun haben. Ausgestattet war dieser „Special Six“ mit einem 3,7 Liter Motor, der 65 PS leistete – ein Aggregat mit im Zylinderkopf hängenden Ventilen und Doppelzündung.

Das Spitzenmodell „Advanced Six“ mit fast 80 PS Leistung wurde in deutschen Landen seltener gefahren – Ausnahmen bestätigen die Regel. Die Produktionszahl des 1929er Nash war mit über 100.000 Exemplaren nach US-Maßstäbe unauffällig, aber den von den einheimischen Herstellern unterversorgten deutschen Markt bediente man locker nebenher.

Genug unter der Haube, um die Nachbarn zu beeindrucken, boten die US-Importwagen allemal – auch Ausstattung und Verarbeitung waren über jeden Zweifel erhaben.

Heute sind diese Fahrzeuge auf einschlägigen Klassikerveranstaltungen in deutschen Landen massiv unterrepräsentiert, dabei sind sie noch heute günstiger zu bekommen als die Prestigefahrzeuge aus einheimischer Fabrikation, die einst weit seltener waren.

Vielleicht ein Anlass für den einen oder anderen, einmal zu schauen, was im US-Vorkriegssektor angeboten wird, wenn man etwas heute wirklich Exklusives sucht…

Jetzt bin ich zwar immer noch nicht wirklich müde, aber die Vernunft sagt: Für heute ist es genug und ich habe noch einiges „unter der Haube“, was hergezeigt werden will…

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Endlich unter der Haube! Ein „Piccolo“ um 1908

Bei der Hinleitung zum eigentlichen Gegenstand der heutigen automobilen Betrachtung fungiere ich ausnahmsweise als neutraler Betrachter.

So gehe ich als Nicht-Verheirateter der Frage nach, ob man die Damen möglichst schnell „unter die Haube“ bringen sollte oder besser lange auf die vermeintlich ideale Partie wartet.

Die Statistik ist unerbittlich: mindestens jede zweite Ehe in Deutschland wird früher oder später geschieden. Und das bedeutet ja nicht, dass die verbleibenden stets solide sind. Auch meine eigene Erfahrung in Familie und Bekanntenkreis unterstützt die Auffassung, dass die Hälfte aller Eheschließungen eine teure Fehlentscheidung darstellen.

Nun könnte man sagen, dass es sich wie bei Werbeausgaben verhält: man weiß aus Erfahrung, dass rund die Hälfte davon rausgeschmissenes Geld ist – bloß welche Hälfte?

Also: Wie sollen Heiratswillige vorab wissen, zu welcher der beiden Hälften sie gehören? Zu der, deren Bund für’s Leben das Versprochene hält, oder der, bei welcher sich die Treueschwüre als leere Worte entpuppen?

Das dürfte nahezu unmöglich sein, behaupte ich als Theoretiker in dieser Hinsicht. Aber ich kann eine Weisheit als Ökonom beisteuern: Der zu erwartende Nutzen ist für beide Seiten dann am größten, wenn die weibliche Hälfte möglichst schnell unter die Haube kommt.

Denn ob die Verbindung etwas taugt, erweist sich typischerweise nach einigen Jahren – der Volksmund dürfte da mit dem Bonmot vom verflixten Siebten Jahr tendenziell richtig liegen. Nach dieser Zeit ist man meist wirtschaftlich einmal durch Dick und Dünn gegangen und es hat sich erwiesen, ob die gemeinsame Aufzucht des Nachwuchs gelingt.

Im Fall A sind die Erfahrungen positiv und dann bestehen gute Chancen, dass die Verbindung ein Leben lang hält. Gerade kürzlich erzählte mir ein Oldtimer-Kamerad, dass seine Frau ihn nun schon 50 Jahre erträgt!

Mir sind einige weitere Beispiele bekannt, in denen es sich bewährt hat, möglichst früh unter die Haube zu kommen – meist mit Mitte bis Ende 20.

Jetzt zum Fall B: Zwei haben früh geheiratet und merken bald, dass sie doch nicht auf Dauer füreinander gemacht sind. Dann sind aber meist nicht bereits drei Kinder in der Welt und man kommt einigermaßen glimpflich aus der Nummer wieder heraus und kann sich in aller Ruhe auf die Suche nach Partner Nr. 2 machen, der die größere Erfolgsaussicht bietet.

Schiebt man dagegen die Entscheidung, endlich „unter die Haube zu kommen“ auf die lange Bank, überwiegen nach meiner Wahrnehmung regelmäßig die gescheiterten Ehen.

Das Ticken der biologischen Uhr – übrigens nicht nur bei der holden Weiblichkeit, sondern auch bei unter Erwartungsdruck stehenden Herren – erhöht die Wahrscheinlichkeit der falschen Partnerwahl. Mir sind Fälle völliger Wahllosigkeit in der Hinsicht bekannt.

Hinzu kommt, dass die Damen ab einem gewissen Alter der Auffassung sind, nicht mehr „marktfähig“ zu sein und halten daher ohne Not an spät geschlossenen schlechten Ehen fest. Bisweilen kleben auch die Herren formal an der Bindung, da sie sich (und anderen gegenüber) das Scheitern nicht eingestehen wollen, anstatt ein neues Glück zu finden.

Langer Rede kurzer Sinn: Unter dem Aspekt des erwarteten Nutzens ist es optimal, möglichst früh unter die Haube zu kommen – freiwillig natürlich. Auch aus automobilhistorischer Sicht ist das Prinzip zu begrüßen. Sehen Sie einfach selbst:

„Piccolo“ Typ 5 PS, Bauzeit: 1904-07; Originalfoto: Sammlung Jörg Pielmann

Die schöne Aufnahme hat mir Leser Jörg Pielmann in digitaler Form zur Verfügung gestellt.

Viele von Ihnen sind dem Modell bereits in meinem Blog begegnet – es handelt sich um den von Ruppe & Sohn von 1904-07 gebauten „Piccolo“ mit luftgekühltem V2-Motor. Äußerlich gut zu erkennen ist dieses selbstkonstruierte Fahrzeug an dem in einer Trommel untergebrachten Ventilator vor den beiden freistehenden Zylindern.

Ausgehend von den formalen Elementen des modernen Automobils würde man dieses Gefährt noch nicht als vollwertiges Auto ansehen, wenngleich es dessen wesentliche Funktionen bereits erfüllte.

Was fehlt diesem noch wie eine Kutsche ohne Pferde erscheinenden „Piccolo“?

Nun, dass der Antrieb schnurstracks unter die Haube kommt, damit das Ganze wie ein richtiges Auto aussieht – nämlich so:

„Piccolo“ Typ 7 PS ab 1908; Originalfoto: Sammlung Jörg Pielmann

Man glaubt es kaum, aber technisch hat dieser etwas jüngere „Piccolo“ trotz ganz anderer Erscheinung noch vieles gemein mit der ersten Ausführung. Der Motor blieb fast unverändert, wies nur etwas mehr Hubraum und Leistung auf.

Aber es lohnte sich, den Antrieb des Piccolo „unter die Haube“ zu bekommen. Hätte Ruppe & Sohn mit diesem wichtigen Schritt zu lange gewartet, wäre die dauerhaften Erfolgsaussichten der Firma schlecht gewesen – ein offenliegender Motor war der Kundschaft kaum mehr zu vermitteln.

Rein funktionell wäre die Haube – und schon gar nicht die Kühlerattrappe davor – nicht notwendig gewesen. Doch auch eine Ehe wird selten nur rein formal geschlossen, sondern ist oft mit Drumherum verbunden, über dessen Sinn man geteilter Meinung sein kann.

Interessanterweise ist die Firma Ruppe & Sohn aus dem thüringischen Apolda ein hervorragendes Beispiel dafür, dass es eine gute Entscheidung war, seine Hoffnungen frühzeitig erst einmal ganz auf den „Piccolo“ zu setzen.

Denn so kam man frühzeitig „ins Geschäft“ – auch international – sammelte wertvolle Erfahrungen und konnte aus den Unvollkommenheiten des ersten Versuchs lernen. Denn auch wenn man den ursprünglichen Piccolo alsbald unter die Haube gebracht hatte, traten dessen Unvollkommenheiten im Wettbewerb immer deutlicher zutage.

So beendete man die Piccolo-Episode im Siebten Jahr – anno 1910 – und ging nun eine neue Partnerschaft ein, mit der die Firma Ruppe & Sohn deutlich glücklicher wurde.

Als idealer Partner der Wahl erwies sich der erfolgreiche Konstrukteur und Rennfahrer Karl Slevogt – eines der ganz großen deutschen Entwicklertalente jener Zeit. Ein umfassende Würdigung seines vielfältigen Schaffens findet sich auf Wolfgang Spitzbarths Website.

Mit den von Karl Slevogt entwickelten „Apollo“-Wagen begann für Ruppe & Sohn eine wahrlich glückliche Beziehung, der viele gelungene Sprößlinge entsprangen, die exemplarisch in meinem Blog und umfassend bei Wolfgang Spitzbarth hier dargestellt sind.

Damit wäre ich am Ende der heutigen Betrachtung. Vielleicht teilt ja der eine oder die andere meine These, dass es etwas für sich hat, möglichst früh unter die Haube zu kommen, wenn man die Chance auf den idealen Partner maximieren will.

Dass das Ganze auch in „wilder Ehe“ gelingen kann, auch dafür gibt es Beispiele – aber das wird vielleicht irgendwann einmal die Inspiration für einen anderen Blog-Eintrag, der auf Umwegen vom Hier und Jetzt zurück in die Welt von Gestern führt…

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Zeit für den Bildungsurlaub: FN-Limousine um 1913

Kaum ist der Sommerurlaub zuende, geht es schon der nächsten verdienten Auszeit entgegen – dem Bildungsurlaub! Ich habe den – als theoretische Möglichkeit – erstmals während meiner kaufmännischen Ausbildung vor rund 35 Jahren kennengelernt.

Schon damals war mir klar, dass es keine besonders produktivitätsfördernde Idee ist, neben sechs Wochen bezahltem Urlaub auch noch eine Woche extra freizunehmen, um einer Sache nachzugehen, die jeder aus eigenem Interesse in seiner Freizeit verfolgen kann.

Wie dergleichen Arbeitnehmer“rechte“ mit dem Selbstbild des fleißigen und von intrinsischer Arbeitsmotivation erfüllten Deutschen vereinbar sind, habe ich mich von jeher gefragt.

Tatsächlich ist Deutschland unter den entwickelten Volkswirtschaften dasjenige, indem (durchschnittlich betrachtet) am wenigsten gearbeitet wird. Dann darf man sich nicht wundern, wenn der Median-Bewohner der BRD im europäischen Vergleich Schlusslicht ist, was liquides Vermögen, Eigenheimquote und Alterseinkünfte angeht.

Auch das vieldiskutierte Produktivitätsrätsel findet hier seine Lösung.

Der Mehrwert aus den enormen technologischen Fortschritten wird aufgezehrt durch das Zusammentreffen aus Arbeitszeitreduzierung, Abgabensteigerung und immer mehr wirtschaftlich betrachtet unproduktiven Jobs im öffentlichen Sektor.

Wenn ich als Freiberufler vor verschlossener Türen bei der Post stehe, weil mal wieder „Betriebsversammlung“ ist, denke ich: Geht die eine Stunde nicht nach Schalterschluss?

Das Gleiche gilt für den berüchtigten „Bildungsurlaub“.

Was ist eigentlich so schlimm daran, sich nach getaner Arbeit weiterzuqualifizieren? Macht Lernen, sich weitere Kompetenzen aneignen, selbstbewusster und klarer im Urteil werden, eigentlich keine Freude? Warum soll das ein Dritter bezahlen? Wenn einer durch Bildung seinen Marktwert steigert, profitiert er doch am Ende selbst davon.

Wenn ich heute nach längerer Zeit wieder einmal ein völllig kostenloses Bildungsmodul anbiete, dann nehmen Sie sich doch auch die Zeit dafür. Oder lässt sich das Lesen meines Blogs neuerdings auch als offizieller Bildungsurlaub anrechnen?

Die alten Hasen werden diesmal zwar wenig Neues erfahren, aber es gibt nun einmal auch Novizen (m/w/d usw.), welche noch am Anfang ihrer Laufbahn stehen, was das anspruchsvolle Berufsbild des Vorkriegsauto-Investigators angeht.

Das Schulungsmaterial für diesen leider (oder zum Glück?) noch nicht staatlich anerkannten Karrierepfad verdanke ich diesmal Uffe Mortensen – Sammler und Kenner aus Dänemark:

FN-Chauffeur-Limousine um 1913; Originalfoto: Uffe Mortensen

Ein prächtiges Foto in hervorragender Qualiät, nicht wahr? Gut gefällt mir der verschmitzte Gesichtsausdruck des Herrn vor dem Auto – ich komme am Ende rauf zurück.

Adressaten des nun folgenden Kurzlehrgangs sind all diejeinigen, die hier zwar einen schönen Oldtimer sehen, aber über eine Ansprache nach dem Motto „vielleicht 20er Jahre“ nicht hinauskommen. Allen übrigen sei die Beschäftigung mit anderen Bildungsgüter anempfohlen – das vielleicht Großartigste an unserer Zeit ist, dass uns alles offensteht.

Also, liebe Bildungsurlauber, los geht’s!

Prinzipiell ist das Bauchgefühl „um 1920“ schon einmal nicht schlecht. Wir hätten diese Fähigkeit, spontan aus der „Hüfte zu schießen“ nicht, wenn sie sich nicht in der Evolution überwiegend bewährt hätten. Also Mut zur Lücke und zur groben ersten Einordnung!

Aber treten wir noch weiter zurück: Was lässt dieses Auto als Vorkriegsfahrzeug erscheinen? Sind es die freistehenden Kotflügel und der senkrecht stehende Kühler?

Mmh, nicht ganz, bei einigen sehr konservativen Herstellern (darunter auch Mercedes-Benz) waren die Kotflügel und der übrige Vorderwagen bis in die 1950er Jahre ebenfalls getrennte Bauelemente, auch tat man sich schwer damit, den Kühler windschnittig zu gestalten.

Aber: Ohne Stoßstange fuhr nach dem 2. Weltkrieg niemand herum und solche Speichenräder nach Kutschenmachart gab es längst nicht mehr. Und die vorderen Blattfederausleger waren damals zwar vorhanden, doch unter dem Blech verborgen.

Nun ist also klar, dass wir es zweifellos mit einem Vorkriegswagen zu tun haben. Aber wo welchem Krieg eigentlich? In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es ja eine erschütternde Vielzahl davon allein in Europa.

Auch in der Hinsicht liefert unser Abschauungsobjekt hinreichend Details zur Bildung eines vorläufigen Urteils. Auf obigem Ausschnitt sieht man nämlich trommelförmige Scheinwerfer, wie sie eher auf Betrieb mit Karbidgas hinweisen.

Diese Methode der Lichterzeugung dominierte bis zum 1. Weltkrieg, war aber um 1920 von ganz wenigen Ausnahmen durch elektrische Beleuchtung abgelöst worden. Meine EHP-Voiturette von 1921 wurde laut zeitgenössischen Reklamen noch serienmäßig mit Gasbeleuchtung ausgeliefert, aber das war ein Kleinstwagen der 800ccm-Klasse.

Können wir demnach sicher sein, dass diese große Limousine eher vor dem 1. Weltkrieg entstanden ist? Nicht ganz. Denn grundsätzlich wäre die Form der Scheinwerfer auch mit elektrischer Beleuchtung vereinbar und bei US-Fabrikaten gab es geradezu eine Renaissance des Trommelscheinwerfers um 1925.

Dummerweise sieht man auf dem Foto von Uffe Mortensen nicht die bei Gasbetrieb zu erwartenden Löcher für den Abgasauslass auf der Oberseite der Scheinwerfer.

Das führt uns also nicht weiter. „Um 1920“ bleibt im Bereich des Möglichen. Schauen wir also, was sich sonst an Indizien zur Bildung eines fundierten Urteils finden lässt:

Der wohl entscheidende Part ist hier die aufsteigende Blechpartie zwischen dem Ende der Motorhaube und der Frontscheibe. Diese Gestaltung findet man bei den meisten europäischen Herstellern bestenfalls bis 1914, bei deutschen Fabrikaten oft nur bis 1912.

Nach dem 1. Weltkrieg jedenfalls war der Übergang zwischen Motorhaube und Windschutzscheibe jedenfalls in aller Regel weitgehend „stufenlos“.

Aber wer war denn überhaupt der Hersteller? Woran lässt sich das erkennen? Nun, bei Automobilen vor dem 1. Weltkrieg fast immer nur an der Gestaltung der Kühlerpartie. Der übrige Aufbau folgte Konventionen des Kutschbaus und konnte nach Kundenwunsch beinahe beliebig variieren.

Ein wichtiger an dieser Stelle festzuhaltender Bildungsinhalt ist somit der: Man lasse sich bei frühen Vorkriegswagen nicht von noch so beeindruckenden Aufbauten ablenken. Vielmehr konzentriere man sich strikt auf Haube und Kühler:

Dies ist übrigens ein hübsches Beispiel dafür, dass man sein Urteil auch nicht allein auf eine Kühlerfigur gründen sollte – auf dem Sektor machten die Besitzer einst, was sie wollten.

Mein bereits erwähnter EHP kam etwa mit einer wunderbaren Kühlerfigur in begrenzter Auflage daher, die einen bronzenen Pegasus darstellt und sogar von einem anderen Auto stammte – einem ebenfalls französischen „Buchet“ – aber das nur nebenbei.

Im vorliegenden Fall verraten die horizontalen Streben auf dem Kühlergrill, dass wir es wieder einmal mit einem Fahrzeug der renommierten belgischen Marke FN zu tun haben.

Diese Kühlergestaltung findet sich dort von etwa 1910 bis Mitte der 1920er Jahre, was die Sache nicht unbedingt einfacher macht.

Nach der Lage der Dinge jedoch, unter Berücksichtigung aller Indizien, dürfen wir diese schöne Chauffeur-Limousine mit einiger Berechtigung als einen FN der Zeit kurz vor dem 1. Weltkrieg ansprechen. Ich würde sagen von ca. 1912-14 oder kurz: um 1913.

Das Foto selbst, welches aus Dänemark stammt, mag etwas später entstanden sein – hier scheint „um 1920“ angebracht.

Und jetzt kommen wir auf den bereits erwähnten Fahrer zurück, der sich hier so herrlich selbstbewusst gibt, wie man das übrigens bei den Chauffeuren jener Zeit oft findet – diese Männer wussten genau, was sie wert waren:

Was mag dieser Mann mit seiner beeindruckenden Statur und souveränen Haltung wohl gedacht haben?

„Mein Chef Olav will sich einen neuen Wagen mit elektrischem Anlasser anschaffen, habe ich zufällig erfahren. Da wird er mich wohl auf die Straße setzen, so gern seine Holde sich von mir durch die Gegend kutschieren lässt.“

Unserer wackerer Chauffeur, wir geben ihm den traditionellen dänischen Namen Rasmus, hat aber vorgebaut. In seiner kargen freien Zeit hat er sich weitergebildet – viel gelesen und sich in die Facetten des Unternehmertums eingearbeitet.

Mit einem befreundeten Fahrer will er sein Erspartes in eine Werkstatt investieren und wenn es gut läuft, wollen die beiden auch Vertreter ausländischer Autofirmen werden.

„Da wird Olav aber staunen, wenn er demnächst ohne Fahrer dasteht. Soll er selber sehen, wie er seinen neuen Wagen zum Laufen bringt. Vieleicht wird er demnächst sogar Kunde in unserer Werkstatt…“

Man sieht: Was so eine private Weiterbildung und der Mut zum Risiko bringen kann! Die Herren von früher werden zum Bittsteller von morgen. Der Gedanke hat etwas, finde ich…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Hier ist kein Platz für Buben: Horch 750 Pullman

Wie? Ein Horch in der Ausführung als Pullman-Limousine – und da soll kein Platz für Jungs und Mädels gleichermaßen gewesen sein? Wie kommt man denn auf dieses schiefe Brett?

Nun, ganz einfach: Wie immer in meinem Blog durch objektive Betrachtung. Diesmal anhand eines prächtigen Fotos, das ich schon eine ganze Weile besitze, für das mir aber bislang die Gelegenheit fehlte, es wirklich angemessen würdigen zu können.

Ich weiß nicht, wie ich darauf kam, aber kürzlich beschäftigte mich der Gedanke, dass es in allen zivilisierten Weltgegenden Gelegenheiten gibt, bei den die Herren lieber unter sich sind und solche, bei denen die Damen keine Anwesenheit von Buben wünschen.

An sich eine Selbstverständlichkeit, sollte man meinen. Und dann das: Ausgerechnet ein gigantischer Horch-Achtzylinder und da sollen die Jungs keinen Zutritt haben dürften?

Das ist doch völlig abwegig – schließlich geht es um ein spezielles Revier der Buben schlechthin, das Premium-Automobil.

Anders wäre es natürlich, wenn einer auf die Idee käme, sagen wir: als Mann beim Frauensport antreten zu wollen. Da haben die Buben nun wirklich nichts verloren und würden das auch gar nicht wollen, das wäre ja kein fairer Wettbewerb, oder?

Ich weiß, dieses Gedankenexperiment ist wirklich sehr weit geholt und ich weiß gar nicht, wie ich darauf komme. Es wird wohl daran liegen, dass ich mich folgende Aufnahme einfach für die Thematik perfider Ausgrenzung der Herren der Schöpfung sensibilisiert hat:

Horch 750 Pullman-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Was soll man sagen – ist hier nicht ein himmelschreiendes Unrecht zu beklagen?

Da mussten Anfang der 1930er Jahre Männer im Schweiße ihres Angesichts diese 5,10 Meter lange Karosse im Horch-Werk in Manufaktur zusammenbauen.

Sie mussten zudem einen mächtigen Reihenachtzylinder mit 4,5 Litern Hubraum nebst Antriebsstrang in endloser Präzisionsarbeit fertigen und unter der fast die Hälfte des Wagens einnehmenden Motorhaube einbauen.

Und kaum ist das Prachtstück fertig und wartet darauf, dass es seine 90 PS Leistung und seinen schieren Luxus im Innern voll entfalten kann, wird es einfach von einer Meute Mädels in Beschlag genommen.

Meine Güte, hat die Welt je eine größere Ungerechtigkeit gesehen? Gröbste Diskriminierung, ja purer Sexismus zulasten der Herren ist hier zu konstatieren! Kann man dieses empörende Dokument irgendwo zur Anzeige bringen?

Das Vergehen gegen die Geschlechtergerechtigkeit ist doch nicht schon etwa verjährt? Und falls ja, muss man doch zumindest ein Zeichen setzen! Dann lachen die auch noch so frech: „Haha, hier ist kein Platz mehr für Buben, schleicht Euch!

Aber: Gewohnt, im Alltag ständig von den Damen untergebuttert zu werden, tun sich die Jungs zusammen, um Rache zu üben. Der Chauffeur hat sich krankgemeldet, der Tankwart ist auf Bildungsurlaub und die Beamten der Zulassungsstelle haben Betriebsversammlung.

So wird das nichts mit der Ausfahrt! Ganz ohne Jungs geht es dann doch nicht, auch wenn die Damen zweifellos alles können und sogar – wundersamerweise – etwas besser.

Zumindest im Herzen sollte doch jede diese so unterschiedlichen Vertreterinnen der Weiblichkeit einen Platz für Buben haben – wobei einer in der Regel genügen sollte.

Wie die Klosterfrauen sehen die Damen jedenfalls nicht aus, sodass Herren am Ende doch noch eine Chance haben, wenn sie sich überwiegend gesittet aufführen. Aber eines sei gleich festgehalten, Jungs: Die zweite von links habe ich mir bereits ausgesucht. Bei der ist definitiv kein Platz mehr für weitere Buben.

Beinahe hätte ich’s vergessen: Ganze 213 Wagen des Typs 750 entstanden bei Horch zwischen Oktober 1932 und November 1933. Kein Wunder, dass sich die Damenwelt so auf diese rollenden Salons mit allen Schikanen und ihre betuchten Besitzer stürzte…

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Passagier ohne Papiere: Faun K3 6/30 PS

Mein letztes Lebenszeichen in diesem Blog ist ein paar Tage her – es stammte noch aus meinem Urlaubsdomizil im italienischen Umbrien. Übrigens habe ich im letzten Eintrag einige Fotos von dort ergänzt, welche die Einleitung anschaulicher machen.

Längst bin ich wieder im anderen Zuhause, wie ich gern sage. Die Rückfahrt gestaltete sich – sagen wir: interessant.

In Italien lief es – trotz Hochsaison – wie eigentlich immer recht glatt. Eine knappe Stunde Verzögerung ergab sich insgesamt bis zur Schweizer Grenze. Das ist in Ordnung am Wochenende vor „Ferragosto“ – der Zeit im August, in der das ganze Land in Urlaub fährt und man sich außer für Familie, Geselligkeit und tiefen Teint für sonst nichts interessiert.

Ich hatte mich um acht Uhr morgens auf den Weg gemacht und mich vom 600 Meter hoch gelegenen Collepino hinunter ins Tal begeben, wo die Superstrada der alten Trasse der römischen Via Flaminia Richtung Norden folgt.

Hier ein Eindruck von dem bereits thematisierten intensiven umbrischen Grün, welches ich dort zurückließ – vermutlich würde mir sonst keiner glauben, dass diese Aufnahme im Hochsommer anlässlich einer Radtour bei für mich angenehmen 35 Grad entstanden ist:

Blick auf das Chiona-Tal oberhalb von Spello (Umbrien); Bildrechte: Michael Schlenger

Rechts zieht sich der gewaltige Hang des Monte Subasio bis über 1000 Meter nach oben. Die endlosen Wälder laden den Wanderer, Radler oder auch Autofahrer zum Erkunden ein.

Römische Aquädukte, uralte Wege mit Viehtränken, verfallene Klöster, mittelalterliche Felsennester und viel pure Natur erwarten einen dort. Doch immer wieder wird man daran erinnert, dass man nicht allein ist.

Öfters raschelt es im Gras und Gebüsch, mit Schlangen, Skorpionen ist zu rechnen, auch Wildschweinen und ganz selten in entlegenen Lagen bisweilen Bären oder Wölfen.

Doch meint man in der Mittagshitze, noch die Anwesenheit anderer Lebewesen zu spüren, derer man nie ansichtig wird. In der Antike wollte es der italische Volksglaube, dass in den Wäldern auch geheimnisvolle Wesen wie die Faune hausen, denen man alle möglichen Eigenschaften andichtete.

Einer von diesen Schelmen mag sich nachts in meinen Wagen geschlichen haben, der am Ortsrand außerhalb der Festungsmauern stand – mit Blick über die bewaldete Hügel der Umgebung. Ich hatte dort nachts schon die Wildschweine in unmittelbarer Nähe gehört – wer weiß, was noch für Gelichter unterwegs war…

Ich bin jedenfalls sicher, dass ich einen Passagier ohne Papiere an Bord gehabt haben muss. Vielleicht war er bloß unternehmungslustig, vielleicht hatte er aber auch gehört, dass die Leute nördlich der Alpen grenzenlos großzügig sind und alle aushalten, die nicht arbeiten wollen.

Für einen Faun als Personifikation des stets zu fragwürdigen Späßen aufgelegten Nichtstuers mag das verlockend geklungen haben. Wie es scheint, fühlte er sich immerhin verpflichtet, unterwegs für meine Unterhaltung zu sorgen.

Leider hat er meine Leidenschaft für’s Autofahren so verstanden, dass ich möglichst lange unterwegs sein möchte. So dachte sich mein blinder Passagier zusätzlich zur tagsüber unvermeidlichen Wartezeit am Gotthardpass und den Engstellen auf der A5 hinter Basel mit zwei Spuren und notorischen Langsamfahrern (oft aus dem „grünen“ Freiburg, wie böse Zungen behaupten) kurz vor dem Ziel noch etwas Besonderes aus.

Nur eine Viertelstunde vor der kalkulierten Ankunft – ich war gerade mit 180 km/h auf der A5 nördlich von Frankfurt unterwegs – tauchten aus dem Nichts Tempolimits auf: 120, 100, 80 und plötzlich sah ich vor mir einen sich über alle vier Spuren erstreckenden Stau bis zum Horizont.

Zwar hatte es zuvor einen Baustellenhinweis gegeben, aber weder einen Stau- noch einen Umleitungshinweis. Das Verkehrsleitsystem an diesem Abschnitt der A5 habe ich seit Jahren in Verdacht, dass es von jemanden erdacht wurde, der Spaß daran hat, die Automobilisten zu gängeln, indem die Probleme herbeigeführt werden, mit denen man sich dann abplagen kann.

Im vorliegenden Fall hatte ich zusätzlich meinen blinden Passagier im Verdacht, an der Sache nicht unschuldig zu sein. So wurde hier eine der am stärksten befahrenen Autobahnen Deutschlands zur Hauptreisezeit in viel zu kurzer Zeit von vier Spuren auf eine verengt, um dort auf makelloser Grundlage irgendwelche Fahrbahnarbeiten durchzuführen.

Seien wir heute gutwillig und geben die Schuld an diesem Nonsens meinem papierlosen Trittbrettfahrer – einem aus Mittelitalien eingeschleppten Faun mit Neigung zu Scherzen. Tatsächlich fand ich bei meiner Heimkehr diesen papierlosen Beleg für meine Vermutung vor:

Faun Typ K2 6/24 PS oder K3 6/30 PS; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Sammlerkollege Matthias Schmidt aus Dresden hatte mir kürzlich dieses digitale „Fahndungsfoto“ zugesandt, das auf einen herrenlosen Faun hinwies, welcher frei in der Gegend umherstrolchte und nicht einmal versuchte, seine Identität zu verschleiern.

Schauen Sie mal auf dem Wimpel vorne neben dem Kühler – da hat er frech seine Signatur hinterlassen.

Wir sind bei soviel Ehrlichkeit diesem Faun gegenüber gleich schon viel gütiger gestimmt, denn alleine die Kühlerpartie hätte es uns sonst schwerer gemacht, seine Personalien aufzunehmen, wenn auch nicht unmöglich (siehe hier).

Treue Leser, die meine umständlichen Herleitungen stoisch ertragen oder schlicht überspringen, wissen natürlich, dass ich schon einige Tourer der deutschen Marke „Faun“ vorgestellt habe, die weit besser für ihre großartigen Nutzfahrzeuge bekannt war.

Ich habe dabei aus den Kommentaren wirklicher Kenner einiges lernen können, was sich so in der ohnehin kaum vorhanden Literatur über die PKWs von Faun nicht findet.

Demnach könnte dieser Tourer entweder ein Faun des Modells 6/24 PS mit bereits verbauten Vorderradbremsen sein, wie es ihn ab 1925 gab. Oder es war ein Exemplar des leistungsgesteigerten Nachfolgers 6/30 PS, der ab 1926 erhältlich war.

Äußerlich unterschieden sich die kurzzeitig parallel angebotenen Modelle wohl kaum. Auch antriebsseitig hatte sich nicht viel getan. Der an sich bereits formidable Motor des 6/24 PS mit obenliegender Nockenwelle (!) war aufgebohrt worden, sodass der Hubraum von 1,4 auf 1,6 Liter stieg, ohne dass die Besteuerung sich änderte.

Tja, mag man sich fragen, war das nicht ein tolles Rezept für einen echten Sportwagen zum Kurvenräubern auf der Landstraße und zur flotten Fortbewegung auf längeren Reisen? Die Daten sind ernüchternd. Soviel Aufwand für Spitzentempo 80 oder etwas mehr…

Das Gleiche bekam man beim Adler 6/25 PS und der war ein gutes Stück billiger. Erst recht der in Deutschland gefertigte Citroen B14 mit Spezifikation 6/25 PS zeigte, was damals in der Leistungsklasse für weit weniger Geld möglich war.

Aus meiner Sicht haben wir es wieder mit einem Beispiel für unzureichende Marktanalyse und verfehlte Modellpolitik wie bei fast allen deutschen Nischenherstellern zu tun.

Hinzu kam, dass der Faun auch äußerlich in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre heillos veraltet daherkam – die geteilte Frontscheibe war zwar nach dem 1. Weltkrieg eine Weile groß in Mode wie der Spitzkühler, aber nach 1925 verschwand beides.

Gerade die Gestaltung der Scheibe lässt mich vermuten, dass wir es mit einem frühen Exemplar des Faun K3 6/30 PS oder sogar mit einer späten (Vierradbrems-)-Ausführung des Faun K2 6/24 PS zu tun haben.

Von daher mag man diesen Faun ohne eindeutige Papiere als weiteren Treppenwitz der Automobilgeschichte betrachten. Doch das Interesse an der historischen Dimension und die Freude an dem schönen Foto stimmen uns letztlich milde.

Was wäre die Welt ohne solche heroischen Versuche, der reinen Vernunft zu entkommen? Vielleicht gab es in deutschen Landen einige zuviele davon, aber was soll man machen?

So ein Faun im klassischen Sinn tut, was ihm spontan in den Sinn kommt, egal wie verrückt es ist – insofern passte sogar der Name auf diese Versuche, das automobile Geschehen auf deutschen Straßen aufzumischen, auch wenn am Ende der Stillstand steht…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Alles im grünen Bereich? Ein Oldsmobile F28 anno 1929

Wer meine Blog-Einträge verfolgt, der weiß ich dass derzeit im italienischen Umbrien weile. „Ist denn dort noch alles im grünen Bereich„, werden besorgte Konsumenten des staatlichen Wetterdienstes fragen?

Nun, egal wie dunkelviolett seit vielleicht zwei, drei Jahren hochsommerliche Temperaturen auf amtlichen Wetterkarten angezeigt werden, kann ich sagen: Hier ist alles im grünen Bereich, will heißen – wie fast jeden Sommer in Mittelitalien.

Je nach dem, wo man sich aufhält, wann und vor allem wie man die aktuelle Temperatur ermittelt, bekommt man Ergebnisse zwischen 30 und 40 Grad. Wer partout auf schwarzem Asphalt oder im Auto nach drei Stunden Sonnenbestrahlung seine Messung vornimmt, wird mühelos weit höhere Ergebnisse feststellen.

Wenn ich wie die ganze Woche meine mittägliche Radtour über schweißtreibende Pisten am Monte Subasio (Nähe Assisi) absolviere, erlebe ich das volle Programm von stehender Backofenhitze auf fast weißen Schotterabschnitten bis hin zu angenehm kühler Waldluft in den prächtigen Laubwäldern, durch die man immer wieder fährt.

Ja wie, gibt es im Süden denn überhaupt noch Grün, ist denn nicht alles längst verdorrt? Nö, alles im grünen Bereich – die Vegetation ist an die starken Temperaturschwankungen gewöhnt (im Winter schneit’s hier bisweilen stärker als in der Wetterau, in der ich in D’land wohne).

Chiona-Tal oberhalb von Spello (Umbrien) im August 2024; Bildrechte: Michael Schlenger

Allerdings war hier auch keiner so dumm, sich seine Wälder mit ortsfremdem Holz wie der Fichte zu ruinieren.

So dominieren kerngesunde ausgedehnte Laub- und Mischwälder – schon während der zweistündigen Fahrt von der Autobahnabfahrt Cesena Nord bis in die Valle Umbra hinein, welche sich als intakte Kulturlandschaft präsentiert wie seit 2000 Jahren.

Wenn ich in den umbrischen Forsten eine Pause mache, kann ich davon ausgehen, dass ich in den meisten Fällen mein Radl an eine solide Eiche lehnen kann.

Am Monte Subasio (Umbrien) im August 2024; Bildrechte: Michael Schlenger

Von verheerenden Waldbränden in der Region habe ich in all den Jahren noch nie gehört – in Umbrien ist die Forstaufsicht wachsam und trifft von jeher gezielte Gegenmaßnahmen – mir sind sogar schon Patrouillen mit Ferngläsern begegnet, die Früherkennung betreiben.

Überhaupt ist man in Umbrien sehr auf den Erhalt der grandiosen grünen (und uralten kulturellen) Erbes bedacht; die Einheimischen sind fleißige, konservative Leute, die genau wissen, was sie daran haben, und opfern ihre Kulturlandschaft keine Renditeinteressen:

Blick auf Collepino (Umbrien) im August 2024; Bildrechte: Michael Schlenger

Daher ist es auch kein Zufall, dass hier die Farbe „Grün“ in politischer Hinsicht keine Chance hat – außer in der Studentenhochburg Perugia – aber die kann man links liegen lassen. Es gibt dort nichts, was sich nichts andernorts in Umbrien leichter zugänglich fände.

Die gute Botschaft aus Italiens grünem Herz (neben Umbrien reklamieren auch andere Regionen wie die Marken und Ligurien ähnliches für sich) ist also: Alles in Ordnung – alles im grünen Bereich – soweit das in unserem Dasein möglich ist.

War es das aber auch vor 95 Jahren, als im Jahr 1929 diese grandiose Aufnahme entstand?

Oldsmobile F28 und weitere Tourenwagen; Originalaufnahme von 1929 aus Sammlung Michael Schlenger

Natürlich ist hier auf den ersten Blick alles im grünen Bereich, das ist sogar im Schwarz-Weiß-Modus unübersehbar.

Wir sehen vier Tourenwagen der 1920er Jahre irgendwo im Grünen – zwar nicht im naturbelassenen Wald, aber wohl in einer Gegend, in der man mit der Natur und nicht gegen sie zu leben verstand.

Der Wagen vorne links ist schnell als Fahrzeug der US-Marke Oldsmobile identifiziert – als Modell F28 von 1928, um genau zu sein. Die Amis hatten damals speziell in europäischen Ländern ohne nennenswerte eigene PKW-Produktion weite Teile des Markts für sich erobert, nachdem deutsche Fabrikate dort bis zum 1. Weltkrieg noch sehr präsent waren.

In der Zwischenkriegszeit machten das Rennen dann Hersteller, die frühzeitig auf Großserienproduktion gesetzt hatten – darunter Fiat und französische Hersteller wie Citroen und Renault.

Tatsächlich ist neben dem Oldsmobile ein Renault der 1920er Jahre zu sehen.

Oldsmobile F28 und weitere Tourenwagen; Originalaufnahme von 1929 aus Sammlung Michael Schlenger

Ich will Sie heute nicht mit Überlegungen belästigen, um was genau es sich bei den anderen Fabrikaten wohl gehandelt haben mag. Weitaus interessanter finde ich die Frage, wo wohl diese Aufnahme in der Botanik entstanden sein mag.

Ich würde anhand der Trachten und der vorwiegend blonden Haare des hier dominierenden Frauensvolks (nicht abwertend gemeint, Copyright: Monty Python) auf eine Region in Osteuropa tippen – mein Favorit ist einer der Ostseeanrainerstaaten.

Wir wissen aus der Geschichte, dass dort damals nur wenige Jahre nach Entstehen dieser Aufnahme längst nicht mehr alles im grünen Bereich war und für lange Zeit nicht mehr in diesen Zustand zurückkehren sollte.

Also: ganz gleich, welche Katastrophe einem gerade präsentiert wird, sollte man sich als Selberdenker stets fragen: Ist das alles wirklich alles so schlimm, wie behauptet wird, oder ist unser gegenwärtiges Dasein gemessen an der Vergangenheit nicht in den entscheidenden Dingen ganz im grünen Bereich?

Jedenfalls meine ich, dass diese Zeitgenossen die hochgejazzten Krisen unserer Tage mit einem Lächeln quittiert hätten: „Gemessen an den Härten und Umbrüchen unserer Welt ist bei Euch wahrlich alles im grünen Bereich„.

Oldsmobile F28; Originalaufnahme von 1929 aus Sammlung Michael Schlenger

Damit verabschiede ich mich bis auf Weiteres. Morgen stehen 12-13 Stunden Heimfahrt auf dem Programm. Klingt schlimmer als es ist – ich liebe Autofahren.

Ein kurzer Check im Motorraum vor dem Start muss indessen sein: Denn die Wassertemperatur sollte schließlich im grünen Bereich bleiben – immerhin sind schon wieder hochsommerliche Temperaturen zu erwarten – und das im August!

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Geschichte, die nicht vergeht: Chenard & Walcker um 1922

Vor gut 100 Jahren ließ jemand in einem Fotogeschäft in Chartres – der französischen Kleinstadt mit einer der großartigsten gotischen Kathedralen – einen Fotoabzug seines Cabriolets anfertigen.

Das darauf abgebildete Auto sollte eigentlich unsere ganze Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Doch merkwürdigerweise will das nicht so recht gelingen – der Eindruck eines formidablen Automobils will sich einfach nicht einstellen.

Dass das schönste Umfeld bisweilen durch ein Detail „ruiniert“ oder sagen wir besser: relativiert wird, das kenne ich aus eigener Anschauung.

Gegenwärtig befinde ich mich in meiner zweiten Heimat im italienischen Umbrien, wo mir zwar nur ein kurzer Aufenthalt vergönnt ist – mehrwöchige arbeitsfreie Urlaube sind für Freiberufler wie mich utopisch – aber die wenigen Tage im Süden nutze ich intensiv.

Heute fuhr ich zum wiederholten Mal auf meinem alten Rad mit Geländebereifung die Strecke zwischen Collepino und Armenzano – entfernungstechnisch ein Katzensprung, aber die Steigungen dazwischen, teilweise auf Schotter, haben es in sich.

Auch der Zwischenhalt im Bergdorf San Giovanni hat es in sich. Das Örtchen präsentiert sich nach den Reparaturen an das letzte schwere Erdbeben zwar wie aus dem Ei gepellt.

Doch der deutsche Besucher erlebt hier wie so oft, dass speziell die jüngere Geschichte nicht einfach vergehen will:

S. Giovanni (Ortsteil von Spello, Umbrien), 8. August 2024; Bildrechte: Michael Schlenger

Ist das nicht ein Idyll? Eine schlichte einschiffige Dorfkirche mit fast 1000 Jahren auf dem Buckel, ein altes Fahrrad von etwa 1980 davor, von mir umgebaut im Vintage Gravelbike-Stil.

Was könnte hier das Bild beeinträchtigen und auf die Stimmung schlagen? Nun, die Tafel auf dem Anbau daneben.

Ich will Ihnen die Details ersparen – auch hier wurden in Reaktion auf meist sinnlose Partisanenaktionen nach der Kapitulation Italiens in der Spätphase des 2. Weltkriegs unschuldige Zivilisten von deutschen Soldaten abgeführt, im schlimmsten Fall gleich erschossen oder in Zwangsarbeiterlager gebracht.

Erstaunlich überhaupt, wozu man damals logistisch noch in der Lage war, wenn es um solche Aktionen ging, während die Fronten zusammenbrachen. Es muss wohl Begeisterung bei den ausführenden „Herrenmenschen“ im Spiel gewesen sein, wenn es gegen die „Spaghettifresser“ ging, eine Vokabel, die auf die barbarischen Urheber zurückfällt.

So, und jetzt stehe ich heute mit meinem alten Radl am Ort des Geschehens, wo vor 90 Jahren deutsche Miitärfahrzeuge vorfuhren und irgendwelche jungen Männer aus San Giovanni einluden und einem ungewissen Schicksal zuführten.

Geschichte, die nicht vergehen will, so war doch das Thema, oder?

Nun erlaube ich mir einen Ortswechsel nach Frankreich, und jetzt gibt es mehr zu sehen als eine karge Steintafel, die an Gefallene und Deportierte aus einem zauberhaften Ort in Mittelitalien erinnert.

Chenard & Walcker-Cabriolet um 1922; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Mir ist bewusst, dass sich bei diesem Gefährt keine spontane Begeisterung einstellen will.

Das Cabriolet lässt es doch an französischer Eleganz mangeln, auch wenn es sich anhand des kuriosen Knicks im Kühlergehäuse als Chenard & Walcker identifizieren lässt.

Der Abgleich mit einigen Fotos im Netz brachte mich zu der Einschätzung, dass es sich wohl um ein Modell von ca. 1922 handelt. Leider sind die vielen französischen Marken der zweiten Reihe zumindest online kaum besser dokumentiert als ihre deutschen Pendants.

Doch vielleicht kennt sich ja ein Leser mit den Besonderheiten der Wagen von Chenard & Walcker aus und kann uns mehr über das genaue Modell verraten.

Unterdessen werfen wir nochmals einen Blick auf das Originalfoto, von dem ich bisher nur einen Teil gezeigt habe- hier nun das volle Programm:

Hier sieht man zum einen, dass die Aufnahme in einem Hafen entstanden sein muss, in dem gleich drei eher kleine Passagierdampfer nebeneinander lagen.

Zum anderen kommt man nicht umhin, den einbeinigen Mann zu bemerken, der auf Krücken rechts durchs Bild „läuft“.

Auch wenn es andere Gründe für eine Beinamputation gibt, scheint mir doch hier der wahrscheinlichere Tatbestand der zu sein, dass wir es mit einem Versehrten des 1. Weltkriegs zu tun haben – man sagte einst auch brutaler dazu: einem Krüppel.

So holt einen am Ende bei der Betrachtung einer an sich idyllischen Situation die Geschichte wieder ein – der man nicht entrinnen kann.

Sich mit ihr auseinanderzusetzen und persönliche Schlüsse daraus für’s Hier und Jetzt zu ziehen, auch das ist das Gebot solcher alten Fotos…

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Spezielle Typen-Studie: Ford Rheinland „Pullman“

Nachdem ich noch im letzten Blog-Eintrag einen coolen Typen präsentieren durfte, haben wir es heute mit Zeitgenossen zu tun, die ich als das genaue Gegenteil empfinde.

Diese speziellen Typen, derer wir gleich ansichtig werden, hatten an sich allen Grund, sich beim Fototermin entspannt und von ihrer besten Seite zu zeigen. Leider gelingt das keinem der fünf Herren, die einst in Idar-Oberstein vor einer speziellen Version des Ford-Typs „Rheinland“ abgelichtet wurden.

Das in der Kölner Ford-Werken von 1934-36 gebaute Modell entsprach dem in den USA seltenen Ford Model 4/40 – in den Staaten fuhren damals nur arme Schlucker mit einem Vierzylinder herum. Sechs bis acht Zylinder waren Standard, auch bei Brot- und Butter-Herstellern wie Chevrolet und Ford.

Im Deutschland der 1930er Jahren waren die Verhältnisse völlig andere. Der Durchschnittsverdiener konnte sich im besten Fall ein leichtes Motorrad leisten, Autos waren einer dünnen Schicht von Gutverdienern vorbehalten.

Der deutsche Steuerzahler wurde für Prestigeprojekte wie weitgehend autofreie Autobahnen und vor allem die Hochrüstung des Militärs gemolken, denn viele inzwischen alte doch unbelehrbare Herren hatten noch eine Rechnung mit der halben Welt offen.

Einige dieser speziellen Typen sind auf dieser Aufnahme zu besichtigen, die in Idar-Oberstein entstand:

Ford „Rheinland“ Pullman-Limousine; Originalfoto: Michael Schlenger

Der spezielle Typ im Hintergrund ist schnell abgehakt – es handelt sich um die eher seltene Ausführung des Ford „Rheinland“ als sechsfenstrige Pullman-Limousine.

Vollbesetzt war der Wagen mit diesem schweren Aufbau einigermaßen untermotorisiert, aber das war egal – denn wirklich autobahntaugliche Wagen waren im damaligen Deutschland noch die Ausnahme – schön für die wenigen, für die ein Dauertempo von deutlich über 100 km/h kein Problem war, sie hatten freie Fahrt in den Süden.

Diese Herren dürften ohnehin andere Interessen gehabt haben – behaupte ich. Keinem davon hätte ich auch nur ein Fahrrad abkaufen wollen – ich empfinde sie alle als sehr unangenehm.

Das gilt sowohl für diejenigen, welche auf die Verlegenheitsgeste der hinter dem Rücken verschränkten Arme angewiesen zu sein scheinen, als auch für den vulgär mit breitbeiniger Positur und Hand in der Hosentasche posierenden, etwas jüngeren Typen.

Normalerweise haben bei mir Zeitgenossen auf Fotos aus dem nationalsozialistischen Deutschland einen gewissen Kredit, wenn ich sonst nichts über sie weiß. Doch diesen speziellen Typen, wohl alles Teilnehmer des 1. Weltkriegs – traue ich alles zu.

Irgendwo müssen sie ja gewesen sein, all die Schreibtischtäter in Beamtenstuben, Schulen und Universitäten, Kirchen und Konzernen, welche noch eine Rechnung aus dem 1. Weltkrieg offen hatten und zu deren Begleichung sie die junge Generation (oft die eigenen Kinder) ins Feuer schickte – je länger das Ganze dauerte, desto rücksichtloser.

Sie müssen meine Wertung natürlich nicht teilen, vielleicht sehen Sie ja hier nur lauter sympathische ältere Herren vor einem Ford Rheinland auf Betriebsausflug nach Idar-Oberstein. Mir behagen diese speziellen Typen indessen überhaupt nicht.

Irgendwer muss die Generation junger Männer abgerichtet haben, die meist von der Schulbank weg in die Kaserne und dann ins Feld geschickt wurden, um gegen Nachbarvölker zu kämpfen, deren junge Männer ihnen gar nichts getan hatten.

Um dieses Paradox kommt man bei der Betrachtung solcher Fotos selten herum. Sehen Sie mir den Ausflug in die Sphäre der Privat-Psychologie und -Physiognomie nach – es kommen auch wieder andere Fotos, bei deren Besprechung es unbeschwerter zugeht…

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Vor 100 Jahren ein cooler Typ: Ley T6 Tourer

Sie werden es vielleicht aus einigen Bemerkungen erschlossen haben: Ich bin wieder einmal für eine Woche in meiner zweiten Heimat im italienischen Umbrien.

Hier gibt es genau den Sommer, den die Daheimgebliebenen dieses Jahr vermissen: Sonnenschein von morgens früh bis abends, 35 Grad Celsius und mehr – deshalb pilgern teutonische Horden mehr oder minder friedlich seit über 2000 Jahren gen Süden.

Wie daheim mache ich auch hier exakt das Gegenteil von dem, was die „Experten“ angesichts schlimmer Hitze empfehlen: Punkt 13 Uhr – also nach Sonnenstand um die Mittagszeit – schwang ich mich auf’s Rad, ein für den Einsatz auf die örtlichen Schotterpisten umgebautes Raleigh-Rennrad der 80er Jahre mit 12 Gängen.

An sich ist das Teil zu schwer und die Übersetzung unzureichend für die hiesigen heftigen Steigungen – aber: wer sich nicht quält, macht nichts für seinen Körper. Cool sieht das Radl außerdem aus, für mich unverbesserlichen Ästheten ein entscheidendes Kriterium.

Und cool – drahtig, möglichst ohne Fett daherkommen – wollen auch wir Herren, oder etwa nicht? Im letzteren Fall empfehle ich, an diesem Exemplar sich ein Vorbild zu nehmen:

Ley Typ T6 der 1920er Jahre; Originalfoto Heimatkreis Eitorf e.V., via Mirja Renout

Was sagen die Damen? Diesen jungen Burschen mit sportlichem Körperbau kann man doch durchaus einmal einem Intelligenztest unterziehen, um seine Eignung für längerfristige Projekte zu ermitteln, nicht wahr?

Dabei werden Sie feststellen, dass der Jüngling vielversprechende Anlagen hatte. Er war nämlich ein Sprößling der Familie Werres, welche vor rund 100 Jahren eine gutgehende Firma in der rechtshreinisch gelegenen Kleinstadt Eitorf unterhielt.

Das weiß ich von Mirja Renout vom Heimatkreis Eitorf e.V., die von mir wissen wollte, was das für ein Automobil war, an dem sich Herr Werres Junior hatte ablichten lassen.

Ich würde den Wagen anhand des Kühleremblems als „Ley“ aus dem thüringischen Arnstadt ansprechen – in Frage kommen aus meiner Sicht die kompakten Typen Ley T6 6/16 PS bzw. T6E 6/20 PS (Bauzeit: 1920-22 bzw. 1922/23-1925/26).

Sicher weiß es einer meiner in Sachen Ley besser informierter Leser genau. Auf jeden Fall haben wir es mit einem typischen Exemplar deutschen Automobilbaus aus der ersten Hälfte der 1920er Jahre zu tun. Spitzkühler gehörten unbedingt dazu.

Aus heutiger Sicht ziemlich coole Geräte waren das. Wer mit so etwas heute noch unterwegs ist, stellt zuverlässig jeden modernen Supersportwagen in den Schatten – bloß sollte man als Fahrer auch eine gewisse Coolness und sportliche Silhouette mitbringen…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Im Minirock dem Krieg entgegen: Hanomag „Rekord“

Wenn Sie jetzt irrtümlich gelesen haben: „Im Minirock dem Krieg entgehen“, dann haben Sie an sich guten Instinkt bewiesen.

Als noch im Kalten Krieg gedienter Panzergrenadier hing ich zwar der Devise an: „Kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen„. Wer sich der Sache verweigerte, mochte respektable Gründe haben, aber verhindern konnte er damit nichts.

Doch natürlich kann niemand, der bei Verstand ist und eine ungefähre Vorstellung davon hat, Krieg für erstrebenswert halten. Wehrfähig und abschreckend, gewiss – kriegstüchtig und gezielt Konfrontation suchen: definitiv nein.

Dabei gilt es genau darauf zu achten, von welcher Seite die aggressive Rhetorik kommt. Das sind oft Leute, die im Leben noch keinen Schuss abgegeben, noch keine scharfe Handgranate geworfen, noch keinen Häuserkampf geübt oder im Schützenpanzer das Gefecht der verbundenen Waffen trainiert haben (diese Auswahl ist nicht zufällig).

Aber die Geschichte zeigt auch, dass es ebenso eine Generation von alten Kriegern sein kann, die mit dem Gegner von einst noch eine Rechnung offen hat – aber (von Ausnahmen abgesehen) sicher sein kann, nicht noch einmal ins Feuer zu kommen.

Es war im Wesentlichen die „Erlebnisgeneration“ des 1. Weltkriegs, welche in den 1930er Jahren die nächste Generation junger Männer, die nullkommanull offene Rechnungen mit irgendjemandem hatten, kriegstüchtig machten.

Hier haben wir einen solchen Vertreter der nächsten Soldatengeneration, einer ungewissen Zukunft entgegensehend – vor einem Hanomag „Rekord“ der frühen 1930er Jahre:

Hanomag „Rekord“ mit Wehrmachtsoldat; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wenn ich es richtig sehe, haben wir es mit einem Gefreiten der Infanterie zu tun, wohl ein beliebiger Wehrpflichtiger. Vielleicht diente er als Fahrer des Hanomag Rekord, eines beim deutschen Militär verbreiteten PKWs, der für seine Robustheit geschätzt wurde.

Das Auto scheint schon einiges mitgemacht zu haben, wenn man genauer hinschaut. Aber als Fahrer war man in deutschen Landen damals noch etwa Besonderes – Wagen für die breite Masse gab es nicht. Selbst ein DKW-Zweitakter war für den durchschnittlichen „Volksgenossen“ völlig unerschwinglich.

Das erklärt nebenbei die enorme Masse an Fotos aus dem 2. Weltkrieg, die deutsche Soldaten mit zivilen PKWs zeigen – praktisch jedes Auto war im motorisierungsmäßig rückständigen Deutschland eine exklusive Sache.

Autofotos wurden freilich auch vor Kriegsausbruch gern gemacht, wie die Leser meines Blogs das zu schätzen zu wissen – ganz gleich, was ich dazu aus subjektiver Sicht erzähle.

So entstand vor 1939 auch folgende Aufnahme, welche ebenfalls einen Hanomag „Rekord“ und einen Soldaten zeigt – diesmal in Ausgehuniform. Aber das ist völlig uninteressant meine ich. Denn hier macht eine junge Frau mit einem Kleid im Miniformat Furore:

Hanomag „Rekord“, Zulassung Berlin; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieses faszinierende Dokument ist ein Beispiel dafür, warum ein Vorkriegsauto bisweilen einfach nur Staffage ist und Anlass zu thematisch völlig abwegigen Betrachtungen gibt.

Im Ernst: Fotos des Hanomag Rekord können Sie dutzendfach in meiner einschlägigen Galerie studieren und auch die technischen Daten finden sich x-fach in meinem Blog.

Doch hier geht es um etwas ganz anderes: Hätten Sie gedacht, dass im durchmilitarisierten Deutschland der 1930er Jahre ein – formal gesehen – mustergültiger Soldat in einem solchen privaten Kontext unterwegs war?

Vor ein paar Jahren schrieb mir ein amerikanischer Leser im Scherz: „The Germans should have won the war – they had the cooler cars and smarter uniforms„. Das heute präsentierte Foto ist ein hübsches Beispiel für den Stil der Zeit, dem man sich schwer entziehen kann.

Was wir hier sehen, wäre der offiziellen Propaganda zwar zum Opfer gefallen – aber genau das gab es eben auch – im Minirock dem Krieg entgegen:

Mich fasziniert diese Aufnahme nicht nur wegen des gewagtesten Kleids, das ich je auf einem Vorkriegsfoto gesehen habe, sondern auch deshalb, weil sie davon erzählt, dass im deutschen Volk – und speziell in der jungen Generation, welche die Sache zu erleiden hatte – auch ganz andere Instinkte vorhanden waren, als Krieg gegen angebliche Feinde zu führen…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Endlich ein Nacktfoto, gigantisch! Stoewer 15/80 PS

„Sex sells“, das wussten die Werbeleute schon vor weit über 100 Jahren. Schauen Sie einmal in alte Reklamen der Zeit vor dem 1. Weltkrieg – da wurde einiges auf dem Sektor geboten und das oft ohne nackte Haut.

Gern gezeichnet und gern betrachtet wurden Damen in knackig engen Kleidern, die wenig Fragen in figurtechnischer Sicht offenließen. Zeitgenössische Fotos – speziell aus Paris – belegen, dass man damit ziemlich nahe an der Realität der Oberschicht war.

Der Ästhet wusste und weiß die Andeutung bisweilen mehr zu schätzen als nackte Tatsachen. Ich bekenne, dass ich die kurvenreiche Linienführung der Bleistiftröcke der 1940er bis 50er Jahre aufregender finde als die Hotpants unserer Tage – wenngleich ich unbedingt für deren Erhalt als aufgeklärtes Gegenbild zu Burka & Co. eintrete.

Was nun die Herren der Schöpfung betrifft, möchte ich außerhalb der Museumsgalerien mit nackten antiken Heroen möglichst wenig Nuditäten sehen. Die Grenze des gerade noch Stilvollen hat für mich einst der US-Filmstar Tom Selleck als Privatdetektiv „Magnum“ markiert – er hat sogar das Hawaiihemd mit Brusthaar geadelt.

Eine Athletenfigur mit Intelligenz und Witz kombiniert – das lässt sich aushalten, meine ich. Genau darum geht es heute auf den Spuren der deutschen Vorkriegsmarke Stoewer, oder haben Sie an etwas anderes gedacht?

Für die Intelligenz waren die Eigentümer dieses für mich großartigsten aller deutschen Nischenhersteller zuständig. Sie schafften es, von anno 1900 bis 1945 mit Kleinserienfahrzeugen zu überleben und sich dabei immer wieder neu zuerfinden.

Den Witz steuert heute Leser (und mannigfaltiger Markenexperte) Wolfgang Spitzbarth bei. Er schrieb mir kürzlich „Noch nie sah ich einen Stoewer – auf Foto oder Werbung – mit einer derart unendlich langen Motorhaube.“ und postulierte gigantische Lenkkräfte für den Fall, dass sich darunter tatsächlich das zu vermutende Riesenaggregat verbarg.

Die augenzwinkernde Bemerkung bezog sich auf dieses beeindruckend dimensionierte Gefährt, das ihm in einer Kiste mit Autofotos in die Hände gefallen war:

Stoewer „8“ Typ 15/80 PS „Gigant“ Sport-Cabriolet; Originalfoto via Wolfgang Spitzbarth

Dieses „Luxusproblem“ von Herrn Spitzbarth, der gerne wüsste, womit genau wir es bei diesem Monstrum zu tun haben, das hätten wir natürlich alle gern – sei es als Foto, sei es (völlig utopisch…) als Original im Maßstab 1:1.

Zurecht vermutete er, dass wir es mit einem der Achtzylinder von Stoewer zu tun haben, mit denen der Stettiner Manufakturbetrieb Ende der 1920er Jahre der sächsischen Luxusmarke Horch Konkurrenz machte – zwar nicht in punkto Stückzahlen, aber im Hinblick auf das Prestige allemal.

Bei Stoewer wusste man genau, wie man neben repräsentativ und großbügerlich wirkenden 8-Zylinder-Limousinen auch „sexy“ wirkende Cabriolets für die Playboys jener Zeit kreierte.

Dabei half vor allem ein Kunstgriff – eine ans Absurde grenzende, extrem niedrige Frontscheibe. Dadurch verschieben sich die Proportionen völlig, wie auf dem heute vorgestellten Foto zu erkennen ist.

Nur der Herr neben dem Auto lässt erkennen, dass der Wagen von den Abmessungen her nicht ganz so gigantisch war, wie es auf den ersten Blick erscheint.

Und doch haben wir es mit einem veritablen Giganten zu tun, behaupte ich, nämlich mit dem Spitzenmodell G15 15/80 PS, welches vom Hersteller als „Gigant“ vermarktet wurde.

Hier haben wir das Prachstück auf einem zeitgenössischen Zigaretten-Sammelbild:

Stoewer Typ G15 15/80 PS „Gigant“; originales Zigaretten-Sammelbild aus Sammlung Michael Schlenger

Mag sein, dass das von Wolfgang Spitzbarth entdeckte Exemplar karosserieseitig noch ein wenig radikaler gehalten war – doch für mich liegt es auf der Hand, dass wir es mit solch einem Stoewer „Gigant “ zu tun haben.

Es fiel wohl jedes Exemplar im Detail individuell aus, wofür eine zeitgenössische Reklame spricht, welche ebenfalls einen Stoewer dieses Typs mit Aufbau als 2-Fenster-Cabriolet zeigt:

Stoewer Typ G15 15/80 PS „Gigant“; originale Reklame (ohne Herkunftsangabe) aus Sammlung Michael Schlenger

Das ist ja alles ganz großartig, mögen Sie jetzt sagen – geradezu gigantisch, was Stoewer einst ohne Hilfe von außen in Sachen Achtyzlinder auf die Beine gestellt hatte.

Aber was ist denn nun mit der nackten Athletengestalt, welche ich so wortreich in Aussicht gestellt hatte?

Nun, die wartete einige Jahre in meinem Fundus auf ihren Einsatz, und dank Wolfgang Spitzbarths Fund habe ich jetzt die Gelegenheit, sie auf die Menschheit loszulassen:

Stoewer-Reklame (ohne Herkunftsangabe) aus Sammlung Michael Schlenger

Ich hoffe, Sie sind jetzt nicht enttäuscht, aber der grimmige Speerträger macht hier seine Sache doch ganz gut, oder?

Ok, der Bezug zum Stoewer mag etwas bemüht erscheinen, aber aufmerksamkeitsstark war diese Werbung allemal. Klar, die Klassik ist auch in dieser Hinsicht unübertroffen – bei den alten Griechen wäre diese Figur vermutlich bestenfalls als Lehrlingsstück durchgegangen.

So ist das mit gestalterischen Schöpfungen, die sich nicht verbessern lassen, weil längst die Idealform gefunden wurde – nehmen Sie als Beispiel die Violine, an der zum Glück auch keine jungen Wilden sich mehr versuchen (die können ja die E-Gitarre neu interpretieren).

Und so verhält es sich für mich auch mit den auf die Spitze getriebenen Formen im Karosseriebau der 1930er Jahre. Diese Entwicklung ist ebenfalls abgeschlossen und es liegt an uns, die Erinnerung an diese Meisterwerke aufrechtzuerhalten und so immer wieder für neue Bewunderung oder auch Irritation zu sorgen.

Fast hätte ich es vergessen: unser strammer Nackter ist neben exakt dem Stoewer-Modell abgebildet, welches Wolfgang Spitzbarth für uns auf einem alten Foto aufgetan hat. Vermutlich hat er sich es nicht träumen lassen, was ich aus seinem Fotofund mache.

Sollte sich jemand irgendwie pikiert fühlen (man weiß ja nie, wo jemandes Grenzen des schlechten Geschmacks liegen), übernehme ich wie immer die volle Verantwortung dafür und gelobe, bei Gelegenheit genau so weiterzumachen…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.