Vom Publikum skeptisch aufgenommen: Opel 10/40 PS

„Meistgefahrener deutscher Mittelklassewagen“ – so bezeichnete einst Automobilhistoriker Werner Oswald (1920-1997) in seinem Buch „Deutsche Autos 1920-45“ das Opel 10/40 PS-Modell der zweiten Hälfte der 1920er Jahre.

An der Richtigkeit der Aussage gibt es kaum Zweifel. Anders stellte sich die Sache dar, wenn es hieße: „Deutschlands meistgefahrener Mittelklassewagen“.

Das könnte der brave Opel 10/40 PS mit seinem 2,6 Liter großen Vierzylinder kaum gewesen sein. Von ihm wurden in fast viereinhalb Jahren nur gut 13.000 Exemplare gebaut, also rund 10 Stück pro Tag wie in Zeiten der Manufakturfertigung.

Dabei wurden etwa 1928 knapp 120.000 Autos in Deutschland neu zugelassen. Weil die inländischen Hersteller unfähig waren, die Nachfrage zu stillen, machten vor allem US-Marken das Rennen. Auf fast 40 % belief sich die Importquote damals!

Während selbst amerikanische Nischenhersteller 6-stellige Produktionszahlen pro Jahr zuwegebekamen, blieb Opel weit hinter den Möglichkeiten zurück.

Für die skeptische Aufnahme des Opel 10/40 PS durch das Publikum hierzulande mag das Foto stehen, das wir heute vorstellen:

Opel_10-40_PS_1927-29_Fahrt_nach_Finsterwalde_Galerie

Opel 10/40 PS; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Das ist eine Aufnahme, wie wir Altautofreunde sie lieben: Ein klassischer Wagen in reizvoller Situation schräg von vorne aufgenommen, Charaktertypen drumherum, satter Kontrast und gute Schärfe.

Zur Identifikation nur soviel: Die Zahl der Luftschlitze in der Haube verrät, dass wir keinen Kleinwagen des Typs Opel 4 PS „Laubfrosch“ vor uns haben. Das Fehlen seitlicher Ersatzräder und der gerade untere Abschluss der Kühlermaske schließen das größere Sechszylindermodell 12/50 PS aus.

Dass wir es mit einem Opel ab Baujahr 1927 zu tun haben, verrät folgender Aussschnitt:

Unverkennbar ist das teilweise abgedeckte Markenemblem – das berühmte Opel-Auge, das vor dem 1. Weltkrieg entworfen wurde.

Der abgestufte obere Abschluss des Kühlers, den Opel bei Packard abgekupfert hatte, erlaubt die früheste Datierung des Wagens in das Jahr 1927.

Erwähnenswert ist die auf dem Kühlergrill angebrachte stilisierte Eichel – ein markenunabhängiges Zubehör, das dem Betrachter sagen sollte, dass er einen deutschen Wagen vor sich hatte.

Diese unbeholfene Initiative der deutschen Autoindustrie lief natürlich ins Leere.

Erstens wusste auch so jeder an Autos Interessierte, woher die einzelnen Fahrzeuge kamen, und zweitens lassen sich echte Defizite nicht mit Propaganda kompensieren, sondern nur mit überzeugenden Gegenmaßnahmen.

So schätzte das damalige Publikum durchaus die formalen und konstruktiven Qualitäten des Opel-Mittelklassemodells 10/40 PS. Mit dem drehmomentstarken Antrieb, Vierradbremsen und Stoßdämpfern war das Modell an sich konkurrenzfähig.

Bloß brachte Opel damals – übertragen gesprochen – die Leistung nicht auf die Straße, wie unser Foto zu illustrieren scheint, das offenbar eine Reifenpanne zeigt:

So ging den Rüsselsheimern nach Vorstellung des Typs Opel 10/40 PS buchstäblich die Luft aus – man brachte schlicht keine Massenproduktion zustande, die einen im Vergleich zu den US-Marken wettbewerbsfähigen Preis ermöglicht hätte.

Letztlich ist es wie bei den verzweifelt subventionierten Elektroautos von heute: Entweder bietet man mehr Mobilität zum selben Preis oder dieselbe Mobilität zum geringeren Preis – andernfalls erfolgt der Kauf allenfalls aus ideologischen Motiven.

Während Elektrovehikel nach wie vor zu teuer sind und vielfältige Mobilitätsdefizite aufweisen, war der Opel 10/40 PS zwar konkurrenzfähig, aber schlicht zu teuer. 

Das zeitlose Fazit daraus: Man sollte das sich im Kaufverhalten manifestierende Urteil eines Millionenpublikums nicht geringschätzen. Was keinen erkennbaren Mehrwert liefert, ist keinen Aufpreis wert. So einfach ist das ohne ideologische Brille…

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

 

 

 

Ein Nash Six „Tourer“ von 1928 als Taxi auf Teneriffa

Was die Beschäftigung mit Vorkriegsautos auf alten Fotos zu einem unerschöpflichen Thema macht, sind neben der Markenvielfalt die verschlungenen Pfade, die viele dieser Zeugnisse über mehr als 80 Jahre absolviert haben.

Heute haben wir ein schönes Beispiel dafür. Es führt uns aus dem Herzen Deutschlands auf die Kanarischen Inseln und – mit einem Abstecher über die Vereinigten Staaten – zurück nach Sachsen-Anhalt.

Zu verdanken haben wir diesen Ausflug dem Kommunikationsdesigner Matthias Kraus aus Halle bzw. seinen unternehmungslustigen Vorfahren.

Sie gehörten nicht nur schon in den 1920er Jahren zu den Automobilisten – Belege folgen gelegentlich – sondern scheinen auch ungewöhnlich reisefreudig gewesen zu sein.

Folgende Aufnahme für’s Familienalbum fertigten sie 1935 auf Teneriffa an – zu einer Zeit, als ein Urlaub auf den fernen Kanaren noch eine exklusive Angelegenheit war:

Nash 321 Tourer auf Teneriffa; mit freundlicher Genehmigung von Matthias Kraus

Der Wunsch von Bildbesitzer Matthias Kraus nach Identifikation des  Tourenwagens musste mangels markanter Details zunächst unerfüllt bleiben.

Dass es sich wahrscheinlich um ein US-Fahrzeug handelte, das die Urlauber Anfang der 1930er Jahre als Taxi nutzten, war klar – in Ländern ohne eigene Autoproduktion dominierten vor dem Krieg meist Wagen amerikanischer Hersteller.

Doch erst der Erwerb des monumentalen Standard Catalog of American Cars von Clark/ Kimes ermöglichte eine umfassende Suche nach dem genauen Typ. Fündig wurde der Verfasser schließlich auf Seite 1.019/1.020 bei der 1917 gegründeten Marke Nash. 

Die Firma aus Wisconsin gehörte nie zu den ganz großen US-Herstellern, zählte aber zu den bestgeführten und solidesten und überstand selbst die Große Depression ohne finanzielle Probleme.

Kurz vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise – im Jahr 1928 – entstand der Nash, der auf dem alten Urlaubsfoto verewigt wurde.

Bei der Identifikation half keineswegs die Kühlerfigur, die ein Zubehörteil war, das wohl der Taxifahrer montiert hatte, sondern eine Reihe für sich genommen unscheinbarer Details:

  • die seitlichen Luftschlitze in der Motorhaube sind relativ weit unten angebracht
  • im Windlauf vor der Frontscheibe befinden sich auffallend kompakte Positionsleuchten
  • an den Vorderlampen ist nur der Scheinwerfering verchromt
  • die Scheibenräder sind nach außen gewölbt (nicht geschüsselt) und sind mit nur vier Radbolzen befestigt
  • die Kühlermaske ist schlank und schmucklos, der obere Abschluss ist leicht geschwungen

Diese Elemente in genau dieser Zusammenstellung finden sich nur beim Nash „Standard Six“ Series 320 von 1928.

Auf den kleinen Sechszylinder mit 45 PS verweisen die vier Radbolzen. Die größeren Modelle „Advanced Six“ und „Special Six“ mit 70 bzw. 52 PS besaßen sechs davon.

Der „Standard Six“ war in sechs Karosserievarianten verfügbar, der auf Teneriffa als Taxi eingesetzte offene Tourenwagen trug die Bezeichnung Series 321.

Mit 3-Gang-Getriebe und mechanischen Vierradbremsen war der Nash „Six“ zeitgemäß ausgestattet – Hydraulikbremsen besaßen damals nur gehobene Modelle.

Wieviele dieser Nash-typisch ausgezeichnet verarbeiteten, technisch anspruchslosen Tourenwagen entstanden, scheint nicht bekannt zu sein. Für alle Nash-Modelle des Jahrs 1928 sind jedenfalls über 100.000 Stück überliefert.

Das klingt gemessen am damaligen deutschen Automarkt gigantisch, war aber für US-Verhältnisse eher Merkmal eines Nischenherstellers.

Erst recht auf Teneriffa wird der Nash-Sechszylinder mit seiner stilsicheren Zweifarblackierung und den feinen Ledersitzen ein exklusives Vergnügen dargestellt haben, das sich wohl nur wohlhabende Gäste aus dem Ausland als Taxi leisten konnten.

Dass es damals bereits einen nennenswerten Automobilbestand auf der Insel gegeben haben muss, verrät jedoch folgender Bildausschnitt:

Hier sehen wir rechts am Bildrand eine Zapfsäule der amerikanischen „Mobiloil“, die unter anderem die Marke „Gargoyle“ im Programm hatte und zu der offenbar auch der Lastwagen im Hintergrund gehörte, der gerade Nachschub bringt.

Vielleicht erlaubt ja ein Detail der Tankstelle oder auch des übrigen Abzugs eine genaue Aussage darüber, wo auf Teneriffa das Bild entstanden ist.

Für Freunde klassischer Vorkriegsautomobile ist dieser Anblick aber auch so ein Genuss:

Neben den beiden Damen auf dem Rücksitz soll auch der Taxifahrer nicht unerwähnt bleiben – mit Einstecktuch, Krawatte und Manschettenhemd eine stilbewusste Erscheinung, die man heute in einer solchen Situation vergeblich suchen wird.

So gebührt unser Dank dem heutigen Besitzer dieser schönen Aufnahme, die uns einen Blick in eine untergegangene Welt erlaubt, wie ihn eben nur historische Fotos bieten.

Übrigens: Die Reise nach Teneriffa traten die Vorfahren von Matthias Kraus einst mit dem deutschen Transatlantikdampfer Columbus an. Dieses mächtige Schiff und seine Besatzung sollte noch ein ganz eigenes Schicksal erfahren, das hier erzählt wird:

© Videoquelle YouTube; Urheberrecht: Phoenix
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Studebaker „Big Six“ aus Berlin auf Urlaub im Tessin

Zu den abwechslungsreichen Seiten der Beschäftigung mit Vorkriegswagen im deutschen Sprachraum gehört die einstige Präsenz von US-Fahrzeugen – zumindest auf historischen Fotos, die sogenannten „Oldtimermagazine“ hierzulande scheinen wenig davon zu wissen.

Dabei findet man auf alten Aufnahmen aus deutschen Fotoalben neben den üblichen Verdächtigen wie Buick, Cadillac, Chevrolet, Chrysler, Dodge, Ford und Oldsmobile auch Exoten wie Auburn, Chandler, DeSoto, Graham, Maxwell oder Oakland.

Von diesen Importwagen, die teilweise sogar auf deutschem Boden montiert wurden, haben nur sehr wenige überlebt. Die zeitweilig schwierige Ersatzteilbeschaffung hat ihnen nach dem Krieg den Garaus gemacht.

An sich wäre das ein Grund mehr, sich damit zu beschäftigen, als den x-ten Artikel zu Porsche 911, E-Type, Pagode oder Gebrauchtwagen der 1990er Jahre zu schreiben. Aber dafür müsste man sich auch ein wenig anstrengen – und das scheint in unserem müde und bequem gewordenen Land außer Mode geraten zu sein.

Auf diesem Blog für Vorkriegsautos sehen wir die Sache dagegen sportlich – und ausgestattet mit einer umfangreichen Bibliothek lassen sich immer „neue“ Funde machen und zur Freude einer mittlerweile beachtlichen Leserschaft identifizieren.

Wenn dann auch noch die Aufnahme selbst ein Leckerbissen ist, dann ist das Glück vollkommen wie hier:

Studebaker „Big Six“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

„Im Tessin“, so steht von alter Hand auf der Rückseite des kontrastreichen und brilliant belichteten Abzugs geschrieben.

Das Kennzeichen mit römisch „I“ und dem Buchstaben „A“ verrät uns, dass einst ein Berlin zugelassener Wagen in der italienischen Schweiz auf Urlaubstour war.

Was genau das für ein Tourenwagen war, der in den 1920er Jahren seine Insassen in den sonnigen Süden transportierte, erschließt sich nicht auf den ersten Blick, sondern will erarbeitet werden.

Klar ist nur, dass wir ein US-Fabrikat vor uns haben – Kühlerform und verschlungene Doppelstoßstange deuten darauf hin. Nun kommt die US-Vorkriegsauto-„bibel“ (Standard Catalog of American Cars, von Kimes/Clark) ins Spiel.

Das über 1.600 Seiten starke Werk ist eine unübertroffene Aufarbeitung der wichtigsten der über 5.000 (fünftausend) Automarken, die es in den Vereinigten Staaten vor dem Zweiten Weltkrieg gab.

Dort werden nicht bloß Hersteller aufgezählt und ein paar lapidare Fakten angeführt. Soweit verfügbar werden für jedes Baujahr und jeden Typ präzise Angaben zur Erscheinungsbild, Technik, Ausstatttung und Stückzahlen gemacht.

Wie informativ dieses Meisterwerk ist, können wir anhand des Wagens auf unserem Foto nachvollziehen:

Eine Internetrecherche zu diesem Fahrzeug wäre zwecklos  – wo soll man auch beginnen, selbst wenn man die Marke kennt?

Immerhin lässt sich anhand des Markenemblems erahnen, dass man es mit einem Wagen des 1902 gegründeten Autoherstellers Studebaker zu tun hat. Doch die präzise Ansprache von Typ und Baujahr ist nur anhand des erwähnten Buchs möglich.

Dort werden als formale Kennzeichen des Studebaker „Big Six“ Model EP von 1925/26 folgende Details angeführt:

  • Kühlermaske mit abgestufter Oberseite
  • Motorhaube mit seitlicher Zierleiste und aufgesetztem Luftschlitzblech
  • Leiste am hinteren Abschluss der Haube
  • Positionsleuchten im Windlauf
  • geflügelter Deckel mit Thermometer auf dem Kühlwasserstutzen
  • einteilige Frontscheibe mit Scheibenwischern
  • serienmäßige Stoßstangen

Die Scheibenräder waren als Extra erhältlich wie übrigens auch hydraulische Vierradbremsen. Ledersitze besaßen auch die offenen Basisvarianten.

Zur Motorisierung des Studebaker „Big Six“ finden wir folgende Angaben:

  • 5,8 Liter Hubraum
  • 75 PS Höchstleistung bei 2.400 U/min
  • 4 Kurbelwellenlager

Mitte der 1920er Jahre war ein so großzügig ausgestatteter und dermaßen gut motorisierter Großserienwagen am deutschen Markt praktisch konkurrenzlos.

Auch von den Stückzahlen konnte man hierzulande nur träumen: Von den Sechszylindermodellen aller Varianten fertigte Studebaker im Modelljahr 1925/26 fast 240.000 Stück.

Mit einem leistungsfähigen US-Wagen wie diesem ließen sich auch Fernreisen bedenkenlos absolvieren, wovon unser Aufnahme zeugt. Jedenfalls scheinen die beiden weiblichen Insassen glücklich mit ihrem Urlaubstransporter gewesen zu sein:

Wer die Gesichter der beiden Damen vergleicht, könnte zur Einschätzung gelangen, dass es sich um Mutter und Tochter handelt. Der Herr Papa hat dann möglicherweise das Foto geschossen.

Wer aber ist die dritte Person auf dem Bild, die sich lässig auf den rechten Vorderkotflügel und den Scheinwerfer stützt?

Der großgewachsene, blendend aussehende Mann, der uns hier selbstbewusst fixiert, hätte vermutlich als Filmschauspieler und Frauenheld beste Chancen gehabt:

Vom Typus her würde man den blonden Recken irgendwo im hohen Norden Deutschlands oder in Skandinavien verorten.

Vielleicht war er ein Freund der Berliner Familie, der hier im Studebaker mit von der Partie war – leider wissen nichts genaues über ihn.

Mit erfundenem Namen und getürkter Unterschrift könnte man aus diesem Ausschnitt glatt die Autogrammkarte eines Schauspielers der 1920er Jahre machen.

Auch das macht Veteranenwagen auf alten Fotos so einzigartig – man kann sie zusammen mit den Menschen studieren, die sie einst besaßen, bewunderten oder zeitweilig benutzten.

Und schon bewegen einen mehr als die blanken Daten und Fakten des längst den Weg alles Irdischen gegangenen Vorkriegsautos, das dort zu sehen ist…

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Tradition und Moderne in Harmonie: Wanderer W 21/22

Die Sehnsucht nach dem Vorkriegsautomobil speist sich aus vielen Quellen. Dabei ist es keineswegs so – wie man bisweilen hört – , dass die Autos einst unverwechselbar waren. Das trifft gerade auf die frühen Modelle bis Ende der 1920er Jahre oft nicht zu.

Der letzte Eintrag in diesem Blog für Vorkriegsoldtimer war ein gutes Beispiel dafür – denn nur auf dem Umweg über eine andere Aufnahme ließ sich ein Auto der frühen 1920er Jahre als Benz 10/30 PS Tourenwagen ansprechen.

Nein, der Verfasser sieht den Reiz der Vorkriegsautos nicht zuletzt darin, dass ihre Formensprache jahrhundertealten Traditionen verhaftet war. Noch in den 1930er Jahren waren PKW daher optisch keine Störfaktoren in unseren Altstädten.

Dieser Ausschnitt aus einer historischen Postkarte, die den Marktplatz in Wernigerode zeigt, mag dies illustrieren:

Postkarte aus Sammlung Michael Schlenger

Vor dem 500-jährigen Rathaus der sehenswerten Kleinstadt in Sachsen-Anhalt stehen vier Automobile, wie sie typischer für die 1930er Jahre kaum sein könnten  – ein DKW, ein Adler, ein Opel und ein Ford – aufgereiht nach Größe und Leistung.

Um diese Wagen soll es aber hier gar nicht gehen, sie sollen nur die Harmonie von traditioneller Formgebung und Technik illustrieren, die vor dem radikalen Einbruch moderner Gestaltungsprinzipien noch möglich war.

Der eigentliche Gegenstand der heutigen Betrachtung verbirgt sich auf einer Aufnahme, die vielleicht noch eindrucksvoller zeigt, wie sich das Automobil einst in eine über Jahrhunderte gewachsene Umwelt einfügte.

Bemerkenswert ist schon einmal, dass die Anwesenheit von Autos auf folgender Aufnahme zunächst gar nicht auffällt – so übermächtig ist der Eindruck des traditionellen Bauernhofs bei Hohwacht an der Ostsee:

Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Auch auf die Gefahr hin, sich bei Angehörigen der Architektenzunft unbeliebt zu machen, vertritt der Verfasser die Ansicht, dass heute kaum jemand imstande ist, ein derartig großzügiges Gebäude so gefällig und dauerhaft zu gestalten.

Wer auch immer vor rund 80 Jahren dieses Foto machte, hatte Sinn für die malerische Szene und nahm die vor dem herrlichen Bau abgestellten Autos wohl kaum war.

Das ländliche Idyll mit Ententeich im Vordergrund vermochten die paar Wagen jedenfalls nicht zu stören, sonst wäre das Foto kaum entstanden.

Respektieren wir die Magie des hier festgehaltenen Augenblicks und nähern uns behutsam dem Gegenstand des heutigen Blog-Eintrags:

Links und in der Mitte sehen wir wahrscheinlich Wagen der sächsischen Marke DKW, deren frontgetriebene Zweitakter zu den erfolgreichsten Typen im Deutschland der 1930er Jahre gehörten.

Uns interessiert aber das danebenstehende Vierfenster-Cabriolet mit Zweifarblackierung und zwei Reihen Luftschlitzen in der Motorhaube. 

Bei Lesern dieses Blogs und Kennern der deutschen Vorkriegsautohistorie wird gleich der Groschen fallen – dass muss ein Wanderer des 6-Zylindertyps W21 oder W22 sein:

Wanderer W21/22, Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger

Wer auf der vorangegangenen Ausschnittsvergößerung genau hinsieht, wird sogar die Silhouette der typischen Kühlerfigur des Wanderer erkennen.

Die beiden 1933 vorgestellten Sechszylindertypen mit 35 bzw. 40 PS sollten vor allem in formaler Hinsicht Modernität ausstrahlen. Dazu erhielten sie eine ursprünglich für einen Horch–Achtzylinder vorgesehene dynamisch wirkende Kühlergestaltung.

Wir finden die mit breiten, v-förmig nach oben strebenden Lamellen ausgestattete Kühlerpartie beispielsweise auf dieser Aufnahme aus dem Hamburger Raum:

Wanderer W21 oder W22; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Das Fehlen der vier Auto-Union-Ringe auf dem Kühler verweist übrigens auf einen Wanderer W21 oder W22 des Jahres 1933. 

Beide Typen verfügten über hydraulische Vierradbremsen, besaßen aber ein vibrationsanfälliges Fahrwerk – wohl die einzige Schwäche der Konstruktion.

Was die Bauweise angeht, verfügte die Karosserie des Wanderer W21 /22 noch über einen traditionellen Rahmen, der mit Blech beplankt wurde. Bei der Stückzahl von knapp 10.000 Exemplaren lohnte sich der Aufwand für eine eigenständige Ganzstahlkarosserie nicht.

So übernahm das Horch-Werk in Zwickau Gestaltung und Bau der Limousinen – wie übrigens für die anderen Marken im Auto Union-Verbund auch.

Das 4-Fenster-Cabriolet auf unserem Foto wurde aber von Gläser in Dresden gefertigt:

Dieser klassische Aufbau war ab Werk nur für den Wanderer W22 verfügbar.

Ob „unser“ Wagen über die als Zubehör lieferbaren Drahtspeichenräder verfügte, lässt sich auf dem Ausschnitt nicht eindeutig sagen. Das Schema der Zweifarblackierung der Karosserie entspricht jedenfalls den Angaben in der Literatur.

Dort findet sich auch die Stückzahl des Cabriolets – gut 2.000 Exemplare wurden von 1933 bis 1935 gebaut (vgl. Erdmann/Westermann: Wanderer Automobile, Verlag Delius-Klasing, 2011).

Separate Fahrgestelle wurden vom Wanderer W21/22 übrigens nicht geliefert, sodass wir andere Karosseriebauer ausschließen können.

Nehmen wir Abschied von der ländlichen Szene und dem schönen Wanderer W22 Cabrio, das einst an einem sonnigen Tag im Schatten eines der typischen mächtigen Bauernhäuser in Norddeutschland abgestellt wurde.

Machen wir stattdessen ein Sprung in die Moderne – an eine DEROP-Tankstelle:

Wanderer W22; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auf dem Originalabzug kann man auf der Karte mit dem DEROP-Tankstellennetz links oben die Ortsnamen Heidenau, Pirna und Schandau sowie Bautzen und Zittau lesen – dies erlaubt die Lokalisierung in Sachsen.

DEROP stand übrigens für Deutsche Vertriebsgesellschaft für russische Oel-Produkte, die Benzin aus der Sowjetunion an rund 2.000 Tankstellen im Deutschen Reich verkaufte. 1935 wurde die DEROP von der ARAL-Mutter BV übernommen.

Ob die alten Markenschilder dann gleich entfernt wurden, ist dem Verfasser nicht bekannt. Falls ja, könnten wir auch den Entstehungszeitpunkt des Fotos auf spätestens 1935 eingrenzen.

Interessanter ist aber der Wanderer in der Ausführung als Sechsfenster-Limousine, der hier Halt gemacht hat. Auch dieser Aufbau war nur beim W22 8/40 PS verfügbar, der schwächere W 21 wurde mit vier Fenstern oder als Cabrio-Limousine angeboten.

Gut erkennbar ist hier wiederum die dynamische Frontpartie mit den markanten Kühlerlamellen, die es so nur 1933 gab und natürlich die Haube mit den in zwei  Reihen angeordneten Luftschlitzen.

Mehr als 2.500 dieser Wagen wurden im Horch-Werk sowie aus Kapazitätsgründen auch von Hornig in Meerane und Reutter in Stuttgart gefertigt. 5.250 Reichsmark waren dafür hinzulegen, das Gläser-Cabrio war mit 6.250 Mark noch teurer.

So schön diese Wanderer Sechszylinder-Typen der frühen 1930er Jahre auch waren, blieb ihnen nur eine kurze Blüte vergönnt. Denn ab 1934 eroberte der weit billigere 2 Liter-Sechszylinder von Opel im Sturm den Markt.

Damit schließt sich der Kreis, denn genau solch ein Modell ist auf der eingangs gezeigten Postkarte aus Wernigerode im Vordergrund zu sehen:

Im Vergleich zum eleganten Wanderer wirkt der Opel – auf den der Bub am Brunnen einen neugierigen Blick zu werfen scheint -weit sachlicher und behäbiger. Dabei konnte der Rüsselsheimer in punkto Fahrleistungen durchaus mit dem Sachsen halten.

In der Karosserieform kündigt sich das Ende der Epoche mit sinnlich geschwungenen Schutzblechen an, auch auf das edle Mehrfarbschema des Wanderer musste der Opel-Käufer verzichten.

Von hier bis zur Moderne im Karosseriebau war es nicht mehr weit. Nur fünf Jahre später entstanden in den USA die ersten Pontonkarosserien. Damit begann eine neue Zeit, die ihre eigenen Glanzseiten bot, doch die Vorkriegswelt mit ihrer ungebrochenen formalen Tradition war ein für allemal passé…

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Besuch aus Hamburg: Ein Brennabor in Friedberg

Heute haben wir es mit einem ganz besonderen Foto zu tun – zumindest aus Sicht des Verfassers. Doch vielleicht macht die Aufnahme auch dem einen oder anderen Freund von Vorkriegsautos aus dem Norden der Republik Freude.

Auf den ersten Blick sieht man nichts Spektakuläres und denkt vielleicht: „Naja, irgendein offener Wagen der späten 1920er Jahre irgendwo auf einer Landstraße, noch dazu unvorteilhaft schräg von hinten festgehalten.

Brennabor Typ AK oder ASK; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Doch das so unscheinbare und nicht sonderlich gut erhaltene Dokument hat es im wahrsten Sinne des Wortes in sich.

Eigentlich hatte der Verfasser diesen Abzug nur aus lokalpatriotischen Motiven erworben und dachte lange nicht, dass auch das Auto darauf eine nähere Betrachtung wert sei, geschweige denn sich identifizieren lasse.

Auf Anhieb klar war, dass die Aufnahme die Ansicht von Friedberg im Wetteraukreis zeigt, die sich einem darbietet, wenn man von Rosbach vor der Höhe (d.h. dem Taunus) kommend auf die einstige Freie Reichstadt (mit römischen Wurzeln) zufährt.

Das verrät dem Einheimischen die unverwechselbare Silhouette der mächtigen gotischen Hallenkirche mit dem auffallend kurzgeratenen Turm:

Das für einen Ort mit weniger als 30.000 Einwohnern ungewöhnlich große Bauwerk kündet von der einstigen Bedeutung der hochmittelalterlichen Kaufmannsstadt und überragt noch heute die Silhouette der Stadt.

Nur die großzügigen Bürgerhäuser des frühen 20. Jahrhunderts, die man auf dem Foto im Vordergrund sieht, sind inzwischen durch moderne Bebauung verdeckt.

Leider ist die gut erhaltene spätmittelalterliche Altstadt heute durch an Primitivität schwer zu überbietende „Geschäfte“ oft bis ins erste Geschoss verschandelt und lässt kaum mehr etwas vom Einzelhandel ahnen, der noch intakt war, als der Verfasser hier in den 1980er Jahren die Augustinerschule besuchte.

Zum Zeitpunkt der Aufnahme des Fotos war Friedberg dagegen ein wohlhabendes Zentrum des Bürgertums inmitten der von kleinteiliger Landwirtschaft geprägten Wetterauregion.

Mag sein, dass die Zeugen der fast 2.000-jährigen Geschichte von Friedberg einst die Reisenden anzogen, die sich hier bei einem Halt kurz vor der Stadt ablichten ließen:

Das Kennzeichen bedarf wohl keiner Erklärung – hier waren tatsächlich unerschrockene Herrschaften aus der Hansestadt Hamburg in einem offenen Zweisitzer-Cabrio mit „Schwiegermuttersitz“ unterwegs.

Der aufmerksame Betrachter wird die kahlen Bäume und die Schneereste am Straßenrand registriert haben – was die Gäste aus dem Norden nicht davon abhielt, mit offenem Verdeck zu fahren.

Während heute Ende März bei 12 Grad Plus und Sonnenschein vor allem junge Zeitgenossen noch mit Wollmützen und geschlossenen „Funktionsjacken“ unterwegs sind, waren unsere Altvorderen hinreichend abgehärtet und trugen bei Bedarf wirklich wärmende Kleidung aus Wolle statt Kunststoff.

Nur so waren solche Touren an der frischen Luft in der kalten Jahreszeit auszuhalten. Mit zwei Passagieren im Heckabteil blieb einem auch nichts anderes übrig, da diese bei geschlossenem Verdeck kaum etwas von der Gegend mitbekommen hätten.

Was aber war das für ein 2+2 Cabriolet, mit dem einst die wackeren Hamburger Jungs und Mädel(s) unterwegs waren?

Nun, ein paar Anhaltspunkte haben wir: geschüsselte Scheibenräder mit vier Radbolzen, trommelförmige, lackierte Frontscheinwerfer und zwei auffallend weit auseinanderliegende Zierleisten an der Flanke.

Opel und andere Verdächtige waren rasch ausgeschlossen. Übrig blieb nur ein Brennabor des Sechszylindertyps AK bzw. ASK von 1928/29, an dem sich alle genannten Details wiederfinden.

Der massige Wagen (über 1,5 Tonnen Leergewicht) wurde auf kurzem Radstand (daher das „K“ in der Typbezeichnung) mit 2,5 Liter und mit 3 Liter Hubraum (45 bzw. 55 PS) angeboten. Verfügbar war auch eine Langversion mit Pullman-Aufbau (Typ AL bzw. ASL), die noch schwerer und behäbiger war.

Das zweisitzige Cabrio mit 2 Notsitzen gab es nur in der Kurzversion, daher die Ansprache als  Typ AK oder ASK. Die Ausführung ist in der spärlichen Literatur zu Brennabor erwähnt, aber fotografisch kaum dokumentiert.

So gesehen hat es diese schöne Aufnahme vielleicht auch für die Freunde der einst so erfolgreichen Automarke aus Brandenburg an der Havel „in sich“. Ansonsten kommen hier die Hamburger wie die Wetterauer Lokalpatrioten auf ihre Kosten…

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Der Berg ruft – kein Problem: Buick „Six“ von 1930

Wer Werbeanzeigen früher Automobile studiert, stößt bei höherwertigen Modellen immer wieder auf das Attribut „idealer Bergsteiger“.

Das war ein Hinweis darauf, dass man im Mittel- oder Hochgebirge auch vollbesetzt ohne Überhitzung des Motors fahren konnte. Bis in die 1950er Jahre war eine Alpenüberquerung beispielsweise für viele Autos eine Herausforderung.

Der Ruhm des Volkswagens rührt nicht zuletzt daher, dass sich mit ihm auch die fiesesten Paßstraßen problemlos bewältigen ließen. Der Verfasser erinnert sich gern an die Überquerung des Gotthard mit seinem 1200er Käfer bei strahlendem Sonnenschein.

Vor dem Aufkommen luftgekühlter Motoren brauchte es vor allem reichlich Leistung, um unbeschwert nach Italien zu gelangen, wenn man sich nicht für einen Autoreisezug entschied:

Autoreisezug in Airolo; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese außergewöhnliche Aufnahme zeigt einen Autoreisezug in Airolo (Tessin) südlich des Gotthardpasses.

Neben einem mächtigen Mercedes (zweiter von links) sehen wir unter anderem ein Horch 8 Typ 350 Sedan-Cabriolet (vierter von links), von dem wir hier schon einige Fotos gezeigt haben.

Abseits der Eisenbahnhauptstrecken musste der Besitzer solcher schweren Wagen aber schon selbst Hand anlegen. Da ist es kein Wunder, dass Aufnahmen aus bergigen Urlaubsregionen immer wieder gut motorisierte US-Modelle zeigen.

Folgender Bildausschnitt ist ein Beispiel dafür:

Buick „Six“ und Minerva; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Vor einem Alpengletscher sehen wir hier an einem Aussichtspunkt irgendwo in der deutschen Schweiz mehrere großzügige Wagen, die den Weg hinauf aus eigener Kraft bewältigt haben müssen.

So reizvoll das offene Modell der belgischen Manufaktur Minerva (zweiter von links) auch ist, beschränken wir uns heute auf die großzügige Limousine am rechten Bildrand mit schweizerischer Zulassung.

Die Form des Kühlers und das zwischen den Scheinwerfern angebrachte Markenemblem verraten, dass es sich um einen Buick „Six“ von 1929 oder 1930 handelt. Ganz genau lässt sich das nicht sagen.

Präzise ansprechen lässt sich der Buick auf dem folgenden Foto, das einst ebenfalls im Alpenraum entstand:

Buick „Six“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Neben den beiden Damen mit Schal und Mantel sehen wir einen ganz ähnlichen Buick wie auf der vorangegangenen Aufnahme. Der Markenschriftzug ist etwas nach unten gerutscht, was für sich nicht viel bedeutet.

Wichtiger für die Eingrenzung sind die vertikalen Kühlerlamellen, die erst 1930 eingeführt wurden. Ihre Stellung wurde über ein Thermostat an den Kühlbedarf des Motor angepasst – im Gebirge eine ideale Lösung.

Noch wichtiger war jedoch die souveräne Motorleistung des Buick. Je nach Radstand wurden drehmomentstarke Reihensechszylinder mit 80 bzw. 99 PS angeboten.

Neben diesen Ausführungen des Buick „Six“ gab es ab 1931 auch einen „Eight“, der mit unterschiedlichen Leistungen angeboten wurde, die bis über 100 PS reichten. Zu erkennen waren diese Modelle an einer „8“ auf dem Kühleinfüllstutzen.

Dieses Detail fehlt auf den bisher gezeigten Aufnahmen ebenso wie auf dieser, die wir den Lesern dieses Blogs nicht vorenthalten möchten:

Buick „Six“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese schöne Privataufnahme wurde vor fast genau 80 Jahren – im Mai 1938 – als Ansichtskarte verschickt.

An dem im Kreis Schwaben (Kennung IIZ) zugelassenen Buick sehen wir deutlich die erwähnten Kühlerlamellen des Modells von 1930. Auch der obere Kühlerabschluss, die Form der Frontschutzbleche und die Doppelstoßstange passen dazu.

Mangels „8“ auf dem Kühler können wir davon ausgehen, dass diese Limousine mit einem der kräftigen Sechszylinder ausgestattet war.

Mit so einem souveränen und gut ausgestatteten Wagen im Gebirge unterwegs zu sein, muss aus damaliger Sicht ein Vergnügen gewesen sein, vorausgesetzt, die mechanischen Vierradbremsen waren richtig eingestellt.

Die Insassen des Buick scheinen jedenfalls ganz vergnügt gewesen zu sein:

Mit dem leistungsstarken Buick war man auch 1938 noch auf der Sonnenseite des Lebens. Was in den darauffolgenden Kriegsjahren aus den Personen auf dem Foto wurde, wissen wir wie so oft nicht.

Auch über das Schicksal des Buick kann man nur spekulieren. Von den einst so zahlreich in Deutschland verkauften „Amerikaner“-Wagen haben nur sehr wenige die Zeiten überdauert…

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Vollendete 2-Takt-Eleganz: DKW F5 Luxus Cabrio

„Oje, wieder eine dieser Zweitaktgurken von DKW“ – was haben da Eleganz und Luxus verloren? Gemach, bislang hat noch jeder Eintrag in diesem Blog für Vorkriegsautomobile das geliefert, was die Überschrift verspricht.

Schauen wir uns einmal ohne Markenvorurteil an, was wir auf folgendem Originalfoto der späten 1930er Jahre sehen:

DKW F5 Front Luxus Cabriolet 4-sitzig; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ein elegantes viersitziges Cabriolet mit gefüttertem Verdeck, Ledersitzen, verchromter Sturmstange und seitlicher Chromleiste, die als Kometenschweif ausläuft. Der Glanz des Lacks verrät, dass die Karosserie ganz mit Blech beplankt ist.

Nichts davon will so recht zu einem DKW der Vorkriegszeit passen, an dem außer Motorhaube und Schutzblechen kaum ein Karosserieteil in Stahl ausgeführt war. Von Ledersitzen und solchermaßen üppigem Chromeinsatz ganz zu schweigen.

Und doch haben wir es eindeutig mit einem DKW zu tun – mit einem Typ F5, um genau zu sein. Die Beweisführung führt über einige reizvolle Nebenstrecken zum Ziel.

Man präge sich dazu folgende Elemente auf obiger Aufnahme ein: die breit auslaufende Chromleiste an der Flanke, die lackierten Drahtspeichenräder und die parallel zu Frontscheibe und A-Säule geneigten Luftschlitze in der Haube.

Fast alles finden wir auf folgendem Foto wieder, das einst in der reizvollen Mittelgebirgslandschaft Thüringens entstand:

DKW F5 Front Luxus Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Man sieht von dem Wagen – hier mit geschlossenem Verdeck – gerade  genug, um die Übereinstimmung zu erkennen.

Vom abweichenden Farbschema abgesehen alles identisch, möchte man meinen. Doch halt: Speichenräder – Fehlanzeige! Stimmt, dafür sieht man ein anderes wichtiges Detail: die durch das obere Türscharnier laufende Chromleiste.

Daran erkennt man ein 4-sitziges Cabriolet des DKW F5 Front Luxus Cabrios. Diese attraktiven Wagen wurden nicht wie die 2-sitzige Version im Horch-Werk in Zwickau gefertigt, sondern bei Baur in Stuttgart.

Die DKW-Luxusversionen mussten sich mit der Leistung von 20 PS begnügen, wie sie herkömmliche F5-Typen in der Ausstattungsvariante „Meisterklasse“ boten.

Im Deutschland der Vorkriegszeit zählte mehr, überhaupt ein Automobil zu besitzen als das schiere Leistungsvermögen. Bei einem Gewicht von rund 800 kg ließ sich so ein DKW nach damaligen Maßstäben durchaus angemessen bewegen.

Vor 80 Jahren diente das DKW F5 Front Luxus Cabrio sogar als Urlaubsfahrzeug. Denn obige in Thüringen entstandene Aufnahme ist eine von mehreren desselben Wagens. Hier haben wir eine weitere davon:

DKW F5 Front Luxus Cabriolet 4-sitzig; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Über den Aufnahmeort verrät dieser Abzug zwar nichts – irgendwo in Mitteldeutschland könnte das Foto entstanden sein – dafür lässt sich auf dem Original das Kennzeichen entziffern: „IC 57664“.

Demnach war der in Thüringen abgelichtete DKW in Ostpreussen zugelassen, also gut 800 km weiter im Osten. Mancher Leser mag sich an die folgende Aufnahme desselben Autos erinnern, das wir vor längerem bereits gezeigt haben:

DKW F5 Front Luxus Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Zwar ist nur ein Teil des Kennzeichens zu erkennen, doch es ist Foto aus derselben Serie, das den DKW aus Ostpreussen nun in der Nähe von Chemnitz zeigt.

Unser kleiner Rückblick auf die bildschönen Luxus-Cabriolets des Typs F5 von DKW ist damit noch nicht zuende. Es gibt eine weitere Aufnahme, die unser „Fotomodell“ zeigt, diesmal in seiner eigentlichen Heimat.

Auf der Rückseite des folgenden Abzugs ist vermerkt „bei Elbing“.

DKW F5 Front Luxus Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Als Absolvent eines hessischen Gymnasiums mit entsprechendem „Bildungsstandard“ war dem Verfasser die Bedeutung der einstigen Hansestadt mit ihren seit 1945 verschollenen bedeutenden Bücher- und Handschriftensammlungen nicht geläufig.

Der ehemals deutsche Osten wurde gemäß hessischen Lehrplänen nicht behandelt, als hätte es ihn nie gegeben.

Als Abkömmling einer Familie mit einschlägigem Hintergrund sind für den Verfasser die Dokumente besonders berührend, die aus den Regionen stammen, aus denen die deutschen Einwohner ab 1945 entweder flohen oder vertrieben wurden.

Der DKW, der hier an einem Sommerabend im Juli 1937 auf einer ostpreussischen Allee bei Elbing abgelichtet wurde, dürfte den Krieg nicht überlebt haben:

Doch seine Besitzer retteten 1945 ihre Fotoalben mit den hier zu sehenden Aufnahmen über Flucht und Vertreibung. So etwas „verlor“ man damals ebensowenig wie Ausweisdokumente.

Damit sind diese Bilder nach über 70 Jahren die letzten Zeugen einst weit im deutschen Osten gelebten Lebens und einer unwiederbringlich verschwundenen Welt…

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Auf in den Frühling – im Mercedes „Stuttgart“ Cabriolet

Heute haben wir den 21. März 2018 und tagsüber war tatsächlich ein Hauch von Frühling in der Luft, zumindest in der Wetterau – der Heimat des Verfassers dieses Blogs für Vorkriegsautos.

Wer würde – ungeachtet der frostigen Nachttemperaturen – keine Frühlingsgefühle angesichts dieser beiden unternehmungslustigen Damen entwickeln, die in den 1930er Jahren für eine Reklamekarte von Daimler-Benz posierten?

Originale Ansichtskarte von Daimler-Benz aus Sammlung Michael Schlenger

Wie elegant und charmant selbstbewusste Weiblichkeit daherkommen kann, daran erinnert ausgerechnet ein Dokument aus der Vorkriegszeit. Natürlich sah die Realität meist anders aus, ein Auto besaß hierzulande ohnehin kaum jemand.

Doch diesen Frauentyp gab es durchaus, und der musste sich unter ganz anderen Bedingungen durchsetzen als moderne Geschlechtsgenossinnen, denen nun wirklich alles offensteht, die aber oft nichts aus ihren Möglichkeiten machen.

Bevor nun ein Proteststurm weiblicher Ingenieure, Straßenbauarbeiter, Dachdecker, Fliesenleger und Schweißer losbricht, halten wir uns lieber ans eigentliche Thema.

Hier haben wir eine im wahrsten Sinne des Wortes historische Aufnahme, die Lust auf einen Ausflug im offenen Wagen macht:

Mercedes 260 „Stuttgart“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Entstanden ist dieses Foto um 1930 im pittoresken Meersburg am Bodensee, das verrät die umseitige Beschriftung des Abzugs.

Mit Unterstützung eines Lesers dieses Blogs ließ sich der Aufnahmeort exakt lokalisieren – der Mercedes hatte unterhalb der Substruktionen des Neuen Schlosses haltgemacht, wo die Rebhänge entlang der Uferpromenade auslaufen.

Auch wenn es vielleicht nicht so wirkt: Die Person, die den offenen Mercedes mitsamt drei Insassen ablichtete, fand darin ebenfalls Platz. Denn das zweitürige Cabriolet verfügte hinten über eine großzügig bemessene Sitzbank:

Lesern dieses Blogs könnte der Wagentyp bekannt vorkommen – ein fast identisches Fahrzeug haben wir hier bereits anhand mehrerer Privatfotos vorgestellt.

Auf jeden Fall handelt es sich um einen Mercedes des 1929 vorgestellten Typs „Stuttgart“, wahrscheinlich in der ab 1932 gebauten Variante mit 2,6 Liter Sechszylinder – zuvor gab es nur eine äußerlich weitgehend identische 2-Liter-Version.

Mit seiner Zweifarblackierung und großzügigem Chromeinsatz kam der Mercedes „Stuttgart“ recht luxuriös daher, während das 50 PS-Aggregat für einen Wagen dieser Klasse eher bescheiden anmutet.

Aber was wissen wir schon im 21. Jahrhundert darüber, was so ein hochkarätiger Wagen für die einstigen Besitzer tatsächlich bedeutete?

Auf eigene Faust die Heimat erkunden, in fremden Ländern auf Reisen gehen, sich im Winter die frische Luft um die Nase wehen zu lassen oder im Frühling den Duft der erwachenden Natur zu genießen – all das war die Verheißung des Automobils vor fast 90 Jahren.

Heute ist ein Mercedes ein Alltagsgefährt wie viele andere – wer einen besitzt, mag beim Anblick des Sterns ab und an daran denken, wo die Wurzeln der Marke liegen und was wir ihr an souveräner und stilvoller Mobilität verdanken:

Mercedes-Benz Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger
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Rarer Vorgänger des „Standard 6“: der Adler 10/50 PS

Heute beschäftigen wir uns mit einem Modell, das auch eingefleischte Freunde der Frankfurter Traditionsmarke Adler allenfalls vom Hörensagen kennen.

Die Rede ist vom Vorgänger des 1927 vorgestellten Adler „Standard 6“, des bis dahin größten Erfolgs der Firma.

Zwar haben wir schon etliche Originalfotos des ersten deutschen Wagens mit hydraulischen Vierradbremsen gezeigt. Doch der großzügige Wagen mit seinem 2,5 später 2,9 Liter messendem Sechsyzlinder ist immer wieder ein schöner Anblick.

Davon kann man gar nicht genug bekommen, zumal die Ausführung als 7-sitziger Tourenwagen, die wir hier haben, eher selten ist:

Adler „Standard 6“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nebenbei ist diese einst am Westensee in Schleswig-Holstein entstandene Aufnahme ein Beispiel für eine untergegangene Kunst – das lässige Posieren rund um ein Automobil.

Dabei wirkt jede der sieben wie von einem Regisseur um den Wagen herum positionierten Charaktere vollkommen gelassen – man möchte fast an einen Betriebsausflug einer Theatertruppe denken.

Bevor es weitergeht, schauen wir uns die Herrschaften näher an – der Adler ist hier Nebensache:

Nach damaligen Maßstäben sportlich wirkt der Herr ganz links mit Pullunder, Krawatte und Manschettenhemd. Der Verzicht auf ein Jackett, das umgehängte Fernglas und der Siegelring an der linken Hand weisen ihn als besonders stilbewusst aus.

Ganz anders der bullige Typ mit Schmiss, der in die Ferne schaut. Ihm geht jede Sportlichkeit ab, er scheint vielmehr seinen stattlichen Bauch mit Stolz zu tragen. Mit kleinem Hut und Knickerbockerhosen hat er sich für eine Landpartie ausstaffiert.

Ein eigener Charakter scheint auch der junge Mann mit dem dunklen Teint auf dem Trittbrett zu sein. Mag sein, dass er einer militärischen oder politischen Organisation seiner Zeit angehörte – Lederriemen über der Brust und Gamaschen sprechen dafür.

Besonders gut gefallen dem Verfasser aber die drei Grazien auf diesem Ausschnitt – da muss der junge Mann mit dem bademantelartigen Oberteil hintanstehen:

Alle drei Damen tragen kräftige Zöpfe – vermutlich sind es Schwestern – doch vom Typ her könnten sie kaum unterschiedlicher sein:

  • Links haben wir die Intellektuelle mit der Brille – sie hat bestimmt das beste Abitur und wird Medizinerin.
  • In der Mitte die Unternehmungslustige mit keck sitzender Mütze – sie verkehrt vielleicht in Kreisen, wo auch die Damen rauchen und trinkfest sind.
  • Ganz außen die Verschlagene, die darüber sinniert, wie sie die nächste Intrige einfädelt – ob in der Familie, in der Schule oder auf der Arbeit.

Diese Charakterisierungen sind natürlich reine Phantasie. Genug davon, denn eigentlich geht es ja um diesen raren Vogel:

Adler 10/45 oder 10/50 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wie es der Zufall will, sind hier wieder sieben Personen und ein Tourenwagen zu sehen, doch im Unterschied zur ersten Aufnahme ist das Arrangement weniger gelungen. Auch ist auf den ersten Blick kein Hinweis auf Marke und Typ zu erkennen.

Ein Wagen mit Flachkühler – spricht für die späten 1920er Jahre – schmale senkrechte Luftschlitze – für sich genommen wenig aussagefähig – Drahtspeichenräder und Vierradbremsen – das muss ein gehobenes Modell sein.

Dann wären da noch das glänzende Schutzblech auf dem Schweller unterhalb der Vordertür und die senkrecht stehenden Türgriffe. Durchaus markant, doch schien diese Aufnahme lange Zeit ein hoffnungsloser Fall zu sein.

Bei der Identifikation von Vorkriegsautos auf alten Fotos helfen Geduld, Glück und Gleichgesinnte. Hier lieferten zwei Fotos aus der Sammlung eines Oldtimerfreundes, der schon länger der Marke Adler verfallen ist, den Schlüssel zur Lösung:

Adler 10/45 oder 10/50 PS; Originalfoto aus Sammlung Rolf Ackermann

Diese fröhliche Gesellschaft scheint aus Spaß einen Adler-Tourenwagen anzuschieben – das dreieckige Markenemblemauf dem Kühler ist gerade noch zu erkennen. Könnte hier dasselbe Modell zu sehen sein?

Nun, immerhin besitzt auch dieser Wagen Speichenräder, besagtes Schwellerschutzblech und mit etwas gutem Willen ahnt man zwei senkrecht stehende Türgriffe. Aber besitzt dieser Wagen ebenfalls Vierradbremsen?

Aus dieser Perspektive ist das nicht eindeutig zu beurteilen. Zum Glück findet sich in der Sammlung von Rolf Ackermann ein weiteres Bild desselben Autos:

Adler 10/45 oder 10/50 PS; Originalfoto aus Sammlung Rolf Ackermann

Auf dieser raren Heckansicht ist die Bremstrommel am linken Vorderrad klar zu erkennen – demnach spricht auch hier alles für den Sechszylindertyp 10/45 oder 10/50 PS, der 1925-26 gebaut wurde.

Von diesem Vorgänger des Adler „Standard 6“ entstanden keine 1.000 Exemplare. Entsprechend selten begegnen einem Vorkriegsfotos dieses stattlichen Wagens, dessen Radstand von 3,35 Meter deutlich länger war als der des Nachfolgers.

Der Adler „Standard 6“ war zwar in mancher Hinsicht moderner und erzielte angesichts der starken Konkurrenz amerikanischer Wagen in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre einen Achtungserfolg.

Doch von den schieren Dimensionen war erst der Adler „Standard 8“ ein würdiger Nachfolger des Typs 10/45 bzw. 10/50 PS von der Mitte der 1920er Jahre – auf den mächtigen Achtzylinder kommen wir gleich zurück.

Hier noch einmal der Adler 10/45 bzw. 10/50 PS von dem ersten Foto in der Ausschnittsvergrößerung:

 

Er war tatsächlich um einiges größer als der Nachfolger Adler „Standard 6“. Wer genau hinschaut kann nun auch die stilisierte Adler-Kühlerfigur erkennen.

Heute existiert möglicherweise kein einziger Vertreter dieses raren Sechszylindertyps von Adler mehr – oder weiß es jemand besser?

Hier schließt sich übrigens der Kreis, denn Rolf Ackermann, dem wir die beiden anderen Fotos dieser Rarität verdanken, gehört zu den glücklichen Besitzern eines heute fast ebenfalls völlig ausgestorbenen Adler-Typs – des erwähnten „Standard 8“, der ab 1928 neben dem „Standard 6“ (oder besser: oberhalb davon) angeboten wurde:

Adler Standard 8; Bildrechte: Michael Schlenger

Das war nun ein weiter Weg vom Adler „Standard 6“ zum „Standard 8“ – und noch dazu ging es eigentlich um einen anderen Typ der ehemals stolzen Adlerwerke.

Doch manchmal kommt man nur auf solchen Umwegen ans Ziel – und wie bei einer gelungenen Oldtimerausfahrt sind die weniger bekannten Nebenrouten oft die reizvollsten…

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Urlaubsfoto mit Stoewer R-140 Rolldach-Limousine

Es ist Anfang März 2018 und wenn nicht alles täuscht, haben wir den Winter hinter uns. In der klimatisch begünstigten Wetterau nördlich des Rhein-Main-Gebiets erreichten die Temperaturen tagsüber bereits wonnige 15 Grad.

Bei strahlendem Sonnenschein stellten sich schnell Urlaubsgefühle ein – wenn man nicht gerade an Schreibtisch oder Werkbank gefesselt war. Im Osten erinnerte der noch schneebedeckte Vogelsberg wohl ein letztes Mal an die hinter uns liegende Frostperiode.

Da erwärmt man sich gern an einem historischen Foto wie diesem, das im Sommer 1933 an Nord- oder Ostsee entstand:

Stoewer R-140 Cabriolimousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch wenn die sonnengebräunten Insassen Urlaubsatmosphäre verströmen, will der abgebildete Wagen trotz langer Motorhaube nicht so recht Begeisterung auslösen.

Das liegt vor allem daran, dass das Auto auf der Aufnahme Teile der Front- und Heckpartie eingebüßt hat. Vorteilhaftere Aufnahmen des Typs sind schwer zu finden, es entstanden nur wenig mehr als tausend Stück davon.

Fast dasselbe Modell konnten wir vor längerer Zeit auf diesem Foto dingfest machen:

Stoewer R-150; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dem aufmerksamen Betrachter werden zwei Unterschiede ins Auge fallen: Der Wagen auf dem zweiten Foto verfügt über ein Ersatzrad im Vorderschutzblech und über vier Türen, die sich an der nicht vorhandenen Mittelsäule treffen.

Das heute vorgestellte Fahrzeug besitzt einige Ähnlichkeit damit, ihm fehlt aber anscheinend das Ersatzrad und es verfügt über nur zwei Türen. Außerdem ist es mit einem Rolldach ausgestattet.

Davon abgesehen handelt es sich weitgehend um das gleiche Auto: einen Stoewer R-140 bzw. R-150 aus der ersten Hälfte der 1930er Jahre.

Beide verfügten über den damals hochmodernen Frontantrieb – tatsächlich war die angesehene Nischenmarke aus Stettin die erste, die hierzulande einen serienmäßigen Fronttriebler vorstellte – den Typ V5.

Dessen V-Vierzylinder erwies sich als unkultiviert, weshalb der ab Ende 1932 gebaute Nachfolger R-140 wieder einen Reihenmotor erhielt, der unverändert 30 PS leistete.

Anfänglich war die Limousinenausführung des R-140 nur als Zweitürer erhältlich – wie bei dem Stoewer auf unserem Urlaubsfoto. Die viertürige Limousine ohne Mittelpfosten wurde erst etwas später gebaut – auf unverändertem Radstand.

Was aber hat es mit dem „fehlenden“ Ersatzrad auf sich?

Nun, der Stoewer R-140 besaß nur eines davon, das auf dem rechten Vorderschutzblech montiert war. Danke an Manfried Bauer vom Stoewer-Museum für den entsprechenden Hinweis.

Hier wirkt die Haube des Wagens noch länger als von anderen Seite her betrachtet. Gefälliger gestaltet war allerdings die Karosserie des Nachfolgetypen Stoewer R-150, die wir demnächst ebenfalls anhand eines Originalfotos vorstellen werden.

Leider waren diese technisch überzeugenden und ausgezeichnet gefertigten Stoewer-Fronttriebler zu teuer, um über ein Nischendasein hinauszukommen. Das macht sie heute zu Raritäten und für den Liebhaber des Besonderen zu einer Alternative zu den frontgetriebenen Modellen von Adler und DKW.

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An der Tankstelle ein König: Hanomag „Kommissbrot“

Was haben ein Horch-Achtzylinder und ein Hanomag „Kommissbrot“ gemeinsam? Außer dem „H“ als Anfangsbuchstaben und vier Rädern nicht viel, will es scheinen.

Doch in einer Hinsicht waren der mächtige Luxuswagen aus Zwickau und das kuriose Kleinstauto aus Hannover in den 1920er Jahren Wesensverwandte: sie mussten mehr oder minder häufig an die Tankstelle.

Entsprechende Aufnahmen sind rar und werden einem oft von Sammlern mit einschlägigem „Forschungs“gebiet vor der Nase weggeschnappt. Doch manchmal hat man Glück und in einem Konvolut aus Familienfotos findet sich so etwas:

Horch 350 Sedan-Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier lässt es sich der Fahrer eines Horch 8 Typ 350 Sedan-Cabriolet nicht nehmen, assistiert vom Tankwart, selbst Hand anzulegen und das 90 Liter messende Benzinreservoir aufzufüllen.

Zwei Fragen mögen den Betrachter dieses schönen Schnappschusses bewegen:

  • Was trägt der freundlich in die Kamera schauende Herr auf dem Kopf?
  • Was erlaubt eine derartig präzise Ansprache des Wagentyps?

Bei der Beantwortung der ersten Frage hilft diese Ausschnittsvergößerung:

Offenbar trägt unser Horch-Besitzer zu einer Leder- oder Baumwollkappe eine schirmartige Sonnenblende, die möglicherweise leicht lichtdurchlässig war. Als Material dafür käme Zelluloid ein Frage, ein damals vielseitig eingesetzter Kunststoff.

Die sich uns zuwendende Dame im Hintergrund soll nicht unerwähnt bleiben – sie sitzt übrigens am Steuer – wir sehen sie gleich wieder.

Im Fundus des Verfassers gibt es nämlich eine Reihe von Ausflugsfotos, auf denen wir das Auto und die Insassen wiedersehen. Diese haben wir vor längerer Zeit bereits vorgestellt, nur das Tankstellenbild musste noch auf eine passende Gelegenheit warten.

Hier haben wir denselben Horch in aller Pracht

Horch 8 Typ 350; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Vermutlich hat dieses Foto der Besitzer selbst geschossen – dass die Gattin nicht eigens dafür ans Lenkrad gerückt ist, dafür spricht die vorherige Aufnahme.

Die Horch-Freunde unter den Lesern werden das mächtige Cabriolet als 8-Zylinderwagen des ab 1928 gebauten Typs 350 mit 80 PS erkennen.

Mit seinem von zwei obenliegenden Nockenwellen gesteuerten Reihenachter gehörte der Horch 8 Typ 350 seinerzeit zum Feinsten, was der deutsche Automobilbau hergab.

Besonders repräsentativ ist die hier zu sehende Ausführung als Sedan-Cabriolet.

Im Unterschied zum Tourenwagen bot sie den Komfort seitlicher Kurbelscheiben und eines üppig gefütterten Verdecks. In geschlossenem Zustand war der Wagen somit fast so behaglich wie eine Limousine (einst auch als Sedan bezeichnet).

Das andere Ende der automobilen Stufenleiter markierte einst der Hanomag 2/10 PS, landläufig auch als Kommissbrot bekannt:

Hanomag 2/10 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das 1925 vorgestellte Miniaturmobil mit der damals als unschön empfundenen Pontonkarosserie musste sich mit einem 1-Zylinder-Motor begnügen. Dieser wurde übrigens per Seilzug links vom Fahrer gestartet.

Bereits dieses Detail lässt ahnen, warum der Traum vom Volksautomobil mit dem Hanomag „Kommissbrot“ ein solcher bleiben musste. Das Vehikel war schlicht zu primitiv, so liebenswert es auch daherkam.

Wie ein wirklich für die Motorisierung breiter Schichten geeigneter Wagen auszusehen hatte, das hatten erst Ford, später dann Austin und Citroen vorgemacht. Da half auch die rationelle Fertigung bei Hanomag nicht.

Nach nur etwas mehr als 15.000 Exemplaren endete 1928 die Fertigung des auch als „rasender Kohlenkasten“ titulierten Hanomag 2/10 PS – also im gleichen Jahr, als der Horch Typ 350 vorgestellt wurde.

Doch den Besitzer des Hanomag scheint die Konkurrenz der „richtigen“ Autos nicht angefochten zu haben. Er scheint sich auf dem Foto im offenen Zweisitzer durchaus wohlzufühlen.

Tatsächlich war er in einer Hinsicht mit seinem Wagen ungekrönter König – beim Benzinverbrauch. Während sich der schwere Horch an die 20 Liter genehmigte, bei Reisen ins Gebirge auch deutlich mehr, kam der Hanomag mit 5 Litern aus.

Kein Wunder, dass der Hanomag-Fahrer mit sich und der Welt im Reinen scheint, steht er doch gerade an einer Dorftankstelle, wo er für einen überschaubaren Betrag volltanken konnte.

Die Zapfsäule im Hintergrund ist leicht zu übersehen, daher auch hier eine Ausschnittsvergrößerung:

Interessant ist die senkrechte Beschriftung „SHELL“, die auf dem rechts angebrachten Schild zu sehen ist.

Die niederländische Firma war bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts am deutschen Markt aktiv, sodass eine Shell-Zapfsäule keine Seltenheit war. Doch solche Fotos mit einem Vorkriegsauto davor sind recht rar.

Ein Wunsch bleiben dürfte eine Aufnahme, die einen Horch 8 und einen Hanomag 2/10 PS gleichzeitig beim Tanken zeigt. Ganz ausschließen sollte man das jedoch nicht.

Eine ähnliche Konstellation – wieder unter Beteiligung des hier gezeigten Horch 8 Typ 350 Sedan-Cabriolet – konnten wir nämlich bereits hier präsentieren, nur nicht an der Tankstelle…

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Vom Fronteinsatz zur Heckansicht: BMW 315 Cabrio

Heute befassen wir uns einmal wieder mit dem BMW 315 – einem Vertreter der 1933 aufgelegten Serie flotter Sechszylinder, die Urväter des legendären Dreier-BMW.

Diese attraktiven Wagen besaßen erstmals das typische BMW-Gesicht mit der charakteristischen Doppelniere – hier am Modell 303 mit dem kleinsten Sechszylinder der Baureihe zu bewundern:

BMW 303; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der ein Jahr später herausgebrachte BMW 315 mit 1,5 statt 1,2 Liter brachte es bereits auf 34 PS, was bei einem Wagengewicht von etwas über 800 kg damals ein ordentlicher Wert war.

Auf hydraulische Bremsen mussten die Käufer verzichten – vermutlich eine Preisfrage oder man hielt die Bremswirkung gut eingestellter Seilzugbremsen für ausreichend.

Mit dem BMW 315 haben wir uns schon ausführlich befasst, nämlich hier. In der Sache lässt sich zu einem so gut dokumentierten Fahrzeugtyp kaum Neues sagen. Doch tauchen immer wieder Fotos auf, die den Wagen in nicht ganz alltäglichen Ansichten zeigen.

Dabei führt uns heute eine Aufnahme von einem außergewöhnlichen „Fronteinsatz“ zu einer seltenen „Heckansicht“ – oder zwei davon, um genau zu sein.

Dass die agilen BMW 3er nach Kriegsbeginn auch bei der deutschen Wehrmacht eingesetzt wurden – es gab sogar eine Kübelwagenvariante – ist auf vielen zeitgenössischen Bildern dokumentiert.

Etwas aus dem Rahmen fällt aber diese Aufnahme:

Zu sehen ist eindeutig ein BMW 315 in der Ausführung von 1934/35, zu erkennen an den auf sechs Felder verteilten Luftschlitzen in der Motorhaube.

Es handelt sich um ein ursprünglich in München (Kennung: II A) zugelassenes Cabriolet, das spätestens nach Kriegsbeginn beschlagnahmt und einer Abteilung des Heeres (WH auf dem Schutzblech steht für „Wehrmacht Heer“) zugeordnet wurde.

Der Wagen muss schon einige Zeit bei der Truppe im Dienst gewesen sein, das verraten die Abnutzungsspuren an der überlackierten Chromstoßstange. Wieso die Radkappe unlackiert blieb, ist rätselhaft – ein Ersatzteil, das noch nicht „militarisiert“ wurde?

Die Tarnaufsätze auf den Scheinwerfern sprechen ebenfalls dafür, dass wir eine Aufnahme nach Kriegsausbruch vor uns haben.

Die beiden Unteroffiziere hinter dem BMW sind nicht mehr die jüngsten – zumindest der eine ohne Mantel scheint Fronterfahrung zu haben, wie die Abzeichen auf der Feldjacke vermuten lassen – hier sind Kenner gefragt.

Was aber war wohl der Anlass dieser Aufnahme, auf der der BMW mit Blumen und Zweigen geschmückt zu sehen ist?

Vielleicht entstand das Foto bei einer Einheit, die 1939 bzw. 1940 vom Polen- oder Frankreichfeldzug in die Heimat zurückkehrte – bei diesen Gelegenheiten wurden die Heimkehrer an den Standorten mit großem Hallo begrüßt – man findet öfters Aufnahmen solcher Situationen, für die die Fahrzeuge geschmückt wurden.

Wie es dem BMW in den darauffolgenden Kriegsjahren ergangen ist, wissen wir nicht. Dafür haben wir zwei Aufnahmen eines solchen BMW 315 Cabriolets, das das Inferno überstanden hat.

Der Reiz dieser Fotos besteht zum einen darin, dass wir hier die selten abgelichtete Heckpartie sehen, zum anderen „leben“ sie von den einstigen Besitzern darauf:

BMW 315; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die ernst nach hinten schauende junge Dame mit Frisur und Hut im Stil der späten 1940er Jahre steht in denkbarem Kontrast zu dem mitgenommen wirkenden Wagen, der vor einer Berglandschaft aufgenommen ist.

Möglicherweise täuscht der Eindruck und das Auto ist bloß auf einer Urlaubsreise schmutzig geworden. Der gute Zustand des Verdecks spricht eher für eine gepflegte Substanz des Autos.

Außer dem Kennzeichen aus der britischen Besatzungszone Rheinland (Kennung: BR) sehen wir Radkappen im selben Stil wie auf dem Foto des Wehrmachts-Wagens.

Auch der markante Verlauf der seitlichen Zierleiste und die Form des angesetzten Kofferaums findet sich in der Literatur genau so beim viersitzigen BMW 315 Cabriolet des Baujahrs 1934/35.

Dass man den Typ aus dieser Perspektive so genau bestimmen kann, ist schon außergewöhnlich. Dabei halfen zeitaufwendige Recherchen und eine Prise Glück.

Nun aber die angekündigte zweite Aufnahme, die wohl von der feschen Dame gemacht wurde, die wir gerade kennengelernt haben:

BMW 315; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das ist ein ausdrucksstarkes Porträt, wie man es bei Amateuraufnahmen selten findet. Der großgewachsene Herr ist hier mit versonnenem Blick festgehalten, was mag in dem Moment hinter seiner Stirn vorgegangen sein?

Wir dürfen vermuten, dass wir es hier mit einem Paar zu tun haben, das sich auf dem Rückweg von einer Urlaubsreise befindet – beide sind kräftig gebräunt. Sie scheinen gutsituiert gewesen zu sein und legten Wert auf stilvolle Erscheinung.

Damals waren die Erinnerungen an den Krieg noch frisch und man meint, auf diesen Zeugnissen zu erkennen, dass die beiden zwar frei von materiellen Sorgen waren, aber dennoch nicht ganz unbeschwert durch’s Leben gingen.

Mehr wissen wir nicht – unser Paar scheint keine Nachkommen gehabt zu haben oder diesen waren die Fotos von einer Urlaubsreise im BMW aus alter Zeit gleichgültig.

Jetzt erfreuen wir uns an ihnen – ein anrührender Moment aus der Zeit vor bald 70 Jahren wird der Vergessenheit entrissen und im Netz wieder lebendig. Genau das ist die Magie von Vorkriegswagen auf alten Fotos

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Familienkutsche mit 6 Zylindern: Ein Opel von 1927

Wer heutzutage in die Verlegenheit kommt, eine Familie mit mehr als fünf Personen in seinem Auto unterzubringen, ohne gegen die Menschenrechte zu verstoßen, landet meist bei einem busartigen Gefährt von ernüchternder Funktionalität.

Diese hierzulande als „Van“ bezeichneten Wagen bieten viel Platz und Komfort, keine Frage – aber würde man sich damit anlässlich einer Ausfahrt ablichten lassen?

Wohl kaum, den Status als geschätztes Familienmitglied und nicht nur genutztes Arbeitspferd haben moderne Großraumlimousinen längst verloren.

Wie anders war das – und vieles mehr – vor rund 90 Jahren, als folgende Aufnahme bei einem Familienausflug entstand:

Opel 12/50 oder 15/60 PS; Originalfoto aus Sammlung Michal Schlenger

Diesen schönen Schnappschuss hat einst auf einer Wiese irgendwo im Rheinland ein Familienvater fabriziert, für den natürlich auch das Auto mit auf’s Bild gehörte.

Solche Aufnahmen macht man schon lange nicht mehr – heute lädt man stattdessen eitle Selbstporträts („Ich vor der Elbphilharmonie“) im Netz hoch oder verschickt Fotos aus dem Sterne-Restaurant („Der Nachtisch, ein Traum“), die keiner bestellt hat.

Dagegen gibt es selbst auf banalen Abzügen aus dem Familienalbum wie auf der obigen Aufnahme jede Menge zu entdecken.

Ob es der (mutmaßliche) Chauffeur links im Hintergrund ist oder der facettenreiche Kleidungsstil der übrigen Personen – auf so einem Foto ist oft weit mehr festgehalten als nur ein altes Auto – weshalb wir genau solche Aufnahmen lieben.

Dabei ist im vorliegenden Fall der Wagen selbst durchaus beachtlich, auch wenn er auf den ersten Blick schwer identifizierbar scheint. Wer an ein US-Massenprodukt wie Chevrolet denkt, liegt gar nicht so verkehrt.

Das Auto ist zwar kein US-Fahrzeug, war aber stark von amerikanischen Wagen inspiriert, die in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre den Markt im deutschsprachigen Raum überschwemmten.

Zu den einheimischen Firmen, die den Stil der großzügigen und gut ausgestatteten Sechszylinderwagen aus US-Produktion zum Vorbild nahmen, gehörte Opel.

Speziell die ab 1927 gebauten Opel-Modelle 90 und 100 mit über 3 Liter Hubraum und 50 bzw. 60 PS sollten eine Antwort auf die Herausforderung aus Übersee darstellen. Dabei scheute man auch vor plagiatsverdächtigen formalen „Anleihen“ nicht zurück:

Opel 12/50 oder 15/60 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme eines Opel 12/50 oder 15/60 PS haben wir bereits hier vorgestellt. Man erkennt gut den Kühler mit dem von Packard „inspirierten“ geschwungenen oberen Abschluss. 

Dieses Detail findet sich ab Herbst 1927 selbst bei den Einsteigermodellen von Opel und man muss sagen, dass es geschickt gewählt war, denn so wirkten die sonst formal unauffälligen Wagen weit raffinierter.

Was der „Packard“-Kühler ausmachte, wird auf unserem eingangs gezeigten Foto deutlich – es zeigt nämlich die erste Ausführung desselben Typs 12/50 bzw. 15/60 PS, die über einen schlichteren, oben abgerundeten Kühler verfügte:

Auf diesem leider unscharfen Ausschnitt erkennt man das augenförmige Opel-Emblem auf dem Kühler nur schemenhaft, doch die Ausführung der Scheibenräder mit sechs Radbolzen und feiner Zierlinie passt ebenso zu einem Opel-Sechszylinder von 1927 wie das seitliche Schwellerzierblech, auf dem man das Opel-Auge ahnen kann.

Dass wir hier nicht lediglich eine 6-Fenster-Limousine des Typs Opel 10/40 PS vor uns haben, verraten die schieren Dimensionen des Wagens, der eher über einen Radstand von 3,50 m als bloß 3,25 m wie beim Typ 10/40 PS verfügt haben dürfte.

Viel mehr wäre nicht zu sagen zu dieser frühen Ausführung des Opel 12/50 oder 15/60 PS, mit dem sich die Opel-Bildergalerie in diesem Blog weiter vervollständigen lässt.

Bemerkenswert bleibt, in welcher Wagenklasse Opel einst erfolgreich präsent war und welchen heute kaum denkbaren Stellenwert in den 1920er Jahren eine solche Limousine mit 6 Zylindern und Platz für eine Großfamilie hatte.

So vermittelt selbst eine unscheinbare Aufnahme wie diese eine Vorstellung davon, wie sehr sich die Zeiten in gerade einmal drei, vier Generationen geändert haben…

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Freundliche Besatzung im Rheinland: Citroen Typ B2

Franzosen im Rheinland – das erinnert den in deutscher Geschichte Bewanderten an ein weitgehend vergessenes Kapitel der Zeit nach dem 1. Weltkrieg.

Im Vertrag von Versailles (1919) war Frankreich die größte der vier alliierten Besatzungszonen entlang des Rheins für 15 Jahre zugesprochen worden.

Zwar blieb die lokale Verwaltung meist in deutscher Hand, Presse- und Meinungsfreiheit wurden aber stark eingeschränkt. Die Industrieproduktion floss weitgehend in Form von Reparationsleistungen nach Frankreich ab.

Auch wenn dies – wie die spätere Besetzung des Ruhrgebiets (1923) – zur Stärkung radikaler politischer Kräfte in Deutschland beitrug, war die Stimmung der Bevölkerung in den besetzten Gebieten nicht durchweg feindselig.

Offenbar arrangierte man sich mit den Verhältnissen und wer es sich leisten konnte, scheint zumindest in automobiler Hinsicht durchaus frankophil gewesen zu sein:

Die „Besatzung“ dieses Citroen mit Zulassung in der Rheinprovinz (Kennung: „IZ“) kommt dem Betrachter jedenfalls einigermaßen freundlich entgegen.

Der Abzug ist zwar verblasst und weist Beschädigungen auf, die sich nur teilweise retuschieren ließen. Dennnoch ist das eine schöne Aufnahme aus reizvoller Perspektive.

Dass wir hier einen Citroen sehen, ist klar – die typische Kühlerform und das schemenhaft erkennbare Markenemblem darauf sagen alles. Auf Anhieb nicht so einfach scheint die Identifikation des genauen Typs zu sein.

Die Citroen-Typen der frühen 1920er Jahre ähnelten sich nämlich vor allem von vorn sehr stark.

So könnte man der Ansicht sein, dass es sich um ein Exemplar des populären Typs C3 5CV handelt, wie er auf folgendem Auschnitt einer zeitgenössischen Ansichtskarte aus Dieppe zu sehen ist:

Trotz der mäßigen Qualität erkennt man hier alle Details wieder – bis hin zum Tankverschluss vor der Windschutzscheibe.

Eine Kleinigkeit verrät aber, dass unser Foto keinen dieser 80.000mal gebauten Wagen des Typs 5CV zeigt, mit dem Citroen zeigte, was mit Massenproduktion im Kleinwagensegment auch in Europa möglich war.

Dieses Modell war nämlich nur mit zwei, allenfalls drei Sitzen verfügbar, während der Citroen auf dem Foto eindeutig ein Viersitzer ist.

Wahrscheinlich haben wir es mit einem Vertreter des parallel verfügbaren Mittelklassetyps B2 bzw. seinem äußerlich ähnlichen Nachfolger B10 zu tun.

Diese Modelle waren etwas größer und mit ihrem 20 PS-Vierzylinder schon merklich leistungsfähiger. Erwähnenswert ist, dass der 1924/25 gebaute Citroen B10 der erste europäische Serienwagen mit Ganzstahlkarosserie war.

Zu ganz großer Form sollte Citroen zwar erst in den 1930er Jahren mit dem technisch brillianten und hinreißend schönen Typ 11CV auflaufen. Doch schon in den 1920er Jahren war klar: Mit so einem Franzosenwagen kann man sich sehen lassen.

Das wird sich auch der Besitzer eines Citroen B2 oder B10 aus dem Raum München gedacht haben, dessen Freundin hier verwegen auf dem Kühler herumturnt:

Wer sich nicht zu sehr ablenken lässt, wird registrieren, dass wir auch hier einen Viersitzer sehen – diesmal jedoch mit Rechtslenkung.

Denkbar, dass wir ein frühes Modell vor uns haben – das Auto natürlich, nicht die flotte junge Dame… Kenner von Vorkriegs-Citroens werden sicher sagen können, wann man von der ursprünglich üblichen Rechts- auf Linkslenkung überging.

Überlassen wir solche technischen Feinheiten den Fachleuten. Man kann diese alten Fotos auch einfach ohne vertiefte Kennerschaft genießen – diesen authentischen Charme der 20er Jahre bekommt heute jedenfalls keiner mehr hin.

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Ein schöner Traum: Mercedes-Benz 320 Cabriolet

Heute haben wir das Vergnügen, uns mit einem Mercedes der 1930er Jahre auf unerwartete Weise auseinanderzusetzen – das Beste kommt dabei zum Schluss.

Der Wagen, um den es geht, gehört zu den elegantesten Kreationen der Stuttgarter, auch wenn er nicht an die hinreißenden Kompressortypen 500 und 540 K heranreicht.

Auf den ersten Blick wirkt der Typ, um den es geht, sogar recht unscheinbar:

Mercedes-Benz 320 Cabriolet; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Ziemlich genau vor 80 Jahren – wohl im ausgehenden Winter 1938 oder 1939 – schoss jemand mit einer Mittelformatkamera diese stimmungsvolle Aufnahme.

Die Sonne steht nur flach über dem Horizont, der Wagen trägt die übliche Kunstledermanschette, mit der sich in der kalten Jahreszeit die Luftzufuhr drosseln ließ, damit der Motor rascher warm wurde.

Vielleicht war es einer der ersten milden Tage, an dem man bereits die Kraft der Sonne spüren konnte. Die nicht mehr ganz winterliche Kleidung der Insassen und das offene Verdeck sprechen dafür.

Dass wir hier einen Mercedes vor uns haben, verrät der Stern auf der Haube und der Radkappe – aber das genaue Modell erschließt sich erst beim näheren Hinsehen:

Für einen Mercedes 170 mit vier Zylindern ist der Vorderwagen zu voluminös, auch die mächtigen Scheinwerfer passen nicht dazu. Schon eher in Frage kommt der Sechszylindertyp 230, der ab 1937 gebaut wurde.

Doch eines macht stutzig: die gepfeilte Frontscheibe – das gab es serienmäßig nicht beim Typ 230. So bleibt nur der parallel gebaute Mercedes 320, bei dem die Werkscabriolets B und D eine solche keilförmige Scheibe besaßen.

Die beiden Varianten unterschieden sich nur durch die Zahl der Türen – zwei beim Cabriolet B und vier beim Cabriolet D.

Dummerweise lässt sich auf unserem Foto kaum entscheiden, ob wir es mit dem zwei- oder viertürigen Cabriolet zu tun haben – oder doch?

Mercedes-Vorkriegsspezialisten vor – möglicherweise verrät der Ausschnitt mehr, als es den Anschein hat. Der Verfasser tippt jedenfalls auf das zweitürige Cabriolet B.

Übrigens gab es auch ein traumhaftes Cabriolet des Mercedes 320 ohne Knickscheibe. Davon können wir zwar kein historisches Originalfoto zeigen, doch eine zeitgenössische Aufnahme tut es ausnahmsweise auch.

Hier haben wir solch einen 320er Mercedes mit flacher Frontscheibe mit den typischen zwei Reihen Luftschlitze in der Haube – die merke man sich bitte:

Mercedes-Benz 320 Cabriolet; Bildrechte: Michael Schlenger

Dieses herrliche Geschöpf war 2016 bei den Classic Days auf Schloss Dyck zu sehen. Es dürfte keine zweite Klassikerveranstaltung in Deutschland geben, bei der man so etwas schon auf dem Besucherparkplatz zu Gesicht bekommt.

Vermutlich handelt es sich hierbei um kein Werkscabriolet, sondern um einen Sonderaufbau eines deutschen Karosseriebauers der Vorkriegszeit – wer kann Genaues dazu sagen?

Zum Schluss stürzen wir uns in ein besonderes Vergnügen, bei dem gleich zwei Cabriolet B des Mercedes 320 eine wesentliche Rolle spielen.

Es handelt sich um einen Zusammenschnitt von Originalfilmaufnahmen aus den späten 1930er Jahren, unterlegt mit der eleganten Vertonung von „Hurry Home“ durch den schweizerischen Jazz- und Swingmusiker Teddy Stauffer.

Man muss dieses fabelhafte Dokument bis zum Ende genießen.

  • Am Anfang sehen wir zwei 320er Mercedes-Cabrios, von denen eines anschließend auf die Autobahn auffährt. Mit 78 PS und Spitzentempo 130 km/h war souveränes Überholen drin.
  • Bei 0:40 min kommt ein Opel Kapitän ins Bild – zwar nicht so elegant, aber durchaus eindrucksvoll.
  • Die reizvollen Szenen ab 0:57 min und 1:20 min gingen nur mit Außenbordkamera.
  • Freunde des BMW Dixi kommen bei 1:50 min auf ihre Kosten.
  • Wer gerne Milch trinkt, wird die junge Dame ab 2:17 min lieben.
  • Bei 2:45 min wird ein dicker US-Wagen überholt, sicher kein Zufall.
  • Nach Zwischenhalt in Leipzig kommt man bei 3:00 min in Dresden an, streift bei 3:05 min Breslau und ist schon bei 3:09 min in Stettin.

Das Beste aber kommt – wie versprochen – zum Schluss: Bei 3:15 min erreicht man Berlin – das Ziel. Dort kommen einige unerwartete Mitfahrer aus dem Mercedes, gefolgt von … aber sehen und genießen Sie einfach selbst:

© Videoquelle YouTube; Urheberrecht des Zusammenschnitts: Deutschlandsender

Das Ganze war ein schöner Traum, der durch eine unselige totalitäre Politik hierzulande zunichtegemacht wurde. Deutschland und die Welt würden anders aussehen, wenn vor 80 Jahren eine alternative Route gewählt worden wäre…

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Aus dem Familienalbum: BMW 320 Cabriolet

Heute bringen wir eine hübsche Reihe zusammengehöriger Fotos eines BMW 320 Cabriolets, das den 2. Weltkrieg im Rheinland überlebt hatte und das von seinen Besitzern noch einige Jahre lang zu Ausflügen eingesetzt wurde.

Die Aufnahmen sind keine Meisterwerke, vermitteln aber etwas von der Wertschätzung eines treuen alten Familienmitglieds auf vier Rädern in der Nachkriegszeit.

Das darin dokumentierte BMW-Modell ist für die Geschichte der Marke von Bedeutung, spiegelt es doch die neue Linie wider, die ab 1936 mit dem Typ 326 definiert wurde:

BMW 326 der Luftwaffe in Ahrweiler; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Mit den fast schon mit der Karosserie verschmelzenden Schutzblechen, der Knickscheibe und der dynamischen Gestaltung der seitlichen Luftschlitze war der Typ 326 wohl stilprägender als jeder bis dahin erschienene BMW.

Mit dieser unverkennbaren Optik ließ BMW die Vorgängermodelle weit hinter sich, die zwar schon die Doppelniere trugen, ansonsten aber wenig eigenständig erschienen:

BMW 319; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese BMW-Limousine des Typs 319 haben wir hier vorgestellt, auch sie übrigens auch ein Überlebender des 2. Weltkriegs.

Der Nachfolger dieses brav anmutenden 6-Zylinder-Modells mit 45 PS brachte zwar technisch wenig Neues mit sich, wirkte aber mit der vom BMW 326 inspirierten Karosserie wie ein Vertreter einer neuen Generation.

Hier haben wir den ab 1937 gebauten BMW 320 als Cabriolet – das Foto ist zugleich der Auftakt zu einem reizvollen Ausflug, den uns die Fotos aus einem längst zerfledderten Familienalbum ermöglichen:

BMW 320 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wer sich fragt, wie man dieses Fahrzeug vom BMW 326 oder 321 oder 329 unterscheiden soll, sei auf die Position des Türgriffs verwiesen. Nur beim BMW 320 waren die Türen wie heute üblich vorn „angeschlagen“.

Auf obiger Aufnahme fällt ansonsten auf, dass der Wagen Scheibenräder und nicht – wie an sich zu erwarten – gegossene Stahlspeichenräder besitzt. Möglicherweise stammen sie von einem anderen Fahrzeug.

Die glänzenden Radkappen verweisen zudem auf eine intakte Verchromung, was auf den folgenden Fotos anders aussieht.

Hier haben wir nun dasselbe Auto bei einem Ausflug auf ländlichen Nebenstraßen irgendwo im deutschen Mittelgebirge:

BMW 320 Cabriolet; Orignalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wie man bei genauer Betrachtung erkennt, scheute man sich seinerzeit nicht, auf unbefestigten Wegen die Landschaft zu „erfahren“.

Der Fotograf ging für diese Aufnahme in die Hocke und hat wohl einige Gräser im Vordergrund übersehen, die die dritte Person neben dem BMW verdecken. Wer wäre bei dieser Ansicht darauf gekommen, dass man einen BMW 320 vor sich hat?

Auf folgendem Foto sieht man immerhin die vorn angeschlagene Tür wieder, sodass man zusammen mit den schemenhaft erkennbaren Luftschlitzen in der Motorhaube auf den BMW 320 kommen könnte:

BMW 320 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch diese Aufnahme lässt erkennen, dass man einst beim „Autowandern“ auch vor Schotterpisten nicht zurückschreckte.

Außerdem zeichnet sich hier das Besatzungskennzeichen mit dem Kürzel „BR“ für „Britische Besatzungszone Rheinland“ ab.

Interessant ist die nächste Aufnahme aus derselben Reihe. Sie zeigt ebenfalls einen BMW aus der zweiten Hälfte der 1930er Jahre, aber mit anderer – nicht originaler – Lackierung und abweichendem (Besatzungs-)Kennzeichen:

BMW 320 (?) Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Eventuell zeigt das Foto denselben Wagen zu einem anderen Zeitpunkt und mit (umzugsbedingt) abweichendem Nummernschild.

Von der Optik her könnte es auch ein BMW 329 oder 326 sein. Wo mag diese Aufnahme entstanden sein? Vielleicht in der Eifel?

Wie auch immer – hier haben wir wieder „unseren“ BMW 320 mit bereits dokumentierten Insassen, nun mit interessantem Einblick in den Innenraum:

BMW 320 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Was hat die Dame auf der Rückbank in der Hand? Ein Teil einer Kamera? Überzeugende Erklärungen werden gern in den Blog-Eintrag aufgenommen.

Auch die folgende Aufnahme zeigt den BMW 320 mit der Kennung „735 458“ auf dem Kennzeichen der britischen Besatzungszone Rheinland.

BMW 320 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bemerkenswert ist hier das Fehlen des Nebelscheinwerfers auf dem gebogenen Halter oberhalb der Stoßstange. Auf dem vorletzten Foto sahen wir einen solchen Halter mit Scheinwerfer – ein Hinweis darauf, dass es ein und dasselbe Auto ist?

Nun folgt eine Aufnahme aus dieser Reihe, die für regelmäßige Leser dieses Blogs einen gewissen Wiedererkennungswert haben dürfte. Denn dieses Foto entstand wenige Jahre nach Kriegsende vor dem unversehrt geblieben Hauptportal des Kölner Doms:

BMW 320 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wer auch immer diese Aufnahme gemacht hat, fing gezielt den Teil der Westfassade der Kathedrale ein, die zum Glück kaum Schaden während der alliierten Bombardements der Kölner Altstadt nahm.

Nur ganz links außen sieht man einige Figuren, die ob des irrsinnigen Kriegsgeschehens den Kopf verloren hatten… Die im unbeholfenen Stil der frühen 1950er Jahre improvisierten Portale sind zum Glück später wieder korrigiert worden.

Unklar ist, wo das letzte Foto des BMW 320 Cabriolets aus dieser Reihe entstand:

BMW 320 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier passt der Erhaltungszustand des Abzugs sehr gut zum Motiv: ein ziemlich mitgenommener BMW 320 vor einer von Granateinschlägen oder Sprengbomben schwer gezeichneten barocken Kirchenfassade.

Weiß ein Leser, wo diese Aufnahme wenige Jahre nach Kriegsende entstanden ist?

Damit endet unser Ausflug im BMW 320 Cabriolet, der irgendwann in der frühen Nachkriegszeit begann und der Wahrscheinlichkeit nach zu urteilen auf einem Schrottplatz der 1950/60er Jahre endete.

Für uns Betrachter im 21. Jahrhundert, für die jeder Weltwinkel mühelos erreichbar ist, mögen die kleinen Fluchten aus dem Alltag, die so ein Wagen ermöglichte, bescheiden anmuten – doch damals war so etwas für die meisten Deutschen ein unerreichbarer Luxus.

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Auch Niedersachsen liebten ihn: Auf Tour im DKW F1

Nachdem der letzte Blog-Eintrag noch einem der ikonischen Wagen aus dem Hause Avions Voisin gegolten hatte, begeben wir uns in die vermeintlichen Niederungen der Alltagsmobilität im Deutschland der 1930er Jahre.

Das Fahrzeug, um das es geht, könnte simpler kaum sein – ein DKW F1, der abgesehen vom noch recht neuen Frontantrieb wenig Aufregendes zu bieten hatte. Dennoch besitzen diese 15 PS-Vehikel mit Zweizylinder-Zweitakter ihren eigenen Reiz.

Das gilt umso mehr, wenn man eine Reihe von Originalfotos ein und desselben Wagens in unterschiedlichen Situationen hat. Solche Dokumente verraten etwas von der Bedeutung, die diese aus heutiger Sicht bescheidenen Gefährte einst im Leben ihrer Besitzer hatten.

Beginnen wir mit dieser schönen Aufnahme aus dem Mai 1936:

DKW F1; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das ist keines der Bilder, wo der Wagen als Staffage für ein Foto der Familie oder der Beifahrerin herhalten muss – nein, hier hat jemand seinen vierrädrigen Liebling in den Mittelpunkt gerückt, und die Dame dient als dekoratives Beiwerk.

Viel vorteilhafter kann man so einen DKW F1 kaum ablichten, da war ein echter Liebhaber am Werk. Er hat seinem Auto sogar ein verchromtes Steinschlagschutzgitter gegönnt, das es ebenso als Zubehör gab wie den mittig angebrachten Nebelscheinwerfer.

Der Knick im unteren Bereich des Kühlergrills ist dem Fronantrieb geschuldet – zugleich ist dies das Haupterkennungsmerkmal des ersten Modells aus der langen Reihe von DKW-Fronttrieblern.

Beim Nachfolger wurde der Kühler weiter nach vorne verlegt und leicht geneigt, ab dann wurden die DKW-Modelle äußerlich richtig attraktiv.

Nun aber zurück zu unserem Fotomodell, das sich hier recht offenherzig zeigt:

DKW F1; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Für die Technikgourmets ist diese Aufnahme ein besonderer Leckerbissen – selten sieht man die beiden Querblattfedern und die Antriebswellen an der Vorderachse so gut.

Woran der trotz schütteren Haars noch junge Mann im Blau(?)mann über blütenweißem Hemd werkelt, ist ein wenig rätselhaft. Er selbst schaut sinnierend in die Ferne, als sei er der Lösung eines Problems auf der Spur.

Der Vorderwagen ist mit einem Wagenheber aufgebockt, was könnte der Grund dafür sein? Immerhin scheint der wackere DKW-Mann gut gerüstet für dergleichen Fahrtunterbrechungen gewesen zu sein:

Kenner der Vorkriegs-DKWs werden vermutlich schon hier erkennen, was unser Mechanikus für ein Teil in der Hand hält.

Wie es scheint, ist es ein kleines Bauteil, das man eher nicht im Bereich der Aufhängung oder des Antriebs vermuten würde. Viel kaputtgehen konnte da auch nicht, die Vorderachskonstruktion der DKW Fronttriebler galt als ausgesprochen robust.

Nun haben wir das Glück, dass von der Situation eine weitere reizvolle Aufnahme existiert, die wohl ebenfalls die Beifahrerin gemacht hat – vermutlich war sie mit der Perspektive noch nicht ganz zufrieden.

Recht hatte sie, es geht tatsächlich noch besser:

Hier haben wir den DKW F1  aus idealem Blickwinkel und nun scheint sich unser Schrauber auch angemessen mit dem Bauteil in seiner Hand zu befassen – oder ist er etwa eingenickt?

Auch diese Szene verdient eine nähere Betrachtung und nun meint man zu erkennen, welches Teil da Probleme zu bereiten scheint – höchstwahrscheinlich der Verteiler:

Jedenfalls würde das Erscheinungsbild zu einem Zweizylindermotor passen. Sachkundige Kommentare sind wie immer erbeten!

Schön zu sehen ist bei dieser Gelegenheit der vor der Schottwand angebrachte Benzintank mit Einfülllstutzen. Zum Tanken musste also stets die Motorhaube geöffnet werden – beim Volkswagen war dies bis in die 1960er Jahre ebenso.

Wir können sicher sein, dass der kleine DKW bald wieder lief und die Insassen gut nach Hause gebracht hat. Zwei Monate später – im Juli 1936 – war er jedenfalls wieder auf Tour, wie dieses entsprechend datierte Foto beweist:

Man merkt gleich, dass hier jemand anderes die Kamera bedient hat – Fokus und Schärfentiefe sind jedenfalls leicht „daneben“.

Dennoch ist das eine schöne Aufnahme, die die Atmosphäre eines sonnigen Sommertags irgendwo an einer Allee transportiert. In einer Cabriolimousine die Landschaft erfahren – auch mit 15 PS ein Genuss!

Dem aufmerksamen Betrachter wird natürlich nicht entgangen sein, dass unser DKW hier mit zusätzlichem Zierrat ausstaffiert ist:

Wie das Emblem mit den vier Ringen verrät, war der Besitzer des kleinen DKW offenbar stolz darauf, dass „seine“ Marke auch zum Auto Union-Verbund gehörte.

Kein Wunder: die neuen Rennwagen der Auto-Union machten damals international Furore – mit ihrem Mittelmotor waren sie die Wegbereiter der Moderne im Rennsport.

Der Eindruck, den diese Wagen hinterließen, war ungeheuerlich – selbst eine biedere Publikation wie die „Illustrierte Versicherungs-Zeitschrift“ brachte 1934 einen Auto-Union Rennwagen mit Großmeister Hans Stuck auf dem Titelblatt:

Originalzeitschrift aus Sammlung Michael Schlenger

Gut verständlich, dass mancher Fahrer älterer DKWs sich nun berechtigt sah, die vier Ringe des Auto Union-Verbunds, zu dem die Marke seit 1932 gehörte, auf den Kühler zu montieren.

Tatsächlich wurde das Emblem bei den späteren Modellen der vier Konzernmarken Audi, DKW, Horch und Wanderer auch werksseitig verbaut.

Nach dem Krieg wurden dann eine Weile auf DKW-Technik basierende Auto Union-Wagen in der Bundesrepublik gebaut, die ebenfalls die vier Ringe trugen. Die neugegründete Marke Audi übernahm diese Tradition und ist heute als Treuhänder aller ehemaligen Auto Union-Marken tätig – vorbildlich!

Wie man sieht, genossen die vier Ringe schon vor über 80 Jahren Prestige. Unsere kleine Bilderserie transportiert etwas vom Stolz der einstigen Besitzer aus Niedersachsen, für die der DKW F1 vermutlich das erste Auto war.

Damit müssen sie viele Ausflüge unternommen haben, soweit das die wenigen Urlaubstage zuließen, die man damals als Arbeitnehmer hatte.

So zeigt ein letztes Foto den wackeren DKW ebenfalls im Juli 1936 bei einem Halt irgendwo im Pegnitz-Tal in Franken (Landkreis Bayreuth):

DKW F1; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Was die fesche junge Dame wohl gerade für eine Lektüre in Händen hält? Denkbar, dass sie einen Reiseführer oder eine Straßenkarte konsultiert – wir werden es nicht mehr erfahren.

Was bleibt, sind Zeugnisse vom einstigen Rang dieser heute mitunter belächelten Automobile, die damals Deutschlands volkstümlichste Wagen waren. Sie hoben ihre Besitzer aus der Masse derer hervor, für die schon der Besitz eines Motorrads etwas ganz Besonderes war und ein Auto meist ein unerfüllter Traum blieb.

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Weihnachtsgruß vor 90 Jahren: Chrysler 70 von 1927

Heute – am 26.12.2017 – befassen wir uns mit einem historischen Originalfoto eines Vorkriegswagens, das zwar keine große Rarität zeigt oder Rätsel birgt – aber schlicht vom Zeitpunkt passt.

So sandte vor genau 90 Jahren, an Weihnachten 1927, ein stolzer Automobilist aus Thüringen dieses Foto als Grußkarte an einen Freund in Erfurt:

Chrysler 70, Baujahr 1927; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das ist ein Foto ganz nach unserem Geschmack:

Im Vordergrund ein schöner Tourenwagen der 1920er Jahre aus idealer Perspektive aufgenommen, im Mittelgrund eine Straße, die sich bergan schlängelt, und im Hintergrund darüber die Silhouette einer mittelalterlichen Burg.

Verwöhnte Vorkriegsautofreunde mögen den Wagen als Massenware abtun – es ist ja nur ein Chrysler „Six“ Typ 70. Überlebende Exemplare bekommt man als „3“er in den USA heute für rund 10.000 Dollar.

Doch zumindest ein solches Foto machen konnte und kann man für viel Geld und gute Worte in den Staaten nicht machen – dazu fehlt es im wahrsten Sinne des Wortes am geschichtlichen Hintergrund.

Umgekehrt ließ sich mit einem solchen Chrysler im Thüringen der Vorkriegszeit Furore machen – für deutsche Verhältnisse war das nämlich ein Wagen, wie er von einheimischen Herstellern kaum zu bekommen war, wie noch zu zeigen sein wird.

Der in zünftiges Leder gekleidete Besitzer hatte also allen Grund zufrieden dreinzuschauen:

Einige Details auf diesem Ausschnitt lassen bereits ahnen, dass dieser Tourer vielleicht doch nicht ganz so ordinär ist.

Markant sind die dunkel abgesetzten Felder an den vorne angeschlagenen Türen. Sie stellen einen individuellen Akzent auf dem sonst zeittypischen Tourenwagenaufbau dar und korrespondieren mit den ebenfalls dunkel gefassten Schutzblechen.

Solche Mehrfarblackierungen sind nur einer von vielen Aspekten, die Vorkriegswagen so faszinierend anders machen. Bei neuzeitlichen Autos geht das mangels klar voneinander abgegrenzter Bauelemente in der Regel kaum noch.

Ein weiteres Detail fällt auf dem folgenden Ausschnitt ins Auge:

Derartige tropfenförmigen Scheinwerfer waren Ende der 1920er Jahre noch sehr ungewöhnlich – üblich waren diese trommel- oder schüsselförmig.

Bei Chrysler tauchen sie Ende 1926 erstmals auf und auch nur bei den Sechszylindermodellen. Damit können wir schon einmal den gleichzeitig verfügbaren Vierzylinder mit 38 PS ausschließen.

Zum Vergleich ein solcher Chrysler „Four“ von 1926/27 mit den dort üblichen trommelförmigen Scheinwerfern:

Chrysler „Four“, Baujahr: 1926/27; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier fehlen auch die verchromten Trittschutzbleche am Schweller, die auf dem Foto des thüringischen Wagen zu erkennen sind.

Drei kultivierte Reihensechser bot Chrysler damals an, alle mit siebenfach gelagerter Kurbelwelle. Verfügbar waren folgende Leistungsvarianten: 54 PS (Typ 60), 68 PS (Typ 70) und 92 PS (Typ 80).

Den üppig motorisierten Typ 80 können wir ausschließen, er war an einem nach Packard-Machart abgetreppt geformten Kühlergehäuse zu erkennen. Bleiben die beiden „kleinen“ Sechszylinder mit 3 bzw. 3,5 Liter Hubraum.

Wie es scheint, waren dem größeren der beiden – also dem Typ 70  – die Trittschutzbleche und bei den offenen Versionen auch die Farbakzente an der Flanke vorbehalten – man beachte hier auch den feinen Zierstreifen auf dem Schweller:

Dieser Wagen scheint nach der Lage der Dinge ein Chrysler Typ 70 mit Werkskarosserie gewesen zu sein. Ein Bedarf nach einem Manufakturaufbau bestand bei einem so gelungenen Erscheinungsbild kaum.

Auch in technischer Hinsicht ließ der Wagen wenig zu wünschen übrig – so besaß dieses aus US-Sicht in der Mittelklasse angesiedelte Fahrzeug bereits hydraulische Vierradbremsen.

Kein Wunder, dass die lange selbstzufrieden vor sich hin werkelnden deutschen Autohersteller ab 1927 in hektische Betriebsamkeit verfielen: Opel brachte damals die Sechszylindertypen 12/50 PS und 15/60 PS, jedoch noch mit Seilzugbremsen.

Adlers Standard 6 war dem Chrysler 70 immerhin in punkto Bremsen gewachsen, seine Leistung fiel jedoch mit 45, später 50 PS deutlich geringer aus.

So gab es für die obendrein gut ausgestatteten und zuverlässigen „Amerikanerwagen“ Ende der 1920er Jahre hierzulande einen nicht unbedeutenden Markt. Die vielen Originalfotos von US-Modellen der 1920er/30er Jahre in diesem Blog zeugen davon.

Bleibt am Ende nur eine Frage offen: Wo entstand einst diese Aufnahme – erkennt jemand die Burg im Hintergrund?

Nachtrag: Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Leser Helmut Kasimirowicz aktivierte sein Netzwerk in Thüringen, das umgehend die südlich von Jena über dem Mittleren Saaletal thronende Leuchtenburg als Lösung lieferte.

Auch der Aufnahmeort lässt sich exakt lokalisieren – eine scharfe Kurve der heutigen L 1062 zwischen Seitenroda und Kahla. Von dort bietet sich heute noch der gleiche Blick annähernd ostwärts auf die Burganlage.

Nur auf einen so schönen Wagen wird man dort heute vergeblich warten…

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Der Teufel steckt im Detail: 2 Adler „Standard 6“ Cabriolets

Im letzten Blogeintrag haben wir uns mit der Bedeutung des Begriffs „Standard“ als Typbezeichnung bei Vorkriegsmodellen befasst – und in dem Zusammenhang auch den Adler „Standard 6“ der späten 1920er Jahre erwähnt.

Da die Adler-Freunde hier schon länger nicht bedacht wurden, nutzen wie die Gelegenheit und nehmen uns gleich zwei Exemplare des großzügigen Modells aus den Frankfurter Adlerwerken vor.

Dabei zeigt sich, dass man genau hinsehen muss, um die jeweilige Ausführung der Wagen identifizieren zu können, die keineswegs „Standard“ ist. Auf der folgenden Aufnahme sieht man zunächst einmal nicht viel Auto:

Adler Standard 6 oder Favorit; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir eine sehr schöne Fotopostkarte, die einst von einem herrschaftlichen Anwesen im ehemaligen deutschen Osten verschickt wurde.

Wer diese malerische Aufnahme gemacht hat, für den stand das Auto mit Zulassung in der Provinz Pommern nicht im Mittelpunkt. Hier ging es darum, die Atmosphäre eines lichtdurchfluteten Sommertags einzufangen – das ist eindrucksvoll gelungen.

Für unsere Zwecke müssen wir tief in das Foto hinein“zoomen“ – zum Glück ist die Qualität des fast 90 Jahre alten Abzugs für eine heftige Ausschnittsvergößerung gut genug, wie man sieht:

Das ist nebenbei ein schönes Beispiel dafür, dass historische Autofotos dann besonders reizvoll sind, wenn sie „belebt“ sind.

Die beiden Kinder am Eingang zum Herrenhaus schaffen ein Gegengewicht zu dem mächtigen Wagen und rücken zugleich seine Dimensionen ins Verhältnis.

Wem der „Look“ des Autos amerikanisch vorkommt, liegt zwar im Hinblick auf den Hersteller falsch, hat aber in stilistischer Hinsicht den richtigen Riecher. Dieser Wagen sollte nämlich genau diesen Eindruck hinterlassen.

Abgesehen von der dreieckigen Emaille-Plakette mit dem Adler-Symbol auf der Kühlermaske wirkt hier nichts „deutsch“:

Mit dem ab 1927 gebauten „Standard 6“ und dem äußerlich sehr ähnlichen Vierzylindermodell „Favorit“ gelang den Frankfurtern eine perfekte Imitation des seinerzeit maßgeblichen US-Stils.

Das war auch bitter nötig, denn die in jeder Hinsicht modernen „Amerikanerwagen“ machten seit Mitte der 1920er Jahre den an veralteten Konzepten festhaltenden einheimischen Herstellern das Leben schwer.

Mit dem anfänglich 45, später 50 PS leistenden Sechszylindermotor und  hydraulischen Vierradbremsen war der Adler Standard 6 auch technisch auf der Höhe der Zeit.

Zwar blieben die Stückzahlen (ca. 20.000 Exemplare) wie bei allen deutschen Herstellern weit hinter den Produktionsmengen der US-Marken zurück. Doch immerhin war das Modell so erfolgreich, dass es diverse Karosseriehersteller auf den Plan rief.

Dass wir es mit keinem Standardaufbau zu tun haben, sieht man spätestens hier:

Offenbar handelt es sich um ein zweitüriges und zweifenstriges Cabriolet.

Ein Sport-Cabriolet in diesem eleganten Stil mit dunkel abgesetzter Zierleiste an der Tür gab es beispielsweise von Karmann, doch auch andere Manufakturen sind denkbar.

Genau wird sich das vielleicht nicht mehr klären lassen. Der Teufel steckt aber auch in anderer Hinsicht im Detail. Die Aufnahme könnte nämlich auch das vierzylindrige Schwestermodell des Standard 6, den „Favorit“, zeigen.

Dieser unterschied sich äußerlich nur durch größere Reifen und sieben statt fünf Radbolzen vom Sechszylinder, zumindest in der ersten, bis 1930 gebauten Serie mit horizontalen statt senkrechten Luftschlitzen in der Motorhaube.

Genau diese Unterscheidungsmerkmale bleiben uns aus diesem Aufnahmewinkel verborgen. Vielleicht kann ein „adlerkundiger“ Leser dennoch Genaueres sagen.

Erst ab 1930 kam man in den Adlerwerken auf die Idee, die verfügbaren  Motorisierungen voneinander optisch unterscheidbar zu machen. Das tat man so wirksam, dass der genaue Typ sogar auf folgender, mäßiger Aufnahme erkennbar ist:

Adler Standard 6, 2-Fenster-Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses Foto entstand Anfang der 1930er Jahre an einem Wintertag bei Remagen.

Gleich mehrere markante Details sind zu erkennen:

  • senkrechte Luftschlitze in der Haube
  • oben in der Kühlermaske angesiedeltes Adler-Emblem
  • rautenförmiges Emblem über dem Nebelscheinwerfer
  • fünf Radbolzen
  • leicht geneigte Frontscheibe

Hier eine Ausschnittsvergrößerung, die das besser erkennen lässt:

Das Nummernschild mit der römischen Ziffer „I“ verweist übrigens auf eine Zulassung in der Region Bautzen in Sachsen.

Was lässt sich nun zu dieser Ausführung sagen? Nun, trotz der nur fünf Radbolzen ist das kein Vierzylinder des Typs „Favorit“.

Ab 1931 verfügte zwar nur noch der Achtzylindertyp  „Standard 8“ über sieben Radbolzen. Doch gleichzeitig wurden die Sechs- und Achtzylindermodelle in dem rautenförmigen Feld vor dem Kühler kenntlich gemacht.

Beim Favorit sparte man sich eine „4“ an dieser Stelle – das wäre so prestigeträchtig gewesen wie das „D“ hinter der „200“ bei neuzeitlichen Mercedes-Modellen…

Ob nun „Standard 6“ oder „Standard 8“ – dieses Auto ist auf jeden Fall etwas Besonderes. Das wird auf dem zweiten erhaltenen Foto desselben Wagens deutlich:

Adler Standard 6, 2-Fenster-Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sehen wir den Adler endlich vollständig – auch die mutmaßliche Gattin des Besitzers ist hier deutlich vorteilhafter abgelichtet.

Der Ehemann ließ bei dieser Gelegenheit dem Chauffeur den Vortritt, der mit verwegen sitzender Schirmmütze hinter „seinem Adler“ posiert.

Den angestellten Fahrer ebenfalls mit im Fotoalbum zu verewigen, das zeugt von Wertschätzung und Stil – man findet das oft auf solchen historischen Aufnahmen.

Bleibt die Frage, welche Variante des Adler Standard 6 (oder 8?) wie hier sehen.

Wie auf dem Bild des Wagens aus Pommern handelt es sich um ein zweitüriges Cabriolet. Jedoch verfügt dieses Exemplar über vier Seitenfenster.

Einen Adler genau in dieser Ausführung konnte der Verfasser in der ihm vorliegenden Literatur bislang nicht finden. Das will aber nichts heißen, denn er kennt sich bei deutschen Vorkriegsautos überall ein bisschen, aber nirgends richtig aus.

Daher: Adler-Spezialisten vor – wer lieferte die Karosserie dieses Adler, der einst einem sächsischen Paar nebst Fahrer zu einem Ausflug an den Rhein diente?

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Einst „ein Standard“: Chevrolet Six von 1934 im Schnee

Bei der Beschäftigung mit Vorkriegsautos begegnen einem viele Bezeichnungen, deren Bedeutung in Vergessenheit geraten ist.

Nehmen wir als Beispiel folgendes Gefährt:

Oryx Doppel-Phaeton, Abbildung aus „Motor“, Ausgabe 01-1914

Ein Doppel-Phaeton der einstigen deutschen Marke Oryx. Klingt gleich doppelt geheimnisvoll, nicht wahr?

Originalfotos von Oryx-Wagen sind eine Rarität; wir werden aber gelegentlich welche zeigen können – insofern noch etwas Geduld. Was hat es unterdessen mit dem „Doppel-Phaeton“ auf sich?

Die Bezeichnung Phaeton für einen offenen, ursprünglich zweisitzigen Wagen (daher anfänglich „Doppel-Phaeton“ für offene Viersitzer) leitet sich von der griechischen Sagengestalt Phaeton ab.

Der war der Sohn des Sonnengottes Helios, welcher nach antiker Vorstellung mit seinem von vier Rossen gezogenen Wagen die Sonne über den Himmel fährt. Phaeton lieh sich der Sage nach das Gefährt für eine Spritztour aus, die im Desaster endete.

Nach dem 1. Weltkrieg kam die Bezeichnung Phaeton für einen offenen Viersitzer mit seitlichen Steckscheiben aus der Mode und wurde durch den „Tourenwagen“ verdrängt – hier in „fortschrittlicher“ Schreibweise:

NSU-Reklame um 1920; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Jüngere Zeitgenossen verbinden heute mit „Tourenwagen“ etwas ganz anderes – ein Beispiel dafür, wie Sprache und damit einhergehende Assoziationen im Fluss sind.

Besonders schillernd ist der Begriff „Standard“, der uns in der Automobilgeschichte an vielen Stellen begegnet.

Während man damit heute meist das Gegenteil von etwas Besonderem meint – nämlich „soliden Standard“ – war die ursprüngliche Bedeutung eine ganz andere.

Standard – das leitet sich aus dem germanischen Wort „standort“ ab. Der „standort“ war der Ort, wo sich Zelt und Feldzeichen eines Heerführers – oder in Friedenszeiten Quartier und Fahne eines Herrschers auf Reisen – befanden.

Die Bezeichnung „standort“ übertrug sich auf das dort aufgepflanzte Zeichen militärischer und politischer Macht – die „Standarte“.

Ein Standard verweist also ursprünglich auf eine Führungsrolle und Machtposition bzw. auf ein Orientierungszeichen, nach dem sich sich alle richten.

So setzten die römischen Legionen mit ihrer Adler-Standarte im Wortsinne über Jahrhunderte die Standards in Sachen Organisation, Disziplin und Kampfkraft.

Vor diesem klassischen Hintergrund wird verständlich, wie selbstbewusst die Bezeichnung der Typen „Standard 6“ und „Standard 8“ der Adlerwerke war.

Diese mächtigen Wagen standen am deutschen Markt einst für Vorbildlichkeit – also gerade nicht für Durchschnitt. Hier haben wir einen der wenigen Überlebenden des schon zur Entstehungszeit seltenen Adler „Standard 8“:

Adler „Standard 8“ in der Central-Garage Bad Homburg; Bildrechte: Michael Schlenger

So sind wir auf verschlungenen Pfaden zum eigentlichen Gegenstand des heutigen Blog-Eintrags gekommen.

Es geht darum zu verstehen, warum Mitte der 1930er Jahre ein Hersteller ein Modell mit 3-Liter großem, 60 PS starken Sechszylinder als „Standard“ anbot.

Die Rede ist hier nicht von einem deutschen Wagen, sondern von einem aus den USA. Die Bezeichnung „standard“ hat übrigens aus dem Germanischen über das Französische ins Englische Einzug gehalten.

So begegnet uns auch bei Wagen aus England und den USA immer wieder der Namenszusatz „Standard“ – bei den Briten gab es sogar eine Marke namens „Standard„.

Interessant ist zu sehen, dass zumindest bei den US-Wagen „Standard“ eher das bezeichnete, was wir heute darunter verstehen, nämlich ein Modell, das marktgängige Qualitäten bot, aber nicht die Spitze markierte.

Ein Beispiel dafür ist der Chevrolet Standard Six von 1934, den wir hier bei einem winterlichen Ausflug im Februar 1935 in Deutschland sehen:

Chevrolet Standard Series DC Six; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wenn man sich den automobilen „Standard“ auf deutschen Straßen in den 1930er Jahren vergegenwärtigt, möchte man kaum glauben, dass dieser großzügige und gut motorisierte Wagen aus Sicht des Herstellers ebenfalls nur „Standard“ darstellte.

Beworben wurde das Modell als billigster Sechszylinder am US-Markt – eine Argumentation über den Preis ist nicht gerade das, was man bei Spitzenerzeugnissen tut.

Chevrolet konnte sich das leisten, denn neben dem „Standard Six“ hatte man noch einen „Master Six“ im Programm, der mit 80 PS aus 3,4 Liter Hubraum und innovativer Vorderradaufhängung deutlich darüber angesiedelt war.

Kurioserweise entstanden vom Chevrolet „Standard Six“ des Modelljahrs 1934 „nur“ 99.500 Exemplare, vom „Master Six“ dagegen mehr als viermal so viele.

Das illustriert den Reifegrad, den der US-Automarkt damals erreicht hatte. Der Markt für „Standard“-Lösungen war mittlerweile kleiner als der für leistungsfähigere und fortschrittlichere Modelle.

Die Bedeutungsverschiebung des Begriffs „Standard“ wird übrigens zur gleichen Zeit auch in Deutschland erkennbar.

Denn ab 1934 bietet Adler sein weiterentwickeltes 6-Zylindermodell mit 60 PS nicht länger als „Standard 6“ an, sondern als „Diplomat“. Eines dieser trotz „Standard“-Karosserie von Ambi-Budd eindrucksvollen Fahrzeuge haben wir hier vorgestellt.

Das war in formaler wie technischer Hinsicht ein Wagen ganz auf der Höhe der Zeit:

Adler „Diplomat“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Als „Standard“ wollten ihn die Adlerwerke nicht mehr anpreisen – wie so vieles hatte sich das Verständnis des einstigen Synonyms für „richtungsweisend“ gewandelt.

Solche Umwertungen von Werten kennzeichnen auch die Gegenwart – man denke an den Begriffswandel, den Attribute wie „bürgerlich“ oder „konservativ“ durchlaufen haben – sie werden heute oft im Sinne von „rückständig“ bis „reaktionär“ verwendet.

Man sieht: Jede Zeit setzt ihre eigenen Standards – ob immer zum Guten, weiß man erst im Nachhinein…

 

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