Achtender in den Schweizer Bergen: Oldsmobile von 1934

Zu den Ländern, die schon immer fast vollständig auf den Import von Automobilen angewiesen waren, gehört die Schweiz.

Das erstaunt, haben doch gerade die Schweizer etliche führende Adressen in den Bereichen Mechanik und Maschinenbau geschaffen. Dass sie auch hervorragende Automobile bauen konnten, zeigte bereits früh die Firma Martini.

Die Waffenfabrik aus Neuchatel begann noch vor 1900 mit eigenständigen Konstruktionen und machte bald mit Sporterfolgen von sich reden. Dazu passt diese Aufnahme aus einer Zeitung von 1908:

Martini_1908_Galerie

Martini-Voiturettes von 1908; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Die Abbildung zeigt die Rennsportwagen, mit der Martini 1908 beim Grand Prix de Voiturettes in Dieppe antrat, vor der Abfahrt nach Frankreich.

Zu großer Form liefen die Martini-Wagen erst in der Zwischenkriegszeit auf, doch das ist sehr relativ – die Firma baute insgesamt nur 3.500 Wagen.

Da Martini als erfolgreichste Automarke der Schweiz gilt, kann man sich vorstellen, welche winzigen Stückzahlen die anderen Fabriken herstellten…

Zu erklären ist dies wohl damit, dass die Schweiz für einen nennenswerten Autoabsatzmarkt lange Zeit viel zu arm war.

Wenn die Schweiz heute zu den reichsten Ländern der Welt gehört, hat sie das zum einen klassischen Tugenden zu verdanken: Anstrengungsbereitschaft, Wissbegier, Erfindungsreichtum, Fleiß, Disziplin und Können.

Zum anderen hat die Volksherrschaft verhindert, dass das Land seine Energie in Kriegen, Revolutionen und anderen gegen die Interessen der Bürger gerichteten  Aktivitäten verpulvert.

Die wirtschaftlichen Früchte des Schweizer Modells begannen erst in den 1930er Jahren allmählich sichtbar zu werden.

Eindrucksvoll illustriert wird dies durch die folgende Aufnahme:

Oldsmobile L-Series von 1934; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch wenn für uns das Fahrzeug im Mittelpunkt steht, kann man sich der dramatischen Wirkung dieses Fotos nicht entziehen.

Wie hier die das Gebäude nebenan, der Telegrafenmast und die Berglandschaft einbezogen wurden, alle Achtung. Ein Mehr an Kontrast und Tonwertreichtum ist kaum vorstellbar – hier wurde auch in der Dunkelkammer beste Arbeit abgeliefert.

Die vier Personen an dem Wagen waren es gewohnt, fotografiert zu werden – nur der kleine Hund schien keine Lust zu haben und musste festgehalten werden.

Die gelungene Inszenierung ist des Wagens würdig, den wir hier vor uns haben:

Dass das Auto aus amerikanischer Produktion der 1930er Jahre stammt, ist klar.

Der schrägstehende Kühlergrill mit den gedoppelten Zierleisten und die bis auf die Stoßstange hinuntergezogenen Vorderschutzbleche erlauben eine zeitliche Einengung auf die erste Hälfte der 1930er Jahre.

Die US-Autos jener Zeit wurden jedes Jahr stilistisch überarbeitet und alle Hersteller waren darauf bedacht, in gestalterischer Hinsicht nicht den Anschluss zu verlieren. Hier war bereits voll ausgeprägt, was in der Nachkriegszeit noch bizarre Blüten am US-Automarkt treiben sollte.

Ein eigenes Gesicht hatten damals von den großen Produzenten noch am ehesten die Fahrzeuge von Ford und Chrysler. Bei den Marken aus dem General Motors-Konzern fällt es mitunter schwer, die Typen auseinanderzuhalten.

Im vorliegenden Fall probierte der Verfasser erst einmal die üblichen Verdächtigen aus: Buick, Chevrolet und Cadillac. Dann kamen die unabhängigen Marken Hudson und Studebaker an die Reihe – ebenfalls Fehlanzeige.

Erst die Suche nach vergleichbaren Wagen von Oldsmobile lieferte einen Treffer: Das ist eindeutig ein Achtzylinder der L-Serie von 1934. Äußerlich sehr ähnlich, aber kürzer war die F-Serie mit Sechszylindermotor.

Leistungsmäßig nahmen sich die beiden Versionen nicht viel: ein Oldsmobile der F-Serie verfügte über 84 PS, beim Achtender der L-Serie waren es 90 PS.

Die in einem Oval eingefasste „8“ unten am Kühler verrät, dass sich der Käufer des Oldsmobile auf dem Foto einst für das Spitzenmodell entschieden hatte.

Das konnte sich in der Schweiz in den 1930er Jahren nur jemand leisten, der in Industrie, Handel oder Finanzen zu Geld gekommen war. Dazu will das Kennzeichen mit „ZG“ für den kleinen Kanton Zug nicht recht passen.

Möglicherweise ging der Besitzer aber im Nachbarkanton Zürich einer lukrativen Tätigkeit nach. Leider wissen wir nichts über Ort und Datum der Aufnahme.

Übrigens: Die bereits 1897 von R.E. Olds im US-Bundesstaat Michigan gegründete und 1908 vom General Motors-Verbund übernommene Marke verbaute schon seit 1916 eigene V8-Motoren in ihren Wagen.

Dies unterstreicht einmal mehr, wie weit ihrer Zeit voraus die amerikanische Automobilindustrie einst war.

Auch 1934 musste sich ein Oldsmobile mit seiner Einzelradaufhängung vorne noch nicht vor der inzwischen aufholenden europäischen Konkurrenz verstecken.

Bezieht man Ausstattung, Leistungsfähigkeit und Preis ein, waren die „Amerikaner“-Wagen dank industrieller Massenproduktion immer noch kaum zu schlagen. Erst nach dem Krieg gewannen die europäischen Hersteller die Oberhand.

Das Ergebnis ist bekannt – außerhalb der USA spielen amerikanische Autos schon lange keine wesentliche Rolle mehr.

Auch die Zeiten, in denen man in der Schweiz in den Großstädten noch jede Menge Ami-Straßenkreuzer sehen konnte, sind seit den 1970er Jahren vorbei.

Die ehrwürdige Marke Oldsmobile ging aber erst 2004 unter – nach 107 Jahren! Damit überlebte sie die erwähnte Schweizer Marke Martini um mehr als 80 Jahre.

Die Ironie der Geschichte will es, dass bei Martini im Jahr 1934 die Lichter ausgingen – just in dem Jahr, in dem in Michigan „unser“ Oldsmobile gefertigt wurde, der anschließend auf die lange Reise in die ferne Schweiz gehen sollte…

Mit etwas Glück gibt es den Wagen vielleicht noch – wer weiß?

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

 

 

1949: Ein BMW 3/15 „Wartburg“ Roadster am Rhein

Wie kommt ein „Wartburg“ nach dem 2. Weltkrieg an den Rhein? Und wie gelangt ein BMW Roadster an diese Bezeichnung?

Das sind Fragen, die wir auf diesem Oldtimerblog für Vorkriegsautos gern anhand originaler Fotos aus der Sammlung des Verfassers beantworten.

Beginnen wir beim ältesten Baustein – im wahrsten Sinne des Wortes – der Wartburg bei Eisenach in Thüringen.

Die Wartburg verbindet man mit dem Aufenthalt von Martin Luther 1521/22, der dort das Neue Testament ins Deutsche übersetzte.

Der große Bekannheitsgrad der Wartburg brachte die 1896 gegründete Fahrzeugfabrik Eisenach auf die Idee, ihre ab 1898 nach Decauville-Lizenz gebauten Automobile danach zu benennen.

Hier haben wir einen solchen „5 PS Wartburgwagen“:

Wartburgwagen von 1899; Aufnahme des Verkehrsmuseums Dresden

Nach Anfangserfolgen geriet der Mutterkonzern in Schwierigkeiten und die Fahrzeugwerke Eisenach kamen 1903 unter neue Kontrolle. Damit endete vorerst die Tradition der „Wartburg“-Wagen.

Die ab 1904 in den Fahrzeugwerken Eisenach gefertigten, selbstentwickelten Autos wurden dann unter der neugeschaffenen Marke Dixi verkauft.

Betrachtet man die Modellvielfalt der Dixi-Wagen, fällt es schwer, ein Konzept zu erkennen. Gewiss, in Eisenach entstanden solide konstruierte, gut verarbeitete Fahrzeuge – doch kaum eines brachte es auf nennenswerte Stückzahlen.

Dixi Typ 6/24 PS; Originalfoto aus Sammlung René Försch

Auch nach dem 1. Weltkrieg gelang es Dixi nicht, von der Kleinserien-Manufaktur wegzukommen – auf Dauer konnte das nicht gutgehen.

Dass die Rettung nur in rationeller Serienfertigung eigens dafür konstruierter Modelle liegen konnte, erkannte man in Eisenach – wie auch bei anderen deutschen Automobilherstellern – zu spät.

Erst 1927 begann Dixi mit der Lizenzfertigung des damals nicht mehr ganz taufrischen, aber massenmarkttauglichen Austin „Seven“.

Mit dem als Dixi 3/15 bezeichneten Typ DA1 erreichte man im Schatten der Wartburg erstmals Stückzahlen im vierstelligen Bereich.

Dixi 3/15 PS Typ DA1; Bildrechte Michael Schlenger

Dennoch kam es 1928 zur Übernahme von Dixi durch BMW.

Die Bayern, deren Versuche im Automobilbau bis dato im Experimentierstadium steckengeblieben waren, führten die Fertigung des Dixi 3/15 bis Mitte 1929 kaum verändert weiter.

Hier haben wir einen der nach der Übernahme durch BMW gebauten Dixis:

BMW 3/15 „Dixi“ Typ DA1; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

1929 begann BMW, das von Dixi übernommene Austin-Modell behutsam weiterzuentwickeln. Den daraus resultierenden BMW 3/15 Typ DA2 baute man in Eisenach bis 1931 – die Bezeichnung „Dixi“ trug er nicht mehr.

Der noch auf die Austin-Konstruktion zurückgehende 750ccm-Vierzylinder-Motor mit 15 PS wurde vorerst beibehalten. Die Modellpflege betraf hauptsächlich das äußere Erscheinungsbild – zugleich waren mehr Karosserievarianten verfügbar:

BMW 3/15 Typ DA2; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bis hierhin ist nichts zu erkennen, was auf die bis heute legendäre Sportlichkeit der Dreier-BMWs hinweist.

Doch gelang es BMW in der Folge rasch, sich von dem Anfang der 1930er Jahre arg rückständigen Vorbild Dixi bzw. Austin Seven zu lösen.

Den Anfang machte man in Eisenach noch 1930 und zwar mit einem sportlichen Ableger des BMW 3/15, dem „Wartburg Roadster“.

Durch klassisches Frisieren wurde bei diesem Modell die Leistung auf 18 PS gesteigert. Dank seiner Aluminiumkarosserie geriet der „Wartburg“ so leicht, dass er durchaus agil bewegt werden konnte.

Das Spitzentempo von knapp 100 km/h klingt heute bescheiden, doch auf den damaligen Landstraßen war das genug, um Fahrvergnügen zu haben.

Mit solch einer offenen Krawallschachtel auf kaum befestigten Pisten um die Kurven zu räubern, davon wissen viele Insassen moderner Gefährte nichts mehr…

Wie glücklich dagegen ein BMW 3/15 „Wartburg“ Roadster noch nach dem Krieg machen konnte, verrät uns diese außergewöhnliche Aufnahme:

BMW 3/15 Typ DA3 „Wartburg“ Roadster; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Zur Identifikation des Wagens ist nicht allzuviel zu sagen. Die Reihe waagerechter Luftschlitze ließ bereits vermuten, dass es ein früher BMW ist.

Die markante rechtwinklige Leiste oberhalb des hinteren Schutzblechs am Übergang zwischen Seiten- und Heckpartie, bestätigt den Verdacht:

Das ist einer von nur 150 gebauten BMW 3/15 „Wartburg“ Roadstern! Wer skeptisch ist, findet auf Seite 143 von Halwart Schraders Standardwerk „BMW Automobile“, 1. Auflage 1978, eine Abbildung des Typs aus identischem Blickwinkel.

Restlos glücklich macht – neben der ästhetischen Qualität der Aufnahme – die Tatsache, dass wir auch den Aufnahmeort genau bestimmen können.

Auf der Rückseite des Abzugs ist nämlich neben dem Entstehungsdatum „Mai 1949“ vermerkt „Nähe Remagen“. Wer sich am Rhein ein wenig auskennt, wird es aber noch genauer sagen können.

Auf den Höhen oberhalb des gegenüberliegenden Ufers zeichnet sich nämlich die Silhouette von Schloss Drachenburg bei Königswinter ab.

Nebenbei handelte es sich bei diesem „Schloss“ um eine im historisierenden Stil gebaute Privatvilla der Gründerzeit, die nach nur drei Jahren – 1884 – fertiggestellt war – das verlange man bei einem derartigen Bau mal heute…

Am Fahrer vorbei geht der Blick über die damals angelegte Sichtachse hoch zur „Drachenburg“. Demnach muss dieses Foto etwas außerhalb des Bad Godesberger Stadtteils Mehlem direkt am Rheinufer entstanden sein.

Dort sieht es heute noch fast genauso aus. Bloß die Chancen, einen BMW 3/15 „Wartburg“ Roadster anzutreffen, stehen schlecht – es haben nur wenige überlebt.

Kann vielleicht jemand sagen, wer der Fahrer dieses Wagens war und ob das Auto noch existiert? Der Verfasser würde dieses Foto dem heutigen Besitzer des BMW mit Freuden überlassen…

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Ganz offen: So ein Citroen C4 Cabriolet hat schon was…

Freunde französischer Vorkriegswagen werden auf diesem Oldtimerblog etwas kurz gehalten. Das liegt daran, dass hier nun einmal schwerpunktmäßig Fotos von Autos gezeigt werden, die einst auf deutschen Straßen unterwegs waren.

Im Unterschied zu Fiat oder den amerikanischen Marken setzten die großen Hersteller aus Frankreich recht wenige Autos hierzulande ab.

Zu einer nennenswerten Produktion auf deutschem Boden brachte es bloß Citroen. Ab 1927 wurde in Köln der Typ B14 in beachtlicher Stückzahl gefertigt (Bildbericht). 1929 war dann der Nachfolger C4 an der Reihe.

Den C4 haben wir hier schon kurz vorgestellt, aber bloß als Aufhänger, um ein Prachtexemplar seines großen Bruders zu präsentieren – des 6-Zylindertyps C6.

Der von 1928-32 über 100.000mal gebaute Citroen C4 verdient aber eine eigene Betrachtung.

Kürzlich konnte der Verfasser gleich zwei solcher Wagen in seinem Fotofundus identifizieren – in der Version als 2-sitziges Cabriolet:

Citroen C4 Cabriolet; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Das sieht auf den ersten Blick recht ernüchternd aus, aber keine Sorge: Die zweite Aufnahme ist deutlich gefälliger und bietet ebenfalls reizvolle Einblicke.

Vom Stil her könnte das irgendein „Amerikaner-Wagen“ der späten 1920er Jahre sein. Als 2-sitziges Cabriolet mit (vermutlich) Schwiegermuttersitz im Heck wäre dieser Aufbau in den USA als „Runabout“ bezeichnet worden.

Tatsächlich waren die amerikanischen Hersteller in den 1920/30er Jahren in stilistischer Hinsicht die Avantgarde – tja, so ändern sich die Zeiten.

Dieses Auto folgt dem Ami-Stil, gibt sich aber mit einigen Eigenheiten als Citroen C4 zu erkennen:

Hauptmerkmal ist das ovale Zierelement an der Tür, das sich so nur bei Citroen findet, auch wenn Autos anderer Hersteller ähnliche Elemente aufweisen.

Auffallend ist das im Vergleich zur passgenau sitzenden Tür wie nachträglich angeschraubt wirkende Trittbrett. Das es tatsächlich so lieblos ab Werk appliziert wurde, werden wir noch sehen.

Bei der Gelegenheit merke man sich den nach vorne weisenden Schwung der A-Säule – ein der Kutschbauertradition entstammender Kunstgriff, der den Aufbau weniger statisch wirken lässt.

Der aufmerksame Betrachter wird zudem registrieren, dass die Tür wie heutzutage vorn angeschlagen ist. Die Vorstellung, dass Vorkriegsautos stets hinten angeschlagene Türen hatten, ist unbegründet – es gab beide Varianten.

Mehr noch als das heruntergelegte Verdeck freut manchen sicher die offene Motorhaube – so etwas ist auf alten Fotos ganz selten zu sehen:

„Wo ist denn der Motor?“, wird vielleicht einer denken – man sieht ja die Luftschlitze in der Haube auf der anderen Seite…

Keine Sorge, es ist alles vorhanden. Vor der Schottwand sitzt der Tank, von dort läuft der Kraftstoff der Schwerkraft folgend zum Vergaser, auf dem ein für die damalige Zeit beachtlich großer Luftfilter sitzt. Vielleicht ist das Teil nachgerüstet.

Vorn reicht ein Kühlwasserschlauch steil nach unten – daran sieht man, dass der Motor tief im Chassis sitzt. Wie ist das zu erklären?

Wir haben es mit einem seitengesteuerten Motor zu tun, bei dem die Nockenwelle seitlich neben dem Zylinderblock stehende Ventile betätigt. Erst die Zylinderköpfe mit hängenden Ventilen und (später) obenliegender Nockenwelle ließen die Motoren in die Höhe wachsen.

Zudem handelt es sich um einen kompakten 1,6 Liter-Motor. Er leistete immerhin 32 PS – Ende der 1920er Jahre ein sehr guter Wert. Hanomag, Mercedes und Opel trauten sich in dieser Hubraumklasse selbst in den 1930er Jahren nicht mehr.

Man sieht: Offen betrachtet kommt der Citroen C4 gut weg. Mit Spitzentempo 90 km/h war er auch zum Aufnahmezeitpunkt 1933 kein Verkehrshindernis auf deutschen Straßen. Wesentlich schneller war damals kaum einer unterwegs.

Wichtiger war, bequem und stilvoll zu reisen wie hier:

Citroen C4 Cabriolet; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme entstand einst auf einer Reise irgendwo in Süddeutschland.

Der Fahrer dürfte derjenige gewesen sein, der diese ungewöhnliche Aufnahme gemacht hat. Er hat die Tür und damit den Blick auf seine Begleiterin offengelassen.

Unterhalb des Trittbretts – das hier genauso liederlich angesetzt wirkt wie auf dem ersten Foto – sieht man die Beinchen einer dritten Person – offenbar waren die beiden mit ihrem Hund unterwegs:

Wir erkennen hier denselben Verlauf der A-Säule, dem auch die Luftschlitze in der Motorhaube folgen – ganz sicher ein Citroen C4.

Nur selten zu sehen sind die Türverkleidung mit Fensterkurbel und Kartentasche sowie der Innenraum mit großem Lenkrad und gekröpften Schalthebel, über den das 3-Gang-Getriebe betätigt wurde.

Man sieht: Der Citroen C4 war kein Kleinwagen und – ganz offen betrachtet – versteht man, warum er sich hierzulande einige tausend Mal verkaufte…

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1929: Im Chevrolet „AC“ von Sachsen an den Gardasee

Wer sich mit Vorkriegsautos auf alten Fotografien befasst, wie das dieser Oldtimerblog tut, der stößt immer wieder auf Fälle, die schwierig erscheinen.

Im Fundus des Verfassers sind die meisten „Unbekannten“ Autos, die von der Seite aufgenommen wurden oder solche, bei denen jemand zielsicher vor den markentypischen Elementen der Frontpartie posiert.

Bei der folgenden Aufnahme ist beides nicht der Fall, hier hat man beste Sicht direkt von vorn auf den Kühler: 

Chevrolet Series AC International; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das kann ja nicht so schwer sein, Marke und Typ herauszufinden, auch wenn der Wagen in einiger Entfernung steht.

Klar ist jedenfalls, wann die Aufnahme entstanden ist, und eingrenzen lässt sich auch der Ort. Auf der Rückseite des Abzugs ist nämlich von alter Hand das Entstehungsjahr „1929“ vermerkt und der Hinweis „zwischen Riva und B…a“.

Zwar ist der zweite Ortsname nicht genau lesbar, doch die Umstände sprechen dafür, dass es sich um die oberhalb des Westufers des Gardasees verlaufende alte Ponale-Straße handelt, die von Riva del Garda nach „Biacesa“ führt.

Sie existiert noch, darf aber schon lange nicht mehr von Automobilen befahren werden. Das war 1929 noch anders und es sind viele Aufnahmen von Reisenden überliefert, die dort Halt für ein Foto machten.

Schauen wir uns nun den Wagen genauer an:

Der gesamte Auftritt des Autos mit seiner breiten Spur wirkt „amerikanisch“. Doch das hilft erst einmal nicht viel weiter.

Der Stil der US-Wagen wurde in den späten 1920er Jahren von vielen deutschen Herstellern mit einer bisweilen ans Unverschämte grenzenden Detailgenauigkeit kopiert – man denke nur an die Opels mit „Packard-Kühler“.

Und bei den amerikanischen Wagen kamen etliche Hersteller in Betracht, die heute kaum noch jemand kennt, die aber einst auch am deutschen Markt vertreten waren.

Kenner von US-Vorkriegsautos werden längst wissen, worum es sich bei dem Wagen handelt, aber der Schwerpunkt dieses Blogs liegt nun einmal auf Marken aus dem deutschsprachigen Raum und der Verfasser ist mit amerikanischen Autos jener Zeit nur oberflächlich vertraut.

So blieb dieser Fall erst einmal offen, bis zufällig eine andere Aufnahme desselben Wagens auftauchte, und zwar diese hier:

Chevrolet Series AC „International“; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Die Nadelbäume im Hintergrund verraten, dass wir hier nicht mehr im sonnigen Süden sind, sondern irgendwo im deutschen Mittelgebirge, wo man früher schnellwachsende Baumsorten die Tanne und Kiefer bevorzugte.

Seitdem Beton und Kunststoffe die bevorzugten Bau- bzw. Möbelmaterialien mit bekannten Ergebnissen sind, ist der Bedarf an Holz für Bauten und Wohneinrichtung stark zurückgegangen.

Den Wäldern zumindest ist’s bekommen, Misch- und Laubwald bekommen wieder die Oberhand – nur um heute durch die bis in Naturschutzgebiete vordringende Windstromindustrie bedroht zu werden. Jede Zeit hat offenbar ihre Pest…

Zurück zum Thema und zur Auflösung des Rätsels:

Hier sieht man nicht nur dasselbe Nummernschild mit der Kennung „V“ für den sächsischen Zulassungsbezirk Zwickau, sondern in wünschenswerter Deutlichkeit auch das Kühleremblem, das auf der ersten Aufnahme bestenfalls zu erahnen war.

Demnach war es tatsächlich ein Chevrolet, der da im Jahr 1929 Halt in der Nähe des Gardasees machte. Wir erkennen hier auch die eigentümliche Plakette auf dem Grill wieder, deren Bedeutung dem Verfasser unbekannt ist.

Wer weiß, was es damit auf sich hat, kann dies gern über die Kommentarfunktion kundtun, der Blogeintrag wird dann entsprechend ergänzt.

Bleibt die Frage, um welchen Typ von Chevrolet es sich handelt. Zum Glück baute die seit 1918 zum General-Motors-Verbund gehörende Marke Ende der 1920er Jahre jeweils nur einen Typ pro Modelljahr.

Diese Kühlergestaltung in Verbindung mit den nach hinten versetzten 15 eng beieinander liegenden Luftschlitzen in der Motorhaube verweisen auf den Chevrolet Series AC „International“ des Modelljahrs 1929.

Nachdem bereits vom Vorgänger Series AB „National“ mit Vierzylinder in nur einem Jahr fast 800.000 Exemplare gebaut worden waren, wurde der erste Sechszylinder von Chevrolet ein noch größerer Schlager: Rund 850.000 Stück des Series AC „International“ liefen weltweit vom Band – in 13 Monaten!

Dieser auch heute beeindruckende Erfolg machte Chevrolet noch vor Ford zum erfolgreichsten Autoproduzenten auf dem Planeten. Dazu trug neben der grundsoliden Konstruktion natürlich auch der Preis bei.

Während Adler aus Frankfurt für eine Limousine des nur geringfügig größeren und auf dem Papier etwas stärkeren Typs Standard 6 über 6.000 Reichsmark verlangte, war der Chevrolet für unter 5.000 Mark zu bekommen.

Dies ist ein Beispiel für die Leistungsfähigkeit der US-Automobilindustrie, der die deutschen Hersteller lange nichts entgegenzusetzen hatten.

Wer aber waren die Leute, die solche „Amerikaner“-Wagen kauften? Hier haben wir zumindest drei, die damit einst unterwegs waren:

Diese Herren wirken nicht gerade wie „vaterlandslose Gesellen“ – man kann sie sich hervorragend in gehobener Position irgendwo am Schreibtisch einer deutschen Amtsstube oder eines Unternehmens vorstellen.

Das waren zweifellos intelligente Leute – auch wenn es politisch unkorrekt ist, so etwas einfach aus dem Erscheinungsbild abzuleiten. Wer rechnen konnte (und wollte) fuhr Ende der 1920er Jahre vernünftigerweise einen Ami-Schlitten.

Heute wäre es abwegig, mit einem Chevrolet an den Gardasee zu fahren (man prüfe besser nicht, was aktuell unter dieser Marke fabriziert wird) und sich dort stolz ablichten zu lassen wie einst 1929.

Das alles ist keine 90 Jahre her (wir schreiben das Jahr 2017), doch wie haben sich die Zeiten seither gewandelt…

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Urlaubsstimmung inklusive: NSU-Fiat 1000 Cabriolet

Kenner der Fiat-Historie könnten im Titel des heutigen Eintrags in diesem Oldtimerblog einen Tippfehler vermuten: Müsste es nicht „Fiat 1100“ heißen?

Nein, muss es nicht, auch wenn südlich der Alpen vermutlich niemand einen Fiat mit der Modellbezeichnung „1000“ kennt. Aber hier ist ja auch von einem NSU-Fiat die Rede, und da gelten eigene Gesetze.

Wer sich darüber wundert, dass NSU einst auch Fiat-Modelle fabrizierte, kennt wahrscheinlich nur die Motorradhistorie der Marke. Noch komplizierter: Strenggenommen hat NSU nie Fiats gebaut.

Tatsächlich hatte Fiat 1929 nur die Heilbronner Fabrikanlagen der NSU AG übernommen, die die Autoproduktion mangels Erfolg aufgegeben hatte. NSU sollte erst in den 1960er Jahren wieder Autos unter eigenem Namen bauen.

Fiat hatte sich die Nutzung der am deutschen Markt gut eingeführten Marke NSU ausbedungen und baute in der Folge seine Modelle mit einem rasch steigenden Anteil deutscher Wertschöpfung.

Der erste Erfolg in Deutschland war ab 1934 der NSU/Fiat 1000, der ein verkappter Fiat 508 A „Balilla“ war. Ihn haben wir bereits in mehreren Exemplaren vorgestellt, darunter als Limousine, als Spyder und als Sport Spyder.

Heute zeigen wir eine weitere Variante, die es nur in Deutschland zu kaufen gab:

NSU/Fiat 1000 Cabriolet; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Auf den ersten Blick sieht es fast so aus, als würde hier ein Bauer mit seinem Gespann einen liegengebliebenen Wagen abschleppen. Entsprechende Fotos aus der Vorkriegszeit gibt es tatsächlich – die bringen wir bei Gelegenheit.

Doch diese Situation war bloß ein Zufall, und der Fotograf drückte intuitiv im richtigen Moment auf den Auslöser. Entstanden ist die Aufnahme unweit von Leermoos in Österreich in Sichtweite des Zugspitzmassivs.

Zumindest das wissen wir dank der umseitigen Beschriftung des Abzugs.

Das Entstehungsjahr lässt sich nur grob eingrenzen. Gebaut wurde der Wagen ab 1934, das Nummernschild verweist auf eine Vorkriegszulassung in Oberbayern. Ab Kriegsbeginn 1939 war eine Tarnbeleuchtung vorgeschrieben, die hier fehlt.

Für die Identifikation des Wagentyps eignet sich die zweite Aufnahme besser, die kurz vor oder nach dem ersten Foto entstand:

NSU/Fiat 1000; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sieht man nicht nur mehr von dem Wagen, sondern auch vom Zugspitzmassiv, wie es sich von der österreichischen Seite darstellt. Wer sich lokal auskennt, wird den einstigen Standort des Autos wohl exakt bestimmen können.

Die über Millionen Jahre entstandene Szenerie scheint bis heute von Entstellungen durch menschliche Aktivität – wie etwa Windrotoren, die in Deutschland ganze Landschaften zum Industriegebiet machen – verschont geblieben zu sein.

Konzentrieren wir uns nun auf den genauen Wagentyp; dazu nehmen wir das Auto näher ins Visier:

Als NSU/Fiat 1000 gibt sich der Wagen anhand folgender Details zu erkennen: dem herzförmigen, leicht geneigten Kühlergrill, der profilierten und am Ende stark einwärts gebogenen Stoßstange sowie den markant geformten Chromradkappen.

Auch die mit der Neigung der Kühlerpartie und der Frontscheibe korrespondierenden Luftschlitze in der Motorhaube „passen“.

In technischer Hinsicht kam der NSU/Fiat 1000 zeitgemäß daher: Der konventionelle Vierzylinder mit 995 ccm leistete 24 PS, was für 85 km/h Höchstgeschwindigkeit reichte.

Das Vierganggetriebe war zwar noch unsychronisiert, doch immerhin gab es von Anfang an eine hydraulische Vierradbremse; bemerkenswert auch die leistungsstarke 12-Volt-Elektrik.

Da kamen ein Adler Trumpf Junior oder ein Opel 1,2 Liter einfach nicht mit. Wieso deutsche Hersteller damals meinten, ihre Kunden mit funzliger 6-Volt-Beleuchtung und häufig Seilzugbremsen abspeisen zu müssen, bleibt rätselhaft.

Kein Wunder, dass die Fiats der 1930er Jahre mit ihrem hervorragenden Leistungsgewicht und moderner Ausstattung international guten Absatz fanden – wie schon ihre Vorgänger in den 1920er Jahren (Typen 501, 503 und 509) .

Vom NSU/Fiat 1000 gab es ein zweitüriges Cabriolet, das in der Regel wie die Limousine vom Karosseriewerk Weinsberg gefertigt wurde.

Ein solches Cabriolet auf Basis des NSU/Fiat 1000 ist auf unserem Foto zu sehen. Wieviele davon gebaut wurden, ließ sich bislang nicht ermitteln. Doch viel mehr als einige hundert Exemplare werden nicht entstanden sein.

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Die ersten 8-Zylinder von Horch: Typen 303 bis 305

Die Typengeschichte von Vorkriegswagen aus dem deutschen Sprachraum möglichst vollständig in historischen Fotos zu dokumentieren – das ist eines der Ziele dieses Oldtimerblogs.

Was bei Herstellern wie DKW, Hanomag und Opel recht einfach ist, wird bei Nischenmarken wie NAG, Protos und Stoewer zum Geduldspiel. Doch die Bildergalerien füllen sich auch dort allmählich – zur Freude von Kennern auf der ganzen Welt.

Erstaunlich leicht dokumentieren lässt sich die komplexe Modellhistorie von Horch. In der Sammlung des Verfassers finden sich inzwischen Belegfotos von fast jedem Typ, die hier nach und nach publiziert werden.

Heute füllen wir eine Lücke zwischen dem letzten 4-Zylinderwagen der Zwickauer Marke – dem Modell 10/50 PS – und dem bereits vorgestellten frühen 8-Zylindertyp 305 von 1927/28. 

Der Horch 305 hatte einen Vorläufer, der der erste Achtzylinder des sächsischen Luxusherstellers war. Das war der Typ 303 bzw. 304, der im Herbst 1926 präsentiert wurde und Horch in die automobile Oberliga katapultierte:

Horch 303 oder 304; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das also soll der erste 8-Zylinderwagen von Horch sein, der den bis heute anhaltenden Ruhm der 1945 untergegangenen Marke aus Sachsen begründete?

Ja, so unauffällig kann Luxus daherkommen und es muss einst Leute gegeben haben, denen es genügte, selbst zu wissen, wie gutsituiert sie waren. Nur 1.700 Wagen dieses weit über 10.000 Reichsmark teuren Typs wurden hergestellt.

Technisch gehörte der Wagen zum Feinsten, was es in Deutschland zu kaufen gab: Der 3,1 Liter messende, 60 PS starke Motor verfügte über eine Ventilsteuerung mittels Königswelle und zwei obenliegenden Nockwellen, präziser geht es kaum.

Trotz des hohen Gewichts von fast 2 Tonnen erreichte der Horch-8-Zylinder im 4. Gang die Marke von 100 km/h. Alle Räder wurden über eine servounterstützte Bremse verzögert; die Elektrik war auf 12 Volt ausgelegt.

Woran erkennt nun man ein solches Fabeltier? Schauen wir genauer hin:

Auf der schlichten Kühlermaske zeichnet sich das gekrönte „H“ ab, das erstmals beim Vierzylindertyp Horch 10/50 PS auftauchte. An der Marke gibt es somit keinen Zweifel.

Dass wir aber einen der frühen 8-Zylindertypen vor uns haben, verrät ein Detail: Die seitlichen Luftschlitze in der Motorhaube sind in einem aufgesetzten Blech zusammengefasst und nehmen deutlich mehr Platz ein als beim Vorgänger.

Für das Modell 303/304 spricht außerdem die Form der Vorderschutzbleche, die im Unterschied zum Nachfolger 305 noch ausgeprägte Sicken besaßen und nicht wie „aus einem Guss“ wirkten.

Unser Foto vermittelt außerdem etwas von der Selbstzufriedenheit der Besitzer, die an einem sonnigen Tag mit Chauffeur und Wagen abgelichtet wurden.

Auch der Chauffeur scheint bester Laune zu sein – ein schöner Schnappschuss!

Nebenbei sei auf die stattliche Trockenmauer verwiesen, die von einer der untergegangenen handwerklichen Fertigkeiten unserer Altvorderen kündet.

Heutzutage sieht man allerorten außer barbarischem Sichtbeton entweder in schauerliche Metallgerüste gekippte Bruchsteine („Gabionen“) oder nach Manier von Fred Feuerstein aufgestapelte Riesenblöcke aus dem Steinbruch.

Man muss kein Kulturpessimist sein, um die grassierende Hässlichkeit und Unfähigkeit zu dauerhaften und ansprechenden Bauten in unserer Zeit bedenklich zu finden – der Verlust an über Jahrhunderten gewachsenen Gewissheiten und Kompetenzen ist in jedem Neubaugebiet zu besichtigen…

Dem setzen wir hier bewusst die Hervorbringungen einer Vergangenheit entgegen, in der man noch eine klassische Formensprache beherrschte. Dazu gehören die klaren, jeden Exzess meidenden Karosserien der 1920er Jahre:

Horch 305; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese majestätische Sechsfenster-Limousine ist sehr wahrscheinlich eine frühe Version des Horch 305, der Ende 1927 den 8-Zylinder-Erstling 303/304 ablöste.

Hinter dem konservativen Erscheinungsbild verbirgt sich ein auf 3,4 Liter vergrößerter Reihenachter mit nunmehr 65 PS. Die Fahrleistungen blieben jedoch im wesentlichen unverändert.

Die Doppelstoßstange verweist auf ein fortgeschrittenes Stadium der Modellpflege, während die kantigen Kotflügel und das Fehlen von Positionslampen noch an den Vorgänger erinnern.

Die Karosserie scheint ein Aufbau nach Weymann-Patent zu sein. Demnach ist nur der Vorderwagen in Stahl ausgeführt, der Rest in einer leichten und geräuscharmen Holz-Textil-Konstruktion:

Die umseitige Aufschrift des Fotos verrät, dass dieser Horch einst in Berlin-Wilmersdorf zugelassen war. Die Aufnahme selbst dürfte in einer der waldreichen Gegenden im Umland der Hauptstadt entstanden sein.

Wie so oft bei diesen Aufnahmen der Vorkriegszeit fragt man sich, was aus den  darauf abgebildeten Personen in den folgenden Jahren geworden ist. NS-Diktatur, Krieg und Bombenterror forderten auch von den Vermögenden ihren Tribut.

Während von den hochkarätigen Horch-Automobilen der 1930er Jahre immerhin etliche das Inferno des 2. Weltkriegs überlebt haben, scheinen ihre Vorgänger der späten 20er weitgehend ausgestorben zu sein.

Oft genug sind solche Fotos alles, was von ihnen, ihren Besitzern und glücklichen Momenten geblieben ist…

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and http://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

Alpentour mit Lancia „Lambda“-Limousine

2017 jährt sich zum 90. Mal die erste Mille-Miglia – einst noch vor der Targa Florio das anspruchsvollste Straßenrennen – und sicher das berühmteste.

Man sollte meinen, dass die Italiener anlässlich dieses Jubiläums bei der diesjährigen Neuauflage der „Mille“ alle Register ziehen und mit besonderer Präsenz die Vorkriegsboliden von Alfa-Romeo, Lancia und O.M. feiern.

Doch weit gefehlt: Bei der Mille Miglia im Mai 2017 waren von 450 teilnehmenden Fahrzeugen ganze 28 (achtundzwanzig!) in Italien zugelassen. Die übrigen Wagen stammten von Besitzern aus der ganzen Welt.

Dieses eklatante Missverhältnis wurde auch im Vorwort der Mai-Ausgabe des italienischen Klassikermagazins „Ruote Classiche“ beklagt.

Demnach scheinen viele einheimische Besitzer es vorzuziehen, ihre Schätze in klimatisierten Garagen einer (hoffentlich) besseren Zukunft entgegenschlummern zu lassen.

Dabei ist die heutige Mille Miglia längst nicht mehr der materialmordende Vollgasritt auf öffentlichen Straßen, der 1957 mit dem tragischen Unfall von Alfonso de Portago auf Ferrari 315 sein jähes Ende fand.

Warum italienische Besitzer von Vorkriegsklassikern der Oberliga selbst eine genüssliche Gleichmäßigkeitsfahrt meiden, wie sie die Mille Miglia heute darstellt, bleibt unverständlich.

Befinden sich die Wagen vielleicht in den falschen Händen? Wir wollen dieses Thema hier nicht vertiefen.

Stattdessen sei heute ein weiteres Beispiel eines italienischen Exoten der Zwischenkriegszeit vorgestellt, der einst wie selbstverständlich als Langstreckenwagen genutzt wurde – der Lancia Lambda!

Wir haben auf diesem Oldtimerblog schon einige Exemplare dieses Typs vorgestellt, der einen Platz unter den größten PKW-Entwürfen des 20. Jahrhunderts verdient (ausführliches Porträt hier).

Eines dieser Fabeltiere versteckt sich auf der folgenden Aufnahme, die in den 1930er Jahren als Postkarte aufgelegt wurde:

Postkarte der 1930er Jahre aus Sammlung Michael Schlenger

„Gasthaus Mauthäuserl“ steht unten rechts geschrieben – klingt nicht sonderlich italienisch. Tatsächlich ist dieses Foto im südöstlichsten Zipfel Bayerns entstanden, in den Chiemgauer Alpen unweit von Bad Reichenhall.

Das historische „Mauthäuserl“ sieht heute noch ganz ähnlich aus. Nur die Autos, die dort halten, sind auf baldigen Verbrauch hin optimierte belanglose Kisten.

Vor über 80 Jahren gaben sich dort etliche Wagen ein Stelldichein, die für Freunde wirklich alter Gefährte der Inbegriff des klassischen Automobils sind.

Schauen wir uns auf dem sonnenbeschienen Platz einmal um:

Hier haben wir zwei Rolldach-Limousinen – in den 1930er Jahren auch als Cabrio-Limousinen bezeichnet.

Der Wagen im Vordergrund ist ein 6-Fenster-Modell, ein großzügiges Fahrzeug, auch wenn die verkürzte Ansicht dies kaum vermuten lässt.

Eine Identifikation von Hersteller und Typ ist wie bei dem 4-Fenster-Modell im Hintergrund zwecklos. Doch erzählen beide Wagen ebenso wie die Personen in ihrer Nähe und die langen Schatten etwas von einem warmen Sommernachmittag.

Zur Datierung gibt immerhin folgender Ausschnitt einen Hinweis:

Die Cabrio-Limousine mit dem sonnenbeschienen Heck ist sehr wahrscheinlich ein Opel ab Mitte der 1930er Jahre. In Frage kommen vor allem die Typen Olympia und Kadett – Hinweise zur exakten Identifizierung sind willkommen.

Für eine Entstehung nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten – für die nebenbei nie eine Mehrheit der Deutschen in freien Wahlen votierte – spricht der Wimpel am Stander der mächtigen Limousine auf folgendem Ausschnitt:

Die Gestaltung des Vorderrads verweist auf einen Adler des Typs Standard 6 oder 8, dazu würde auch der übrige Aufbau als 6-Fenster-Limousine passen. Auch hier werden sachkundige Anmerkungen von Lesern gern berücksichtigt.

Wo aber verbirgt sich nun der versprochene Lancia?

Kenner werden ihn gleich auf der ersten Übersichtsaufnahme registriert haben. Doch nicht jeder ist ein „Lancista“, wie die Italiener die Freunde der ehrwürdigen Marke aus Turin nennen.

Nun, hier ist er, diesmal in der eher seltenen Variante als viertürige Limousine:

Angesichts des Nummernschilds mit Kennung „II B“ für Oberbayern mag vielleicht manch‘ einer nicht glauben, dass das ein Lancia ist.

Doch das typische Emblem auf der Kühlermaske in Form einer klassischen Tempelfront, die hochliegenden Scheinwerfer und die niedrige Gürtellinie sind Kennzeichen dieses Modells, das auch deutsche Automobilgourmets anzog.

Dieses Auto war auch noch in den 1930er Jahren in technischer Hinsicht zeitgemäß, auch wenn das Erscheinungsbild dies nicht ahnen lässt. So einen Wagen fuhren Kenner, die sich wenig um modische Erscheinungen kümmerten.

Bevor nun jemand einwendet, dass man ja kaum etwas von dem Gefährt erkennt, bringen wir als Vorschau auf den nächsten Blog-Eintrag zum Thema „Lancia Lambda“ die folgende Aufnahme:

Lancia Lambda; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir eine Bilderbuchaufnahme eines offenen Lancia Lambda aus Berlin, die eine Ahnung davon vermittelt, wie sehr dieses Modell am konservativen deutschen Markt aus dem Rahmen fiel.

Kein anderer Wagen kam so leicht, so schlicht und zugleich so sportlich daher. Keiner vereinte soviele technische Kabinettstückchen wie dieser. Und keiner aus dem Hause Lancia ist heute so selten in Aktion anzutreffen, schade.

Dass Fiat die 1969 übernommene Konzernmarke inzwischen faktisch beerdigt hat, ist eine Sache. Doch dass soll nicht bedeuten, dass die Lancisti aller Länder ihre Schätze weiter der Welt vorenthalten sollen…

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Vom Herdentrieb gepackt: Opel 6-Zylinder 12/50 PS

Die Automobile, die Opel in den 1920er Jahren baute, sind auf diesem Oldtimerblog inzwischen recht gut dokumentiert – und zwar anhand zeitgenössischer Originalfotos aus der Sammlung des Verfassers.

Vom heute äußerst raren 8/25 PS Modell, das ab 1921 gefertigt wurde, über den legendären 4 PS-Typ „Laubfrosch“ in seinen unterschiedlichen Evolutionsstufen bis hin zum kaum mehr bekannten Opel 10/40 PS – hier lässt sich die Rüsselsheimer Autoproduktion der 1920er in bislang unpublizierten Bildern nachvollziehen.

Heute schließen wir eine weitere Lücke, die vielleicht manchem Altopel-Freund gar nicht aufgefallen wäre, denn es geht um ein sehr seltenes Modell.

Als Einstieg eignet sich die folgende reizvolle Aufnahme, die um 1928 entstand:

Opel 12/50 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Was da in einer bergaufwärts strebenden Rinderherde unterwegs ist und aus einem entgegenkommenden Wagen fotografiert wurde, sieht auf den ersten Blick wie ein Fahrzeug der US-Marke Packard aus.

Auch wenn dieser Schnappschuss im deutschsprachigen Raum entstand, wäre ein Packard im Rahmen des Möglichen. Wie viele andere US-Hersteller war Packard in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre am deutschen Markt aktiv (Bildbericht).

Den mit leistungsstarken 6- und 8-Zylindermotoren ausgestatteten und günstigen Amerikaner-Wagen, wie sie damals genannt wurden, hatten die deutschen Autobauer wenig entgegenzusetzen.

Im Hinblick auf Gestaltung, Technik und Produktionsweise war man nach dem 1. Weltkrieg hinter die Konkurrenz aus Übersee zurückgefallen. Viel mehr als die US-Konzepte zu kopieren, fiel selbst Marken wie Adler und Opel nicht ein.

Die Rüsselsheimer waren sich nach ihrem Citroen 5 CV-Plagiat – dem 4 PS „Laubfrosch“ – nicht zu schade dafür, ab 1927 sämtliche Modelle mit einer bei Packard abgeschauten markanten Kühlermaske auszustatten.

Genau solch ein Pseudo-Ami aus hessischer Produktion kommt uns hier entgegen:

Die Rinder scheinen von dieser Konkurrenz auf ihrem Viehtrieb gar nicht begeistert zu sein, obwohl Opel mit diesem Modell ebenfalls nur dem Herdentrieb folgte.

Durch Bau eines 6-Zylinderwagens auf simplem Fahrgestell und mit Karosserie in US-Optik glaubten die Rüsselsheimer wie viele andere Hersteller, die Landsleute zu einem „patriotischen“ Kaufverhalten zu bewegen.

Leistungsmäßig war an den „großen Opels“ wenig auszusetzen. Erhältlich waren die Motorisierungen 12/50 PS mit 3,2 Liter und 15/60 PS mit 3,9 Liter Hubraum.

Entsprechend der Höchstgeschwindigkeit wurden die beiden Sechszylinder als Modell 90 bzw. Modell 100 angeboten. Allerdings fehlte ihnen die beim Adler Standard 6 serienmäßige hydraulische Vierradbremse. 

Imposant sahen die Opel-Sechszylinder auf jeden Fall aus. Die folgende Aufnahme zeigt die siebensitzige 3-Fenster-Limousine des Typs 12/50 bzw. 15/60 PS:

Opel 12/50 oder 15/60 PS; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Hier kann man gut das „Opel-Auge“ auf der von Packard abgeschauten Kühlermaske erkennen.

Auch die beiden Trittschutzbleche am Schweller unterhalb der Türen trugen dieses markante Emblem, das auf eine Skizze von Hessens kunstsinnigem und den Opel-Automobilbau fördernden Großherzog Ernst-Ludwig zurückging.

Rund 8.000 Reichsmark kostete diese von 1927-28 gebaute Ausführung. Damit war der Opel zwar billiger als der gleichstarke Buick Standard Six, doch in Sachen Laufkultur und Ausstattung hatten die Amerikaner die Nase vorn.

Unterdessen hatte General Motors in Rüsselsheim das Regiment übernommen und hatte wenig Interesse an einer konzerninternen Konkurrenz.

So endete 1929 die Karriere der großen 6-Zylinder-Opels nach nur 3.500 Exemplaren. Dem Herdentrieb zu folgen hatte sich – wie so oft – nicht ausgezahlt.

Erfolgversprechend blieben am deutschen Markt Einsteigermodelle, und das Ziel der Volksmotorisierung sollte Opel von nun an konsequenter verfolgen.

Diese populären Modelle wollen wir hier nach und nach ebenfalls präsentieren.

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Aus der Zeit gefallen: Ein Stoewer V5 im Jahr 1950

Die Sehnsucht nach den Wagen der Vorkriegszeit rührt wohl auch daher, dass die Welt damals zwar nicht besser war – ganz im Gegenteil – doch in vielerlei Hinsicht eine schönere, da die Verwüstungen der sogenannten Moderne erst einsetzten.

Dass es selbst bis in die 1950er Jahre in Deutschland Orte gab, die von Kriegsverheerungen verschont geblieben waren, wo es noch so beschaulich aussah wie zu Goethes Zeiten, das erzählen Bilder jener Zeit.

Eine solche Aufnahme, auf der sich alles zusammenfügt und selbst das Auto im Vordergrund das Idyll nicht stört, sehen wir uns heute an:

Stoewer Typ V5; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier steht in einer kopfsteingepflasterten Gasse zwischen jahrhundertealten – heute würde man sagen: nachhaltig gebauten – Fachwerkhäusern ein alter Bekannter. 

Erst kürzlich haben wir den Wagentyp anhand einer mäßigen Aufnahme ausführlich vorgestellt (Bericht). Umso erfreulicher, dass inzwischen dieser weit reizvollere Abzug aufgetaucht ist.

Dass es ein Stoewer des ab 1931 gebauten Frontantriebstyp V5 ist, verrät die markante Kühlermaske mit dem typischen Stoewer-Wappen und den erhabenen Sicken am unteren Ende.

Nur der Stoewer V5 weist auch solche eigenwillig geformten Schutzbleche auf – in  Details wie diesen erkennt man die besondere Handschrift der 1945 untergegangenen Marke aus Stettin.

Die technischen Raffinessen dieses ersten deutschen Fronttrieblers (noch vor DKW und Adler!) wurden im ersten Blogeintrag ausführlich gewürdigt.

Daher beschränken wir uns auf die Besprechung der Unterschiede gegenüber dem zuvor vorgestellten Fahrzeug, das wir hier nochmals zeigen:

Stoewer Typ V5; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Hauptunterschied liegt in der Ausführung der Kühlermaske. Bei dem ersten vorgestellten Stoewer V5 reicht diese nur bis auf Höhe der Vorderachsen hinunter. Unter der Vorwölbung darunter befindet sich das Getriebe.

Wie später auch DKW ließ Stoewer diese unschöne Lösung wieder fallen und zog die Kühlermaske im Modelljahr 1932 weiter nach unten, wozu sie freilich schräg nach vorn verlaufen musste.

Das Erscheinungsbild des Wagens profitierte davon nicht nur von vorne, sondern auch von der Seite, da die Frontpartie nun dynamischer wirkte, obwohl sich darunter weiterhin nur ein kompakter V-4-Zylinder (!) mit 25 PS verbarg.

Wie erwachsen die in der Vorderpartie überarbeitete 2. Serie des Stoewer V5 bei sonst identischer Ausführung als Rolldach-Limousine wirkte, lässt sich in der Ausschnittsvergrößerung gut erkennen:

Wer sich an den wuchtigen Stoßstangen – bzw. Stoßecken – stört, liegt mit seinem Bauchgefühl richtig: Die Rolldach-Limousine des Stoewer V5 wurde ohne solches Zubehör ausgeliefert.

Vermutlich wurden die Teile von einem wohlmeinenden Besitzer nachgerüstet, als Spender käme beispielsweise ein DKW in Frage.

Das hat eine gewisse Ironie, denn es war nicht Stoewer, sondern die Firma DKW, die mit ihren schwachbrüstigen, aber billigen Zweitaktern dem Frontantrieb in Deutschland zum Durchbruch verhalf.

Vom technisch weit anspruchsvolleren und karosserieseitig wesentlich robusteren Stoewer V5 wurden nur etwas mehr als 2.000 Exemplare gebaut.

Dass eines davon noch 1950 – als fast 20 Jahre nach der Entstehung – als Reisefahrzeug genutzt wurde, spricht für die Qualitäten des Wagens.

Übrigens wissen wir das dank des Vermerks auf der Rückseite des Abzugs. Dort ist auch Moosheim in Baden-Württemberg als mutmaßlicher Aufnahmeort vermerkt.

Da der Stoewer ein Kennzeichen der britischen Besatzungszone Niedersachsen (BN) trägt, das im Bezirk Hannover (33) ausgegeben wurde, diente der Wagen damals offensichtlich noch zu ausgiebigen Reisen.

Dass er vom einstigen Besitzer geschätzt wurde, das beweist diese perfekt inszenierte Aufnahme. Hier wusste jemand genau, wie sich ein klassischer Wagen in Szene setzen ließ.

Mag sein, dass der Fotograf auch ahnte, dass eine solche zeitlose Szenerie schon bald Vergangenheit sein würde, und hielt für sich diesen romantischen Augenblick fest.

In den zerbombten Großstädten begann damals der Modernisierungsfuror zu wüten, der oft genug zu einer zweiten Zerstörung führte. Nur München blieb eine rühmliche Ausnahme und wurde damals für rückständig gehalten – heute hat die Bayernhauptstadt die höchsten Immobilienpreise in der Republik…

Gern wüsste man, wie es in jener Gasse heute aussieht, in der vor über 60 Jahren dieser Stoewer stand. Weiß ein Leser vielleicht mehr?

Im Elsass würde eine solche Szenerie heute jedenfalls noch exakt so aussehen – aber dort hat auch nicht ein von verantwortungslosen „Eliten“ angezettelter totaler Krieg die Bindung an Heimat und Tradition bis auf einige glimmende Reste zerstört…

Rothenburg ob der Tauber in den 1930er Jahren. © Videoquelle YouTube; hochgeladen von Deutschlandsender

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1927: Vier Mann und ein UNIC auf Pilgerfahrt

Zugegeben, der Titel dieses Blogeintrags klingt ein wenig mysteriös – aber er trifft genau das, worum es heute geht.

Wer bei „Oldtimern“ nur an Bentley, Bugatti, Mercedes oder Porsche denkt, wird mit dem Markennamen UNIC kaum etwas anfangen. Das ist kein Vorwurf, eher Ergebnis der beschränkten Sichtweise einschlägiger Publikationen hierzulande.

Ein vollständigeres Bild der unglaublichen Vielfalt auf den Straßen Europas in der Vorkriegszeit ergibt sich, wenn man die Bilder sprechen lässt, die uns die aktuell abtretende Generation in ihren Fotoalben hinterlässt.

Da findet man beispielsweise so etwas:

UNIC L-Type; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Das ist eine Aufnahme, wie sie vollkommener kaum sein könnte – ein klassischer Tourenwagen in dramatischer Landschaft perfekt in Szene gesetzt, der Abzug kontrastreich und knackig scharf.

Hier hat jemand vor über 90 Jahren ganze Arbeit geleistet – solche formale und technische Qualität mit einer analogen Kamera abzuliefern, erinnert daran, dass digitale Technik kein Ersatz für Geschmack und Können ist.

Diese Aufnahme hat es – abgesehen von ihrer phänomenalen Qualität – auch sonst in sich. Am einfachsten ist noch die Identifikation des Wagens auf dem Foto:

UNIC steht vorn auf dem Grill, der von einer markanten Kühlermaske eingefasst ist. UNIC, das war einer von über tausend Autoherstellern, die es einst in Frankreich gab. Über tausend? In der Tat, kein Schreibfehler…

Die Firma UNIC wurde 1905 in einem Vorort von Paris von George Richard  gegründet, der seit der Jahrhundertwende zusammen mit einem gewissen Henri Brasier Rennwagen gebaut hatte.

UNIC war eine ganze Weile erfolgreich mit dem Bau von Tourenwagen und Taxis. 1925 veröffentlichte man in Frankreich diese schöne Reklame:

UNIC-Reklame in „L’Illustration“, 1925; aus Sammlung Michael Schlenger

Ungeachtet der stark stilisierten Darstellung des UNIC in dieser Werbeanzeige erkennt man die formale Übereinstimmung mit dem Wagen auf unserem Foto.

Wahrscheinlich haben wir es mit einem UNIC L-Typ zu tun, der Mitte der 1920er Jahre mit 4-Zylindermotoren mit bis zu 3,5 Liter Hubraum angeboten wurde.

Aggregate mit mehr Zylindern stellte UNIC erst ab 1928 vor, und zwar Reihenachter mit 2,5 Liter Hubraum. Ab 1934 beschränkte sich UNIC wieder auf Vierzylinder.

Die sorgfältige Verarbeitung der UNIC-Wagen und die geringen Stückzahlen hatten einen hohen Kaufpreis zur Folge, den immer weniger Kunden zu zahlen bereit waren. 1938 entstanden die letzten UNIC-PKW.

Zurück zu unserer Aufnahme der 1920er Jahre. Wo könnte das Foto einst entstanden sein? Der Verfasser tippte anhand der kargen Landschaft auf die Balkanregion oder Spanien.

Gewissheit brachte die Vorstellung der Aufnahme auf der führenden europäischen Vorkriegsauto-Website www.prewarcar.com. Ein Leser konnte aufgrund folgenden Bildausschnitts den entscheidenden Hinweis geben:

Die seitlich offenen Passagierwaggons im Hintergrund, die von einer Dampflok geschoben werden, ermöglichten die Identifikation der Örtlichkeit.

Das Foto entstand demnach an der Strecke der Zahnradbahn, die seit 1892 zum Benediktinerkloster Montserrat in Katalonien (Spanien) hinaufführt, das bis heute ein bedeutender Wallfahrtsort ist.

Die Strecke ist inzwischen elektrifiziert, folgt aber noch der alten Trasse durch die spektakuläre Berglandschaft. Anhand von Google-Earth lässt sich die Strecke, die in Monistrol de Montserrat beginnt, gut nachverfolgen.

Nur einmal kreuzt die Schienentrasse eine Straße, und an dieser Stelle (Koordinaten: 41°36’42.6″N 1°50’08.9″E) entstand vor über 90 Jahren unser Foto.

Verändert hat sich bloß eines: Die Eisenbahn überquert die Straße heute auf einer Brücke rund 50 Meter unterhalb der einstigen Kreuzung von Schienen- und Fahrweg. Doch der alte Streckenverlauf ist noch zu sehen.

Bei Google-Earth sind dreidimensionale Aufnahmen verfügbar, auf denen sogar die alte Böschungsmauer zu erkennen ist, die auf unserem Foto links abgebildet ist.

Dass wir den einstigen Aufnahmeort eines Vorkriegsautofotos auf ein paar Meter genau bestimmen können, ist ganz außergewöhnlich. Bemerkenswert ist aber noch etwas: Auf dem Schild an der Frontscheibe des UNIC steht vorn „Reserviert“.

Das spricht dafür, dass dieser Wagen für einen Ausflug deutschsprachiger Reisender vorgesehen war, die wohl im 40 km entfernten Barcelona wohnten. Die Zulassung des UNIC verweist jedenfalls aus Barcelona und das Jahr 1927.

Ob die Insassen an diesem Tag auch eine Pilgerfahrt zum Kloster absolviert haben, muss offenbleiben. Die Straße – die BP-1121 – führt jedenfalls nicht direkt dorthin.

Dass die vier Herren mit ihrem Fahrer aber nur zufällig in dieser unwirtlichen Gegend unterwegs waren, ist unwahrscheinlich. Vielleicht weiß ja ein Leser etwas mit dem Hinweisschild anzufangen, das auf dem Foto von hinten zu sehen ist:

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Eleganz mit „Sechs-Appeal“: Citroen C6 von 1928

Französische Vorkriegsautos sind auf diesem Oldtimerblog eher seltene Gäste.

Das liegt aber nicht daran, dass der Verfasser sich nicht für die einstige Automobilbaukunst unserer westlichen Nachbarn erwärmen könnte. Vielmehr besitzt er selbst zwei französische Klassiker der 1930er Jahre.

Der Grund ist der, dass hier Autos anhand von Originalfotos vorgestellt werden, die überwiegend aus dem deutschsprachigen Raum stammen. Der Import französischer Wagen bzw. deren Produktion auf deutschem Boden hielt sich aber in Grenzen, sodass Bilder französischer Autos eher selten sind.

Lediglich Citroen fertigte ab 1927 im Kölner Stadtteil Poll in größerer Zahl seine Modelle. Den Anfang machte der Typ B14, den wir hier vor längerer Zeit anhand einer schönen Aufnahme bereits präsentiert haben (Bildbericht).

Auch vom Nachfolgemodell C4 wurden ab 1929 in Köln annähernd 5.000 Exemplare montiert. Eines davon versteckt sich auf folgender Aufnahme:

Citroen C4; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Viel sieht man zwar nicht von dem Wagen, aber genug, um ihn als Citroen C4 aus deutscher Produktion anzusprechen.

Neben dem Haarschopf des etwas schüchtern dreinschauenden Herrn ist gerade noch das Markenemblem und ein Kennzeichen mit weißem Grund erkennen, also ein Citroen mit deutscher Zulassung.

Vom Vorgängermodell B14 unterscheidet sich das Auto durch seinen deutlich stämmigeren Auftritt, die weiter ausladenden Vorderschutzbleche und die leicht geschwungene Haltestange für die Scheinwerfer.

So unscheinbar das Modell hier wirkt, so solide waren seine inneren Werte. Der Vierzylinder mit 1,6 Liter leistete 32 PS, was für eine Höchstgeschwindigkeit von 90 km/h ausreichte.

Zum Vergleich: Der ähnlich dimensionierte und etwas stärker motorisierte Adler Favorit kam lediglich auf 80 km/h Spitze und war deutlich teurer. Allerdings verfügte er bereits über hydraulische Bremsen.

Während Adler von 1929-33 keine 15.000 Wagen des Typs Favorit an den Mann brachte, entstanden vom Citroen C4 im gleichen Zeitraum weit über 100.000 Stück. Dazu muss man anmerken, dass der französische Automobilmarkt damals wesentlich weiter entwickelt war als der lange Zeit rückständige deutsche.

Mehr wollen wir an dieser Stelle gar nicht vom Citroen C4 erzählen. Der Typ dient uns lediglich als Aufhänger für die Präsentation des daraus abgeleiteten Citroen C6, den wir auf folgender Aufnahme sehen:

Citroen C6; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ja, meine Herren, da weiß man gar nicht was man zuerst loben soll – den perfekt getroffenen großzügigen Wagen oder die dekorativ daneben platzierte junge Dame im strengen Kostüm mit hochgeschlossener Blümchenbluse…

Dieses Foto hätte sich auch in einem Werbeprospekt von Citroen gut gemacht, denn mit diesem Modell sprach man eine Klientel an, die Wert auf stilvollen Auftritt und ein gewisses Prestige legte, ohne dabei angeberisch zu wirken.

Dazu hatte Citroen das Konzept des C4 auf eine höhere Stufe gehoben. Der Typ C6 war größer und eleganter proportioniert und verfügte über eine reichere Ausstattung – außen wie innen.

Den Motor hatte man bei vergleichbarer Konstruktion um zwei Zylinder erweitert. 45 PS leistete das 2,4 Liter große Aggregat nun, was für ein Höchsttempo von rund 100 km/h reichte (die Angaben dazu variieren).

Ziehen wir wieder den Vergleich zum entsprechenden Modell von Adler, dem Standard 6. Bei identischer Leistung, ähnlichen Abmessungen und deutlich höherem Preis waren auch hier die Hydraulikbremsen der Hauptvorteil.

Der Citroen C6 mit „Sechs“-Appeal scheint aber zumindest in Frankreich weit mehr Kunden (über 60.000) überzeugt zu haben als der Adler Standard 6 in Deutschland (ca. 20.000).

Dass der elegante Citroen C6 aus französischer Sicht dennoch als Misserfolg galt, unterstreicht erneut den Entwicklungsstand des dortigen Markts.

Nach fast 90 Jahren sehen wir die Dinge ein wenig anders und erfreuen uns an diesem höchst ansehnlichen „Miss-Erfolg“…

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Alpentour mit Hindernissen: Fiat 505 & Co.

Heutzutage kommt man sich schon kühn vor, wenn man beim Überqueren der Alpen nicht den Tunnel, sondern die Paßstraße nimmt.

Nebenbei: Wenn man kein völliger Sklave des Effizienzdenkens ist, ist der „Umweg“ durch die Bergwelt zumindest bei schönem Wetter eindeutig vorzuziehen.

Das geht auch mit einem eher schwach motorisierten Oldtimer. Der Verfasser kann sich noch gut daran erinnern, wie er vor einem knappen Vierteljahrhundert den Gotthardpass bezwang –  im 1200er Volkswagen mit 34 PS.

In einer ähnlichen Leistungsklasse bewegte sich das Fahrzeug auf folgender historischen Aufnahme:

Fiat 505; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sehen wir die typische Szenerie einer Reifenpanne: Einer arbeitet und drei andere stehen herum oder tun anderweitig beschäftigt.

Nun, dank des hydraulischen Stempelwagenhebers und geeigneten Werkzeugs war die Sache wohl schnell und komplikationslos erledigt. Vorausschauende Fahrer hatten auf schlechten Pisten oft gleich zwei Reservereifen dabei.

Unsere Reisenden wird der kleine Zwischenfall kaum gestört haben – immerhin hatten sie sich bewusst für das Abenteuer eines Ausflugs ins Hochgebirge entschieden. Woher wir das wissen? Dazu gleich mehr.

Erst wollen wir uns noch ein wenig mit dem Auto beschäftigen:

Das großflächige Emblem auf der Kühlermaske ist zwar nicht lesbar, doch die leicht birnenförmige Form des Kühlerausschnitts sagt alles: Das ist einer der Fiat-Typen, die nach dem 1. Weltkrieg auf den Markt kamen.

Neben dem äußerst erfolgreichen Fiat 501 – von dem ab 1919 rund 80.000 Exemplare gebaut wurden – gab es ein etwas größeres Modell: den Typ 505.

Dieser unterschied sich äußerlich nur wenig von seinem kleinen Bruder. Nur an der Größe und den vorne fast gerade abgeschnittenen Schutzblechen – wie beim Wagen auf unserem Foto – konnte man ihn erkennen (siehe auch Fiat-Galerie).

Dass wir es mit einem Fiat 505 zu tun haben, lässt auch die Aufnahmesitutation vermuten: Mit den 23 PS des Fiat 501 hätte man im Gebirge seine liebe Mühe gehabt.

Der 505 dagegen schöpfte aus seinem 2,3 Liter großen Vierzylinder 33 PS. Einen deutschen Großserienwagen mit vergleichbarer standfester Literleistung suchte man in dieser Klasse Anfang der 1920er Jahre vergeblich.

Kein Wunder, dass sich auch der Fiat 505 gut verkaufte: über 17.000 Stück setzten die Turiner davon international ab.

Jetzt aber zur Aufnahmesituation. Zum Glück haben wir zwei weitere Fotos von demselben Ausflug. Dieses hier sagt wohl alles über die Örtlichkeit:

Tourenwagen der 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Selbst Absolventen hessischer Erziehungsanstalten, in denen man seit den 1970er Jahren auch mit scheunentorgroßen Wissenslücken brilliante Schulabschlüsse erwerben kann, werden hier wohl auf die Dolomiten tippen.

Ob es nun die berühmten drei Zinnen oder deren Nachbarn sind – das zu klären, sei den Hochgebirgsspezialisten überlassen. Wir Altautofreunde interessieren uns auch eher für die drei Wagen auf dem großartigen Bild.

Wer hier nur zwei sieht, möge sich folgenden Bildaussschnitt genauer ansehen:

Ganz links am Bildrand lugt vor der unscharf abgebildeten Person im hellen Mantel ein Schutzblech hervor – der Form nach würde es zum Fiat passen.

Das Nummernschild des Wagens rechts verweist ebenso wie das des oben gezeigten Fiat auf eine Zulassung in Bozen, der Hauptstadt von Südtirol, das sich Italien nach dem 1. Weltkrieg einverleibt hatte.

Wer übrigens eine Idee hat, was die Herren auf obiger Aufnahme treiben, darf dies gern über die Kommentarfunktion mitteilen.

Unterdessen werfen wir noch einen Blick auf das dritte Foto dieser Serie:

Tourenwagen der 1920er Jahre; Originalfotos aus Sammlung Michael Schlenger

Trotz der verwackelten Aufnahme, die vom Rücksitz des vorausfahrenden Wagens aus entstand, bekommt man einen Eindruck davon, auf was für Schotterpisten und in welch grandioser Landschaft die Autos unterwegs waren.

Man wünscht sich, dass es dort heute nicht anders aussieht – der Fortschritt darf ruhig an ein paar Orten unseres bereits arg zugebauten Kontinents innehalten.

Wagen wir trotz der mäßigen Qualität des Abzugs auch hier einen näheren Blick:

Der vordere Wagen ist wahrscheinlich ein Steyr, dafür spricht der Spitzkühler mit dem mittig angebrachten Emblem und das markant geknickte Blech zwischen den beiden Rahmenauslegern.

Auch dieser Wagen würde gut in die Region passen, da österreichische Wagen in Südtirol auch nach dem 1. Weltkrieg gern gefahren wurden.

Hand auf’s Herz: Wer bekäme angesichts dieser um 1925 entstandenen Bilder keine Lust, ebenfalls auf solchen Pisten mit Wagen jener Zeit unterwegs zu sein?

Wer nun sagt, dass ihm sein restauriertes Schätzchen dafür zu schade ist, bringt sich nicht nur um das Vergnügen, sondern vergisst auch, dass die Autos vor 90 Jahren auch einmal neu waren – aber nur für kurze Zeit…

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Aufgetaut & wieder aufgetaucht: Austro-Daimler ADM

Wenn man einen Oldtimerblog für Vorkriegsautos betreibt, der sich auf alte Originalfotos stützt, kann man sich Wiederholungen eigentlich sparen.

Schier unerschöpflich ist die Vielfalt an Automarken und -typen, die einst auf unseren Straßen – und mitunter auch abseits davon – unterwegs waren.

Auch der Nachschub an interessanten Bildern ist gesichert. Gerade heute sandte ein Leser eine phänomenale, wohl einzigartige Aufnahme ein – die hier gelegentlich vorgestellt wird.

Heute soll aber erst einmal ein Versprechen eingelöst werden, das hier im letzten Winter abgegeben wurde. Damit ist allerdings verbunden, dass wir uns dasselbe Auto anschauen, einen Austro-Daimler ADM.

Dass die Sache dennoch ihren Reiz hat, liegt an den ganz anderen Umständen, unter denen die folgenden Bilder entstanden sind. Im Winter hatten wir den offenen Wagen bei einer Tour durch eine verschneite Berglandschaft gezeigt.

Die Frostperiode ist nun aber vorbei, Wagen und Insassen sind inzwischen aufgetaut und schon wieder lustig im Gebirge unterwegs:

Austro-Daimler ADM; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Auf den Winter-Bildern wirkte der Wagen größer und massiger als hier. Das wird am Licht und der anderen Perspektive gelegen haben.

Das Nummernschild mit „II B“ für Oberbayern ist jedenfalls identisch. Genauer lässt sich die Herkunft des Wagens leider nicht eingrenzen; damals wurden Kraftfahrzeuge auch in großen Zulassungsbezirken einfach durchnummeriert.

Das dafür in Oberbayern fünf Stellen ausreichten, sagt viel über die damalige Fahrzeugdichte. Entsprechend selten dürfte der Anblick eines solchen Wagens in dieser Umgebung gewesen sein:

Man versuche einmal, ein solches Foto auf einem heutigen Alpenpass zu schießen. 1928, als dieses Bild entstand, konnte man als Automobilist dagegen die Bergwelt noch für sich genießen.

Die schmale Straße sagt alles über den damaligen Erschließungsgrad – und sie gehört noch zur besseren Kategorie. Wie kriminell die Verhältnisse in den Alpen sein konnten, das schauen wir uns bei anderer Gelegenheit ausgiebig an.

Der von 1923-28 gebaute Austro-Daimler ADM mit seinem von Ferdinand Porsche konstruierten modernen 6-Zylindermotor bot dank 2,6 Liter Hubraum und 45 PS ausreichend Leistung für bergige Partien.

Die damals keineswegs selbstverständlichen Vierradbremsen des Wagens erleichterten solche Ausflüge ebenfalls. Mangels Verkehr konnte man es ruhig angehen lassen – so eine Tour wollte ja auch genossen sein.

Man ahnt auf diesen Fotos etwas von der Atmosphäre, in der sie einst entstanden. Weit entfernt vom geschäftigen Treiben in den Städten ungestört im Auto die Bergwelt zu erkunden, das war Luxus pur.

Unsere Austro-Daimler-Insassen waren sich dessen wohl bewusst und legten – wie schon auf ihrer Wintertour – immer wieder Pausen an malerischen Stellen ein, von denen diese schönen Fotos künden:

Austro-Daimler ADM; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wer auch immer diese Bilder gemacht hat, verfügte nicht nur über eine gute Kamera und Erfahrung, sondern hatte auch einen Sinn für gelungenen Bildaufbau.

Hier sehen wir den Austro-Daimler in einer ähnlichen Perspektive wie auf der Bilderstrecke aus dem letzten Winter. Dimensionen und Gestaltung des Wagens kommen nun eindrucksvoll zur Geltung.

Auf eine Länge von 4,60 Meter verteilten sich bei der Tourenwagenausführung 1,7 Tonnen Gewicht. Dennoch wirkt dieser große Wagen keineswegs wuchtig:

Zu dem fast filigranen Erscheinungsbild tragen mehrere Details bei: Der sich nach oben stark verjüngende Kühler, die schlicht gehaltenen Vorderschutzbleche, die recht flache Frontscheibe, die niedrige Gürtellinie und: die Speichenräder.

An den österreichischen Wagen der 1920er Jahre – ob von Austro-Daimler, Gräf & Stift oder Steyr – finden sich fast immer Räder mit Drahtspeichen und Zentralverschluss.

Bei deutschen Autos jener Zeit überwiegen dagegen schwerfällig wirkende Gussfelgen oder Scheibenräder, was die oft wuchtige Erscheinung verstärkt.

Heute sind die Wagen der feinen österreichischen Marken der Vorkriegszeit nur noch Gourmets bekannt. Allzuviele davon haben leider nicht überlebt, was auch mit den geringen Stückzahlen zu tun hat.

Vom hier gezeigten Austro-Daimler ADM wurden schätzungsweise 500 Exemplare gefertigt. Wenn davon auch nur ein Dutzend die Zeiten überdauert hat, wäre das eine erfreuliche Nachricht, vielleicht ist ja auch unser Fotomodell dabei…

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and http://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

Des Laubfroschs großer Bruder: Opel 10/40 PS

Dieser Oldtimerblog soll ein einigermaßen stimmiges Bild der Automobillandschaft im deutschsprachigen Raum in der Vorkriegszeit zeichnen.

Dazu werden hauptsächlich Originalabzüge aus der Sammlung des Verfassers gezeigt – also nicht irgendwelche im Netz kopierten Fotos. Präsentiert werden hin und wieder auch außergewöhnliche Bilder, die Leser zur Verfügung stellen.

Es ist eine faszinierend-fremde Welt, die sich einem so eröffnet. Was war da einst für eine Vielfalt an Marken und Modellen auf unseren Straßen unterwegs! Und wie anrührend sind oft die Momente, die auf den Fotos festgehalten sind

Bei aller Begeisterung muss man aufpassen, dass man neben Raritäten von Horch, Mercedes & Co. den gängigeren Modellen gebührenden Platz einräumt, auch wenn dort außergewöhnliche Aufnahmen selten sind.

So zeigen wir heute einige Fotos, die speziell den Altopel-Freunden gefallen werden, aber auch so Freude machen, weil sie eine Ausstrahlung haben, die man auf modernen Abbildungen vergeblich sucht:

Opel 10/45 oder 10/50 PS; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Solche Charaktertypen beherbergte ein Opel in der 2. Hälfte der 1920er Jahre – kein Vergleich mit dem oft unsensiblen Auftreten der Insassen bei heutigen Oldtimerveranstaltungen – kurze Hosen, Baseballkappe, reden wir nicht drüber.

Der in die Kamera schauende weißhaarige Herr ist noch im 19. Jahrhundert geboren. Er hat sich Schnauzbart und „Vatermörder“ in die Weimarer Republik hinübergerettet, der er wohl ebenso skeptisch gegenübersteht wie den in Straßenkämpfen um die Vorherrschaft buhlenden braunen und roten Sozialisten.

Der bullige Typ, der sich aufs Trittbrett stützt, wirkt weniger distinguiert. Schwer zu sagen, welcher politischen Richtung er anhängt. Man traut ihm jedenfalls eine gewisse Gewaltbereitschaft zu…

Im Wagen scheint eine Dame am Steuer zu sitzen, leider ist der Abzug in diesem Bereich beschädigt, sodass sie nicht zur Geltung kommt.

Jetzt aber zum Auto – ein Opel, das ist klar. Das Markenemblem am Kühler sagt alles, auch wenn es unscharf ist. Man denkt spontan an einen weiteren Abkömmling des Opel 4 PS-Typs, der einst als „Laubfrosch“ Furore machte.

Stilistisch scheint alles zu passen – hier zum Vergleich ein Foto eines Opel 4/16 PS Tourenwagens, das ungefähr zur selben Zeit aufgenommen wurde:

Opel 4/16 PS; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Das, liebe Leser, ist eine Aufnahme, wie sie sich nicht alle Tage findet: Belichtung, Kontrast, Schärfe – einwandfrei, auch Aufnahmewinkel und Ausschnitt sind perfekt.

Man merke sich an dieser Stelle folgende Details: vier Radbolzen, relativ kurzer Radstand mit einer Tür, ein Schutzblech am Schweller.

Dort erkennt man übrigens ebenfalls das Opel-Auge, das auf eine Anregung des kunstsinnigen und auch der Technik gegenüber aufgeschlossenen Großherzogs Ernst-Ludwig von Hessen aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg zurückgeht.

Das langgezogene Vorderschutzblech und die ununterbrochene Reihe an Luftschlitzen in der Motorhaube sprechen für eine Entstehung dieses 4/16 PS-Opels zwischen Herbst 1926 und Herbst 1927.

Kommen wir zur Auflösung der Frage, ob der eingangs gezeigte, sehr ähnlich wirkende Opel derselbe Typ ist. Dazu schauen wir uns ein drittes Fahrzeug an:

Opel 10/40 oder 10/50 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser Opel weist eine entscheidende Gemeinsamkeit mit dem Wagen auf dem ersten Foto auf: Er hat vier Türen und sechs Seitenfenster – das gab es beim 4 PS-Modell serienmäßig nicht.

Neben dem langen Radstand mit den zwei Schutzblechen am Schweller verraten auch die sechs Radbolzen, dass wir es mit dem großen Bruder des Opel 4 PS „Laubfrosch“ zu tun haben, dem ab 1925 gebauten 10/40 PS (zunächst 10/45 PS).

Das war eine größere, konstruktiv fast identische Variante des 4 PS-Modells. Neben dem doppelt so starken 4-Zylindermotor und dem größeren Platzangebot waren die Vierradbremsen ein Vorteil, die der Laubfrosch erst 1927 bot.

Ab 1926 wurde das Modell zeitweise als 10/50 Modell angeboten, danach wieder als 10/40 PS – der Grund dafür geht aus der Literatur nicht hervor. Kann ein Leser etwas Erhellendes dazu beitragen?

Jedenfalls war der große Bruder des Laubfroschs diesem in fast jeder Hinsicht überlegen, allerdings war er weit teurer. So wurden davon bis 1929 bloß gut 13.000 Exemplare gebaut – bei US-Großserienherstellern entsprach das dem Ausstoß einiger Wochen.

Entsprechend selten sind zeitgenössische Fotos des Opel 10/40 PS-Modells wie das erste und dritte hier gezeigte. Überlebende Fahrzeuge dürften ebenfalls eine Rarität sein, während es vom Laubfrosch noch etliche einsatzfähige Wagen gibt.

So sind wir nun ungewollt wieder bei etwas Außergewöhnlichem gelandet, obwohl es sich einst um den „meistgefahrenen deutschen Mittelklassewagen“ handelte, wie Altautoguru Werner Oswald einst konstatierte…

52.000 km quer durch Afrika im Skoda Rapid

Wer sich fragt, woher all‘ die Originalfotos von Vorkriegsautos kommen, die auf diesem Oldtimerblog präsentiert werden, dem sei gesagt: aus den Fotoalben der Generation, die gerade abtritt.

Wenn sich in der Familie niemand findet, der Omas und Opas alte Fotos aufbewahren will, die oft ein Spiegelbild ihres Lebens sind, landen die Alben meist auf Flohmärkten oder bei Spezialisten, die die Bilder nach Themen sortiert im Internet anbieten.

So werden die auf Fotopapier festgehaltenen Momente eines Daseins in alle Winde zerstreut. Doch wir Freunde alter Autos freuen uns darüber, dass auf diese Weise reizvolle und rare Zeugnisse früher Mobilität dem Vergessen entrissen werden.

Heute haben wir ein schönes Beispiel dafür. Da hat jemand im Jahr 1938 in Afrika das folgende Foto gemacht, nach der Heimkehr nach Deutschland einen Abzug in sein Album geklebt und wohl irgendwann den Anlass vergessen:

Skoda Rapid; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wo diese Aufnahme entstanden ist, darauf hätten wir keinen Hinweis, hätte sich nicht der Negerjunge ins Bild gemogelt, der sich das Lachen zu verkneifen scheint.

Als nächstes fällt auf, dass sich der Wagen offenbar auf einer längeren Reise befindet. Dafür spricht vor allem der Dachgepäckträger. Auch die stark abgefahrenen Reifen und die vielen Embleme am Kühler künden von intensiver Kilometerfresserei.

Dass dieses Foto nicht in den Vereinigten Staaten gemacht wurde, können wir aus der Marke des Wagens erschließen:

Auf der Kühlermaske thront oben ein geflügelter Pfeil, das Markenemblem der tschechischen Traditionsmarke Skoda. In der Mitte des Kühlergrills sind unscharf fünf Großbuchstaben zu sehen: RAPID steht dort (naja, wenn man’s weiß).

Der Skoda Rapid war ein technisch unspektakulärer, aber modern gestalteter Mittelklassewagen, der ab 1935 gefertigt wurde. Mit seinem 1,4 Liter-Vierzylinder und etwas über 30 PS war das leichte Fahrzeug für europäische Verhältnisse ausreichend motorisiert.

In Übersee hätte man dafür jedoch keine Käufer gefunden – und der Bedarf nach einem kompakten Zweitwagen entstand erst nach dem Krieg. So können wir eine Entstehung der Aufnahme in den USA ausschließen.

Was waren das nun für Leute, die mit so einem Gefährt auf Fernreise waren? Nun, so wie es hierzulande in einigen Regionen typische Gesichter gibt – in Bayern etwa – so ist das auch in den Nachbarländern. Bei dem gut gebräunten und gutgelaunten Herrn würde man eine tschechische Herkunft vermuten.

Slawische Gesichtszüge hat auch seine Partnerin, der man nichts von den Strapazen einer langen Reise ansieht und deren Wellenfrisur makellos sitzt.

Von diesen Indizien – tschechisches Auto, tschechisches Paar und exotische Umgebung – bis zur Lösung ist der Weg nicht weit. Das sind Stanislav und Maria Skulina, die von 1936-38 mit einem Skoda Rapid durch Afrika fuhren.

Stanislav Skulina war Entomologe – also Insektenkundler – und sollte auf dieser Tour für das Nationalmuseum in Prag Käfer sammeln. Dazu hatte Skoda ein technisch serienmäßiges Exemplar des „Rapid“ zur Verfügung gestellt.

Mit diesem Wagen sammelte das Ehepaar Skulina nicht nur über 40.000 Käfer ein, sondern legte auch 52.000 km ohne nennenswerte Defekte zurück.

Begonnen hatte der Afrikatrip in Dakar, wohin man von Bordeaux aus mit dem Schiff gefahren war. Anschließend ging es quer durch das Herz des Schwarzen Kontinents nach Ostafrika und dann nach Süden bis ans Kap der Guten Hoffnung.

Nach einem Wartungsaufenthalt in Südafrika kehrte man über Kenia und Ägypten in die Heimat zurück. Was aus dem Wagen wurde, der sich größtenteils abseits befestigter Straßen hervorragend bewährt hatte, ist dem Verfasser nicht bekannt.

Vielleicht kann ein Leser Wissenswertes zu dieser abenteuerlichen Fahrt der Skulinas mit ihrem treuen Skoda beitragen. Im deutschsprachigen Teil des Netzes ist kaum etwas zu finden, was über die Angaben in diesem Blogeintrag hinausgeht.

Übrigens wurden vom Skoda Rapid keine 4.000 Exemplare gefertigt, obwohl das Modell nach dem 2. Weltkrieg noch bis 1947 gebaut wurde. Dabei handelte es sich um Wagen mit dem 1938 eingeführten 1,6 Liter-Motor, der über 40 PS leistete.

Leider bekommt man hierzulande von den feinen Vorkriegsmodellen tschechischer Hersteller viel zu selten etwas zu sehen, wenn man einmal Tatra außen vor lässt.

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Zu Unrecht vergessenes Erfolgsmodell: Horch 10/50 PS

„Es geht ungerecht zu in Deutschland“, diese bedeutende Feststellung machte kürzlich ein zu Höherem berufener Politiker, dessen Name dem Verfasser gerade entfallen ist.

Aus Sicht der Freunde von Vorkriegsautos, um die es auf diesem Oldtimerblog geht, sind ebenfalls schwerwiegende Ungerechtigkeiten zu beklagen.

Beispielsweise kann nicht jeder eines der grandiosen 8-Zylinder-Cabriolets haben, die die sächsische Manufaktur Horch einst in den 1930er Jahren baute:

Horch 930 V; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Immerhin kann man auf einschlägigen Veranstaltungen eine beachtliche Zahl an Überlebenden dieser durch den 2. Weltkrieg dezimierten Gattung bestaunen.

Vom oben gezeigten Typ 930 V wurden von 1937 bis 1940 über 2.000 Stück gefertigt. Damit gehört das Modell zu den meistgebauten Horchs überhaupt.

Doch ein anderes Zwickauer Erzeugnis, das noch etwas öfter produziert wurde – in über 2.300 Exemplaren – bekommt man heute praktisch nie zu sehen. Das liegt vor allem daran, dass es sich nicht um einen der prestigeträchtigen 8-Zylinder handelte.

Hinzu kam die für ein Luxusauto bemerkenswert einfallslose Gestaltung. Bei anderen Hervorbringungen derselben Ära – den Bauhaus-Produkten – würde dies heute als grandiose Schlichtheit gepriesen.

Gemeint ist also ein Horch aus den 1920er Jahren, als Walter Gropius mit seiner funktionalistischen Bauhaus-Ideologie die Zerstörung unserer Großstädte durch gesichtslose Einheitsarchitektur vorbereitete.

Vorgestellt haben wir das Fahrzeug, um das es heute geht, schon vor längerer Zeit. Allerdings fand sich damals kein besseres Foto als dieses hier:

Zwar ließ sich dieser Tourenwagen als Horch 10/50 PS identifizieren, doch dass die Kühlerpartie verdeckt ist, war unbefriedigend. Heute können wir diesem Mangel ein Ende bereiten.

Zuvor sei noch einmal an die technischen Qualitäten des von 1924-26 gebauten Wagens erinnert: Der Horch 10/50 PS hatte nur einen 2,6 Liter messenden Vierzylindermotor, aber einen von der feinsten Sorte.

Die im Zylinderkopf hängenden Ventile wurden von einer obenliegenden Nockenwelle betätigt, die ihrerseits von einer Königswelle angetrieben wurde – damals die präziseste und zugleich aufwendigste Ventilsteuerung.

Der Motorblock bestand aus einer Aluminiumlegierung, auch die Kolben waren aus Leichtmetall gefertigt. Hochbelastete mechanische Elemente wurden nitridiert, also mit Stickstoff oberflächengehärtet.

Der Antrieb genügte trotz des Gewichts von bis zu 2 Tonnen (je nach Aufbau) für 100 km/h Spitze – aber das war ein theoretischer Wert. Durchzugsvermögen und Steigfähigkeit waren wichtiger, dazu passend besaß der Horch 10/50 PS serienmäßige Vierradbremsen.

Mit diesem technischen Glanzstück machte Horch seinem hervorragenden Ruf alle Ehre und so wurde das 10/50 PS-Modell zum ersten größeren Absatzerfolg der Zwickauer, obwohl die Banalität des Serienaufbaus schwer zu übertreffen war:

Horch 10/50 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Fast könnte man meinen, Bauhaus-Diktator Gropius habe sich bereits hier einmal an einem Automobil versucht und nicht erst 1930 am Adler Standard 6 bzw. 8.

Ähnlich schlichte Kühlerformen fanden sich damals auch bei anderen Herstellern, zum Beispiel Fiat. Doch dort waren sie mit klassischen Proportionen verknüpft, die Linien waren konzentrierter und das Ganze saß wie ein italienischer Maßanzug.

In England oder gar Frankreich wäre ein Hersteller von Luxuswagen mit so einem „Kohlenkasten“ jedenfalls durchgefallen, und auch in Deutschland fanden sich bei Nischenherstellern wie Simson und Steiger weit raffiniertere Linien. 

Doch möglicherweise kam gerade die Schlichtheit des ersten Horchs, der nach dem 1. Weltkrieg einen Flachkühler statt des zuvor modischen Spitzkühlers trug, gut an. Denn mit diesem unscheinbaren Auto wirkte man nicht wie ein „Kriegs- und Krisengewinnler“, was im politisch spannungsreichen Alltag der 1920er Jahre Vorteile hatte.

Auch wenn das Modell weit von den späteren Großtaten der Karosseriegestalter bei Horch entfernt ist, werfen wir einen näheren Blick auf die Frontpartie, an der sich die typischen Elemente gut nachvollziehen lassen:

Förmlich ins Auge springt auf diesem Ausschnitt das Markenemblem, ein gekröntes H, das Horch bei diesem Modell erstmals verwendete.

Ein weiteres Merkmal, das bei der Identifikation hilft, ist die sehr weit unten angebrachte Reihe an Luftschlitzen in den Flanken der Motorhaube. Horch-typisch, zumindest um diese Zeit, sind außerdem die pilzförmigen Nabenkappen.

Auffallend ist der stark gebrauchte Zustand des in Sachsen (Kennung „IM“) zugelassenen Horch 10/50 PS. Offenbar bereitete es den Besitzern des Wagens keine Probleme, mit einem verbogenen Schutzblech herumzufahren.

Zu solcher Gleichgültigkeit erzogen die damaligen Straßenverhältnisse mit reichlich Dreck auf den Chausseen und ein entspannteres Verhältnis zu Spuren des Gebrauchs.

Der eigentliche Luxus bestand darin, über ein derartiges Vehikel zu verfügen, das einen unabhängig von Zugfahrplänen und vom Wetter machte.

Besitzer solcher Wagen reisten viel, denn dabei entfaltete sich der eigentliche Nutzen – nach Gusto durch die Welt fahren zu können, sei es über gepflasterte Alleen an die Strände der Ostsee oder über geschotterte Alpenpässe an den Gardasee.

Das malträtierte Schutzblech verrät auch, dass diese Karosserie möglicherweise nicht im Werk gefertigt wurde. Die Kühlerpartie ist zwar typisch für das Modell und dürfte kaum variiert worden sein, aber der übrige Aufbau scheint woanders entstanden sein.

Dafür sprechen die vorn flach und abgerundet auslaufenden Schutzbleche. Bei Werkskarosserien sah das nämlich so aus:

Neben den spitz zulaufenden Kotflügeln sehen wir die mächtigen Trommeln der Vorderradbremsen, die sich Mitte der 1920er Jahre durchzusetzen begannen.

Interessant ist auch, dass die typischen Nabenkappen hier verchromt sind. Könnte das ein Hinweis auf eine spätere Entstehung des eingangs gezeigten Horch 10/50 PS sein?

Bei solchen Details muss man sich jedoch bewusst sein, dass man es mit Manufakturwagen zu tun hat. Da darf man nicht erwarten, dass einer wie der andere aussah, schon gar nicht nach ein paar Jahren der Nutzung.

Außerdem wurden Automobile schon immer gern „individualisiert“ oder auf „aktuell“ getrimmt. Das abschließende Foto eines Horch 10/50 PS-Tourers ist ein Beispiel:

Horch 10/50 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Was man hier schön nachvollziehen kann, ist die schiere Größe des Horch 10/50 PS. Selten ist das kolossale Platzangebot eines großen Tourenwagens so gut zu erkennen.

Hier finden sechs Personen mühelos Platz, was auch bei Limousinen dieser Klasse Standard war. Auf Reisen war immer noch Platz genug für das Gepäck von vier Insassen.

Am vergessenen Konzept des Tourenwagens, der bis Mitte der 1920er Jahre das Automobil schlechthin darstellte, lässt sich vielleicht am ehesten veranschaulichen, was sich in den letzten 90 Jahren in punkto Mobilität geändert hat.

Aus dem für die Wunder von Stadt und Land offenen Wagen, die ein zuvor undenkbar privilegiertes Reisen ermöglichten, wurden geschlossene, unübersichtliche Kabinen auf vier Rädern, die vor allem dem individuellen Transport abhängig Beschäftigter zum Arbeitsplatz dienen.

Kein Wunder, dass die Besitzer heutiger Gefährte, die bizarre Bezeichnungen wie „Captur“ und „Cactus“ tragen und eine wirre Formensprache aufweisen, kein Bedürfnis verspüren, ihre zum baldigen Austausch bestimmten Mobile zu verschönern.

Dagegen meinte der einstige Besitzer der Horch 10/50 PS Tourenwagens, zumindest in einem Detail mit der Zeit gehen zu müssen:

Dieser Horch, dessen Bleche ebenfalls etliche Veränderungen erfahren haben, die moderne Besitzer zur Weißglut bringen würden, ist eindeutig ein 10/50 PS-Modell.

Doch auf dem Kühler trägt er die 1928 für die 8-Zylinder-Typen eingeführte Kühlerfigur, einen geflügelten Pfeil – heute der Alptraum aller TÜV-Prüfer.

Auch diese Aufnahme gibt Anlass, über die Originalitäts-Ideologie nachzudenken, die hierzulande oft zur Rückrüstung auf den Auslieferungszustand führt – auch bei Autos, die komplett und strukturell intakt die Zeiten überdauert haben.

Im Fall des Horch 10/50 PS scheint die Frage „Restaurieren oder Erhalten?“ aber ohnehin eine eher theoretische zu sein. Denn von diesem einstigen Erfolgsmodell haben wohl kaum welche die Zeiten überdauert.

Hinweise auf noch existierende Wagen dieses Typs – ganz gleich in welchem Zustand – sind daher hochwillkommen.

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1903: Einmarsch der „Gladiatoren“ im Elsass

Zugegeben – die Überschrift des Artikels passt nicht so recht zum Charakter eines Oldtimerblogs: „Gladiatoren im Elsass“ – und das 1903?

Doch wird sich das Rätsel zur Zufriedenheit und vielleicht Überraschung der Freunde richtig alter Automobile auflösen. Denn heute haben wir es mit Raritäten zu tun, von denen auch der Verfasser bis vor kurzem keine Vorstellung hatte.

Aber nehmen wir uns etwas Zeit für einen Exkurs und fassen die Überschrift wörtlich auf: Gladiatoren im Elsass, das ist nicht so abwegig – wenn man die Jahreszahl ignoriert.

Denn das fruchtbare und verkehrsgünstig auf der westlichen Seite des Oberrheingrabens gelegene Elsass gehörte immerhin rund 450 Jahre zum römischen Reich.

Wer sich in der Schule mit Caesars Beschreibung des Gallischen Kriegs befassen durfte, erinnert sich vielleicht an die Auseinandersetzung mit über den Rhein drängenden germanischen Stämmen unter ihrem Führer Ariovist.

Die Sache endete mit einem Sieg der Römer, deren überlegene Zivilisation sich ab etwa 50 v. Chr. im unterworfenen Elsass ausbreitete. Neben städtischen Ansiedlungen wie Straßburg entstanden zahlreiche Landgüter, die vom natürlichen Reichtum der Region und der für den Fernhandel idealen Lage profitierten.

Bis etwa 400 n. Chr. blieb die römische Kultur im Elsass präsent und man darf annehmen, das zumindest im Straßburger Raum, wo sich ein Legionslager befand, auch die damals populären Gladiatorenkämpfe gezeigt wurden.

In der Spätantike, als sich die staatliche Ordnung auflöste und die Kontrolle über die Grenzen verlorenging, fiel das Elsass erneut in die Hände germanischer Stämme, diesmal der Alamannen.

Ihre Sprache erhielt sich im Dialekt der Elsässer bis in die Neuzeit. Das Elsass wurde zwar später Teil des Frankenreichs, die deutsche Prägung blieb aber bestehen.

Nach langer Zugehörigkeit des Elsass zum Deutschen Reich im Mittelalter erlangte Frankreich im 17. Jahrhundert dort erneut die Kontrolle.

Nachdem der 1870 begonnene Krieg Frankreichs gegen Preußen und seine Verbündeten Paris eine krachende Niederlage beschert hatte, wurde das alte Grenzland wieder deutsch.

Über diese verschlungenen historischen Pfade sind wir genau in der Zeit angekommen, in der das folgende Foto im Elsass entstand:

Veteranenwagen um 1903 im Elsass; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das ist eine Aufnahme, der man ihr Alter von über 110 Jahren kaum anmerkt. Überhaupt sind die Fotos jener Zeit – richtige Lagerung vorausgesetzt – oft von bestechender Qualität.

Damals knipste noch nicht jedermann mit Amateurkameras herum; solche Aufnahmen wurden von Berufsfotografen mit großformatigen Plattenkameras angefertigt.

So können wir Ausschnittsvergrößerungen erstellen, ohne dass Unschärfen oder grobes Korn stören. Hier hat sich nur im Gesicht des Herrn am Lenkrad der Abzug aufzulösen begonnen:

Trotz aller Qualität wollte die Identifikation des Wagens mit der ungeschützt vor der Motorhaube befindlichen Kühlerschlange zunächst nicht gelingen.

Zwar weist das Auto einige Ähnlichkeit mit Modellen der französischen Marke Panhard  & Levassor auf, die 1901/02 gebaut wurden.

Doch der Abgleich mit Abbildungen im Standardwerk „Panhard & Levassor – entre tradition et modernité“ von Bernard Vermeylen ergab keine völlige Übereinstimmung.

Erst die Präsentation auf der Internetseite http://www.prewarcar.com brachte den Erfolg. Dort verwies ein niederländischer Kenner auf ein identisches Fahrzeug, das 2012 vom Auktionshaus Bonham’s für 298.000 Pfund versteigert worden war.

Es handelt sich um einen 10-PS Zweizylinder-Wagen, der vom Pariser Hersteller Clément-Gladiator gefertigt wurde. Der Ursprung der Marke lag – man ahnt es – in einer Fahrradproduktion.

Seit 1901 entstanden unter dem Namen Gladiator Autos und schon 1902 erreichte man eine Stückzahl von über 1.000 Fahrzeugen pro Jahr –  ein Beispiel dafür, wie schnell die französische Autobranche die anfänglich führenden deutschen Hersteller abhängte.

1907 verschwand der Name Gladiator wieder und die Fabrik wurde von Vinot & Deguingand übernommen, einer von einst über 1.000 Autofirmen in Frankreich…

Zurück zu unserem Foto, wo wir uns den zweiten Wagen näher ansehen wollen:

So anders das Auto hier wirkt, stammt es doch vom selben Hersteller.

Nicht nur, dass die sichtbaren Teile von Achse und Lenkung übereinstimmen. Hier sieht man auch die für die Gladiator -Wagen typische Abschlussleiste am Vorderende der Motorhaube.

Die unterschiedlichen Scheinwerfer haben nichts zu bedeuten, sie wurden oft erst vom Händler aus gerade verfügbaren Teilen montiert.

Den modernen Betrachter erfreut aber vielleicht noch eines mehr: das abenteuerliche Aussehen der beiden in Pelzmäntel gehüllten Herren auf den Vordersitzen.

Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, dass diese verwegenen Gestalten Nachfahren der germanischen Neusiedler waren, die Caesar fast 2.000 Jahre zuvor im Elsass in ihre Schranken verwiesen hatte.

Nun waren sie wieder da und fuhren auf französischen Autos mit deutschen Nummernschildern im schönen Elsass herum. Aber gerade dieses Nebeneinander der beiden Völker machte schon immer den Charakter der Grenzregion aus.

Wenn nicht gerade übergeschnappte Politiker beider Seiten das Elsass mal wieder für ihre Sandkastenspiele instrumentalisierten, kam man eigentlich miteinander aus.

Für heutige Besucher ist die besondere Rolle des Elsass längst Geschichte. Das deutsche Element ist seit langem auf dem Rückzug, nur die vertraut klingenden Ortsnamen erinnern noch daran. Den Touristen zuliebe sprechen die gastfreundlichen und auf die Bewahrung ihrer Kulturlandschaft bedachten Elsässer oft gutes Hochdeutsch.

Der eigentlich elsässische alamannische Dialekt aber ist so gut wie ausgestorben. Er fällt derselben Vergessenheit anheim, der auch unsere beiden „Gladiatoren“ zum Opfer gefallen sind. Nur auf diesem alten Abzug wirken sie so real wie die Männer in feinem Zwirn und derben Reisemänteln, dass man sich fragt:

Wie konnte eine so hochentwickelte, vielfältige Welt in nur 100 Jahren fast völlig verschwinden – zugunsten einer sich rasant ausbreitenden, meist flachen Monokultur?

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Sensation am Nürburgring: Hanomag „Kommissbrot“

Wir schreiben das Jahr 2017, in dem sich die Eröffnung des Nürburgrings zum 90. Mal jährt – neben der Targa-Florio-Strecke der anspruchsvollste Rennkurs der Welt.

Die Rede ist hier natürlich von der über 20 km langen Nordschleife mit ihren mehr als 70 Kurven und fast 300m Höhenunterschied. Beim Eröffnungsrennen im Juni 1927 gewann Rudolf Caracciola auf einem Kompressor-Mercedes.

Auf diesem Oldtimerblog interessieren uns aber die Rennereignisse der Vorkriegszeit nur am Rande, auch wenn wir gelegentlich Originalfotos von Renneinsätzen der 1920/30er Jahre vorstellen werden.

Bestimmt hat sich vom Titel niemand Rennfotos des 10-PS starken Hanomag „Kommissbrot“ auf dem Nürburgring erhofft.

Und doch geht beides zusammen – der eigenwillige PKW-Erstling des Maschinenbaukonzerns Hanomag und das 90-jährige Jubiläum des „Rings“, der für Rennbegeisterte dieselbe Magie hat wie Richard Wagners gleichnamiges Werk.

Lassen wir uns nun von folgendem Originalfoto wie mit einer Zeitmaschine zurück ins Jahr 1927 transportieren:

Nürburgring 1927; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sehen wir den damals noch herrlich wilden Parkplatz in Sichtweite der Nürburg. Für uns Altautofreunde ist diese Aufnahme eine Augenweide – da schauen wir uns näher um.

Keine Sorge, wir werden nicht alle Autos bestimmen wie exotische Schmetterlinge, obwohl da einiges Interessantes herumsteht. Es sind einfach zu viele Wagen und die Qualität des Abzugs steht einer genauen Ansprache entgegen, meistens…

Genießen wir erst einmal die Vielfalt des Gebotenen: 

Nürburgring 1927; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Da weiß man gar nicht, wohin man schauen soll: Links unten der knackige Zweisitzer hat schon etwas, aber der helle Mercedes weiter oben, der uns die Flanke mit den dicken Auspuffrohren zeigt, wäre die noch bessere Wahl.

Doch der Benz Tourenwagen darunter mit seinem eigenwilligen Verdeck hat auch seinen archaischen Reiz. Putzig wirkt der Fiat 501-Zweisitzer, der in der rechten Hälfte von schweren Limousinen und Tourern umzingelt ist.

Wer heute eine ähnlich sinneverwirrende Auswahl wie selbstverständlich abgestellter Vorkriegsschätze sehen möchte, muss schon den Besucherparkplatz des Goodwood Revival in Südengland oder die Classic Days auf Schloss Dyck aufsuchen.

Wo ist nun aber das versprochene Hanomag 2/10 PS „Kommissbrot“? Tja, das ist von der erwachsenen Konkurrenz ein wenig verschreckt und versteckt sich daher:

Doch es verrät sich durch ein Detail. Dazu nehmen wir erst einmal den Kühler des Wagens in der Mitte ins Visier – wahrscheinlich ein Wanderer.

Rechts von ihm – aus unserer Perspektive – sieht man eine leicht schrägstehende Frontscheibe aufragen, die zu einem kleinen weißen Auto gehört.

Nun peilen wir unter dem Verdeck des Tourenwagens unten rechts die Heckpartie des Wägelchens an: fünf senkrechte Streifen sind dort zu sehen.

„Meine Güte, wie soll man denn so ein Auto identifizieren?“, mag jetzt einer fragen. Nun, oft genug geht es nicht anders auf den alten Fotos, die meist das Einzige sind, was von den Wagen geblieben ist.

Und dieses feine Vergleichsfoto hilft einem dann rasch auf die Sprünge:

Hanomag 2/10 PS „Kommissbrot“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

„Aha, dieselbe Anordnung von Luftschlitzen, das Gefährt am Nürburgring ist also ein Heckmotorwagen. Klarer Fall, Hanomag 2/10 PS Cabrio, Baujahr 1925-28, passt!“

Doch ganz so einfach ist der Fall nicht. Dazu noch einmal zurück auf den Parkplatz auf dem Nürburgring, obwohl die flotte Fahrerin im Hanomag sicher einen zweiten Blick verdient hätte. Aber wir haben hier ja „einen Job zu erledigen“…

Nun also noch einmal das Hanomag „Kommissbrot“ in Nahaufnahme:

Täuscht es, oder hat der weiße Wagen einen Türausschnitt, der nach hinten steil aufwärts verläuft? Ja, hat er, denn das ist der rare Sport-Zweisitzer des Hanomag 2/10 PS, der erst im Jahr der Eröffnung des Nürburgrings vorgestellt wurde.

Hier hat also jemand 1927 seinen neuen Wagen mit 10 PS und 60 km/h Spitze in die Eifel gelenkt, um sich zwischen den großen Autos so richtig sportlich zu fühlen.

Für den Verfasser ist der Hanomag der Held des Tages. Er verdient es, auch mit 90 Jahren Verspätung für seinen Einsatz gefeiert zu werden.

Bringen wir dieser kleinen Sensation am Nürburgring 1927 ein gleichnamiges Ständchen, das etwas vom Lebensgefühl und Tempo der Vorkriegszeit transportiert:

© Videoquelle YouTube; hochgeladen von Deutschlandsender

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Treuer Begleiter auf allen Wegen: Mercedes 170V

Unter den späten Vorkriegsmodellen von Mercedes-Benz genießen die Cabriolets und Roadster der Typen 500 und 540 gewiss das größte Renommée.

Mercedes 540 K Roadster, Classic Days 2012; Bildrechte: Michael Schlenger

Vom 300 SL der 1950er Jahre abgesehen, sollte es von der Marke mit dem Stern nie wieder derartig sensationelle Karosserien geben.

Doch neben solchen Raritäten hat unter Mercedes-Veteranenfreunden vor allem ein Vorkriegstyp eine besonders treue Gefolgschaft, der 170V:

Mercedes 170V; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das ist kein Zufall: Das von Ende 1935 bis 1942 gebaute Volumenmodell verkörperte Tugenden, die bis weit in die Nachkriegszeit typisch für die Marke sein sollten.

Antriebsseitig bot man mit einem 38 PS leistenden Vierzylinder-Seitenventiler Bewährtes, dies aber mit verfeinerter Laufkultur und ordentlichem Drehmoment.  Das Vierganggetriebe war ab 1940 vollsynchronisiert, damals außergewöhnlich.

Auf der Höhe der Zeit war das Fahrwerk mit einzeln aufgehängten Vorderrädern. Als ausgezeichnet galten die hydraulischen Bremsen.

Konservativ blieb man dagegen bei der Karosserie, deren Holz-Blech-Konstruktion unnötig aufwendig und schwer ausfiel. Da waren andere Hersteller weiter.

Auch formal möchte man dem Mercedes-Benz 170V allenfalls gediegene Langeweile bescheinigen – ein Hansa 1700 kam weit rassiger daher, von der stilistischen Klasse eines Citroen 11 CV ganz zu schweigen.

Doch bei der deutschen Kundschaft kam der alle Experimente meidende Mercedes 170V ausgezeichnet an. Hier versteckt sich einer auf einem schönen Winterfoto:

Mercedes 170V; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Von dem Wagen erkennt man nicht viel – aber genug, um ihn als viertürige Limousine des Typs Mercedes 170V zu identifizieren.

Die abgerundeten Ecken der unten ausklappbaren Frontscheibe, die oben angebrachten Scheibenwischer, die Seitenschürzen der Kotflügel, die unterschiedlich angeschlagenen Türen, die Form von Radkappen und Stoßstangen passen perfekt.

So schön das Ende der 1930er Jahre entstandene Foto auch ist, hinterlässt es einen faden Nachgeschmack.

Denn wenig später begann der 2. Weltkrieg und dann wurden Wagen dieser Art mit jungen Männern, die nur einige Jahre älter waren als die Buben auf dem Foto, in ein Geschehen hineingezogen, in dem sie bloße Verfügungsmasse waren.

Hier haben wir einen Mercedes 170V als viertürige Cabriolimousine auf einem Foto von 1942:

Mercedes 170V; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Aufnahme muss am Ende des Winters an der Ostfront entstanden sein, eventuell auch im von der Wehrmacht besetzten Norwegen.

Vom Rang her war der neben „seinem“ Mercedes posierende Soldat ein Leutnant – eventuell zur Luftwaffe gehörig. Leider lieferte auch eine Recherche über das Forum der Wehrmacht keine genaueren Angaben.

Typisch für den militärischen Einsatz sind die mattgraue Lackierung auch der Chromteile, die Tarnbeleuchtung an der Frontpartie und die auf den Schutzblechen aufgemalten Ziffern für den vorgeschriebenen Luftdruck.

Ein weiteres Dokument vom Kriegseinsatz des Mercedes 170V ist folgendes Foto:

Hier sehen wir drei Angehörige einer deutschen Panzerabteilung, die sich von einem Kameraden während eines Bahntransport im Jahr 1943 fotografieren ließen.

Auf die Truppengattung verweisen nicht nur die für Panzerbesatzungen typischen kurzen Jacken mit innenliegenden Knöpfen, sondern auch die großen Zahnräder im Vordergrund. 

Nach Aussage von Fachleuten passt der Typ der Zahnräder zu Panzerjägern des Typs „Marder“, die ab 1942 auf Basis des veralteten Panzers II gebaut und vor allem an der Ostfront eingesetzt wurden.

Die drei Männer haben sich den Bahntransport durch einen Radioapparat versüßt, der auf der Motorhaube eines schon ziemlich mitgenommenen Mercedes 170V steht.

Wohin diese Fahrt einst führte, wissen wir nicht. Jedenfalls standen den Männern und ihrem Mercedes noch zwei Jahre Krieg bevor.

Für die Überlebenden des Infernos waren nach Kriegsende erneut Mercedes-Wagen des Typs 170V treue Begleiter, wie dieser hier:

Dieser Schnappschuss entstand in den frühen 1950er Jahren in Ostdeutschland anlässlich eines Motorradrennens.

Die Gewinner drehen hier in einem Mercedes 170V gerade ihre Ehrenrunde und lassen sich vom Publikum hinter Strohballen feiern. Erkennt jemand die Rennstrecke?

Bis heute haben die noch existierenden Mercedes 170V eine treue Anhängerschaft – und das einst nicht sonderlich spektakuläre Volumenmodell zieht besonders als Cabriolet bewundernde Blicke auf sich.

Im folgenden Video stellt ein Niederländer sein Exemplar vor – auch ohne Übersetzung versteht man ihn recht gut, während er die Details des Wagens erklärt:

© Videoquelle YouTube; hochgeladen von mark rijsdam

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1925: Besuch aus Riga im Studebaker „Standard Six“

Die Beschäftigung mit Automobilen der Vorkriegszeit anhand zeitgenössischer Fotografien fördert nicht nur vergessene Marken, eigenwillige technische Konzepte und individuelle Karosserien zutage.

Man wird auch mit den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen jener Zeit konfrontiert – mitunter auf überraschende Weise.

Wer etwa meint, dass Fernreisen in Europa im Automobil erst möglich sind, seitdem die grenzenlose Reisefreiheit ausgerufen wurde, mag dieses über 90 Jahre alte Foto überraschend finden:

Studebaker „Standard Six“ um 1925; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Für diejenigen, die diesem Blog nur auf einem kleinen Mobilgerät folgen, hier die Transkription des handschriftlichen Vermerks:

„Hoher Besuch in Urschalling! Onkel Georg kommt im Auto aus Riga (1.800 km) mit Familie!“

Den oberbayrischen Ort Urschalling, der in der Nähe des Chiemsees kurz vor der Grenze zu Österreich liegt, muss man nicht kennen – wenngleich in der Kirche einzigartige Fresken aus dem Spätmittelalter erhalten sind.

Die lettische Haupstadt Riga sollte einem schon etwas sagen. Sie ist ein Musterbeispiel für das Mit-, Neben- und Gegeneinander europäischer Völker und Mächte, das gleichermaßen fruchtbare wie fatale Konsequenzen hatte.

Wir wollen hier nicht die unzähligen Besitzerwechsel aufzählen, die die alte Hansestadt über die Jahrhunderte erlebt hat.

Festzuhalten ist nur, dass in Riga seit der Gründung durch einen Bremer Bischof im Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert die deutschstämmige Bevölkerung stets einen nennenswerten Anteil und Einfluss hatte.

Einer dieser Baltendeutschen war besagter „Onkel Georg“ aus Riga, wie übrigens auch der Vater des deutschen Dichters Hermann Hesse.

Als Angehöriger der deutschen Minderheit im Baltikum musste man offen für fremde Einflüsse sein, freilich ohne deshalb die eigene Lebensart aufzugeben.

So scheint es dem gutsituierten Onkel Georg nicht schwergefallen zu sein, sich für den amerikanischen Wagen zu entscheiden, den wir hier sehen:

Auf den ersten Blick sieht das Auto wie ein beliebiger Tourenwagen der 1920er Jahre aus. Zum Glück ist überliefert, dass es sich um ein Modell von Studebaker handelte.

Die Marke ging auf eine von deutschen Einwanderern gegründete Firma zurück und stellte ab 1902 zunächst Elektrowagen her. Die Argumente dafür waren damals: leise, lokal emissionsfrei, innerstädtisch nicht an Tankstellen gebunden.

Die Gründe, weshalb Studebaker später dem Verbrennungsmotor den Vorzug gab, waren diese: größere Reichweite, Betankung binnen weniger Minuten, geringeres Gewicht, mehr Platz für Nutzlast, niedrigere Kosten usw. – alles wie heute.

Nach dem 1. Weltkrieg gab es von Studebaker nur noch 6-Zylinder-Motoren mit unterschiedlichen Hubräumen, was bei europäischen Herstellern die Ausnahme war.

Ab 1924 baute man den „Standard Six“, den wir auf unserem Foto sehen. Sein Motor mit knapp vier Liter Hubraum leistete 50 PS, also deutlich mehr als das, was deutsche Großserienwagen von Adler, Opel, NAG, Presto und Co. boten.

Auf Wunsch verfügbar waren Vierradbremsen. Ob Onkel Georgs Studebaker über diese Sonderausstattung verfügte, wissen wir nicht.

Denn leider verdeckt das kleine Mädchen mit dem Zopf den Blick, das hier eifrig das vordere Rad putzt:

Immerhin ist die Frontpartie des Wagens gut zu erkennen, die perfekt zum Studebaker Standard Six um 1925 passt.

Übrigens wurde das Modell ab Werk mit einer Heizung angeboten – ein Zubehör, das bei deutschen Fahrzeugen jener Zeit so gut wie nie erwähnt wird.

Onkel Georg wird die Heizung des Studebaker „Standard Six“ geschätzt haben, denn in der kalten Jahreshälfte fallen die Temperaturen im Baltikum regelmäßig deutlich unter die Nullmarke.

Die Rückfahrt dorthin wird aber in der schönen Jahreszeit stattgefunden haben – hier ein weiteres Foto, das einst bei der Abfahrt in Urschalling entstand:

Studebaker „Standard Six“ aus Riga um 1925; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Während die Verwandten im Hintergrund ausgelassen winken, macht Onkel Georg einen eher ernsten Eindruck.

Sicher wird er den Studebaker noch einmal technisch auf Herz und Nieren geprüft haben, doch die Heimfahrt über 1.800 km war kein Zuckerschlecken.

Natürlich gab es Mitte der 1920er Jahre Straßenkarten und Wegweiser. Doch Tankstopps wollten über eine solche Entfernung sorgfältig eingeplant werden, ebenso Übernachtungen.

Wie machte man das vor über 90 Jahren? Mit sorgfältiger Vorbereitung mittels Routenplanern, Reiseführern, Telefon und Telegrammen. Ein Reservekanister mit mind. 10 Liter Kraftstoff wird für ein Mehr an Reichweite gesorgt haben.

Und wenn man irgendwo unterwegs nächtigen musste, war man nicht anspruchsvoll. Nach spätestens drei Tagen war man ja wieder zuhause in Riga, wenn man täglich 10-12 Stunden Fahrtdauer und ein Durchschnittstempo von 50-60 km/h ansetzt.

Ja, liebe gestresste Zeitgenossen: So sah Luxus vor über 90 Jahren aus. Ein eigenes Automobil bescherte einem eine zuvor unbekannte Reichweite – Grenzen setzte nur das eigene Durchhaltevermögen…

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and http://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.