Fund des Monats: Ein „Alba“ der frühen 1920er Jahre

Der „Fund des Monats“ mag für meine Leser im Idealfall eine Aufregende oder doch zumindest erfreuliche Sache sein. Für mich stellt er eher eine Entspannungsübung dar.

Denn meist muss ich mir keine Geschichte dazu ausdenken, nicht einmal einen reizvollen Titel oder irgendwelche Anspielungen auf die Irrungen und Wirrungen im Abendrot des Alten Europa. Denn der Fund des Monats spricht im Regelfall bereits für sich.

Schrieb ich gerade „Abendrot“? Nun, das meine ich im Sinne des Zyklus, den Zivilisationen durchlaufen, in der Tat genau so. Wer einen anderen Eindruck von unseren Zeiten hat, den beglückwünsche ich zu seinem Optimismus.

Allerdings kann auch ich wenigstens heute mit etwas aufwarten, was die immerwährende Hoffnung verkörpert, dass in der Asche noch genügend Glut vorhanden ist, um irgendwann neues Licht aufleuchten zu lassen.

Was ich damit meine, sollte spätestens am Ende der heutigen Betrachtung klar sein. Deren Gegenstand allein ist bereits so erfreulich, dass sich sogleich alle düsteren Gedanken verflüchtigen:

„Alba“ der frühen 1920er Jahre; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

So als habe eine wohlmeinende Gottheit die Notwendigkeit gesehen, mir ein Zeichen zu geben, dass dem vom Schicksal Bedrückten dereinst ein strahlendneuer Tag harrt, so flog mir kürzlich auf dem Postweg diese prächtige Aufnahme zu, die vor etwas mehr als 100 Jahren entstand – im Juli 1923, um genau zu sein.

Auch wenn man schon viel gesehen hat, geht einem hier doch das Herz auf, oder? Ein Tourenwagen mit vielleicht Jagdzwecken dienender Spezialkarosserie, eine charmante Dame am Volant, der mutmaßliche Gatte derselben und am Heck der eigentliche Herr über die Maschine – der Chauffeur.

Hier ist alles versammelt, was das Herz des Vorkriegsautoenthusiasten begehrt – oder sagen wir fast. Denn zumindest mir fehlt hier ein aufmerksamer Hund, der die Szenerie abrundet – dabei wäre für ihn auf der Rückbank reichlich Platz gewesen!

Nun werden Sie vielleicht denken: „Schön und gut, aber was soll denn dieses Fahrzeug abgesehen von dem speziellen Aufbau und den Personen so besonders machen? Es wirkt doch keineswegs spektakulär, müsste irgendein gängiges Fabrikat jener Zeit sein.

Tja, so kann man sich irren und so ging es auch mir, als ich mich daran machte, den Hersteller zu ermitteln. Ich war beim Erwerb sicher, dass dies ein Kinderspiel sei.

In gewohnter Manier legte ich das Hauptaugenmerk auf die Kühler- und Haubenpartie – bei Vorkriegsautos in den meisten Fällen der einzige hersteller- und typspezifische Part:

Doch schon beim Kühleremblem musste ich die weiße Fahne hissen, obwohl es doch recht gut zu erkennen ist.

Dann fiel mir aber auf der Nabenkappe des Vorderrads ein Schriftzug auf. Schon machte sich Triumphgefühl breit, das musste jetzt ein einfacher Fall sein!

Doch weit gefehlt, jedenfalls wollte sich das Rätsel so leicht nicht lösen lassen. Vielleicht sind Sie, verehrte Leser, ja gewitzter und lesen mühelos, was da geschrieben steht:

Na, was sagen Sie? Dass es nur weniger Buchstaben sind, welche der Form des Sechsecks angepasst sind, soviel dürfte klar sein. Aber darüber hinaus?

In meiner Not griff ich zum „Reserverrad“, das in diesem Fall bereits an der Hinterachse montiert ist, und versuchte dort mein Glück.

Doch auch dort wollte sich keine spontane Erleuchtung einstellen, außer der, dass am Anfang oder Ende ein „A“ zu sehen ist:

Doch wie Odysseus sich auf der Schiffsplanke seines geborstenen Schiffs festklammerte, als es ihn der Insel der Nymphe Calypso entgegentrieb, auf der ihm (fast) alle Wonnen winkten, derer er bedurfte, so verfiel ich im letzten Moment darauf, mein Glück auf einem Eiland ganz eigener Magie zu versuchen.

Die (nur leicht übertriebene) Rede ist von Claus Wulffs phänomenaler Online-Präsenz, auf der er in vollendeter Großzügigkeit alle seine über viele Jahre gesammelten Schätze in Sachen Historische Autoembleme ausbreitet.

Ich weiß nicht, wie oft ich dort der Verzweiflung nah die erhoffte Erkenntnis fand, was die Identität von Vorkriegsautos auf alten Fotos angeht.

So war es auch diesmal und ich wurde so schnell fündig wie noch nie – denn die (mutmaßliche) Lösung fand sich schon bald am Anfang seines alphabetischen Markenarchivs:

„ALBA“ aus Frankreich bot sich an, wie Sie sich selbst vergewissern können. Die Gestaltung des „L“ ist dabei charakteristisch.

Ich war wie vom Donner gerührt – doch im Unterschied zu Odysseus, der es sich sieben Jahre auf der Insel der Calypso gutgehen ließ, bevor ihm einfiel, dass er doch ursprünglich zum Ehegespons auf Ithaka zurückwollte, kehre ich nun umgehend zu den Tatsachen zurück.

Über die französische Firma Alba erfährt man wenig mehr, als dass sie von 1913-28 einige Vierzylinderwagen mit Motoren von Ballot baute.

Die in der Literatur zu findende Bezeichnung des Alba als „Kleinwagen“ passt nicht so recht zu dem heute gezeigten Exemplar – es fällt auch schwer zu glauben, dass die Marke über so lange Zeit nur mit leichten Konstruktionen gegen die Großserienkonkurrenz von Citroen bestanden haben soll.

Jedenfalls bin ich bis zum Gegenbeweis der Überzeugung, dass wir es beim heutigen „Fund des Monats“ mit einer speziellen Ausführung eines größeren „Alba“-Wagens zu tun haben, auch wenn zugegebenermaßen das Kühleremblem rätselhaft erscheint.

Dennoch stimmt mich schon der Name zuversichtlich, denn „Alba“ heißt auf Italienisch der Sonnenaufgang, welcher laut der berühmten Arie „Nessun dorma“ aus Puccinis Oper Turandot dem Heros am Ende den Sieg verheißt:

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Schönheit im Detail: Simson So 8/40 PS Sport-Tourer

Die Schönheit alter Automobile – also ihre magische Wirkung jenseits der rein technischen Eigenschaften – ist nicht leicht in Worte zu fassen.

Schon die ganz frühen Exemplare aus einer Zeit, in der gestalterisch noch die Kutsche das Vorbild abgab, nehmen uns bei aller Fremdheit in der unmittelbaren Begegnung durch ihre ästhetische Wirkung ein.

Nehmen wir als Beispiel diesen Panhard & Levassor von 1908 (Porträt hier):

Panhard & Levassor von 1908; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieser Wagen entfaltet selbst auf einem fast 120 Jahre alten Foto eine beeindruckende Präsenz. Seine wuchtige maschinenhafte Anmutung wird moderiert durch eine Vielzahl kleiner, aber wohlbedachter gestalterischer Details.

Man betrachte nur die Sorgfalt, welche auf die Formgebung des Kühlergehäuses verwandt wurde, als wollte man diesen rein funktionellen Part einst bewusst durch eine beinahe architektonische Durchgestaltung adeln.

Die Komplexität des Kühlergehäuses ist atemberaubend – um diese skulpturenhafte Dreidimensionalität zu erreichen, waren enorm viele Arbeitsschritte erforderlich:

Die Männer, welche dieses Bauteil einst schufen, waren leider namenlos geliebene Kunsthandwerker und Meister ihres Fachs.

Auch als die Manufakturfertigung zunehmend von der industriellen Serienfertigung abgelöst wurde, blieb eines noch lange erhalten: Der Sinn für die Bedeutung des Details für die Schönheit des Gesamtwerks.

Speziell im Fall der amerikanischen Großserienwagen gewann die ästhetische Wirkung ab den 1920er Jahren eine Eigendynamik, die sich weitgehend von den technischen Gegebenheiten unabhängig machte.

Noch bis Anfang der 1980er Jahre verwandten die amerikanischen Designer selbst bei millionenfach verkauften Pickups eine Sorgfalt auf die Gestaltung des Details außen wie innen, welche bei europäischen Fabrikaten unüblich war, erst recht bei Nutzfahrzeugen.

Der Innenraum eines deutschen Massenfabrikats der 1980er Jahre strahlt aus der heutigen Sicht, in der das durchgestaltete Detail zum Glück wieder mehr zählt, eine deprimierende Nüchternheit aus, unterstützt durch primitive Plastikmaterialien in schwarzgrau und weitgehendes Fehlen von Kontrasten.

Jetzt wird es aber höchste Zeit für ein willkommenes Kontrastprogramm unter dem Motto „Schönheit im Detail“, wenngleich hier ein wenig verunziert:

Simson So 8/40 PS „Supra“ Sport-Tourer; Originalfoto: Michael Schlenger

Der missgelaunte Herr im Heck des Wagens wird nicht nur durch die beiden aufmerksam der Kamera zugewandten Hunde wettgemacht.

Das Auge erfreut sich auch an dem zunächst kaum merklichen Abwärtsschwung der Karosserielinie, welcher auf Höhe des Fahrersitzes einsetzt.

Zwar setzt sich die Oberkante wie beim klassischen Tourer weiter waagerecht fort. Doch ist der Karosseriekörper an dieser Stelle quasi facettiert. Die Erbauer arbeiteten also eine abgekantete Fläche heraus, welche dem Aufbau an dieser Stelle mehr Plastizität gibt und diesen zugleich optisch nach hinten abgerundet erscheinen lässt.

Mir gefällt dieser Effekt ausgesprochen gut und wenn ich es richtig sehe, war dies Kennzeichen eines Sport-Tourers. Der besaß zwar nach wie vor vier bis fünf Sitzplätze, erschien aber aufgrund solcher und anderer Details dynamischer – unter anderem aufgrund kleinerer und gefälliger gestalteter Türen.

Ein hübsches Detail ist hier natürlich auch das abnehmbare Lenkrad, welches dem Fahrer das Platznehmen erleichterte.

Jetzt werden Sie womöglich nach einer Gesamtschau dieses interessanten Fahrzeugs verlangen, doch stattdessen habe ich etwas weiter Reizvolleres in petto.

Denn von demselben Wagen, welcher 1928 aufgenommen wurde, gibt es ein zweites Foto von anno 1929. Und dieses ist im Detail wie in der Gesamtwirkung so reizvoll, dass man damit mehr als zufrieden sein darf – zumal man hier Hersteller und Typ erkennt:

Simson So 8/40 PS „Supra“ Sport-Tourer; Originalfoto: Michael Schlenger

Im Unterschied zum ersten Foto verdient diese Detailaufnahme unbedingte Bewunderung für die Perfektion der Komposition.

Staunenswert ist wieder die makellose handwerkliche Ausführung der schönen Details wie der unteren Rundung der Tür wie auch deren leicht abfallender Oberkante.

Stets ein wirkungsvolles Element ist eine mittig geknickte, geneigte und möglichst niedrige Windschutzscheibe – auch das ein typisches Detail eines Sport-Tourers.

Aus dieser Perspektive schön nachzuvollziehen ist außerdem, wie der Karosseriekörper zum Motor hin schlanker wird – was mit dem Aufkommen der Pontonkarosserien in den 1940er Jahren ebenso verlorenging wie das Trittbrett.

Zu den weniger schönen Details zählt hier die verbogene Kante des Werkzeugkastens, welcher wohl einmal unbeabsichtigten Bordsteinkontakt hatte.

Wettgemacht wird dies durch die Vielzahl an Plaketten an dem Wagen, welche gegenüber der ersten Aufnahme Zuwachs erhalten haben. Vielleicht kann ein Leser etwas Interessantes darunter entdecken.

Nicht zuletzt gilt es, der jungen Frau am riesigen Lenkrad unsere Reverenz zu erweisen. Sie schaut zwar ein wenig skeptisch, wir sind ihr aber freundlich zugewandt und machen ihr gern ein Kompliment für die modische Frisur wie die Raffinesse ihres Oberteils, welches mit einem abwechslungsreichen Punktmuster und eine hübschen Manschette aufwartet.

Nüchterner veranlagte Zeitgenossen werden unterdessen andere schöne Details in den Blick genommen haben – vor allem die Gestaltung der Motorhaube mit den auffallenden Nietenreihen und den niedrigen Luftschlitzen.

Diese Elemente in Verbindung mit den beiden außenliegenden Auspuffohren verraten, dass wir es mit einem Simson „Supra“ des Typs So 8/40 PS zu tun haben.

Dieses in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre gebaute Modell des Waffenherstellers aus dem thüringischen Suhl ist Lesern meines Blogs schon öfters begegnet. Es verdient Anerkennung nicht nur für seine markante Erscheinung, sondern auch für den aufwendigen Motor mit obenliegender Nockenwelle (über Königswelle betätigt).

Allerdings ist uns dieser Typ bislang nur in der gängigen Tourenwagen-Ausführung geläufig, von welcher mir Leser Matthias Schmidt (Dresden) erst kürzlich wieder ein prachtvolles Foto aus seinem Fundus in digitaler Form übermittelt hat:

Simson So 8/40 PS „Supra“ Tourenwagen; Originalfoto: Matthias Schmidt (Dresden)

Über die Unterschiede diese klassischen Tourers und des zuvor gezeigten Sport-Tourers auf der gleichen Basis muss ich meine in solchen Dingen geschulten Leser nicht belehren.

Dabei böte dieses Exemplar trotz seiner strengeren Anmutung ebenfalls Anlass genug, über die Schönheit im Detail zu sinnieren – doch dazu fehlt mir heute die Zeit und eigentlich bedarf es auch keiner vielen Worte – das Auto erzählt einem alles über sein Wesen selbst…

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So fährt sich’s freier: „Freia“ Zweisitzer

Auch wenn der Individualverkehr in den Ballungsgebieten stark zugenommen hat und speziell die PKW-Pendelei für viele nur ein notwendiges Übel darstellt – das Freiheitsversprechen des Automobils, welches von Anbeginn seine Faszination ausgemacht hat, erweist sich spätestens dann als ungebrochen, wenn es in die Ferne geht.

Unabhängig von Fahrplänen und ohne die Zumutungen öffentlicher Verkehrsmittel, deren Versagen hierzulande inzwischen auch bei sonst höflichen ausländischen Gästen für Spott sorgt – also nach eigenem Gusto Fahrzeit, Route und Tempo bestimmen zu können, das ist ein Luxus, den sich heute jedermann leisten kann (noch).

Mit einem billigen Gebrauchtwagen mit kleinem Benzin- oder Dieselmotor gelangt man heute mühelos in ein paar Stunden an die See, in die Alpen oder in lockende Nachbarländer. Dabei hat sich jedoch eines in hundert Jahren nicht geändert: weniger Gewicht bedeutet bei gleicher Leistung mehr Bewegungsfreiheit auf vier Rädern.

Das Gewicht war und ist Feind Nr. 1, wenn es um Agilität und geringen Verbrauch beim Automobil geht. Das gilt nicht nur für heutige, für den Normalbürger unbezahlbare Batteriekutschen. Das war erst recht zu einer Zeit der Fall, als die Motoren vor allem bei Wagen der Einstiegsklasse allgemein nur wenig Leistung boten.

Der Grund war nicht technisches Unvermögen, sondern der Kostenfaktor. Autos waren vor allem im Deutschland der Vorkriegszeit gemessen am Einkommensniveau dermaßen teuer, dass in der Einsteigerklasse gespart werden musste, wo es nur ging: Am Material und an der Montagezeit, am Hubraum und am Verbrauch natürlich.

Dennoch bot in den frühen 1920er Jahren schon so ein Wägelchen wie dieses mit kompaktem 1,3-Liter-Vierzylinder bis dahin ungekannte Reisefreiheit, weshalb sich der Aufbau als viersitziger Tourenwagen besonderer Beliebteit erfreute:

Freia S5 5/15 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Diese rare Aufnahme eines „Freia“-Wagens aus dem schönen Städtchen Greiz in Thüringen habe ich bereits vor einigen Jahren hier präsentiert.

In dem damaligen Blog-Eintrag ist auch etwas zur Geschichte der Marke zu lesen, wenn daran Interesse besteht.

Man mag es kaum glauben, doch das Auto auf obigem Foto war tatsächlich ein viersitziger Tourer – zu erkennen an den zwei Seitenscheiben, die in typischer Tourenwagenmanier auf die Karosserie aufgesteckt wurden und auch weggelassen werden konnten.

Leser Matthias Schmidt aus Dresden steuerte seinerzeit eine weitere Aufnahme eines „Freia“-Tourenwagens bei, bei dem besser zu erkennen ist, dass es tatsächlich eine rückwärtige Sitzbank für Mitreisende gab:

Freia S5 5/15 PS; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt

Bei diesen Spitzkühlermodellen handelt es sich um frühe Exemplare aus der Freia-Serienproduktion , die 1921 mit dem Typ S5 begann. In diesem Modell befand sich unter der Motorhaube ein simpler Seitenventiler mit 15 PS .

Der spärlichen Literatur ist zu entnehmen, dass es ab 1923 – wohl parallel zur Einführung eines Rundkühlers – einen wesentlich stärkeren Motor gab, der bei identischem Hubraum nun dank kopfgesteuerter Ventile ganze 20 PS leistete, nach anderen Angaben sogar 25 PS.

Lachen Sie nicht! Bei einem Fahrzeuggewicht von schätzungsweise 5-600 Kilogramm macht sich jede zusätzliche Pferdestärke positiv bemerkbar.

Bei derartigen Exzessen muss der Fahrer eines solchermaßen potenten Freia-Wagens freilich darauf achten, dass er sich das Mehr an Leistung nicht an anderer Stelle wieder ruiniert. Wie gesagt: Das Gewicht ist der Feind der Freiheit auf vier Rädern!

Zwei Dinge sind auf diesem Sektor im Blick zu behalten: Zum einen gilt es, das eigene Gewicht in Zaum zu halten – jeder Motorradfahrer weiß, dass der eigene Bauch alles zunichtemacht, was an der Maschine an Leichtbaumaterial verbaut oder an Teilen demontiert werden kann.

Zum anderen ist zu vermeiden, dass das Gefährt durch das Gewicht von Mitreisenden belastet wird, die nicht zum engen Kreis der Favoriten im eigenen Dasein gehören.

Also: Kein Schwiegermuttersitz im Heck und bloß keine zweite Sitzbank für verzichtbare Vertreter der buckligen Verwandschaft, falsche Freunde und sonstige Trittbrettfahrer.

Einen „Freia“-Fahrer, der dies alles beherzigt und die ultimative Konsequenz daraus gezogen hat, sehen wir auf dem folgende Foto, welches mir Leser Klaas Dierks kürzlich in digitaler Kopie zur Verfügung gestellt hat:

Freia S5 5/15 PS; Originalfoto: Klaas Dierks

Sieht dieser Zweisitzer nicht großartig aus? Dabei verfügt er über dieselben bescheidenen Abmessungen wie der Tourer – bis auf das Heck, das hier praktisch nicht vorhanden ist.

Weder die Schwiegermutter noch der zum selbstgefälligen Schwätzen neigende „Autoexperte“ aus dem Nachbarort findet hier die Gelegenheit, huckepack zu fahren.

Nur die bessere Hälfte – und die beste Cousine von allen – fänden hier noch Platz, aber auch nicht viel. Ein Anreiz mehr, das Gewicht in sportlich verträglichen Grenzen zu halten.

Jetzt wüsste man nur gern noch etwas mehr über diesen rasant wirkenden „Freia“: Wie schnell lief der Wagen mit dem kleinen 1,3 Liter-Motor unter der endlos langen Haube ? Wie groß war der Tank und wie weit kam man damit?

Das alles gilt es noch in Erfahrung zu bringen, denn Gewicht ist sehr wichtig, aber eben nicht alles, wenn es um die möglichst unbegrenzte Freiheit auf vier Rädern geht.

Aber großartig sieht er schon aus, dieser Freia-Zweisitzer und wenn man gerade an einem Seelenschmerz leidet, hat der Gedanke therapeutische Wirkung, durch die Zeit zu reisen und mit so einem Gerät einfach allem davonzufahren, was einen beschwert…

Literaturhinweis: Einen kurzen Abriss der Freia-Historie findet man in: Automobil & Motorrad-Chronik, September 1976

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Jetzt wird’s wirklich spannend! Presto Typ D 9/30 PS

Es gibt deutsche Vorkriegswagen, die man schon so oft gesehen hat, dass man bei Erwähnen der bloßen Typbezeichnung Gefahr läuft, bestenfalls ein wohlwollendes Gähnen zu ernten.

Das ist jedenfalls das Risiko in meinem Blog, in dem das „Volumenmodell“ D 9/30 PS des sächsischen Herstellers Presto zu den häufigsten Gästen gehört. In der Presto-Galerie finden sich inzwischen Dutzende zeitgenössischer Abbildungen davon.

Dabei war der von 1921-25 gebaute, technisch konventionelle Vierzylinderwagen damals eines der attraktivsten Autos am deutschen Markt, jedenfalls in optischer Hinsicht.

Der messerscharf zulaufende Spitzkühler stellte selbst die Exemplare von Daimler und Benz in den Schatten, wobei die schnittige Frontpartie durch spitz endende und nach hinten lang auslaufende Vorderkotflügel noch weiter akzentuiert wurde:

Presto Typ D 9/30 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

An diesem bislang noch nicht vorgestellten Exemplar aus der Sammlung von Leser Matthias Schmidt (Dresden) erkennt man außerdem die fünf kiemenartigen Luftauslässe in der Motorhaube, die sich an den meisten Prestos des Typs D 9/30 PS finden.

Als Stückzahl für diesen Wagen gibt es nur Schätzungen, die sich auf einige tausend belaufen. Genau weiß es wohl niemand, allerdings unterstützt die auffallend große Zahl der überlieferten Fotos die Annahme, dass die Produktion für deutsche Verhältnisse tatsächlich beträchtlich gewesen sein muss. Bloß überlebende Autos davon sind äußerst rar.

Die meisten Abbildungen zeigen – wie für damalige Wagen typisch – klassische Tourenwagenaufbauten mit ab der Frontscheibe völlig austauschbarer Gestaltung, drei Sitzreihen und dem für diese Fahrzeuggattung typischen leichten Verdeck, das auf den meisten Fotos niedergelegt war, so auch hier:

Presto Typ D 9/30 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Kleine Variationen gab es bei der Frontscheibe: Meist war sie senkrecht und vertikal geteilt, es finden sich aber auch Ausführungen mit ausstellbarer obererer Hälfte.

Ob man daran frühe und späte Versionen auseinanderhalten kann, ist mir nicht bekannt – es gibt keine hinreichend aussagefähige Literatur zu den Presto-Automodellen.

Wie kommt man angesichts dieses Befundes dazu „Jetzt wird’s wirklich spannend!“ auszurufen? Gut, mögen Sie jetzt sagen, unser Blog-Wart hat ja immerhin schon Exemplare des rasant wirkenden Sport-Tourers auf Basis des Presto Typ D aufgetan.

Dazu zählt unter anderem dieses Gerät, das hier am Ziel der ADAC-Winterfahrt in Garmisch-Partenkirchen im Februar 1925 zu sehen ist, also vor knapp 100 Jahren:

Presto Typ D 9/30 PS Sport-Tourer; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Diese leicht anmutende Ausführung des Presto ist auch in anderen Beispielen dokumentiert und scheint eine ab Werk verfügbare Karosserie als Sport-Tourer besessen zu haben.

Typisch ist hier vor allem das hochgelegene Trittbrett, welches Gewichtseinsparungen bei den Kotflügeln ermöglichte und den Wagen flacher wirken lässt als den ordinären Tourer. Darauf scheinen sich die Modifikationen beschränkt zu haben.

Sie finden weitere Exemplare davon in meiner Presto-Galerie. Einen wirklich spannenden Neuzugang hat mir dort jedoch erst kürzlich Leser und Sammlerkollege Jürgen Klein ermöglicht.

Er hat nämlich eine Karosserieversion auf Basis des Typs D 9/30 PS aufgetan, die nun wirklich speziell ist. Sie ist mir noch nirgends begegnet, dabei stellt sie keineswegs die Bastelarbeit irgendeines begabten Dorfspenglers dar, ganz im Gegenteil.

Wenn Sie bis hierher durchgehalten haben, werden Sie jetzt hoffentlich ebenfalls feststellen: „Das ist nun wirklich spannend!“:

Presto Typ D 9/30 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Jürgen Klein

Auch wer bislang meinte, in Sachen Presto Typ D 9/30 PS schon alles gesehen zu haben, wird hier fasziniert sein.

Und diejenigen, welche in dieser Hinsicht noch Novizen sein, werden schon einmal zufrieden feststellen, dass sie diesen schneidig auftretenden Wagen spontan als Presto D-Typ identifiziert hätten. So habe ich auch einmal angefangen…

Doch erst die nicht so vertraut anmutenden Details sind es, welche dieses Fahrzeug so speziell und spannend machen, wie ich finde.

Schauen Sie sich einmal die Heckpartie an – sie fällt nach hinten sanft ab, wie man das damals eher bei amerikanischen Rumbleseat-Roadstern findet. Zudem scheint mir der Radstand merklich kürzer zu sein als beim Tourer oder dem Sport-Tourer.

Das kann täuschen, würde aber zu dem Versuch passen, dem Wagen die Anmutung eines der typischen 2-türigen US-Cabrios der 1920er Jahre zu geben, die damals weit moderner gestaltet waren als deutsche Autos.

Zum Vergleich hier ein Packard Single Six von 1922 mit ausgestelltem Schwiegermuttersitz („rumble seat“) im abfallenden Heck:

Packard Single Six, Modeljahr 1922; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der Versuch, die Linie des Presto mit ein wenig Zierat aufzupeppen, hat sich in einer eigenwilligen Zierleiste niedergeschlagen, welche seitlich von der Frontscheibe die Motorhaube entlangläuft und nach vorne immer steiler abfällt.

Vermutlich sollte diese Linie spiegelbildlich mit dem gerundeten Heck korrespondieren. Wie diese Zieleiste technisch realisiert wurde, da die Frontpartie ansonsten vollkommen serienmäßig erscheint, das mögen uns beschlagenere Leser erklären.

Nicht unerwähnt bleiben soll ein letztes Detail, welches dieses Presto für mich zu so einem spannenden Gegenstand der Betrachtung machte, nämlich das Nummernschild.

Die Kennung „MI“ hatte ich bis dato noch nie gesehen und ich war geneigt, eine ausländische Zulassung dieses Presto in Erwägung zu ziehen.

Doch dann schaute ich in Andreas Herzbergs Standardwerk „Handbuch deutsche KfZ-Kennzeichen, Band 1, Deutschland bis 1945“, welches wie andere oft bemühte Klassiker in Reichweite liegen, während ich zu fortgeschrittener Stunde meine Blog-Einträge herunterschreibe.

Dort fand sich das einstige Herzogtum Mecklenburg-Schwerin als Zulassungsbezirk, der bis 1934 seine Eigenständigkeit beibehielt, bevor das Land Mecklenburg als neue Verwaltungseinheit entstand.

Noch mehr Spannendes vermag ich diesem Foto für heute nicht abzugewinnen, ich meine aber, das ist schon so eine ganze Menge.

Schließen möchte ich mit einem Blick auf die drei Herren, welche einst diesen Presto bevölkerten. Wie leider so oft wissen wir nichts über sie, außer dass von ihnen wie dem Presto nichts geblieben sein dürfte außer diesem Fetzen belichteten Papiers:

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Der fesche Herr fährt Brennabor: Typ Z 6/25 PS

Heute steige ich ohne Vorgeplänkel mit einer kühnen These ein – ermutigt durch die mich dabei begleitende Tondichtung „Ein Heldenleben“, welche Richard Strauss 1898 fertigstellte.

Die für solche Werke idealen Wiener Philharmoniker besorgten meine bevorzugte Einspielung von 1989. Diese hat nebenbei den Charme, dass anschließend noch Arleen Auger die magischen „Vier Letzten Lieder“ des Komponisten singt, mit denen 1948 die späte Klassik (oder Romantik) ihren Endpunkt fand (Telarc CD-801080).

Von diesen Gipfeln führt uns der Weg freilich in die Niederungen des automobilen Alltags, wie wir gleich sehen werden. Doch auch dort finden sich bisweilen Zeugnisse, welche anschaulich machen, dass der Mensch auch das banalste Fahrzeug zu adeln vermag.

Bevor wir dazu kommen, muss ich Sie mit weiterem Bildungsballast behelligen. Vielleicht ist dem einen oder anderen noch das Attribut „fesch“ geläufig, welches ich im Titel meines heutigen Blog-Eintrags verwendet habe.

Die jüngere Generation würde stattdessen vermutlich „hip“ oder etwas anderes sagen, was ich als Vertreter der 69er Fraktion nicht mehr kenne. Doch gemeint ist stets dasselbe, nämlich, dass jemand erkennbar besonderen Wert auf modische Erscheinung legt.

So entstand im 19. Jh. aus dem englischen Wort „fashionable“ im deutschen Sprachraum durch Verkürzung die Bezeichnung „fesch“ für alles, was der neusten Mode entsprach.

So sehr neue Moden stets erst einmal für Aufregung im Establishment sorgten, so zuverlässig erwiesen sie sich im Rückblick meist als geschmackvoller und ansehnlicher Ausdruck neuer Tendenzen und neuer Weisen der Selbstdarstellung.

Hier haben wir ein schönes Beispiel dafür, meine ich:

Brennabor Typ Z 6/25 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der brave Lieferwagen auf Basis des Brennabor Typ Z 6/25 PS von 1928/29 ist hier kaum der Rede Wert. Das Beste an ihm ist der Aufbau mit Beschriftung in feiner Fraktur.

Dieses Gefährt diente offenbar der Weiterverteilung der Bautzener Nachrichten im Umland der beeindruckenden Stadt im östlichen Sachsen, die nach dem 2. Weltkrieg als Ort kommunistischer Todeslager bzw. Stasi-Gefängnisse traurige Bekanntheit erlangte.

Davon war 1930 nichts zu ahnen, als das heute vorgestellte Foto entstand. Es muss ein sonniger Tag gewesen sein, an dem der Fahrer des Wagens eine Pause zur Lektüre des von ihm ausgefahrenen Blatts einlegte.

Von alter Hand ist auf der Rückseite des Abzugs sein Name vermerkt: „Herr Adam“ steht dort lapidar. Merkwürdigerweise finde ich ihn sympathisch, obwohl ich sonst nichts über ihn weiß.

Das muss an seinem „feschen“ Erscheinungsbild liegen:

Bei der Gelegenheit registrieren wir beiläufig die zwei Reihen mit je fünf waagerechten Luftschlitzen, an denen man den Brennabor Typ Z 6/25 PS erkennt. Die Marke hatte Ende der 1920er Jahre ihre große Zeit hinter sich und war gestalterisch heillos von gestern.

Doch Herr Adam macht das alles wieder gut und verschafft dem Brennabor eine sonst kaum verdiente Aufmerksamkeit. Er hat sich sein Outfit präzise auf den Leib schneidern lassen.

Dabei wirken die aufgesetzten Taschen auf dem Jackett und die knapp sitzenden Kniebundhosen dezent sportlich. Dazu natürlich Hemd und Krawatte, sorgfältige Frisur und keinerlei Exzess. Als kleine Extravaganz allenfalls: geringelte Kniestrümpfe.

Na, meine Damen, hätten Sie sich von diesem feschen Herrn nicht gern auch die Zeitung bringen lassen? Darin stand damals gewiss nichts Besseres als heutzutage, doch der Bote machte das mühelos wett.

Und wenn man keine Ahnung hatte, was für eine von Mode und Technik längst überholte Kiste der Brennabor Z 6/25 PS damals war, dann konnte man geblendet durchaus zu dem keineswegs falschen Urteil gelangen: „Der fesche Herr Adam fährt Brennabor!

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Doch nicht so einfach, oder? Ford „Köln“ Cabriolet

Kennen Sie das? Dinge, die sonst leicht von der Hand gehen, wollen einfach nicht gelingen, dabei macht man nichts anders als sonst. Nun, man sollte sich darüber keine übermäßigen Sorgen machen – der Mensch hat längst nicht alles im Griff.

So habe ich die vergangenen Abende Stunden damit zugebracht, einige Dutzend „neuer“ alter Fotos in ein paar schnelle Erfolge umzumünzen. Der Januar ist bei mir geschäftlich stets besonders fordernd, sodass ich nicht so viel Zeit in meinen Blog stecken kann.

Doch der Plan wollte nicht aufgehen, ein paar „leichte“ Fälle zu knacken und die Ergebnisse rasch zu präsentieren. Es stellte sich einfach nicht die gewohnte Erfolgsquote ein, was wohl auch daran liegt, dass ich fast nur noch Bilder erwerbe, die von vornherein rätselhaft erscheinen.

Vielleicht wollte ich bloß aber auch nur das Finderglück erzwingen und das stellt sich selten auf Knopfdruck ein. Also verfiel ich auf den Gedanken, einfach das erstbeste Foto im Fundus zu nehmen, von dem ich sicher wusste, was es zeigt:

Ford „Köln“. 2-Fenster-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wenn Sie jetzt auch als Kenner ins Grübeln kommen und denken: „Doch nicht so einfach…“, dann sei Ihnen versichert, dass auch ich nicht auf Anhieb wusste, was das für ein Wagen war, der uns hier von einer adretten Dame ein wenig spröde präsentiert wird.

Tatsächlich war es ein zweites Foto desselben Autos, das die Sache einfach machte – dazu später. Lassen Sie uns dennoch versuchen, unsere Kompetenz einmal an diesem Dokument zu beweisen.

Die Architektur im Hintergrund weist schon einmal auf Mitteleuropa hin. Das gotisierende Fenster neben dem Eingang ist typisch für Bauten des Historismus, wie er vor allem im deutschen Sprachraum in der zweiten Hälfte des 19. Jh en vogue war.

Für ein deutsches Fabrikat spricht zudem eine kuriose Beobachtung, die ich über die Jahre gemacht habe: Nur bei Cabriolets aus Deutschland begegnet einem wiederholt ein dermaßen turmhoch aufgeschichtetes Verdeck, wenn es niedergelegt ist.

Ich weiß nicht, ob das am Unvermögen der Hersteller oder der Benutzer oder gar beidem lag – bei amerikanischen, englischen oder französischen Autos jeder Zeit habe ich das jedenfalls nicht bewusst und gehäuft registriert. Auch dazu mehr auf dem 2. Foto.

An welchen in Deutschland gefertigten Wagen in der Kompaktlasse fand man einst standardmäßig Drahtspeichenräder mit Radkappen wie hier zu sehen? Nun, außer bei besonders hochwertigen Ausführungen von DKW eigentlich nur bei Fords aus Köln.

Das perfekte Beweisfoto dafür liefert uns Leser Klaas Dierks mit dieser Fabrikinnenansicht:

Ford-Produktion in Köln; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Wie es der Zufall will, ist hier neben Limousinen und Cabrio-Limousinen auch genau so ein 2-fenstriges Cabiolet wie auf meinem eingangs gezeigten Foto zu sehen – vorne links.

Vergleichen Sie einmal die markante Gestaltung der Türoberseite – ein einfacher Fall, nicht?

Tatsächlich: Wir haben es mit dem ab 1933 gebauten Ford „Köln“ zu tun. Er war die deutsche Entsprechung des ein Jahr zuvor von Ford in Großbritannien eingeführten Y-Typs und sah anfänglich auch genauso aus.

Das Wägelchen mit seinem gut 900ccm messenden Vierzylinder (21 PS) war von der Konstruktion her zwar einfach gehalten. Seitlich stehende Ventile und Starrachsen standen aber dem Verkaufserfolg in Großbritannien nicht im Weg. Bis 1937 entstanden dort über 150.000 Exemplare.

Das Ford Köln mit praktisch demselben Modell kein vergleichbarer Erfolg gelang, lag schlicht daran, dass es dafür keinen Markt gab. Anders gesagt: In Deutschland gab es keine vergleichbar große zahlungskräftige Schicht, die sich so einen Wagen leisten konnte.

Die gemessen an der Gesamtbevölkerung winzige Minderheit der Deutschen, die einen Kleinwagen finanzieren konnte, wurde bereits mit den simplen Einsteigermodellen von Opel (1,2 Liter) und DKW (Frontmodell) nahezu vollständig abgedeckt.

So blieben für Ford wie übrigens auch für Hanomag in der 1-Liter-Klasse nur einige Brotkrumen übrig, die man aufsammeln konnte. Im Fall des Ford „Köln“ konnte man bis 1936 ganze 11.000 Exemplare absetzen.

Dieses Bild bestätigt einmal mehr den kuriosen Befund, dass die Briten damals zwar noch keine Autobahnen, aber dafür echte Wagen für’s Volk hatten (man denke vor allem an Austin) – in Deutschland verhielt es sich umgekehrt.

Der Staat gab Geld mit vollen Händen für reine Prestigeprojekte und natürlich die Rüstung aus, während der Durchschnittsbürger ein armer Schlucker blieb.

So verwundert es auch nicht, dass Ford den kühn als „Volkswagen“ angepriesenen „Köln“ auch mit teuren Sonderkarosserien wie dem 2-Fenster-Cabriolet anbot. Die wenigen Käufer, für die überhaupt so ein Wagen erreichbar war, konnten sich dann auch so etwas leisten:

Ford „Köln“, 2-Fenster-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier lassen sich nun weitere Detail studieren, etwa die schmalle gerillte Stoßstange, das harmonisch in den Vorderkotflügel übergehende Trittbrett und die neun Luftschlitze in der Motorhaube.

Wenn Sie jetzt meinen zu wissen, wie der Ford „Köln“ auf meinem eingangs gezeigten Foto aussah, dann muss ich sagen: Ganz so einfach ist es nicht.

Denn bei der näheren Betrachtung der Aufnahmen in meinem Fundus, in der Literatur und im Netz fiel mir etwas auf, was meines Wissens nirgends genauer erläutert wird. Damit meine ich nicht den Wegfall der Trittbretter und die Umgestaltung der Stoßstange im 2. Modelljahr 1934.

Vielmehr bereitet mir die Zahl der Luftschlitze Schwierigkeiten. So scheint das britische Vorbild – das Ford Model „Y“ mit nur sechs dieser Schlitze gestartet zu sein. Doch findet man beim deutschen Typ „Köln“ schon im ersten Modelljahr 1933 plötzlich acht oder neun davon und im zweiten Modelljahr 1934 dann bisweilen auch wieder nur sechs.

Ein eindeutiges Muster konnte ich jedenfalls bislang nicht erkennen, was bei einem in Serie gefertigten Wagen doch etwas verwundert. Wer es erklären kann, ist aufgerufen, uns im Kommentarbereich aufzuklären. Vielleicht ist die Sache ja doch ganz einfach.

Schließen will ich aber nicht, ohne nun das angekündigte zweite Foto des eingangs gezeigten Ford „Köln“ zu zeigen. Es kann zwar nicht mit dem Reiz des ersten mithalten, aber es liefert doch interessante Informationen:

Ford „Köln“, 2-Fenster-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die geöffnete Motorhaube ruiniert hier die Linie, aber man kann nicht alles haben. Viel schöner wäre der Wagen auch sonst nicht geworden – seien wir ehrlich.

Festzuhalten sind hier jedenfalls die erwähnten sechs Luftschlitze – wie gesagt, schon im ersten Modelljahr finden sich auch Exemplare mit acht bis neun und im zweiten Modeljahr wieder welche mit sechs.

Da es nur eine Motorisierung gab, kann man einen unterschiedlich großen Kühlungsbedarf ausschließen. Bei den Beispielen mit zahlreicheren Luftschlitzen sind diese schmaler, sodass der Luftdurchsatz vergleichbar gewesen sein dürfte.

So einfach wie der Ford „Köln“ auch konstruiert war, so einfach scheint er im Detail dann doch nicht gewesen zu sein. Das muss auch für das Verdeck gelten, dessen grotesk gebirgehafte Anmutung erneut offenbart, dass es entweder eine ungeschickte Konstruktion war oder eine Fehlbedienung beim Niederlegen ermöglichte.

So denkt man erst bei diesem Wagen „eine einfache Sache“ – so ging es jedenfalls mir. Dann stellt man aber fest: „Doch nicht so einfach!“ – also wie im richtigen Leben.

Man lernt auch an solchen scheinbar unverfänglichen Beispielen, demütig zu werden…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ein Ostfriese im Skiurlaub! Fiat 508 S Spider Sport

Es ist Anfang Januar, jetzt beginnen die eigentlichen Wintermonate und passend dazu fallen die Temperaturen in meiner Heimatregion – der hessischen Wetterau – auf eher seltene 6-7 Grad Minus.

Beim mittäglichen Spaziergang mit der besseren Hälfte blies ein schneidiger Ostwind und wir hielten es trotz Sonnenscheins nicht lange aus.

Immerhin konnten wir uns vergewissern, dass es den Schweinen, Schafen und Ziegen gut geht, die ein sympathischer Zeitgenosse auf einem Wiesengrundstück am Dorfrand hält und natürlich haben die freundlichen Viecher dort auch eine wärmende Heimstatt.

Zurück im Haus wurde gegen Abend erstmals seit letztem Winter der Kaminofen angefeuert – unsere „klimaneutrale“ Alternative zur staatlicherseits propagierten Wärmepumpe. Nach zwei Stunden war die ganze Bude (ein 120 Jahre altes Fachwerkhaus ohne Dämmung) so wohltemperiert wie schon lange nicht.

Mit warmem Hinterteil unterstützt vom guten alten Wollpullover bloggt es sich gleich viel entspannter – vor allem dann, wenn es auf eine Winterreise der besonderen Art geht. Denn heute begleiten wir einen Ostfriesen in den Skiurlaub!

Es sei vorausgeschickt, dass es mir fernliegt, Witze auf Kosten der ostfriesischen Landsleute zu machen, die ich als erdverbunden, ehrlich und ernst kennengelernt habe – was folgt, ist also ein reiner Tatsachenbericht.

Stellen Sie sich vor, Sie wohnen in Aurich und wollen partout in den Skiurlaub. Was macht der gemeine Ostfriese? Packt er seine Ausrüstung zusammen und dampft mit der Eisenbahn gemächlich gen Süden in gebirgige Regionen?

Weit gefehlt. Das nötige Kleingeld vorausgesetzt nimmt er das Automobil und weil ihm weder Wind noch Kälte etwas anhaben können, wählt er die offene Variante:

Fiat 508 S Spyder Sport; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ich wollte es erst nicht glauben, aber diese schicke kleine Roadster war tatsächlich im ostfriesischen Aurich zugelassen. Der Besitzer hatte beim Kauf genau Maß genommen, um sicherzugehen, dass die Skier mitsamt Stöcken auch auf die Kotflügel passten.

Dafür kamen in der Kleinwagenklasse nicht allzuviele Fahrzeuge in Frage – im vorliegenden Fall erwies sich ein italienisches Automobil als perfekt passender fahrbarer Untersatz.

Den ersten Hinweis auf den Hersteller gab das dekorative Element auf dem Kühler – das fand sich so am Fiat 508, der 1932 eingeführt worden war und in Deutschland auch im alten NSU-Werk gefertigt wurde. Hier haben wir die brave Limousine:

Fiat 508 oder NSU-Fiat 1000; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Den geneigten Kühler bekam das 1-Liter-Modell eigentlich erst 1934 spendiert.

Doch schon ein Jahr früher bot man dieses Detail in Verbindung mit Roadster-Karosserie an – der Typ 508 S Spyder Sport war geboren, den wir auf dem ersten Foto sehen.

Nicht nur sah er flott aus, dank seines leistungsgesteigerten Motors und niedrigem Gewicht marschierte er auch ordentlich. Wer die Fiat-typisch hohen Drehzahlen nicht scheute, konnte statt bisher 20 PS (ab 1934: 24 PS) nunmehr 30 PS aus dem Aggregat herausholen.

1-Liter-Motoren dieser sportlichen Charakteristik stellte in deutschen Landen niemand her, was zur Beliebtheit der Fiats jener Zeit beitrug.

Zum Vergleich: Opels 1-Liter-Typ leistete sparsame 18 PS, das schafften sogar die 600ccm-Motoren von DKW. Hanomag kam bei 1,1 Litern Hubraum immerhin auf 23 PS. Allenfalls BMW bot mit dem kleinen 6-Zylindertyp 303 (30 PS aus 1,2 Litern) eine Alternative.

Die ehrgeizigen Turiner legten aber 1934 nach und brachten den Fiat 508 S Sport mit einem 1 Liter-Motor heraus, der sogar 36 PS bereitstellte – das war dann wirklich konkurrenzlos.

Nach wie vor wog der Roadster nur 600 Kg, war aber jetzt sogar mit 4-Gang-Getriebe ausgestattet und damit nun auch langstreckentauglich.

Hart im Nehmen musste unser Ostfriese gleichwohl sein, wenn er mit diesem beinharten Gefährt einige hundert Kilometer im Winter zum nächsten Skiort absolvieren wollte. Unsere Altvorderen waren allerdings auch aus anderem Holz geschnitzt als unsereins.

Eine Sache muss bislang offenbleiben: Zeigt mein Foto noch die Ursprungsversion des Fiat 508 S Sport von 1933 oder schon die leistungsgesteigerte Ausführung von anno 1934? Äußerlich scheinen sie weitgehend identisch gewesen zu sein.

Weiß jemand es genau? Sie sehen: Mir ist es ganz ernst, was den Friesen-Fiat auf Skiurlaub angeht – was solche Details angeht, verstehe ich keinen Spaß…

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Beinah‘ ein kleiner Rolls… DKW Typ P 15 PS

Heute trägt er aber besonders dick auf, unser „Blog-Wart“ – um die Wortschöpfung eines geschätzten Lesers zu verwenden. So mag jetzt der eine oder andere unter Ihnen denken.

Und die DKW-Freunde werden ohnehin der Meinung sein, dass ihre zweitaktenden Lieblinge solche Vergleiche gar nicht nötig haben. „Macht er sich am Ende lustig über DKWs erstes Serienautomobil?“

Nein, mit Spott bedenke ich regelmäßig nur das von manchen für ein Auto gehaltene „Kommissbrot“ von Hanomag – was mich nicht davon abhält, demnächst wieder einige Fotos auch dieser abwegigen Konstruktion zu zeigen, denn das verlangt die Chronistenpflicht.

Wie man vom 1928 vorgestellten DKW Typ P 15 PS ausgerechnet auf Rolls-Royce kommt, das will ich heute vorführen und vielleicht verstehen Sie am Ende, wie diese Idee entstand.

Beginnen wir zunächst mit einem schönen Dokument, welches mir Leser und DKW-Spezialist Volker Wissemann in digitaler Form zur Verfügung gestellt hat. Es zeigt den vierrädrigen Erstling des renommierten Motorradherstellers in der Ausführung als zweisitziges Cabriolet:

DKW Typ P 15 PS, 2-Sitzer-Cabrio; Originalfoto: Sammlung Volker Wissemann

Man mag die Motorisierung des DKW mit gerade einmal 600ccm messendem Zweizylindermotor belächeln – Ende der 1920er Jahre war das an sich nicht mehr zeitgemäß.

Doch die Zeiten waren schwer und mit diesem Gerät konnte man die höhere Hubraumsteuer konkurrierender Modelle von Opel, Hanomag und Dixi unterbieten.

Hinzu kam die extreme Einfachheit der Zweitaktmotoren, welche vom Motorrad her kommenden Erstkäufern entgegenkam. Ansonsten sprach eigentlich nichts für den kleinen DKW – weder beim Kaufpreis noch in der Leistung bot er Vorteile.

Nicht einmal einen soliden Stahlrahmen bot er – die Karosserie bestand aus einem selbsttragenden Holzkorpus. Bei DKW wusste man wohl um die Nachteile des Konzepts und so scheint man besondere Sorgfalt auf die Gestaltung gelegt zu haben.

Tatsächlich war der kleine DKW – wie die meisten seiner Nachfolger – durchaus attraktiv gezeichnet. Kein anderer deutscher Hersteller sollte in der Kleinstwagenklasse Autos bauen, die so erwachsen und wohlproportioniert wirkten.

Speziell die einfachste Version – der offene Zweisitzer mit leichtem Roadsterverdeck – erschien geradezu sportlich:

DKW Typ P 15 PS Roadster; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir übrigens ein ganz frühes Exemplar, bei dem das DKW-Emblem noch nicht auf einer etwas vorspringenden Fläche auf dem Kühlergehäuse angebracht ist.

Dass hier bei allen Qualitäten gestalterisch noch Luft nach oben war, das mag der ein odere andere Besitzer schon damals festgestellt haben.

Tatsächlich hatte sich ein unbekannter DKW-Fahrer vorgenommen, seinen kleinen 15 PS-Wagen gleich um mehrere Klassen aufzuwerten.

Vermutlich hat er unter der Haube alles beim alten gelassen, doch mit geschickten Modifikationen hat er dafür gesorgt, dass sein Wagen auf den ersten Blick wie ein kleiner Rolls-Royce daherkam:

DKW Typ P 15 PS, modifizierter Zweisitzer; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wäre da nicht immer noch das DKW-Logo auf dem Kühler, könnte man dieses offene Exemplar doch glatt für eine Miniaturausgabe des Rolls-Royce Phantom I halten, von dem es damals auch Roadster-Ausführungen gab.

Dieser Effekt ist vor allem auf zwei Elemente zurückzuführen:

Das eine sind die riesigen Chrom-Scheinwerfer, welche sicher von einem weit größeren Fahrzeug stammten. Das andere ist die schräggestellte Frontscheibe, die ich so noch nie beim DKW 15 PS gesehen habe.

Die beiden Damen sitzen weit hinten auf der ausklappbaren Rückbank, welche sich ganz am Ende befindet – noch hinter der Dachabschluss. Dadurch erscheint das Auto weit größer, als es wirklich war.

Wie sich die tatsächlichen Verhältnisse darstellten, wird einem schlagartig klar, wenn man das Originalfoto in seiner Gesamtheit betrachtet:

Man ist beinahe enttäuscht – die Illusion eines Rolls-Royce „en miniature“ war doch zu schön und nun hält die schnöde Wirklichkeit wieder Einzug.

Dennoch meine ich, dass dies ein sehenswertes Beispiel für meine These ist, dass es bei historischen Fahrzeugen nicht nur „den“ einen Originalzustand gibt, welchen ein Auto beim Verlassen der Fabrikationshalle für ohnehin meist nur kurze Zeit aufwies.

Nein „original“ im Sinne von historisch authentisch ist daneben auch jeder Zustand, in welchem die Wagen einst nachweislich im Alltag unterwegs waren – also mit zeitgenössischen Extras, individuellen Umbauten, nutzungsbedingten Beschädigungen und späteren Veränderungen, die einem Mangel an Ersatzteilen oder neuen Vorschriften geschuldet waren.

Jedenfalls würde ich den heute vorgestellten DKW – wenn er sich denn so erhalten hätte – auch genau in diesem Zustand belassen, nicht zuletzt deshalb weil er dadurch ein ganzes Stück nobler wirkt als die serienmäßige Variante.

Erwähnt sei abschließend noch die „geknickte“ Scheinwerferstange, die ebenfalls nicht der Serie entsprach. Ob diese selbst fabriziert oder von einem anderen Wagen „ausgeliehen“ war, das sei dahingestellt.

Bei einer Frage können Sie mir aber vielleicht noch helfen: War dieser DKW denn nun ein Roadster – dafür würde die einteilige Frontscheibe sprechen – oder ein zweisitziges Cabrio – worauf eine ansatzweise zu erkennenden Sturmstange an der Seite hindeutet?

Und wie immer gilt: Jeder Kommentar auch zu Aspekten, die ich übersehen oder falsch interpretiert habe, ist willkommen. Nur was den Titel „Beinah‘ ein kleiner Rolls…“ angeht, bin ich unbelehrbar – das Teil wirkt einfach so auf mich, und das ist als Kompliment gemeint…

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Hier wird Gasgeben teuer: Delage Type CO.2

Sind Sie gut ins Neue Jahr gekommen? Das hoffe ich doch, denn es warten wieder jede Menge faszinierende Eindrücke auf Sie – jedenfalls hier in meinem Blog. Wir beginnen heute gleich mit dem ersten.

Aber vorher interessiert mich: Haben Sie auch noch rechtzeitig vor dem Jahreswechsel getankt und vielleicht ein paar Reservekanister mehr als erlaubt mit Sprit gefüllt?

Denn bekanntlich möchte der Fiskus seine kargen Einnahmen aufbessern, indem er das Spurengas CO2 ab diesem Jahr noch stärker mit Steuern belegt – sie wissen schon: das Zeug, was man in Gewächshäuser einleitet, damit die Pflanzen besser wachsen.

Der Vorteil dabei ist, dass alles teurer wird, wovon wiederum das Umsatzsteueraufkommen profitiert – man hat sich also schon etwas dabei gedacht. Natürlich wird deshalb kein Pendler auf das Lastenrad umsteigen und kein Pensionär seine Weltreise absagen.

Es wird halt bloß wieder etwas teurer, ordentlich Gas zu geben – dafür spart man sich andere Ausgaben, vielleicht für Kultur oder Spenden an Bedürftige, oder man verzichtet künftig auf den Sektkonsum – da ist ja auch CO2 drin, was man so hört.

Dass die Autos von heute zwar eigentlich gar keine nennenswerten Schadstoffe mehr ausstoßen, geschenkt. Dazu muss man schon 100 Jahre in die Vergangenheit zurückreisen.

Damals wusste zwar kein Mensch, dass es angeblich so etwas wie ein Weltklima gibt, das sich irgendwo messen lässt und das obendrein noch einzufrieren sei. Dennoch war Gasgeben damals auch ohne CO2-Bepreisung richtig teuer – viel teurer als heute.

Bloß hat das keinen der damaligen Benzinkutscher davon abgehalten, ihrer schändlichen Aktivität nachzugehen. Diese wurde auch noch glorifiziert und die Täter wurden mitsamt ihren Werkzeugen fotografisch festgehalten:

Delage Type CO.2; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dem Zeitgeist folgend distanzieren wir Nachgeborenen uns natürlich von der damaligen Vollgasmentalität; gleichwohl müssen wir auch unserer Chronistenpflicht nachkommen.

Das gilt umso mehr im Fall dieses sportlich karossierten Tourers, der über eine besonders übertriebene Motorisierung verfügte und auch sonst ein schlimmes Beispiel für rücksichtslosen Technikfetischismus war.

Denn entgegen aller Notwendigkeit meinte die französische Firma Delage am Ende des 1. Weltkriegs, dass es nichts Wichtigeres und Vordringlicheres gebe, als den neu entwickelten Sechszylindertyp CO in den kaum vorhandenen Markt zu drücken.

Dabei gingen die Franzosen verschwenderisch vor: Mit 4,5 Litern Hubraum und 70 PS Spitzenleistung war der neue Delage genau das, wonach es nach Kriegsende die breite Masse gelüstete.

Nein, das sicher nicht – aber anzuerkennen ist dieser Willen, nach den Entbehrungen und Opfern der Kriegsjahre wieder richtig aus dem Vollen zu schöpfen, wo es nur ging.

Diese vordergründig unvernünftige Mentalität zeugt von einer genuin menschlichen Eigenschaft, nämlich sich nicht unterkriegen zu lassen und jenseits blanker Notwendigkeiten stets nach dem Grandiosen zu schielen und zu streben.

Interessanterweise gelang unseren linkshreinischen Nachbarn beides – die Umstellung auf ein wirklich volkstümliches Automobil in Gestalt des Citroen 5CV und die Entwicklung sportlicher bis luxuriöser Fahrzeuge für die dünne Schicht derer, die sich das noch leisten konnten oder wollten.

Dass man sich dabei nicht auf reine Leistungsorgien beschränkte, zeigt das Beispiel des Delage Type CO besonders gut.

Denn als einer der ersten Hersteller überhaupt trug man der hohen Motorleistung dadurch Rechnung, dass man schon ab 1919 serienmäßig Bremsen an der Vorderachse verbaute – also genau dort, wo die Bremsleistung am meisten gefordert war.

Damit überwand man zugleich die bis dato verbreitete Scheu, neben der Hinterachse (und ggf. der Antriebswelle) auch die gelenkte Achse zu bremsen. Inwieweit die damit verbundenen Problem nur vorgeschoben oder leicht lösbar waren, kann ich nicht beurteilen.

Jedenfalls traten die Delage-Wagen des anfänglich einzigen nach dem 1. Weltkrieg angebotenen Typs CO durchweg mit mächtigen Vorderradbremsen an – keineswegs nur bei sportlich karossierten Ausführungen wie dieser:

Zwar hatte Delage Absatzprobleme mit dem Typ CO, doch wie es sich für echte Männer der Tat gehört, ignorierte man die Marktgegebenheiten und legte 1923 noch eine Schippe drauf.

Der Motor leistete nun bei unveränderter Spezifikation 80 PS und wurde dadurch vermutlich noch durstiger. Allerdings bewies man bei Delage Problembewusstsein angesichts der damit verbundenen erhöhten Abgasemissionen und versah die Bezeichnung des Wagens mit dem einschlägigen Warnhinweis „CO.2“!

Mir gefällt diese Bezeichnung aufgrund ihrer unfreiwilligen Komik. Bei der Zulassung meines jüngsten Fahrzeugs hatte ich kurzzeitig selbst erwogen, als Nummernschild „FB-CO 2“ zu wählen. Doch dann dachte ich mir, dass man sich vielleicht nicht nur Freunde damit macht.

Hier in meinem Blog bewege ich mich dagegen in einem Ausschnitt der Öffentlichkeit, der eine gesunde Toleranz in dieser Hinsicht aufweist und vermutlich einen realistischen – nicht religiösen – Blick auf die globale Emissionsproblematik hat.

Anstatt Gasgeben hierzulande ohne Umwelteffekt immer mehr zu verteuern, wäre es ja eine Überlegung wert, mit einem Bruchteil der Kosten emissionsintensive und schädliche Aktivitäten in rückständigeren Ländern mit moderner Technologie einzudämmen.

Doch das scheint weder fiskalpolitisch noch ideologisch erwünscht zu sein. Also werden wir wohl weiterhin deutsche Sonderwege in Sachen CO2 beschreiten, während sich die Welt angetrieben von Kohle- und Kernkraft unverdrossen weiterdreht.

Wie gut, dass es zur Ablenkung anders gelagerte Beschäftigungen wie die mit dem Delage CO.2 gibt. So stellt sich etwa die Frage nach der genauen Datierung – meine These ist 1923/24 – sowie nach der Zulassung des Wagens und der Identität des Fahrers.

Auf der Rückseite des Abzugs war von Hand vermerkt, dass hier König Michael von Rumänien am Steuer zu sehen sei. Doch das finde ich nicht überzeugend.

Was meinen Sie?

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.   

Meisterhafte Inszenierung: NAG C4 Sport-Tourer

Gefühlt ist es noch gar nicht so lange er, dass ich hier eine meisterhafte Ausführung des NAG C4 10/30 PS-Modells vorgestellt habe, welches Anfang der 1920er Jahre eines der meistgebauten deutschen Automobile war.

Doch gerade stellte ich fest, dass seither schon wieder mehr als zweieinhalb Jahre ins Land gezogen sind. Höchste Zeit also, daran anzuknüpfen, bevor wir 2023 würdevoll verabschieden (der Fund des Jahres steht an…).

Seinerzeit hielt ich dieses von Ernst Neumann-Neander – dem Jugendstil-Künstler und bedeutenden Automobil-„Influencer“ – entworfene Prachtexemplar für ein Einzelstück:

NAG C4 Sport-Tourer mit Karosserie nach Entwurf von E. Neumann-Neander; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Während die Frontpartie mit dem unverwechselbaren spitz zulaufenden Ovalkühler weitgehend mit der Serienausführung übereinstimmt, folgt darauf ein außergewöhnlich niedriger Passagierraum mit extrem flacher und geneigter Frontscheibe, winzigen Türen und knapp oberhalb der Heckkotflügel angesetztem Minimalverdeck.

Bemerkenswert sind auch die Staukästen auf dem Trittbrett und die „Aufsteighilfe“ am Ende.

Wie radikal anders dieser Aufbau war, das erschließt sich einem, wenn man sich die Standardausführung betrachtet. Praktischerweise habe ich vor kurzem wieder eine „neue“ Aufnahme davon aufgetrieben – und jetzt kann ich sie sinnvoll verwerten:

NAG C4 Tourer mit Standard-Karosserie; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Diesen Aufbau mit hoher Seitenlinie und schön gewölbter „Tulpenkarosserie“ findet man vor allem in der Anfangszeit der Produktion des 1920 eingeführten Vierzylindermodells C4 10/30 PS der altehrwürdigen Berliner NAG.

Jetzt könnte einer sagen: „Schön und gut, aber woran soll man hier eigentlich erkennen, dass auch das ein NAG dieses Typs ist?“

Nun kann ich nicht erwarten, dass alle meine aktuellen Leser von Anfang an mit dabei sind oder wissen, dass ich dieses Modell bereits dutzendfach in meiner NAG-Galerie dokumentiert habe – nebenbei die wohl größte frei zugängliche ihrer Art überhaupt.

Also werfen wir einen kurzen Blick auf die Kühlerpartie, denn die ist wie fast immer bei Automobilen jener Zeit entscheidend:

Zugegeben: Man muss schon eine Weile hinschauen und die Linien der einzelnen Bauteile auseinanderhalten. Achten Sie darauf, wie sich die Kurve des Kühlerausschnitts unterhalb des rechten Kotflügels fortsetzt – sie lässt sich gedanklich zu einem Oval ergänzen.

Schwieriger zu erkennen ist der senkrechte Verlauf der spitz zulaufenden Vorderkante des Kühlers – Sie können die oben kaum wahrnehmbare Linie am unteren Ende des rechten Scheinwerfers wieder aufnehmen.

Beides zusammen findet sich so nur beim NAG C4 10/3 PS, während der bisweilen ähnlich wirkende Kühler der D-Typen von Stoewer erstens keinen ovalen Ausschnitt aufweist und zweitens an der Vorderkante stets leicht geneigt ist.

Zur Identifikation als NAG C4 passt auch die Gestaltung der Stahlspeichenräder mit fünf Radbolzen und sechskantiger Nabenkappe.

Praktisch keinerlei Hinweise auf Hersteller und Typ liefert dagegen der übrige Aufbau – solche Karosserien waren im deutschen Sprachraum nach dem 1. Weltkrieg bei vielen Automarken gang und gebe:

Nur wenn man schon eine Vermutung in der Richtung hätte, könnte man den Wagen auch anhand dieses Bildausschnitts sicher als NAG C4 identifizieren – das ermöglichen Vergleiche der Partie rund um die vordere Blattfederaufnahme der Hinterachse.

Wenn Sie mögen, können Sie das einmal selbst anhand der einschlägigen Fotos in meiner NAG-Galerie versuchen – Sie werden sehen, dass es machbar ist. Ich nutze zuverlässig eingeordnete Aufnahmen in meinen Galerien selbst öfter als Referenz als die bei vielen deutschen Modellen der 1920er Jahre karge Literatur.

Nun aber genug von solchen Dingen – wollte ich nicht am Neanderschen Meisterentwurf auf Basis des NAG C4 anknüpfen? Genau das war das Ziel und möglich gemacht hat es mir wie so oft ein Leser mit formidabler Sammlung und großem Gespür für Qualität – Klaas Dierks.

Ich weiß, dass er es nicht nötig hat, so erwähnt zu werden, aber es gilt nun einmal: Ehre, wem Ehre gebührt. Und alle Leser sollen wissen: Wer sich mit Fotos aus der eigenen Sammlung beteiligt, wird selbstverständlich gewürdigt – es sei denn, er möchte das nicht.

Gerne gebe ich zu, dass dieses herrliche Dokument die Aufnahme mühelos übertrifft, mit der ich seinerzeit in Vorlage gegangen war:

Die Persönlichkeiten am neben und im NAG schaffen es, die außerordentlichen Qualitäten des Wagens in den Hintergrund rücken zu lassen.

Erneut ist etwas Konzentration auf die Linienführung erforderlich. Am besten orientiert man sich an der Seitenlinie von der Frontscheibe bis zum Heck – wieder sehr niedrig ausgeführt mit kleinen Türen und knapp über dem Kotflügel angbrachten Verdeck.

Auch den monumentalen Staukasten und die Aufstiegshilfe an dessen Ende findet man hier. Abweichende Details wie die der Schonung des Lacks dienenden durchbrochenen Bleche unterhalb der Tür und auf der Oberseite der Tür ändern nichts am Befund:

Auch dass muss ein Sport-Tourer nach Entwurf von Ernst Neumann-Neander sein!

Die Frontpartie macht es allerdings diesmal schwerer, sie dem Typ C4 10/30 zuzuordnen:

Auf dem Originalfoto kann man vermutlich unter der Lupe das markante NAG-Emblem auf der Nabenkappe erkennen – auf diesem Ausschnitt ahnt man bestenfalls etwas in der Richtung. Die Kühlerpartie liefert ebenfalls nur eine Indikation, aber vermutlich wäre man auch hier auf den NAG C4 als wahrscheinlichsten Kandidaten gekommen.

Man sieht an diesem Beispiel, wie wichtig jedes Foto auch von exotischen Ausführungen ein und desselben Modells sein kann – jedes kann prinzipiell einen Hinweis auf die Ansprache anderer Fahrzeuge geben. In diesem Fall ist es der Spezialaufbau als Sport-Tourer.

Ob der sich ähnlich auf anderen deutschen Fabrikaten jener Zeit fand, ist mir nicht bekannt. Vielleicht weiß jemand mehr und hat sogar die passende Abbildung dazu.

Ausschließen kann man auf dem Sektor gar nichts, auch das trägt zum schier unerschöpflichen Reiz des Reichs der Vorkriegsautos bei.

Dieser speist sich aber oft auch aus dem menschlichen Element und das Foto von Klaas Dierks zeigt das ideal anhand dieser meisterhaften Inszenierung:

Viel mehr kann man sich nicht wünschen, wenn man solche Autoporträts der Vorkriegszeit liebt. Über jeder diese Personen ließen sich endlose Betrachtungen anstellen, doch die erspare ich Ihnen heute.

Studieren Sie einfach die Gesichter, stellen Mutmaßungen über Verwandschaftsverhältnisse und sonstige Beziehungen oder gar Charakterzüge an. Vielleicht findet jemand sogar heraus, wer hier zu sehen ist.

Die junge Dame mit dem wunderbar lockenumrahmten Gesicht wirkt nämlich auf mich dermaßen perfekt zurechtgemacht, dass sie eine bekannte Schauspielerin, Tänzerin oder Sängerin ihrer Zeit gewesen sein könnte.

Leider ist auf dem Foto dazu nichts Näheres überliefert, nur dieses: „Rhöndorf 1926“. Jetzt sind Sie an der Reihe, wenn Sie mögen. Ich schalte alle Kommentare frei, sofern sie kein blühender Unsinn sind (für den bin ich selbst zuständig).

Nach diesem neuerlichen Meisterstück gehe jetzt noch eine Viertelstunde vor die Tür, schaue ein wenig sehnsüchtig nach dem Vollmond und mache mir Gedanken über den Kandidaten für den Fund des Jahres…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.   

Sieht doch spitze aus! Stoewer V5 Sport-Cabriolet

Als ich mich für Automobile als Ausdruck persönlichen Stils zu interessieren begann – das war in den 1980er Jahren – war es vielen Besitzern noch wichtig, die Qualitäten ihres Vehikels ein wenig zuzuspitzen.

Das ist nicht immer gelungen – Manta & Co. lassen grüßen – doch gab es auch Beispiele für gelungene Privatkreationen, welche den Stil der verwendeten Basis erst so richtig auf den Punkt brachten.

Aus unerfindlichen Gründen schrie der 3er BMW förmlich nach einer Individualisierung, während alle Versuche in der Hinsicht bei einer damaligen Mercedes-S-Klasse scheitern mussten. Die makellosen Werke von Bruno Sacco ließen keinen Raum dafür.

Anbieter entsprechenden Zubehörs gab es schon lange vor dem legendären D&W-Katalog. Nützliche Accessoires wurden dem Automobilisten zwar bereits vor dem 1. Weltkrieg angeboten, doch rein der Verschönerung – oder sagen wir besser: Personalisierung – dienende Artikel bekamen erst ab den 1920er Jahren richtig Auftrieb.

Beliebt war der Umbau eines braven Flachkühlerautomobils in ein solches mit dynamisch wirkendem Spitzkühler.

In meinem Fotofundus verfüge ich über haufenweise Beispiele dafür und bei den meisten ist mir schleierhaft, was sich dahinter verbirgt. Als Beispiel dafür mag dieses stark modifizierte Gefährt dienen, das mir seit Jahren Rätsel aufgibt:

unidentifizierter Tourenwagen um 1920; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Vermutlich kurz nach dem 1. Weltkrieg hat hier jemand einem Fahrzeug von ca. 1913/14 nicht nur einen Spitzkühler nach Vorbild von Benz verpasst, sondern auch eckige Kotflügel nach Art der damals neuen AGA-Wagen sowie eine mittig leicht gepfeilte Scheibe.

Für fundierte Vorschläge, was hier zu sehen ist, bin ich äußerst dankbar.

Wenn Sie jetzt denken, dass Sie meinen Blog lesen, um selbst etwas zu lernen, sei daran erinnert, dass ich 90 % meines „Wissens“ der Vorarbeit Dritter verdanke, die übrigen 10 % sind eher im Reich des „educated guess“ angesiedelten, wie die Briten sagen – also der begründeten Annahme.

Von daher ist mein Blog-Projekt bei aller persönlichen Perspektive und Färbung auch auf einen Austausch mit Lesern angelegte, die mehr Ahnung haben als ich. Mit Vorkriegsautos befasse ich ich ja erst seit kurzem (2015).

Heute kann ich aber dennoch etwas zeigen, bei dem ich weder auf eigene Vermutungen oder die anderer angewiesen bin. Und dennoch handelt es sich um ein Fahrzeug, das Sie vielleicht so auf die Spitze getrieben noch nicht gesehen haben.

Fangen wir mit der Basis an, die Anfang der 1930er Jahre einem unbekannten Besitzer als Objekt seiner Verschönerungswünsche diente:

Stoewer V5 Sport-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieser knackige kleine Zweisitzer (Bericht hier) war das Sport-Cabriolet, welches Stoewer aus Stettin 1931/32 auf Basis des 1930 eingeführten Frontantriebsmodells V5 anbot.

Der 1,2 Liter-Motor leistete 25 PS, was in Verbindung mit dem geringen Wagengewicht akzeptable Fahrleistungen ermöglichte. Bei dieser Ausführung stand für die Käufer neben den Vorzügen des Vorderradantriebs aber sicher die sportliche Form im Vordergrund.

Vielleicht das einzige Manko in gestalterischer Hinsicht war aus meiner Sicht der an einem dermaßen rassig wirkenden Cabriolet etwas bieder wirkende Kühlergrill.

Dass ich mit dieser Einschätzung nicht völlig allein stehe, das belegt ein weiteres Foto, welches ebenfalls einen Stoewer genau dieses Typs zeigt, doch hier garniert mit einem Extra, mit welchem der Wagen nun wirklich spitze aussieht, meine ich:

Stoewer V5 Sport-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Auch wenn die hier dunkel gehaltene breite Leiste unterhalb des Seitenfensters den Aufbau etwas anders wirken lässt, handelt es sich um die identische Karosserieausführung, welche meines Wissens von Stoewer selbst gefertigt wurde.

Wirklich individuell ist der nach Art eines „Kuhfängers“ gestaltete Steinschlagschutz, der vor dem serienmäßigen Kühler montiert ist. Ob es sich dabei um eine Spezialanfertigung oder ein Zubehörteil handelte, sei dahingestellt.

Jedenfalls hat dieser Stoewer damit in gewisser Weise die Spitzkühleroptik zurückgewonnen, die in der ersten Hälfte der 1920er Jahre im deutschsprachigen Raum entgegen internationaler Tendenzen so angesagt war.

Interessanterweise realisierte Stoewer beim Nachfolgetyp R-140 ab 1932 etwas Vergleichbares, wenngleich die neue Kühlerpartie ebenfalls nicht ideal ausfiel.

Ansatzweise erkennbar ist dies auf dem folgenden Foto, welches ich heute freilich nur deshalb zeige, weil es zur Jahreszeit passt (wenngleich es in der milden Wetterau mal wieder nur gießt wie aus Kübeln statt zu schneien – das ist auch besser so):

Stoewer R-140 Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Immerhin hat der Winter gerade erst angefangen, sodass sich diese Aufnahme in den nächsten Wochen als durchaus aktuell erweisen könnte.

Für einen frontgetriebenen Stoewer war Schnee auf der Straße damals kein Problem – ich würde aber auch die Fahrkompetenz der damaligen Automobilisten als überlegen ansehen.

Heute bereitet vielen Zeitgenossen hierzulande ja schon das zügige Einfahren in einen Kreisel Probleme. Offenbar wünschen sich viele mit Selbstverantwortung hadernde Deutsche doch das autoritäre Rot-Grün-Befehlsschema einer Ampel…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.   

Der erste seiner Art? Ein „Faun“ Typ K1 6/22 PS

Wer sich ein wenig auskennt in Sachen Faun, wird meine heutige These einigermaßen steil finden, wonach ich hier den ersten seiner Art präsentiere.

Der erste Faun, dem die meisten Zeitgenossen begegnet sind, die nicht nur alte Autos im Kopf haben, dürfte der in Pompeji als Abguss einer antiken Statue aufgestellte sein. Denkbar aber auch, dass für manchen dieser in München zu bewundernde Vertreter seiner Art der erste ist – nebenbei eines der ganz großen Meisterwerke der Antike.

Keine Sorge, es geht gleich wieder züchtiger zu – sofern Sie gesteigerten Wert darauf legen.

Dabei entwickelte man gerade in der Zeit, in die mein heutiger Blog-Eintrag führt – die frühen 1920er Jahre – erstmals seit dem lebensfrohen Barock wieder ein entspanntes Verhältnis zum menschlichen Körper in seiner natürlichen Form.

Nach dem unfassbaren Desaster des 1. Weltkriegs, den alle beteiligten Staaten bis zum Schluss mit kaum gebremstem Furor unter sinnloser Aufopferung der eigenen männlichen Jugend kämpften, blieb fast nichts, wie es war.

Bei den Damen schrumpften die Rocklängen und die Durchmesser der Hüte rasant, die Herren begannen sich wieder überwiegend zu rasieren oder ließen allenfalls einen Schnauzer stehen und es durfte maßvoll nackte Haut in der Öffentlichkeit gezeigt werden.

Im Automobilsektor gab es ebenfalls bedeutende Zäsuren, wenngleich viele deutsche Hersteller erst einmal die alten Modelle weiterbauten. Doch von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, waren nun elektrische Lichtanlagen und Anlasser der neue Standard.

Damit wurde es für Autobesitzer – speziell Frauen – deutlich attraktiver, den eigenen Wagen auch selbst zu steuern. Der noch vor dem Krieg meist unverzichtbare Chauffeur wurde allmählich zur Seltenheit, fand aber eine Nische zum Überleben noch einige Zeit bei Gutbetuchten, welche es schätzten, sich überhaupt nicht um das Auto mit seinen nach wie vor umfangreichen Wartungsanforderungen kümmern zu müssen.

Dieser Herr im Tourenwagen dürfte noch ein Vertreter der Chauffeur-Spezies gewesen sein – darauf deutet jedenfalls die Fahrermütze mit leider nicht genau erkennbarem Emblem hin:

Faun Tourenwagen, wohl Typ K1 6/22 PS; Originalfoto: Sammlung: Jürgen Klein

Dieses schöne Dokument verdanke ich in digitaler Form meinem Sammlerkollegen Jürgen Klein. Wir waren uns einig, dass es sich bei dem abgebildeten Wagen um einen „Faun“ des gleichnamigen Nürnberger Nutzfahrzeugherstellers handeln muss.

Dass dieser „Faun“ einer der ersten seiner Art gewesen sein muss, das verrät schon der leicht spitz zulaufende Kühler, denn spätere Exemplare besaßen (wohl ab 1925) einen Flachkühler.

Zu Vergleichszwecken darf ich hier auf einen anhand des Kühleremblems eindeutig als Faun 6/24 PS ab 1924 identifizierten Wagen verweisen, wenngleich dieser einen anderen Aufbau besitzt, was uns aber nicht stören soll:

Faun Typ K2 6/24 PS von 1924; Originalfoto: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Diese von einem geschätzten Leser aus Australien beigesteuerte Aufnahme habe ich hier ausführlich besprochen. Entscheidend ist die Übereinstimmung der Kühlerpartie mit dem typischen Markenemblem der Faun-Werke (schräg auf der „Nase“ angebracht).

Doch an der Frontpartie zeigt sich eine wesentliche Abweichung von allen mir bisher begegneten „Faun“-Automobilen (ich habe bereits eine kleine Galerie bilden können).

Anstelle der üblichen vier kleinen und eng beieinander liegenden Luftschlitze in der Haube sieht man hier deren fünf mit deutlich größerem Abstand:

Ins Auge fallen hier auch die komplett glänzenden Scheinwerfer – ob noch in Messing oder schon vernickelt, lässt sich nicht sagen. Bei den übrigen mir vorliegenden Faun-Dokumenten ist das Scheinwerfergehäuse lackiert und nur der vordere Ring in blankem Blech ausgeführt.

Da ich an der Identifikation des Wagens als Faun der frühen 1920er Jahre keinen Zweifel hege, ergeben sich aus meiner Sicht zwei Möglichkeiten:

Entweder wir haben es mit einem individuell aufgebauten Exemplar des ab 1924 gebauten Typs K2 6/24 PS zu tun – dann wäre dies das erste seiner Art – oder Jürgen Klein hat eine Aufnahme des sagenumwobenen Vorgängers K1 6/22 PS aufgetan.

Laut Literatur (Werner Oswald: Deutsche Autos 1920-1945) wurde der 1921 vorgestellte Faun K1 6/22 PS nämlich „wenn überhaupt, nur in geringer Stückzahl gebaut“.

Nach meiner Erfahrung verbergen sich hinter solchen Mutmaßungen oft genug schlicht Wissenslücken der Autoren. Inzwischen liegen uns viel mehr zeitgenössische Aufnahmen von Vorkriegswagen deutscher Nischenhersteller vor als noch den Altmeistern W. Oswald, H. von Fersen oder auch H. Schrader.

Angesichts der Fülle von Hinterhoffabrikanten, die Anfang der 1920er Jahre von der Sonderkonjunktur am deutschen Automarkt im Umfeld zunehmender Währungsentwertung profitieren wollten, wäre es verwunderlich, wenn ein etablierter Betrieb wie Faun damals keine nennenswerte Serienfabrikation seines Typs K1 6/22 PS zustandegebracht hätte.

Von daher bin ich geneigt, in dem Faun-Tourer auf dem Foto von Jürgen Klein ein solches frühes Exemplar zu sehen – das dann nach meiner Wahrnehmung das erste seiner Art wäre, das hiermit breit zugänglich gemacht würde.

Wie immer in solchen Fällen, in denen ich mich auf Indizien stütze und solche Hypothesen aufstelle, sind die oft fachlich Versierteren unter meinen Lesern aufgerufen, ihre Meinung kundzutun – auch gerade dann, wenn sie völlig von der meinen abweicht.

Ich fungiere mit meinem Blog ja selbst weniger als Fachmann, denn als Stichwortgeber, Fragensteller und bisweilen auch Provokateur – denn nur im ganz offenen Diskurs kommen wir weiter, was solche Fragen angeht.

Wohliges Konsensgedudel ist nicht, worauf ich abziele. Tatsächlich war auch die altrömische Gottheit Faunus eine durchaus schillernde Figur mit vielen Seiten, die sich zudem im Volksglauben über die Zeit weiterentwickelten.

Eines kann ich aber jetzt schon sagen: Selbst wenn dieser Faun nicht der erste seiner Art gewesen sein sollte, ist er ganz gewiss nicht der letzte dieser Spezies – denn es finden sich doch immer wieder neue Ansichten dieses bemerkenswerten Phänomens…

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Fund des Monats: Hansa-Lloyd Trumpf-Aß oder NAG?

Der Fund des Monats November fiel für mich anfänglich fast ein wenig enttäuschend aus. Denn weder konnte ich mit einem Foto aus meinem eigenen Fundus aufwarten, noch vermoche ich Wesentliches zur Identifikation des darauf abgebildeten Wagens beitragen.

So schien es mir jedenfalls auf den ersten Blick zu sein.

Dennoch bin ich sicher, dass Sie – liebe Leser – ganz auf Ihre Kosten kommen. Das gilt vor allem, wenn Ihnen der Sinn nicht nur nach Nischenfabrikaten steht, sondern auch gelungene Aufbauten Ihr Herz erfreuen – und es gern ein wenig rätselhaft sein darf.

Diese ideale Kombination kann ich jedenfalls heute anbieten, und ich wüsste wirklich nichts daran auszusetzen, wäre da nicht der Makel, dass ich mich (fast) komplett mit fremden Federn schmücke. Doch das werden Sie mir in diesem Fall verzeihen:

Hansa-Lloyd „Trumpf-Aß“ von 1927 ((angeblich); Foto aus dem Borgward Archiv; Originalabzug aus Sammlung Jörg Pielmann

Ein zweitüriges Cabriolet mit hinreißender Linienführung ist das zweifellos. Ich hätte es aus stilistischer Perspektive auf ca. 1930 datiert, doch worum es sich genau handelt, das wäre mir vermutlich verborgen geblieben.

Ins Auge fällt unabhängig davon das ungewöhnlich niedrige Chassis, welches auf eine „Underslung“-Konstruktion hindeutet. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass die blattgefederten Achsen nicht unterhalb des Leiterrahmens angebracht sind, sondern darüber. Der Rahmen ist also unter der Achse entlanggeführt, was einen wesentlich niedrigeren Schwerpunkt und damit bessere Straßenlage ermöglicht.

Diese Lösung wurde bereits weit vor dem 1. Weltkrieg ersonnen – das US-Fabrikat „American Underslung“ trug den Hinweis sogar im Namen. Doch kam so etwas letztlich nur für sportliche Fahrzeuge in Betracht, die sich nicht auf den meist noch kaum befestigten und unebenen Straßen im Alltag bewähren mussten.

Doch zum Posieren in der Großstadt und bei einschlägigen Schönheitskonkurrenzen eignete sich dieses Konzept vorzüglich.

Die elegante Erscheinung des oben gezeigten Wagens ist natürlich auch der außergewöhnlich langen Motorhaube geschuldet, die auf einen Reihensechser oder gar ein Achtyzlinderaggregat schließen lässt; beide bauten wesentlich länger als ein Vierzylindermotor, zumindest wenn sie auch einen größeren Hubraum besaßen.

Aber was ist das denn jetzt für ein Fahrzeug, werden Sie wissen wollen?

Nun, zwar kam mir die Form ein wenig vertraut vor, doch wäre ich nicht auf das gekommen, was auf der Rückseite des Originalabzugs steht, welcher sich in der Sammlung von Leser Jörg Pielmann befindet:

Demnach handelte es sich bei dem schicken Zweitüren-Cabrio um das Achtzylindermodell „Trumpf-Aß“ aus dem Hause Hansa-Lloyd, Baujahr 1927.

Tatsächlich baute der norddeutsche Traditionshersteller ab 1926 in kleinen Stückzahlen auch Achtzylinderwagen mit satten 100 PS Höchstleistung – anfänglich mit 4,6 Litern Hubraum, ab 1927 dann mit 5,2 Litern.

Das waren auch technisch beeindruckende Konstruktionen mit hochfeinem Ventiltrieb über im Zylinderkopf liegende Nockenwelle, getrieben wiederum von einer Königswelle.

Nüchtern veranlagte Zeitgenossen werden sich freilich von solchem Vokabular nicht ablenken lassen. „Stand auf dem Abzug nicht etwas von 7 Litern Hubraum?“ werden Skeptiker stattdessen fragen.

Vollkommen richtig und als ebenfalls keinen vermeintlichen Autoritäten hörige Person machte mich das ebenso stutzig wie die für mich unplausible Jahresangabe 1927.

Konnte man dem Vermerk vielleicht auch in sonstiger Hinsicht nicht trauen?

Werfen wir nochmals einen Blick auf die Vorderpartie des Wagens und prägen uns das Erscheinungsbild der Motorhaube mit den Proportionen der Luftschlitze und der Position des hinteren Haubenhalters ebenso ein wie die Gestaltung des Kühlwasserdeckels:

Und noch etwas: Die Ausführung der Räder mit dem sechseckigen Emblem auf den Nabenkappen behalten wir ebenfalls im Hinterkopf.

Solchermaßen präpariert wenden wir uns nun einem Foto aus meiner Sammlung vor, das ich schon einmal präsentiert habe – es zeigt einen NAG-Protos des Typs 16/80 PS (Bauzeit: 1930-33) in der besonders begehrten Ausführung als Sport-Cabriolet.

Hier haben wir das Prachtwück auf einem originalen Pressefoto:

NAG-Protos 16/80 PS Sport-Cabriolet (Typ 208), Bauzeit: 1930-33, originales Pressefoto von 1930 aus Sammlung Michael Schlenger

Meinen Sie nicht auch, dass die Gestaltung von Haubenpartie, Vorderkotflügel und Kühlwasserdeckel vollkommen übereinstimmen?

Gut, die Radkappen weichen ab, handelt es sich doch hier um Drahtspeichenräder mit Zentralverschlussmutter statt Radbolzen. Aber das sechseckige Logo, das auf den Nabenkappen des angeblichen Hansa zu sehen ist, findet sich hier unterhalb des Motorhaubenhalters.

Kann das ein Zufall sein? Ich halte das für sehr unwahrscheinlich, auch wenn der „Hansa“ auf dem Foto von Jörg Pielmann am Heck anders gestaltet ist als das Sport-Cabrio von NAG-Protos.

Denkbar wäre zwar, dass der Hansa vom selben Karosseriebauer eingekleidet wurde wie der NAG-Protos. Aber wenn ich es richtig verstehe, war der Aufbau als Sport-Cabriolet ein Werksfabrikat des Herstellers selbst.

Außerdem halte ich es für unglaubwürdig, dass die markante Gestaltung des Deckels für den Kühlwassereinfüllstutzen (wohlgemerkt: keine Kühlerfigur) bei zwei Herstellern identisch sein sollte, die nichts miteinander zu tun haben.

Sie sehen: Am Ende habe ich doch etwas Eigenes beizusteuern zu diesem Fund des Monats. Natürlich mag ich falsch liegen mit meiner These, dass der vermeintliche Hansa ein Wahrheit ein NAG-Protos war und bloß das Foto falsch beschriftet wurde.

Doch jetzt sind Sie an der Reihe, liebe Leser, denn dass Sie diese schönen Dinge einfach nur so genießen dürfen, das kann ich nicht immer gewährleisten.

Manchmal kommt man der Lösung nur im sportlichen Meinungsaustausch näher und dass wir es hier mit einem ganz besonderen Sport(objekt) zu tun haben, daran kann kein Zweifel bestehen…

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Fällt aus dem Rahmen: Dürkopp KD 8/15 PS von 1908

Wer sich für Vorkriegswagen begeistern kann, muss schon zwangsläufig auch ein Liebhaber des Exzentrischen sein – vor allem in der automobilen Frühzeit gab es unzählige Kreationen, die aus dem Rahmen fielen.

Das nehmen aber oft erst wir Nachgeborenen mit dem Abstand von Jahrzehnten wahr.

Denn was sich von den konkurrierenden Antriebskonzepten, Produktionsverfahren und Ausstattungsvarianten durchsetzen würde, war ja damals ebensowenig gewiss wie das heute ist – auch wenn die derzeit mal wieder im Aufwind befindlichen Planwirtschaftler es mit ihrer erträumten Elektro-Monokultur besser zu wissen meinen.

Doch manches fiel schon vor weit über 100 Jahren so aus dem Rahmen, dass es auch den damaligen Zeitgenossen aufgefallen sein und als kaum zukunftsfähig erschienen sein muss.

Ein hübsches Beispiel dafür findet sich auf der Aufnahme, die ich heute vorstellen darf. Ich verdanke sie meinem Leser und Sammlerkollegen Matthias Schmidt aus Dresden:

Dürkopp Coupé, vermutlich Typ KD 8/15 PS ab 1908; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

So fremdartig dieses Coupé auf den ersten Blick auch anmuten will, haben wir es doch mit einem vollkommen konventionellen Automobil zu tun – jedenfalls auf den ersten Blick.

In Anlehnung an die bis in die Antike zurückreichende Kutschbautradition saß hier der Wagenlenker noch außen vor dem Passagierabteil, das zwei Personen Platz bot.

Grundsätzlich lässt sich dieser Wagentyp als Coupé ansprechen, aber man könnte ihn aufgrund des am Heck niederlegbaren Verdecks ebenso als Landaulet bezeichnen.

Interessanter als solche Wortklaubereien ist freilich die Frage, um was für einen Wagen es sich überhaupt handelt – also wer der Hersteller war und welcher Typ zu sehen ist.

Ich muss gestehen, dass ich wohl nicht darauf gekommen wäre, fände sich nicht auf der Rückseite des Originalabzugs der Hinweis auf die Bielefelder Marke „Dürkopp“:

Jetzt galt es „nur“ noch Baujahr und Typ in Erfahrung zu bringen. Dem stand freilich die Tatsache entgegen, dass es keine umfassende Literatur zur Automobilfabrikation des für seine Nähmaschinen und Fahrräder bekannten Herstellers gibt.

Das ist schwer zu begreifen, gehörte Dürkopp doch zu den frühesten deutschen Autobauern (ab 1898) und fertigte bis 1927 ausgezeichnete Wagen, auch im gehobenen Segment, von denen sich jede Menge Dokumente erhalten haben.

Bloß bislang fand sich niemand, der eine zumindest vorläufige Dokumentation der Dürkopp-PKWs angehen würde – an mangelndem Material kann es nicht liegen.

So musste ich auf bald 60 Jahre alte Literatur zurückgreifen, um der Sache näherzukommen. Denn die wohl bislang umfassendste Abhandlung über die Dürkopp-Automobile (zumindest bis 1920) findet sich bei Altmeister Heinrich von Fersen in seinem immer noch unverzichtbaren Klassiker „Autos in Deutschland 1885-1920„.

Dort (in der 2. Auflage von 1968) entdeckte ich auf S. 176 einen Dürkopp, der zwar weit stärker motorisiert war – den ab 1908 gebauten Typ 25/50 PS. Doch auf der Abbildung waren Details zu sehen, die sich auch auf dem Foto von Matthias Schmidt finden:

Besonders ins Auge fällt die Inspektions- oder Wartungsklappe auf der Motorhaubenseite. Eine solche in identischer Form und Anordnung besaß auch erwähnter Dürkopp 25/50 PS.

Doch die sehr kurze Motorhaube und das Fehlen von Luftschlitzen in der Haube verraten uns, dass wir es auf keinen Fall mit einem so starken Reisewagen zu tun haben, der bis zum Erscheinen des 85 PS leistenden Typs D von 1910 das Spitzenmodell der Marke war.

Vielmehr gehe ich aufgrund der Proportionen davon aus, dass uns das ab 1908 ins Programm aufgenommene Kleinwagenmodell KD 8/15 PS ins Netz gegangen ist.

Der technischen Spezifikation nach fiel der Typ keineswegs aus dem Rahmen – Opel beispielsweise führte 1909 sein 8/16 PS-Modell ein, das eine ähnliche Klientel ansprach.

Was allerdings den mutmaßlichen Dürkopp 8/15 PS auf dem heute vorgestellten Foto außergewöhnlich macht, das ist auf dem folgenden Bildausschnitt zu sehen:

Hier folgt der Chassisrahmen dem unteren Türabschluss – offenbar um den Einstieg zu erleichtern.

Stolperten die Insassen beim Aussteigen, fielen sie also gewissermaßen „aus dem Rahmen“ und fanden dann hoffentlich wieder Halt auf dem Trittbrett oder spätestens auf dem Boden.

Mir ist eine solche Anpassung der Rahmenkonstruktion an die Bedürfnisse der Passagiere noch bei keinem anderen Wagen begegnet.

Wenn es das auch andernorts gab, werden Sie mir das schon mitteilen. Bloß bin ich sicher, dass es keine Idee war, die dauerhaft verfolgt wurde, denn damit muss ein erheblicher baulicher Zusatzaufwand speziell bei dieser Karosserieversion verbunden gewesen sein.

Bei einem Zweisitzer oder einem Tourer wäre dies verzichtbar gewesen und man fragt sich, ob dieser Wagen vielleicht sogar ein Einzelstück war. Viel mehr aus dem Rahmen fallen konnte man jedenfalls nicht als mit einer derartigen Konstruktion.

Gern lasse ich mich von sachkundiger Seite belehren, womit wir es hier zu tun haben und was dazu aus statischer Sicht zu sagen ist. Sollte ich völlig aus dem Rahmen fallen mit meiner Interpretation, muss ich das verkraften – von daher: keine falsche Rücksichtnahme!

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Eine wahrlich glückliche Verbindung: Stoewer R-150

Heute hatte ich „hohen“ Besuch aus Berlin – jedenfalls gemessen an den Dimensionen des VW-Bus, welcher sich nachmittags vorsichtig in die schmale Hofeinfahrt hineintastete.

Zwei seit Jahren geschätzte Sammlerkollegen hatten sich anlässlich einer Veranstaltung in der Nähe angekündigt – eine schöne Gelegenheit, sich einmal persönlich kennenzulernen und natürlich in Vorkriegsdokumenten zu stöbern.

Ich hatte zwar erwartet, dass ich kleines Licht, das erst seit einigen Jahren ohne Systematik Material zusammenträgt, den beiden nicht viel zu bieten hatte. Doch tatsächlich war am Ende einiges dabei, womit ich den Herren eine Freude machen konnte und umgekehrt kam auch ich auf meine Kosten, den sie waren nicht mit leeren Händen gekommen.

Eine glückliche Verbindung, welche eine Vertiefung verdient, so lautete mein Fazit. Genau das soll auch das Thema meines heutigen Blog-Eintrags sein – in mehrfacher Hinsicht.

Eine glückliche Verbindung, auf die ich immer wieder gern zurückkomme und die ebenfalls eine Vertiefung verdient, war die Kombination des noch recht neuen Vorderradantriebs mit gekonntem Styling Anfang der 1930er Jahre.

Wenn Sie dabei zuerst an die attraktiv gezeichneten Frontantriebswagen von DKW denken, ist das nicht verkehrt. Es gab aber noch mehr Raffiniertes auf dem Sektor, wie ich finde.

Dazu müssen wir freilich erst an eine andere glückliche Verbindung erinnern, nämlich diejenige zwischen menschengemachter Maschine und natürlichen Pferdestärken – regelmäßige Leser erinnern sich vielleicht hieran:

Steyr Typ 30; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Diese großartige Szenerie war keineswegs die einzige, welche bei derselben Gelegenheit festgehalten wurde.

Zu diesem Ausritt hatten sich nämlich einige Automobilisten eingefunden, welche auch ihre vierrädigen Lieblinge angemessen festgehalten wissen wollten. Dazu zählte neben dem Steyr 30 ein Mercedes 170 und mindestens ein weiteres, deutlich exklusiveres Fahrzeug.

Um letzteres soll es heute gehen. Damit am Ende auch klar ist, worum es sich handelt und ich mir langatmige Herleitungen sparen kann (obwohl manche Leser gerade die schätzen), beginnen wir ganz vorn – so gehört es sich ja auch für einen Fronttriebler:

Stoewer R-150 Limousine; Originalfoto: Matthias Schmidt

Dieses repräsentative, wenn auch etwas düster wirkende Fahrzeug war das Ergebnis von nur drei Jahren Evolution, nachdem Stoewer aus Stettin noch 1930 (also kurz vor DKW) seinen ersten Wagen mit Vorderradantrieb vorgestellt hatte.

Mit jenem kleinen 1,2-Liter-Typ V5 hatte der Nachfolger R-140 bzw. R-150 kaum noch etwas gemeinsam – denn der war mit 1,5 Litern Hubraum und 35 PS klar in der Mittelklasse angesiedelt.

Nach den ersten noch bescheidenen Versuchen mit dem V5 gelang Stoewer spätestens mit dem 1934 eingeführten R-150 eine besonders glückliche Verbindung aus moderner Antriebstechnik und klassisch schöner Gestaltung:

Stoewer R-150; Abbildung aus: Handbuch des Reichsverbands der Automobilindustrie 1935 (Original aus Sammlung Michael Schlenger

Zugegeben, ganz so elegant wie auf dieser Zeichnung sah der R-150 als geschlossener Viertürer dann doch nicht aus.

Allerdings gab es davon auch eine Ausführung als zweitüriges Cabriolet, die man sehr wohl als glückliche Verbindung aus gefälliger Optik und vorteilhaften Fahreigenschaften betrachten darf.

Diese Version habe ich hier schon einmal vorgestellt – wenn ich sie nun nochmals zeige, dann nur, damit Sie am Ende auch mein Urteil nachvollziehen können, was den eigentlichen Gegenstand des heutigen Blog-Eintrags betrifft:

Stoewer R-150 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Einprägen müssen Sie sich nur drei Dinge: die horizontal verlaufenden Luftschlitze in der Motorhaube, die erhaben ausgeführten Chromradkappen und die spindelförmige Chromleiste im oberen Bereich der Tür, welche diese optisch niedriger wirken lässt.

Hat man einmal diese Elemente des Stoewer R-150 in der Ausführung als Cabriolet verinnerlicht, dann ist man in der Lage, diese Version auch bei nur ausschnitthafter Wiedergabe zu erkennen.

Normalerweise würde man abwinken, wenn auf einem Autofoto kaum mehr als die Türpartie zu sehen ist. Doch gibt es auch in solchen Fällen glückliche Verbindungen, welche die Defizite mehr als ausgleichen.

Jetzt begeben wir uns wieder auf das herrschaftliche Anwesen, auf dem die eingangs gezeigte Aufnahme entstand.

Wieder geht es – wenn man genau hinschaut – um die glückliche Verbindung aus Pferdestärken und motorisiertem Fortbewegungsmittel – doch in den Schatten gestellt wird diese mühelos durch die glücklichste Verbindung, die man sich als Autoliebhaber und Verehrer alles Schönen vorstellen kann:

Stoewer R-150 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Muss ich zu dieser wahrlich glücklichen Verbindung noch irgendetwas sagen? Wohl kaum, dann genießen wir still und erfreuen uns an den zeitlosen Momenten, welche uns die gemeinsame Beschäftigung mit Vorkriegswagen auf alten Fotos bescheren kann…

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Dafür steht man gerne Schlange: Amilcar C4

Einst gab es in Italien Leute, die man dafür bezahlte, dass sie sich für irgendwelche Behördengänge in die unvermeidbare Schlange stellten. So konnte man sich für wichtigere und ertragreichere Beschäftigungen freikaufen, sofern man das Kleingeld hatte.

Als langjähriger Italienfahrer und immer öfter dort Ansässiger habe ich den Eindruck gewonnen, dass dieses Berufsbild auf dem absteigenden Ast ist. Denn die Italiener haben wie die meisten unserer europäischen Nachbarn bei der Modernisierung der Verwaltung große Fortschritte gemacht.

Wer mag auch für banale Dinge Schlange stehen? Wie nervig das ist, erlebte ich kürzlich wieder auf der örtlichen Postfiliale. Mit aufreizender Langsamkeit wurde dort die bis zur Eingangstür reichende Kundschaft abgefertigt.

Als ich dran war, meinte die Schalterfachkraft doch tatsächlich noch etwas plaudern zu müssen. Offenbar war ich zu freundlich gewesen – weshalb ich ihr dann mit einer Geste in Richtung der Schlange hinter mir entgegnen musste, dass ich den Betrieb nicht unnötig aufhalten möchte (zudem stand ich im Halteverbot).

Natürlich kennt jeder aber auch Dinge, für die man gerne ansteht und sich dabei noch privilegiert vorkommt. Etwa dann, wenn die Gelegenheit besteht, einmal in einem französischen „Amilcar“ der frühen 1920er Jahre mitzufahren.

Bei den ersten Ausführungen dieses ab 1921 gebauten Vertreters der Cyclecar-Fraktion – also sehr leichten Wagen mit Reifen in Motorradformat und freistehenden Kotflügeln, aber ohne Differential an der Hinterachse – handelte es sich durchweg um Zweisitzer.

Hier hat es immerhin der Dackel geschafft, den Ehrenplatz als Beifahrer zu ergattern und schaut den ernst dreiblickenden Besitzer dankbar, ja geradezu verliebt an – es muss sich um eine Dackeldame gehandelt haben:

Amilcar Typ CS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Woran man hier erkennt, dass dieser zweisitzige Wagen mit kurzem Radstand und sportlichen „Cantilever“-Federn an der Hinterachse ein „Amilcar“ war?

Nun, so sah nur ein Amilcar aus, so einfach ist das. Kein einzelnes Element genügt, um das zu erkennen – es ist die Kombination aus hohen Luftschlitzen in der Motorhaube, mittig gepfeilter Windschutzscheibe und in Holz nach Art eines Bootsrumpfs ausgeführten Karosserie, die Amilcar serienmäßig anbot.

Allerdings findet man diese Gestaltung an mehreren Typen des Herstellers, der im Pariser Vorort St. Denis produzierte. Diese auseinanderzuhalten, kann mitunter schwierig sein.

Wie es scheint, gab es die schicke Kompositkarosserie wie auf dem obigen Foto noch nicht bei Amilcars Erstling – dem Typ CC, obwohl dieser genau solch einen kurzen Radstand aufwies und nur für zwei Personen Platz hatte.

Doch bot Amilcar bereits ein Jahr nach Einführung des CC mit seinem 17 PS leistenden 900ccm-Vierzylinder ergänzend die leistungsgesteigerte Version CS auf weitgehend identischem Chassis an, deren 1 Liter-Aggregat fast 25 PS leistete.

Das war in der ersten Hälfte der 1920er Jahre ein phänomenaler Wert, und an die 100 km/h Spitze waren damit für kühne Lenker erreichbar. Wer es nicht ganz darauf anlegte, kam in den Genuss eines günstigen Leistungsgewichts, denn mit der einfachsten Karosserieausührung wog ein Amilcar CS nur rund 650 kg.

Das erklärt, weshalb die Amilcars auch am deutschen Markt wenig Konkurrenz hatten und bei sportlich orientierten Fahrern sehr begehrt waren – das belegen die zahlreichen Aufnahmen von Amilcar-Sportwagen mit deutscher Zulassung.

Der Typ CS von Amilcar war nach meinem Eindruck im Unterschied zum CC standardmäßig mit besagter Kompositkarosserie erhältlich. Wer sich nur das Chassis liefern ließ, konnte natürlich auch auf Basis des CC alles haben, was die Brieftasche hergab.

Doch einen Nachteil hatten die Amilcars der Typs CC und CS aus Sicht automobil bewegter Mitmenschen gemeinsam – sie boten entschieden zu wenig Platz.

Das änderte sich freilich ebenfalls 1922, als Amilcar parallel die Version C4 mit längerem Radstand anbot, die denselben Antrieb wie der leistungsgesteigerte CS besaß.

Drei oder gar vier Sitzplätze waren nun auf einmal verfügbar beim Amilcar C4 – kein Wunder, dass die Leute dafür Schlange standen!

Amilcar Typ C4; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Auf den ersten Blick sieht dieser Aufbau fast genauso aus wie der des eingangs gezeigten Zweisitzer des Typs CS. Doch der längere Radstand und der Mann im Heck verraten, dass wir es mit einem C4 zu tun haben.

Details wie die abweichenden Luftschlitze und die Gestaltung der Tür darf man getrost unter damals üblichen Variationen in der Produktion verbuchen, welche unter Manufakturbedingungen stattfand.

Ein hübsches Detail sei am Ende erwähnt: Die Kühlerfigur dieses Exemplars findet sich identisch bei dem folgenden Amilcar des frühen Typs CC wieder:

Amilcar Typ CC; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Die Amilcar-Wagen besaßen meines Wissens keine serienmäßige Kühlerfigur und doch haben wir hier zwei Exemplare mit identischem Maskottchen.

Wer etwas Erhellendes dazu beitragen kann – oder auch generell mehr zu den heute gezeigten Fahrzeugen weiß – ist wie immer eingeladen, uns an seinem Wissen über die Kommentarfunktion teilhaben zu lassen.

Denn so ungern ich Schlange stehe, so oft stehe ich auf dem Schlauch, was Vorkriegsautos angeht, von denen ich wenig weiß – die sportlichen Amilcars sind genauso ein Fall.

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Fund des Monats: Ein Austro-Daimler ADM „Sport“

Nach längerer Zeit kommen heute wieder einmal wieder die Freunde von Sportversionen gängiger Vorkriegsmodelle auf ihre Kosten – so hoffe ich zumindest.

Mein Wissen auf diesem Sektor hält sich in engen Grenzen, daher sind Korrekturen und Ergänzungen durch Kenner der Materie noch willkommener als sonst.

Ausgangspunkt der Betrachtung, für die mir nur wenig Zeit bleibt, denn das Monatsende ist nur noch eine knappe Stunde entfernt, ist ein serienmäßiger Tourenwagen des Sechszylinder-Typs ADM, den Austro-Daimler ab 1922 fertigte – zunächst mit nur 45 PS aus 2,6 Litern Hubraum, doch schon ab 1923 mit angemesseneren 60 Pferdestärken:

Austro-Daimler ADM Tourer; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der Austro-Daimler ADM war das erste Modell der Wiener Traditionsmarke, das keinen Spitzkühler mehr besaß.

Im Gegensatz zu manch anderem Hersteller, gelang es aber, den nunmehr zeitgemäßen Flachkühler immer noch markant genug zu gestalten. Einen Austro-Daimler konnte man so weiterhin auch aus der Ferne erkennen, jedenfalls von vorn.

Der Typ ADM wies sich aber auch von der Seite betrachtet als solcher aus, besaß er doch gut sichtbare „Cantilever“-Blattfedern an der Hinterachse, die konstruktiv bedingt als besonders kompatibel mit sportlicher Fahrweise galten.

Deren vorderer Befestigungspunkt lag beinahe in Fahrzeugmitte, während er sich normalerweise direkt vor dem Hinterkotflügel befand. Dieses Detail behalten wir im Hinterkopf.

Bereits die frühe 10/40 PS-Version (die Literatur nennt auch 45 PS) des Austro-Daimler ADM heimste noch 1924 einige Sporterfolge ein, obwohl sie damals bereits durch die 10/60 PS-Variante abgelöst wurde:

Austro-Daimler ADM-Reklame; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Solche Wettbewerbserfolge wurden vom Hersteller gern zum Anlass genommen, spezielle Sportversionen anzubieten.

Diese waren oft genug bloß mit dem Serienantrieb ausgestattet, bekamen aber sportliche (d.h. reduzierte und leichtere) Aufbauten, bisweilen auf verkürztem Chassis, um die Straßenlage bei Kurvenfahrt zu verbessern.

Eine solche Sportausführung mit kurzem Radstand scheint es erstmals beim 1924 eingeführten ADM 10/60 PS gegeben zu haben (vgl. Martin Pfundner, Austro-Daimler und Steyr, 2007, S. 221).

Etwas derartiges glaube ich nun auf drei zusammengehörigen Aufnahmen gefunden zu haben. Sie zeigen einen in Hamburg zugelassenen Austro-Daimler mit minimalistischem Zweisitzeraufbau:

Austro-Daimler ADM „Sport“; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme, die eventuell im schlesischen bzw. böhmischen Riesengebirge entstanden ist, lässt freilich noch einiges zu wünschen übrig.

Zwar ist die Kühlerpartie typisch für den Austro-Daimler ADM ab 1922, doch findet sie sich auch noch am Nachfolger ADR (ab 1927). Leider ist die nur beim ADM verbaute Cantilever-Federung hier verdeckt – sofern es sie an diesem Wagen gab.

Dass wir es zumindest optisch mit einer Sportversion zu tun haben, daran kann aus meiner Sicht kein Zweifel bestehen. Das Fehlen eines Trittbretts und eines Schwellerblechs sowie die an ein Cyclecar erinnernden Vorderkotflügel sind eindeutige Hinweise.

Übrigens wurde der ADM „Sport“ bei sonst identischer Spezifikation ab 1924 auch mit einem auf 3 Liter Hubraum aufgebohrten Motor angeboten, der wie bereits das 2,6 Liter-Aggregat dank obenliegender Nockenwelle besonders drehfreudig war.

70 PS fielen bei den frühen Versionen dieses ADM II 3 Liter Sport an; kurz darauf machte man Nägel mit Köpfen und steigerte die Leistung auf satte 100 PS.

Das ist ganz nach meinem Geschmack, denn damit betrat man das Territorium zeitgenössischer italienischer und insbesondere englischer Straßensportwagen.

Der Vorliebe für das schnelle Fahren scheinen die meist schmalen kurvigen Landstraßen auf den britischen Inseln offenbar eher Vorschub geleistet als Grenzen gesetzt zu haben. So wundert es nicht, dass diese „Waffe“ aus Wien auch bei englischen Sportsleuten Anklang fand.

Wir bleiben aber bei unserem Hamburger Exemplar, das sich hier in einem ländlichen Umfeld wiederfindet, wo man dergleichen nicht erwarten würde:

Austro-Daimler ADM „Sport“; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Vielleicht war der Wagen hier wieder auf dem Heimweg nach Norden. Das Fachwerk der Häuser würde ich irgendwo in Mitteldeutschland verorten. Hessen darf ich ausschließen, denn dort wohne ich und meine die hiesigen Besonderheiten zumindest oberflächlich zu kennen.

Erfreulich ist, dass uns hier der zuvor verstellte Blick auf die Hinterradfederung gegönnt wird – die in Cantilever-Manier ausgeführt ist. Der Wagen muss demnach ein Typ ADM gewesen sein.

Nun ist auch die vereinfachte Karosserie hinter den Sitzen zu erkennen. So etwas findet sich nur bei Sportaufbauten, bei denen Gewichtsersparnis wichtiger war als Stauraum oder ein Passagierabteil.

Allerdings waren die beiden Herren, die damit unterwegs waren, durchaus gewieft. Sie hatten nämlich das Ersatzrad aus der dafür vorgesehenen Mulde entfernt und ganz ans Heck verbannt. Damit hatten sie einen Gepäckraum für die nötigen Reiseutensilien:

Austro-Daimler ADM „Sport“; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

So etwas sieht man nicht alle Tage und damit meine ich nicht nur den Austro-Daimler ADM „Sport“ als solchen, sondern vor allem diese absolut außergewöhnliche Heckansicht.

Die hatte ich ganz aus dem Blick verloren, als ich zu schreiben begann, doch ich habe sie noch gerade rechtzeitig zum Monatsende wiedergefunden…

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Herummäkeln zwecklos! DKW PS 600 Roadster

Die zwecklosen Dinge sind die Würze des Lebens, meine ich.

Ein früherer Vorgesetzter von mir fragte bei allen möglichen Gelegenheiten: „Ist das wirklich notwendig?“ – Meine genervte Antwort war irgendwann, dass man mit der Notwendigkeit als Maßstab über kurz oder lang wieder in der Steinzeit landet.

Wer an Automobile – das teuerste Konsumgut für die meisten – ohne Not mit einer reinen Zweckbetrachtung herangeht, ist ein armer Tropf. Selbst ein praktischen Verwendungen dienendes Gefährt sollte gefällig daherkommen, gern auch etwas angeberisch.

Manche meinen zu wissen, wieviel(e) Auto(s) man braucht, wie groß es sein darf, was es verbrauchen soll usw. Diese Bevormunderei ist in Deutschland mit seiner Kontroll- und Neidkultur leider besonders ausgeprägt.

Doch was geht es andere an, wenn ich mir einen großen Spritsäufer mit V8 zulege, der völlig unzweckmäßig ist, wenn ich damit pro Jahr nur einige hundert Kilometer fahre?

Die automobile Realität sah und sieht für die breite Masse in Deutschland doch in Wahrheit prosaisch aus. Für angebliche Exzesse fehlt es den meisten am Spielgeld – „Vater“ Staat muss vorrangig gemästet werden, das wollten die Deutschen schon immer so.

Die automobile Bescheidenheit sehe ich jeden Tag selbst hier im Speckgürtel von Frankfurt/Main. Fast alle Leute, die selbst dafür bezahlen müssen, fahren banale Gebrauchtwagen, überwiegend von günstigen Herstellern aus Asien oder Frankreich.

Neue deutsche „Premiumautos“ sind die Domäne von Dienstwagenfahrern oder Möchtegerns, welche sich zwar keinen Wagen kaufen, aber leasen können. Beides war in der Vorkriegszeit weitgehend unbekannt, und ein Auto zu besitzen, war in Deutschland ein Privileg an sich.

Man kann sich kaum vorstellen, dass das erste DKW-Automobil – der simple Zweitakttyp P 15 PS von 1928 – seinerzeit einen exklusiven Besitz darstellte, den man mit Stolz präsentierte:

DKW Typ P 15 PS, 2-sitziges Cabriolet; Originalfoto: Volker Wissemann

So gefällig dieser Kleinwagen auch aussah, war er doch in technischer Hinsicht noch von nackter Notwendigkeit geprägt.

Der 600ccm messende Zweizylindermotor war aus einem Motorradaggregat abgeleitet, die Karosserie war zwar selbsttragend, aber weitgehend aus Holz.

Das wohl einzige Komfortmerkmal waren die mittig an der Vorderachse angebrachten Reibungsstoßdämpfer, die man auf dem Foto von Volker Wissemann gut erkennen kann.

Gestalterisch indessen – das muss man DKW lassen – war dieses Gefährt ausgesprochen gelungen, was übrigens auch für die späteren Modelle gilt. Von der ungeschlachten „Schwebeklasse“ abgesehen, sah ein DKW stets mindestens eine Klasse besser aus, als es seinen Fahrleistungen entsprach.

Nicht ganz 5.000 Exemplare seines automobilen Erstlings P 15 PS brachte DKW in dreieinhalb Jahren (Juni 1928 bis Dezember 1931) an den Mann. Diese extrem niedrige Zahl für einen Kleinwagen kündet von der erschütternden Armut im Deutschland jener Zeit.

Und dennoch gab es auch damals eine Minderheit, der bei aller Ungemach der Sinn nach radikal Unvernünftigem stand – diese Leute verdienen unsere besondere Sympathie.

So bot DKW neben der 15 PS-Standardausführung eine um sagenhafte 3 Pferdestärken leistungsgesteigerte Sportversion an. Sie mögen jetzt lächeln, aber in Verbindung mit weniger Gewicht (ca. 500 kg) und echter Roadster-Optik war das schon ein Lichtblick.

Das als PS 600 firmierende Gerät wurde parallel zum P 15 PS in weit geringeren Stückzahlen gefertigt – ganze 500 Wagen entstanden bis 1931.

Nicht zufällig hat dieses unvernünftige Fahrzeug erstaunlich viele Spuren hinterlassen. Die eine oder andere Aufnahme habe ich über die Jahre bereits hier vorgestellt.

Erst vor kurzem stieß ich wieder auf ein Exemplar, und das in einem durch und durch bürgerlichen Umfeld, wo es ansonsten im Alltag eher zweckmäßig zuzugehen hatte:

DKW PS 600 Roadster; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Klar, hier haben wir es nicht gerade mit einer Arbeitersiedlung zu tun, die hohen Sprossenfenster deuten auf einen gewissen Wohlstand hin. Aber selbst so zweckmäßige Dinge wie einen Kühlschrank oder einen Staubsauger gab es auch dort noch meist nicht.

Wie kam da jemand auf die Idee, sich ausgerechnet so ein unvernünftiges Gefährt ohne jeden praktischen Nutzen vor die Tür zu stellen? Nun, weil es jemand wollte und vielleicht dafür bereit war, auf anderes zu verzichten oder etliche Extraschichten einzulegen.

Leider wissen wir nichts über den Besitzer dieses DKW PS 600 mit Zulassung in Herford (Westfalen). Immerhin konnte er seine Freundin, Schwester oder die charmante Nachbarin überreden, doch einmal auf dem Fahrersitz zu posieren.

Gar nicht so schlimm, dieses unpraktische Automobil, stellt man bei näherer Betrachtung fest:

Hier ist alles Herummäkeln zwecklos – den kleinen Sportwagen würde kaum jemand wieder aus der Garage schubsen, wenn sich einer der wenigen Überlebenden dorthin verirren würde.

Ohne solche Dinge, die einen über das rein Zweckmäßige erheben, sind wir einfach nur arme Wichte, die auf Erden freudlos ihre Zeit absitzen und ein Dasein als Sklaven vorgeblicher Notwendigkeiten führen…

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Wo bleibt das Positiv(e)? Ein Lancia „Astura“!

Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten – das war schon früh das Motto der Zeitungsleute, später haben sich die Fernsehfritzen als würdige Nachfolger erwiesen.

Im Internetzeitalter kommen zwei Dinge hinzu: Erstens ist es so leicht wie nie, Bilder und Berichte von Kriegen und Katastrophen aus aller Welt zu servieren. Und zweitens lassen sich die seit dem Ersten Weltkrieg erprobten Mittel der Propaganda auf immer raffiniertere Weise in den Alltag der Leute schmuggeln.

Die Techniken der Manipulation – Stichworte: Framing, Nudging und das besonders perfide Gaslighting – werden von interessierter Seite auf immer mehr Lebensbereiche angewandt. Einen großangelegten Feldversuch gab es vor nicht allzulanger Zeit, viele haben ihn leider erst im nachhinein oder gar nicht bemerkt.

Das ständige Füttern mit schlechten Nachrichten, das Schüren von Ängsten, das Zeichnen von Untergangsszenarien erklärt nach meiner Auffassung als Hobby-Psychologe eine zunehmend zu beobachtende Zermürbung, Zerrüttung und Ermüdung.

Dem lässt sich freilich etwas entgegensetzen, nämlich die Verweigerung manipulativer Medienangebote und die bewusste Auseinandersetzung mit den schönen und großartigen Dingen, die es ja auch gibt bzw. gab.

Dem von außen auferlegten Kult des Negativen und der über kurz oder lang damit einhergehenden Ermattung und Verzweiflung gilt es zu entrinnen – indem man in seinem Alltag dem Positiven die Hauptrolle gönnt.

Eine Anleitung, wie man aus der Negativsicht auf die Welt eine Positiverfahrung macht, das will ich heute vorführen. Sie vermuten völlig richtig, dass ich das anhand eines alten Automobilfotos tun werde.

Wer noch die gute alte Analogfotografie praktiziert hat, der weiß, dass auch die erbaulichste Aufnahme ihren Anfang unweigerlich in einem Negativbild nimmt. Das musste so sein, weil beim Belichten des verwendeten Films unterschiedlich helle Partien des Motivs genau umgekehrt festgehalten werden, wie wir sie wahrnehmen.

Das Ergebnis ist oft verstörend, doch zum Glück lässt sich aus jedem Negativ anschließend ein positives Konterfei fabrizieren. Probieren wir es einfach anhand dieses Fundstücks:

Lancia Astura; originales Negativ aus Sammlung Michael Schlenger

Tatsächlich war es um die Qualität dieses alten Negativs weit schlechter bestellt, als es obige Version ahnen lässt. Belichtung und Kontrast ließen arg zu wünschen übrig.

Trotzdem erwarb ich das alte Dokument im achtbaren Format 9×6 cm, da ich neben dem 50er Jahre-Omnibus schemenhaft ein Auto der 1930er Jahre registrierte.

Zwar habe ich bei obiger Wiedergabe des Negativs schon kräftig nachgeholfen, dennoch bin ich sicher, dass Sie die große Limousine nicht auf Anhieb identifizieren können.

Ein wenig erinnerte der Wagen an die BMW-Modelle 326, 327 und 328, was an sich schon ein hübsches Ergebnis wäre. Die weitere Auseinandersetzung sollte aber eine noch positivere Überraschung zeitigen.

Lassen wir also das Negativ(e) hinter uns und beschränken uns im Folgenden ganz auf die Positivsicht dieser leicht verwackelt festgehaltenen Situation:

Lancia Astura; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Na, sieht die Welt hier nicht gleich viel freundlicher und einladender aus?

Die Schirmpinien lassen einen an Italien als Aufnahmeort denken – schon deshalb ist das Gemüt spontan heiter gestimmt. Der Omnibus am rechten Bildrand – ich tippe hier auf einen Fiat – könnte die Dame und ihren Fotografen auf einer Reise im Süden transportiert haben.

Der Ort lässt sich nicht näher eingrenzen – im Hintergrund sieht man bloß eine leicht ansteigende Straße, auf der rechts neben der Dame mit etwas gutem Willen eine Vespa zu erkennen ist.

Unser Interesse gilt aber natürlich der großzügigen Limousine mit schrägstehendem Kühler, sehr großen Radkappen auf Lochfelgen und ungewöhnlich gestalteten Luftauslässen in der Motorhaube.

Zunächst dachte ich an ein US-Fabrikat der zweiten Hälfte der 1930er Jahre und ging die bekanntesten Marken durch – Fehlanzeige. Doch dann brachte mich irgendetwas an der Linienführung dazu, es mit dem italienischen Hersteller Lancia zu versuchen.

Und obwohl von den Oberklassemodellen dieses Fabrikats in den 30ern kaum ein Wagen aussah wie der andere, wurde ich beim Achtzylindermodell „Astura“ von 1936 fündig.

Der Entwurf zu diesem Fahrzeug stammte zwar von 1931, doch der feine V8-Motor mit obenliegender Nockenwelle und anfänglich gut 70, später 80 PS war auch einige Jahre später noch auf der Höhe der Zeit.

Mit Spitzengeschwindigkeiten zwischen 120 und 130 km/h war der Lancia „Astura“ ideal geeignet für die italienischen Autobahnen, von denen die erste bereits in den 1920er Jahren entstanden war.

Die Aufbauten kamen meist von renommierten Carossiers wie Pinin Farina und waren speziell bei den Coupés und Cabriolets von großer Eleganz.

Der „Astura“ auf unserem Negativ-Beispiel war zwar nur eine Limousine, aber dafür bietet er das Positive, dass ein weitgehend übereinstimmendes Exemplar mit Pinin Farina-Aufbau noch existiert, nämlich im faszinierenden Museum Nicolis bei Verona:

Lancia „Astura“ Berlina Gran Sport von 1936; Originalfoto: Museo Nicolis

Wenn Sie dieses Positiv-Erlebniss vertiefen wollen, dann können Sie das in der 43 Fotos umfassenden Bildergalerie dieses speziellen Exemplars tun.

Dort macht man intensive Bekanntschaft mit der großartigen Ästhetik dieser an Krisen und sich anbahnenden Katastrophen so reichen Zeit.

Man kann sich dabei in der Betrachtung eines Haubenfeststellers oder Aschenbechers beispielsweise verlieren. Diese gestalterische Qualität wurde später nie wieder erreicht und verdeutlicht, weshalb Vorkriegswagen so speziell sind.

Auch wenn man der Ansicht ist, dass die Gegenwart in dieser Hinsicht kaum noch etwas zu bieten hat, wollen wir uns einer Negativsicht verweigern und stattdessen dem Positiven an unserer Zeit huldigen – nämlich dass diese herrlichen Schöpfungen und viele schöne andere Dinge von Menschenhand uns heute so leicht zugänglich sind wie nie zuvor.

An den Schattenseiten können wir meist wenig ändern – sich einseitig damit zu befassen, macht düster, depressiv und destruktiv. Fragen wir also bei allen/m Negativen also immer auch: Wo ist das Positiv(e)?

Im Zweifelsfall finden Sie hier in meinem Blog das Gegenbild, die Ablenkung und Erbauung, die man braucht, um sich nicht verrückt machen zu lassen…

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Sieg nach Punkten: Adler Standard 6 vs. NSU 6/30 PS

Heute las ich einen Artikel über die altehrwürdigen „Bundesjugendspiele“, welche schon zu meiner Grundschulzeit in den 1970er Jahren abgehalten wurden. Darin hieß es, dass man die Ergebnisse der Teilnehmer beim Laufen, Springen, Werfen usw. nicht mehr genau festhalte, denn „Kinder können nichts mit diesen absoluten Zahlen anfangen“.

Das glaube ich in Zeiten des „Schreibens nach Gehör“ und anderer Experimente an den wehrlosen Grundschülern sogar. Exaktes Rechnen und Vergleichen kann ja auch zu unschönen Erkenntnissen führen – davor muss die Jugend unbedingt geschützt werden.

Nun gehöre ich jedoch einer Generation an, die noch Schlimmes erlitten hat, was den Umgang mit Zahlen betrifft – ich musste sogar einen Beruf daraus machen: erst als Kaufmann, dann als Volkswirt (mit dem gefürchteten großen Statistikschein…).

Von daher kann ich nichts dafür, wenn ich heute den braven Sechszylindertyp 6/30 PS von NSU aus dem Jahr 1928 einem unbarmherzigen Vergleich mit dem 1927 eingeführten Adler Standard 6 unterziehe.

Wie kann ich nur so grausam sein – der NSU hat doch von vornherein keine Chance, oder? Nun, dass ich ihn gegen der Adler antreten lassen, das hat er sich selbst zuzuschreiben, denn rein äußerlich tat er ganz schön groß:

NSU 6/30 PS Limousine von 1928; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Mit über vier Metern Gesamtlänge und geräumiger Sechsfenster-Karosserie will dieser Wagen offenbar hoch hinaus. Dazu passend hat ihm NSU einst den ersten selbstkonstruierten Sechszylindermotor verpasst.

Ende der 1920er Jahre war ein Sechszylinder die Voraussetzung dafür, einigermaßen mit der erdrückenden Konkurrenz der preiswerten und gut ausgestatteten US-Importmodelle mithalten zu können, auf die zeitweise rund ein Drittel des deutschen Markts entfiel.

Nun mögen Sie denken, dass NSU mit diesem bieder anmutenden und schwach motorisierten Gefährt von vornherein chancenlos war. Dabei war die Tourenwagenversion durchaus gelungen, nicht wahr?

NSU 6/30 PS Tourenwagen von 1928; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

In der Tat kommt hier der von italienischen Modellen inspirierte Kühler mit klassischer Silhouette gut zur Geltung – so aufgenommen, wirkt das Gefährt beinahe sportlich.

Allerdings war der gerade einmal 1,6 Liter messende Motor mit seinen 30 PS Spitzenleistung zwar kultiviert, aber wenig durchzugsstark. 80 km/h waren damit maximal drin – genug für die Landstraße, aber für gebirgiges Terrain war der kompakte Antrieb nicht ideal.

Dennoch meinte man bei NSU, dem Chassis auch einen großen geschlossenen Aufbau verpassen zu müssen – und zwar genau denselben, den die Berliner Karosseriefabrik Ambi-Budd unter anderem an die Adler-Werke in Frankfurt am Main lieferte.

Prägen Sie sich bitte die Details des Aufbaus des NSU ein – speziell die Anordnung der seitlichen Zierleisten und Türscharniere:

Bei der Gelegenheit sei auch auf die kleinen Radkappen mit den nur vier Bolzen verwiesen, wie man das sonst eher an Kleinwagen fand.

Jetzt unternehmen wir einen großen Sprung, obwohl sich an Radstand und Wagenlänge kaum etwas tut – dafür aber unter der Haube und vor allem in stilistischer Hinsicht.

Dazu wenden wir uns einer „neuen“ Aufnahme eines alten Bekannten zu – des Adler „Standard 6“ aus Frankfurt am Main.

Wir hatten diesen Wagen bereits einige Male zu Gast – wie auch sein Vierzylinder-Pendant „Favorit“ – beide gehörten zu den meistverkauften deutschen Mittelklassewagen ihrer Zeit.

Nun aber zum „Standard 6“ – hier anhand eines Fotos von Leser Matthias Schmidt (Dresden):

Adler „Standard 6“; Originalfoto: Matthias Schmidt (Dresden)

Obwohl dieser Wagen praktisch dieselben Abmessungen hat wie der NSU und mit identischem Limousinenaufbau von Ambi-Budd daherkam, spielte er in einer anderen Liga.

Das betrifft zum einen die weit raffiniertere, an US-Vorbildern orientierte Kühler- und Haubenpartie. Allein die Kühlerfigur und die Scheinwerferstange mit einer „6“ in einer Raute machen mächtig etwas her. Die Gestaltung der Räder verweist ebenfalls auf die gehobene Klasse des Wagens.

Die eigentliche Stärke lag jedoch im Verborgenen. Hinter den Rädern arbeiteten unauffällig vier hydraulische Bremsen – die ersten an einem deutschen Serienwagen. Und unter der Motorhaube fand sich ein Sechszylinder, der mit 2,5 Litern Hubraum und 45 PS das Mehr an Elastzität und Spitzenleistung bot, welches man beim NSU vermisste.

Der kleine Sechszylinder aus Heilbronn mit den äußerlich großen Ambitionen krankte zudem an einer veralteten Kühlung (Thermo-Siphon-Prinzip) und anderen Malaisen, welche erst die Ingenieure von Fiat behoben, nachdem die Turiner die Autofabrikation von NSU 1929 übernommen hatten.

So musste sich der NSU-Sechszylinder dem Adler letztlich klar nach Punkten geschlagen geben – aber auch gestalterisch war er kaum konkurrenzfähig. Nur beim Preis von 6.600 Mark (für die Limousine) hatte er die Nase vorn (Adler: 7.700 Mark).

Allerdings waren dies ohnehin Sphären, in die sich damals kein Durchschnittsverdiener verirrte. Nur wenige Betuchte konnten sich in Deutschland überhaupt ein Automobil leisten – meist reichte es bei Otto-Normalverbraucher nur für ein Fahrrad.

Von daher irritiert es ein wenig, dass NSU sich so gar keine Mühe gab, wenigstens mit etwas Zierrat um die anspruchsvolle Kundschaft zu buhlen.

Aber so ist das im Leben – am Ende kann nicht jeder Sieger sein. Womit wir wieder zurück bei den eingangs erwähnten Bundesjugendspielen wären. Ich weiß es noch genau: Neun Jahre alt war ich im Jahr 1978 und erhielt eine Urkunde, auf der stand: „Zweiter Sieger“.

Dieser offenkundige Unfug hat mich damals so irritiert, dass ich den Moment bis heute in Erinnerung behalten habe. Der fatale Feldzug gegen das Leistungsethos hierzulande hat tatsächlich schon viel früher begonnen, als man es gemeinhin denkt…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.