Fund des Monats: Pilain-Chauffeur-Limousine um 1910

Ich hoffe, das heute als Fund des Monats Januar 2025 präsentierte Foto enttäuscht nicht die Erwartungen. Denn weder ist von dem abgebildeten Fahrzeug sehr viel zu sehen, noch bin ich imstande, mehr als den Hersteller und die ungefähre Entstehungszeit zu benennen.

Beides ist keineswegs meiner Faulheit geschuldet, auch wenn ich im Januar jedes Jahres weit mehr Arbeit zu erledigen habe als sonst. Das liegt nun hinter mir und ich kann die ersten Rechnungen auf den Weg bringen – damit auch mal wieder Geld in die Kasse kommt.

Doch keine Sorge – über’s Jahr gerechnet kann ich nicht klagen, was die monetäre Situation angeht. Man ist als Selbständiger an Phasen stark schwankender Liquidität gewöhnt, und darf sich vom stetigen Takt der Abbuchungen nur nicht irritieren lassen.

Allerdings – auch das muss für’s Protokoll festgehalten werden – bin ich weit davon entfernt, mich in derartigen finanziellen Sphären aufzuhalten wie der junge Mann auf dem folgenden Foto, das kurz vor dem 1. Weltkrieg entstanden sein dürfte:

„Pilain“-Chauffeur-Limousine um 1910; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Das ist ein historisches Autofoto zumindest ganz nach meinem Geschmack, zeigt es doch ein interessantes Fahrzeug und vermittelt gleichzeitig viel von den Zeitverhältnissen, in denen es einst modern war.

Lachen Sie nicht, wenn ich hier von „modern“ spreche. Um 1910, als der abgebildete Wagen entstand, war ein Benzingefährt dieser Größe mit Aufbau als Chauffeur-Limousine den oberen Zehntausend vorbehalten, welche der Pferdekutsche längst adieu gesagt hatten.

Auch der junge Mann neben dem Auto, der die Hand besitzergreifend auf den Kühlwasserstutzen gelegt hat, war ganz auf der Höhe der Zeit. Glattrasiert und mit vorbildich gesunder Erscheinung stand er in denkbarem Kontrast zu den oft ungesund und ungepflegt erscheinenden älteren Herren jener Zeit.

Zu ihm kehren wir am Ende noch zurück.

Jetzt mögen Sie, sofern Sie nur das Auto interessiert, sagen: „Ist doch klar, was hier zu sehen ist, steht ja auf dem Kühler!“ Wo ist also das Besondere?

Nun, zwar ist der Name der Firma Pilain aus dem französischen Lyon und auch die typische Kühlergestaltung gut zu erkennen, aber dabei vergisst man, wie exklusiv die ab 1902 von Francois Pilain gebauten Wagen schon immer waren und erst recht heute sind.

Die Marke – nicht zu verwechseln mit Rolland-Pilain – hat trotz ihrer Existenz bis kurz nach dem 1. Weltkrieg nur wenige greifbare Spuren hinterlassen – speziell im Netz. Nach einer Weile der Recherche (etwa hier) weiß man immerhin, dass Pilain nach einer Phase des Experimentierens mit Zwei- und Vierzylindermotoren ab 1904 mit einer Palette an Vierzylinderwagen an den Start ging, die Hubräume von unter 2 bis über 8 Litern boten.

Wie damals üblich unterschieden sich die Wagen je nach Leistung in erster Linie der Größe des Chassis nach. Markentypisch war fast immer nur der Kühler und modellspezifische Elemente finden sich selten.

Im vorliegenden Fall liefert immerhin der Aufbau als Chaufffeur-Limosine einen Hinweis darauf, dass man die schwächeren Motorisierungen mit 15 bis 20 PS ausschließen darf, die eher für leichte Tourer geeignet waren.

Wer sich eine dermaßen teure Karosserie leisten konnte, hatte auch keinen Grund, am Hubraum zu sparen. Von daher ist bei dem Pilain auf dem heute vorgestellten Foto nach oben hin alles möglich.

Mindestens 30 bis 40 PS darf man hier annehmen und dann liegt man um 1910 bei den damals dominierenden Seitenventilern im Hubraumbereich von um die 4 Liter.

Genauer lässt sich das nicht sagen, und letztlich ist es auch egal, da wir es in jedem Fall mit einem sehr teuren Automobil der Oberklasse zu tun haben, was speziell im Fall von Pilain mit verschwindend niedrigen Stückzahlen einherging.

Was bringt mich angesichts der dünnen Überlieferung aber überhaupt dazu, den Pilain auf dieser Aufnahme auf die Zeit um 1910 zu datieren? Das ist einfach – denn die vorne abgerundete Gestaltung des hinter dem Motorraum aufragenden Benzintanks mit mittig erkennbarem Verschluss – findet man auf den wenigen Vergleichsfotos nur 1910/11.

Ein zwar leichterer, aber von der Gestaltung der Frontpartie sehr ähnlicher Pilain von 1911 findet sich im großartigen Automobilmuseum Mülhausen im Elsass (Foto hier).

Ab 1912 scheint man bei PiIain dann zu einem harmonischerem Übergang von der Motorhaube zur Frontscheibe übergegangen zu sein (Stichwort: Windlauf).

Das war auch schon alles, was ich zu dem Pilain auf dem heute vorgestellten Foto sagen kann und ich bezweilfe angesichts der enormen Exklusivität dieser Wagen, dass sich noch viel mehr in Erfahrung bringen lässt.

Kommen wir zum Schluss aber noch einmal zu dem jungen Mann zurück, der mit dem Pilain abgelichtet wurde und ernst, aber nicht unsympathisch wirkt:

Ob er nun der Fahrer des Wagens war oder zur Besitzerfamilie gehörte, sei dahingestellt.

Fest steht, dass er mit seiner auf den ersten Blick auf heutige Zeitgenossen steif wirkenden Kleidung gut auf eine Ausfahrt mit dem Wagen vorbereitet war, sofern er noch eine Jacke anlegte und eine Kopfbedeckung aufsetzte.

Man sieht hier gut, wieviel Bewegungsfreiheit diese Art Bekleidung bot. Durch die Hosenträger konnte der Hosenbund recht locker sitzen und es war kein Gürtel erforderlich. Das sehr weitgeschnittene Hemd bot ideale Bewegungsfreiheit und gleichzeitig eine wärmende Schicht.

Als langjähriger Krawattenträger kann ich außerdem bestätigen, dass bei Wahl der richtigen Kragenweite auch das oben geschlossene Hemd keinerlei Beeinträchtigung darstellt.

Man kann mit so einer Montur sogar stundenlang Fahrradfahren, wie ich zuletzt im September 2024 in Italien bei einer historischen Veranstaltung erproben durfte:

„La Francescana“ in Umbrien, September 2024; Foto: Ildebrando Cascelli

Aber das ist eine andere Geschichte, die ich bei Gelegenheit erzählen möchte – garniert mit Fotos, bei der Vorkriegsautos – wie heute – als wunderbare Nebensache daherkommen…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Willkommener Gast im Gestern: Dürkopp P8 8/32 PS

Wer hat nicht Sehnsucht nach der heilen Welt von gestern? Darunter versteht gewiss ein jeder etwas anderes und ob in diesem Gestern wirklich alles heile war, darf bezweifelt werden.

Und doch hat man zumindest eine Vorstellung von der Welt, wie sie eigentlich sein sollte, wenn man die normalen Leute einfach ihr Leben leben ließe – ohne aggressive Ideologien, Feindbilder, Propaganda, Terror usw.

Natürlich verhielt es sich von einigen Phasen des Friedens, der Prosperität und kulturellen Blüte die meiste Zeit der Geschichte über anders. Die dem Menschen als Art wohl von Natur aus innewohnende Tendenz zur Verdrängung und Unterdrückung als Konkurrenz empfundener Mitgeschöpfe tritt immer wieder zutage.

Gleichwohl halten wir gerne fest an der Vorstellung, dass es doch zumindest Zeiten und Orte gibt, an denen sich wenigstens oberflächlich ein ungestörtes Idyll einstellt.

Ein Dokument, auf dem so ein Augenblick – näherungsweise – wiedergegeben ist, möchte ich heute vorstellen.

Ich verdanke es Leser Matthias Schmidt (Dresden) und es gefällt mir auch deshalb so gut, weil es wieder einmal ein Bespiel dafür ist, dass Vorkriegsautos keine industriellen Fremdkörper in einer Welt waren, deren Erscheinungsbild über Jahrhunderte ausschließlich vom individuellem Wirken zahlreicher Handwerke bestimmt wurde.

Hier haben wir die Aufnahme, die mich denken ließ, dass vor ziemlich genau 100 Jahren ein wohl nagelneues Automobil ein willkommener Gast in der Welt von gestern war:

Dürkopp Typ P8 8/32 PS; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Vor einem Fachwerkhaus im norddeutschen Stil haben sich mehrere Generationen einer Familie zum Fototermin versammelt – der Anlass scheint das Eintreffen eines Autos gewesen zu sein, das man soeben selbst erworben hatte oder von einem Verwandten vorgestellt wurde.

Dem Nummernschild nach zu urteilen, war der Wagen im Landkreis Helmstedt in der Nähe von Braunschweig zugelassen.

Dort finden sich heute noch viele solcher Fachwerkbauten in guter Erhaltung, gepflegt von ihren Besitzern und meist ohne die geschmacklosen Veränderungen ab den 1950er Jahren, die in meiner Heimatregion Wetterau soviel historische erhaltene Bausubstanz ruiniert haben.

Das kurze Kleid der etwas zerknirscht dreinschauenden jungen Dame im Vordergrund deutet auf eine Entstehung der Aufnahme um die Mitte der 1920er Jahre hin.

Dazu passt der hell lackierte Tourenwagen sehr gut, denn diese Art moderater Spitzkühler fand sich bei deutschen Autos bis etwa 1925.

Beiderseitig der Kühlerspitze ist ein stilisiertes „D“ zu erkennen – das Emblem der Bielefelder Traditionsmarke Dürkopp. Die Automobilproduktion der vor allem für ihre Fahrräder und Nähmaschinen bekannten Marke ist so gut wie nicht dokumentiert, dennoch finden sich genügend Prospekte, Reklamen und Fotos, aus denen man sich ein Bild machen kann.

Nach dem 1. Weltkrieg baute Dürkopp vor allem den Vierzylindertyp P 8/24 PS in größeren Stückzahlen – selten sind Fotos wie das nachfolgende daher keineswegs:

Dürkopp Typ P8 8/24 PS; Originalfoto aus Familienbesitz (Dr. Siegfried Roth, Rüsselsheim)

Allerdings wiesen die Exemplare der frühen 1920er Jahre offenbar noch anders gestaltete Luftschlitze in der Motorhaube auf – weniger und breitere als bei dem Exemplar auf dem Foto von Matthias Schmidt.

Auch das Fehlen von Vorderradbremsen ist ein Hinweis auf eine Entstehung vor 1925. Wann genau Vierradbremsen beim Dürkopp P 8/24 PS zumindest optional erhältich waren, ist mir nicht bekannt.

Die Einführung begann nach meiner Wahrnehmung bei den meisten deutschen Autoherstellern fließend ab 1924. Nach 1925 findet man so gut wie keine Wagen mehr ohne gebremste Vorderräder.

Allerdings ist dies bisweilen nicht klar zu erkennen, speziell wenn die vorderen Bremstrommeln kleiner waren als die hinteren – ier ein Beispiel aus meinem Dürkopp-Fundus:

Dürkopp Typ P8 8/32 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dennoch meine ich aufgrund der modernisierten Haubenpartie hier einen Dürkopp des leistungsgesteigerten Typs PA 8/30 PS ab 1925 zu sehen.

Dieser Wagen entspricht von der Farbgebung abgesehen vollkommen dem in Helmstedt zugelassenen Exemplar. Daher würde ich auch dieses als Dürkopp PA 8/32 PS ansprechen.

Beweisen kann ich das nicht, aber mangels Liteatur dürfte sich auch das Gegenteil schwer belegen lassen.

Letztlich ist es mir heute auch gar nicht so wichtig – Hauptsache, wir haben wieder einmal einen der gut aussehenden Tourer der Marke ans Tageslicht geholt, die heute völlig verschwunden zu sein scheinen.

Hier sind sie indessen willkommene Gäste aus der Welt von gestern.

Wer weiß, vielleicht findet sich ja dereinst doch noch jemand, der sich dieser Automobile in literarischer Form annimmt – Material zur Illustration ist ja genug vorhanden – etwa in meiner Dürkopp-Galerie.

Das muss für heute genügen – der anstehende Fund des Monats erfordert noch etwas Vorbereitung…

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Aktuelle Analyse aus Berlin: Chevrolet & Co anno 1928

Heute bekommen Sie zur Abwechslung nur harte Fakten präsentiert – naja, sagen wir fast. Um ein passendes Bild zur Stimmungslage kommen wir dennoch nicht herum.

Keine Sorge, auf aktuelles Geschehen in der Hauptstadt gehe ich mit keinem Wort ein. Dafür gibt es eine nüchterne Betrachtung der dortigen automobilen Verhältnisse im Jahr 1928.

Die Daten dazu sind gut abgelagert, kommen aber zeitgemäß aufbereitet daher. Die Chose hat mich einige Auseinandersetzung mit den Algorithmen von ChatGTP gekostet.

Grundlage für diese Alternativbeschäftigung zum Fernsehkonsum, dem ich mich seit gut 35 Jahren verweigere – ich habe keine Zeit für Zeitverschwendung – ist eine Aufstellung, welche die deutsche „Auto Revue“ Ende der 1920er Jahre veröffentlichte.

Dabei handelte es sich um eine Übersicht aller Ende Oktober 1928 im Großraum Berlin zugelassenen Automobile (vermutlich ohne Lkw, Busse und dergleichen). Berücksichtigt sind darin rund 33.000 damals in Groß-Berlin zugelassene Fahrzeuge, also auch ältere.

Die Auflistung umfasst knapp 90 Hersteller, außerdem 670 Exemplare der wieder aktuellen Gattung „Diverse“.

Klingt zunächst eindrucksvoll. Doch bei einer Einwohnerzahl von gut 4 Millionen im Raum Groß-Berlin anno 1928 kam gerade einmal ein Auto auf 130 Einwohner. Im übrigen Deutschland sah es noch düsterer aus, denn von Metropolen wie Hamburg, Köln, Dresden und München abgesehen waren PKW damals ein seltener Anblick.

Wie sehr das Automobil Ende der 20er in Deutschland noch ein Luxusgegenstand war, und wie hoch der Anteil ausländischer Fabrikate war, das vermittelt folgende Grafik, die ich besagter KI abgerungen habe:

Top 20-Hersteller im Großraum Ende Oktober 1928; Grafik aufbereitet mit ChatGTP

Ich hoffe, Sie wissen die von mir beabsichtigte „Vintage“-Optik der Darstellung ebenso zu würdigen wie die 3D-Wiedergabe mit den Landesfarben der jeweiligen Hersteller.

Ja, etwas stimmt nicht mit den Farben der drei höchsten Säulen und die französische Flagge ist verkehrtherum. Aber irgendwann ist Schluss mit der Optimiererei.

Trotz Erziehung zu preußischem Perfektionismus im Detail weiß ich auch den pragmatischen US-Grundsatz zu beherzigen: „Don’t get it right, just get it done.“

Ich bin jedenfalls zufrieden mit dem Ergebnis. Zu beachten ist, dass ich nur die 20 wichtigsten Hersteller aus besagter Statistik einbezogen habe. Das Bild ändert sich dadurch nicht wesentlich, aber die Anschaulichkeit ist gleichzeitig größer.

Die zentrale Botschaft ist die, dass rund ein Drittel der 1928 in Berlin zugelassenen Wagen ausländische Fabrikate waren. Da darin auch viele Fahrzeuge enthalten sind, die schon einige Jahre auf dem Buckel hatten, ist das natürlich kein exaktes Bild des aktuellen Käuferverhaltens.

Dennoch ist die Tendenz eindeutig: Mit Abstand größter Konkurrent waren damals US-Fabrikate, lediglich Fiat konnte daneben nennenswerte Marktanteile erringen.

Von den deutschen Herstellern waren nur Opel und Mercedes wirklich bedeutsam, der hohe Anteil von NAG & Co spiegelt lediglich die Aggregierung von drei Marken wider.

Adler und Brennabor spielten trotz ihrer großen Geschichte nur noch eine Nebenrolle, wobei die Adlerwerke sich in den 30ern noch einmal zu einem letzten großen Flug aufschwangen.

Achtbar war die Rolle von Horch, während sich die Nachfrage gutsituierter Berliner nach Luxuswagen ansonsten breit auf Exoten von Austro-Daimler, Cadillac, Delage, Gräf & Stift, Hispano-Suiza, Minerva und andere verteilte, die unter den Top-20 nicht auftauchen.

Auch 59 Bugattis sind in der Berliner Zulassungsstatistik von anno 1928 vermerkt. Doch so sehr diese Wagen eine Klasse für sich waren, schlägt mein Herz doch für Autos, die weit bodenständiger waren, aber heute zumindest in deutschen Landen noch seltener sind.

Ein Bugatti oder zumindest ein Wagen, der so aussieht, findet sich ja auf jeder besseren Klassikerveranstaltung hierzulande und ich freue mich ganz naiv darüber.

Aber, Hand auf’s Herz; wie selten ist dagegen heute in Deutschland ein schnöder Chevrolet aus dem Jahr 1928, als die heute aufbereitete Statistk entstand! Hier haben wir ein typisches Exemplar mit Berliner Zulassung – einer von 1.514 Chevies, die damals dort fuhren:

Chevrolet Modelljahr 1928 mit Berliner Zulassung; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die Interpretation dieser Szene und die Charakterstudie ihrer Protagonisten überlasse ich diesmal begabten Lesern – ich bin nach dem heutigen Ringen mit ChatGPT noch ganz im Zahlenrausch.

Was meinen Sie, wieviele dieser Wagen Chevrolet allein im Jahr 1928, das wir heute betrachtet haben, herstellte?

50.000? 150.000? 500.000? – Weit gefehlt. Knapp 1,2 Millionen Exemplare waren es – in einem Jahr, wohlgemerkt. Hauptkonkurrent Ford, der damals mit der Umstellung auf das neue Model A beschäftigt war, brachte es anno 1928 auf „nur“ rund 630.000 Stück.

Aber das waren ja bloß „Massenfabrikate“ – so die hilflosen Sprüche der deutschen Hersteller, die irgendetwas von unübertroffener Werkmannsarbeit erzählten, während der heimische Arbeiter ein bitterarmer Schlucker blieb, für den schon ein Fahrrad ein Luxus war.

Soviel zur aktuellen Analyse aus dem Berlin der späten 1920er. Irgendwann muss man auch einmal fertigwerden, denn es gibt noch so vieles anderes zu tun.

Wie sang schon vor 50 Jahren die italienische Diva „Mina“? „L’importante e finire“ – „Es kommt darauf, zum Ende zu kommen“, was auch immer damit gemeint sei….

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Irgendwie sympathisch unmodern: Mercedes-Benz 170V

Dem Titel meines heutigen Blog-Eintrags darf man ruhig anmerken, dass ich mich damit schwergetan habe. Denn das tue ich mich auch – rein sachlich betrachtet – mit dem automobilen Gegenstand der Betrachtung.

Die vielen Freunde des Mercedes-Benz 170V, der 1936 eigeführt wurde und nach dem 2. Weltkrieg noch eine ganze Weile weitergebaut wurde, müssen heute nachsichtig sein. Ihr Liebling kommt erst einmal überhaupt nicht gut weg, und das aufgrund schnöder Fakten.

Am Ende bekomme ich aber noch die Kurve, wenn er nämlich wie ein sympathisches Gegenbild einer ins Gesichtslose strebenden Moderne plötzlich gute Figur macht.

Beginnen wir aber erst einmal mit der harten Realität. Als der Mercedes 170V erschien, war er der konservativ gestaltete und konstruierte Bruder des parallel eingeführten Heckantriebsmodels 170H. Dessen vermeintlich modernem Konzept war keine große Zukunft beschieden, das Auto bot eigentlich nur Nachteile und war eine Konzession an einen gewissen in Deutschland herrschenden Zeitgeist – Stichwort: Volkswagen.

So gesehen verwundert es nicht, dass der 170V die heckgetriebene Variante überlebte und stückzahlenmäßig weit in den Schatten stellte. Dieser Triumph relativiert sich freilich, wenn man einen Blick darauf wirkt, was ein wirklich modernes Auto in deutschen Landen in der zweiten Hälfte der 1930er Jahr in der unteren Mittelklasse wirklich bieten konnte.

Daran gemessen, sah der Mercedes 170V schon im Jahr seiner Erscheinung in jeder Hinsicht alt aus. Als Maßstab dient mir ausgerechnet ein Fiat – nämlich der 1935 eingeführte Typ 1500, der auch im Heilbronner Werk als NSU-Fiat gebaut wurde:

Fiat 1500 A mit deutscher Zulassung; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der Wagen mied zwar ebenfalls radikale Experimente – gestalterisch wie technisch – aber er war dennoch das weit überlegene Fahrzeug und kam zudem optisch dynamischer daher.

Unter der Haube arbeitete im Ggegensatz zum Mercedes ein sehr laufruhiger 6-Zylindemotor und trotz des deutlich geringeren Hubraums leistete das Aggregat mit 45 PS deutlich mehr (38 PS beim 170V). Fiat nutzte nämlich eine zeitgemäße Ventilsteuerung (ohv) im Gegensatz zu der ineffizienten Seitenventilkonstruktion beim Mercedes.

Auch mit 12 Volt-Elektrik punktete Fiat. Hydraulische Bremsen und Stoßdämpfer waren Standard wie beim 170V. Die Abmessungen waren nahezu identisch, wobei der Fiat 1500 ohne Mittelpfosten auskam und damit einen konkurrenzlos bequemen Einstieg ermöglichte.

Zum Nachvollziehen hier die Test-Karte der gefürchteten Zeitschrift „Motor-Kritik“ von 1938:

Testkarte von „Motor-Kritik, 1938; Original: Sammlung Michael Schlenger

An Fahrkomfort und Straßenlage des Turiners wusste die „Motor-Kritik“ nichts auszusetzen – im Gegenteil. Überhaupt findet man keinen nennenswerten Mangel in der Darstellung.

Leider liegt mir vom Mercedes 170V keine vergleichbare Testkarte vor. Dass der Fiat mit gemessenen knapp 120 km/h ein ganzes Stück schneller war als der Mercedes, liegt auf der Hand. Mich würden aber vor allem die Verbrauchsdaten im Vergleich interessieren.

Die von der Motor-Kritik gemessenen Werte scheinen jedenfalls für einen damaligen Wagen dieser Größe und Leistung durchaus günstig – aber schauen Sie selbst:

Testkarte von „Motor-Kritik, 1938; Original: Sammlung Michael Schlenger

Ein nicht unwesentliches Detail sei noch erwähnt: Während der Fiat 1500 eine zeitgemäße Ganzstahlkarosserie besaß, wurde der Mercedes 170V noch in traditioneller Manier mit blechbeplanktem Holzaufbau gefertigt.

Nach diesem Überblick wäre aus meiner Sicht überhaupt nur ein einziger objektiver Vorteil des Mercedes gegenüber dem Fiat zu nennen – der um etwas 10 % niedrigere Preis.

Ansonsten scheint mir für den Erfolg des 170V das Markenprestige und ein konservativer Geschmack deutscher Käufer in dieser Klasse ausschlaggebend gewesen zu sein.

Während der Fiat 1500 (ohne deutsche Produktion) bis 1943 in rund 40.000 Exemplaren entstand, konnte Mercedes von seinem 170V bis 1941 beeindruckende 70.000 Stück absetzen (ohne Kübelwagen-Version).

Nach dem Gesagten erscheint der Mercedes zwar nun wirklich nicht gerade wie ein idealer Repräsentant moderner Automobilbau-Tendenzen. Doch zumindest auf diesem Foto von Leser Klaas Dierks kommt ein Exemplar als zugkräftiger Vertreter des Fortschritts daher:.

Mercedes-Benz 170; Aufnahme aus dem 2. Weltkrieg; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Dieser Mercedes 170V mit der ab Kriegsbeginn 1939 im Deutschen Reich vorgeschriebenen Tarnbeleuchtung wurde als „Behelfslieferwagen“ in der Landwirtschaft eingesetzt – hier offenbar bei der Heuernte.

Dass der der Wagen in diesem Kontext geradezu ulttramodern erscheint, ist schlicht auf den extrem niedrigen Motorisierungsgrad in der deutschen Landwirtschaft zurückzuführen.

Man darf sich von der damaligen technischen Führungsrolle der deutschen Industrie in einigen Bereichen wie Maschinenbau, Chemie und Optik sowie Prestigeprojekten der nationalsozialistischen Planwirtschaft nicht täuschen lassen:

In der Landwirtschaft war Deutschland damals noch sehr rückständig. Während in den USA motorisierte Schlepper, Mähdrescher und dergleichen bereits Standard waren, gab es abgesehen von sehr großen Betrieben in Nord- und Ostdeutschland in der Breite so gut wie keine Kraftfahrzeuge bei den Bauern.

Dieses unter Produktivitätsaspekten naheliegende Feld blieb bei der Förderung der Motorisierung durch das Regime im wahrsten Sinne des Wortes unbeackert.

So konnte man in den 1940er Jahren auch mit einem vollkommen traditionellen Automobil wie dem Mercedes 170V geradezu wie die Speerspitze des Fortschritts daherkommen.

Doch spätestens nach Kriegsende war unübersehbar, dass der Wagen in jeder Hinsicht veraltet war. Was damals ein modernes europäisches Auto der unteren Mittelklasse definierte, das repräsentierte beispielsweise der ab 1948 gebaute Peugeot 203.

Es dürfte vor allem am fehlenden Kapital gelegen haben, dass Daimler-Benz noch bis Anfang der 1950er Jahre am Mercedes 170V festhielt und das durchaus mit Erfolg – kein Zweifel. So anachronistisch der Wagen damals längst erschien, so wirkungsvoll grenzte er sich aus Sicht von Kunden vom Zeitgeist ab, die ihre Probleme mit der Moderne hatten.

Und genau da wird er mir ungeachtet seiner technologischen Rückständigkeit mit einem Mal richtig sympathisch. Denn so ein Mercedes 170V ist nun einmal ein denkbar großer Kontrast zu den von jeder Tradition entkoppelten Tendenzen im modernen Bauen ab den 1950er Jahren:

Mercedes 170 V Ende der 1950er Jahre in Rom; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Na, wer erkennt auf Anhieb, wo dieses bemerkenswerte Foto entstanden ist? Selbst wer schon einmal am selben Ort war, wird sich vermutlich kaum daran erinnern können.

Das lässt bereits das Hauptproblem der modernen Bauweise erkennen – sie ist ortlos, d.h. ohne Bezug zu regionalen oder kulturellen Prägungen. Damit ist sie einer der frühesten Vertreter global einebnend und identitätsraubend wirkender Phänomene der Moderne.

Entsprechend nimmt die Gestaltung solcher modernistischer Bauten keinerlei Rücksicht auf lokale Prägungen und Architekturbestände. Nur selten lässt sie außerdem Rückschlüsse auf die Funktion und Bedeutung des Baus zu.

Der Elemente des Baus auf dieser Aufnahme bedient sich lediglich in den Dimensionen variiert wahlweise eine Stadthalle, ein Museum, ein Kongresszentrum, ein Flughafen oder eine Sportarena.

Hätten Sie gedacht, dass dieser gigantische Kasten mit davorgestelltem Glas-Beton-Eingangsbereich der Hauptbahnhof einer für ihre historischen Bauten und Kunstschätze aus über 2. Jahrtausenden berühmten und vielbereisten Stadt ist?

Und selbst wenn Sie es wissen, weil sie schon einmal da waren: Ist Ihnen von Ihrem Besuch eine besondere Erinnerung an diesen Bau geblieben? Vermutlich kaum, obwohl das die Stazione Termini mitten in Rom ist, wo seit 150 Jahren die Züge aus dem Norden ankommen.

Leider wich der ursprüngliche Bau, der eine charaktervolle Mischung aus strengem Klassizismus und schwungvollem Stahlbau war, in den 1930er Jahren einem Neubau.

Doch selbst dessen erhaltene Teile – im Stil des damals international gängigen Neoklassizismus – waren noch dem Anspruch eines angemessenen Entrées in die Ewige Stadt angemessen. So nehmen die Fenster Bezug auf die nahegelegenen monumentalen Hallen der Diokletiansthermen – nebenbei von eiligen Rom-Besuchern gern übersehen.

Hier haben wir die mit dem ortsüblichen Travertin verkleidete Seitenfassade des von der Moderne verschont gebliebenen Bahnhofsteils mit einem Fiat 1100 aus den 1940er Jahren:

Fiat 1100 „Musone“ in Rom; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ich war bisher dreimal mit dem Zug in Rom und habe an die Stazione Termini keine spezifische Erinnerung mehr – von dieser Seitenfassade abgesehen.

Vermutlich schenkt außer speziellen Jüngern der architektonischen Moderne auch kaum einer dem Vorbau der 1950er Jahre Beachtung oder macht gar Fotos davon.

Darin liegt für mich als unbelehrbaren Verächter dieser in unseren Städten seit dem Krieg so verheerend wirkenden Bautendenz der paradoxe Reiz des vorgestellten Fotos mit dem Mercedes 170V vor der Stazione Termini in Rom.

Nun mag einer fragen: „Wenn er doch keine Erinnerung an das überdimensionierte Tankstellendach mehr zu haben behauptet, wie konnte er die Örtlichkeit erkennen?“

Das ist einfach zu erklären, denn auf dem Foto ist ein bauliches Relikt zu sehen, dass selbst im heutigen desolaten Zustand nach 2.300 Jahren noch genug Charakter hat, um auf Anhieb wiedererkannt zu werden, sofern man es einmal gesehen hat:

Hinter der freundlich schauenden Touristin, sicher zu dem Mercedes gehörend, sind die Reste der einst rund 10 Meter hohen und 11 Kilometer langen Stadtmauer Roms aus der Frühzeit der Stadt zu sehen, als diese noch eine – wenn auch aufstrebende – Regionalmacht war.

Die Art des Mauerwerks und die Dimensionen der Steine erkannte ich auf Anhieb wieder, auch wenn die letzte Romreise rund 30 Jahre her ist.

Selbst als Ruine hat so ein antiker Zweckbau für mich mehr Reiz und Erinnerungswert als die Beton-Machwerke der Gegenwart, die noch dazu optisch wie statisch oft nicht gut altern.

So kommt es, dass am Ende der von mir nicht sonderlich freundlich behandelte Mercedes 170V als sympathischer Vertreter von Gestaltungstendenzen erscheint, die es einem leicht machen, sich dafür auf einer emotionalen Ebene zu erwärmen:

Und so verstehe ich natürlich, wenn für einen heutigen Besitzer eines solchen Mercedes sein Wagen der schönste und beste überhaupt ist – speziell wenn er ihn schon lange begleitet und zum Träger persönlicher Erinnerungen geworden ist.

Gerade Vorkriegsautos mit ihrer sehr weit in unserer Vergangenheit wurzelnden, organischen Gestaltungslogik machen es leicht, einen persönlichen Zugang zu einem technischen Objekt aufzubauen, die sich kühler Rationalität letztlich entzieht…

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Understatement aus den USA: Marmon „Little 8“, 1927

In den Vereinigten Staaten ist bekanntlich alles größer – das bekommen wir in unseren Tagen mal wieder eindrucksvoll auf politischer wie wirtschaftlicher Ebene vorgeführt. Zwecklos, daran die kleinmütigen Maßstäbe des alte(rnde)n Europas anzulegen – jenseits das Atlantiks gingen die Uhren schon immer anders – und oft genug so schnell, dass man kaum mitkam.

Die stürmische Entwicklung des Automobils für jedermann in der Hälfte des 20. Jahrhunderts ist immer wieder ein eindrückliches Beispiel dafür. Das gilt keineswegs nur für die Leistung von Henry Ford, der das erste wirklich universell erschwingliche Auto baute.

Nachdem er das zuwegegebracht hatte und mit seinem Werk zufrieden war, übernahmen andere Hersteller den Staffelstab und sorgten in scharfem Wettbewerb und mit praktisch unbegrenztem Kapital dafür, dass der Fortschritt unaufhörlich weiterging.

Ein weniger bekanntes Kapitel will ich heute anhand des „kleinen“ Marmon von 1927 beleuchten. Die Marke erlangte nie die Bedeutung wie die marktbeherrschenden US-Hersteller, wurde doch der Autobau die ersten 20 Jahre eher nebenher betrieben.

Initator war Howard C. Marmon, der nach seinem Ingenieurstudium an der Universität Berkely zunächst in der Firma der Familie (Nordyke & Marmon) arbeitete, die auf industrielle Mühlen spezialisiert war. Anno 1902 konstruierte er sein erstes Auto, da war er 23. In dem Alter schreibt heute noch mancher an irgendeiner Bachelor-Arbeit in einem Orchideenfach.

Marmon experimentierte anfänglich mit luftgekühlten Zwei- und Vierzylindermotoren, außerdem entwickelte er 1904 als einer der ersten eine Frühform der unabhängigen Vorderradaufhängung.

Ab 1908 ging Marmon zu wassergekühlten Motoren über. Einen ersten Achtungserfolg erzielte er 1911 beim Indianapolis-Rennen. Bemerkenswert war dann sein 1916 erschienener 6-Zylinderwagen mit im Zylinderkopf hängenden Ventilen. Aluminium-Motorblock und Alukarosserie. Dieses Modell 48 wurde bis 1928 ständig weiterentwickelt.

Damit sind wir ziemlich genau in der Zeit angelangt, in der diese Aufnahme entstand:

Marmon „Little 8“; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Es nahm einige Zeit in Anspruch, um herauszubekommen, das diese Limousine mit 1928er US-Kennzeichen ein Wagen der Marke Marmon war. Man sieht so etwas auch bei intensiver Beschäftigung mit amerikanischen Modellen der 1920er Jahre nur ganz selten.

1926 war die Autoproduktion mit ihrer für US-Verhältnissen viel zu kleinen Produktion in ein eigenes Unternehmen überführt worden, die Marmon Motors Company, in dem Howard Marmon technischer Leiter blieb.

Um die Stückzahlen zu steigern, beschloss man neben den sehr aufwendig gefertigten und entsprechend teuren Modellen einen „kleinen“ Achtyzlindertyp anzubieten.

Genau solch einen „Little 8“ der Marke Marmon haben wir vor uns – ein Understatement nur nach US-Maßstäben natürlich.

Denn der „kleine“ Marmon war mit gut 3,30 Meter Radstand und über 60 PS starkem 8-Zylindermotor (3,2 Liter Hubraum) immer noch ein beeindruckendes Automobil. Für rund 1800 Dollar bekam man den damals wohl preisgünstigsten Antrieb dieser Art in einem US-Wagen.

Das war freilich vor allem eine Prestigesache für Leute, denen das wichtig war. Denn von Größe und Leistung vergleichbar war der Marmon „Little 8“ mit dem verbreiteten Buick „Master Six“ von 1927, bloß dass der einige hundert Dollar billiger war.

So blieb der ansehnliche „Little 8“ von Marmon, der sich übrigens gut anhand der anderen Verteilung der Luftschlitze auf der Haubenseite vom großen Modell 75 mit über 80 PS leistenden 6-Zylindermotor unterscheiden lässt, eher eine Randerscheinung.

Allerdings werden wir gelegentlich einem neuerlichen Versuch dieser Nischenmarke begegnen, Achtyzlinderwagen wirklich volkstümlich zu machen. Das passende Foto ist in Europa entstanden, wo die amerikanischen Hersteller damals vor allem Erfolg mit relativ kleinvolumigen Modellen Erfolg hatten – die engstirnige Hubraumsteuer lässt grüßen…

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Klassischer Typ mit Charme: Brennabor Z 6/25 PS

Am Begriff der Klassik kommt man bei der Beschäftigung mit Vorkriegsautos auf alten Fotos nicht vorbei – dabei ist er gar nicht so einfach zu fassen. Seine Wurzeln findet er in der europäischen Tradition in der Abgrenzung der Skulptur der griechischen Klassik.

Dieses ästhetische Phänomen konzentrierte sich auf das 5. Jh. vor Christus und ist von einem als ideal empfundenen Gleichgewicht aus Stilisierung und Realismus geprägt. Da die Klassik zwischen der noch zur Abstraktion neigenden Archaik und des extrem naturnahen Hellenismus liegt, kann man sie auch als goldene Mitte verstehen.

Von allem nicht zuviel und nicht zu wenig – nicht zu abweisend, nicht zu gefällig – man möchte nichts wegnehmen und nichts hinzufügen – alles ist genau auf den Punkt, sodass man sagen möchte: Genau so soll es sein.

Wir haben im Deutschen noch einen anderen Begriff dafür: mustergültig. Dieses Urteil fällt man bei einer klassischen Villa wie bei einer klassischen Gartenanlage, bei einer klassischen Schönheit wie bei einem klassischen Automobil.

Man weiß, ob etwas das Attribut klassisch verdient, wenn man es sieht, so schwer es im Einzelfall fällt zu sagen, was genau diese Wirkung ausmacht. Zugleich wohnt dem Klassischen eine gewisse Kühle inne, die einen auf respektvollem Abstand hält.

Die Skupturen der griechischen Klassik sind atemberaubende Schöpfungen, die einem Ehrfurcht vor dieser Kunst einflößen, doch man würde sie bei aller Menschennähe nicht als charmant bezeichnen. Die antiken Bronzefiguren von Riace sind ein „klassisches“ Beispiel.

Bei Vorkriegsautos begegnet man dem Phänomen ebenfalls immer wieder. Spezielle Formen, die sich in einem bestimmten Idealtypus manifestiert haben, werden als klassisch ansgesprochen – etwa die in den USA entstandene Gestaltungslogik der späten 1920er Jahre.

Die angesehene deutsche Traditionsmarke Brennabor brachte nach dem merkwürdig unfertig wirkenden Typ R 6/25 PS anno 1928 einen technisch praktisch identischen Nachfolger heraus, der aber optisch an internationale Standards anknüpfte:

Brennabor Typ Z 6/25 PS, Bauzeit: 1928-29; aus: Die Motorfahrzeuge, von P. Wolfram, 1928

Die strengen klassischen Formen dieses Modells wurden hier mit einem Zierelement etwas aufgelockert – der funktionslosen „Sturmstange“ am hinteren Dachaufbau. Damit bekam die Limousine die Anmutung eines Cabriolets oder zumindest einer Cabrio-Limousine.

Dennoch bleibt festzuhalten, dass der Brennabor Z 6/25 PS mit seiner klassischen Erscheinung durchaus mehr Leben vertragen kann als auf dieser arg sachlichen Aufnnahme.

Nicht ist leichter als das – es bedarf nur des menschlichen Elements und einer anderen Perspektive – schon beginnt die Klassik ihre Strenge zu verlieren:

Brennabor Typ Z 6/25 PS, Baujahr: 1928/29; Orignalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Langjährige Leser meines Blogs erinnern sich vielleicht an diese ungewöhnliche Aufnahme, auf der das Automobil wie ein nach langer Abwesenheit heimgekommenes Familienmitglied inszeniert ist.

Solche Situationen sind es, die historische Automobile von einer rein technischen Erscheinung zum Bestandteil des Daseins der Menschen werden lassen, die dem Wagen einst vielleicht ihre materielle Existenz oder die vergnüglichen Seiten des Lebens verdankten.

Ein Beispiel für den letztgenannten Fall ist die folgende Aufnahme – ebenfalls ein alter Bekannter, u.a. wenn Sie die 2019er Neuausgabe von Werner Oswalds Klassiker „Deutsche Autos 1920-45“ besitzen.

Brennabor Typ Z 6/25 PS, Baujahr: 1928/29; Orignalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sind übrigens glücklich vereint zu sehen die beiden „klassischen“ Typen, welche Brennabor in einer Reklame für das Model Z 6/25 PS ansprach – den „Herrenfahrer“ und die „Dame von Welt“.

Ihnen wird mit den üblichen Übertreibungen – merke: Werbung ist keine wissenschaftlich exakte Wiedergabe der Wirklichkeit – der Brennabor des 1928/29 leistungsmäßig nicht mehr auf der Höhe der Zeit befindliche, aber immerhin klassisch gestaltete Typ Z 6/25 PS empfohlen:

Reklame für den Brennabor Typ Z 6/25 PS, 1928/29; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Ein „Meisterwerk moderner Automobiltechnik“ war der Brennabor Z 6/25 PS gewiss nicht. Aber wer in der Hinsicht nicht anspruchsvoll war und mit Spitzentempo 70 leben konnte, fand hier einen echten Klassiker vom Erscheinungsbild.

Dass man für das gleiche Geld in Deutschland einen Chevrolet mit 30 PS und modernem kopfgesteuertem Motor bekam oder für rund 200 Mark mehr ein Ford Model A mit 40 PS – das unterstreicht, in welchem Wettbewerbsumfeld sich Brennabor damals mit diesem optisch ansprechenden Wagen bewegte.

Ob man in nur zwei Jahren wirklich 10.000 Exemplare davon absetzte – dieselbe auffallend glatte Zahl wird auch für die Brennabor A-Typen und das Modell „Ideal“ angegeben – daran seien leise Zweifel geäußert.

Denn Fotos des Typs Z 6/25 PS tauchen nach meiner langjährigen Erfahrung nur selten auf, was sich von anderen Wagen dieser Klasse von Ende der 1920er Jahre nicht sagen lässt.

Aber das soll heute keine Rolle spielen, denn mir ist nach längerer Pause wieder ein Fund in der Hinsicht gelungen. Er vereint auf schöne Weise klassische Erscheinung mit dem nötigen Charme, der für mich zu einem guten Autofoto gehört:

Brennabor Typ Z 6/25 PS, Baujahr: 1928/29; Orignalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die junge Dame mit der hellen Bluse und der Krawatte am Steuer passt auch zum Typ „Frau von Welt“, von dem die Brennabor-Reklame fabulierte.

Sie weiß, dass man in der Arbeitswelt nicht mit eng geschnittenen Kleidern, kurzen Röcken oder bunten Tüchern brilliert, sondern mit dem klassisch-strengen Auftritt, der nicht vom Gesicht ablenkt. Nur darauf an kommt es im Job, im Büro oder auf internationalem Parkett.

Leider wird dieser strenge und für mich auf eigene Weise aufregende Stil hierzulande nicht mehr verstanden. Deutschen Damen, die in der Öffentlichkeit stehen, geht – mit wenigen Ausnahmen – das Bewusstsein für das angemessene professionelle Erscheinungsbild ab, das in den USA, Frankreich oder Italien noch gängig ist.

So finde zumindest ich am Ende auf dieser Aufnahme Klassike und Charme ideal vereint – nebenbei eine Erinnerung daran, dass auch heute ein historisches Automobil verdient, von angemessen gewandeten Zeitgenossen begleitet zu werden.

Gelegenheit zum Üben gibt es Anfang August 2025 bei der Neuauflage der Classic Days auf dem Gelände des Ritterguts Birkhof unweit des von vielen vermissten Schloss Dyck in der Nähe von Düsseldorf. Ich bin auf jeden Fall vor Ort und werde berichten…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Es leben die verstaubten Ansichten! Windhoff-Tourer

Was technischen Fortschritt angeht, kann es mir nicht progressiv genug zugehen: das Auto für jedermann, tragbare Multifunktions-Computer, robotergestützte Chirurgie, KI-basierte Bilanzanalysen, Nuklearreaktoren, die Atommüll verwerten können usw. – großartig.

Wem etwas von dem modernen Kram zuweit geht, der kann ja darauf verzichten. In meinem Haushalt kommen noch Analogschallplatten zum Einsatz, bisweilen sogar das Grammophon, es gibt Kerzenlicht und Edison-Lampen, praktisch alle Möbel sind antike Stücke. Der englische Schreibtisch, an dem ich diesen Blog schreibe, ist über 150 Jahre alt.

Für den Lebensunterhalt gearbeitet wird indessen mit Notebook, Funkmaus, drahtlos verbundenem Drucker, Spracherkennung und Übersetzungs-Software – weil’s besser ist.

Nur in einer einzigen Hinsicht hänge ich wirklich tief verwurzelten und fest fundamentierten verstaubten Ansichten an:

Um sich selbst finden und das Beste aus seinem Dasein machen zu können, müssen Elternhaus und Schule ihre Hausaufgaben gemacht haben. Das heißt Folgendes:

Die Kulturtechniken des Lesens, Schreibens und Rechnens müssen beherrscht werden, ein Grundrespekt vor seinen Mitmenschen muss verankert werden, also eine Basisausstattung an Höflichkeit und Rücksichtnahme die Notwendigkeit von Regeln muss begriffen werden, aber auch deren Grenzen, die Bedeutung von Ernährung und Bewegung für das eigene Wohlbefinden muss verstanden werden – und: ein Zugang zu Musik, Kunst und den Grundfragen des menschlichen Daseins muss geschaffen werden.

Diese Ansichten gelten heutzutage mittlerweile als ziemlich verstaubt, ich weiß. Daran lässt sich vom Einzelnen nichts mehr groß ändern, wenngleich sich mit einem freundlichen „Guten Morgen“ bei den meisten Mitmenschen immer noch eher ein Lächeln herbeizaubern lässt als bei einem ganztagstauglichen und seelenlosen „Hallo“….

Wie war doch gleich das Thema?

Verstaubte Ansichten, richtig, endlich komme ich dazu:

Windhoff Tourer von ca. 1913/14; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Gut 110 Jahre ist es her, als diese schon damals reichlich verstaubte Ansicht entstand, die einen Tourenwagen in voller Fahrt zeigt.

Auf das Foto nimmt der Fahrer Karl Bezug, der seiner Flamme, Cousine oder Schwester Klara – genau weiß ich es nicht – diese Aufnahme als Ansichtskarte zusandte.

Wie sie hieß, wo sie wohnte und was genau die Zeilen waren, das dürfen Sie – liebe Leser – gern selbst studieren. Ich kann zwar einen Großteil davon lesen, aber ein paar Sachen sind mir dann doch nicht klar und ich weiß, dass einige unter Ihnen geübter in der Hinsicht sind.

Also scheuen Sie sich nicht, im Kommentarbereich darüber zu sinnieren:

Mein Job ist es unterdessen, die Identität des Tourers auf der verstaubten Ansicht zu klären.

Das Fabrikat ist rasch ermittelt, denn nur ein deutscher Hersteller verband diese Form des Kühlers vor dem 1. Weltkrieg mit einem großzügig gehaltenen „W“ auf dem Kühlernetz.

Dieser Firma sind wir vor langer Zeit auf einem anderen Foto begegnet, das Anfang des 1. Weltkriegs an einem deutschen Bahnhof entstand und eine Reihe von Zivilautos zeigt, die wohl von Freiwilligen dem Roten Kreuz zur Verfügung gestellt wurden.

Ich hatte die bemerkenswerte Aufnahme anno 2019 hier vorgestellt:

diverse deutsche Automobile ab 1914; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wenn Sie dieses Dokument näher betrachten, werden Sie gleich zwei Wagen erkennen, welche dieselbe Kühlergestaltung aufweisen wie das Auto auf meiner verstaubten Ansicht.

An der Ansprache als Windhoff des gleichnamigen Herstellers aus Rheine in Westfalen besteht kein Zweifel.

Die Gestaltung der Frontpartie mit Windlauf zwischen Motorhaube und Frontscheibe verrät, dass wir es mit einem Wagen zwischen 1910 und 1914 zu tun haben, wobei ich zu einer Datierung nach 1912 neige.

Dummerweise hört an dieser Stelle unser Glück auch schon auf. Denn so klar sich die Windhoff-Vorderpartie hier auf der ansonsten ziemlich verstaubten Ansicht abzeichnet, so offen muss bleiben, mit welcher Motorisierung wir es zu tun haben.

Der Hersteller scheint es noch mehr als andere seiner Zeit verstanden zu haben, Chassis und Aufbau weitgehend zu vereinheitlichen und mit diversen Motoren anzubieten.

Verfügbar waren von 1912 bis 1914 im Wesentlichen drei Varianten: Das Basismodell war der Typ B 6/18 PS, darüber angesiedelt waren die Typen D 7/21 PS und F 8/24 PS, die sich durch Variationen von Kolbenhub oder Zylinderdurchmesser unterschieden.

Zu den für die damalige Zeit stärkeren Wagen zählte der Typ A 10/30 PS, für den eine faktische Spitzenleistung von 35 PS und Höchstgeschwindigkeit 90 km/h angegeben ist.

Noch besser gefällt mir als Freund souverän motorisierter Automobile aber, dass es daneben auch Windhoff-Wagen mit Sechszylindermotor gab – die Typen C 15/40 PS bzw. E 17/45 PS. Damit bot der Hersteller eine der wenigen am deutschen Markt verfügbaren Alternativen zum 6-Zylindermodell von Presto dar, das allerdings mit 65 PS nochmals deutlich stärker war.

Bemerkenswert ist, dass Windhoff laut Literatur nach Beginn des 1. Weltkriegs die Produktion von Personenwagen aufgab, während sich andere deutsche Hersteller wie Adler, Benz, Daimler, NAG Opel, Presto, Protos, Stoewer und Wanderer aufgrund des hohen Armeebedarfs eine goldene Nase im Krieg verdienten.

Über die Gründe für den Rückzug von Windhoff ist in der mir zugänglichen Literatur nichts zu erfahren.

Ich kann mir nur vorstellen, dass man bei Windhoff bereits vor dem Krieg verstaubte Ansichten pflegte, was die Gewinnerzielung für ein im Wettbewerb stehendes Unternehmen betrifft, dass man einer aufgrund der zu großen Motorenvielfalt nicht profitablen Fertigung den Stecker zog…

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Gruß aus dem Reich(enberg) der Schatten: Tatra 30

Wem der heutige Titel zu morbide erscheint, dem sei gesagt: Die Auseinandersetzung mit der Welt der Toten – dem Reich der Schatten in der griechisch-römischen Tradition – ist eine spannende und in vielerlei Hinsicht lehrreiche Beschäftigung.

Während meiner jahrelangen ehrenamtlichen Tätigkeiten für die lokale Bodendenkmalpflege im Wetteraukreis bin ich längst verschwundenen Menschen von einst so nahegekommen wie nur irgendmöglich.

Besonders in Erinnerung geblieben ist mir die Ausgrabung eines römischen Friedhofs an einer Villa Rustica nahe der alten Römerstraße von Friedberg nach Arnsburg, heute noch als über Kilometer schnurgerade gen Norden führender Feldweg erhalten.

Dor waren die Verstorbenen eine römischen Gutsbesitzerfamilie und ihrer Bediensteten in Brandgräbern bestattet. Nach der Verbrennung auf einem Scheiterhaufen über einer Grube wurde die Asche und die wenigen Knochenreste eingesammelt und zusammen mit Beigaben in Holzkisten dem Boden anvertraut.

Nach rund 1.800 Jahren sind die Kisten bis auf einen dunklen Umriss im Boden vergangen, nur die Eisennägel liegen noch genau in der ursprünglichen Position, wenn man das Ganze vorsichtig freilegt. Zuoberst stößt man auf die Ausgüsse von Trinkkrügen und Glasgefäßen, weiter unten stößt man dann auf die Asche mit weiteren Beigaben wie Tellern, Münzen, Gewandnadeln oder Ringen, die Rückschlüsse auf das Geschlecht erlauben.

Alles wird nach der Dokumentation per maßstäblicher Zeichnung sorgfältig geborgen und mit einer Befund- und Fundnummer versehen,, bevor die Reste eines Lebens ihre letzte Ruhestätte verlassen und in ein Depot oder Museum wandern.

Während der stundenlangen Arbeit an so einem einzelnen Grab ist man die meiste Zeit allein unter dem weiten blauen Himmel mit „seinem“ Toten wie ein Pathologe in der Gerichtsmedizin.

Man fühlt sich, während man die oft wie neu erhaltenen Ton- und Glasgefäße wieder ans Tageslicht holt, in dem Moment den Menschen ganz nahe, die diese Gegenstände als letzte gesehen und liebevoll in den Kisten angeordnet haben. Die Zeit verliert in dem Moment ihre Bedeutung und natürlich: Man begegnet seiner eigenen Bestimmung in diesen Relikten…

Einen ganz anderen Ausflug ins Reich der Schatten will ich heute mit Ihnen unternehmen. Zwar bleibt alles in Schwarzweiß gehalten, wie wir das hier gerne sehen, doch meinen wir ebenfalls, für einen Augenblick an einem längst vergangenen Sonnentag teilzuhaben.

Die Reise führt ins böhmische Reichenberg (seit 1945 mit dem tschechischen Namen Liberec). Dort wurde um 1930 diese Szene festgehalten und als Ansichtskarte reproduziert:

Ansichtskarte aus Reichenberg ((Böhmen) um 1930; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Das Auto, um das heute geht, spielt hier zunächst nur eine unbedeutende Nebenrolle. Angezogen wird der Blick von den prächtigen Bauten, die bei aller Gegensätzlichkeit auf dieselbe Weise miteinander harmonieren, wie das bei praktisch allen historischen Baustilen vor dem Aufkommen des Funktionalismus der Fall ist.

Links haben wir das Stadttheater von Reichenberg im Stil der italienischen Renaissance von Ende des 19. Jh. – ein typisches Beispiel für das Fortleben und die immer neue Interpretation klassischer antiker Bauformen.

Dahinter ragt das Rathaus der Stadt auf – völlig anders wirkend und doch ebenfalls von der Renaissance inspiriert. Hier sehen wir aber eine phänomenale Neuauflage von Proportionen und Elementen, wie sie typisch für Renaissancebauten im Osten und Süden Deutschlands typisch waren – ein Beispiel für Wert und Wirkung lokaler Bautraditionen:

Hier können wir nun einen ersten besseren Blick auf die Limousine im Vordergrund werfen. Kenner wissen natürlich, um was für ein Fabrikat es sich handelt, aber dazu kommen wir noch.

Was das Nummmernschild betrifft, meine ich, dass wir hier noch eines sehen, das der alten österreichischen Konvention aus der Zeit vor 1918 folgt. Nach der Zerschlagung des KuK-Reichs wurde Böhmen und damit auch Reichenberg Teil der Tschechoslovakei.

Die Kennzeichen wurden bis Anfang der 1930er Jahre beibehalten, wenn ich es richtig sehe. Auch sonst blieb in Reichenberg mit seiner nahezu vollständig deutschen Bevölkerung oberflächlich alles beim Alten – man beachte etwa die Reklame für die CONCORDIA-Versicherung am rechten Bildrand.

Allerdings findet man auf solchen Aufnahmen aus den nun zur Tschechoslovakei gehörigen deutschsprachigen Gebieten überwiegend Automobile einheimischer Hersteller wie Praga, Skoda oder wie hier: Tatra.

Tauchen wir nun also tief ins Reich(enberg) der Schatten ein und schauen, ob wir herausbekommen, was das für ein Wagen war, der gerade am Straßenrand gehalten hat, um eine junge Dame im hellen Sommerkleid mitzunehmen:

Das Fehlen eines Kühergrills verrät, dass wir es mit einem luftgekühlten Modell der Marke zu tun haben. Tatra hatte erstmals 1923 einen solchen Wagen mit Zweizylinder-Viertakt-Boxermotor vorgestellt, der von Hans Ledwinka konstruiert worden war.

Dieser Tatra T11 zeichnete sich vor allem durch ein modernes Fahrwerk mit hinten einzeln aufgehängten Rädern und Querblattfedern aus.

1926 wurde das Konzept auf das Mittelklassemodell Tatra 30 übertragen. Dieser verfügte nach wie vor über einen Boxermotor, nun aber mit vier Zylindern, der 24 PS aus 1,8 Litern leistete. Das Fahrwerkskonzept wurde im Wesentlichen beibehalten, jetzt mit Vierradbremsen und Hebelstoßdämpfern.

Sehr wahrscheinlich sehen wir ein Exemplar dieses Typs auf dem Foto aus Reichenberg. Der äußerlich ähnliche Tatra 52 bzw 54 (ab 1931) hatte nach meinen Recherchen stärker gerundete Vorderkotflügel.

Eine Abbildung mit völlig identischer Ausführung ist mir allerdings noch nicht begegnet. Speziell die doppelte Zierleiste an den Seiten mit dazwischen angebrachter Türklinke fand ich nirgends.

Aber so ist das bei dergleichen Ausflügen in längst vergangene Zeiten – oft sind es nur noch wenige Spuren, die an das Leben von gestern erinnern, manches Detail ist nur bruchstückhaft überliefert und vieles bleibt für immer rätselhaft.

Und doch ist genug geblieben, um eine Ahnung vom vergangenen Glanz zu bekommen und die Vitalität von einst für einen Moment nachzuempfinden. War also am Ende nicht ganz so düster, unser kleiner Ausflug in das Reich(enberg) der Schatten, meine ich…

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Neue Devise: Mehr Sport wagen! DKW Typ PS 600

Oje, denkt jetzt vielleicht einer bei dem Titel – unser Blog-Wart hält bestimmt eine verspätete Neujahrsansprache zur Förderung der Volksgesundheit.

In der Tat: Anlass dazu sehe ich fast täglich, denn am Fenster meines Büros führt der Fußweg zur örtlichen Grundschule vorbei. So habe ich reichlich Gelegenheit, die bedenkliche körperliche Verfassung vieler Kinder zu registrieren. Viel zu dick, unbeweglich, die meisten schon mit Brille, weil sie kaum vor die Tür dürfen und die Augen daher das Scharfstellen über mehr als eine Armlänge hinaus nie gelernt haben.

Zumindest das war früher wirklich besser – denn Kinder tobten den ganzen Tag draußen herum, übten sich, härteten sich ab. Die Eltern hatten selten eine Ahnung davon, was da alles getrieben wurde. Ich muss es wissen, denn so habe ich es noch erlebt in den 70er Jahren.

Blutige Knie, blaue Flecken, Schneebälle auf die Lippe, x Stürze vom Schlitten oder Fahrrad – und alles ohne Helm. Ich wüsste kein einziges Beispiel von Klassenkameraden, wo jemand ernsthaft zu Schaden gekommen ist.

Das Dasein möglichst früh sportlich angehen, das kann nicht schaden – dazu bedarf es oft nicht einmal eines Vereins oder sonstiger Schulung. Auf den Bolzplatz, an die Kletterwand oder auf die Straße, um sich müdzuradeln, kommt man von alleine. In Abwesenheit von Helikoptereltern, versteht sich…

Mehr Sport wagen, das ist heute aber auch ein Thema, das durch die Reaktionen auf meinen vorangegangenen Blog-Eintrag motiviert ist. Die einst beim Semmeringrennen in Österreich aufgenommenen Sportwagen sind inzwischen von sachkundigen Lesern identifiziert – siehe zugehörige Kommentare.

Das motiviert mich, hier künftig mehr in Sachen Sport zu wagen. Ich habe nämlich einige interessante Dokumente in der Hinsicht vorzustellen, zu denen mir selbst die Expertise fehlt.

Dass es aber gar nicht immer die wirklich wettbewerbstauglichen Sportgeräte sein müssen, daran erinnerte mich spontan Leser Klaas Dierks. Er hatte registriert, dass einer der am Semmering eingesetzten Wagen wohl eine Rennausführung des DKW P15 von 1928/29 war.

Daran anknüpfend sandte er mir ein Foto aus seinem Fundus, das ich Ihnen nicht vorenthalten will und das genau meinen Vorstellungen von „Mehr Sport wagen“ entspricht.

Doch zuvor zur Erinnerung erst einmal eine Aufnahme, welche die Basisausführung zeigt – gleichzeitig das erste in Serie gebaute Automobil der bis dato als Motorradhersteller tätigen Marke DKW. Hier haben wir den 1928 eingeführten Typ P15:

DKW Typ P15; Originalfoto: Sammlung Volker Wissemann

Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass die DKW-Autos von Anfang stilistisch meist sehr gelungen waren, speziell im Einsteigersegment, in dem sie angesiedelt waren.

Für einen Zweizylinder-Zweitakter mit gerade einmal 600ccm Hubraum und namengebenden 15 Pferdchen unter der Haube sah dieser erste DKW-PKW doch sehr ansprechend aus.

Der Tradition blieben die Sachsen bei späteren Modellen überwiegend treu – speziell die ab 1931 gebauten Fronttriebler waren wahre Schmuckstücke und kein Vergleich mit den meist primitiv gestalteten Kleinstwagen deutscher Provenienz der Nachkriegszeit.

Aber zumindest zu Beginn wollte DKW in bester Motorradtradition auch bei seinen Autos mehr Sport wagen und gönnte dem Typ P15 ab 1930 eine Leistungskur, die in satten 20 % mehr Dampf resultierte – also ganze 3 PS…

Lachen Sie nicht, denn bei einem Wagen mit gut 500 kg Gewicht zählt jede Pferdestärke doppelt und dreifach.

Außerdem erreichte man mit nunmehr 18 PS Tempo 100 km/h, wenn man wollte. Damit konnte man dem dicken Nachbarn mit seinem Sechszylinder-Mercedes 170 bei Bedarf die Rücklichter zeigen.

Ein paar Exemplare dieses Sportgeräts mit gekonnt gestalteter Bootsheckkarosserie konnten Sie über die Jahre schon bestaunen. DKW-Sammler Volker Wissemann hat die meisten davon beigesteuert – hier zur Erinnerung eines davon:

DKW Typ PS 600; Originalfoto: Sammlung Volker Wissemann

Weitere reizvolle Beispiele finden sich in meiner DKW-Galerie.

Mit einem neu aufgetauchten Foto aus der Sammlung von Klaas Dierks lässt sich heute im besten Sinne wieder „Mehr Sport wagen“, was die sächsische Marke DKW angeht, die später leider von ähnlichen Ambitionen Abstand nahm.

Jedenfalls sind mir nach dem DKW PS 600 keine weiteren Werks-Sportversionen für Privatkäufer bekannt. Gern lasse ich mich aber auch hier überraschen.

Nun aber zu der angekündigten Aufnahme, die ganz unabhängig von Marke und Typ fast alle Wünsche in Sachen Vorkriegsautos auf alten Fotos erfüllt:

Perfekte Perspektive, gelungener Rahmen, fotogene Insassen und ausgezeichnete technische Qualität – fehlt nur noch ein kamerabegabter Hund. Aber sehen Sie selbst:

DKW Typ PS 600; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Was sagen Sie? Meisterlich, wie der Baby-Sportler hier als ausgewachsener Kurvenräuber und Frauenbeglücker inszeniert ist, meine ich.

Außerdem lernen wir hier noch etwas Neues im Vorübergehen. Die Kennung „MI“ ist zumindest mir noch nie begegnet, doch Andreas Herzfelds treffliches „Handbuch Deutscher KfZ-Kennzeichen, Band 1“ weiß mehr.

Zugelassen war dieses Exemplar demnach im Raum Mecklenburg-Schwerin.

Bei der Gelegenheit sei beklagt, dass wir deutschen Oldtimer-Freunde bei unseren Schätzen nicht zu der klassischen Klarheit dieser alten Kennzeichen zurückkehren dürfen. In England, Frankreich und Italien dagegen sind solche antiken Nummernschilder kein Problem, selbst wenn sie noch aus der Vorkriegszeit stammen.

Aber ich vergaß: Deutsche Ordnung und Gründlichkeit, nach der sich die Welt schon immer sehnte… Mehr Sport wagen wäre vielleicht angebracht, was sinnlose Vorschriften angeht.

Auf jeden Fall will ich zusehen, dass ich hier künftig etwas mehr „Sport wagen“ werde. Denn danach scheint es die Leserschaft zu gelüsten, obwohl das völlig unvernünftig ist…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Hals über Kopf auf dem Semmering: Lancia Lambda 1930

Es gibt Situationen im Leben, in denen man alles wagen muss, kein Risiko scheuen darf, um ans Ziel zu gelangen – oder auch nicht. Die Weltgeschichte bietet dafür reiches Anschauungsmaterial, doch durchaus auch die private Sphäre.

Ich erinnere mich an eine Episode aus der Zeit, als ich meine Banklehre in Frankfurt/Main absolvierte, das war um 1990. Ich war für eine Zeit in einer Filiale, in der man, wenn man seine Sache gut machte, großes Vertrauen im Umgang mit Kunden genoss – heute undenkbar.

Einmal pro Woche betrat eine attraktive junge Dame – eine Perserin – die Räumlichkeiten, erledigte etwas an der Kasse und warf mir beim Hinausgehen einen Blick zu, der mir zu denken gab. Irgendwann tat sie das auch, als sie hereinkam. Nie haben wir dabei auch nur ein Wort gewechselt.

Am letzten Tag meines Aufenthalts, kurz vor der Abschlussprüfung, kam sie wieder. Mir war egal, dass ich als Bankangestellter die Form zu wahren hatte, nahm mir ein Herz und bat sie, an meinen Schreibtisch zu kommen.

Ich entschuldigte mich für meine Dreistigkeit und fragte sie, ob man sich vielleicht einmal außerhalb der heiligen Hallen sehen könnte. Sie lächelte freundlich, sagte dann aber, dass sie bereits vergeben sei – „Schade“, hauchte sie noch, bevor sie ging.

Das war zwar nicht, was ich hören wollte, aber ich kam gut damit zurecht. Zum einen war da ja noch nichts außer einem „vielleicht“, und zum anderen hatte ich etwas gelernt: Wenn Du eine Sache willst, aber Dir nicht ganz sicher bist – dann mach‘ es einfach, verdammt nochmal!

Danach ist man schlauer, nichts ist erbärmlicher, als in ständigen Ängsten und dem ewigen Abwägen von Risiken zu leben. Wir wären nicht da, wo wir sind, wenn nur Bedenken unser Handeln bestimmten. Bloß einigermaßen fundiert sollten die Erwartungen schon sein…

Diese Episode soll Sie auf die heutige „Hals über Kopf“-Story vorbereiten. Dort geht es ebenfalls um die menschliche Fähigkeit, kalkulierte Risiken einzugehen – die auf andere vielleicht wie das reine Hazardeurtum wirken, aber letztlich auf der Überzeugung basieren: „Ich kann das, muss das tun und sollte etwas schieflaufen, bin ich bereit, die Folgen zu tragen.

Die einen wählten einst einigermaßen risikolos die heute vorgestellte Route auf einem lustvollen Trip von Wien nach Venedig – knapp 600 km Fahrt und schon vor 95 Jahren im Automobil an einem Tag zu schaffen, wenn man durchfuhr.

Doch die anderen machten bereits nach den ersten 100 Kilometern längere Zeit halt. Denn genau auf der von Wien nach Südwesten gehenden Venedigroute lag die Semmering-Passhöhe, wo bis in die 1930er Jahre ein überregional bekanntes Bergrennen stattfand.

Dort legen wir heute einen Zwischenstopp ein und schauen genüsslich zu, wie Automobil-Akrobaten im Hals-über-Kopf-Einsatz ihr Bestes auf vier Rädern geben:

Sportwagen beim Semmering-Bergrennen 1930; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Naja, werden Sie denken, sonderlich spektakulär sieht das ja noch nicht aus. Recht haben Sie und ich kann nicht einmal genau sagen, was für einen Zweisitzer mit Bootsheck wir hier sehen.

Es könnte ein Bugatti sein, aber die Kühlerpartie will mir nicht so recht dazu passen. Sicher weiß es ein einschlägig vorbelasteter Leser genau.

Wir bleiben an dieser Stelle, die offenbar viele Zuschauer anzog. Zu den Bergrennen am Semmering kamen einst zehntausende Enthusiasten, darunter viele Damen, wie man auf diesen Fotos sehen kann.

Als nächstes rauscht eine prächtige Rennzigarre durchs Bild – wieder will ich mich nicht festlegen, um was genau es sich handelt:

Sportwagen beim Semmering-Bergrennen 1930; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Mein Eindruck ist der, dass wir hier Aufnahmen vom Rennen privat gefahrener Sportwagen sehen, die anno 1930 nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit waren, aber noch immer beeindruckende Erscheinungen waren, wenn sie beherzt und kompetent bewegt wurden.

Bei der Gelegenheit: Das Datum und der Ort sind auf einem der heute vorgestellten Fotos von alter Hand vermerkt. Aber die Erfahrung zeigt, dass solche Angaben nicht immer stimmen müssen. Also lassen Sie sich in ihrem Urteil davon nicht leiten.

Weiter geht es mit dem nächsten Flitzer, immer noch vom gleichen Standort aus fotografiert, hier bloß etwas weiter nach links geschwenkt:

Sportwagen beim Semmering-Bergrennen 1930; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wiederum bin ich ratlos, was den Zweisitzer mit der markanten Zweifarblackierung angeht. Ich würde ihn wie die anderen bisher gezeigten Wagen in der Zeit kurz nach Mitte der 20er Jahre ansiedeln.

Rasend schnell wird das Auto nicht unterwegs gewesen sein, denn das hätte die Ballonmütze mit weit vorragendem Schirm des Fahrers kaum mitgemacht.

Man hat den Eindruck, dass es manchen Teilnehmern dieses Bergrennens in der Amateurklasse eher um das Dabeisein und das lustvolle Absolvieren der Strecke ging.

Das dürfte auch für dieses interessante Gefährt gelten, das ich aufgrund der markanten Gestaltung der Radnaben und des großen Radbolzenkreises als Steyr ansprechen würde:

Sportwagen beim Semmering-Bergrennen 1930; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ok, mögen Sie jetzt sagen, das war ja ganz nett, so Hals über Kopf auf der Venedigroute in ein derartiges Treiben hineinzugeraten und sich davon schön von seinen eigentlichen Plänen abhalten zu lassen.

Aber war im Titel nicht ein spezieller Wagen angekündigt worden, der sich bei dieser Gelegenheit eindeutig identifizieren ließ?

Gewiss, sage ich, sonst hätte ich nicht mit der Formel „Lancia Lambda“ gelockt.

Doch bevor wir uns Hals über Kopf in das Geschehen stürzen und tatsächlich atemlos so einen Wagen am Semmering erblicken, sei daran erinnert, wie dieses bei Erscheinen anno 1922 modernste Auto der Welt aussah.

Hier haben wir ein Exemplar, das ab 1928 vor dem italienischen Siegesdenkmal in Bozen abgelichtet wurde:

Lancia Lambda; Originalfoto: Sammlung Michael Schleneger

Bitte prägen Sie sich hier vor allem die Gestaltung des Vorderwagens, der Kotflügel und des dahinter befindlichen Batteriekastens, der Haubenschlitze nebst Haubenhalten, sowie Form und Position der Tür ein.

Sind Sie bereit? Vielleicht in etwas nervöser Erwartung, was folgen wird? Gut so.

Dann geht es jetzt Hals über Kopf im Lancia Lambda auf den Semmering!

Lancia Lambda beim Semmering-Bergrennen 1930; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Was meinen Sie? Sehen auch Sie hier einen Lancia Lambda von rechts ins Bild reinrauschen?

Aber was erblickt man dort noch? Da ist ja tatsächlich einer „Hals über Kopf“ unterwegs – nämlich der Beifahrer, der beim Lancia Lambda in Fahrtrichtung links saß.

Während der Wagen eine Linkskurve nimmt, versucht der Mann an Backbord durch ein kühnes Manöver, wie man es so nur von rennmäßig bewegten Beiwagen-Motorrädern kennt, den Schwerpunkt ins Kurveninnere zu beeinflussen und auf diese Weise eine höhere Geschwindigkeit zu ermöglichen:

Ich muss zugeben – einiges habe ich schon gesehen auf diesem Sektor , aber so etwas noch nicht. Schade, dass die Aufnahme nicht von höherer Qualität ist – sie wäre ein sicherer Kandidat für eine ikonische Rennaufnahme der Vorkriegszeit.

Was aber ist nun die bleibende Botschaft dieses Dokuments?

Nun, wir müssen nicht Hals über Kopf alles über den Haufen werfen, wenn wir unser Dasein im Kleinen wie im Großen verbessern wollen. Wir müssen keine halsbrecherischen Risiken eingehen.

Aber uns überhaupt einmal wieder aus der weichgepolsterten Komfortzone der letzten Jahrzehnte herauswagen, das müssen wir. Der Status von einst ist dahin, die Wettbewerber schlafen nicht und andere machen gerade vor, wie man sich neu erfindet.

Anstatt sich hinter der brüchig gewordenen Fassade der Dichter und Denker, der Erfinder und Ingenieure zu verbarrikadieren, sollten wir die noch vorhandenen Bestände prüfen, uns auf den neusten Stand bringen, wo notwendig, und unsere Verhältnisse wieder zu konsolidieren. Mit Bedacht, aber auch der Bereitschaft, einige Dinge auf den Kopf zu stellen…

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Porsche zieht immer! Austro-Daimler Typ ADV Tourer

Die Inspiration für die heutige Betrachtung verdanke ich erneut einem Leser und zwar ausgerechnet dem, der mich jüngst hier auf die Palme brachte. Nun meinte er nämlich, mich mit einer einzigen Zeile locken zu können: „Porsche-Traktor zu verkaufen„.

Ich weiß zwar, dass das Stichwort Porsche bei den meisten männlichen Zeitgenossen zuverlässige Reflexe auslöst – und zumindest einem Trecker aus dem Hause würde ich ebenfalls zutrauen, dass er immer zieht – das ist ja sein Job.

Doch habe ich als Besitzer eines Land-Rovers Serie III von 1971 bereits ein Gerät, welches zu allerlei Landarbeiten eingesetzt werden kann – das war werksseitig ausdrücklich so vorgesehen.

Ausprobiert habe ich es noch nicht, doch er hat seine robusten Qualitäten bereits in einem früheren Winter unter Beweis gestellt, als er uns nachts zuverlässig durch den tief verschneiten Taunus zu einer Party und zurückbrachte:

Landrover Serie 3, Baujahr 1971; Bildrechte: Michael Schlenger

Nun schlummert der wackere Landy seit einer Weile unbewegt im Carport. Doch lässt er sich bei Gelegenheit leicht wiederbeleben und die üblichen Malaisen am Rahmen hat er nicht, da er aus der Schweiz stammt und die dort übliche Unterbodenbehandlung erfuhr, an der hierzulande früher selbst Besitzer von Premium-Rostern von Daimler & Co. meist sparten…

Das Stichwort „Porsche“ zieht bei mir aber auch sonst nicht, wenngleich ich schon einmal einen „Elfer“ gefahren bin.

Doch die seelenlosen Armaturenbretter dieser Dinger aus den 70/80er Jahren gefielen mir nicht, sodass ich bei einem MGB GT mit klassischer Instrumenten-Ausstattung und Ledersitzen landete.

Der war obendrein für einen Bruchteil des Preises zu haben, bereitet auf britische Weise viel Fahrfreude und ist lachhaft billig im Unterhalt ist, speziell, wenn’s mal etwas zu ersetzen gibt.

Aber wie kürzlich ausgeführt, weiß ich es aus volkswirtschaftlicher Perspektive zu schätzen, wenn die Moneten hilfsbedürftiger Porsche-Fahrer von geschäftstüchtigen Werkstätten abgesaugt und in Umlauf gebracht werden. Es gibt nur Gewinner dabei…

Bei einer speziellen Porsche-Konstruktion werde ich aber doch schwach – nein, es ist nicht der Volkswagen gemeint,. so sehr ich meinen unverwüstlichen 1200er Mexiko-Käfer geliebt habe. Hier ist „Hermine“ vom Balkon „meiner“ Villa in Bad Nauheim aufgenommen:

VW 1200 von 1985 in Bad Nauheim, 2002; Bildrechte: Michael Schlenger

Vielmehr meine ich die von Ferdinand Porsche Anfang der 1920er Jahr bei Austro-Daimler konstruierten eindrucksvollen Sechszylinderwagen.

Den Anfang machte der AD 617 – mit 4,4 Liter Hubraum, obenliegender Nockenwelle und damals beeindruckenden 60 PS – ein Meisterstück der frühen Nachkriegszeit.

Und das, nachdem Österreich vielleicht von allen Kriegsbeteiligten den größten Absturz erlebt hatte – gemessen an seiner früheren Rolle als Zentrum eines trotz mancher Spannungen erstaunlich stabilen und kulturell wie wirtschaftlich enorm fruchtbaren Imperiums.

Hier haben wir einen Tourenwagen des Typs AD 6-17 mit den für Austro-Daimler und andere österreichische Marken damals typischen Drahtspeichenrädern:

Austro-Daimler AD 6-17; Originalfoto: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Dieser mit seinen Leistungsreserven speziell auf die Topografie der Alpenrepublik zugeschnittene Wagen erhielt bereits 1923 einen optisch und technisch weitgehend identischen Nachfolger, der nun aber auch die dringend benötigten Vorderradbremsen besaß.

Die Rede ist vom Austro-Daimler ADV, an dessen Verfeinerung Ferdinand Porsche zwar nicht mehr beteiligt war, der aber im Kern immer noch ein Porsche war.

Zu erkennen ist dieses modernisierte Modell an den großzügig bemessenen Bremstrommeln an den Vorderrädern, die dank der filigranen Drahtspeichenräder meist gut zu sehen sind:

Austro-Daimler ADV Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die mit fotografischem Gedächtnis ausgestatteten Leser unter Ihnen werden jetzt sicher denken: „Kennen wir schon – wo bleibt das Neue, Genosse?“

Ganz recht – dieses beeindruckende Gefährt mit kostenbedingt seltenem geschlossenen Aufbau habe ich hier schon einmal vorgestellt.

Doch tatsächlich ist es gar nicht so einfach, in der von mir bevorzugten Preisklasse (ca. 5 EUR) weitere Fotos dieses Luxusgeräts aufzutreiben. Glücklicherweise gibt es Gleichgesinnte, die ihre oft hochkarätigeren Schätze gerne mit uns teilen.

Leser Jörg Pielmann gehört zu den Sammlerkollegen, die uns hier regelmäßig mit Beiträgen dieser Art beglücken, die Sie nirgends anders finden werden – schon gar nicht kostenlos:

Austro-Daimler ADV Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Jörg Pielmann

Diese Aufnahme vermittelt einen besonders guten Eindruck von den Proportionen und dem Platzangebot des Austro-Daimler mit rund 3,50 m Radstand.

Gut zu erkennen sind hier auch die Befestigungspunkte der hinteren Ausleger (Cantilever)-Blattfedern, die typisch für viele sportlich angehauchte Automobile der frühen 1920er Jahre waren.

Weiter vorne in der Schwellerpartie zwischen Trittbrett und Aufbau ist eine Werkzeugschublade mit zwei Zugknöpfen zu erkennen, wenn ich es richtig sehe.

Auch solche Details können bei Wagen, die aus ungünstiger Perspektive oder unvollständig aufgenommen wurden, bei der Identifikation helfen.

Auf diesem Sektor kenne ich mich nach zehn Jahren Bloggerei zu dem Thema und mehreren tausend vorgestellten Fotos ein wenig aus. Was nicht heißt, dass es nicht einer von Ihnen im Zweifelsfall noch besser weiß – und genau davon profitiere ich immer wieder.

Gut auf dem Foto von Jörg Pielmann gefällt mir auch, dass der Wagen hier in einem Umfeld zu sehen ist, wie es typisch für die Welt war, in der sich seine Besitzer bewegte: Luxuriöse Hotels mit allen Schikanen und vielen dienstbaren Angestellten.

Die junge Dame mit der Schirmmütze ganz rechts fällt dabei aus dem Rahmen. Ich könnte mir vorstellen, dass sie zu der Reisegesellschaft gehörte, aber aus irgendeinem Grund separat abgelichtet werden wollte. Irgendwelche Ideen dazu?

Eine weitere Sache wüsste ich zum Schluss gerne noch: Wieviele von den Porsche-Konstruktionen aus dem Hause Austro-Daimler haben eigentlich überlebt?

Und warum sieht man keine in Deutschland bei einschlägigen Veranstaltungen? Die Marke wurde doch auch hierzulande hochgeschätzt, und das beileibe nicht nur, weil der damals bereits zugkräftige Name Porsche dahintersteckte…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Bringt einen auf die Palme: Ein Hotchkiss AM2 Cabrio

Hat Sie dieses Jahr schon etwas auf die Palme gebracht hat? Wenn das noch nicht der Fall war, haben Sie vermutlich noch nicht ihren neuen „Grundsteuer“-Bescheid oder Ihre Nebenkostenabrechnung erhalten…

Mir als gewohnheitsmäßigem Skeptiker und Pessimisten passiert es es außerhalb des Straßenverkehrs nur selten, dass mich etwas wirklich auf die Palme bringt.

Doch einem Leser ist genau das gelungen – er nahm sich nämlich die Freiheit, mir mitten im Grau des germanischen Winters ein Foto von seinem derzeitigen Aufenthaltsort auf Fuerteventura mit tropischer Vegetation zu senden – Frechheit!

Damit brachte er mich auf die Palme, die heute im Mittelpunkt des Interesses stehen wird.

Bevor wir uns jedoch mit einschlägigen botanischen und benachbarten Studien befassen können, war erst einmal Arbeit angesagt.

Die Vielzahl der Kratzer auf dem folgenden Foto brachte mich irgendwann so auf die Palme, dass ich es bei einer nur halbherzigen Reinigungsaktion beließ – die Qualität war schon bei Entstehung des Abzugs vor rund 95 Jahren nicht berauschend:

Hotchkiss Typ AM2; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Auf ebendiese Palme brachte mich also besagter Leser und ihm sei an dieser Stelle dafür gedankt. Denn solche spontane Inspiration ist mir die liebste, weil dann der Denkapparat nach einem langen Arbeitstag im Leerlauf bleiben kann.

Beim Erwerb der Aufnahme hatte ich schon eine Ahnung, was für ein Wagen hier zu sehen ist – die Vermutung sollte sich auch bestätigen. Nach wie vor ratlos bin ich indessen bezüglich des Aufnahmeorts. Irgendwo in Frankreich vermute ich – aber wo?

Üppige Palmen gedeihen dort ja an einigen Küstenabschnitten – also kann nur das repräsentative Gebäude im Hintergrund einen Hinweis liefern. Es wirkt nicht sonderlich markant, aber vielleicht hat es schon jemand von Ihnen auf Reisen oder in der Literatur gesehen und dann geht meist zuverlässig eine Schublade in der Erinnerung auf.

Ich beschränke mich ganz auf das Auto, das anhand des hufeisenförmigen Kühlers und des mittig angebrachten Markenemblems leicht als „Hotchkiss“ zu identifizieren ist.

Die komplizierte Geschichte dieses französischen Herstellers können Sie in einem älteren Blogeintrag nachlesen, der den 6-Zylindertyp AM 80 von 1931 zum Gegenstand hatte.

Ganz so mondän geht es im vorliegenden Fall nicht zu, aber auch dieser Hotchkiss hatte seine repräsentativen Seiten – obwohl er seinen Fahrer hier auf die Palme zu bringen scheint, er streckt sich jedenfalls schon auf dem Trittbrett stehend sehnsüchtig schauend dorthin:

Leider gibt der arg mitgenommene Abzug nicht mehr her – bei Gelegenheit bringe ich ein Foto eines weit früheren Hotchkiss in bester Qualität, versprochen!

Doch wo genau ist eigentlich dieser Wagen zeitlich anzusiedeln? Gar nicht so einfach zu sagen, mir liegt keine Literatur zu dieser langlebigen Marke vor, die von 1903 bis Anfang der 1950er Jahre gehobene und teilweise luxuriöse Wagen baute.

Bei der Recherche las ich nebenher, dass Hotchkiss neben Delage eine der wenigen Marken war, die bereits ab etwas 1920 serienmäßig Vierradbremsen verbauten. Standard wurde das in Europa erst Mitte der 20er Jahre.

Mit dem Wagen auf dem heute vorgestellten Foto bewegen wir uns aber zwei Autogenerationen später – um 1930 würde ich sagen. Ich schätze, dass es sich um eines der recht oft gebauten Vierzylindermodelle von Hotchkiss handelte.

1923 brachte die Marke mit dem Typ AM einen bereits gut motorisierten Wagen mit 2,4 Litern Hubraum neu heraus. Limitiert wurde dessen Leistung (ca. 45 PS) jedoch durch die traditionellen seitlich stehenden Ventile – eine einfache, aber auch wenig strömungsgünstige Lösung für den Gaswechsel im Motor.

Ab 1926 wurde dann bei gleichem Hubraum eine Version mit im Zylinderkopf hängenden Ventilen eingeführt – die Leistungsangaben dafür schwanken zwischen 50 und gut 55 PS.

Damit ließen sich zwar keine Bäume ausreißen, doch es genügte, um einen auf die Palme zu bringen, wie man an dem heute vorgestellten Foto sieht, das nach meiner Einschätzung so einen Hotchkiss des Typs AM2 um 1930 zeigt.

Ein ganz ähnliches Exemplar hat jemand auf einer Oldtimer-Veranstaltung für uns auf Video festgehalten. Das Einzige, was einen hier vielleicht auf die Palme bringt, ist das Drumherum, das dieses schönen Wagens nicht ganz würdig ist – aber Sie sind ja auch verwöhnt!

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Luxus „light“ tut selten leid! Buicks von 1930

Da habe ich gestern noch mein Leiden am Luxus der frühen 30er beklagt – am Beispiel einer Horch „8“-Pullman-Limousine, die es mir nicht leicht gemacht hat. Man hat es der entsprechenden Abhandlung sicher angemerkt.

Vorausgegangen war dem eine völlig erfolglose erneute Recherche zu dutzenden Fotos in meinem Fundus, die deutsche Autos der frühen 1920er Jahre mit Spitzkühlern – aber ohne jeden Markenhinweis – zeigen.

An diesen oft in bester Qualität aufgenommenen Exemplaren versuche ich mich schon seit Jahren. Das können doch nicht alles individuell gemachte Specials mit modischem Kühlergehäuse aus dem Zubehör gewesen sein! Auch dass so viele Besitzer die Markenembleme entfernt haben sollen, halte ich für unwahrscheinlich.

Inzwischen bin ich soweit, dass ich aus diese Kandidaten bei Gelegenheit einen eigenen Fotoreport machen werde, damit Sie am wahren Ausmaß meiner Leiden an diesen praktisch nirgends dokumentierten Modellen teilhaben können.

Zuvor muss ich mich jedoch mit einigen schnellen Erfolgen belohnen, und wo lassen sich diese leichter als bei US-Großserienwagen erzielen, die in der Zwischenkriegszeit eine heute undenkbare Präsenz in deutschen Landen entfalteten?

Diese Beschäftigung tut einem nur selten leid, denn fast immer wird man mit bemerkenswerten Ergebnissen belohnt – so auch heute.

Ausgangspunkt war diese Aufnahme, die im August 1933 am „Deutschen Eck“ bei Koblenz im düst’ren Schatten von Kaiser Wilhelm entstand:

Buick Limousine, Modeljahr 1930; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Beeindruckend diese 3-Fenster-Limousine mit sieben Plätzen, nicht wahr? Von den Dimensionen an den zuletzt präsentierten, etwas jüngeren Horch erinnernd, aber von der Gestaltung noch den späten 1920er Jahren verhaftet.

Dass es sich bei dem mächtigen und doch wohlproportionerten Wagen um ein US-Fabrikat handeln müsse, das war mir auf Anhieb klar. Die am hinteren Ende der Motorhaube angebrachten Parkleuchten und die Drahtspeichenräder waren Indizien in diese Richtung.

Doch ansonsten wollte sich dieses Gefährt seine Identität nicht ohne Weiteres entlocken lassen. Glücklicherweise genießen wir bei den gängigsten US-Vorkriegsautos jedoch den Luxus, dass einem die Ansprache von Hersteller und sogar Baujahr meist „light“ fällt.

Im vorliegenden Fall dachte ich für einen Moment an einen Cadillac, doch dem Auto fehlt doch einiges zu der Prachtentfaltung dieser amerikanischen Luxuswagen. Tatsächlich bewegen wir uns hier im Segment „Luxus light“, wie wir gleich sehen werden – nach US-Maßstäben.

Inzwischen muss ich in solchen Fällen nicht mehr immer die über 1.500 Seiten starke US-Vorkriegsauto-Bibel „Standard Catalog of American Cars“ von Kimes/Clarke bemühen, die ich zusammen mit den wichtigsten Werken für deutsche Autos stets in Reichweite in einem Biedermeier-Notenschrank neben meinem Schreibtisch liegen habe.

Oft genug hilft es bereits, durch meine eigene, laufend wachsende US-Markengalerie zu „brausen“. Sie ist zwar noch nicht nach Marken unterteilt, aber nach Marken sortiert – so kommt man schneller zum Ziel, indem man einfach solange herunterrollt, bis man fündig wird.

Dieses Mal war das bereits beim Buchstaben „B“ wie „Buick“ der Fall.

Denn dort findet sich diese Aufnahme, die mir Leser Klaas Dierks in digitaler Form zur Verfügung gestell hat und die ich noch nicht vorgestellt habe, meine ich:

Buick, Modelljahr 1930; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Dieses im Raum Berlin zugelassene Exemplar liefert den Schlüssel zur Identifikation des Wagens vom Deutschen Eck, auch wenn es keine aufpreispflichtigen Drahtspeichenräder aufweist. Immerhin hatte sich der Käufer dieses Wagens ebenfalls für die seitlich angebrachten Ersatzräder entschieden, sogar mit Abdeckung (das Rad selbst fehlt).

Entscheidend ist hier die Silhouette des Kühergehäuses welche sich in Form seitlicher Einbuchtungen über die ganze Länge der Motorhaube fortsetzt.

Wichtig außerdem, dass der Aufbau vor dem hinteren Kotflügel nicht mehr über die darunterliegende Schwellerpartie hinauskragt, wie das noch beim 1929er Modell der Fall war.

Nach diesen Hinweisen kehren wir nun zu dem eingangs gezeigten Wagen zurück:

Vergleichen Sie auch die seitlichen Zierleiste und die Position der Türgriffe. Die Haubenschlitze brauchen Sie in diesem Fall nicht zu zählen, wesentlich ist nur, dass sie ebenfalls nicht bis ganz nach vorne reichen. Auch die erwähnte Haubenkontur sollten Sie erkennen können.

Ebenfalls ein 1930er Buick, einverstanden?

Dann ein paar Worte zu dem Wagen, den wir hier sehen: Die Marke Buick war nach amerikanischen Maßstäben in der gehobenen Mittelklasse angesiedelt, bot also selbst im Fall der enorm großzügigen 3-Fenster-Limousine nur Luxus „light“.

Das schlug sich im Fall des Modelljahrs 1930 auch darin nieder, dass es noch keine Achtzylindermotoren wie bei Cadillac gab. Die Reihensechser boten aber hinreichend Leistung, sodass einem der Verzicht auf die zwei zusätzlichen Zylinder nicht leid tun mussten.

Je nach Version (Serie 40, 50 oder 60) wurden zwischen 80 und 100 PS geboten. Das war damals auch das Territorium der Luxuswagen von Horch, aber in den Staaten galt das nicht als ungewöhnlich. Den Buick-Aggregaten fehlte zwar die Komplexität der Zwickauer 8-Zylinder, aber mit kopfgesteuerten Ventilen (ohv=over-head valves) waren sie auf der Höhe der Zeit.

Dass Luxus „light“ auch in ästhetischer Hinsicht zu überzeugen wusste, das zeigt die folgende Aufnahme, die ich in digitaler Form Leser Marcus Bengsch verdanke:

Buick, Modelljahr 1930; Originalfoto: Sammlung: Marcus Bengsch

Mit der hellen Grundfarbe wirkt der Buick trotz des schweren Aufbaus als 6-Fenster-Limousine mit einem Mal auch optisch „light“.

Interessant ist an diesem Exemplar, dass die Parkleuchten hier nach deutscher Konvention auf den Kotflügeln angebracht sind. Auffallend ist außerdem die Rechtslenkung.

Ein ganz bemerkenswertes Dokument für die Leichtigkeit, mit der so ein Wagen daherkommen konnte, auch wenn sich aufgrund der Umstände im Deutschland der frühen 1930er Jahre schwere Zeiten ankündigen.

Doch wir genießen noch den Augenblick und staunen, wie lässig Luxus „light“ in Form eines Buick von anno 1930 damals in deutschen Landen daherkommen konnte:

Buick, Modelljahr 1930; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Na, was sagen Sie dazu? Ist doch eine großartige Sache, wenn Luxus so leicht daherkommt – von der Form und der Farbe des Wagens und den Personen her.

Die extrem niedrige Frontscheibe dieses Cabriolets verrät bereits, dass wir es hier – unabhängig vom Hersteller – mit einer Spezialausführung in Manufaktur zu tun haben.

In Ermangelung anderer Hinweise, müssen wir uns in diesem Fall ganz auf die Kühler-und Haubenpartie konzentrieren.

Ein Markenemblem auf dem Kühlergehäuse ist nicht zu erkennen, was zum 1930er Buick passt. Der Opel 1,8 Liter von 1931 (ebenfalls aus dem Hause General Motors) wies oberflächlich betrachtet einen ähnlichen Kühler auf – doch war der Wagen deutlich kleiner und besaß auch nicht die erwähnte durchgängige Einkerbung in der Motorhaube.

Wie der Blitz auf dem Kühlergitter zu interpretieren ist, überlasse ich erfahreneren Lesern. Ich sehe hier jedenfalls keine unmittelbare Beziehung zum Hersteller.

Für mich bleibt als Arbeitshpothese festzuhalten, dass es sich bei dem schicken Sport-Cabrio vor der Villa (oder Pension) „Ella“ um eine in Deutschland gefertigte Sonderausführung auf Basis eines Buick des Modelljahrs 1930 handelt.

Sie sehen hoffentlich: die Beschäftigung mit solchen Formen von Luxus light“ tut einem selten leid, sofern man mit angemessenem Aufwand zu solcherlei Ergebnissen gelangt.

Jetzt ist die Welt der Vorkriegsautos auf alten Fotos für mich wieder in Ordnung. Damit das Glück aber auch wirklich perfekt ist, blenden wir den Miesepeter am linken Bildrand aus und erfreuen uns einfach nur an all dem, das hier zu sehen ist…

Solche Ausflüge in die automobile Welt von einst sind heute wahrlich kein Luxus. Sie haben allerdings ein gewisses Frustrationspotenzial, denn nicht immer erschließen sich einem die Dinge so „light“ wie im heutigen Fall.

Wenn dann aber alles wie von Zauberhand ineinandergreift, haben diese autotherapeutischen Übungen eine heilende Wirkung in Zeiten, in denen das Schöne viel zu kurz kommt, meine ich.

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Wenn Luxus leiden lässt: Horch „8“ Pullman

Dass ein Luxusleben nicht automatisch glücklich macht, das ist dermaßen banal, dass es dadurch nicht der höheren Einsicht von Philosophen, Pfarrern oder Pädagogen bedarf.

Dennoch scheint mir das Streben danach ein gesunder Instinkt zu sein, solange er nicht zulasten des Wohles anderer zustandekommt. Ich kenne einige Leute, die nach den Maßstäben mancher Moralapostel ein Leben in unbotmäßigem Luxus führen.

Da gibt es einen, der in seiner Freizeit mit historischen Fluggeräten am Himmel über der Wetterau herumturnt. Ich hatte einmal das Vergnügen, in seinem hochmotorisierten Trainer von „Yakovlev“ mitzufliegen – Schwerelosigkeit im Parabelflug inbegriffen. Einzige Bedingung war, dass ich mich an den horrenden Kosten für Benzin und Öl beteilige.

„Was für eine nutzlose Verschwendung – dem scheint das Geld zu Kopf gestiegen zu sein, könnte jetzt einer meinen“. Nö, der wohnt in einem kleinen Einfamilienhaus am Ortsrand, pfeift auf Markenmode und hat sich seine Luxusleidenschaft ehrlich selbst erarbeitet.

Ein anderer guter Bekannter sammelt Bilder berühmter Künstler der Zwischenkriegszeit und hat eine eigene Mole nebst Motorboot an der Adria. Auch er arbeitet seit Jahrzehnten hart, macht selten Urlaub, liegt niemandem auf der Tasche, nimmt keinem etwas weg.

In beiden Fällen handelt es sich um Leute, die ihren Mitmenschen in hochspezialisierten Bereichen derart nützlich sind, dass man sie einfach freiwillig sehr, sehr gut bezahlt (ohne das Staatssäckel in Anspruch zu nehmen, wohlgemerkt).

Tatsächlich ist solches vermeintliches Luxusleben auch aus meiner Ökonomenperspektive sogar ausdrücklich zu begrüßen. Denn im Unterschied zum geizigen Dagobert Duck, dessen Moneten nicht nachfragewirksam werden, geben Luxusliebhaber ihre Kohle lustvoll aus.

Ob sie nun Maßanzüge oder Manufaktur-Yachten kaufen, mit übelsten Spritschluckern sinnlos durch die Gegend fahren oder sich in sündhaft teuren Hotels verwöhnen lassen – sie bezahlen ständig andere Leute für Produkte und Dienstleistungen, die es sonst kaum gäbe, sorgen für Arbeitsplätze und ermöglichen fähigen Handwerkern, Köchen oder Personal Trainern ihre eigenen Träume von Qualität zu verwirklichen.

Nachdem wir also mein grundsätzlich positives Verhältnis zum Luxusleben geklärt hätten, muss ich dennoch eine Einschränkung machen. Es gibt vereinzelte Situationen, in denen der Luxus einem einfach zuviel wird und mehr Probleme schafft, als einem lieb sein kann.

Hier haben wir ein besonders eklatantes Beispiel dafür, wie einen der Luxus leiden lässt:

Horch „8“ Pullman-Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

„Wieso, wo ist hier das Problem?“, mögen Sie jetzt denken. Ist doch eine tolle Sache, so eine Pullman-Limousine aus dem Hause „Horch“ mit kraftvollem Achtzylindermotor und großzügigstem Innenraum.

Haben Sie eine Ahnung! Allein eine passende Garage bei 5,10 Meter Länge zu finden, eine Plage. Und dann der Wendekreis, außerdem die Lenkkräfte im Stand – da muss man ja glatt einen robust gebauten Fahrer einstellen. Was das kostet!

Noch belastender sind im vorliegenden Fall aber zwei Dinge: Zum einen habe ich unzählige Flecken und Beschädigungen auf dem schwer mitgenommenen Foto korrigieren müssen, bevor ich den Wagen einigermaßen präsentabel hergerichtet hatte.

Zum anderen habe ich abends lange Zeit Literatur gewälzt, um herauszukriegen, was das nun genau für ein Typ war – und das zu meiner Betrübnis ohne echten Erfolg.

Tja, was wissen Sie als verwöhnte Leser schon von den Leiden, die ich hier für Ihren Luxuskonsum auf mich nehme!

Immerhin sollen Sie nun zumindest theoretisch daran teilhaben. Einfach war ja noch die identifikation des Herstellers, denn es gibt ein zweites Foto desselben Wagens – leider ebenso übel zugerichtet, dass ich erst einmal den Lack gründlich aufpolieren musste.

Ich hoffe, dass ich Ihren hohen Ansprüchen auf diesem Sektor einigermaßen gerecht werden konnte, auch wenn ich weiß, dass es noch besser ginge. Aber dann hätte ich keine Zeit mehr zum Schreiben und diesen sinnlosen Luxus möchte ich mir schon gönnen.

Horch „8“ Pullman-Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Aus dieser Perspektiv wirkt der Wagen nicht mehr ganz so kolossal, dafür ist die markentypische Kühlerfigur und die leicht geneigte Kühlermaske zu erkennen – eindeutig ein Horch ab etwa 1932.

Fassen wir zusammen, was wir hier sonst noch sehen:

Werksaufbau als sechsfenstrige Limousine mit schrägstehender Frontscheibe, mit gegenläufig schließenden Türen und Vorderkotflügeln ohne Seitenschürzen – analog zum Horch 750, aber hier dummerweise mit Luftklappen in der Haube statt den sonst zu erwartenden Luftschlitzen.

Die einteilige Stoßstange gab es erstmals beim Horch 500A ab 1931, die Luftklappen wurden aber erst beim 500B ab 1932 verbaut, dort aber nur in Verbindung mit den erwähnten Kotflügelschürzen, die hier fehlen.

Bleiben mit identischer Vorderpartie (einschließlich der Positionslampen auf den Kotflügeln) nur noch die Typen 710 und 720 – die gab es aber laut der vorzüglichen Literatur (Kirchberg/Pönisch, Horch – Typen, Technik, Modelle, Verlag Delius-Klasing) nur als Cabriolets.

Damit wäre ich mit meinem Latein für’s Erste am Ende. Vielleicht hat ja ein Leser die Lösung für mein heutiges Leiden am Luxus. Um dieses bis zur Aufklärung erträglicher zu gestalten, bringe ich zum Schluss einfach noch aus Lust am Überfluss die folgende Aufnahme:

Horch 420 Pullman-Limousine; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Hier sehen wir vom Aufbau her den direkten Vorgänger unseres heutigen Kandidaten – bloß ohne Luftklappen und noch mit senkrechter Frontscheibe und Kühlerfront sowie Doppelstoßstange. Deser Typ 420 wurde 1932/32 gebaut und war stilistisch noch den späten 1920er Jahren verhaftet.

Der Motor – ein 4,5 Liter-Achtzylinderaggregat mit 90 PS – war aber bereits derselbe, welcher später auch noch in den Typen der 700er Reihe verbaut wurde, wo ich das heutige Rätselfahrzeug am ehesten vermute…

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Stimme(n) aus der Stille: Adler 6/25 PS Tourenwagen

Zum Wochenende hin gibt’s wie in jedem anständigen Haushalt, der nichts verkommen lässt, Resteverwertung. Die gereichte Kost wird indessen nicht so schwer werden wie beim jüngsten „BMW meets Bach“-Thema – versprochen!

Auch gibt es diesmal wenig zu sinnieren oder zu recherchieren – denn eigentlich tische ich Ihnen heute nur x-mal das Gleiche auf. Als geübter Hobbykoch meine ich aber, auch einer simplen Rezeptur traditioneller Machart einige raffinierte Seiten abgewinnen zu können.

Auf der Menükarte steht nur ein einziges Gericht – doch zum Glück nicht angerührt in der für ihren kalten Funktionalismus berüchtigten Frankfurter Küche – sondern in den prächtigen Adlerwerken unweit des Hauptbahnhofs zu Frankfurt am Main.

Viele Jahre – von der kaufmännischen Ausbildung über das VWL-Studium bis zu meiner Tätigkeit bei einem örtlichen Wertpapierverwalter (Kennern als „Asset Manager“) bekannt – fuhr ich täglich mit der Bahn dort vorbei, ohne mir viel dabei zu denken.

Erst als ich in der Frühzeit meines Dilettierens über Vorkriegsautos auf alten Fotos vor bald 10 Jahren über diese Aufnahme stolperte, begann ich eine intensivere Beziehung zu der Traditionsmarke Adler zu entwickeln – jedenfalls, was deren Automobile betrifft:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die wirklichen Veteranen der Altautofraktion wussten es natürlich lange vor mir: Das war ein Adler des Typs 6/25 PS, der ab 1925 in rund 6.500 Exemplaren gebaut wurde.

Das technisch konventionelle Fahrzeug mit 1,6 Liter Vierzylindermotor (seitengesteuert) war der bis dato größte Erfolg der Marke. Mit Vierradbremsen, vier Gängen und 12 Volt-Elektrik sowie markentypisch makelloser Verarbeitung war der Wagen ein grundsolides Angebot.

Im Unterschied zu einigen anderen Wagen der um 1925 einsetzenden Flachkühler-Ära am deutschen Markt wirkte der Adler durchaus gefällig gestaltet. Mit seinen serienmäßigen Scheibenrädern und der markant gestalteten Frontpartie stach er aus der Masse ähnlicher Fahrzeuge deutscher Provenienz hervor.

Sofern sich der Käufer für die spektakuläre Adler-Kühlerfigur entschieden hatte, kam der Wagen beinahe repräsentativ daher:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Vielleicht fragen Sie sich an dieser Stelle die Frage, was mich dazu bewogen hat, den adretten Adler 6/25 PS im Titel mit „Stimme(n) aus der Stille“ in Verbindung zu bringen.

Nun, das ist einfach erklärt. Ich suchte nach einem Motto, das sich für einen Bilderreigen des Immergleichen eignet, der ohne viele Worte auskommt und zugleich die Frage aufwirft: Was ist aus all den tausenden Wagen dieses Typs geworden, die in den meisten Fällen als Tourer und nur selten mit geschlossenem Aufbau gekauft wurden?

Zum Glück hatte ich gerade eine Platte mit Liedern der geheimnisvollen italienischen Sängerin Mina (nicht zu verwechseln mit Milva) aufgelegt und gerade wickelte sie mich mit der Nummer „La Voce del Silenzio“ auf’s Angenehmste ein.

Das wäre doch ein passender Titel – die alten Adler Fotos als paradoxe „Stimme(n) aus der Stille“ zu präsentieren und zu lauschen, was sie uns – wenn auch stumm – am Ende doch zu sagen vermögen. Und das ist eine ganze Menge, wie wir im Folgenden sehen werden.

Dieser Adler etwa erzählt – mag er selbst sonst völlig schweigend dastehen – von der gestalterischen Schönheit so banal erscheinender Gegenstände wie eines Gartenzauns an einer großzügigen Vorstadtvilla:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Das folgende Exemplar wiederum lässt uns an den bisweilen auftretenden Problemen damaliger Kameras teilhaben.

Hier war unbeabsichtigt Seitenlicht auf den eingelegten Film gefallen. Das konnte beispielsweise passieren, wenn man den belichteten Film herausnehmen wollte, aber vergessen hatte, ihn zuvor ganz zurückzuspulen:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der aufmerksame Betrachter erfährt hier aber auch etwas anderes: Auffallend viele dieser Adler wurden nachträglich mit wohl ledernen „Seitenschürzen“ an den Vorderkotflügeln ausgestattet. Das kenne ich in dieser Häufung von keinem anderen Wagen.

Ich schließe daraus, dass die vorderen Kotflügel ihren Zweck nur unvollkommen erfüllten. Der Hersteller scheint darauf nicht reagiert zu haben. Auch die bei obigem Modell montierte Doppelstoßstange stammte aus dem Zubehörhandel.

Überhaupt fällt auf, dass die Fahrer deutscher Wagen jener Zeit oft die Behebung von Mängeln ihrer Fahrzeuge selbst in die Hand nahmen – im Fall von Stoßstangen nahm man meist Maß an den moderneren US-Modellen, welche den Stil auch solcher funktioneller Bauteile vorgaben.

Wer auf dem Land wohnte, wo außer dem Hausarzt und dem Gutsbesitzer kaum ein Mensch ein Auto besaß, konnte freilich noch gut auf Stoßstangen verzichten. Wenn sich einer freilich in die Großstadt traute – hier im Fall von „Vati in Darmstadt“ – galt es vorsichtig zu sein:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Erst recht kam man ohne großstädtischen Ballast aus, wenn man einen Tourenwagen des Typs Adler 6/25 PS bestimmungsgemäß in der Botanik ausfuhr, um sich an derselben und der Stille zu erbauen, die beim Abstellen des Motors zu vernehmen war.

Dieser Herr etwa fühlte sich irgendwo im Wald mit sich, der Welt, seinem Adler so zufrieden, dass er genau hier und genau so für die eigene Erinnerung und die Nachwelt festgehalten werden wollte:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Andere Vertreter (m/w/d) der Adler-Fraktion wiederum bevorzugten die reizvolle Umgebung eines herrschaftlichen Landsitzes, auch wenn es wohl nicht der eigene war.

Vielleicht bekommt jemand heraus, vor welcher Schlossanlage diese Aufnahme entstand. Der Abzug trägt auf der Rückseit den Stempel eines Fotogeschäfts aus Kassel – das könnte helfen:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Auf der folgenden Aufnahme geht es zwar weit bodenständiger zu, jedenfalls die Architektur im Hintergrund betreffend, aber immerhin ist hier überliefert, wo das Foto entstand und auch wann.

Denn umseitig ist vermerkt: „Pinneberg, Juni 1930“: Die teuer gekleideten Kinder neben dem Wagen wollen eher nicht zu den einfachen Häusern in dieser Straße passen – zum Adler dagegen durchaus:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

So viel Menschliches ist auf diesen nur vordergründig schweigenden Dokumenten zu sehen. Da beginnt der Adler 6/25 PS allmählich in den Hintergrund zu rücken, wenngleich er als Charaktertyp auch in solchen Situationen stets auf Anhieb zu erkennen ist.

Bei der Gelegenheit darf ich an die bereits erwähnten Seitenschürzen erinnern – diese nicht gerade schmückenden Teile, welche eine spätere Kotflügelgestaltung vorwegnehmen. Sie müssen von vielen Fahrern des Adler 6/25 PS als Notwendigkeit empfunden worden sein:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Weiter geht es mit der Resteverwertung auf gehobenem Niveau. Dass ich einigen von Ihnen auch mit bereits vorgestellten Aufnahmen des Adler 6/25 PS eine Freude machen kann, das weiß ich genau.

So zeige ich mit Vergnügen wieder dieses Foto eines Wagens des Typs, der in den 1960er Jahren in der DDR regelmäßig bei Veranstaltungen in der dort bereits vorbildlich organisierten Veteranenszene mit von der Partie war. Wir wissen in diesem Fall sogar, wem dieses schöne Exemplar gehörte, nämlich Heiner Goedecke aus Leipzig:

Adler 6/25 PS Tourenwagen von Heiner Goedecke (Leipzig); aufgenommen in den 1960er Jahren

Von diesem speziellen Fahrzeug, das sehr wahrscheinlich noch existiert, finden sich in einem älteren Blog-Eintrag einige weitere Fotos.

Das hatte ich fast vergessen, als mir kürzlich eine Aufnahme desselben Adler 6/25 PS in die Hände fiel, die ebenfalls zu dieser Zeit bei einer Veranstaltung in der DDR entstanden sein muss.

Hier haben wir das gute Stück neben einem russischen Militär-LKW, wenn ich es richtig sehe:

Adler 6/25 PS Tourenwagen von Heiner Goedecke (Leipzig); aufgenommen in den 1960er Jahren

Zu diesem speziellen Exemplar können sicher noch einige Zeitzeugen etwas sagen. Doch ich will mich nicht zu weit vom heutigen Motto entfernen: „Stimme(n) aus der Stille“. Denn hier sind die alten Fotos selbst die Botschaft und vieler Worte bedarf es nicht.

Nebenbei: Wie so ein Adler 6/25 PS in der Tourenwagenausführung aussah, werden Sie spätestens jetzt verinnerlicht haben, ohne dass ich darauf ausführlich eingehen musste.

Also lassen wir noch ein letztes Mal für heute eine Aufnahme eines Adler 6/25 PS ganz aus sich selbst heraus sprechen und lauschen, was sie uns vielleicht zu sagen hat:

Adler 6/25 PS Tourenwagen von Heiner Goedecke (Leipzig); aufgenommen in den 1960er Jahren

Ein zauberhaftes Dokument finde ich. Hier ist der Wagen ebenso wie die Fachwerkscheune im Hintergrund nur eine gut gewählte Kulisse. Der Fotograf hat die Schärfentiefe mit seltener Präzision auf den Bub hinter dem Lenkrad gelegt, dafür musste man sehr versiert sein.

Und jetzt überlasse ich es ganz Ihnen, was Ihnen dieses schöne stille Foto sagt, das einen Moment festhält, von dem nichts geblieben ist als – bestenfalls – die Scheune mit ihren verwitterten Balken und den typischen Tonziegeln, die man hierzulande nur noch selten findet.

Damit Sie das Wochenende aber nicht allzu melancholisch beginnen, sei Ihnen anempfohlen, was die hinreißende Mina einst zum Thema „Stimme der Stille“ zu singen hatte. Das war anno 1968 – seitdem geht es stilistisch leider eher den „Bach runter“…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Glückliche Heimkehr: BMW 303 / 309 4-Fenster-Cabriolet

Wenn man sonst keine Probleme hat, macht man sich welche, aber so richtig, und sieht anschließend zu, wie man aus dem Schlamassel wieder rauskommt – deutsche Tradition.

Heute wollen wir diese Kompetenz anhand eines auf den ersten Blick unproblematisch erscheinenden Gegenstands erproben – des BMW 303 bzw. 309. von 1933 bzw. 1934.

Warum nenne ich hier zwei unterschiedliche Modelle in einem Atemzug, nämlich einen Sechszylindertyp und einen Vierzylindertyp? Tja, hier zeichnen sich schon die ersten selbstgeschaffenen Probleme ab.

Denn wenn ich es richtig sehe, lassen sich die beiden von Leistung und Charakteristik so unterschiedlichen Typen äußerlich nicht zuverlässig auseinanderhalten.

Vielleicht kann ja jemand sagen, ob dieser wohlgenährte Herr vor der Kulisse der Nürburg einst einen BMW 303 mit 30 PS aus 1,2 Litern oder einen Typ 309 mit 22 PS aus 850 ccm fuhr:

BMW 303 oder 309 Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die Stoßstange war beim Sechszylindertyp 303 serienmäßig, beim schwächeren 309 konnte sie aber als Zubehör geordert werden. Und genau das dürften prestigebedürftige Zeitgenossen gern gemacht haben.

Wer aufgepasst hat, wird an dieser Stelle beanstanden, dass ich im Titel die 4-fenstrige Cabrio-Ausführung angekündigt hattte. Keine Sorge, der werden wir uns noch widmen.

Mir ging es bloß darum, das grundsätzliche Erscheinungsbild der Frontpartie der beiden BMW-Modelle zu veranschaulichen. Tatsächlich müssen wir dem fülligen Besitzer in diesem Fall sogar dankbar sein, verdeckt er doch den ansonsten arg langweiligen Aufbau.

Für ein Automobil von 1933/34 war die geschlossene Ausführung sehr konservativ geraten, um es zurückhaltend auszudrücken. Von der Kühlerpartie abgesehen, hätte das auch ein Auto der zweiten Hälfte der 1920er Jahre sein können.

Böse Zunge könnten jetzt sagen, dass dies kaum verwunderlich sei, wurde doch die Limousine bei Daimler-Benz in Sindelfingen gefertigt, wo es von einzelnen kühnen Cabriolet-Entwürfen abgesehen eher ängstlich-bieder zuging.

So kommt es, dass dieser BMW 303 als Limousine auch vor einem historischen Gebäude kaum sonderlich modern wirkt:

BMW 303 Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Bemerkenswert an dieser Aufnahme ist nicht nur die phänomenale Wirkung des großzügigen Bauernhauses aus dem beschaulichen Groß-Grönau in Schleswig-Holstein – es dürfte mit einiger Wahrscheinlichkeit noch existieren.

Interessant ist auch das Aufnahmedatum: Mai 1942. Hier hatte jemand mitten im 2. Weltkrieg das Bedürfnis verspürt, den mit Tarnscheinwerfern versehenen Wagen vor einer Kulisse zu dokumentieren, die sonst nichts von den Umständen ahnen lässt.

Vielleicht war es das letzte Foto, bevor der Wagen für das Militär eingezogen wurde. Vielleicht aber auch die letzte Fahrt, bevor der Besitzer selbst an die Front musste – etwa als Arzt.

Wir wissen nichts darüber, nur eines ist klar: Die gigantische Katastrophe, die von deutscher Seite damals aus freien Stücken und – in vielen Fällen – mit großer Hingabe angerichtet wurde, war drei Jahre später vorbei, im Mai 1945 nämlich.

Gut ein Jahr später – am 23. September 1946 – war jedoch jemand schon wieder in der Lage, mit seinem Vorkriegs-BMW einen Ausflug zu unternehmen – da musste einer schon viel Glück gehabt oder eher: sich in brillianter Weise aus dem Schlamassel nach oben gearbeitet haben:

BMW 303 oder 309 4-Fenster-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme kündet zugleich von den kolossalen Problemen, die ich mir mit dem ziellosen Einsammeln solcher Fotorelikte bisweilen selber mache.

Man muss schon einigermaßen bekloppt sein, um sich die Mühe zu machen, so ein Dokument zu enträtseln. Alternativ bzw. ergänzend hilft es, wenn man schon vieles in der Hinsicht gesehen hat und grundsätzlich bei Problemen aller Art zu besonderer Form aufläuft.

Vielleicht erinnern Sie sich an diese Aufnahme eines nahezu identischen 4-Fenster-Cabriolets, das ebenfalls kurz nach dem 2. Weltkrieg aufgenommen wurde.

BMW 303 oder 309 4-Fenster-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ich hatte den Wagen seinerzeit als BMW 315 angesprochen, also den stärkeren Nachfolger des 303, aber aus dieser Perspektive konnte es ebenso ein früheres Modell sein – das Serien-Cabrio wurde von 1933 bis 1936 meines Wissens nicht verändert.

Sehen Sie die Ähnlichkeit der Linienführung am hinteren Verdeckausschnitt? Wichtig ist auch der leicht gerundete Verlauf des hinteren Türabschlusses.

Übrigens wurde diese 4-fenstrige Cabrio-Karosserie von Reutter in Stuttgart entworfen und anfänglich auch dort für BMW gebaut.

Jedoch genügten die Kapazitäten dort nicht, sodass man bald von dem aufwendigen Transport der Chassis von Eisenach nach Stuttgart und zurück absah und die Aufbauten nach Reutter-Vorbild schlicht selbst baute.

Damit sind wir nun tatsächlich an dem Ort angelangt, auf den ich mich mit dem Titel „Glückliche Heimkehr“ bezog.

Denn nach all den Katastrophen der 1930er und 40er Jahre gelangte dieser BMW 303 bzw. 309 mit halbwegs intakter Cabrio-Karosserie an einen besonderen Ort zurück, der für uns Deutsche einer der wichtigsten Orientierungspunkte und dauerhafte Inspiration sein sollte.

Die Rede ist zwar nicht vom Geburtsort des BMW und des historisch bedeutendsten und begnadetsten deutschen Komponisten – Johann Sebastian Bach – denn das wäre Eisenach in Thüringen.

Doch für alle die, die im historischen Mitteldeutschland eine ganz besondere Konzentration schöpferischer Geister über Jahrhunderte sehen, repräsentiert auch das sächsische Leipzig eine ebensolche Heimkehr zu den Ursprüngen:

BMW 303 oder 309 4-Fenster-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Vor dem Bach-Denkmal an der Thomas-Kirche in Leipzig, wo der Meister einst wirkte, wurde 1958 dieser BMW fotografiert. Wenn ich mich nicht irre, trug er ein Nachkriegskennzeichen aus dem sächsischen Reichenbach.

Bemerkenswert sind die beiden Volkswagen und der Heckflosser, die mit dem BMW abgelichtet wurden. Doch der von der Zeit gezeichnete BMW mit wohl von einem DKW geborgten Stoßstangen war für den unbekannten Fotografen eindeutig das großartigste Motiv.

Ich kann das gut nachvollziehen – so wie neben der Kunst von Bach alles Gegenwärtige in musikalischer Hinsicht verblasst. Man hat uns in der Schule – in meinem Fall der ehrwürdigen Augustinerschule in Friedberg/Hessen – exakt nichts davon mit auf den Weg gegeben.

Ich musste mir diese Schöpfungen, die zum Besten zählen, was deutscher Geist für die Menschheit zustandegebracht hat, selbst erschließen. Auch im Elternhaus fand keinerlei Erziehung in der Richtung statt.

Die Deutschen sind im 21. Jh. immer noch ein mit sich selbst zutiefst im Unreinen befindliches Volk. Das ist der Schlamassel, aus dem wir herausmüssen, indem wir uns des Besten in uns vergewissern und zugleich fatalen Neigungen eine Abfuhr erteilen:

Perfektionismus im Banalen, belehrendes Gehabe, lustvolle Hierarchiegläubigkeit, verbiesterte Humorfeindlichkeit und: die Geringschätzung von Schönheit und Überfluss.

Die Kunst Bachs kann bei diesem Heilungsprozess helfen, meine ich. Wie das geht, zeigt uns das Ensemble „Netherlands Bach Society“ anhand der weltlichsten Komposition des Meisters aus Eisenach bzw. Leipzig überhaupt – der „Kaffeekantate“ (BWV 211).

Hier tritt uns Bach bei aller Genialität als Menschenfreund und augenzwinkernder Beobachter gegenüber – und das auf zeitlose Weise, wie uns diese Musiker mit Freude vorspielen:

Wem die Eingangsarie des Herrn „Schlendrian“ zu anstrengend ist, obwohl es darin um zeitlose Probleme von Vätern mit ihren Kindern geht, mag zu 5:00 Min. springen. Dort kommt alsbald die Tochter zu Wort, die ausgiebig ihre Kaffee-Leidenschaft schildert.

Und wenn Sie bis zum Schluss durchhalten, werden Sie erfahren, wie alt die Redewendung „Die Katze lässt das Mausen nicht“ ist (ab 23::30 min).

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Käpt’n Nemo hätt’s gemocht: Ein Cyclecar um 1920

Keiner weiß genau, wie es geschah, doch als ich in die Schule kam, konnte ich schon lesen. Irgendwie muss ich meinen etwas älteren Bruder so lange genervt haben, bis er mich an seinem neu erworbenen Grundschulwissen teilhaben ließ.

Jedenfalls hatte ich schon als kleiner Bub in der Familie den Ruf als Leseratte weg. Das machte es leicht, mir etwas Passendes zu schenken: Bücher mussten es sein, Thema egal! Ob wilde Tiere, Dinosaurier, der Kosmos, Geografie, Erdgeschichte, das alte Ägypten, Raketen oder das römische Imperium – mich interessierte so ziemlich alles.

Unerheblich war auch die Form, ob Sachbücher, Märchen, Romane, Gedichte, Sagen oder Epen – ich saugte beinahe alles im elterlichen Bücherschrank auf wie ein Staubsauger.

Die übliche Karl May-Lektüre gab mir nichts, dafür entdeckte ich früh meine Leidenschaft für die Romane von Jules Verne – dort ging es ebenfalls abenteuerlich zu, aber verbunden mit technischen Schöpfungen raffiniertester Art.

Das wich zwar später einer Phase intensiven Interesses an Science Fiction von Autoren wie Stanislav Lem etwa. Doch eines habe ich nie vergessen: Das Unterseeboot „Nautilus“ von Kapitän Nemo – die weitsichtigste Schöpfung von Jules Verne. Es gibt sogar einen Wikipedia-Artikel zu seinen „Features“.

Auch die schillernde Figur von Käpt’n Nemo hat Spuren in meiner Erinnerung hinterlassen. Er wurde als eine Person mit widersprüchlichen Seiten beschrieben – hochgebildet, kultiviert – dann wieder eiskalt und grausam. Das unterscheidet rein unterhaltenden Gemütskitsch von Literatur, in der man etwas über den Menschen als solchen erfährt.

An Nemo und die Nautilus musste ich heute abend denken, als ich mich mit einem Foto befasste, das mir in digitaler Form Leser Klaas Dierks übersandte:

unidentifiziertes Cyclecar um 1920; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

In dem Augenblick, in dem ich das Bild hier einstelle, durchfährt mich eine Idee, was die Identität des Wagens angeht. Eventuell hat mir eine fleißige Instanz im Hinterkopf gerade die Lösung auf dem virtuellen Tablett serviert.

Sollte ich nun den heutigen Eintrag umschreiben? Nein, denn dann wäre es schade um die Einleitung. Also, nehmen Sie jetzt quasi in Echtzeit an meiner Analyse dieser Aufnahme teil.

An das Uboot Nautilus ließ mich die Form der Karosserie denken, auch wenn dieser Wagen eher rückwärts fahren müsste, um von seiner Gestaltung zu profitieren. Es bleibt jedenfalls der Eindruck eines irgendwie futuristisch wirkenden Fortbewegungsmittels.

Dem steht zwar der monströse Gasscheinwerfer an der Front entgegen – Käpt’n Nemo war nämlich ein Freund der Elektromobilität zu einer Zeit, als auf diesem Sektor nur Techniker etwas zu melden hatten.

Doch das Teil sieht zugleich aus wie ein prächtiger Filmscheinwerfer von anno dazumal. Das passt doch ganz gut zur Vorstellung einer phantastischen Welt der Zukunft, in der es schnell und elegant zugeht und an Energie Überfluss herrscht.

Vielleicht wurde dieser Wagen tatsächlich für einen Film zurechtgemacht, der in der Zukunft spielt. Um 1920, als diese Aufnahme entstand, waren solche Gas-Scheinwerfer zwar technisch von gestern, aber sie machten optisch mehr her als diese neuen Elektrolaternen.

Vielleicht aber sehen wir auch bloß einen Filmmogul jener Zeit, der sich einen modern wirkendend offenen Zweisitzer auf Basis eines Vorkriegsgefährts hatte schneidern lassen.

Möglich, aber aus meiner Sicht unwahrscheinlich. Denn dieser Wagen entspricht ziemlich genau typischen Cyclecars aus der Zeit direkt nach dem 1. Weltkrieg. Das betrifft nicht nur die minimalistischen Kotflügel, sondern vor allem die Cantilever-Hinterachse.

Gemeint ist damit die Hinterrad-Federung mittels einer am Rahmen fixierten halbierten, nach hinten auskragenden Blattfeder – ein Element, das man oft an sportlichen Kleinwagen jener Zeit findet. Über die Vorteile dieser Lösung weiß uns sicher ein Leser aufzuklären.

Mein 1921er EHP Cyclecar verfügt ebenfalls darüber:

EHP Voiturette von 1921; Heckpartie mit Cantilever-Blattfeder

Auch er wurde nach meinen Recherchen original noch mit Gasscheinwerfern ausgeliefert, wie das bei einfachen Wagen kurz nach dem 1. Weltkrieg für kurze Zeit noch üblich war.

Damit hätten wir also eine zeitliche Einordnung – soviel ist klar. Was nun den Hersteller angeht, sagte mir mein Bauchgefühl, dass wir es auf dem Foto von Klaas Dierks mit einem französischen Cyclecar zu tun haben.

Dazu scheint mir auch das Profil des Fahrers mit prächtiger Adlernase zu passen, wie sie sich rechts des Rheins eher selten findet. Doch auch Kapitän Nemo, der angeblich indischer Abstammung war, ist hier aus physiognomischer Sicht nicht auszuschließen.

Ihm hätte dieses Gefährt sicher gefallen, doch seine Vita sah keinen Landgang in Europa vor, wenn ich mich recht erinnere. Es muss sich also bei diesem Nautilus auf vier Rädern um etwas anderes handeln als Käpt’n Nemos bodenständigen Flitzer.

An dieser Stelle möchte ich auf meinen zwischenzeitlichen Geistesblitz zurückkommen. Haben wir es hier angesichts des markanten Kühlerprofils und der daran anschließenden Haubenpartie möglicherweise mit einem Sizaire-Naudin zu tun?

Der französische Hersteller baute bis 1921 solche leichten Sportwagen mit potenten 2,3 Liter-Motoren von Ballot, aber zuletzt wohl auch eine Voiturette in der 1 Liter-Klasse.

Könnte es sein, dass hier zwar nicht die Nautilus, aber ein für Käpt’n Nemo durchaus angemessenes Gefährt für eine heimliche Landpartie aufgetaucht ist?

Und wenn Sie es auch nicht genau wissen, erzählen Sie ruhig, was Ihnen sonst zu dem Wagen, zu Jules Verne, Nautilus und Co einfällt. Ich erfahre gern, wie meine Leser ticken.

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Heute macht KI (die) Geschichte: Ein REO von 1927

Die Story, die Sie hier zu lesen bekommen, wird anders ausfallen, als sie es gewohnt sind.

Ohnehin schreibe ich ja bloß, was mir spontan in den Sinn kommt, wenn ich mich mit Vorkriegsautos auf alten Fotos befasse. In einem Blog ist der Verfasser Chefredakteur, Verleger und wichtigster Adressat in Personalunion.

Dass Dritte mitlesen können, ist überwiegend der Annahme geschuldet, dass ein Thema auch andere Zeitgenossen interessiert und einige davon wertvolle Details beizusteuern vermögen oder manches schlicht besser wissen als ich.

Heute haben wir aber einen Fall, bei dem ich weniger darauf setze, dass mir ein Leser augenöffnende Hinweise gibt oder kongeniale Kommentare verfasst. Vielmehr will ich mich dem Dauerthema Vorkriegsautos diesmal aus ganz anderer Richtung nähern.

Dabei geht es nebenher um die Frage, was eine revolutionäre technische Innovation ausmacht. Dass ich das Automobil für jedermann für die gesellschaftlich umwälzendste Neuerung des 20. Jh. halte, das dürfte bekannt sein.

Die Einführung des Computers machte sich damals im Alltag der meisten noch nicht in einer völlig veränderten Arbeits- oder Lebensweise bemerkbar – dies ist erst seit der Verbreitung von Internet und Mobilgeräten ab 2000 der Fall.

Wie im Fall des Autos ist die massenhafte praktische Umsetzung in für jeden bezahlbarer und einfach zu beherrschender Form so gut wie ausschließlich kapitalistisch agierenden Firmen in den Vereinigten Staaten zu verdanken.

Man darf über den ausgeprägten Erwerbssinn der verantwortlichen Unternehmer ruhig aus moralisch überlegener europäischer Perspektive herziehen – man sollte aber dazu schon deren Erfindungen nutzen, wenn man auch vom Publikum bemerkt werden möchte…

Die inzwischen völlige Bedeutungslosigkeit des Alten Europa in Sachen High-Tech ist auch auf einem Feld zu beobachten, dessen Folgen manchem noch nicht gegenwärtig sein dürften. Gemeint ist die sogenannte Künstliche Intelligenz (KI) – ein angreifbarer Begriff aus Sicht derer, die nur auf der Wortebene produktiv sind, aber inhaltlich nichts zu bieten haben.

Natürlich ist die KI nicht in dem Sinne intelligent, wie wir Menschen es zu sein meinen (wobei das bisher keiner wirklich versteht). Es gibt bei KI-Anwendungen keine „frei“ mit Informationen umgehende, diese „frei“ interpretierende und „frei“ aufbereitende autonome Instanz.

Wenn Sie sich im Netz etwa mit dem Algorithmus von „ChatGPT“ unterhalten, können Sie sich Höflichkeitsfloskeln sparen, auch wenn er diese „versteht“. Befehle reichen völlig.

Dahinter verbirgt sich reine Mathematik, welche Sprache und andere Informationen in rechnerisch verarbeitbare Formeln umwandelt und diese digitalisiert, was Reaktionsgeschwindigkeit, Energiebedarf sowie Fähigkeiten und Limitierungen erklärt.

Heute bekommen Sie am Beispiel des folgenden Fotos vorgeführt, was das in der Praxis bedeutet. Dabei bringen wir Technologie von vor 100 Jahren mit derjenigen der Gegenwart zusammen und lassen uns überraschen, was dabei herauskommt.

Sind Sie bereit für eine solche Tour der besonderen Art? – Gut. Los geht’s:

REO von 1927; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieses Winterfoto einer US-Limousine aus den späten 1920er Jahren wollte ich schon seit einiger Zeit im Blog bringen, doch die Inspiration zu einer passenden Story stellte sich nicht ein.

Nur ein naheliegendes Wortspiel, das an den Markennamen anknüpft, schlug mir mein Gehirn vor. Mit diesem Fragment ließe sich etwas anfangen, dachte ich mir, aber eine passende Geschichte einfallen wollte mir nicht.

Bevor wir dazu kommen, auf welchen Ausweg ich verfiel, ein paar Anmerkungen zu dem Auto auf dem Foto. Ich hätte es wohl auch mit einer automatisierten Bildersuche im Netz herausgefunden, daran dachte ich aber noch nicht.

Auf die gute alte Tour kam ich zum Ergebnis. Das Nummernschild verwies schon einmal auf ein US-Modell und diverse Gestaltungselemente – darunter die Doppelstoßstange – sprachen für einen Wagen der zweiten Hälfte der 1920er Jahre.

Da ich die eigenwillige Form des Kühlergehäuses nicht kannte, war klar, dass ich nicht bei den üblichen Verdächtigen aus den USA suchen musste (damit kam auch meine eigene US-Markengalerie nicht in Betracht).

Irgendwie kam ich nach einer Weile auf die Lösung und landete beim REO des Modelljahrs 1927. Hinter dem Kürzel verbergen sich die Initialen eines gewissen „Ransom Eli Olds“ – der mit seinem 1900 entwickelten Oldsmobile früh international für Aufsehen gesorgt hatte.

Auch in deutschen Landen waren seine Reklamen damals oft zu finden, bevor hier an einen leichten und „relativ“ günstigen Großserienwagen auch nur zu denken war:

Oldsmobile-Reklame aus „Die Woche“, Nr 23, Juni 1905; Sammlung Michael Schlenger

Allerdings gefiel den „gierigen“ Hauptaktionären der Firma nicht, dass R.E. Olds keine Notwendigkeit sah, den Zeichen der Zeit zu folgen und sein inzwischen veraltetes Standardmodell „Curved Dash“ abzulösen.

Also taten sie das einzige Richtige, was sich in solchen Fällen gehört, und suchten sich kurzerhand einen neuen Unternehmenslenker.

Bei R.E.Olds sorgte dieser Tritt in den Allerwertesten für den notwendigen Erkenntnisfortschritt – denn ab 1904 brachte er unter der Marke REO Motorcar zeitgemäße Automobile heraus.

1912 übergab er das Unternehmensruder anderen und die nach ihm benannte Firma blieb bis weit in die 1920er Jahre profitabel.

Das eingangs gezeigte Foto zeigt das 1927 eingeführt Modelle REO „Flying Cloud“ mit 6-Zylindermotor und rund 70 PS Leistung. Leider ist nichts zu dem abgebildeten Wagen, seinen Besitzern und der Örtlichkeit überliefert.

So verfiel ich auf die Idee, die KI in Form von „ChatGTP4“ mit der passenden Geschichte dazu zu beauftragen. Ein detailliertes Briefing (sehr wichtig) resultierte dann in dieser Story:

Kapitel 1: Entdeckung im Verborgenen

In der weiten Landschaft Montanas kaufte der Architekt Simon eine verlassene Farm, deren verwitterte Zäune und zerbrochene Fensterläden von längst vergangenen Tage kündeten. Im Herzen des alten Bauernhauses, dessen Holzböden unter jedem Schritt knarrten, fand Simon während der Renovierung einen alten Büroschrank. Eine Schublade des Schranks barg ein altes vergilbtes Foto. Es zeigte ein Auto der Marke REO, aufgenommen im Winter auf einer verschneiten Landstraße. Hinter dem Autofenster war eine schemenhafte Gestalt erkennbar, die uns geheimnisvoll zu betrachten scheint.

Kapitel 2: Verschwinden von Elizabeth

Das Foto war auf 1927 datiert und zeigte der Beschriftung nach eine gewisse Elizabeth. Sie lebte allein auf dieser Farm, war für ihr Selbstbewusstsein bekannt und einige Mal in Auseinandersetzungen mit Nachbarn verwickelt, hauptsächlich Landrechte betreffend. An einem bitterkalten Wintertag desselben Jahres verschwand Elizabeth spurlos. Ihr REO wurde Tage später verlassen gefunden, Fußspuren im Schnee verloren sich im Nichts. Die lokale Polizei ließ das Auto abtransportieren, später wurde es von einem ortsansässigen Farmer erworben. Elizabeth wurde nie wieder gesehen. Ihre Erben hatten kein Interesse an dem Anwesen und ließen es verkommen.

Kapitel 3: Eine neue Spur

Jahrzehnte später fand unser frischgebackener Farmbesitzer Simon in einer alten Scheune auf dem verlassenen Nachbargrundstück den REO. Der Lack war matt geworden, das blanke Metall verrostet, einige Teile fehlten. Aber es war zweifellos der Wagen aus Elisabeths letztem dokumentierten Moment. Unter der Rückbank entdeckte Simon alte Briefe an die Schwester, die darauf hindeuteten, dass Elisabeth geplant hatte, den Ort zu verlassen, um den dauerhaften Konflikten und einer angedeuteten Gefahr zu entkommen.

Simons Nachforschungen ergaben, dass Gerüchten zufolge ein Nachbar, ein Mann mit dunklem Ruf, in ihr Verschwinden verwickelt war. Obwohl er damals verdächtigt wurde, konnten nie Beweise gegen ihn gefunden werden. „In dubio pro reo“, dachte Simon, als er die alten Polizeiakten durchging – „Im Zweifel für den Angeklagten“. Dabei kam ihm ein Gedanke…

Entschlossen, das Andenken an Elizabeth zu bewahren und das Rätsel ihres Verschwindens weiter zu erkunden, entschied sich Simon, den REO zu kaufen und zu restaurieren. Er hoffte, dass die Wiederherstellung des Autos und weitere Nachforschungen irgendwann Licht in das Geheimnis ihres Verschwindens bringen würden…

Hier haben wir den Wagen übrigens, wie ihn Simon in der Scheune vorfand:

Von ChatGTP4 erzeugtes Foto eines „REO“-Scheunenfunds

Moment mal, werden Sie jetzt denken: Der Kühler des REO auf dem Foto mit „Elizabeth“ am Steuer war doch anders gestaltet, auch die Positionsleuchten befanden sich anderer Stelle.

Völlig richtig. Es gab den REO „Flying Cloud“ auch nicht mit den hier zu sehenden Drahtspeichenrädern. Kenner werden zudem bemerken, dass kein REO jemals einen so plumpen Markenschriftzug auf dem Kühler trug (mehr dazu hier).

Dieses Foto hat „ChatGTP“ nach meinen Vorgaben fabriziert. Dabei hat es als Grundlage stilistische Elemente ähnlicher US-Wagen jener Zeit verwendet, die Ähnlichkeit mit dem Model A Ford und anderen zeitgenössischen Großserienautos aufweisen.

Bilder solcher Vorkriegs-„Scheunenfunde“ in den USA gibt es ohne Ende und anhand solcher wurde ChatGTP offenbar zum Zweck der Kombination von Begriff und Bild trainiert. Das Ergebnis kommt meinen Anforderungen nach mehreren Versuchen am nächsten. Im ersten Versuch bekam ich eine ähnliche Aufnahme angeboten, deren schrägstehenden Kühler ich aber monierte.

Diese Kritik wurde sprachmäßig verstanden, nicht umgesetzt wurde dagegen meine wiederholte Anforderung, dass ein Scheinwerfer fehlen sollte. Es war für diese spezielle Situation also keine passende Bildbasis vorhanden, die genutzt werden konnte.

Dennoch ist das Ergebnis beachtlich, weil Zeit, Stil und Umstände passen. Das Beste aber ist die oben erzählte Geschichte in drei Kapiteln, sie habe ich zu 90 % von ChatGTP übernommen.

Jetzt wissen wir auch, dass der Berufsstand des Krimi- oder Gespenstergeschichten-Erzählers akut bedroht ist. Denn die KI (hier in Form von ChatGTP) kann den immer gleichen Stil mit den immer gleichen Elementen mühelos simulieren und beliebig variieren.

Auch mittelmäßig begabte Dichter können jetzt einpacken, denn die Story von dem REO kann von der KI binnen weniger Sekunden in poetischer Form aufbereitet werden:

I. Der Fund
Unter’m matten Holz des Schranks,
Verborgen liegt ein Bild, vergilbt und blass,
Darauf ein REO im Schnee, eine Gestalt hinter Glas.
Durch den Vorhang der Zeit hindurch blickt Simon,
Gebannt vom Geheimnis längst verblasster Spuren.
Umgeben von kalten Mauern in Montana.

II. Elisabeths Flucht
Eine stolze Gestalt, dort hinter’m Steuer,
Elizabeth, mit soviel Leben in den Augen.
Ihr Geist war weit und wild wie das Land,
In des Winters Kälte verschwand sie spurlos.
Die Nachbarn schwiegen finster, ihr Blick aus Eis,
Zurück blieb bloß der Wagen, stumm und starr im Schnee.

III. Wiederkehr
Jahrzehnte später, unter Schichten vom Staub der Zeit,
Entdeckt Simon das Gefährt, ein Echo der Vergangenheit.
Alte Briefe, unter’m Sitz versteckt, bergen Geheimnisse.
Eine Frau, die zu fliehen trachtet, ein Mann, der sie besitzen will.
„In dubio pro reo“, denkt Simon, gewahr des alten Grundsatz.
Er kauft den Wagen hoffend, die Wahrheit zu ergründen…

Das ist doch herrlicher Kitsch, nicht wahr? Gewiss, aber locker auf dem Niveau eines durchschnittlich in Schriftstellerei Begabten.

Das ist der Stand der Technik, liebe Leser, was den aktuellen Umgang mit Sprache durch KI betrifft. Ihre Standardbriefe ans Amt, Beschwerden und Bewerbungen, Glückwunschbriefe an die Schwiegermutter können Sie sich jetzt im Grundsatz entwerfen lassen, wenn sie mögen.

Ein paar Anpassungen und Details – fertig ist die Laube. Das Ganze ist weniger Bedrohung denn Gelegenheit, so wie einst das Automobil die Welt der Kutscher und Pferdezüchter erst in Frage und dann in produktiver Form auf den Kopf stellte.

Nicht vorenthalten möchte ich Ihnen, was die KI auf meine Anforderung binnen Sekunden als Bild des von „Simon“ restaurierten REO ablieferte. Tatsächlich sitzt hier auch wie bestellt die selbstbewusste „Elizabeth“ am Steuer, zudem steht auf dem Kühler „REO“.

Von ChatGTP4 erzeugtes Foto eines „REO“

Nur meiner Forderung nach Anpassung der Kühlerform und Wegfall der vertikalen Streben in demselben wollte ChatGPT partout nicht nachkommen. Egal.

Man sieht daran gut, wie das Ganze funktioniert. Geliefert wird stets eine bestmögliche Annäherung, aber ein „WünschDirWas“ perfekt auf den Punkt ist (noch) nicht verfügbar.

Vielsagend auch die bei US-Fahrzeugen untypische Scheinwerferanordnung und die bizarre Positionierung der Scheibenwischer. „Elizabeth“ amm Steuer hat aber etwas, oder?

Verstanden im Sinn kritischer und kreativer Überlegung wird von der KI also nichts – aber in Zukunft werden immer bessere Mustererkennungen und darauf basierende Umsetzungen und Variationen möglich sein.

Das war die eingangs erwähnte unerwartete Botschaft meines heutigen Blogeintrags. Man muss sich früher oder später mit dem Thema KI auseinandersetzen, um seine Funktion, seine phänomenalen Möglichkeiten und seine evidenten Grenzen zu verstehen.

Eines noch: Wer die KI nur als Gefahr empfindet, darf sich stattdessen aufgerufen fühlen, die eigenen Kompetenzen daran zu schärfen, sich auf andere (unangreifbare) Felder zu verlagern oder – das wäre ja mal etwas Neues hierzulande – selbst daran mitzuarbeiten…

Wer indessen seine Schäfchen im Trocknen hat, mag sich zurücklehnen und sich denken: Was gehen mich die KI und „Simons“ Fund eines 1927er REO an?

Nun, hier ist er nun tatsächlich im Fundzustand, besser und realer geht’s nicht…

Unrestaurierter 1927er REO; Quelle: Classic Auto Mall, Morgantown, Pennsylvania (USA)

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Wagenden winkt der Weg gen Walhall: Hanomag „Garant“

Wer im Titel eine Anspielung an den Komponisten Richard Wagner wähnt, wagt wahrlich wenig.

Denn des Großmeisters der deutschen Romantik Neigung zu Alliterationen in den Texten zu seinen Werken – also aufeinanderfolgenden Wörten mit gleichem Anklang – ist unter Wissenden weithin während – und entsprechend leicht zu persiflieren.

Auf der Woge von Wagner über Wagen nach Walhall ist somit leicht zu surfen, wenn mir diese flapsige Wortwahl erlaubt ist.

Damit wir uns recht verstehen: Wagners Musik gehört für mich zu den wenigen singulären Großtaten deutscher Kultur – neben der Kunst von Bach und Dürer sowie der Bibelübersetzung Luthers und Goethes Faust.

Nicht zufällig finden sich diese Urheber in dem Bau wieder, um den es heute zumindest im Hintergrund geht – der „Walhalla“ an der bayrischen Donau. In dem klassizistischen Bau von Anfang des 19. Jahrhunderts sollten Größen aus dem (weitgefassten) deutschen Sprachraum einen Tempel zur Andacht finden.

Doch bevor wir uns der Walhalla nähern, möchte ich an ein Fahrzeug erinnern, das aufgrund seines bodenständigen Charakters von vornherein keine Chance hatte, in das Museum grandioser Germanen (und solcher, die man dafür hielt) aufgenommen zu werden.

Die Rede ist vom Hanomag „Garant“ – einem biederen Vierzylinderauto der unteren Mittelklasse, welches der Hersteller aus Hannover von 1934 bis 1938 fertigte. Mit 23 PS aus 1,1 Litern Hubraum war er ein direkter Konkurrent des Fiat 508 4m, dem er auch von Abmessungen und Erscheinungsbild zumindest ähnelte.

Hier haben wir die Ausführung des Hanomag „Garant“ als Cabrio-Limousine von 1935/36:

Hanomag „Garant“ Cabrio-Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Gegenüber den beeindruckenden Produktionszahlen des Fiat 508 4m mit über 70.000 Exemplaren (1934-37) blieb der Hanomag eher selten (ca. 12.000 Stück von 1934-38).

Doch bisweilen findet sich ein Foto eines dieser Fahrzeuge, die meines Wissens keinen internationalen Absatz fanden – eine Schwäche in einem noch unterentwickelten Heimatmarkt. DKW zeigte damals, wie man es besser macht.

Bei Hanomag hatte der Bau von PKWs allerdings generell nicht die Bedeutung wie bei anderen Herstellern. Die Nischenexistenz spiegelt sich im Fall des „Garant“ auch in der Abkehr von den Ganzstahl-Karosserien von Ambi-Budd wider, die 1935 einem von Karmann gefertigten Manufakturaufbau als Cabrio-Limousine wichen.

Diese kam anfänglich noch mit einem angesetzten Kofferraum daher, welcher auf diesem Foto zu erahnen ist:

Hanomag „Garant“ Cabrio-Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Diese Gestaltung der Heckpartie wich 1936 einer harmonischen Ausführung mit integriertem Kofferraum und gekonnt abfallender Linienführung – damals auch als Stromlinienheck bezeichnet.

Entsprechende Aufnahmen scheinen nach meiner Wahrnehmung allerdings Seltenheitswert zu haben.

Erst beim Studium eines Fotos, das ich vorrangig aufgrund der Szenerie erworben hatte, ging mir auf, dass hier genau so ein Wagen auf dem Weg gen Walhall zu sehen ist:

Hanomag „Garant“ Cabrio-Limousine (Karmann); Originalfoto: Michael Schlenger

So wirkungsvoll diese Aufnahme mit der „Walhalla“ im Hintergrund auch gestaltet ist, leidet sie doch unter den Mängeln derselben.

Ein weißer Marmorbau passt nun einmal nicht so gut vor eine deutsche Waldkulisse wie das Vorbild – der Parthenon-Tempel in Athen – auf die dortige Akropolis. Auch leidet die Wirkung der Walhalla unter der überdimensionierten Treppenanlage davor – sie lässt den Tempel in Relation unverdient klein erscheinen.

Was die Architekten Anfang des 19. Jahrhunderts zudem mangels eigener Anschauung nicht wussten, war der Umstand, dass die klassischen Tempel der Antike ihre Spannung aus der gezielten Abweichung von der Geraden in der Horizontalen wie der Vertikalen bezogen.

Die beeindruckendste Partie der Walhalla ist ohnehin der Innenraum mit einer vom kühlen Weiß abweichenden Farbfassung – man muss das gesehen haben.

Warum man bei der Bezeichnung dieses Tempels ausgerechnet auf die „Walhall“ der nordischen Tradition Bezug nahm, in der es weniger erhaben zuging und die germanischen Helden sich mit Bier und Wurst die Zeit vertreiben mussten, erschließt sich mir nicht.

Aber dieser ganze Germanenkult ging ohnehin nie an mich und als Freund der klassischen Antike finde ich die Verehrung haufenweise germanischer Barbarenführer in der Walhalla verstörend, die außer Zerstörung der Welt der Antike nichts Bleibendes zustandebrachten.

Genug davon, das deutsche Gemüt scheint zwischen primitivem Gefolgschaftsdenken und destruktivem Ausbreitungsfuror einerseits und der großbürgerlichen Sehnsucht nach der wohltemperierten Grandiosität mittelmeerischer Tradition nie eine Balance gefunden zu haben.

Dieses Problem gilt es aber heute auch nicht zu lösen – also zurück zum Ausgangspunkt:

Während ich die Zulassung dieses Wagens nicht ermitteln konnte – nur Oberbayern als Region ist gesichert – konnte ich der Identität von Hersteller und Typ auf die Spur kommen.

Das erste Indiz lieferte die Gestaltung der Stoßstange mit „Mittelrippe“ in Verbindung mit dem Scheibenrädern und Chromradkappen. Viele Kandidaten kommen da nicht in Betracht und rasch landete ich beim „Garant“ aus dem Hause Hanomag.

Die schön gestaltete Heckpartie hatte ich bis dato noch nie an dem Modell gesehen, aber in Verbindung mit der für meine Begriffe in Bild und Detailtiefe etwas sparsamen Literatur zu Hanomag-PKWs gelangte ich alsbald ans Ziel.

Indessen muss dem Wagen der finale Einzug nach Walhall versagt bleiben, denn dieser ist nur dem wirklich alles Wagenden verheißen – außerdem den Walküren, die der germanischen Sage nach im Kampf gefallene Recken zu ihrem Altersruhesitz brachten…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Der letzte seiner Art? Adler „Primus“ von 1932

Wir leben wieder in Zeiten, in denen Altes Neuem weicht. Die Karten werden auf vielen Ebenen neu gemischt – unangreifbar scheinende Champions werden binnen kurzem abgehängt oder nehmen sich in Selbstgenügsamkeit aus dem Rennen.

Liebgewonnene Denkschemata und Freund/Feind-Bestimmungen werden durch neue Gegebenheiten und Frontlinien abgelöst. Wer in den Kategorien und Methoden von gestern verhaftet bleibt, mag sich noch eine Weile über Wasser halten, wird aber früher oder später dynamischeren und vitaleren Kräften weichen.

Das ist der Gang der Geschichte – in unseren Gefilden nur durch die Erstarrung im Kalten Krieg eine Weile aufgehalten.

Doch spätestens mit der IT-Revolution ab 2000 zeigt sich zunehmend: Wer bisher der Klassenprimus war, mag sich in der rauen Wirklichkeit des Wettbewerbs bald abgehängt sehen, wenn er die Zeichen der Zeit nicht erkennt oder schlicht abgewirtschaftet hat.

Solche Phasen geben Anlass zur Melancholie – man lässt Gewohnheiten ungern gehen – doch zugleich eröffnen sich mit einem Mal Räume, die großen Reiz entwickeln können, wenn man im Kopf beweglich bleibt und sich selbst neu zu erfinden weiß.

Die Kutscher mussten nach 1900 über kurz oder lang das Chauffeurs-Handwerk erlernen. Kaum waren angestellte Fahrer etabliert, wurden sie ab 1920 selbst Opfer des Fortschritts – wer auf Zack war, wurde dann Fahrlehrer, eröffnete eine Werkstatt oder ein Autohaus.

Eine der wenigen deutschen Automarken, die alle Umbrüche ab der Jahrhundertwende mitmachten und sich bis zum 2. Weltkrieg unter dem Druck des Markts immer wieder erfolgreich neu zu orientieren zu verstanden, war „Adler“ aus Frankfurt am Main.

Anfang der 1930er Jahre sah sich der Traditionshersteller ebenso wie seine Kunden einem rapiden Wandel in der Welt des Automobils gegenüber. Gleich mehrere Tendenzen zeichneten sich ab, ohne dass sicher war, welche davon den Weg in die Zukunft wies:

Der neue Frontantrieb forderte den Status quo ebenso heraus wie die Idee, Karosserien windschnittiger und zugleich geräumiger zu gestalten. Straßenlage und Fahrkomfort gewannen immer mehr an Bedeutung, und das Einsteigerauto sollte endlich familien- und reisetauglich tauglich werden, wie das in den USA längst der Fall war.

Interessant zu sehen ist, dass etliche Hersteller auf diese neue Gemengelage dadurch reagierten, dass sie Tradition und Moderne gleichermaßen Raum gaben und damit einer gespaltenen Kundschaft gerecht zu werden suchten.

Im Fall von Adler konnte das noch anno 1932, als man bereits das moderne Frontantriebsmodell „Trumpf“ anbot, so vollkommen konservativ aussehen wie hier:

Adler „Primus“ von 1932; Originalfoto: Michael Schlenger

Das könnte doch glatt ein Adler „Favorit“ sein – entwickelt Ende der 1920er Jahre – und bis in die frühen 30er mit etwas modernisierten Formen weitergebaut.

Nur die kompakte Bauweise als zweitürige Limousine, die einfache Stoßstange und das neugestaltete Adler-Emblem auf dem Kühler verraten, dass wir es mit einem 1932 neu eingeführten kleineren Modell zu tun haben – dem „Primus“ mit 1,5 Liter-Vierzylinder.

Wieso Adler ausgerechnet dieses traditionelle Gefährt mit Heckantrieb und 20er Jahre-Optik als „Klassenbesten“ anpries, erscheint schwer verständlich. Vielleicht dachte man, dass es nicht schaden kann, ein so konservatives Angebot dem Namen nach aufzuwerten.

Tatsächlich ging das Kalkül auf und bis 1936 blieb der Primus im Programm. Allerdings wurde der identisch motorisierte Adler „Trumpf“ mit Frontantrieb weit öfter verkauft, obwohl er nicht über die Hydraulikbremsen des „Primus“ verfügte. Womöglich wollte Adler damit dem Hecktriebler etwas Rückenwind geben.

Während das Spekulation bleiben muss und auch egal ist, wenn man Vorkriegswagen aus vorwiegend ästhetischer Sicht betrachtet, ist eine Sache es wert, festgehalten zu werden.

Der Adler Primus wurde nämlich nur im Jahr seines Erscheinens, also 1932, mit dem klassischen Flachkühler angeboten, der perfekt zu der konservativen Erscheinung passt.

Adler „Primus“ von 1932; Originalfoto: Michael Schlenger

In dieser Ausführung war der Primus zwar dem Namen nach der „Erste“, aber von der Form her der letzte seiner Art. Adler sollte ab 1933 keinen Wagen in dieser klassischen Optik mehr bauen.

Das mag in Verbindung mit den gegenüber dem Fronttriebler „Trumpf“ weit geringeren Stückzahlen dazu beigetragen haben, dass der „Primus“ von 1932 kaum noch bekannt ist.

Dabei war der Wagen genau in dieser Form noch einmal perfekter Ausdruck des Stils der 1920er Jahre, den amerikanische Gestalter perfektioniert hatten. Hier wird nämlich im Kleinformat ein letztes Mal die klassische Frontpartie des Cadillac von 1928 zitiert:

Adler „Primus“ von 1932, Nachkriegsaufnahme; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dem repräsentativen Eindruck keinen Abbruch tut weder die mitgenommmene Stoßstange noch der aus dem 2. Weltkrieg übriggebliebene „Notek“-Tarnscheinwerfer auf dem Kotflügel.

Dieser „Primus“ hatte die Umbrüche jener Zeit einigermaßen intakt überstanden, und auch wenn er inzwischen völlig von gestern war, löste er für seine Besitzer immer noch das zentrale Versprechen des Automobils ein: Herrscher über Zeit und Raum zu sein.

Ich würde diese Aufnahme grob auf „späte 40er Jahre“ datieren, tue mich aber schwer mit dem Nummernschild. Offensichtlich handelt es sich nicht um eines der damals in Deutschland üblichen Besatzungskennzeichen, aber was ist es dann?

Dass jemand im einst von deutschen Truppen besetzten Ausland nach dem Krieg noch die an unselige Zeiten erinnernde Tarnlaterne beibehalten hätte, fällt mir schwer vorzustellen.

Könnte das ein Kennzeichen aus der Zeit der Neuordnung des Nummernschildwesens ab 1948 sein? Für Hinweise bin ich dankbar – dann bitte die Kommentarfunktion nutzen.

Mich beschäftigt und begeistert unterdessen mehr die zweite Aufnahme desselben Wagens:

Adler „Primus“ von 1932, Nachkriegsaufnahme; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

So wie der Adler mit Heckantrieb, 20er Jahre-Look und Tarnscheinwerfer formal wirklich von gestern war, wirkt auch der Herr mit Hund ganz links wie einer der letzten seiner Art.

Das bezieht sich auf sein Erscheinungsbild mit klassischer Knickerbocker-Hose und langen Strümpfen – nebenbei ein Outfit, das ich als Retro-Radler und radikaler Gegner kurzer Hosen bei Männern mit bleichem Gebein nur zur Nachahmung empfehlen kann.

Dieses Thema werde ich übrigens demnächst hier vertiefen, anhand eines Potpourris an Bildern aus dem Süden, bei dem es nebenbei auch um Vorkriegsautos geht.

Was den Adler „Primus“ betrifft, hoffe ich doch sehr, dass wir auf diesen frühen Nachkriegsfotos nicht wirklich den letzten seiner Art sehen. Einige sollte es noch geben.

So gelungen die Fronttriebler von Adler auch waren, würde ich vor die Wahl gestellt, doch dem rareren „Primus“ die Rolle als meinem „Favorit“ einräumen.

Denn so ein wirklich klassischer Vorkriegswagen ist doch die reine Freude, auch wenn es mal etwas zu basteln gibt, nicht wahr?

Adler „Primus“ von 1932, Nachkriegsaufnahme; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.