Fund des Monats: Ein „Otto“ Sportwagen von 1923

Seit ziemlich genau 10 Jahren betreibe ich diesen Blog aus reinem Vergnügen – er dient keinem anderen Zweck, als Gleichgesinnte an meiner Sicht auf die Wunderwelt der Vorkriegswagen anhand alter Fotos teilhaben zu lassen – kostenlos und werbefrei.

Der einzige Preis, den meine Leser zu zahlen haben ist der, dass es hier nicht sonderlich systematisch oder gar „wissenschaftlich“ zugeht. Ich mache und schreibe hier nur das, was mir beliebt – wer damit ein Problem hat, kann sich anderweitig orientieren.

Doch diese Zwanglosigkeit – um nicht zu sagen: Willkür – bei der Auswahl der betrachteten Objekte und der Formulierung meiner Gedanken dazu, diese Zwanglosigkeit stieß jüngst erstmals an eine Grenze.

Das sich daraus ergebende „Problem“ ließ sich jedoch auf eine Weile lösen, dass ich mit keinen Beschwerden dahingehend rechne, dass ich von meinen Prinzipien abweiche.

Im Gegenteil profitieren Sie hier und heute davon, dass ich erstmals ein bestimmtes Fahrzeug präsentieren „muss“. Ich habe tatsächlich vorhin während einer kurzen Ruhepause in liegender Position darüber nachgedacht, ob ich mich wirklich fügen will.

Besagter Zwang ergab sich als Folge davon, dass ich jüngst dieses großartige Dokument als „Rätselfoto des Monats“ präsentiert habe:

„Joswin“ alias „Otto“; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Zusammen mit dem Besitzer der Originalaufnahme – Matthias Schmidt aus Dresden – war ich der Auffassung,. dass wir es mit einem „Joswin“ der frühen 1920er Jahre zu tun haben – ein Berliner Fabrikat, das mit mindestens drei verschiedenen Sechszylindern nach dem technischen Vorbild von Flugmotoren angeboten wurde.

Dabei hatten wir uns von einer Abbildung in der 2019er Neuauflage von Werner Oswalds Klassiker „Deutsche Autos 1920-45“ dazu verleiten lassen, nicht weiter zu recherchieren.

Wir hätten es besser wissen müssen, denn bei allen Verdiensten enthält auch diese Neuauflage etliche Fehler – alte und neue. Ich sehe das entspannt, da der Vorteil einer erheblich erweiterten und weit besser bebilderten neuen Auflage überwiegt.

Zum Glück waren einige Leser hier und in meiner parallelen Facebook-Gruppe aufmerksamer und kritischer. So zeichnete sich bald ab, dass wir es in Wahrheit mit einem anderen Fabrikat zu tun haben – ebenfalls aus Deutschland und aus derselben Zeit.

So ergab sich der eingangs beschriebene Zwang, ein veritables Luxusproblem, wie Sie noch sehen werden. Denn mit der Lüftung der wahren Identität des vermeintlichen „Joswin“ ergab sich der „Fund des Monats“ praktisch von alleine.

So versuchte ich erst gar nicht, nach einem anderen Kandidaten zu suchen, sondern begriff die Gelegenheit positiv als „kairos“ – den rechten Augenblick, den günstigen Moment im Verständnis der alten Griechen.

Einer solchen Fügung unterwirft sich der kluge Mensch gerne, so sehr er auch sonst Herr des eigenen Daseins sein möchte. Also sind wir staunende Zeugen, wie sich die Metamorphose des Berliner „Joswin“ in einen „Otto“ aus Bayern vollzieht.

Betrachtete man den vorgestellten Wagen von der anderen Seite und nähme die rechte Hälfte der Motorhaube heraus, sähe er nämlich ziemlich genau wie dieser aus:

„Otto“ Sportwagen von 1923; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Neben der vollkommen identischen Silhouette des Aufbaus – wenn auch hier in schillernder Metalloptik ausgeführt – ist es die Kontour des Kühlers, die übereinstimmt und die bei einem echten Joswin tatsächlich etwas anders ausfiel.

Sie sehen nun, warum ich diese exzellente Aufnahme, die mir Leser Klaas Dierks schon von Jahren in digitaler Kopie zugesandt hatte, einfach bringen musste.

So ist also heute die Gelegenheit, die Automobile der Otto-Werke zu würdigen – viel scheint leider nicht darüber bekannt zu sein. Firmengründer war Gustav Otto – Sohn des Erfinders des gleichnamigen Motors, der bis heute unsere Mobilität maßgeblich mitbestimmt.

Gustav Otto hatte seine eigenen technischen Bestrebungen auf die Fliegerei konzentriert – er war einer der Pioniere des Motorflugs in Deutschland und baute bereits ab 1910 Flugzeuge:

Seine Firma wurde während des 1. Weltkriegs übrigens eine der Keimzelle der späteren Bayerischen Motoren-Werke (BMW), aber das nur nebenbei.

Nach dem Krieg gründete er eine neue Firma unter seinem Namen, in der neben Motorrädern und Fahrrädern für kurze Zeit – wohl nur 1923/24 – mächtige Sportwagen in geringen Stückzahlen entstanden.

Wie die Joswin-Wagen waren auch die Otto-Automobile mit großvolumigen und sehr leistungsfähigen Sechszylindermotoren ausgestattet. Woher genau sie stammten, scheint nicht bekannt zu sein.

Zu den besten Kunden der Firma gehörte offenbar Gustav Otto selbst, der laut Literatur öfters mit seiner Frau an Sportveranstaltungen teilnahm. Hier haben wir die beiden in einer anderen Ausführung des Wagens vor repräsentativer Kulisse (in München vermutlich):

Leider starb Otto schon 1926 mit nur 43 Jahren – wer weiß, was er sonst noch zustandegebracht hätte auf seinem Weg.

So endet diese Geschichte zwangsläufig vor rund 100 Jahren, doch wir lassen das wenige, was bekannt ist, staunend noch einmal anhand dieser alten Dokumente Revue passieren.

Wer weiteres Material zu den Otto-Wagen bereitstellen möchte, möge das bitte per Mail tun. Ich lade diese dann in meiner Exoten-Galerie hoch, wo ich auch einige Joswin-Dokumente einstellen werde.

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Hab(t) acht! Hupmobile Series E von 1927

In seltener Übereinstimmung mit dem sonst von mir ignorierten Zeitgeist – jedenfalls dem aktuellen – lege ich Ihnen heute dringend „Achtsamkeit“ ans Herz.

Diese wichtigtuerisch daherkommende Vokabel will das bezeichnen, was man früher so umschrieb „Passt auf Euch auf, gebt auf Euch acht, kümmert Euch um Euer Wohl, achtet auf Eure eigenen Interessen.“

Der Ansatz gefällt mir gut in Zeiten, in denen mal wieder kollektivistische Zwangsvorstellungen Konjunktur haben – leider eine regelmäßig wiederkehrende Seuche, wenn die Verheerungen des letzten Experiments in der Erinnerung verblassen.

Bloß diese sich gefühlig anschleimende Bezeichnung der „Achtsamkeit“ geht mir von jeher so auf die Nerven wie Duftkerzen oder das Kling-Klang-Klong der Windspiele, mit denen manche ihre Mitmenschen terrorisieren.

Daher plädiere ich hier und heute für die gute alte Formel „Hab(t) acht!“ – und das zugleich mit einem nicht sonderlich fernliegenden Doppelsinn.

Wie ich auf dieses Thema kam? Nun, einfach weil mich diese schöne Aufnahme darauf brachte:

Hupmobile 8 von 1927; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Sehen Sie, das sind genau die Dokumente, deretwegen hier auch viele nicht vom Autovirus befallene Zeitgenossen mitlesen. Denn ganz oft stehen bei solchen alten Aufnahmen mit Vorkriegswagen die damaligen Besitzer oder Nutzer im Vordergrund.

Das Auto war Teil ihrer Welt, ihrer Wünsche und ihres Selbstdarstellung wie außer den zweibeinigen Familienmitgliedern sonst kaum etwas anderes in ihrem Leben. Das macht aus meiner Sicht den kulturellen Rang dieser Aufnahmen aus – es sind nur selten Abbildungen rein technischer Natur.

Wie sehr sich die Dinge seither verändert haben, das sieht man nicht nur an dem grundlegend veränderten Erscheinungsbild der Menschen in der Öffentlichkeit – die meisten laufen dort inzwischen dort so herum wie zuhause kurz nach dem Aufstehen, wie im Urlaub oder – besonders kurios – wie auf einer imaginierten Expedition.

Auch die Wirkung des Automobils als ästhetisches Objekt hat sich grundlegend gewandelt – die meisten Modelle sind völlig beliebig daherkommende Nutzfahrzeuge. Vor allem an historischen Vorbildern orientierte Typen wie der Fiat 500, der Mini, der Porsche 911 oder auch das G-Modell von Mercedes sind rare Ausnahmen.

Doch selbst damit macht heute keiner mehr solche Fotos, und das hat mit den fundamental anderen Gestaltungsprinzipien von Vorkriegswagen zu tun, die solches ermöglichten:

Hupmobile 8 von 1927; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Genau das funktioniert mit den Autos der Neuzeit einfach nicht mehr. Umso mehr erfreuen wir uns an den Beispielen der Vorkriegszeit – doch gilt es heute nicht nur, sich daran zu delektieren.

Hier ist auch in besonderem Maße „Achtsamkeit“ angesagt. Denn wenn man wissen will, was für ein Auto mit Zulassung in Bayern das war, das hier als Staffage diente, dann muss man auf’s Detail achten.

Der Buchstabe „H“ auf dem Kühleremblem will zu keiner europäischen Marke passen – jedenfalls nicht was die Gestaltung der Umgebung angeht. Ob Hansa, Horch oder Hotchkiss – keiner dieser Kandidaten kam mit so einer Frontpartie daher.

Dass wir es stattdessen mit einem US-Fabrikat zu tun haben, darauf bringen uns die seitlich vor der Frontscheibe angebrachten Standlichter – bei europäischen Automobilen nach dem 1. Weltkrieg nur in seltenen Ausnahmen zu finden.

Als Kandidat lässt sich dann rasch der US-Nischenhersteller Hupmobile identifizieren, der ab 1908 Autos baute und zu den wenigen gehörte, die nie einem größeren Konzern angehörig waren.

Nach dem 1. Weltkrieg baute die von Robert C. Hupp in Detroit gegründete Firma zunächst weiterhin Vierzylindermodelle in einer Größenordnunng von einigen zehntausend pro Jahr, eher wenig nach den Maßstäben des hochentwickelten US-Automarkts, wo sich jeder ein Auto leisten konnte, der einer regelmäßigen Arbeit nachging.

1925 brachte man dann – durchaus bemerkenswert – einen 8-Zylindertyp mit über 60 PS heraus, als Serie E bezeichnet. Wer genau „acht gibt“, kann unterhalb des „H“ auf dem Kühleremblem „unseres“ Hupmobile annähernd eine „8“ erkennen:

Das ist eine bemerkenswerte Beobachtung, die das Urteil „alle Achtung!“ verdient. Denn auch wenn dieser Hupmobile von 1927 stammt, war ein Achtzylinder in der gehobenen Mittelklasse am deutschen Markt eine absolute Ausnahme.

Allenfalls einige 6-Zylindertypen brachte man unter dem enormen Konkurrenzdruck der überlegenen US-Wagen zustande, die aber nicht die Verbreitung wie die amerikanischen Originale am deutschen Markt erlangten.

8-Zylinderwagen waren bei deutschen Herstellern nur in der absoluten Luxusklasse zu finden – und das war damals vor allem eine Domäne von Horch aus Sachsen.

Man mag sich nun fragen, wie so ein Hupmobile nach Deutschland kam, aber das ist leicht zu erklären. Da die Nachfrage in deutschen Landen die Produktionskapazitäten der meist noch in Manufaktur arbeitenden lokalen Hersteller weit überstieg und die Amerikaner in vielerlei Hinsicht attraktivere, leistungsfähigere und besser ausgestattete Wagen bauten, was praktisch jede US-Marke nebenher auch bei uns aktiv.

Wer in den Staaten erfolgreich in Großserie fertigte, der konnte seine Autos auch in Europa mühelos absetzen – es gab keinen Grund an der Qualität und Leistung zu zweifeln. Wer nicht marktgerecht zu fertigen imstande war, der hatte keine Chance im Wettbewerb.

Das Beste am heute vorgestellten 8-Zylinder-Hupmobile von 1927 aber ist, dass mindestens eines der damals importierten Exemplare bei uns überlebt hat – dieses hier:

Hupmobile 8 von 1927; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Den Originalabzug verdanke ich der Großzügigkeit von Leser Helmut Kasimirowicz, der mir die Aufnahme in der berechtigten Annahme geschenkt hat, dass ich damit etwas anzufangen weiß, was auch anderen Freude macht.

Tatsächlich ist überliefert, dass dieser in der DDR am Leben gehaltene Hupmobile ebenfalls ein 1927er 8-Zylindertyp war. Denkbar, dass er schon ein Jahr früher entstanden ist oder auch ein Jahr später, das ist bei US-Modellen bisweilen nicht genau zu entscheiden.

So oder so ist das Überleben dieser Zeugen der Vorkriegszeit ausgerechnet unter den „ungünstigen“ politischen Umständen im Osten unseres Landes etwas, das mir den allergrößten Respekt abnötigt.

Während kleingeistige sozialistische Spinner an der Spitze Millionen unter ihrer Fuchtel zu halten versuchten, die vom kollektivistischen Gedanken weniger überzeugt waren, leisteten an der Basis echte Individualisten Großartiges.

Nirgends sonst in Deutschland haben soviele Vorkriegsautos die Zeiten überlebt – solche, die schon immer dort zugelassen waren und nicht erst später von Liebhabern importiert wurden.

Das war es was ich mit „Hab(t) acht“ unter anderem meinte – also, überhaupt 8-Zylinderwagen vorzuziehen, wenn man sich’s leisten kann, dann Achtung vor denen zu haben, denen wir das Überleben der raren Originale verdanken und schließlich: darauf zu achten, dass uns dieses Erbe (und einiges andere) nicht verlorengeht.

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Nur dem Namen nach ein Exot: NAW „Colibri“ 6/15 PS

Zu den ersten mir erinnerlichen Leidenschaften in meinem Leben gehörte der Konsum von Büchern über die Tierwelt – speziell über die exotischen Arten außerhalb Europas.

Da ich mit fünf Jahren bereits lesen konnte – ich hatte meinen älteren Bruder genötigt, mir das beizubringen – entwickelte ich früh ein Faible für allerlei Rekordhalter aus der Tierwelt und nervte jeden mit meinem Expertenwissen.

Auch wenn ich selbst keine Kinder habe, weiß ich daher genau, dass man in jungen Jahren alles mühelos aufsaugt wie ein Schwamm, sofern man einmal Zugang zu Wissen hat.

Aus diesem Grund halte ich die seit 50 Jahren in Deutschland von der Politik betriebene Herabsetzung der Schulstandards und die Einebnung des Leistungsprinzips für dumm und fahrlässig.

Zugegeben gehörte der Kolibri einst nicht zu meinen Favoriten, wenngleich ich noch wusste, dass die Frequenz seines Flügelschlags und seine nahezu unlimitierte Steuerung der Lage im Raum jedes menschliche Fluggerät in den Schatten stellt.

Ich habe mich aus Interesse noch einmal mit diesem Wunderwerk der Natur befasst und es bleibt auch heute dabei: Die Effizienz und die Freiheitsgrade dieses kleinen Flugobjekts aus Amerika suchen ihresgleichen in der menschlichen Sphäre. Aber gut, zu ähnlichen Ergebnissen gelangt man schon beim Studium einer Hummel im heimischen Garten.

Doch haftet dem (meist) kleinen Kolibri in besonderer Weise etwas Exotisches an und es kann nur dieser Beiklang gewesen sein, der einst die in Hameln beheimatete Norddeutschen Automobilwerke (NAW) dazu bewog, seinen Namen zu nutzen.

Das galt zunächst für das ab 1908 gebaute Modell „Colibri“ mit Zweizylindermotor und ab 1910 für den zumindest optisch ausgewachsenen gleichnamigen Vierzylindertyp – beide waren bereits exotische Gäste in meinem Blog.

Heute darf ich wieder ein prächtiges Foto des letztgenannten NAW „Colibri“ zeigen – Leser Matthias Schmidt (Dresden) hat es aus seinem Fundus beigesteuert. Nebenbei: die spektakuläre Auflösung seiner Originalscans kann ich hier nicht erreichen – das Laden der Fotos würde dann zu lange dauern.

Aber auch in komprimiertem Format macht der Wagen Eindruck, meine ich:

NAW „Colibri“ von 1911/12; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Eines muss man den NAW-Leuten aus Hameln auch nach über 110 Jahren noch lassen: die Idee mit dem Modellnamen an der Seite der Karosserie war vorbildlich.

Denn meist wurden Automobile damals aus dieser Perspektive aufgenommen, die wenig Rückschlüsse auf den Hersteller oder den Typ erlaubt – wirklich individuell war meist nur die Kühlerpartie von vorne.

Nur an die exotischen Leistungswerte des fliegenden Namensgebers kam dieser „Colibri“ nicht annähernd heran. Mit seinem 1,6 Liter-Motor und Dauerleistung von 16 PS war der NAW auf einer Linie mit dem damaligen Standard in dieser Klasse in Deutschland. Direkter Konkurrent war beispielsweise der Opel 6/16 PS.

Das soll aber nicht heißen, dass der NAW „Colibri“ nicht heute Exotenstatus genießt – sowohl in Form überlebender Exemplare in natura als auch auf historischen Fotos. So ist dieses Bild der Vierzylinderausführung erst das vierte, das Eingang in meine NAW-Galerie findet.

Leser, die weitere zeitgenössische Fotos dieses Modells beisteuern wollen – in welcher Qualität auch immer – sind ebenso willkommen wie solche, die sich vom „Fotoladen Otto Diel“ auf der vorgestellten Aufnahmen zu Nebenbetrachtungen veranlasst sehen.

Ich schätze gerade solche inspirierten Abwege bekanntlich sehr. So habe ich gerade heute gelernt, dass 2004 (also nach den Standards dieses Blogs erst gestern) der Fund fossiler Kolibris in 30 Millionen Jahren alten Schichten auch auf deutschem Boden publiziert wurde.

Der Kolibri war bei uns also schon einmal heimisch, aber vor einer so langen Zeitspanne, die alle Gegenwartsfragen lächerlich gegenstandslos erscheinen lässt.

Nachdem der Kolibri sich als Exot offenbar bewährt hat, hat der Mensch mit seinen Werken erst noch ein paar Millionen Jahre vor sich, um ähnlichen Status zu erlangen.

Ich finde diese Perspektive ausgesprochen entspannend und meine daher einmal mehr, dass die Beschäftigung mit der Vergangenheit entschieden interessanter ist als die mit der nicht nur in automobiler Hinsicht überwiegend banalen Gegenwart…

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Der reine Luxus: Fiat 514 – mit zwei Rädern…

So frugal das in der Überschrift anklingende Programm auch klingen mag – wird sich selbiges schon bald als der reine Luxus entpuppen. Vielleicht nehmen Sie sich etwas Zeit dafür, es gibt eine Menge zu sehen – speziell, wenn man sich nicht nur an Vorkriegsautos erbauen kann.

Tatsächlich liefert mir ausgerechnet der 1929 eingeführte Fiat 514 mit seinem konventionellen 1,4 Liter-Motor (28PS) die ideale Überleitung zum hemmungslosen Luxus, auch wenn man es dem Wagen hier noch nicht ansieht:

Fiat 514 Tourer; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Die schöne Aufnahme dieses Tourenwagenmodells verdanke ich Leser Matthias Schmidt. Sicher kann jemand eingrenzen, wo der Fiat 514 zugelassen war.

Alleine solche großzügig in digitaler Kopie bereitgestellten Dokumente darf man getrost als Luxus ansehen, da viele andere Sammler aus mir nicht begreiflichen Gründen Geheimnisse aus ihrem Bestand an altem belichtetem Papier machen.

Bislang war ich dem Modell 514, den Fiat als stärkeren Nachfolger des äußerst erfolgreichen 1-Liter-Typs 509 auf den Markt brachte, nur am Rande begegnet. Mit den Details nicht sonderlich vertraut wunderte ich mich daher über die Gestaltung der Räder mit einfacher Nabenkappe und frei zugänglichen Radbolzen.

Dabei hatte ich den 514 noch als Typ im Hinterkopf, der über markante Radkappen verfügte – hier hatte ich ihn erstmals anhand dieses bemerkenswerten Fotos besprochen:

Fiat 514 Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Aus gegebenem Anlass bot sich nun die Möglichkeit, der Sache etwas genauer nachzugehen. Dabei liefert das Stichwort „zwei Räder“ den Schlüssel.

Wie ich aus der in jeder Hinsicht vorbildlichen Website von Ferdinand Lanner zu Fiat-Automobilen entnehmen konnte (warum gibt es das eigentlich nicht für andere Marken?), wurde der Fiat 514 auch mit einer Luxusaustattung angeboten.

Letztere umfasste zwei seitlich montierte Reserveräder, außerdem die erwähnten wohlgeformten Radkappen. Tatsächlich fand ich beides stets in Kombination miteinander auf weiteren Fotos des 514, die ich erwerben konnte.

Hier haben wir ein in Berlin zugelassenes Exemplar, das wahrscheinlich in Deutschland seinen Cabrioaufbau erhalten hatte – in Italien kannte man diesen schwerfälligen Stil mit hoch bauender Tür nicht:

Fiat 514 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

An sich war der Fiat 514 ja Ende der 1920er Jahre als Einstiegsmodell gedacht, doch in Deutschland war damals noch jedes Auto ein Luxusgegenstand – und wer sich das leisten konnte, besaß oft auch das Kleingeld für einen Manufakturaufbau.

Der Besitzer dieses Exemplars gönnte sich sogar den Luxus gleich zweier Ausführungen – jedenfalls könnte man auf die Idee kommen, wenn man das identische Nummernschild zugrundelegt:

Fiat 514 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Was soll man davon halten? Nun, beim ersten Foto ist als Aufnahmedatum das Jahr 1937 überliefert – gut möglich, dass man dem Fiat nach etlichen Jahren eine neue Lackierung spendierte.

Wenn Sie jetzt glauben, dass dies bereits alles zum Thema „Fiat 514 mit zwei Rädern“ gewesen ist, dann stellen Sie sich darauf ein, dass Ihnen der angedrohte reine Luxus noch bevorsteht.

Tatsächlich begegnete mir am letzten Sonntag in der Frühe dieses makellos daherkommende Exemplar eines Fiat 514 und es sollte nicht dabei bleiben:

Fiat 514 Limousine im September 2025 in Foligno (Umbrien); Bildrechte: Michael Schlenger

Wo ist denn hier der Luxus?„, mögen Sie jetzt fragen, „der hat doch weder die zwei seitlichen Reserveräder noch die Radkappen?

Schön, dass Sie so gut aufgepasst haben – denn natürlich ist das „nur“ die Basisversion. Auf die zwei Räder und den Luxus müssen wir noch einen Moment warten.

Dafür gibt es den Fiat 514 mit einstiger Zulassung in Perugia (Umbrien, Mittelitalien) hier erst einmal im Rahmen einer Familienzusammenkunft zu sehen:

Fiat Vorkriegswagen im September 2025 in Foligno (Umbrien); Bildrechte: Michael Schlenger

Da steht unser Fiat 514 also zwar ohne den Luxus von zwei Rädern, aber dafür mit zwei Kameraden – links ein Typ 501 der frühen 1920er Jahre und rechts ein 508 A „Balilla“ von Anfang der 30er – beide Modelle waren bereits Gäste in meinem Blog.

Erwähnenswert in diesem Kontext ist auch noch die frühe Version des „Balilla“, welche einem Paar gehört, das sich – mit kleinen Freiheiten – ebenfalls um ein historisches Erscheinungsbild bemüht hat:

Fiat 508 „Balilla“ im September 2025 in Foligno (Umbrien); Bildrechte: Michael Schlenger

Die beiden sehen wir als Randerscheinung auch auf dem nächsten Foto und nun spätestens wird Ihnen klar, was es mit den zwei Rädern wirklich auf sich hat.

Denn wieder hat es mich zur Teilnahme an der „La Francescana“ gezogen – einer Ausfahrt mit historischen Fahrrädern ab der Jahrhundertwende bis etwa 1990, die alljährlich in der „Valle Umbra“ im herrlichen Umland der alten Römerstadt Foligno im Herzen Italiens stattfindet. Vor dem Start bietet sich der Luxus unzähliger Fotomotive:

„La Francescana“, September 2025 in Foligno (Umbrien); Bildrechte: Michael Schlenger

Speziell für die sehr zahlreich versammelten Damen ist die Veranstaltung ein willkommener Vorwand, um sich auf leider nicht mehr alltägliche Weise von seiner besten Seite zu zeigen:

„La Francescana“, September 2025 in Foligno (Umbrien); Bildrechte: Michael Schlenger

Die Herren mögen die härteren Knochen sein, was die sportliche Seite angeht – sie wählen meist auch die längere und anspruchsvollere der drei angebotenen Routen. Nicht zufällig finden sich einige altgediente Kämpen unter den Teilnehmern:

„La Francescana“, September 2025 in Foligno (Umbrien); Bildrechte: Michael Schlenger

Aber in optischer Hinsicht müssen sich die Buben nun einmal der hier versammelten Weiblichkeit geschlagen geben:

„La Francescana“, September 2025 in Foligno (Umbrien); Bildrechte: Michael Schlenger

Den Luxus, sich diesem ungleichen Wettbewerb auszusetzen, muss man sich leisten können, am besten dadurch, dass man mit einem interessanten Fahrrad aufwartet.

In meinem Fall war es ein „Triumph“ von 1950, welches auch spontan die Aufmerksamkeit eines anwesenden Fahrrad-Journalisten auf sich zog, der mich dazu befragte.

Zum Glück hatte ich mir am Morgen noch ein paar einschlägige Vokabeln angeeignet, sodass ich auf Italienisch etwas zu dem Rad mit der Startnummer 366 erzählen konnte…

„La Francescana“, September 2025 in Foligno (Umbrien); Fotoquelle: Cyclinside

Um kurz nach neun ging es dann – wie stets nach herzhaftem Absingen der Nationalhymne – mit etlichen hunderten Gleichgesinnnten auf die Strecke.

Im Unterschied zur bekannten „Eroica“-Veranstaltung in der Toscana kann man die Zahl ausländischer Teilnehmer an zwei Händen abzählen. Die Italiener bleiben bei der „Francescana“ weitgehend unter sich und das bekommt der Qualität des Gebotenen zugute – wie wir noch sehen werden.

Der erste Halt war beim Weingut Arnaldo Caprai in den Hügeln bei Montefalco wo man sein Rad zwanglos in der Botanik parkt, um sich anschließend den Herausforderungen eines üppigen zweiten Frühstücks zu stellen:

„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger

Dort begegneten die Radler auch den vierrädrigen Begleitern aus Turin wieder – hier gleich zwei Exemplare des legendären Typs 501, mit dem Fiat 1919 die Großserienproduktion startete und früh weltweit Erfolge hatte:

„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger

Den Fiat 514 hatte ich unterdessen aus dem Auge verloren, doch das störte nicht weiter – so ein klassischer 501 Tourer gibt stets ein reizvolles Motiv ab oder trägt zumindest dazu bei:

„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger

Dasselbe Fahrzeug begegnet uns bei einem späteren Halt zwecks erneuter Verköstigung mit kulinarischen Schätzen der Region nochmals- diese reizvolle Perspektive will ich Ihnen nicht vorenthalten, bevor wir uns endlich dem wahrlich luxuriösen Teil zuwenden:

„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger

Ich hatte mir die Freiheit genommen, den übrigen Teilnehmern der „Luxusfraktion“ etwas vorauszufahren – ich kannte die Strecke noch vom Vorjahr. So bot sich bei der Annäherung an die Station am lieblichen Lago d’Aiso zunächst dieses Bild:

„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger

Das schauen wir uns jetzt näher an und dabei spare ich mir jedem Kommentar – denn den Luxus, einfach nur Bilder mit zwei Rädern sprechen zu lassen, muss man sich gönnen können:

„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger
„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger
„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger
„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger
„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger
„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger
„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger
„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger
„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger
„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger
„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger

Ja, er ist schon anstrengend, dieser Luxus mit zwei Rädern – das sieht man hier ganz deutlich. Soviel Mühe für reine Äußerlichkeiten – und dann noch so unpraktisch, nicht wahr?

Übrigens habe ich während der gesamten über vier Stunden dauernden Tour bei über 30 Grad Celsius keine einzige Klage darüber gehört, dass es ja so unerträglich heiß sei – wie das neuerdings in Deutschland der Fall ist, wenn es mal ein paar Tage über 25 Grad hat.

Man kann sich zur Abwechslung einmal in den Schatten begeben, ohne die Contenance zu verlieren –

„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger

Das Rad im Vordergrund ist übrigens mein „Triumph“ – nur technisch überholt und ansonsten im Fundzustand mit Wachs konserviert und auf Hochglanz gebracht, soweit es die Lacksubstanz noch hergab. Jedenfalls kann sich auch eine 75 Jahre alte Dame so noch sehen lassen.

Gute Figur machte nicht zuletzt dieser Herr, der bei der Gelegenheit mit einer Zeiss-Kamera der Vorkriegszeit und Analogfilm im Negativformat 6×9 cm fotografierte.

„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger

Bei der Gelegenheit sei angemerkt, dass sich Umbrien nach dem Sommer so prächtig grün wie eh und je zeigt – von sich ausbreitenden Steppen und tausenden Hitzetoten weiß man hier nichts – Neurosen wie diese überlässt man von jeher den Teutonen.

Nun ist alles wieder still am Lago d’Aiso und die Luxusmeute mit zwei Rädern ist wieder im Alltag angekommen wie auch ich. Doch nebenbei träumt es sich vorzüglich vom nächsten Mal. Ob wieder mit dem Fiat 514, das wird man sehen…

„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger

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Anhalten, um innezuhalten: Steyr Typ XII Tourer

Wie im Leben generell empfiehlt es sich auch auf Reisen, ab und zu auf seinem Weg anzuhalten, um innezuhalten und die sich darbietenden Dinge auf sich wirken zu lassen.

Wäre das nicht heilsam, hätte es der Mensch nicht zu einer Kulturtechnik entwickelt – eine Weile stillzustehen und zu versuchen, dem Moment etwas abzuringen, was man sonst übersehen würde.

Wenn ich auf Reisen bin, tue ich das sogar dann, wenn ich auf einer mir bekannten Strecke nicht wirklich anhalte. Denn während der Wagen unbeirrt weiterläuft, vermag man irgendwann seinen Kopf davon unabhängig zum Innehalten zu bewegen.

Besonders gern tue ich das auf dem Weg nach Italien in der Schweiz am Südende des Vierwaldstädtersees, wo man aus dem langen Tunnel auf der Westseite kommend für kurze Zeit auf dem gegenüberliegenden Ufer die teils offenen Galerien der alten Axenstraße sieht, auf der einst die Route von Zürich zum Gotthardpass führte.

Diese historisch bedeutsame Passage hat im 20. Jh. tausende dauerhafte Zeugnisse in Form von Aufnahmen hinterlassen, die ein schweizerischer Berufsfotograf dort von Reisenden angefertigt hat.

Tourenwagen an der Axenstraße, Aufnahme von 1918; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Sie sind entsprechenden Autofotos hier schon einige Male begegnet. Doch besagter Fotograf hielt damals auch ganz „ordinäre“ Fußgänger, Radler und sonstige Zeitgenossen auf dem Negativ fest, die nicht auf Urlaubsfahrt waren, sondern für die jene Axenstraße ihr alltäglicher Weg durchs Dasein war.

Es gibt ein wunderbares Buch, das eine Ahnung von dem Schatz an Dokumenten gelebten Lebens vermittelt, welcher dort über Jahrzehnte entstand. „Unterwegs auf der Axenstrasse: Arbeiten des Fotografen Michael Aschwanden„, 2003.

An die oft berührenden Aufnahmen darin muss ich jedesmal denken, wenn ich auf dem Weg gen Süden dort vorbeifahre. Nichts ist geblieben von all der Mühe, all der Ambition, all dem Hoffen und Sehnen, welches die abgebildeten Menschen bewegte, als diese Fotografien.

Wer daraus nichts für’s eigene Dasein abzuleiten vermag, ist arm dran.

So betreibe ich meine ganz private Meditation, wenn ich die Relikte der Axenstraße erblicke. Und ich freue mich jedesmal, wenn ich wieder eines der dort entstandenen Dokumente finde – auch wenn nicht alle davon von Meister Michael Aschwander stammen.

Dieses hier dürfte am Südportal der Galerie entstanden sein, durch welche die alte Axenstraße führte (es gibt sie noch, sie ist aber heute nicht mehr mit dem Auto befahrbar):

Steyr Typ XII Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Warum hielten die Leute mit ihrem in Dresden zugelassenen Tourenwagen einst dort an? Es gibt dort nichts zu sehen außer einer ehrfurchgebietenden und den Menschen zum Zwerg machenden reinen Naturlandschaft.

Genau das ist der Grund, warum man dort wie gebannt auf die gewaltigen Felsmassen schaut, welche das Ergebnis von hunderten Millionen Jahren Aktivität auf Erden sind, ohne dass auch nur vom Menschen die Rede war.

Die Betrachtung erdet im wahrsten Sinne des Wortes, wenn man dafür empfänglich ist. Wenn man sich dann noch vergegenwärtig, dass das Gestein die Reste von hunderten Millionen Jahren von Leben birgt, kann man eine Ahnung davon bekommen, was den eigenen Rang angeht – sofern man solche Gedanken an sich heranlässt.

Für mich sind diese Gedanken segensreich, weil sie befreiend sind. Wenn man selbst vollkommen unbedeutend ist, dann ist man zugleich ungebunden, weil man keine Aufgabe Dritter zu erfüllen hat, keinem höheren Zweck dient und niemandem Rechenschaft schuldet.

Die Achtung der Lebensinteressen seiner Mitmenschen ergibt sich von selbst, weil man sich in derselben fragilen Situation befindet und hoffen muss, dass Rücksichtnahme im Regelfall belohnt wird. Die bedauerlichen Ausnahmen davon sind kein Gegenargument.

Genug davon, aber ich muss ja schon der gewählten Überschrift Rechnung tragen „Anhalten, um innezuhalten“, das ist heute Programm:

Nur zu gern tut man das in diesem Fall, wo wir es nach längerer Zeit wieder einmal mit dem Typ XII zu tun haben, mit dem die österreichische Firma Steyr ab 1926 abermals einen Erfolg auch im benachbarten Deutschland landete.

Bemerkenswert finde ich, dass den zahlreichen Fotos von Steyr-Automobilen der Zwischenkriegszeit kaum entsprechende Originale im Maßstab 1:1 in der sogenannten Oldtimerszene Deutschlands gegenüberstehen.

Auf einschlägigen Veranstaltungen hierzulande findet man alles Mögliche an Vorkriegswagen – Briten, Franzosen, Italiener und Amis – doch an einen solchen Steyr kann ich mich ad hoc nicht erinnern.

Liegt es an den relativ geringen Stückzahlen oder einem fehlgeleiteten Prestigedenken deutscher Enthusiasten, welches die ausgezeichneten Wagen der benachbarten Alpenrepublik ausblendet?

Oder kaufen die Östereicher schlicht den Markt leer, was ich verstehen könnte? Wie dem auch sei, das waren eine heutigen persönlichen Gedanken zum Thema „Anhalten, um innezuhalten“.

Das Ergebnis meines derzeitigen „Arbeits“aufenthalts südlich der Alpen bekommen Sie im Lauf der Woche präsentiert. Schon jetzt kann ich garantieren, dass Sie hinreichend Ablenkung vom Hier und Jetzt erfahren werden – wenn auch meist auf zwei Rädern…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Vor 100 Jahren ein Traum von Motorraum: Praga „Piccolo“

Heute bringen wir ein Mädel unter die Haube und schauen bei der Gelegenheit, was sich eigentlich darunter befindet. Danach steht mir heute der Sinn.

Dieses merkwürdige Vorhaben mag damit zu tun haben, dass ich noch Öl unter den Fingernägeln habe, während ich diese Zeilen in die Tastatur tippe. Automobile Baustellen habe ich zur Genüge, doch aus demnächst gegebenem Anlass habe ich mich heute in die Niederungen der historischen Fahrradschrauberei begeben.

Auch dort gibt es bisweilen mehr als nur den üblichen Schmierdienst zu machen. Im vorliegenden Fall handelt es sich um ein 75 Jahre altes Tourenrad der Triumph-Werke Nürnberg – weitgehend original erhalten, aber schwer gebraucht.

Das Gerät weist noch die schöne rot-weiße Linierung auf Rahmen, Schutzblechen und Felgen auf, die im Prospekt von 1949 erwähnt wird. Während sich der Lack gut aufarbeiten ließ – am Ende mit einer satten Schicht Carnauba-Wachs konserviert – gab es bei den Lagern zeitraubende Überraschungen.

Ein Kugellagerkäfig des Lenkkopflagers war gebrochen, einige Kugel fehlten. Die Achse des Vorderrads war verbogen – keine Ahnung, wie das geht. In beiden Fällen hatte ich brauchbaren Ersatz zur Hand. Auch das Tretlager war ausgelutscht, aber hier fanden sich ebenfalls passende Tauschteile – meist hat man es ja mit Normteilen zu tun.

Zeitraubend ist die Einstellung der Lager, zumal man oft nach einer längeren Probefahrt noch einmal nachjustieren muss. Das steht morgen auf dem Programm.

Für heute soll es das gewesen sein, was die Zweirad-Oldies angeht (mehr demnächst). Wir wenden uns jedenfalls vom Geruch von Lagerfett und Schmieröl inspiriert wieder den vierrädrigen Vehikeln zu und werfen bei der Gelegenheit einen Blick unter die Haube:

Praga „Piccolo“-Motorraum ca. 1926; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ganz schön viel Platz hier, das ist das Erste, was auffällt.

Zum einen bauten solche herkömmlichen Vierzylindermotoren mit seitlich stehenden Ventilen nicht so hoch wie die kopfgesteuerten Varianten – die Amis sprechen in solchen Fällen bezeichnenderweise von „Flathead“.

Zum anderen bestimmte einst die Kühlerfläche maßgeblich die Höhe der Motorhaube – man sieht hier sehr schön, wie der Kühlwasserschlauch mit dem von Motor erhitzten Kühlwasser steil nach oben steigt, um dann im Kühler nach unten zu sinken, wobei der Fahrtwind für die erwünschte Temperaturreduzierung sorgt.

Ansonsten gibt es nicht viel zu sehen, und das obwohl sich gleich drei Herren an dem Wagen zu schaffen machen. Doch halt, hier haben wir ja auch das erwähnte Mädel, das hier unter die Haube gebracht wurde – wobei diese zwecks besserer Zugänglichkeit des Aggregats entfernt wurde.

Das Bild passt somit nicht wirklich, aber mir ist leider nichts Besseres eingefallen, Sie müssen verzeihen.

Immerhin kann ich versichern, dass ich mit der Ansprache des Wagens als tschechischer Praga richtig liege – die sehr markante Kühlerfigur verrät es, welche sich auch an anderen Wagen der Marke in meiner Praga-Galerie wiederfindet.

Zuletzt hatte ich dieses Exemplar des kleinen Praga-Modells vorgestellt und wahrscheinlich haben wir es wieder mit dem um 1926 gängigen Typ „Piccolo“ zu tun:

Praga „Piccolo“ ca. 1926; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Viel kann und will ich Ihnen nicht zu diesem Wagen erzählen – man findet im Netz das Nötigste dazu. Im vorliegenden Fall ist es ohnehin die Fotosituation als solche, die einen förmlich mit unter die Haube zieht…

Leider kann man Autos nicht heiraten – oder vielleicht doch? Neuerdings ist ja einiges möglich in dieser Hinsicht. Wem es gefällt, soll es machen – ich bleibe meinen Lieblingen (und das sind einige) auch ohne Trauschein treu!

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Fotorätsel des Monats: Ein „Joswin“ mit Flugmotor?

Kultur beginnt jenseits aller Notwendigkeit – das ist eine meiner Überzeugungen, mit denen ich Sie hier immer wieder entgegen alle Notwendigkeit behellige. Aber da Sie ja freiwillig mitlesen, und das ziemlich regelmäßig, bestätigen Sie das eingangs Gesagte.

Gewiss: Nichts ist überflüssiger als ein Blog über Vorkriegsautos, noch dazu von jemandem, der kein Markenspezialist ist oder der Gilde der Automobilhistoriker angehört, die mit wissenschaftlichem Anspruch an die Sache gehen – sofern sie mal etwas publizieren.

Aber hier finden Sie etwas, was sonst nirgends gibt: eine mal zwanglose, mal leidenschaftliche, mal detaillierte, mal rein oberflächliche Auseinandersetzung mit dem Kulturphänomen Automobil in der Welt unserer Vorfahren vor dem 2. Weltkrieg.

Das Ganze subjektiv, angreifbar, mehr oder weniger gelungen – aber immer spannend, weil spontan aus der Quelle einschlägiger Dokumente schöpfend, die sonst spurlos verschwänden. Niemand würde dadurch beeinträchtigt, aber wieviel Sehenswertes ginge doch verloren, was uns jenseits des schnöden Alltags zu fesseln vermag

Wie gesagt – zum kultivierten Dasein gehören lauter unnötige Dinge: Kunst und Kitsch, Humor und Horror, Spiritualität und Spott, Faulenzen und Fußballspiel – und nicht zuletzt: übermotorisierte und völlig unpraktische Autos!

Bevor wir uns der Betrachtung des heutigen Beweisstücks hingeben, noch ein Wort zum letzten Fotorätsel: Wieder konnten wir gemeinsam die wahrscheinliche Lösung finden – es handelte sich um einen Hanomag „Rekord“ Geländesportwagen mit Ambi-Budd-Karosserie.

Das Beispiel zeigt einmal mehr, was in der Richtung möglich ist, wenn man die Kräfte „zusammenspannt“, wie die Schweizer in ihrer bilderstarken Variante des Deutschen sagen. Ich beobachte Ähnliches in meiner internationalen Facebook-Gruppe zu dem Thema.

In Deutschland – der Heimat von „German Angst“, auch was die intelligente Nutzung von Online-Medien angeht – sieht es dagegen eher duster aus. Ein Forum für alle Koryphäen könnte unzählige Problemfälle lösen und jede Menge Lücken füllen.

Material und Wissen sind grundsätzlich vorhanden – notwendig ist nur der Willen, beides zentral und ohne Zugangshindernisse mit dem Publikum zu teilen. Das weiß ich nach 10 Jahren einschlägiger Bloggerei genau und das heutige Foto ist ein ideales Beispiel dafür:

„Joswin“ (vermutlich); Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Diese großartige Aufnahme eines grandios überdimensionierten deutschen Automobils der frühen 1920er Jahre sandte mir kürzlich Matthias Schmidt aus Dresden zu.

Er gehört seit Jahr und Tag zu denjenigen, die mich großzügig mit Fotos aus ihren Sammlungen versorgen – Aufnahmen, die oft die Bilder aus meinem eigenen Fundus in den Schatten stellen.

Völlig unkompliziert gestaltet sich die Zusammenarbeit mit ihm und einigen anderen regelmäßigen „Gästen“ in meinem Blog. Nie habe ich erlebt, dass einer davon mit der Aufbereitung der Bilder nicht einverstanden war – auch wenn diese höchst subjektiv ist und auch ganz anders ausfallen könnte.

Hauptsache, die Fotos gammeln nicht in irgendwelchen Privatsammlungen, bis sie von unverständigen Angehörigen entsorgt werden – das ist die Devise. Auf diese Weise haben auch sehr zahlreiche solcher Fotos in die Neuauflage des „Oswald“ (Deutsche Autos 1920-1945, Motorbuch-Verlag, 2019) geschafft und diese auf ein neues Niveau gehoben.

Ja, die Neuauflage enthält noch viele Fehler der älteren Auflage und sie enthält neue in Form falscher Bildbeschriftungen. Ich muss das wissen, weil auch meine Beiträge in Fotoform in erheblicher Zahl davon betroffen sind.

Aber: Ich jammere nicht herum, weil ich nicht wie einige Spezialisten es schlicht versäumt habe, meinen Beitrag zur Verbesserung und Erweiterung zu leisten.

Wie Stoewer-Experte Manfrid Bauer beispielsweise habe ich mein Bestes getan, die Neuauflage drastisch zu verbessern. Wer es verpasst hat, ebendies zu tun, darf die Schuld bei sich selbst suchen.

So findet sich in der Neuauflage des „Oswald“ auf S. 252 ein Foto, das Matthias Schmidt darauf brachte, dass das heutige Fotorätsel aus seinem Fundus einen „Joswin“ zeigen könnte.

Den Freunden von extrem motorisierten deutschen Wagen der frühen 1920er Jahre läuft bei der Nennung dieser Marke das Wasser im Munde zusammen.

Denn Joswin war die Marke eines Berliner Enthusiasten namens Josef Winsch, der ab 1921 nichts Besseres zu tun fand, als in Manufaktur spektakuläre Automobile mit großvolumigen Daimler-Sechszylindermotoren zu bauen.

Diese Aggregate leisteten 75 bzw. 95 PS und werden im „Oswald“ als übriggebliebene Daimer-Flugmotoren bezeichnet. So ganz glaube ich die Story nicht, denn die von Daimler für die deutsche Luftwaffe gebauten 6-Zylindermotoren waren wesentlich stärker.

Doch deshalb bringe ich den mutmaßlichen „Joswin“ ja auch als Rätselfoto.

Zwar hat Matthias Schmidt sehr wahrscheinlich mit seiner Markenzuschreibung ins Schwarze getroffen. Die Kombination aus gerundetem Spitzkühler, außenliegenden Auspuffrohren und markant gezeichnetem Vorderkotflügel mit angedeuteter seitlicher Schürze – das allles passt perfekt zum Joswin in der Neuauflage des Oswald.

Doch woher stammten die Motoren wirklich? Kann es sein, dass Joswin diese direkt von Daimler bezog, wo man ja zeitgleich ebenfalls ein 28/95 PS-Modell mit über 7 Liter großem Sechszylinder im Programm hatte?

Jetzt sind Sie an der Reihe, liebe Leser. Mehr kann ich nämlich zu dem Wagen auf dem heutigen Rätselfoto nicht beisteuern – nur dass er mir in seiner hinreißenden Maßlosigkeit sehr gut gefällt…

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Wie, in Wien? Vivastella, oder was? Renault 1937/38

Den ersten Rang unter Europas charmantesten Hauptstädten – von denen es nicht viele gibt – würde ich ohne Zögern an Wien vergeben.

Trotz erheblicher Kriegszerstörungen war man – wie im deutschsprachigen Raum sonst nur in München – so klug, der Moderne zu misstrauen und das historisch gewachsene Statdbild weitgehend wiederherzustellen.

So bewahrte man sich eine Mischung aus repräsentativen und bürgerlichen Bauten der letzten 4-500 Jahre, gegen welche die in den 20er Jahren ausgebrütete und nach 100 Jahren immer noch gefeierte Schukasterl-Logik chancenlos ist.

Kein Mensch will heute die seelenlosen, immergleichen Wohnfabriken besichtigen, welche wir den Propagandisten reiner Zweckbauten in den Peripherien „verdanken“. Gerade Wien ist ein Musterbeispiel dafür, wie reizvoll die Fortführung regionaler Traditionen ist – die Wiener Spielart des Jugendstils war wohl die letzte, großartige Ausprägung.

Gewiss gab es auch schon in früheren Jahrhunderten internationale Tendenzen in den Baustilen – doch immer schlugen sich diese in lokalen Spielarten nieder. Ob Gotik, Renaissance oder Barock – meist würde man die Region auch dann benennen können, wenn man nicht wüsste, in welcher Stadt genau man sich gerade befindet.

So findet man beispielsweise in Wien eine gewisse opernhafte Grandezza, die es in Berlin, Hamburg oder Köln kaum gab – Bauten wie opulente Theaterkulissen. Und weil das heute noch so schön ist wie einst, reisen wir kurzerhand dorthin:

Wien, Michaelertrakt der Hofburg; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Für mich als Freund des oft geschmähten Historismus der zweiten Hälfte des 19. Jh. wäre dieser Anblick bereits dann eine Freude, wenn kein Vorkriegsauto davor zu sehen wäre.

Denn die Wirkung des erst in den 1890er fertiggestellten Michaelertrakt der Wiener Hofburg ist schlicht umwerfend. Sehen Sie, das kann nun einmal keiner der „modernen“ Architekten, weil ihnen die immergleiche Bauhaus-Ideologie von gestern im Weg steht.

Man kann von mir aus eine Fabrik oder ein Privathaus irgendwo auch im Bauhausstil errichten, wenn einem das gefällt – nichts dagegen.

Aber die sinnliche Gestaltung des öffentlichen Raums, den die Bürger eines Gemeinwesens genießen wollen und auf den sie vielleicht auch etwas stolz sein wollen – „Seht, das ist unsere Tradition“ – die überlasst man besser, wenn’s heute keiner kann, den Altvorderen.

Nach dieser wie immer unnötigen, aber notwendigen Vorrede stellt sich endlich die Frage: „Wie, ein Renault von 1937/38, in Wien? Ein Vivastella oder doch ‚was anderes?“

Tja, auch das gehört zu den Wundern der historischen Fotografie, dass sie uns solche unerwarteten Dokumente beschert.

Denn tatsächlich: Während im Hintergrund noch zwei Wagen der späten 1920er Jahre unterwegs sind, findet sich davor ein Wanderer ab 1934 und wiederum davor ein Renault mit ganz anderer „Architektur“:

Renault von 1937/38 (vorne); Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Stilistisch lässt sich dieser Renault auf 1937/38 festnageln, auch ist klar, dass wir es mit einem Modell der Oberklasse zu tun haben.

Die sechs Zierelemente entlang der Motorhaube finden sich nämlich nur beim Sechszylindertyp Vivastella oder bei seinem achtzylindrigen Schwestermodell Suprastella.

Genauer kann ich das nicht sagen, und eigentlich ist es auch egal. Denn beide Wagen waren beeindruckend dimensionierte Fahrzeuge mit souveräner Leistung (90 bis 110 PS), wie sie damals im deutschspachigen Raum nur Autos der Spitzenklasse boten.

Das in Verbindung mit der eigenständigen Gestaltung war es wohl, was den Besitzer dieses in Wien zugelassenen Renault zum Erwerb desselben bewog. Vielleicht war das ein bewusstes Statement gegen den Mainstream, vielleicht hatte es den banalen Grund, dass ein Franzose in Wien lebte.

So oder so war jedoch die Voraussetzung für die phänomenale Wirkung des Wagens, dass es damals ganz unterschiedliche Stile in der Gestaltung von Automobilen gab, die „deutsch“, „französisch“, „italienisch“ oder „amerikanisch“ waren, ohne dass dies irgendetwas mit einem von oben verordneten Nationalismus zu tun hatte.

Den gab es natürlich und leider in einer Form, die sich als fatal für Europa erwies, aber mit den Gestaltungstendenzen im Automobilbau hatte das nichts zu tun. Und deshalb darf man die großartigen Schöpfungen auf vier Rädern der 1930er Jahre unbeschwert genießen – und in Wien als beinahe idealem Ort der Erbauung ganz besonders…

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Nur wenig Kubik, doch richtig schick: Amilcar Type CC/CS

Vor 100 Jahren – anno 1925 – lief die Produktion des ersten Amilcar aus. Die Rede ist vom Type CC mit dem der französische Hersteller ab 1922 auf dem Markt für Cyclecars – ultraleichte Sportwagen bis 1,1 Liter Hubraum – Furore machte.

Ganze 900 Kubikzentimeter Hubraum besaß der Vierzylindermotor und brachte es doch auf beinahe 20 PS Höchstleistung. In Verbindung mit weniger als 350 Kg Gewicht und sportlichem Fahrwerk (beide Achsen mit Cantilever-Federung) ließ sich damit auf der damals noch leeren Landstraße herrlich räubern.

Der Amilcar CC bekam im Zuge der Nachfrage nach solchen Spaßmobilen rasch Geschwister. Noch 1922 erschien der konzeptionell ähnliche, aber etwas größere und mit 22 PS aus 1000 Kubik merklich stärkere Typ C4.

Dessen Motor wurde zeitgleich auch auf einem weitgehend dem ursprünglichen CC-Type entsprechenden Chassis angeboten – diese Ausführung nannte sich Type CS.

Käufer hatten also bereits 1922 die Qual der Wahl zwischen gleich drei Modellen, die wiederum mit einer ganzen Reihe attraktiver Werksaufbauten verfügbar waren – außerdem natürlich mit individuellen Karosserien unabhängiger Lieferanten.

Das erschwert in etlichen Fällen die genaue Ansprache des Typs auf historischen Fotos wie diesem, das ich erst jüngst für den (bei mir) üblichen Fünfer erwerben konnte:

Amilcar Roadster, Type CC oder CS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Während die Kühlerform typisch für die Amilcars bis 1925 ist, deutet der kurze Radstand meines Erachtens auf eines der kleinen Modelle hin – also die Typen CC bzw. CS.

Infolgedessen sitzt der gut gebräunte Herr am Steuer direkt vor der Hinterachse – ideal für die Rückmeldung von der Fahrbahn ans Hinterteil.

Gute Figur macht der Mann hier, nicht wahr? Erstaunlich, dass man sich einst ganz ohne Inanspruchnahme besoldeter Kosmetik-Fachkräfte fotofein machen konnte.

Ein Mann, der sich morgens nicht aus eigenen Kräften mittels Gesichtswäsche und Rasur, etwas Hautcreme und dezentem Duft öffentlichkeitstauglich machen kann, dem sollte man auch sonst wenig zutrauen – so die Auffassung von Traditionalisten wie mir.

Hier scheint man die Sache noch beherrscht zu haben, auch kleidungstechnisch begegnet uns der Amilcar-Fahrer souverän und richtig schick. Vielleicht nicht das Schlechteste, was man aus dem Studium der Altvorderen lernen kann.

Doch das Stichwort „gute Figur“ bezieht sich in diesem Fall auch auf die etwas verschwommene Erscheinung auf dem Kühlwasserdeckel. Mit der wohl erst nach 1925 gängigen Kühlerfigur von Amilcar – einem geflügelten Pferd – hat das Ganze nichts gemein.

Das muss nichts bedeuten, denn in der Vorkriegszeit wurden bekanntlich auch gerne individuelle Kühlerfiguren verbaut. Doch eines kommt mir merkwürdig vor.

Das auf dem eingangs gezeigten Foto zu sehende Exemplar ähnelt aufffallend der Figur, die auf dem Kühler eines anderen Amilcar montiert war. Und auf dieses Fahrzeug – ebenfalls ein Typ CC oder CS – trifft die heutige Überschrift „Nur wenig Kubik, und doch richtig schick“ in besonderer Weise zu:

Amilcar Roadster, Type CC oder CS; Originalfoto: Sammlung Thomas von der Bey (via Helmut Kasimirowicz)

Dieses schöne Dokument verdanke ich in digitaler Form einmal mehr Oldtimer-Urgestein Helmut Kasimirowicz (Düsseldorf). Das Original stammt nach seiner Angabe aus der Sammlung von Thomas von der Bey – Urenkel des Motorradkonstrukteurs August Wurring (1901-1990).

Interessant ist hier – neben der gekonnten Inszenierung des Amilcar – das Kennzeichen. Die Kombination „IY“ für den Regierungsbezirk Düsseldorf wurde nämlich erst ab 1928 vergeben.

Demnach war dieser Amilcar aus der ersten Hälfte der 1920er Jahre damals immer noch ein geschätztes Sportgerät – vielleicht hatte man ihm aber auch zwischenzeitlich eine Leistungsspritze verpasst – wer weiß.

Jedenfalls ist mir die Ähnlichkeit der Kühlerfiguren aufgefallen, ohne dass ich selbst daraus weitere Schlüsse ziehen möchte. Ich kenne mich damit aber schlicht nicht aus.

Möglicherweise können aber Sie, liebe Leser, diesbezüglich zu unserer Erleuchtung beitragen – das fände ich auch im Fall von wenig Kubik richtig schick…

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Das Auto – Freund in jedem Alter: „Walter“ Typ P III/IV

Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole – ich halte das Automobil für die umwälzendste Erfindung des 20. Jh. schlechthin, vielleicht sogar der Neuzeit seit dem Buchdruck.

Mit einem Mal stand dem Einzelnen die Welt offen wie nie zuvor – abseits festgelegter Routen und unabhängig von Fahrplänen, bald auch losgelöst vom sozialen Status. Auch die Arbeitsteilung erlangte eine zuvor undenkbare Dimension – Wohn- und Arbeitsort mussten nicht mehr zusammenfallen.

Es muss gar nicht das eigene Auto sein, das diese das Individuum entgrenzende Wirkung zeitigt. Auch die Verfügbarkeit von Taxis, Leihwagen, Mietwohnmobilen oder einfach die Familienkutsche der Eltern leistet Ähnliches, Großartiges.

Der wahre Automobilist zeigt sich indessen in dem Wunsch, jederzeit sein eigenes Gefährt zur Verfügung zu haben, das stets vollgetankt in der Garage oder vor dem Haus steht.

Es ist nicht so einfach, die Leute per Dekret zu Hause einzusperren, wenn sie bei Nacht und Nebel mit dem Auto davonfahren können. Im Zweifelsfall die Gegend verlassen zu können, zur Not auch über die grüne Grenze zu fahren, das ist für mich Basisdemokratie pur.

Zu so einem militanten „Petrolhead“, wie man im Englischen die in der Wolle gefärbten Fans des Verbrennerautos nennt, wird man oft schon in frühen Jahren.

Von mir ist ein Foto überliefert, das mich als Fahrer eines „Kettcars“ auf dem Feldweg hinter dem elterlichen Grundstück zeigt, der automobile Fluchtinstinkt war schon früh ausgeprägt. In den 50 Jahren seither bin ich nur noch überzeugter in der Hinsicht geworden.

Das Auto als Freund des Menschen in jedem Alter – das ist auch das heutige Fotothema:

Walter Typ P III oder P IV; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hübsch ist der kleine Walter, nicht wahr? Vertrauensvoll hat er sich auf die Stoßstange des großen Walter gesetzt, der ebenso zur Familie gehörte und auch als solches wahrgenommen wurde, wie uns solche alten Fotos vieltausendfach sagen.

Die tschechische Marke Walter wurde kurz vor 1900 von Josef Walter gegründet und baute ab 1908 motorisierte Dreiräder, 1913 folgten richtige Autos mit Vierzylindermotor.

Seine Blütezeit erlebte Walter in den 1920er und 1930er Jahren. Bedeutung erlangte insbesondere das Modell P, das ab etwa 1925 in mehreren aufeinanderfolgenden Serien gebaut wurde, die sich äußerlich nur geringfügig unterschieden, wie es scheint.

Der Walter P III (1926–1928) beispielsweise war ein Mittelklassewagen mit einem modernen 2-Liter-Motor (ohv). Ich vermute, dass wir auf obigem Foto so einen Walter P-Typ sehen.

Ganz ähnlich im Detail erscheint der Walter auf dem folgenden Foto, das nun auch automobilaffine Vertreter älterer Generationen zeigt:

Walter Typ P III oder P IV; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Tatsächlich war es erst der kleine Walter, dessen Konterfei mir die Gewissheit gab, dass auch auf dem zweiten Foto genauso ein Walter abgelichtet war – nur eben ohne Bub.

Auch auf dem Originalabzug ist nämlich der Markenschriftzug auf dem Kühlergrill nicht klar lesbar, was mich lange Zeit rätseln ließ.

Dummerweise sind die interessanten tschechischen Wagen der 1920er Jahre im deutschsprachigen Raum oft nur schlecht dokumentiert.

Doch zumindest hier ist der Fall eindeutig – auch das ist ein Walter des P-Typs ab etwa Mitte der 1920er Jahre. Man vergleiche insbesondere die Gestaltung der Scheinwerferstange – konkret die Verdickung zu den Kotflügeln hin:

Walter Typ P III oder P IV; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ich weiß leider sonst nichts zu dieser beeindruckenden Limousine zu sagen – eventuell hat ein Leser mehr Informationen dazu.

Stilistisch jedenfalls war der Walter damals auf der Höhe der Zeit und orientierte sich wie die deutschen Konkurrenten eng an den maßgeblichen US-Vorbildern. Die spezifisch tschechische Formensprache, die ich faszinierend finde, bildete sich erst in den 1930er Jahren heraus, als auch die deutschen Fabrikate ein eigenes Profil entwickelten.

Habe ich etwas vergessen oder übersehen? Vermutlich jede Menge, aber wie gesagt: Im Fall des Walter weiß ich so gut wie nichts an gesicherter Erkenntnis beizusteuern.

Und eigentlich ging es mir heute vor allem darum zu illustrieren, dass das Automobil unser Freund in allen Lebenslagen und in jedem Alter ist. Dass es auch Probleme mit sich bringt, das ist trivial, weil das für jede menschliche Erfindung gilt…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Vielleicht der bessere Volkswagen? Hanomag 1,3 Liter

Eines vorab: Zum deutschen Volkswagen – also dem VW „Käfer“ – habe ich ein durch und durch nostalgisches Verhältnis. Ich kenne seine Schwächen, doch lasse ich nichts auf ihn kommen.

Der Grund ist einfach, denn ich bin in einem praktisch großgeworden. Bis zu meinem 18. Lebensjahr fuhr meine Mutter ihr wackeres 1963er Exportmodell mit den schicken Doppelstoßstangen und dem großzügigen Faltschiebedach.

Hier haben ein Foto aus den späten 1970er oder frühen 80er Jahren, das in meiner Geburtsstadt Bad Nauheim vor dem neoklassizistischen Kerckhoff-Institut entstand, welches hier schon einmal die beeindruckende Stafffage abgegeben hat:

VW Käfer, Exportmodell von 1963; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der jahraus, jahrein genutzte Wagen – immer schön im Kurzstreckenverkehr – war genau 25 Jahre alt und hatte noch keine 120.000 Kilometer hinter sich, als er wegen einer modelltypischen Reparatur (Schweißarbeit am Rahmen vor der Hinterachse) für 1000 Mark für einen Opel Kadett Diesel in Zahlung gegeben wurde – der sich als ein in wirklich jeder Hinsicht miserables Auto entpuppte: lahm, laut, hässlich, rostanfällig.

Gerne hätte ich damals Mutters VW – den sie liebevoll „Muli“ nannte – übernommen, doch das stand gar nicht erst zur Debatte.

So kam es wie es kommen musste: Mein erstes eigenes Auto wurde ebenfalls ein VW Käfer, wieder ein 1200er mit 34 PS, aber Baujahr 1985 und nicht mausgrau, sondern knallrot.

Knapp 10 Jahre begleitete mich der Wagen durch den Alltag, bei jedem Wetter. Eine satte Ladung Unterbodenwachs pro Jahr verhalf meinem „Mexikaner“ dennoch zu einer rostfreien Karriere. Der erste Motor gab erst bei Kilometerstand 210.000 auf, akribische Ölwechsel alle 5000 Kilometer und häufige Vollgasfahrt auf der Autobahn waren das Lebenselixier.

Hier sehen wir „Hermine“, kurz bevor ich sie mit dem Motorschaden für 1.000 EUR verkaufte, vom Balkon meiner damaligen Wohnung in der Bad Nauheimer Luisenstraße aus:

VW Käfer, Mexikomodell von 1985; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Auch wenn ich am 1200er Käfer nie etwas vermisst habe, außer zuletzt vielleicht 10 km/h mehr Endgeschwindigkeit als Tempo 120, war mir stets klar, dass es schon zur Zeit seiner großen Erfolge bessere Autos in seiner Klasse gab – aber kein so Charmantes.

Tatsächlich war das Überleben des Volkswagens nach dem 2. Weltkrieg eher dem Zufall geschuldet – ohne die Initiative eines Offiziers der britischen Rheinarmee wäre auf die bis Kriegsende rein militärische Produktion in Wolfsburg keine zivile Auferstehung gefolgt.

Da ist der Gedanke reizvoll, ob nicht vielleicht ein anderer deutscher Wagen, der auf den ersten Blick ähnlich aussah, aber konzeptionell ganz anders ausfiel, anstelle des Käfers der deutsche Volkswagen hätte werden können.

Die Rede ist vom 1938 vorgestellten Hanomag 1,3 Liter, den ich hier anhand bisher noch nicht publizierter Dokumente vorstelle:

Hanomag 1,3 Liter; Originalreklame via Paul Hickney (USA)

Im Vergleich zum „Volkswagen“ fiel der Hanomag größer aus und war damit schon eher familientauglich. Auch bot er von Anfang eine auskömmliche Leistung an, wenngleich der Hubraum von 1,3 Litern damals auch bereits standfeste 40 PS statt nur etwas mehr 30 ermöglicht hätte.

Unter der optisch ähnlichen Karosserie verbarg sich ein gegenüber dem Volkswagen konventioneller Antrieb – vorne liegender Reihenverzylinder mit Wasserkühlung.

Dementsprechend brauchte der Hanomag natürlich auch einen Kühlergrill, äußerlich das Hauptunterscheidungsmerkmal gegenüber dem Volkswagen:

Hanomag 1,3 Liter; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Ein weiteres markantes Merkmal des Hanomag 1,3 Liter war die mittig unterteilte Frontscheibe und die sich über das Dach nach hinten ziehende „Rückenfinne“.

Die Gestaltung der Seitenpartie dagegen ähnelt sehr derjenigen des Volkswagens, wobei die Heckpartie nicht dessen Eleganz erreicht.

Dafür bekommt man hier einen Eindruck von den Größenverhältnissen des Hanomag, die ihn vielleicht zum besseren Volkswagen gemacht hätten:

Hanomag 1,3 Liter; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Für den Alltagsnutzen eher nachrangig war, dass die Türen des Hanomag in traditioneller Manier noch hinten angeschlagen waren, sich also nach vorne öffneten.

Das lässt sich auf diesem Foto gut nachvollziehen, das während des 2. Weltkriegs entstand, wie an den ab Sommer 1939 vorgeschriebenen Tarnscheinwerfern zu erkennen ist:

Hanomag 1,3 Liter; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Kriegsbedingt währte die Karriere des Hanomag 1,3 Liter nur kurz. Die Produktion endete 1941 und wurde danach nicht mehr aufgenommen.

Doch etliche überlebende Exemplare liefen unverdrossen noch einige Jahre weiter im Nachkriegsdeutschland mit seiner bis in die 1950er Jahre anhaltenden Knappheit an Personenwagen.

Die nächste Aufnahme ist ein typischer Beleg dafür. Sie zeigt einen mit Blinkern nachgerüsteten Hanomag 1,3 Liter, der im frühen Nachkriegs-Berlin zugelassen war und hier eine Kühlermanschette trägt, die in der kalten Jahreszeit für schnelleres Erreichen der Betriebstemperatur des Motors sorgte:

Hanomag 1,3 Liter; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Das hätte er also werden können – der vielleicht bessere Volkswagen. Doch es sollte anders kommen – so wie auch Mutters VW nicht meiner werden sollte.

So nehmen wir für heute Abschied vom Hanomag 1,3 Liter, so wie ich einst Abschied nahm von Mutters „Muli“, den sie an einem fahlen Herbsttag abseits der Landstraße südlich von Friedberg/Hessen ablichtete – ich war dabei und weiß es noch genau…

VW Käfer, Exportmodell von 1963; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

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Begegnung mit ungleichen Zwillingen: NSU-/Fiat 1100

Wenn Ihnen der Titel meines heutigen Blogeintrags etwas uninspiriert vorkommt, liegt das daran, dass die Idee „Turiner Wartburg mit vier Takten“ zu verwirrend gewesen wäre.

Zudem mag ich das Bild mit den Zwillingen – übertragen, aber auch ganz konkret, wie Sie am Ende sehen werden. Übrigens verdanke ich die Inspiration zur heutigen Abhandlung und einen Teil der Fotos Leser Andreas Schulz (Rostock).

Der Gegenstand der Betrachtung als solcher ist ein bereits öfters besprochenes Fahrzeug – der erfolgreiche Fiat 1100, welcher ab 1937 gebaut wurde (zunächst noch als 508 C bezeichnet). Als Nachfolger des 1 Liter-Modells 508 Balilla erhielt er einen neuen 1,1 Motor, dessen Konstruktion mit im Zylinderkopf hängenden Ventilen sich im Sport bewährt hatte.

Das auf 32 PS gedrosselte Aggregat sollte für Jahrzehnte in Produktion bleiben – und das aus gutem Grund. Auch in meinem 1964er Fiat 1100D verrichtet dieser Motor (nun mit 48 PS) vorbildlich sein Werk – ruhig und geschmeidig laufend, zugleich drehfreudig. Man hört den Motor von außen kaumt, so leise ist er.

Der Mode der 30er Jahre folgend besaß der Fiat 1100 eine strömungsgünstig erscheinende Frontpartie (die modernisierte Version ab 1939 bringe ich bei Gelegenheit):

Fiat 1100 Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die Standard-Limousine wurde als Viertürer angeboten, die gegenläufig angeschlagen waren, wobei die Türgriffe senkrecht ausgeführt und in der Türhaut eingelassen waren. Man sieht das bei näherem Hinsehen gerade noch auf dem obigen Foto.

Dieses Exemplar war im nordhessischen Witzenhausen zugelassen und ist ein Beispiel für einen Import des Modells aus Italien. Es gab aber eine parallele Produktion im ehemaligen NSU-Autowerk in Heilbronn, weshalb die dort montierten Fiats als NSU-Fiat firmierten.

Sie waren technisch identisch mit dem Turiner Original, aber in einer Hinsicht erwiesen sie sich als ungleiche Zwillinge: Die NSU-Fiats wurden nämlich mit einem nur zweitürigen Aufbau vom Karosseriewerk Weinsberg ausgeliefert und der sah so aus:

NSU-Fiat 1100; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Diese Werksaufnahme hat mir mein Oldtimerkamerad und Sammlerfreund Helmut Kasimirowicz (Düsseldorf) vermacht – wissend, dass ich früher oder später etwas Instruktives damit anzufangen weiß. Ihm sei bei der Gelegenheit nochmals herzlich gedankt!

Man sieht hier nicht nur den abweichenden Aufbau als variable Cabriolimousine (in Italien unbekannt), sondern auch Details wie die traditionell gestalteten Türgriffe.

Über den Aufnahmeort lasse ich mich gern aufklären – ich dachte erst an die AVUS in Berlin, bin mir aber nicht mehr so sicher, ob das passt.

Für eine weitere Variante des Themas „ungleiche Zwillinge“ hat nun Andreas Schulz gesorgt, der mich um Bestätigung gebeten hat, dass das Auto seiner Eltern in der DDR der 60er Jahre ebenfalls ein NSU-Fiat 1100 war:

NSU-Fiat 1100; Originalfoto: Familienbesitz (Andreas Schulz, Rostock)

Doch so identisch die Perspektive ist, so sehr ergeben sich auch bei diesen Heilbronner Zwillingen wieder Unterschiede im Detail.

Ja, der Aufbau stammt ebenfalls vom Karosseriewerk Weinsberg, doch diesmal haben wir es mit einer ganz geschlossenen Limousine zu tun.

Ein Kuriosum sind hier außerdem die Radkappen mit Mercedes-Stern – wie die nicht originalen Stoßstangen nicht untypisch für das Improvisationsvermögen der Ostdeutschen nach dem Krieg, die Vorkriegsautos bis in die 70er Jahre im Alltag fuhren.

Es gab technisch, leistungsmäßig und ästhetisch kaum etwas Besseres. Die von kleinen Geistern in Ostberlin initiierte sozialistische Planwirtschaft hatte die ostdeutsche Automobilwirtschaft immer mehr an die Kette gelegt und am Ende stranguliert.

Nur eine Ausnahme in optischer Hinsicht gab es und dazu kommen wir noch.

Unterdessen wurden auch im Westen unseres Landes nach dem 2. Weltkrieg noch eine Weile überlebende Fiat 1100 bzw. NSU-Fiat 1100 weitgefahren, obwohl ihr Bestand durch den Einsatz beim Militär dezimiert worden war.

Hier sehen wir ein Beispiel aus der amerikanischen Besatzungszone Württemberg (daher die Kennung AW):

Fiat 1100 Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Auch hier komme ich auf das Thema „ungleiche Zwillinge“ zurück, damit wenigstens etwas unnützes Wissen bei Ihnen hängenbleibt, wenn Sie schon den Besuch meines Blogs der stets neutralen und sachlichen Berichterstattung im Fernsehen vorziehen.

Vorne angeschlagene Türen und senkrechte Türgriffe sind ein klarer Hinweis auf? Einen Fiat 1100 aus Turin, richtig! Dieses Exemplar wirkt dazu passend wie für den Urlaub im Süden gemacht – hell lackiert und sogar mit Lenkrad in Wagenfarbe.

Für den allltäglichen automobilen Straßenkampf in „Bella Italia“ hatte man sich sogar eine extra starke Stoßstange mit Hörnern zugelegt! Aber in Wahrheit wird man wohl eher noch Urlaub in der Heimat gemacht haben, während ein eigenes Auto bis etwa 1960 ohnehin nur für relativ wenige Deutsche in Reichweite war.

Diese schöne Aufnahme habe ich übrigens bewusst ausgewählt, um zum nächsten ungleichen Zwilling überzuleiten. Diesmal sind es aber nicht nur die Ähnlichkeit der Perspektive und die gleichzeitigen Unterschiede im Detail, die mich dazu bringen.

NSU-Fiat 1100; Originalfoto: Familienbesitz (Andreas Schulz, Rostock)

Diese Aufnahme zeigt wieder den NSU-Fiat der Eltern von Andreas Schulz und Sie werden im Geist die Unterschiede zum 1100er Fiat aus Turin vermerken.

Doch viel interessanter sind letzlich die ungleichen Zwillinge auf der Motorhaube des Wagens – das sind nämlich Andreas Schulz und seine Zwillingsschwester! Hier half auch der Versuch nicht, die beiden gleich zu kleiden – schon von Haltung und Temperament her unterscheiden sich die beiden.

Damit wären wir fast am Ende der heutigen Betrachtung – doch eine Sache will noch erzählt werden und die ist vielleicht das Großartigste an der Story.

So zufrieden nämlich die Familie Schulz mit ihrem bald 30 Jahre alten NSU-Fiat 1100 in technischer Hinsicht war, so sehr wünschte man sich mehr Platz im Innenraum für die wachsende Familie.

Und daher entschloss man sich kurzerhand zu etwas, was schlicht genial war. Man behielt Chassis und Motor des NSU-Fiat 1100 bei – denn wie gesagt: etwas Besseres gab es in der DDR nicht – und setzte die Karosserie des einzigen wirklich optisch rundum gelungenen ostdeutschen Autos darauf – die des Wartburg 311.

Dieser Entwurf von Hans Fleischer – Gestalter einiger anderer Meisterstücke – fand bei Erscheinen anno 1955 auch international Anerkennung. Für mich vermitteln der Wartburg 311 und seine zahlreichen faszinierenden Varianten eine Vorstellung davon, was die Autoindustrie im Osten unseres Landes ermocht hätte, wenn man sie hätte machen lassen.

Es war alles da: die Tradition, auf der man aufbauen konnnte, das Können und der Wille – nur in der Politik saßen bornierte, bildungsferne Zentralisten mit ideologischen Zwangsvorstellungen, welche die totale Kontrolle alles Wirtschaftens beinhalteten.

Ich finde es immer wieder bewundernswert, was unsere ostdeutschen Landsleute unter den immer restriktiveren Bedingungen des Regimes im Privaten zustandebrachten. Dass viele fast ein ganzes Leben unter diesen Umständen zubringen mussten, bedrückt mich.

Wir Deutschen in Ost und West sind vor diesem Hintergrund wie Zwillinge, die getrennt wurden – wir kommen aus demselben Stall, erfuhren aber dann unterschiedliche Prägungen.

Dabei können wir voneinander lernen und eines sollten wir nicht: uns von interessierter Seite gegeneinander aufbringen lassen – dazu sind die Familienbande zu stark, hoffe ich…

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Unisex – 6-Zylinder für alle? Brennabor Juwel 10/45 PS

Was halten Sie eigentlich von Unisex-Angeboten im Kleidungssektor? Nun, wie fast immer möchte man meinen: Es kommt darauf an.

Ein universeller sackartiger Sichtschutz, der keine Rückschlüsse auf das Geschlecht anhand des Körperbaus zulässt, wäre für den Ästheten ein ähnlicher Affront wie die kragen- und taschenlosen Einheitskittel im Mao-Look, welche einem als politisches Statement bisweilen noch heute begegnen.

Weit besser gefällt mir, wenn sich sportliche Damen in knappe Mechaniker-Overalls zwängen oder sich Herrenanzüge auf den Leib schneidern lassen und dazu Krawatte tragen. Warum ich das unbedingt befürworte, kann vielleicht ein Psychologe erklären.

Wenig Verständnis indessen bringe ich dafür auf, wenn Männer meinen, Geschlecht sei ohnehin beliebig und selbstverständlich könnten auch sie als Frauen auftreten, indem sie einfach einen Fummel überziehen, den sie für typisch weiblich halten und versuchen, sich den Bartschatten zu übertünchen. Das Ergebnis wirkt stets albern bis peinlich.

Wenn Sie sich jetzt fragen, wie ich ausgerechnet auf diese Thematik komme, darf ich zu meiner Entschuldigung vorbringen, dass mich ein Autofoto der Vorkriegszeit darauf gebracht hat – noch dazu eines aus der Berliner „Szene“.

Das kann ja heiter werden„, mag jetzt mancher denken – „unser sonst so konservativ auftretender Blogwart scheint ja ziemlich abseitige Interessen zu pflegen“.

Seien Sie unbesorgt, es ist wirklich ganz harmlos, allenfalls ein klein wenig frivol, wenn man sich mit Unisex-Lösungen um 1930 befasst – etwa, was Badekleidung angeht. Denn darum geht es heute unter anderem:

Brennabor „Juwel“ 10/45 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Sie sehen, was ich meine?

Der Badeanzug steht ihm entschieden weniger als ihr – immerhin weiß er das und präsentiert seine weit besser geratene Hälfte auch entsprechend prominent.

Das muss man doch gutheißen, dass sich der Badeanzugträger hier so im Hintergrund hält, zumal sein weibliches Pendant ausgesprochen gute Miene zu der Situation macht.

Tatsächlich fällt es schwer, sich hier loszureißen und sich dem Auto zuzuwenden, welches auf den ersten Blick als bloße Stafffage zu dienen scheint. Doch das liegt nur daran, dass ich lediglich einen kleinen Ausschnitt davon zeige – es gibt gleich noch mehr in Sachen automobiler „Sechs-Appeal“ zu besichtigen.

Zuvor sei auf das Kühleremblem verwiesen, das auf den traditionsreichen deutschen Hersteller Brennabor aus Brandenburg an der Havel verweist.

Die Marke hatte seit Beginn des Jahrhunderts gute und schlechte Zeiten gesehen – Ende der 1920er Jahre war sie zwar wirtschaftlich auf dem absteigenden Ast, aber kurz vor dem Ende (anno 1933) brachte sie noch ein zumindest optisch sehr gelungenes Fahrzeug auf den Markt – den Typ „Juwel“ mit 10/45 PS Sechszylinder.

Es gab auch eine rare Achtzylinderversion, doch dazu mehr bei Gelegenheit. Als Unisex-Model – also als Sechszylinder für alle – war der Brennabor „Juwel“ 10/45 PS leider nicht geeignet. Das lag nicht nur daran, dass Autos überhaupt für den Normalbürger im damaligen Deutschland völlig unerschwinglich waren.

Entscheidend war vielmehr, dass Brennabor wie alle deutschen Hersteller damals nicht annähernd in der Lage war, mit den US-Sechszylinderwagen zu konkurrieren.

Diese waren wirklich Unisex-Modelle für jedermann, wie der ebenfalls 1929 erschienene Chevrolet AC International illustriert. Er bot dieselbe Leistung in Verbindung mit einem drehfreudigeren und elastischeren Motor mit 3,2 Litern Hubraum zum weit niedrigeren Preis.

Möglich war dies trotz der hohen Kosten des Exports aus Übersee durch die einzigartige Produktionseffizienz des US-Herstellers. Selbst im Depressionsjahr 1929 entstanden 100.000 Exemplare des Chevrolet AC International – pro Monat, wohlgemerkt.

Demgegenüber war der bis 1932 gebaute Brennabor chancenlos, wenngleich man durchaus sagen kann, dass er gute Figur wie seine hier abgelichteten Besitzer machte:

Brennabor „Juwel“ 10/45 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die drei (statt zwei) Reihen horizontaler Luftschlitze in der Motorhaube waren nach meinem Eindruck (nachlesen kann man das leider nirgends) das äußere Unterscheidungsmerkmal gegenüber dem Vierzylindertyp „Ideal“ 7/30 PS.

Die auf anderen Fotos des Typs zu sehenden Doppelstoßstangen scheinen optional gewesen zu sein, da sie hier fehlen. Auch der Schriftzug „Juwel“ auf dem Kühler war wohl ein Extra. Sollte ich hier falsch liegen bitte ich um Korrektur von sachkundiger Seite.

Rechts am Blech unterhalb des Kühlers findet man ein stilisiertes Eichenblatt, das seinerzeit gern als Hinweis darauf angebracht wurde, dass man ein deutsches Fabrikat fuhr. Das war eine einigermaßen hilflose Erfindung der deutschen Automobilbranche, denn die Herkunft des Wagens war damals für jeden Autointeressierten unmittelbar erkennbar.

Aber herrje, gelungenes Marketing war und ist nicht gerade eine Stärke der Deutschen – sie denken zu kompliziert und vor allem zu lange, kommen sich dabei aber sehr überlegen vor.

So blieb auch der Versuch einer „Unisex“-Lösung im Fall des Brennabor Juwel 10/45 PS Lösung von wenig Erfolg gekrönt. In Sachen Sechszylinder konnnte den Amis keiner auch nur annähernd Paroli bieten.

Und das Auto für jedermann blieb – losgelöst von der Zylinderzahl – in deutschen Landen bis lange nach dem Krieg ein unerfüllter Traum. Die vielbeschworene Volksgemeinschaft hatte andere Ziele und ruinierte erst einmal sich und seine Nachbarn auf’s allergründlichste.

Immer wieder unbegreiflich, wie es dazu kommen konnte, wenn man so bezaubernde Dokumente wie dieses betrachtet…

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Fund des Monats: Ein Sizaire-Naudin Tourer um 1908

Intime Kenner der in die hunderte gehenden frühen Automarken aus Frankreich dürften sich fragen: Was bitteschön soll an einem Sizaire-Naudin so ungewöhnlich sein, dass er hier als Fund des Monats in den Adelsstand erhoben wird?

Verglichen mit den unzähligen wirklich raren französischen Fabrikaten der Zeit vor dem 1. Weltkrieg war dieser Hersteller ja geradezu etabliert und baute von 1905 bis 1921 Fahrzeuge, die sich unter anderem im Sport einen Namen machten.

Ein recht spätes Exemplar von 1913/14 habe ich schon einmal vorgestellt (hier), ohne dass ich allzuviel Aufsehens darum gemacht hätte:

Sizaire-Naudin Tourer um 1908; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Doch dieser sportliche Wagen aus der Zeit kurz vor dem 1. Weltkrieg hat außer dem Namen praktisch nichts gemein mit dem Gerät, um das es heute geht.

Dazu muss man wissen, dass Sizaire-Naudin einer der frühen Autobauer war, der zunächst mit geringen Hubräumen achtbare Resultate am Markt erzielte zu einer Zeit, in der viele Konkurrenten ihre Kunden mit großvolumigen und reisetauglichen Wagen ansprachen.

Kurioserweise gelang es dem Hersteller mit einem Einzylindermotor jahrelang erhebliche Stückzahlen zu erzielen, was wohl der gezielt sportlichen Auslegung geschuldet war, welche im Rennsport bewährte Elemente umfasste.

Eines davon war ein für damalige Verhältnisse neuartiges Fahrwerk. So war die Vorderachse an einer querliegenden Blattfeder aufgehängt und die Räder konnten dadurch unabhängiger voneinander ein- und ausfedern als bei einer konventionellen Aufhängung an zwei längsliegenden Blattfedern.

Die Räder bewegten sich dabei in einer vertikalen Schiene auf und ab, die ein zusätzliches Dämpfungselement enthielt – laut Literatur angelehnt an ein älteres Patent des ebenfalls französischen Herstellers Decauville. Vielleicht kann ein sachkundiger Leser noch besser erklären, was daran so ingeniös war.

Mich beeindrucken an dem Fund des Monats – den wir Leser Klaas Dierks verdanken – ohnehin zwei andere Dinge.

Zum einen finde ich es bemerkenswert, einem Sizaire-Naudin im deutschsprachigen Raum zu begegnen, nämlich in Böhmen. Zum anderen – das war für mich ausschlaggebend – ist dieser Wagen auf wahrlich atemberaubende Weise für die Nachwelt festgehalten worden.

Hier schnurren gut 115 Jahre Zeitabstand mühelos zusammen und man kommt sich so vor, als habe man den lässig am Wegesrand abgestellten Wagen selbst direkt vor der Linse:

Sizaire-Naudin Tourer um 1908; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Geht es Ihnen auch so, dass man förmlich in dieses Bild hineingezogen wird?

Dazu trägt die radikal unkonventionelle Perspektive bei und natürlich das nach so langer Zeit immer noch gegenwärtige Leben auf der Aufnahme.

Die Tatsache, dass die Beifahrerin während der Belichtungszeit den Kopf ein wenig drehte, empfindet man hier gerade nicht als Mangel – auch das trägt zu dem Eindruck bei, der Situation hier und jetzt unmittelbar beizuwohnen.

Stellen Sie sich jetzt vielleicht noch den Duft vorn frischem Gras im Frühling vor, der von einer Mischung aus Öl- und Benzindämpfen überlagert wird. Es soll damals Parfüme gegeben haben, die etwas in der Richtung evozierten, vielleicht wird das in Zeiten nahezu emissionsfreier Verbrennermotoren demnächst wieder attraktiv…

Wann aber war dieses „damals“, was hier auf so magische Weise festgehalten wurde?

Nun, ich habe zwar von Sizaire-Naudin so wenig Ahnung wie von den zahllosen anderen Hestellern aus dem französischsprachigen Raum, die vor dem 1. Weltkrieg florierten.

Aber ich meine, dass ich über die Jahre ein Auge dafür entwickelt haben, wie man so ein exotisches Gefährt anhand weniger Vergleichsaufnahmen datiert. Und so meine ich, dass wir es mit einem Exemplar aus der 1-Zylinderära der Marke um 1908 zu tun haben – mit einer Genauigkeit von +/- 1 Jahr.

Wie ich darauf komme, das zu referieren, wäre langweilig. Wer es besser weiß, kann im übrigen in der Kommentarfunktion seine Sicht der Dinge darlegen – ich lerne gern dazu.

Nur eine Sache noch: Bemerkenswert an diesem Exemplar ist nicht zuletzt, dass es einen Aufbau als viersitziger Tourenwagen trägt. Das habe ich so sonst nirgends nicht gefunden – dem sportlichen Ruf der Marke entsprechend wurden die 8 bis 12 PS leistenden Einzylinderwagen offenbar meist als Zweisitzer geordert.

Das war’s für heute – mag sein, dass in Sachen frühe Franzosen besonders verwöhnte Leser, die sogar einen Kühler eines Sizaire-Naudin ihr eigen nennen können – hier nur gelangweilt abwinken.

Aber: Überraschungen harren auch im Alltäglichen und genau davon habe ich einiges an Material für Sie in petto – zumindest in der Hinsicht liegt ein herrlicher Herbst vor uns…

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Eine tolle Kiste? Pontiac „Eight“ Cabriolet von 1934

Zugegeben: man muss sich schon etwas jenseits des 50. Lebensjahrs befinden, um beim Titel „Eine tolle Kiste“ an die Werbung zu denken, mit der Fiat in den 1980er Jahren Reklame für sein Kleinwagenmodell „Panda“ machte.

Das auf jedwede Stylingbemühungen verzichtende Auto machte damals eine unglaubliche Karriere – rund vier Millionen Exemplare des ultrapraktischen, gnadenlos zuverlässigen, sparsamen und preisgünstigen Minimalmobils entstanden.

Wieder einmal erwiesen sich die Turiner als Meister des erschwinglichen und komplikationslosen familientauglichen Kleinwagens – wie schon mit dem 500er oder dem 127. Kein deutscher Hersteller hat auf dem Sektor je Vergleichbares in Großserie zustandegebracht.

Nach dieser denkbar weit vom eigentlichen Objekt der Betrachtung ablenkenden Einleitung mögen Sie sich jetzt fragen: Wie bekommt man jetzt die Kurve zum Achtyzlinder-Pontiac von anno 1934 in der unpraktischen Art Deco-Ausführung als Zweisitzer-Cabriolet?

Zur Erinnerung für diejenigen, welche schon 2018 meinen Blog verfolgten – und zur Belehrung aller übrigen – hier eine von zwei Aufnahmen dieses Gefährts, das seinerzeit auch in Deutschland einige Käufer fand:

Pontiac „Eight“ Cabriolet von 1934; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Das Auto wirkt aus dieser Perspektive kompakter und pummeliger, als es wirklich war, und auch um diesen Eindruck zu korrigieren, müssen wir heute zu der tatsächlich „tollen Kiste“ zurückkehren.

Leider vermochte seinerzeit auch eine zweite Aufnahme desselben Wagens dem Modell nicht wirklich gerecht zu werden.

Irgendwo in Frankreich“ ist auf der Rückseite des Abzugs vermerkt – immerhin erhält man nun einen etwas besseren Eindruck von der Opulenz des Vorderwagens:

Pontiac „Eight“ Cabriolet von 1934; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Mit über 80 PS Leistung, vorderer Einzelradaufhängung und vollsynchronisiertem Getriebe war der 1934er Pontiac in technischer Hinsicht durchaus eine tolle Kiste – nur das sinnliche Styling will so gar nicht in diese Kategorie passen.

Doch Leser Jürgen Klein weiß Abhilfe zu schaffen und stellt uns hiermit eine Aufnahme aus seiner Sammlung zur Verfügung, welche den Pontiac in genau dieser schönsten Ausführung des 1934er Modells auf endlich angemessene Weise zeigt.

Dabei ist die tolle Kiste mitabgelichtet, in der man Campingzubehör für Wochenendausflüge oder auczh Reisegarderobe für längere Trips mit Hotelübernachtung vermuten darf:

Pontiac „Eight“ Cabriolet von 1934; Originalfoto: Sammlung Jürgen Klein

Letztlich bleibt es der Fantasie überlassen, was sich in der tollen Kiste am Heck des Pontiac befand. Sie ersetzte oder ergänzte bei Bedarf den „Kofferraum“ in Gestalt des ausklappbaren Schwiegermuttersitzes hinter dem Cabrioverdeck.

An heutigen Autos finden sich an dieser Stelle meist Fahrräder oder Elektromopeds (auch als E-Bikes bekannt) – der Bedarf nach zusätzlicher Transportkapazität hat sich nicht geändert.

Nur die Ästhetik hat keine Fortschritte gemacht, weshalb ja immerhin einige Zeitgenossen zur Erbauung diesen Blog regelmäßig ansteuern.

Auf die tolle Kiste in Form des brutal-funktionellen Panda der 1980er Jahre lasse ich indessen nichts kommen. Das Teil kann man sich zwar immer noch nicht schönsehen, aber es ist nach über 40 Jahren zumindest in ländlichen Teilen Italiens im Alltag noch so präsent wie das in den 80ern der Fiat 500 war.

Speziell der wirklich geländetauglichen 4×4-Version begegne ich in meiner zweiten Heimat Umbrien mehrmals täglich – die Leute wissen genau, was sie an der tollen Kiste haben und halten sie am Laufen, weil es in der Klasse bis heute nichts Besseres gibt.

So kehre ich am Ende vom repräsentativen Achtzylinder-Pontiac doch wieder zum klassenlosen und zeitlosen Fiat „Panda“ zurück. Merkwürdig sind die Wege, welche der Kopf einschlägt, wenn er sich nach arbeits- und erlebnisreichem Tag entspannen darf…

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Authentisch „restauriert“: Ein Hansa 18/60 PS Tourer

Nach über vier Jahren kann ich endlich einen authentisch restaurierten Wagen des extrem seltenen Oberklasse-Wagens 18/60 PS der Marke Hansa aus den frühen 1920er Jahren präsentieren.

Solange ist es nämlich her, dass ich zuletzt einen dieser Vierliter-Vierzylinder-Riesen aus dem hohen Norden hier gezeigt habe.

Wenn einer so lange für eine Restaurierung braucht, könnte man meinen, dass es sich eher um einen Neuaufbau unter Verwendung von Originalteilen wie Chassis und Motor handelt.

Damit wir uns recht verstehen: das kann man machen, man darf auch etwas Eigenständiges auf antiker Basis kreieren – nur sollte man ehrlich bleiben und klar sagen, was man da veranstaltet hat.

Ich selber habe es ja eher mit Gefährten, welche die Zeiten komplett, aber durchaus mitgenommen oder auch modifiziert überstanden haben, von der Substanz solide sind und nur eine technisch Überholung benötigen, alles Übrige wird konserviert.

Das Ergebnis nenne ich dann authentisch restauriert in dem Sinne, dass ich einen Zustand aus dem tatsächlichen Alltagseinsatz eines Automobils bewahre. Warum das für manche ausgerechnet die Sekunde sein muss, in der ein Fahrzeug einst nagelneu aus der Fabrik rollte, will mir nicht so recht einleuchten.

So ist der absolute Neuzustand statistisch betrachtet die irrelevanteste Momentaufnahme aus einem Autoleben – selbst dann, wenn ein Auto nur einige Jahre auf der Straße war. Auf alten Fotos tragen die meisten Wagen bereits nach kurzer Zeit deutliche Abnutzungsspuren, die damals keinen Menschen störten. Auch wurde häufig angebaut, was gefiel.

Solche Aufnahmen liefern für mich einen historisch repräsentativeren Maßstab für das authentische Aussehen von Vorkriegswagen als die weit selteneren Werksfotos jener Zeit.

Zudem ist es weit günstiger, einfach die erhaltene, stark gebrauchte Substanz zu konservieren, anstatt das Originalmaterial wegzuwerfen und durch oft minderwertige Nachbauten zu ersetzen. Das trifft vor allem für die Leder- und Stoffausstattung zu.

Für einen mittleren vierstelligen Betrag erwarb ich vor einigen Jahren meinen Licorne L760 von 1933, an dem es nichts zu restaurieren gibt – nur die Originalsubstanz bedarf etwas Zuwendung in Form behutsamer Reinigung. etwa im Fall des Innenraums:

Wer hier meint, alles auf „neu“ machen zu müssen, darf das zwar, aber er muss sich gefallen lassen, als extremer Banause – kurz: Idiot“ – bezeichnet zu werden.

In Frankreich bekommt man immer noch solche kompletten und authentischen Vorkriegswagen für Preise, die hierzulande für eine Lackierung aufgerufen werden.

Und so halte ich es auch mit der Restaurierung des heute präsentierten Hansa 18/60 PS, der aus Australien den Weg zu mir gefunden hat.

Wie? So ein sonst ausgestorbenes Gerät soll ausgerechnet „down under“ überlebt haben? Nun, es wäre nicht das erste Mal, dass dort ein für verschollen gehaltenes deutsches Automobil der Vorkriegszeit wieder aufgetaucht ist,

Doch im vorliegenden Fall handelt es sich nur um das historische Konterfei eines dieser Hubraumriesen, die vor über 100 Jahren für Tempo 100 gut waren.

Die folgende Aufnahme verdanke ich Leser und Oldtimersammler Jason Palmer, der sich mit europäischen Vorkriegsmodellen ausgezeichnet auskennt und selber welche besitzt:

Hansa 18/60 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Auch in diesem Fall habe ich es mir einfach gemacht: Von der Originalsubstanz war alles Wesentliche vorhanden, sie war nur ziemlich beschädigt und wies die eine oder andere Fehlstelle auf.

Kurzerhand machte ich mich mit einigen Hausmitteln an die Arbeit, putzte den Wagen wieder heraus, polierte einige Kratzer und kaschierte die eine oder andere unschöne Stelle auf billige, aber dauerhafte Weise.

Der Lack bekam eine ordentliche Behandlung verpasst, sodass er wieder eine gewisse Wirkung entfalten kann – auch am Fahrer konnte ich einige Altersflecken übertünchen.

Schnell und günstig das Ganze und schon steht der über fünf Meter lange Koloss wieder würdevoll auf der Straße, meinen Sie nicht? Hauptsache, das Teil kommt wieder in Bewegung und sei es nur in der digitalen Sphäre des 21. Jh.

Echte Originale dieses einstigen Hansa-Spitzenklassetourers dürften ja kaum noch existieren. Oder weiß es jemand besser? Dann könnte man glatt einmal schauen, ob der auch so authentisch restauriert wurde, wie ich mir das so vorstelle…

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Endlich direkte Fronterfahrung! Stoewer V5 von 1931

Nach meinem Eindruck sind es meist ältere Herrschaften (m/w/d) – bzw. Zeitgenossen, denen offensichtliche Untauglichkeit von vornherein das Vergnügen verbietet – welche der Jugend den Genuss direkter Fronterfahrung schmackhaft zu machen versuchen.

In etlichen Fällen scheinen mir auch in der Familie vererbte offene Rechnungen eine Rolle zu spielen, wenn davon fabuliert wird, dass man politische Probleme doch am besten weit vor den Landesgrenzen gewaltsam lösen sollte.

Für dergleichen Hirngespinste der politischen Eliten ließen nicht nur in Vietnam, sondern jüngst auch am Hindukusch neben ungezählten Einheimischen junge Soldaten westlicher Staaten ihr Leben – ohne dass einer Ziel und Zweck kannte.

Was die deutschen Kontingente in Afghanistan angeht, hört man von den Alliierten übrigens wenig Schmeichelhaftes. Die gefürchtete Kriegstüchtigkeit (lateinisch: „furor teutonicus“) hat man den Deutschen ausgetrieben – zur Abwechslung eine gute Nachricht für unsere Nachbarn, die mit Ausnahme der Schweiz ein trauriges Lied davon zu singen wissen.

Für meinen Teil genügt es, wenn man seine Grenzen robust zu schützen vermag und etwaigen Invasoren durch entschlossenen Auftritt von vorherein den Appetit verdirbt. Auch an der bröckelnden Heimatfront gibt es viel zu tun, vielleicht fängt man erst einmal dort an.

Davon unabhängig plädiere ich heute aber unbedingt dafür, hier und jetzt einschlägige Fronterfahrung zu sammeln und zwar durch direkte Konfrontation mit der neusten „Waffe“, die anno 1931 von der Stettiner Schmiede Stoewer zur allgemeinen Überraschung auf den deutschen Markt gebracht wurde.

Mancher kennt dieses Gerät aus beschönigenden Darstellungen wie etwa dieser hier, auf welcher die beim Gegner unerwartet einschlagende Type V5 ganz harmlos daherkommt:

Stoewer V5 von 1931; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Tja, wer hätte das gedacht, dass Deutschlands erstes in Serie gebautes Frontautomobil einen derartig bieder-konventionellen Eindruck machte.

Bei der Konkurrenz von DKW wirkte die Vorstellung des Stoewer V5 anno 1931 dagegen wie ein Atompilz am Horizont. Denn man war gerade selbst dabei, ein solches Gefährt herauszubringen, das den Abnehmern ebenso direkte Fronterfahrung ermöglichte.

Doch so war es tatsächlich die kleine, aber immer wieder durch ihren Innovationsgeist hervortretende Manufaktur Stoewer aus Stettin am Ostseestrand, die einen serienreifen Kleinwagen mit Frontantrieb, Einzelradaufhängung vorne und hinten sowie einen 25 PS leistenden 1,2-Liter-V4-Motor herausbrachte.

Warum das Teil dann ausgerechnet V5 und nicht V4 nach der ungewöhnlichen Zylinderanordnung getauft wurde? Das wissen vielleicht Sie, liebe Leser, ich konnte der Frage nicht nachgehen. Opfer müssen halt gebracht werden usw.

Wichtiger ist mir, als im Kalten Krieg gedienter Panzergrenadier mit Spezialausbildung in Häuserkampf und anderen wertvollen Feldern, Ihnen heute eine möglichst unverfälschte Fronterfahrung mit dem Stoewer V5 zu ermöglichen.

Dazu eignet sich ideal eine Aufnahme, auf die mich mein Sammlerkamerad und dem Kriegshandwerk fernstehender Oldtimerfreund Helmut Kasimirowicz aufmerksam machte.

So gelang es mir, dieses Prachtfoto zu ergattern, auf dem Sie dem Stoewer V5 so ungeschönt begegnen, wie man sich das bei automobiler Fronterfahrung wünscht:

Stoewer Typ V5 von 1931; Originalfoto. Sammlung Michael Schlenger

Starker Auftritt nicht wahr?

So eine aggressive Erscheinung hätte man dem kleinen Stoewer gar nicht zugetraut. Zur beeindruckenden Wirkung trägt der ungewöhnlich breite Kühlergrill bei, der beim überarbeiteten V5 von 1932 einer weniger militant erscheinenden Version wich.

Das ist ein Gerät, das keinen Hehl aus seiner technischen Konzeption als Fronttriebler macht. Kaum kaschiert unter dem groben Blech unter dem Kühler arbeitet das Differential des um 180 Grad gedrehten 4-Zylindermotors.

Keine Mühe wurde darauf verwendet, die Nuditäten des Vorderradantriebs und der querliegenden oberen Blattfeder auch nur notdürftig zu verbergen. Dieser erste fronttaugliche Stoewer war wie eine Waffe ganz zum unmittelbaren Einsatz konzipiert.

Er verkörpert zumindest von vorne die von mir geringgeschätzte Ideologie des „form follows function“ – eines frei erfundenen Gestaltungsgrundsatzes, den seine Verfechter gern zum Naturgesetz geadelt hätten, was aber an der Renitenz der Normalsterblichen scheitert, welche die organischen Formen der Natur selbst für erstrebenswerter halten.

Stoewer reagierte entsprechend, weshalb die Frontwagen der Stettiner im Laufe der Jahre immer schöner wurden (siehe meine Markengalerie).

Das war es auch schon, was ich dem Thema Fronterfahrung für heute abzugewinnen vermag. Es schlummern zwar noch viele wesentlich einschlägigere Aufnahmen in meinem Fundus, doch irgendwie habe ich derzeit keine Lust, schöne Vorkriegs-PKW im Kriegseinsatz zu zeigen.

Ich sehe jetzt zu, wie ich aus der Fronterfahrungsnummer wieder herauskomme – Jimmy Yanceys Blues-Pianostück „Getaway“ von 1939 hilft mir hoffentlich dabei…

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Mit Gewähr bei Fußboden! Ein Opel „Fulavex“ um 1912

Mit einer bewusst gewählten Titelzeile kann man jemanden gezielt desavouieren – etwa indem man behauptet, eine Person des öffentlichen Lebens sei als Steuerhinterzieher verurteilt worden, wo es nur um eine Verwarnung wegen eines geringfügigen Betrags von unter 20 EUR ging. Die Korrektur folgte später versteckt und im Kleingedruckten.

Sie wissen nicht, mit wem man das kürzlich veranstaltet hat? Schade, solche Praktiken finden Sie hier jedenfalls nicht, die Titel meiner Blog-Einträge sind ein Vorbild an Faktentreue und präziser Doppeldeutigkeit zugleich…

Im heutigen Fall böte sich zudem ein Wortspiel unter Verwendung des Begriffs der Doppelläufigkeit ein, den ich soeben erfunden habe, doch ich muss mich bremsen.

L’importante e finire“ im Hintergrund gesungen von der italienischen Chansonniere Mina erinnert mich gerade daran, dass ich meine Fantasie zügeln sollte, um nicht das Ziel aus dem Auge zu verlieren.

Genau darum geht es bei den Gegenständen, welche sich zahlreich auf dem Foto finden, das mir Leser Martin Krause in digitaler Kopie zur Verfügung gestellt hat. Dort mag man zuerst an „Gewehr bei Fuß“ denken – und sie werden womöglich denken, soviele Tippfehler kann einer nicht machen, dass er stattdessen „Gewähr bei Fußboden“ schreibt.

Richtig gedacht, aber eins nach dem anderen. Erst einmal bestaunen wir diese Versammlung bewaffneter Herren neben einer repräsentativen Chauffeur-Limousine:

Opel Chauffeur-Limousine um 1912; Originalfoto: Sammlung Martin Krause

„Gewehr bei Fuß“ trifft zwar nur für einen der drei schnauzbärtigen Jägersleute auf der linken Seite zu, aber das genügt, um diesbezüglich einen Haken zu machen.

Komplizierter wird es, was das daran anknüpfende Wortspiel angeht. Doch erst einmal würdigen wir die drei mit doppelläufigen Schrotflinten posierenden Herren. Könnten das Brüder sein? Oder ähneln sie sich nur wegen ihrer jagdmäßigen Kleidung?

Egal, zumindest die beiden neben der offenen Tür dieser Chauffeur-Limousine Stehenden haben etwas Bestimmendes an sich. Sie dürften die Chefs in dieser Szene sein, und darüber hinaus – wir kommen später darauf zurück.

Gut gefällt mir neben dem Jagdhund, der ebenfalls ein echter Charaktertyp zu sein scheint, der Eine der Drei, der sich einen Satz Schrotpatronen griffbereit in das Jackett geschoben hat. Er dokumentiert damit seine Einsatzbereitschaft und schaut ungeduldig in die Ferne.

Ob die Herren nebst Hund gleich alle in diesen Wagen einsteigen werden, sei dahingestellt. Mir scheint das Auto trotz des aufwendigen Aufbaus etwas zu klein dafür zu sein.

Damit wäre endlich der Übergang zur Auto-Thematik geschafft, wenngleich das Thema Jagdwaffen seine eigene Faszination hat. Wer nun aufstöhnt und das Handwerk verwerflich findet, möge zunächst überlegen, wie es um den eigenen Fleischkonsum und insbesondere die zugrundeliegende Produktionsweise bestellt ist.

Ich bin da auf der sicheren Seite, denn außer jagdlich zur Strecke gebrachtem Wild kommt mir so gut wie kein Fleisch auf den Teller – aus diversen Gründen. Ich sehe die Sache aber nicht militant und würde als Gast kein herkömmliches Fleischgericht ablehnen.

Also: Die Jagd per se, wenn sie nicht dem reinen Zeitvertreib oder der Kompensation irgendwelcher Komplexe dient, findet meine Zustimmung. Sein Handwerk mit dem Gewehr verstehen sollte einer freilich, aber das gilt ja für jede ernsthafte Betätigung, nicht wahr?

Jetzt aber zu dem Automobil, das rasch als Opel aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg identifiziert ist. Die Kühlerform, die leicht schrägstehenden Luftschlitze in der Motorhaube und der rudimentäre Schriftzug „…el“ lassen kaum einen Zweifel.

Stilistisch bewegen wir uns hier um 1912, plus/minus ca. ein Jahr. Nicht ganz so präzise lässt sich das Modell ansprechen. Von den Proportionen her haben wir es weder mit einem der kleinen noch mit einem der großen Typen zu tun.

Ab 20 PS aufwärts würde ich die Motorisierung veranschlagen, genauer geht es wohl nicht. Die parallelen Modelle einer Typenfamilie unterschieden sich vor dem 1. Weltkrieg oft nur durch die Größe bzw. den Bauaufwand bei der Karosserie.

Aber hatte ich diesen speziellen Opel nicht mit dem Zusatz „Fulavex“ als etwas außer der Reihe Befindliches geadelt?

In der Tat und jetzt kommen wir endlich auch zur ominösen „Gewähr bei Fußboden“. Selbige bot nämlich der Hersteller des gleichnamigen Produkts zweifellos beim Einölen von Holzfußböden – das war ja Ehrensache.

Dafür wurde sogar auf der Frontscheibe unseres Opel Jagdwagens Werbung gemacht:

Fulavex war ein offenbar bewährtes Produkt der Chemischen Farb- & Lack-Werke GmbH im Mannheimer Stadtteil Seckenheim.

Dazu scheint das Nummernschild des Opels vorzüglich zu passen, weshalb Fotobesitzer Martin Krause wohl zurecht davon ausgeht, dass wir hier die Chefs der Fabrik selbst sehen.

Der mutmaßliche Direktionswagen der Firma machte selbstredend Reklame für eines der glänzenden Produkte. Die Möglichkeit, dass wir hier lediglich durch die Windschutzscheibe ein solches Schild am Zaun des Hauses im Hintergrund sehen, besteht, ich würde sie aber als sehr gering veranschlagen.

Für eine entsprechende Situation auf einem Fabrikgelände spricht aus meiner Sicht auch das Vorhandensein eines Schmalspurgleises unterhalb des Autos.

Alle weiteren Vermutungen oder auch kundigen Ausführungen in Sachen Gewehr oder Gewähr überlasse ich nun Ihnen, liebe Leser. Ich dagegen überlasse mich dazu passend dem Zauber von „Parole, Parole...“ vorgetragen wiederum von Meisterin Mina auf CD…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Jungs tun alles für eine wie sie: Citroen Type B2

Wieviele Buben brauchte es einst, um ein Frollein zu erhitzen? Diese politisch wenig akkurat formulierte Frage ist keineswegs von gestern – und auch nicht bloß rhetorisch.

Schon vor 100 Jahren fand sie zeitlosen Ausdruck in zwei historischen Aufnahmen, mit denen ich Ihnen, liebe Leser, verlässliche Ablenkung von den Zumutungen (oder sollte man verharmlosend sagen: Albernheiten?) des Hier und Jetzt garantiere.

Allerdings müssen sie dafür zwei Dinge akzeptieren: Erstens spielt das Auto nur eine Nebenrolle und ich werde davon nur das Nötigste erwähnen.

Zweitens müssen Sie sich zumindest für heute damit anfreunden, dass ein Citroen B2 weiblich ist, wie überhaupt jedes Auto im Französischen. Sonst würde das himmlische Wortspiel mit „der DS“ von Citroen (La Déesse – die Göttliche) nicht funktionieren.

Also, wieviele Jungs es braucht, um eine wie SIE auch nur in Gang zu bringen und bei Laune zu halten – das erfahren wir in dieser von Experten als repräsentativ erachteten Fotostudie. Wobei sie – nicht vergessen – eine Type B2 von Citroen war:

Citroen Type B2 Tourer; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Acht Jünglinge sind es an der Zahl – ein beachtliche Schar, die sich hier um das Objekt der Begierde versammelt hat.

Schwer wie einst Penelope angesichts der vielen Freier in Odysseus‘ Abwesenheit dürfte es der Dame aus Frankreich gefallen sein, sich des Körperkontakts und des kühnen Zugriffs dieser sich hier scheinbar bieder gebenden Herren zu erwehren.

Doch sie trägt es mit Fassung, denn sie weiß ja – ganz ohne Männer geht es dann ja doch nicht in der Welt.

Auch weit über 100 Jahre nach der verdienten Befreiung der Damen aus vom Patriarchat vorbestimmten Lebensverhältnissen führt die Selbstverwirklichung in einigen Bereichen zu nicht überraschenden – sagen wir – Konzentrationen von Jungs und Mädels in verschiedenen Tätigkeitsbereichen.

Wer damit ein Problem hat, dass die Buben halt immer noch lieber Autos entwerfen, bauen, warten, pflegen, tunen und mit der besten Beifahrerin durch die Gegend fahren, dem ist nicht zu helfen. Gleichberechtigung heißt nicht Gleichverteilung – das geht nur unter totalitären Verhältnissen. Die Damen sollen alles dürfen, aber nicht alles müssen.

Verstehen wir uns hier? Gut, dann sind wir nur noch einen Schritt davon entfernt, die Lady zu enthüllen, welche ihren erhitzten Zustand mehr oder weniger indirekt dem Tun der wackeren Blaumannträger auf dem ersten Foto verdankt.

Denn zuvor muss Erwähnung finden, dass der heute gezeigte Tourenwagen wahrscheinlich ein Typ B2 des erst 1919 gegründeten französischen Herstellers war. Nach dem Erstling Typ A mit 1,3 Liter-Motor brachte man schon 1921 einen auf 20 PS erstarkten Nachfolger mit 1,5 Liter-Motor heraus.

Die Positionsleuchten auf den Vorderkotflügeln gehören meines Erachtens zu den Details, an denen man den bis 1926 gebauten Citroen B2 erkennt. Mag sein, dass wir es auch mit einem frühen Exemplar des Nachfolgers B10 zu tun haben – aber so ganz genau lässt sich das bei den fließenden Übergängern in der Produktion nicht sagen (oder doch?).

Sie merken schon, ich habe es eilig. Ich will Ihnen nicht länger die Aufnahme vorenthalten, welche das eingangs gebrachte Wortspiel erst verständlich macht.

Denn für eine wie sie (diesmal nicht das Auto) taten die Jungs von der Citroen-Garage einst buchstäblich alles – vor allem, damit der Motor läuft und es auch nach dem Abstellen noch schön warm unter dem Hintern ist:

Citroen Type B2 Tourer; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Kennen wir schon„, mag jetzt ein langjähriger Leser kommentieren. Danke für die Treue, aber schlimm ist es nicht, dieser autobewegten Lady hier wiederzubegegnen, oder?

Sie sehen: schon deshalb sind Vorkriegsautos so faszinierend anders, denn solche heiße Kühler-Kletterei ist seit der Pontonkarosserie Geschichte.

Kein Wunder, dass die Jungs von einst darauf aus und ausgebildet waren, alles „für sie“ möglich zu machen – selbst solche Artistereien, die von manchen im angeblich toleranten 21. Jh. als „stereotyp“ gebrandmarkt würden.

Ist doch albern, oder? Warum kann man nicht einfach das harmlos Normale genießen oder zumindest gutheißen, was die Leute schon immer aus freien Stücken getan haben?

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Unheimliche Begegnung? Mercedes-Benz 290 Pullman

Was denken Sie als erstes, wenn morgens unerwartet ein langer schwarzer Mercedes vor dem Haus hält, es kein Taxi ist und Sie auch sonst spontan keine Ahnung haben, wer das sein könnte?

Schnell noch das Sündenregister der letzten Zeit durchgegangen – irgendeine unbotmäßige Äußerung, ein Scherz auf Kosten der Herrschenden gar? Und jetzt ab zum Verhör?

Ach was, so etwas bringt einem doch in unseren Tagen keinen unangekündigten Hausbesuch ein – jedenfalls nicht im freien Westen, sollte man meinen…

Tatsächlich entpuppte sich dieser Besuch als gänzlich erfreulich – ein alter Oldtimerfreund war mit seinem nicht mehr ganz taufrischen, doch immer noch repräsentativen Benz an der Hofeinfahrt längsseits gegangen, wo ein Konterfei unserer Katze Ellie mit dem Zusatz „Hier wache ich“ bislang alle finstren Gestalten abgewehrt hat.

Nach dieser unheimlich sympathischen Begegnung zweier Vorkriegsautofreunde war mir klar, was der nächste Kandidat in meinem Blog sein würde – nämlich dieser hier:

Mercedes-Benz 290 Pullman; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Na, was halten Sie von dieser finsteren Erscheinung auf sonnendurchflutetem italienischen Boden?

Würden Sie den Wagen ebenfalls als Mercedes-Benz 290 in der Pullman-Ausführung mit verlängertem Radstand ansprechen? Falls ja, hätten wir es mit einem zwischen 1934 und 1937 gebauten Fahrzeug zu tun, das aus meiner Sicht eher untermotorisiert war.

Mit gerade einmal 60 PS (später 68) war zumindest auf bergigen Strecken in dieser Gewichtsklasse kein Staat zu machen. Ein dermaßen repräsentatives und teures Auto hatte eine souveränere Motorisierung verdient und diese war bei der Konkurrenz auch verfügbar.

Dennoch war dieser schwere Brocken für eine auf den ersten Blick etwas unheimliche Begegnung irgendwo im Alpenraum gut. Woher ich das weiß?

Nun, das eingangs gezeigte Foto ist nur ein kleiner Ausschnitt aus einem weit größeren, das schätzungsweise um 1960 entstand.

Spätestens hier ist festzustellen, dass man es doch mit einer durchaus erbaulichen Begegnung zu tun hat, und das nicht nur in automobiler Hinsicht:

Mercedes-Benz 290 Pullman; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wie schnell der erste Eindruck einer ganz anderen Sicht der Dinge weichen kann!

Jetzt erfreuen Sie sich noch ein wenig an den reizvollen Details auf diesem schönen Urlaubsfoto – vielleicht erkennt ja jemand den Ort.

Der Anbieter des Fotos nannte zwar den Passo di Sella am Übergang von Südirol ins Trentino, das scheint mir aber nicht richtig zu sein. Ich konnte auch auf historischen Ansichten die beiden prächtigen Bauten nicht identifizieren.

Wenn jemand die Örtlichkeit klären könnte, wäre das der glänzende Abschluss eines Tages, der zunächst ein wenig unheimlich begonnen hatte…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.