Nicht viel zu lachen gab es im Jahr 2023 – legt man die inneren und äußeren Verhältnisse zugrunde.
Allerdings darf man durchaus der Meinung sein, dass es auch von einem selbst abhängt, wie man mit den Zumutungen des Alltags umgeht und ob man sich vom Unabänderlichen auch noch die Laune verderben lässt.
Wie sehr es eine Frage der inneren Einstellung zum Dasein ist, ob man etwas zu lachen hat oder nicht, das wird dann deutlich, wenn man sich Leute betrachtet, die oberflächlich betrachtet das große Los gezogen haben – oder besser gesagt: materiell erfolgreich sind.
Da gibt es solche, denen das Bewusstsein, den Nöten des Alltags enthoben zu sein, ein Lächeln auf’s Gesicht zaubert und die ihre hervorgehobene Position zu genießen wissen.
Und dann gibt es andere, die erkennbar zu den oberen Zehntausend gehören und denen man dennoch zurufen möchte: „Habt Ihr denn gar nichts zu lachen?“
Ein erstes Beispiel für den Fall, dass man nicht einmal für den Moment eines Kameraschnappschusses wirklich positiv erscheinen kann, haben wir hier:
Hudson „Great Eight“ Modelljahr 1930; Originalfoto: Michael Schlenger
Mein Paderborner Großonkel Ferdinand – ein Musterbeispiel für einen heiteren Menschen trotz einiger Schicksalsschläge – pflegte beim Anblick solcher Leute zu sagen: „Die gehen doch zum Lachen in den Keller!“
Dabei hatten diese Herrschaften allen Grund, zumindest mit ihrem Fortbewegungsmittel mehr als glücklich zu sein, als sie an Pfingsten 1934 für diese Aufnahme posierten.
Denn der Wagen, den sie besaßen, wies sie ganz klar als Angehörige der Oberschicht aus – materiell betrachtet zumindest. Die vermutlich in Sachsen zugelassene Limousine war nämlich ein ziemlich exklusives Fahrzeug im damaligen Deutschland.
Die Gestaltung des Kühlers und des Markenemblems sowie das Vorhandensein seitlicher Luftklappen in der Motorhaube erlaubt die Identifikation als Hudson „Great Eight“ von 1930.
In den Vereinigten Staaten war dieser erste Achtzylinder der Marke mit 80 PS Leistung aus 3,5 Litern Hubraum zwar eher in der gehobenen Mittelklasse angesiedelt, doch im automobilen Armenhaus Deutschland war ein solcher Wagen damals der reine Luxus.
Vergleichbar „günstige“ Achtzylinderwagen dieses Kalibers gab es aus deutscher Fabrikation nicht, weshalb einem der Hudson „Great Eight“ von anno 1930 in deutschen Landen öfters begegnet – es gab durchaus einen (wenn auch kleinen) Markt dafür.
Hier haben wir schon das nächste Exemplar – und wieder stellt sich bei einigen der abgelichteten Personen die Frage: „Habt Ihr wirklich nichts zu lachen?“
Hudson „Great Eight“ Modelljahr 1930; Originalfoto: Michael Schlenger
Dieses Nebeneinander gutgelaunter und sympathisch wirkender Zeitgenossen und geradezu griesgrämig dreinschauender Figuren ist schon bemerkenswert.
Aus meinem inzwischen mehrjährigen Studium solcher Dokumente weiß ich zwar, dass den meisten Deutschen die Fähigkeit unserer Nachbarvölker abgeht, spontan gewinnend und freundlich zu posieren.
Aber ein bisschen unheimlich ist mir die Entschlosseneit mancher Landsleute, in solchen Situationen geradezu biestig bis bösartig zu wirken.
Und glauben Sie mir: Ich versuche, aus solchen Dokumenten noch das Beste herauszuholen. Wenn das porträtierte Personal gar zu gruselig wirkt, bleiben auch sonst reizvolle Autofotos unpubliziert oder ich sehe von vornherein vom Erwerb ab.
Wer mich ein wenig kennt, ahnt bereits, dass ich den Hudson „Great Eight“ nicht mit solchen Impressionen verabschieden kann – das hat dieses grundsolide und leistungsfähige Modell nicht verdient – und Sie auch nicht, liebe Leser.
Also unternehmen wir zum Schluss einen erneuten Versuch und fragen nochmals, ob es wirklich nichts zu lachen gibt, wenn man „Besitzer“ eines solchen Wagens ist – und das im wahrsten Sinne des Wortes:
Hudson „Great Eight“ Modelljahr 1930; Originalfoto: Michael Schlenger
Na also, geht doch! Auch wenn wir diesmal eine Version des 1930er Hudson „Great Eight“ mit niederlegbarem Verdeck vor uns sehen, befinden wir uns wieder im Deutschland jener Zeit.
Erstaunlich, wie häufig solche Amischlitten auch nach dem ganz großen Boom in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre hierzulande immer noch waren.
Sie deckten ein Marktsegment ab, in dem die heimischen Hersteller nichts zu bieten hatten und stießen auf kaufkräftige Nachfrage von Kennern, denen die politische Korrektheit ihrer Zeit zumindest in automobiler Hinsicht gleichgültig war.
Davon – und der heiteren Gestimmtheit des Hudson-Jüngers auf dieser Aufnahme – kann man sich vielleicht etwas abschauen…
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Gefühlt ist es noch gar nicht so lange er, dass ich hier eine meisterhafte Ausführung des NAG C4 10/30 PS-Modells vorgestellt habe, welches Anfang der 1920er Jahre eines der meistgebauten deutschen Automobile war.
Doch gerade stellte ich fest, dass seither schon wieder mehr als zweieinhalb Jahre ins Land gezogen sind. Höchste Zeit also, daran anzuknüpfen, bevor wir 2023 würdevoll verabschieden (der Fund des Jahres steht an…).
Seinerzeit hielt ich dieses von Ernst Neumann-Neander – dem Jugendstil-Künstler und bedeutenden Automobil-„Influencer“ – entworfene Prachtexemplar für ein Einzelstück:
NAG C4 Sport-Tourer mit Karosserie nach Entwurf von E. Neumann-Neander; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Während die Frontpartie mit dem unverwechselbaren spitz zulaufenden Ovalkühler weitgehend mit der Serienausführung übereinstimmt, folgt darauf ein außergewöhnlich niedriger Passagierraum mit extrem flacher und geneigter Frontscheibe, winzigen Türen und knapp oberhalb der Heckkotflügel angesetztem Minimalverdeck.
Bemerkenswert sind auch die Staukästen auf dem Trittbrett und die „Aufsteighilfe“ am Ende.
Wie radikal anders dieser Aufbau war, das erschließt sich einem, wenn man sich die Standardausführung betrachtet. Praktischerweise habe ich vor kurzem wieder eine „neue“ Aufnahme davon aufgetrieben – und jetzt kann ich sie sinnvoll verwerten:
NAG C4 Tourer mit Standard-Karosserie; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Diesen Aufbau mit hoher Seitenlinie und schön gewölbter „Tulpenkarosserie“ findet man vor allem in der Anfangszeit der Produktion des 1920 eingeführten Vierzylindermodells C4 10/30 PS der altehrwürdigen Berliner NAG.
Jetzt könnte einer sagen: „Schön und gut, aber woran soll man hier eigentlich erkennen, dass auch das ein NAG dieses Typs ist?“
Nun kann ich nicht erwarten, dass alle meine aktuellen Leser von Anfang an mit dabei sind oder wissen, dass ich dieses Modell bereits dutzendfach in meiner NAG-Galerie dokumentiert habe – nebenbei die wohl größte frei zugängliche ihrer Art überhaupt.
Also werfen wir einen kurzen Blick auf die Kühlerpartie, denn die ist wie fast immer bei Automobilen jener Zeit entscheidend:
Zugegeben: Man muss schon eine Weile hinschauen und die Linien der einzelnen Bauteile auseinanderhalten. Achten Sie darauf, wie sich die Kurve des Kühlerausschnitts unterhalb des rechten Kotflügels fortsetzt – sie lässt sich gedanklich zu einem Oval ergänzen.
Schwieriger zu erkennen ist der senkrechte Verlauf der spitz zulaufenden Vorderkante des Kühlers – Sie können die oben kaum wahrnehmbare Linie am unteren Ende des rechten Scheinwerfers wieder aufnehmen.
Beides zusammen findet sich so nur beim NAG C4 10/3 PS, während der bisweilen ähnlich wirkende Kühler der D-Typen von Stoewer erstens keinen ovalen Ausschnitt aufweist und zweitens an der Vorderkante stets leicht geneigt ist.
Zur Identifikation als NAG C4 passt auch die Gestaltung der Stahlspeichenräder mit fünf Radbolzen und sechskantiger Nabenkappe.
Praktisch keinerlei Hinweise auf Hersteller und Typ liefert dagegen der übrige Aufbau – solche Karosserien waren im deutschen Sprachraum nach dem 1. Weltkrieg bei vielen Automarken gang und gebe:
Nur wenn man schon eine Vermutung in der Richtung hätte, könnte man den Wagen auch anhand dieses Bildausschnitts sicher als NAG C4 identifizieren – das ermöglichen Vergleiche der Partie rund um die vordere Blattfederaufnahme der Hinterachse.
Wenn Sie mögen, können Sie das einmal selbst anhand der einschlägigen Fotos in meiner NAG-Galerie versuchen – Sie werden sehen, dass es machbar ist. Ich nutze zuverlässig eingeordnete Aufnahmen in meinen Galerien selbst öfter als Referenz als die bei vielen deutschen Modellen der 1920er Jahre karge Literatur.
Nun aber genug von solchen Dingen – wollte ich nicht am Neanderschen Meisterentwurf auf Basis des NAG C4 anknüpfen? Genau das war das Ziel und möglich gemacht hat es mir wie so oft ein Leser mit formidabler Sammlung und großem Gespür für Qualität – Klaas Dierks.
Ich weiß, dass er es nicht nötig hat, so erwähnt zu werden, aber es gilt nun einmal: Ehre, wem Ehre gebührt. Und alle Leser sollen wissen: Wer sich mit Fotos aus der eigenen Sammlung beteiligt, wird selbstverständlich gewürdigt – es sei denn, er möchte das nicht.
Gerne gebe ich zu, dass dieses herrliche Dokument die Aufnahme mühelos übertrifft, mit der ich seinerzeit in Vorlage gegangen war:
Die Persönlichkeiten am neben und im NAG schaffen es, die außerordentlichen Qualitäten des Wagens in den Hintergrund rücken zu lassen.
Erneut ist etwas Konzentration auf die Linienführung erforderlich. Am besten orientiert man sich an der Seitenlinie von der Frontscheibe bis zum Heck – wieder sehr niedrig ausgeführt mit kleinen Türen und knapp über dem Kotflügel angbrachten Verdeck.
Auch den monumentalen Staukasten und die Aufstiegshilfe an dessen Ende findet man hier. Abweichende Details wie die der Schonung des Lacks dienenden durchbrochenen Bleche unterhalb der Tür und auf der Oberseite der Tür ändern nichts am Befund:
Auch dass muss ein Sport-Tourer nach Entwurf von Ernst Neumann-Neander sein!
Die Frontpartie macht es allerdings diesmal schwerer, sie dem Typ C4 10/30 zuzuordnen:
Auf dem Originalfoto kann man vermutlich unter der Lupe das markante NAG-Emblem auf der Nabenkappe erkennen – auf diesem Ausschnitt ahnt man bestenfalls etwas in der Richtung. Die Kühlerpartie liefert ebenfalls nur eine Indikation, aber vermutlich wäre man auch hier auf den NAG C4 als wahrscheinlichsten Kandidaten gekommen.
Man sieht an diesem Beispiel, wie wichtig jedes Foto auch von exotischen Ausführungen ein und desselben Modells sein kann – jedes kann prinzipiell einen Hinweis auf die Ansprache anderer Fahrzeuge geben. In diesem Fall ist es der Spezialaufbau als Sport-Tourer.
Ob der sich ähnlich auf anderen deutschen Fabrikaten jener Zeit fand, ist mir nicht bekannt. Vielleicht weiß jemand mehr und hat sogar die passende Abbildung dazu.
Ausschließen kann man auf dem Sektor gar nichts, auch das trägt zum schier unerschöpflichen Reiz des Reichs der Vorkriegsautos bei.
Dieser speist sich aber oft auch aus dem menschlichen Element und das Foto von Klaas Dierks zeigt das ideal anhand dieser meisterhaften Inszenierung:
Viel mehr kann man sich nicht wünschen, wenn man solche Autoporträts der Vorkriegszeit liebt. Über jeder diese Personen ließen sich endlose Betrachtungen anstellen, doch die erspare ich Ihnen heute.
Studieren Sie einfach die Gesichter, stellen Mutmaßungen über Verwandschaftsverhältnisse und sonstige Beziehungen oder gar Charakterzüge an. Vielleicht findet jemand sogar heraus, wer hier zu sehen ist.
Die junge Dame mit dem wunderbar lockenumrahmten Gesicht wirkt nämlich auf mich dermaßen perfekt zurechtgemacht, dass sie eine bekannte Schauspielerin, Tänzerin oder Sängerin ihrer Zeit gewesen sein könnte.
Leider ist auf dem Foto dazu nichts Näheres überliefert, nur dieses: „Rhöndorf 1926“. Jetzt sind Sie an der Reihe, wenn Sie mögen. Ich schalte alle Kommentare frei, sofern sie kein blühender Unsinn sind (für den bin ich selbst zuständig).
Nach diesem neuerlichen Meisterstück gehe jetzt noch eine Viertelstunde vor die Tür, schaue ein wenig sehnsüchtig nach dem Vollmond und mache mir Gedanken über den Kandidaten für den Fund des Jahres…
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Die Zeit zwischen Weihnachten und dem Jahreswechsel ist für viele eine besondere. Einmal doch soll die Uhr langsamer gehen, wenn schon nicht stillstehen.
Liegengebliebenes ohne Hektik erledigen, Zeit mit Freunden, Kindern und Haustieren zubringen oder vielleicht gar nichts im eigentlichen Sinne tun – allenfalls ein Buch lesen, Musik hören oder: sich Gedanken machen.
Ich habe zwar noch einiges an Arbeit zu erledigen, aber bevor Sie mich bedauern: das erledige ich von meinem Refugium im italienischen Umbrien aus. Als Schreibtischtäter bin ich in der glücklichen Lage, von überall aus arbeiten zu können, Internetanschluss vorausgesetzt.
Seit November verfügt das Häuschen auf 600 Meter Höhe über eine Antenne, welche mir ebenso rasanten Internetverkehr wie daheim ermöglicht – ohne Glasfaser-Hokuspokus, horrende Grundgebühren usw. Berechnet wird nur der Verbrauch. Der Anbieter ist auf Ferienimmobilien spezialisiert und ein Musterbeispiel für italienische Infrastrukturkompetenz.
Das hat eine Tradition, die weit zurückreicht – der Nachbarort Spello bezieht sein hervorragendes Trinkwasser noch heute über einen kilometerlangen römischen Aquädukt. Wer mag, kann sich dort außerdem kostenlos für den Privatbedarf abzapfen, was er möchte.
Wieso ich den vermeintlichen Umweg über die Antike ins Hier und Jetzt wähle, wo es doch bloß etwas vom Fiat 1100 der späten 1930er Jahre zu erzählen gibt? Nun, das sehen Sie noch.
Vielleicht haben Sie sich dieser Tage ja in einem nachdenklichen Moment bei dem Gefühl erwischt, dass Ihnen das Heute zunehmend fremd wird, Gewohnheiten zum Problem werden, Gewissheiten zertrümmert daliegen.
Viele meiner Leser können auf einige Jahrzehnte zurückblicken und ich kann mich an eine überwiegend heile Welt der 1970/80er Jahre (in Westdeutschland) zurückerinnern. Damals konnte sich eine vierköpfige Familie mit einem Gehalt ein eigenes Haus mit Garten, zwei Autos und einen Urlaub im Süden leisten.
Zwar ging es nicht mehr so rasant aufwärts wie in der Wiederaufbauzeit und es gab schwierige Phasen mit hoher Inflation, hohen Zinsen und Arbeitslosigkeit. Doch über kurz oder lang bekam die damals nur wenig gegängelte Marktwirtschaft wieder die Kurve.
Der Kalte Krieg war zwar allgegenwärtig, aber das Vertrauen auf die gegenseitige Abschreckung überwog. Trotz enorm hoher Militärbudgets blieb den Leuten genug vom Einkommen und ansonsten hat man sie ihr Alltagsleben leben lassen.
Warum erzähle ich das ? Weil einem angst werden kann bei dem Tempo, mit dem diese Welt von gestern verschwindet und die von heute ihr zunehmend autoritäres und zunehmend hässliches Antlitz zeigt.
Wir vergewissern uns heute, dass der Abstand zwischen gestern und heute gar nicht so groß sein muss, dass sich mühelos beides vereinbaren lässt. Bei der Beschäftigung mit Vorkriegsautos kann das sogar gelingen, wenn diese selbst schon längst verschwunden sind.
Nach dieser langen Vorrede können Sie sich jetzt hier visuell erholen, hoffe ich:
Assisi (Umbrien), Piazza del Comune; Postkarte der späten 1940er Jahre; Sammlung Michael Schlenger
Hier stehen wir auf dem zentralen Platz der berühmten Pilgerstadt Assisi, in welcher seit dem Mittelalter der Heilige Franziskus verehrt wird. Der verdient das auch dann, wenn man nicht dem christlichen Glauben anhängt – seine Faszination ist jedenfalls ungebrochen.
Das kleine Assisi verdankt seinen enormen Reichtum an Kunstschätzen der Anziehungskraft von San Francesco und der Tatsache, dass sich die Stationen seines Lebens mit bestimmten Orten und Bauten verbinden, die alle noch existieren.
Als Goethe 1786 auf seiner ersten Italienischen Reise Assisi besuchte, begeisterte er sich indessen nur für ein Gebäude: den herrlichen Minervatempel aus der römischen Kaiserzeit. Dessen Fassade ist das Kronjuwel in dieser Platzanlage – da mag der angrenzende mittelalterliche Torre del Popolo noch so hoch sein.
Und so wie römische Tempel einst auf das Forum von „Asisium“ ausgerichtet war, so wacht er auch auf dieser Aufnahme auf den neuzeitlichen Treffpunkt der Bürger:
Schon hier relativiert sich der Abstand zwischen dem Gestern und Heute auf erstaunliche Weise – eine Kontinuität, wie sie sich in Italien vielerorts erhalten hat.
Das gilt vor allem für Regionen wie Umbrien, durch die zwar immer wieder Eroberer zogen, in denen aber kein nennenswerter Bevölkerungsaustausch stattgefunden hat. Diese Aufnahme ist übrigens zu einem Zeitpunkt entstanden, kurz nachdem die Region das letzte Mal Ort kriegerischer Auseinandersetzungen gewesen war.
Der Kleidung nach zu urteilen, ist die Situation in den späten 1940er Jahren aufgenommen worden – zu einer Zeit, als noch ausschließlich Vorkriegsautos verfügbar waren. Die Leute sind alle gertenschlank, hier und da haben die Anzüge der Herren mehr „Luft“ als erforderlich.
Noch kurz zuvor war die Region Kriegsgebiet. Zwar hatten die Italiener es 1943 geschafft, das Mussolini-Regime zu kippen und Deutschland die Waffenbrüderschaft aufzukündigen. Doch so richtig das strategisch war, so schmerzhaft waren die unmittelbaren Folgen:
Erstens behandelte die deutsche Wehrmacht die ehemaligen Kameraden nun als Feinde und unzählige italienische Soldaten wurden als Zwangsarbeiter nach Deutschland deportiert. Zweitens wurden in den von deutschen Truppen kontrollierten Gebieten Italiens rigide alle Ressourcen geplündert, um die Kriegsmaschine am Laufen zu halten.
Und drittens nahmen die aus Süden vorrückenden alliierten Truppen nur wenig Rücksicht auf die italienische Zivilbevölkerung. So waren nun auch die Italiener wehrlos angloamerikanischen Bomberangriffen ausgesetzt, die weder Zivilisten noch Architektur schonten.
Außerhalb Italiens ist dieses dunkle Kapitel kaum bekannt, doch aus eigener Anschauung weiß ich, dass die Erinnerung an die vielen Opfer und oft irreparablen Schäden immer noch wach ist und die Jahrestage der Bombenangriffe würdevoll begangen werden.
Assisi ist nur deshalb verschont worden, weil es einem deutschen Offizier gelungen war, die Stadt gegenüber den Alliierten als Lazarettort auszuweisen, an dem auch gegnerische Verwundete behandelt wurden. Das hat die Stadt tatsächlich vor Zerstörungen bewahrt. Eines der Beispiele für ehrenhaftes Verhalten auf deutscher Seite, an die man auch erinnern muss.
Kurz nach dem Krieg wurde dieser Oberst Valentin Müller für seine Tat in Assisi geehrt – und genau in diese Zeit fällt das heute vorgestellte Foto, welches eine heilgebliebene Welt zeigt.
Die Bürger von Assisi konnten sich glücklich schätzen, sie waren davongekommen. Beim Davonkommen hilfreich war auch der Besitz eines Automobils, doch davon gab es nicht viele. Die Wehrmacht hatte die meisten beschlagnahmt und viele wurden zerstört.
Hier haben wir ein Beispiel dafür – ein blutjunger deutscher Soldat posiert irgendwo an der Südfront mit „seinem“ Fiat 1100:
Fiat 1100 im Dienst der Wehrmacht; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
So repräsentierte die Fiat-Limousine in Assisi kurz nach dem Krieg bereits einen Luxusgegenstand. Dabei handelte es sich nur um das 1937 eingeführte Mittelklassemodel 1100 („Millecento“), das auch in Deutschland als NSU-Fiat gebaut wurde.
Bilder und Beschreibungen dieses in seiner Klasse ganz ausgezeichneten Wagens finden sich zuhauf in meinem Blog.
Daher will ich heute gar nicht weiter darauf eingehen, nur auf eines sei hingewiesen: Man erkennt an dem Wagen in Assisi vertikale Türgriffe – ein Merkmal der in Italien gebauten Ausführungen des „Millecento“, welches die deutschen Varianten nicht besaßen.
Ganz schön viel Geschichte und ganz schön wenig Auto. Stimmt, aber vergessen Sie nicht: Ich schreibe hier, was mir in den Sinn kommt und Sie müssen nichts dafür bezahlen.
Da nimmt man schon mal kulturhistorische Abschweifungen und subjektive Sichtweisen auf dies und das in Kauf, nicht wahr? Aber letztlich geht es immer darum, den Zauber von gestern ins heute zu transferieren, das wollen Sie doch auch, oder?
Genau das dachte ich mir heute morgen.
Die Sonne schien, die Arbeit war bald erledigt, sodass ich am Nachmittag nach Assisi aufbrach. Das Städtchen war voller Menschen, doch das waren keine Pilger oder Touristen, sondern einheimische Ausflügler, die sich in der Zeit nach Weihnachten ein paar Tage mit der Familie gönnen und sich der Schönheit ihrer Heimat vergewissern.
Ich war zuversichtlich, dass es mir gelingen würde, den Beweis dafür sicherstellen zu können, dass das Gestern und das Heute mühelos zusammengehen – hier ist er:
Assisi (Umbrien), Piazza del Comune, 27.12.2023; Bildrechte: Michael Schlenger
Hätte ich eine Leiter gehabt, hätte ich die Aufnahmeperspektive ganz exakt nachstellen können – es ist noch alles da, sogar die prächtigen schmiedeeisernen Kandelaber.
An der Bausubstanz hat sich trotz einiger Erdbeben nullkommanichts geändert, außer dass behutsame Restaurierungen stattgefunden haben.
Wo einst der Fiat 1100 parkte, standen heute die Reste eines Weihnachtsmarkts, aber auch die weichen bald wieder der makellosen Schönheit dieses über einen Zeitraum von rund 1.500 Jahren organisch gewachsenen Platzes.
Neu ist nur, dass man nun unterhalb des heutigen Platzes auf Teilen des römischen Forums wandeln kann. Dort kann man sogar den perfekt erhaltenen Sockel des Minervatempels besichtigen, der ja einst wesentlich höher war, als er heute wirkt.
Gestern und heute liegen hier nur wenige Meter auseinander – diesmal in der Vertikalen.
Wem das jetzt immer noch zuviel Kulturgeschichte und Schwärmerei war, der mag endlich Genugtuung im folgenden Porträt eines noch heute munter umherfahrenden Fiat 1100 finden – wenn auch in Form ders ab 1939 gebauten Variante „Musone“.
Solche modellspezifischen Details verblassen angesichts der Harmonie, welche sich auch hier wieder im Nebeneinander historischer Städte und Vorkriegsautos zeigt. Und das ist die eigentliche Botschaft meines heutigen Blog-Eintrags.
Wir müssen die großartigen Seiten des Gestern in die zunehmend unwirtliche Welt des Heute hinüberretten, sie pflegen und beschützen. Und wir müssen uns den Kräften und Tendenzen entgegenstellen, die unsere Landschaften und Städte, unsere Sprache und unsere bürgerlichen Traditionen bedrohen .
In Italien hat die Moderne auch viele Spuren hinterlassen, vor allem im Norden. Aber es gibt sie, die Provinzen und Bürgerschaften, die ihr phänomenales kulturelles Erbe zu schätzen und zu schützen wissen – sich ihre Identität nicht rauben lassen.
Wenn wir das nicht selbst auch tun, dürfen wir uns nicht beklagen, wenn uns die Gegenwart zunehmend fremd wird und entgleitet. Mühelos vom Gestern ins Heute gelangen, das sollte auch gelingen, ohne unverbesserlicher Nostalgiker oder verschrobener Romantiker zu sein.
Das moderne Italien kann in der Hinsicht ein Vorbild sein – es ist nicht perfekt, aber ich wüsste kein Besseres, um zu erkennen, wie man mühelos vom gestern ins heute gelangt…
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Als ich mich für Automobile als Ausdruck persönlichen Stils zu interessieren begann – das war in den 1980er Jahren – war es vielen Besitzern noch wichtig, die Qualitäten ihres Vehikels ein wenig zuzuspitzen.
Das ist nicht immer gelungen – Manta & Co. lassen grüßen – doch gab es auch Beispiele für gelungene Privatkreationen, welche den Stil der verwendeten Basis erst so richtig auf den Punkt brachten.
Aus unerfindlichen Gründen schrie der 3er BMW förmlich nach einer Individualisierung, während alle Versuche in der Hinsicht bei einer damaligen Mercedes-S-Klasse scheitern mussten. Die makellosen Werke von Bruno Sacco ließen keinen Raum dafür.
Anbieter entsprechenden Zubehörs gab es schon lange vor dem legendären D&W-Katalog. Nützliche Accessoires wurden dem Automobilisten zwar bereits vor dem 1. Weltkrieg angeboten, doch rein der Verschönerung – oder sagen wir besser: Personalisierung – dienende Artikel bekamen erst ab den 1920er Jahren richtig Auftrieb.
Beliebt war der Umbau eines braven Flachkühlerautomobils in ein solches mit dynamisch wirkendem Spitzkühler.
In meinem Fotofundus verfüge ich über haufenweise Beispiele dafür und bei den meisten ist mir schleierhaft, was sich dahinter verbirgt. Als Beispiel dafür mag dieses stark modifizierte Gefährt dienen, das mir seit Jahren Rätsel aufgibt:
unidentifizierter Tourenwagen um 1920; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Vermutlich kurz nach dem 1. Weltkrieg hat hier jemand einem Fahrzeug von ca. 1913/14 nicht nur einen Spitzkühler nach Vorbild von Benz verpasst, sondern auch eckige Kotflügel nach Art der damals neuen AGA-Wagen sowie eine mittig leicht gepfeilte Scheibe.
Für fundierte Vorschläge, was hier zu sehen ist, bin ich äußerst dankbar.
Wenn Sie jetzt denken, dass Sie meinen Blog lesen, um selbst etwas zu lernen, sei daran erinnert, dass ich 90 % meines „Wissens“ der Vorarbeit Dritter verdanke, die übrigen 10 % sind eher im Reich des „educated guess“ angesiedelten, wie die Briten sagen – also der begründeten Annahme.
Von daher ist mein Blog-Projekt bei aller persönlichen Perspektive und Färbung auch auf einen Austausch mit Lesern angelegte, die mehr Ahnung haben als ich. Mit Vorkriegsautos befasse ich ich ja erst seit kurzem (2015).
Heute kann ich aber dennoch etwas zeigen, bei dem ich weder auf eigene Vermutungen oder die anderer angewiesen bin. Und dennoch handelt es sich um ein Fahrzeug, das Sie vielleicht so auf die Spitze getrieben noch nicht gesehen haben.
Fangen wir mit der Basis an, die Anfang der 1930er Jahre einem unbekannten Besitzer als Objekt seiner Verschönerungswünsche diente:
Stoewer V5 Sport-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Dieser knackige kleine Zweisitzer (Bericht hier) war das Sport-Cabriolet, welches Stoewer aus Stettin 1931/32 auf Basis des 1930 eingeführten Frontantriebsmodells V5 anbot.
Der 1,2 Liter-Motor leistete 25 PS, was in Verbindung mit dem geringen Wagengewicht akzeptable Fahrleistungen ermöglichte. Bei dieser Ausführung stand für die Käufer neben den Vorzügen des Vorderradantriebs aber sicher die sportliche Form im Vordergrund.
Vielleicht das einzige Manko in gestalterischer Hinsicht war aus meiner Sicht der an einem dermaßen rassig wirkenden Cabriolet etwas bieder wirkende Kühlergrill.
Dass ich mit dieser Einschätzung nicht völlig allein stehe, das belegt ein weiteres Foto, welches ebenfalls einen Stoewer genau dieses Typs zeigt, doch hier garniert mit einem Extra, mit welchem der Wagen nun wirklich spitze aussieht, meine ich:
Stoewer V5 Sport-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Auch wenn die hier dunkel gehaltene breite Leiste unterhalb des Seitenfensters den Aufbau etwas anders wirken lässt, handelt es sich um die identische Karosserieausführung, welche meines Wissens von Stoewer selbst gefertigt wurde.
Wirklich individuell ist der nach Art eines „Kuhfängers“ gestaltete Steinschlagschutz, der vor dem serienmäßigen Kühler montiert ist. Ob es sich dabei um eine Spezialanfertigung oder ein Zubehörteil handelte, sei dahingestellt.
Jedenfalls hat dieser Stoewer damit in gewisser Weise die Spitzkühleroptik zurückgewonnen, die in der ersten Hälfte der 1920er Jahre im deutschsprachigen Raum entgegen internationaler Tendenzen so angesagt war.
Interessanterweise realisierte Stoewer beim Nachfolgetyp R-140 ab 1932 etwas Vergleichbares, wenngleich die neue Kühlerpartie ebenfalls nicht ideal ausfiel.
Ansatzweise erkennbar ist dies auf dem folgenden Foto, welches ich heute freilich nur deshalb zeige, weil es zur Jahreszeit passt (wenngleich es in der milden Wetterau mal wieder nur gießt wie aus Kübeln statt zu schneien – das ist auch besser so):
Stoewer R-140 Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Immerhin hat der Winter gerade erst angefangen, sodass sich diese Aufnahme in den nächsten Wochen als durchaus aktuell erweisen könnte.
Für einen frontgetriebenen Stoewer war Schnee auf der Straße damals kein Problem – ich würde aber auch die Fahrkompetenz der damaligen Automobilisten als überlegen ansehen.
Heute bereitet vielen Zeitgenossen hierzulande ja schon das zügige Einfahren in einen Kreisel Probleme. Offenbar wünschen sich viele mit Selbstverantwortung hadernde Deutsche doch das autoritäre Rot-Grün-Befehlsschema einer Ampel…
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Das Fotodokument, das ich erst vor ein paar Tagen erworben habe – wie immer für eine handvoll Euros – ist in vielerlei Hinsicht ein liebenswertes Dokument. Dabei ist das Auto, das darauf abgebildet ist, nun wirklich nichts, für das man sich entflammen kann.
Wir haben es nämlich mit einem braven Chevrolet des Modelljahrs 1927 zu tun, der einen 26 PS leistenden Vierzylinder besaß und auch sonst konventionell daherkam – wahrlich kein Aufreger in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre.
Aber man hüte sich in diesem Fall vor der Arroganz, mit der das Alte Europa selten gut gefahren ist. Tatsächlich wurde der auf den ersten Blick so banale Chevy auch hierzulande geschätzt, und das hatte gute Gründe:
Chevrolet Modelljahr 1927; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Diese Herrschaften (m/w/d – soviel Zeit muss sein…) kommen Ihnen vielleicht bekannt vor – ich habe sie nämlich schon einmal mitsamt ihrem Chevrolet aus dem Jahr 1927 vorgestellt.
Das waren deutsche Landsleute und ich habe keinen Zweifel, dass sie in einer grundsoliden Villa der Jahrhundertwende aus massivem Ziegelmauerwerk mit 3,50 Meter hohen Decken, Stuck und Holzvertäfelungen residierten.
Eigner einer solchen – ob ihrer ästhetischen Qualitäten und Dauerhaftigkeit immer noch hochgeschätzten – Immobilie zu sein, das war im Deutschland der Vorkriegszeit die Voraussetzung, sich auch nur irgendein einfaches Automobil leisten zu können.
Von der Armut der breiten Masse hierzulande macht man sich heute keine Vorstellung.
Das empörende Elend der deutschen Unter- und Mittelschicht wird von den Fotos der „Goldenen 1920er“ Jahre überstrahlt, die meist aus der Metropole Berlin stammen und bei aller Großartigkeit ein völlig falsches Bild jener Epoche zeichnen.
Wie gesagt, mit ihrem kleinen Chevrolet standen diese Leute damals ganz klar auf der Seite der Privilegierten in Deutschland.
Nur am Rande sei darauf verwiesen, dass man das 1927er Modell an der kleinen Spitze erkennt, die in den Kühlergrill hineinragt – darüber sieht man das unerwechselbare Markenlogo, das noch heutige Chevies tragen.
Soviel zur ersten Einordnung. Jetzt wechseln wir auf die andere Seite des Atlantiks.
Von dort schickten anno 1933 deutsche Auswanderer das folgende Foto an die Verwandschaft in Good old Germany, das sich gerade anschickte, auf eine damals noch unabsehbare Höllenfahrt zu gehen:
Chevrolet Modelljahr 1927; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Lassen Sie sich nicht von dem Schriftzug „Milwaukee“ auf dem Kühler des hier abgebildeten Wagens auf eine falsche Fährte locken.
Natürlich ist auch dieses Auto ein 1927er Chevrolet, aber die Besitzer waren gut integrierte Lokalpatrioten und wollten unbedingt den Namen der größten Stadt im US-Bundesstaat Wisconsin festgehalten wissen, wo ihr Auto zuhause war.
Im Unterschied zu dem in Deutschland zugelassenen Wagen verfügte dieses Exemplar nicht über die aufpreispflichtige Vorderstoßstange und die unterschiedlichen Reifenprofile künden von einer damals verbreiteten Nonchalance in dieser Hinsicht.
Oje, denkt nun der gemeine Mitteleuropäer, das müssen arme Leute gewesen sein. Das sieht man ja auch an dem schlichten Holzhaus, nicht wahr?
Ja, das waren damals Leute, die eher am unteren Ende der sozialen Stufenleiter angesiedelt waren – gemessen an den Verhältnissen in den Vereinigten Staaten zumindest.
Doch für Überheblichkeit gibt es nicht den geringsten Anlass – speziell nicht aus Sicht eines Betrachters aus Deutschland. Noch heute macht sich mancher lustig über die Holzhäuser der Amis – dabei waren und sind wir das Schlusslicht, was Immobilienbesitz in Europa angeht. Das passt so gar nicht zur Erzählung vom reichen Deutschland, nicht wahr?
Schon in den 1930er Jahren verfügte hierzulande vor allem der Fiskus über kolossales Vermögen und plünderte dafür die Bevölkerung aus. Ab 1933 – also als dieses Foto entstand – waren unermessliche Mittel für Autobahnen vorhanden, doch der gemeine „Volksgenosse“ konnte nicht darauf fahren, weil es bestenfalls für ein Moped reichte.
Dass er vielleicht zur Miete in einem der grandiosen Gründerzeithäuser mit Stuck, schmiedeeisernen Balkongittern und Holzvertäfelung wohnte, nutzte ihm herzlich wenig, wenn er einmal zur Cousine fahren wollte, die weit draußen auf dem Lande wohnte.
Da musste er zusehen, wie er mit der Eisenbahn möglichst weit kam, um den Rest der Strecke zu Fuß zurückzulegen – oder als Passagier auf einem von Ochsen gezogenen Heuwagen. Autos werden ihm dabei kaum begegnet sein.
Auf einmal sehen wir die Situation aus den Staaten mit ganz anderen Augen:
Die beiden Kinder tragen Schuhe – im Deutschland der Vorkriegszeit liefen die Kleinen auf dem Land barfuß herum – und man hat Geld, um sich Haustiere leisten zu können.
Oder haben Sie etwa die drei Kätzchen übersehen, die hier von dem Buben mit aufmerksamem Blick bedacht werden und noch nach 90 Jahren das Herz erfreuen?
Der Junge hieß Kenneth und er ist hier mit seiner älteren Cousine zu sehen, die skeptisch in die Kamera schaut. Mit der Puppe im Arm scheint sie nicht so recht glücklich zu sein.
Sollte ihre Leidenschaft eher den kuscheligen Vierbeinern gegolten haben oder gar der Benzinkutsche im Hintergrund?
Wir wissen es nicht, nur dass die beiden gerade ein „Glass“ Bier tranken, das ist jedenfalls auf der Rückseite in nur noch mühsam beherrschter deutscher Sprache überliefert. Ob das ein Scherz war oder amerikanische Wirklichkeit, lässt sich nicht sagen.
Kein Scherz, sondern grundsolide Wirklichkeit war der Chevrolet im Hintergrund – und zwar auch bei einfachen Leuten in vermeintlich primitiven Holzhäusern. Dort stand damals nämlich mit großer Selbstverständlichkeit entweder ein Ford oder ein Chevy vor der Tür.
Dazu musste man gerade nicht vermögend sein. Jeder, wirklich jeder konnte sich in den USA Ende der 1920er Jahre ein ordentliches Auto leisten. Möglich machte das der in Deutschland damals wie heute mit Schaum vor dem Mund kritisierte Kapitalismus.
Ohne den wäre Chevrolet nicht imstande gewesen, im Modelljahr 1927 sage und schreibe 1 Million Fahrzeuge dieses Typs zu fertigen. Um genau zu sein: 1.001.820 Exemplare.
Wenn Sie die Wahl hätten zwischen einer kernsoliden Mietskaserne im Berlin jener Zeit, vielleicht garniert mit einem mühsam zusammengesparten Fahrrad im Keller, und einem hübschen Holzhaus irgendwo auf dem Land in Wyoming, vor dem ein 1927er Chevy steht, wie würden Sie entscheiden?
Um mit der draußen auf dem Land wohnenden Cousine ein Bier trinken zu können – ich würde freilich einen Wein bevorzugen, sie wohl auch – und mit den Kätzchen zu spielen, dafür würde ich die durchaus vorhandenen Zumutungen des Kapitalismus jederzeit denen des Sozialismus jedweder Couleur vorziehen – damals wie heute.
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Mein gemeinsam mit Beckmann-Urenkel Christian Börner begonnenes Porträt der einstmals angesehenen Breslauer Automarke findet eine durchaus solide Resonanz bei den Lesern meines Blogs.
Das ist keineswegs selbstverständlich bei einem vordergründig so entlegenen Thema, das einen noch dazu in eine Zeit zurückführt, die mit unserer Welt des 21. Jahrhunderts nur wenig gemeinsam hat.
Nebenbei sei bemerkt, dass sich immerhin drei Phänomene über die letzten mehr als 100 Jahre als Konstante erwiesen haben: allgemein verfügbare Elektrizität, individuelle Motorisierung und schnelle internationale Kommunikation.
Beim letzten Punkt mögen Sie jetzt stutzen – doch tatsächlich: Schon das Telegramm ermöglichte um 1900 eine – wenn auch teure und limitierte – weltweite rapide Textübermittlung, wie wir sie heute mit E-Mail oder anderen Diensten praktizieren. Nur für die Bildübertragung war man noch auf die Zeitung und damit Eisenbahn und Postdampfer angewiesen.
Was das Automobil betrifft, hat der Fortschritt natürlich wahre Wunder gewirkt. In punkto Fahrwerk, Verbrauch, Sicherheit und Komfort ist das moderne Automobil von seinen Urahnen so entfernt wie eine Boeing 767 von den ersten Wright-Flugapparaten:
Aber: das Versprechen des Automobils – nämlich den Besitzer aus eigenem Antrieb und nach eigenem Gusto an beinahe jeden Ort des Planeten zu transportieren – das wurde schon in der Zeit eingelöst, in der wir heute zurückreisen, nämlich 1908.
Sie werden überrascht sein, wohin uns die heutige Spurensuche in Sachen Beckmann dabei führen wird, das kann ich schon jetzt sagen.
Nun hat aber erst einmal Christian Börner das Wort, dem ich das Material und die Inspiration zu diesem Parforceritt durch die Beckmann-Historie verdanke, deren gründliche Aufarbeitung er sich zur Aufgabe gemacht hat:
„Auf geht’s – in das Jahr 1908, das für Beckmann bereits im Vorjahr begann. So präsentierten die Hersteller ihre 1908er Modelle nämlich schon im Dezember 1907 auf der Automobilausstellung in Berlin. Beckmann stellte dort gleich sechs Autos aus.
Erwartbar waren natürlich die bereits bewährten Vierzylindertypen, welche mit unterschiedlichen Aufbauten zu bestaunen waren. Doch wahrhaft Furore machte der neue Sechszylindertyp mit beeindruckenden 50 PS Leistung.“
Leser Wolfgang Spitzbarth (übrigens Betreiber der Website zu den Konstruktionen von Karl Slevogt) hat einen passenden Auszug aus „Der Motorfahrer“ von Ende 1907 beigesteuert:
Beckmann-Vier- und Sechszylinder des Modelljahrs 1908; aus: Der Motorfahrer, Nr. 48-1907; via Wolfgang Spitzbarth
Noch mehr hat mir Christian Börner zur Verfügung gestellt – und zwar einen Auszug der Besprechung des Beckmann-Sechszylinders in der „Allgemeine Automobil-Zeitung“ im Dezember 1907:
„Als Clou des Standes können wir das in jeder Beziehung den weitreichendsten Ansprüchen Rechnung tragende 50 PS Sechszylinder-Chassis ansprechen, die Type, mit welcher die Firma die nächstjährigen Konkurrenzen bestreiten dürfte und welche wir als geradezu idealen Wagen des fashionablen Sportmannes bezeichnen können.Kenner und Fachleute werden gewiss nicht verfehlen, dieser neuesten Errungenschaft unserer heimischen Industrie Bewunderung zu zollen. Es ist hier, vom Guten das Beste zusammengenommen, etwas vollkommen Erstklassiges geschaffen worden.“
Herrlich, nicht wahr? So berechtigt die Begeisterung ob des mächtigen Sechszylinder-Beckmann auch war, beschleicht einen doch der Verdacht, dass sich hier ein damals wie heute in prekären Verhältnissen lebender „Pressebengel“ mit einem kleinen Schmiergeld zu solchen Lobeshymnen hat motivieren lassen.
Zwar waren Sechszylinderautos in deutschen Landen damals rar, doch mit dem Protos 26/50 PS gab es ab 1908 einen Konkurrenten – und das aus bestem Berliner Hause.
Der „fashionable Sportsmann“ war daher nicht unbedingt auf einen Beckmann angewiesen, wenn ihm der Sinn nach einem 100-Kilometer-Wagen mit 6-Zylinder-Laufkultur stand.
Wie wir gleich sehen, wurden Beckmann-Autos tasächlich eher für ihre unbedingte Zuverlässigkeit und Sparsamkeit in der soliden Vierzylinder-Klasse geschätzt.
So weiß Christian Börner zu berichten:
„Das Beckmann’sche Geschäft mit Droschken/Taxis lief im wahrsten Sinne des Wortes wie geschmiert. Die Beckmann Automobil-Vertriebs-Gesellschaft m.b.H. in Berlin-Wilmersdorf betrieb sogar einen eigenen großen Droschken-Fuhrpark.
Alleine im Jahr 1908 wurden 50 Stück aus Breslau dorthin geliefert. Beckmann-Droschken wurde bevorzugt mit 7/12 PS Zweizylinder- oder 10/14 PS Vierzylindermotoren georderte. Sie galten im Taxi-Gewerbe als sparsam und unverwüstlich. „
Hier haben wir eine hübsche Parade solcher Beckmann-Droschken, bei denen der Fahrer fast ausnahmslos außen saß – wie über Jahrhunderte bei Kutschen üblich:
Bckmann Droschken in Berlin; Originalabbildung via Christian Börner
Was in der Reichshauptstadt – damals neben London und Paris „die“ Kultur- und Industriemetropole in Europa – offensichtlich Erfolg hatte, konnte andernorts nicht unbemerkt bleiben.
Interessant und merkwürdig zugleich ist, dass die Automobile von Beckmann nicht unerhebliche Spuren in Dänemark, Schweden und Norwegen hinterlassen haben.
Man hätte aufgrund der geografischen Lage Breslaus vielleicht eher eine stärkere Präsenz in Osteuropa erwartet. Doch wie ich aus meiner eigenen Familiengeschichte weiß, war das engste Band der schlesischen Städte damals dasjenige an Berlin.
Offenbar wurde in Skandinavien genau registriert, was seinerzeit in Berlin angesagt war, jedenfalls in Sachen Automobil. Das erklärt, warum wir uns gleich warm anziehen müssen.
Doch keine Sorge, wir machen zum Akklimatisieren erst einmal einen Ausflug ins schöne Dänemark, wo angeblich mit die glücklichsten Menschen leben.
Ich glaube das sofort, auch wenn ich noch nicht dort war, denn ich habe noch nie etwas Gegenteiliges gehört. Wer so etwas Geniales wie das Romo Motor Festival veranstaltet, muss mit sich (und der Welt des Verbrennungsmotors) vollkommen im Reinen sein.
Wo waren wir? Im Jahr 1908, natürlich! Bevor ich weiter abschweife, übernimmt Christian Börner in bewährter Weise.
„Anno 1908 lief der erste Beckmann in Dänemark als Taxi, und zwar in Kopenhagen. Es war ein 7-sitziger 10/14 PS-Phaeton mit einer Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h. Anfang 1913 wurde dieser Wagen nach langem Gebrauch in den hohen Norden Norwegens verkauft und dorthin verschifft, denn das Straßennetz reichte bei weitem nicht bis ans Ziel. Käufer dieses Gebrauchtwagens war nämlich ein Fahrrad-Produzent, der seine Manufaktur in der Provinz Nord-Trøndelag auf der Insel Andøya in der Region Vesterålen hatte.“
Ich muss zugeben, dass mir das nichts sagte. Zwar war mein Paderborner Großonkel Ferdinand neben seiner Italien-Passion zeitlebens ein großer Norwegen-Reisender – noch heute höre ich ihn geheimnisvoll „Norrrwegen“ mit gerolltem „r“ sagen – doch die skandinavische Geografie ist mir zeitlebens fremd geblieben.
So habe ich erst von Christian Börner gelernt, dass die Insel Andøya sagenhafte 350 km nördlich des Polarkreises liegt. Dorthin hatte es also diesen 1908er Beckmann verschlagen, der offenbar an einem sonnigen Tag aufgenommen worden war (im Hochsommer klettern die Temperaturen dort auf über 13 Grad):
Beckmann Typ 10/14 PS von 1908 in Norwegen; Foto aus Bestand Rune Aschim/Norwegen
Wenn man der Überlieferung glauben kann, war dieser Beckmann „das erste Auto in Nord-Norwegen überhaupt und dürfte auf der Insel wenig Auslauf gehabt haben.“
So Christian Börner im O-Ton. Nun fragt man sich, was aus diesem Wagen geworden ist oder ob es noch andere Zeugnisse solcher Beckmann-Veteranen in Skandinavien gibt.
Ich sage ganz offen, dass ich nicht die geringste Ahnung habe. Denn ich habe mit Christian Börner vereinbart, dass er uns nur peu a peu verrät, was er bisher über die Automobile herausgefunden hat, welche einst seine Vorfahren im schlesischen Breslau fertigten, wo er kurz vor Kriegsende auf die Welt kam.
Liebe Leser, nun müssen wir uns bis Mitte Januar gedulden, bevor wir Neues aus dem alten Europa erfahren, in dem einst auch die Wagen von Beckmann ihren Besitzern eine Mobilität selbst unter widrigsten Bedingungen ermöglichten, welche bis dato selbst Kaisern und Königen nicht zu Gebote gestanden hatte.
Welche ungeheure Zäsur im Leben der Leute die Ankunft der ersten Motorkutschen gewesen sein muss, das ersehen wir schon daraus, dass einst jeder – wirklich jeder – damit für Mitwelt und Nachwelt festgehalten werden wollte.
Was könnte das schöner illustrieren als diese für heute (und 2023) letzte Aufnahme eines Beckmann – genau des10/14 PS-Typs von 1908, der einst nach Norwegen gelangte?
Beckmann Typ 10/14 PS von 1908 in Norwegen; Foto aus Bestand Rune Aschim/Norwegen
Damit sagen Christian Börner und ich für’s Erste „Auf Wiedersehen“, was die Beckmann-Automobile angeht.
Im Neuen Jahr geht unsere Spurensuche weiter und wie immer sind alle Leser eingeladen, etwaige Beckmann-Dokumente aus ihren Sammlungen zu diesem Projekt beizusteuern, so wie das diesmal dankenswerterweise Wolfgang Spitzbarth getan hat.
Bis zum Jahreswechsel setze ich indessen im Hinblick auf andere Vorkriegsmarken meine Mission (so sagt man heute, wenn man etwas mit Leidenschaft tut) fort – ich habe noch einiges vor, bevor wir 2023 adieu sagen…
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Ein geschäftlich besonders intensives Jahr liegt (so gut wie) hinter mir. Heute war seit sehr langer Zeit der erste Tag, an dem das Arbeitspensum spürbar abflaute.
Meine Kunden – das sind internationale Vermögensverwalter, für die ich Übersetzungen hochspezialisierter Publikationen erstelle – haben das Jahr abgeschlossen, nehmen allenfalls die gute Stimmung an den internationalen Börsen wohlwollend zur Kenntnis.
Bis Weihnachten kann ich nun hoffentlich einiges aufarbeiten, was liegengeblieben ist. Dazu gehört neben einem Haufen Laub der großen alten Bäumen im Garten auch ein Stapel Bilder mit Autofotos nebst den zugehörigen Geschichten.
Als nächstes steht die übliche Beckmann-Story an, also eine weitere Folge unserer Zeitreise in die Geschichte dieses einst renommierten Autoherstellers aus dem schlesischen Breslau, der auf den ersten Blick merkwürdig wenig Spuren hinterlassen hat.
Um den nächsten Abschnitt vorzubereiten, brauche ich aber etwas Zeit, die ich heute noch nicht hatte. Also dachte ich mir, dass sich schon etwas finden lässt, was sich rasch im Blog aufbereiten lässt.
Was mit Eile begann, streckte sich dann doch eine ganze Weile hin. Dabei war der automobile Gegenstand eine sichere Bank, was die Identifikation und Einordnung angeht.
Denn so ein Ford Eifel vom Ende der 1930er Jahre ist leicht zu erkennen und ein besonders erfreulicher Anblick, wenn er sich mit einer so charmanten jungen Dame präsentiert:
Ford Eifel, Zulassung: Hildesheim; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Das ist doch das genau das Richtige, um auf die schnelle noch einen neuen Blog-Eintrag zustandezubringen, auch wenn der kleine Ford seinerzeit nur mit Mühe auf Autobahntempo von 100 km/h kam. Für eilige Zeitgenossen war der 34 PS leistende Wagen also nichts.
Allerdings gab es in der 1,1 Liter-Klasse seinerzeit kaum Besseres hierzulande. Den Vogel schoss dabei der Opel P4 ab, der damals nur 23 PS leistete und mit Spitze 85 km/h vermutlich das lahmste Auto seiner Art war, ohne besonders sparsam zu sein.
Als Alternative gab es die frontgetriebenen Zweitakt-DKWs, die trotz weniger Leistung bemerkenswert agil waren, oder den NSU-Fiat 1100 mit seinem modernen kopfgesteuerten Motor. Er war damals wohl der dynamischste und modernste in Deutschland gefertigte Wagen seiner Klasse, noch dazu mit 12 Volt-Elektrik und Hydraulikbremsen.
Gleichwohl fand der technisch weit primitivere Ford „Eifel“ durchaus seine Käufer, denn er war viel billiger als der anspruchsvollere Fiat. Zudem sah er von vorn recht flott aus, zumindest mit dem 1937 eingeführten v-förmigen Kühlergrill.
Ein Jahr später entstand die eingangs gezeigte Aufnahme eines Ford-Eifel, der laut Kennung auf dem Nummernschild im Raum Hildesheim zugelassen war.
Prima, dachte ich, dann kann es nicht so schwer sein, auch den Aufnahmeort zu identifizieren:
Ford Eifel, Zulassung: Hildesheim; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Dabei hätte ich mir schon anhand des bodenständigen Ford denken können, dass dies kein Fall ist, der sich lässig und schnell im Vorübergehen erledigen lässt.
Vielmehr wurde aus meiner leichtsinnigen Eile eine ganz erhebliche Weile, die ich brauchte, bis ich den Ort herausgefunden hatte, an dem diese schöne Situation einst fotografisch für uns Nachgeborene festgehalten worden war.
Die Architektur der Toranlage und des dahinterliegenden mehrstöckigen Gebäudes bewegt sich irgendwo zwischen Spätrenaissance und Frühbarock. Da der Ford in Niedersachsen zugelassen war, sprach die Wahrscheinlichkeit dafür, dass auch der Aufnahmeort dort lag.
So versuchte ich mein Glück in der Online-Bildersuche mit „Schlösser Niedersachsen“, „Toranlage Weser-Renaissance“ und ähnlichen Suchbegriffen. Erst als ich den Regionalbezug aufgab, wurde ich fündig – nämlich im westfälischen Corvey.
Man kennt das altehrwürdige Kloster und spätere Schloss vor allem wegen der großartigen Westfassade seiner bis in die Karolingerzeit zurückreichenden Kirche (Stichwort „Westwerk Corvey“). Doch die übrige, sehr weitläufige Anlage, die nach dem 30-jährigen Krieg erneuert wurde, bietet wenig, was eine derartige Qualität und solchen Wiedererkennungswert hätte.
So dürfte die heute präsentierte Ansicht der Toranlage vermutlich mit die attraktivste sein, die man zu sehen bekommt:
Wenn Sie es also eilig haben, können Sie sich den physischen Besuch in Corvey beinahe sparen, wenn Sie nur lange genug im Studium dieses Dokuments verweilen – vom famosen Westwerk abgesehen, versteht sich. Dahinter findet sich leider nicht mehr viel aus der Karolingerzeit, in der Corvey eines der bedeutendsten Klöster Europas war.
Aber so ist das eben bei der Beschäftigung mit der Vergangenheit: Man stellt immer wieder fest, dass es keine durchweg lineare Entwicklung im Sinne von „schneller, schöner, klüger, besser usw.“ gibt.
Anstelle unbotmäßiger Eile bietet es sich oft genug an, sich eine Weile eine Auszeit vom Hier und Jetzt zu nehmen. Man muss ja nicht gleich ins Kloster gehen dafür – mein Blog bietet ebenfalls hinreichend Gelegenheit dazu, meine ich…
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Echter alter Adel ist über die Dinge der Gegenwart erhaben – das macht seinen Reiz für viele aus.
Mit der Historie des eigenen Landes eng verflochtene Identifikationsfiguren, die über das Hier und Jetzt hinausweisen und der eigenen flüchtigen Existenz einen fixen Bezugspunkt geben, das scheint eine erhebliche Faszination auszüben.
In Ermangelung geeigneten Personals auf diesem Sektor hält sich mancher an ausländische Königshäuser. Dabei geht es offensichtlich nicht um Sympathie mit der Monarchie als Regierungsform, sondern um das Bedürfnis nach einer überzeitlichen Ordnung, welche die Banalität des Alltags transzendiert.
Das mag erklären, weshalb das Begräbnis von Queen Elizabeth II für solche ungeheure Anteilnahme sorgte, und das nicht nur in England. Unzählige Menschen wollten am letzten Weg dieser Person, die wie keine andere für die europäische Geschichte der letzten 100 Jahre stand, teilnehmen und sei es nur auf dem Bildschirm.
Mancher mag das belächeln, ich aber bedauere diejenigen, die nicht imstande sind, wenigstens für einen Moment ihre kleine persönliche Sphäre zu verlassen und sich der Wucht der Symbolik einer fast tausendjährigen Tradition auszuliefern.
Gerade die Queen, welche für Jahrzehnte ein wohl einzigartig würdevolles Staatsoberhaupt abgab, trug die ihr zugedachte Rolle ebenso mit Fassung wie die Katastrophen, welche sich in ihrer Lebenszeit ereigneten.
Egal, was geschah: sie war immer da, wurde nur älter, aber blieb immer sie selbst – über die Dinge erhaben, war einer wenigen Fixpunkte im Dasein ihres Volkes.
Ähnliche Qualitäten finden sich an Vertretern des automobilen Hochadels und das möchte ich an gleich zwei Exemplaren veranschaulichen.
Die Dynastie, um die es dabei geht, ist die von Austro-Daimler. Sie überlebte nicht nur den Untergang der Donaumonarchie, sondern entfaltete in einer Zeit ihre eigentliche Pracht, welche erst von Demokratisierung, dann von totalitären Tendenzen geprägt war.
Hier haben wir den ersten Abkömmling:
Austro-Daimer Typ ADR Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Diese Aufnahme entstand im Kontext des „Anschlusses“ Österreichs an das Deutsche Reich im Jahr 1938. Die mächtige Limousine war zu diesem Anlass prächtig geschmückt worden – sie trug es offenbar mit Fassung.
Das Auto war zu jenem Zeitpunkt bereits knapp 10 Jahre alt. Die Kühlerform und die Gestaltung der Vorderkotflügel in Kombination mit sportlichen Drahtspeichenrädern verrät, dass wir es mit einem Austro-Daimler des 1928 vorgestellten Typs ADR zu tun haben.
Der besaß zwar anfänglich „nur“ denselben Sechszylindermotor mit 70 PS wie sein Vorgänger ADM. Völlig neu konstruiert worden war jedoch der Mittelrohrrahmen in Verbindung mit unabhängiger Radführung an der Hinterachse mit Querblattfeder.
Ab 1930 gab es dann eine 8-Zylinderversion des ADR, die standesgemäße 100 PS leistete, womit der Austro-Daimler seine Position im automobilen Hochadel festigte.
Dieser großartige Vertreter seiner Art fand kaum überraschend Bewunderer und Verehrer auch in deutschen Landen. So sehen wir hier eine herrliche offene Version, deren einziger Mangel darin besteht, dass sie von Zeitgenossen umlagert ist, welche dem angemessenen „Dresscode“ nicht ganz gerecht werden:
Austro-Daimer Typ ADR Limousine; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt
Allerdings zeigt sich der Austro-Daimler hier in der offenen Version dermaßen souverän, dass er über die nicht durchweg vorteilhafte Bekleidung der Personen hinwegsehen lässt, die sich damit ablichten ließen.
Im Raum Oldenburg in Norddeutschland war dieses zweitürige Cabriolet einst zugelassen. Das verrät die Kennung „OI“, wobei das „O“ noch auf das alte Herzogtum Oldenburg verwies, welches zum Zeitpunkt der Aufnahme längst Geschichte war.
Doch auf dem Nummernschild lebte die alte Adelswelt noch eine Weile fort, welche von Verhältnissen abgelöst worden war, die von neuen selbsternannten Eliten geprägt war – welche so unterschiedlichen Welten wie Politik, Militär, Wirtschaft und Kunst entstammten.
Der automobile Adel blieb – so er denn die Zeiten überdauert hat – von solchen Umwälzungen gänzlich unbeeindruckt. Auch der Rang von Austro-Daimler ist unangefochten, was seine Rolle als Vertreter der alten Automobilbau-Dynastien betrifft…
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Heute ist ein Tag, an dem mir königlich zumute ist – und das obwohl mir die tägliche Dosis Sonne fehlt. Ich mag mir gar nicht ausmalen, wie lange die kurzen und meist trüben Wintertage noch anhalten werden.
Doch schon die Post bereitete mir heute mittag königliche Freuden: Die Schneeketten der Marke „König“ sind nämlich eingetroffen, mit denen ausgestattet ich zwischen Weihnachten und Neujahr wieder nach Italien fahren werde.
Mein Ziel in Umbrien liegt auf 600 Meter Höhe und dort kann es in der kalten Jahreszeit weitaus winterlicher zugehen als in meiner Heimatregion – der hessischen Wetterau.
Letzten Winter lagen dort zeitweise 30 cm Schnee und die 6 Kilometer vom bzw. zum nächsten größeren Ort werden nicht geräumt. Daher auch die große Häufigkeit an Allrad-Wagen in der Region – einschließlich haufenweise Fiat Panda 4×4 der 1980er Jahre, die ein phänomenal langes Leben haben und bis heute in der Kleinwagenklasse unübertroffen sind.
Der Hausberg – der Monte Subasio – ist über 1.000 Meter hoch und dort kann man im Winter oft sogar mit Langlaufski unterwegs sein. Dabei kann es drunten in der Ebene der „Valle Umbra“ im August bis an die 40 Grad warm werden. Dieses Lokalklima ist sehr speziell – mit einer Fiktion wie dem „Weltklima“ können die bodenständigen Leute dort nichts anfangen.
Mit „König“-Schneeketten hoffe ich also im Zweifelsfall durchzukommen, außerdem verfügt mein Wagen über zuschaltbaren Allradantrieb. Mit einem deutschen Fabrikat wäre das für mich unbezahlbar, also machten die Ausländer das Geschäft – beim Geld hört mein in den letzten Jahren ohnehin auf dem Rückzug befindlicher Rest-Patriotismus auf.
Damit wären wir beim eigentlichen Thema meines heutigen Blog-Eintrags, auch wenn die Einleitung es vielleicht erst nicht erwarten ließ, habe ich noch die Kurve bekommen.
Jetzt geht es in die Gerade – königlichen Freuden entgegen. Denn nun geht es die „Königsallee“ in Düsseldorf entlang und dort begegnet uns etwas, durch dessen Besitz man sich einst zumindest in Deutschland geadelt fühlen durfte:
Buick Series 50 von 1933 auf der Düsseldorfer Königsallee; Originale Postkarte aus Sammlung Michael Schlenger
Schon beim Anblick des üppigen Blattwerks an den Bäumen fühlt man sich erhoben – während ich erst kürzlich im Garten die letzten Blätter des dem Ende zurasenden Jahres zusammengerecht habe.
Es mag ein strahlender Tag im Frühling gewesen sein, als der Fotograf von der anderen Straßenseite die zahlreichen fein gekleideten Flaneure aufnahm.
Sicher wird er auf ein angemessenes Gefährt gewartet haben, denn eine leere Straße als Mittelgrund macht sich nicht gut. Und er hat guten Geschmack bewiesen dabei:
Die seitlichen „Schürzen“ an den Vorderkotflügeln waren ein Indiz dafür, dass diese sechsfenstrige Limousine mit den markanten Luftklappen in der Motorhaube kaum vor 1933 entstanden sein kann, als sich dieses Detail von den USA ausgehend rasch durchsetzte.
Kurz erwog ich, ob es sich bei dem Wagen um einen Berliet des Typs 911 bzw 1144 von 1933/34 handeln könnte, doch dessen Kühlermaske war doch etwas anders geformt.
Freilich hatte der französische Hersteller mit dem Modell deutliche Anleihen bei US-Wagen gemacht und im nächsten Schritt recherchierte ich nach amerikanischen Fabrikaten von anno 1933 mit einer solchen Kühlerpartie.
Nach einer knappen Viertelstunde wurde ich fündig: Der Wagen auf der Düsseldorfer Königsallee war eindeutig ein „Buick“ des Modelljahrs 1933.
In der US-Autohierarchie waren Buicks damals in der gehobenen Mitteklasse angesiedelt. Im Deutschland jener Zeit war man dagegen schon ein König. Denn während überhaupt irgendein Auto bereits einen Luxusgegenstand darstellte, der für den Normalbürger im Reich völlig unerschwinglich war, galt dies erst recht für diesen Buick.
Der wartete schon in der Einstiegsvariante (Series 50) mit einem rund 85 PS leistenden Achtzylindermotor auf, daneben gab es mit längerem Radstand noch stärkere Varianten mit 95 PS (Series 60) bzw. gut 100 PS (Series 80 und 90).
Diese Aggregate waren übrigens keine Seitenventiler wie das bei US-Achtzylindern bis in die Nachkriegszeit häufig der Fall war, sondern sie besaßen im Zylinderkopf strömungsgünstig hängende Ventile (ohv-Spezifikation).
Über 40.000 Exemplare des Modeljahrs 1933 baute Buick – nach amerikanischen Maßstäben war das wenig, aber mehr als genug, um auch den europäischen Markt mit zu versorgen. Billiger als einheimische Fahrzeuge derselben Klasse waren sie zudem.
US-Automobile gelangten so damals in großer Stückzahl vor allem nach Skandinavien. Die deutschen Hersteller waren dort allenfalls mit den DKW-Frontantriebsmodellen oder den Opel-Vier- und Sechszylindern in größerem Stil aktiv.
Das übrige Geschäft in Nordeuropa machten vor allem die Amerikaner, welche die richtigen Produkte in der benötigten Stückzahl zum attraktiven Preis liefern konnten. Daher sind US-Vorkriegswagen bei unseren nördlichen Nachbarn noch heute sehr verbreitet.
So fand ich im Netz ein Video, das der junge dänische Besitzer genau eines solchen Achtzylinder-Buicks von 1933 gemacht hat, wie er einst auf der „Kö“ unterwegs war.
Das Dokument ist phasenweise gewöhnungsbedürftig, aber man bekommt einen guten Eindruck davon, wie geschmeidig und ruhig der kraftvolle Motor läuft. Auch ahnt man, wie das prächtige Auto einen beim Fahren förmlich zum König der Landstraße macht.
Genießen Sie diese königlichen Freuden aus Dänemark und halten bis zum Ende durch – Sie können hier genau den gleichen Wagentyp erleben, der in Düsseldorf unterwegs war:
Video hochgeladen von Roger Friberg; Quelle: YouTube.com
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Der Jaguar gehört – das wissen die Großkatzenfreunde – gemeinsam mit Löwe, Leopard und Tiger zur Familie der „pantherae“, ist aber im Unterschied zu diesen seit fast 1 Million Jahren in Amerika beheimatet. Seine Urahnen freilich stammen aus der Alten Welt.
Und ebendort bleiben wir heute auch, wenn es darum geht, einem Vorläufer des Jaguar nicht auf vier Tatzen, sondern auf vier Rädern auf die Spur zu kommen.
Als Appetithappen hier schon einmal eine Vorschau auf das fragliche Geschöpf:
Standard Flying 12 oder 20 von 1936; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Kennern ist natürlich geläufig, dass die Marke „Jaguar“ sich auf die 1922 gegründete britische Firma „Swallow Sidecar“ zurückführen ließ, welche urspünglich Seitenwagen für Motorräder fertigte. Ab 1927 bot man auch sportliche Karosserien auf Chassis von Fremdherstellern an. Dazu zählte neben Austin die altehrwürdige Firma Standard.
Die auf Rahmen und Motor von Standard basierenden Fahrzeuge von Swallow wurden unter der Marke „SS“ verkauft. Das Kürzel ließ sich als „Swallow Sidecars“, Swallow Standard“ oder „Standard Swallow“ interpretieren – britischer Pragmatismus at its best.
Der erste „SS“, der als Vorläufer der späteren Jaguar-Tradition angesehen werden konnte, war der im Herbst 1935 vorgestellte SS „Jaguar 2.5 litre“. Der 6-Zylinder-Motor und das Chassis dieses ersten als Jaguar bezeichneten Wagens (die Herstellerfirma wurde erst 1945 entsprechend umbenannt) wurden von Standard zugeliefert.
Dieses Detail – dass der erste Jaguar zwar bereits einen 6-Zylinder besaß, wie das bis zum Erscheinen der 12-Zylinder Standard für die Marke bleiben sollte, aber dieses Aggregat gar kein Eigengewächs war – das mag überraschen, oder auch nicht.
Jaguar-Freunde wissen das wahrscheinlich, aber wie der Motorspender des ersten Jaguar aussah, das dürfte vielen dann noch nicht geläufig sein.
Damit sind wir zurück bei dem eingangs gezeigten Foto, welches 1938 in Belgrad entstand. Nun nehmen wir den Wagen näher unter die Lupe:
Auch ohne profunde Kenntnis britischer Vorkriegsautomobile, die in meinem Blog nur eine Randerscheinung darstellen, da sie auf dem Kontinent vergleichsweise selten blieben, ahnt man anhand des hohen und recht schmalen Kühlers, dass es sich um ein englisches Fabrikat handelt.
Der 1934 eingeführte Hansa 1100 bzw. 1700 besaß eine sehr ähnliche Kühlerpartie, doch fiel diese deutlich breiter aus, was freilich nichts daran ändert, dass der Hansa damals wohl der deutsche Wagen mit der „britischsten“ Optik war.
Nach einigen Recherchen kam ich im Fall der Belgrader Limousine auf den „Standard Flying“ von 1935/36. Dieser besaß eine nach damaliger Mode „stromlinienförmig“ gestalteten steil abfallenden Heckpartie mit mittig geteilter Rückscheibe.
Dieses Detail ist hier leider nicht zu sehen, wofür uns die „im Weg stehende“ junge Frau freilich vollauf entschädigt. Wir sind ihr keineswegs böse, ist sie es doch, welche diesem Autofoto das Quentchen Lebendigkeit einhaucht, welches das Sammelgebiet für mich und viele Gleichgesinnte erst so reizvoll macht.
Sie mag zwar nicht die Besitzerin des Wagens gewesen sein, vielleicht war sie sogar bloß eine Passantin, die sich von ihrem Begleiter neben dem Auto ablichten ließ. Vielleicht wusste sie dennoch mehr darüber als wir.
Zumindest ich kann hier nur „Standard“ liefern – also den Hersteller und die Bezeichnung der Modellfamilie „Flying“, welche sich auf das neugestaltete Emblem der Marke bezog.
Fraglich bleibt indessen vorerst, welche Ausführung wir hier vor uns haben. Die drei Vierzylinderversionen 9, 10 und 12 (was sich auf die britischen Steuer-PS bezieht) besaßen nämlich wie der parallel verfügbare 6-Zylindertyp „20“ eine fast identische Karosserie.
Nur der Vorderwagen scheint sich in Details sowie in der Länge unterschieden zu haben. Wie man sich das genau vorzustellen hat, das konnte ich auf die schnelle nicht herausfinden.
Immerhin ist es mir gelungen, ein prächtiges Foto eines praktisch identischen Exemplars von 1936 zu finden, das die an diesem Modell seltenen Scheibenräder besitzt, die auch an dem Belgrader Exemplar zu sehen sind.
Auch die eigenwillige Gestaltung der seitlichen Luftschlitze in der Motorhaube stimmt genau überein. Inwieweit diese einen Hinweis auf die Motorisierung geben, kann vielleicht ein sachkundiger Leser sagen oder ein fleißiger Mitstreiter herausfinden.
Sollte sich am Ende ergeben, dass wir es nur mit dem „großen“ Vierzylindertyp 12, nicht aber mit dem Spitzenmodell 20 mit dem für den ersten Jaguar ausgeborgten Sechszylindermotor zu tun habe, wäre das nicht weiter schlimm.
Meine kleine Geschichte vom Urahn des Jaguar würde auch dann noch passen. Denn SS bot parallel zum 6-zylindrigen „Jaguar 2.5 litre“ 1935/36 auch einen Vierzylindertyp an, den SS „Jaguar 1.5 litre“, dessen Motor ebenfalls von Standard stammte.
Genau das war nun eine für mich erstaunliche Erkenntnis – ganz am Anfang der unter anderem für ihre seidenweichen Sechszylinder legendären Marke Jaguar stand doch tatsächlich für kurze Zeit (auch) ein Vierzylinder…
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Es gibt wenig im Bereich unserer Wahrnehmung, das nicht zum erheblichen Teil Ansichtssache ist und dessen Wesen sich erst aus verschiedenen Perspektiven einigermaßen erfassen lässt.
Nur innerhalb logisch geschlossener Systeme wie der Mathematik gibt es objektive Klarheit, die sich jedermann gleichermaßen offenbart. Was nicht bedeutet, dass es jenseits solcher in sich vollkommener Modelle nicht Dinge geben kann, die uns (noch) nicht zugänglich sind.
Die Ideen der Planetenbewegung, der Evolution, der Kontinentalverschiebung oder der Relativität verstießen zu ihrer Entstehungszeit nicht nur gegen den Stand der Wissenschaft, ihre Vertreter wurden sogar als Verrückte oder gefährliche Subjekte diskreditiert.
Dieselben Mechanismen sind auch heute in Kraft, weil es bei kontroversen Fragestellungen grundsätzlicher Art meist um Machtpositionen geht (Parole: „The science is settled“).
So schön es ist, recht zu haben und auch zu behalten, müssen wir uns dagegen immunisieren, auf die vermeintlich zwingende Logik der eigenen Sicht oder der anderer hereinzufallen. Das gilt auch für so banale Dinge wie ein altes Autofoto:
Dixi Typ G1 6/18 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Wir können uns für noch so objektiv halten, unser Blick konzentriert sich anstatt auf den abgebildeten Tourenwagen auf die Menschen, die einst mit ihm abgelichtet wurden. Schon tritt unsere unhintergehbare Subjektivität zutage.
Immerhin ist das „einst“ zur Abwechslung als klares Datum überliefert: März 1928.
Schön an dieser Ansicht finde ich den Moment der Erwartung, der darin festgehalten ist. Wir ahnen, dass gleich nachdem die Aufnahme im Kasten ist, der Wagen gestartet wird und die ganze Baggage eine Ausfahrt oder gar eine kleine Reise unternimmt.
Vielleicht geht es auf Verwandtenbesuch und das ernst dreinschauende Mädchen, das wie bereits wie eine junge Dame wirkt, hält ein Geschenk für die Großeltern oder auch die Cousine in den Händen.
Unterdessen können es die beiden Buben hinter ihr kaum erwarten, dass es losgeht – sie schauen weniger dem Ziel als dem Abenteuer des Fahrens entgegen, wohl nicht zum ersten Mal.
Ganz anders gestimmt scheint der Herr mit Hut auf dem Trittbrett. Mit verhaltener Freundlichkeit sieht er in die Kamera. Vielleicht lagen in dem Moment irgendwelche Sorgen wie ein Schatten auf seinem Gemüt, dennoch bemüht er sich um Contenance.
Sie sehen, schon die Interpretation der Verfasstheit der einzelnen Personen auf diesem Foto ist Ansichtssache. Wie immer in solchen Fällen freue ich mich über erfrischend andere Perspektiven.
Bei einer Sache bin ich mir jedoch sicher: Der Wagen ist ein Fabrikat der Fahrzeugwerke Eisenach, die seit 1904 unter der Marke „Dixi“ hochwertige Automobile produzierte und dabei bis zum 1. Weltkrieg alle Kategorien abdeckte.
Danach baute man noch für kurze Zeit einige Vorkriegsmodelle weiter, bis 1921 der neu konstruierte Typ G1 6/18 PS erschien, welcher 1923 zum G2 6/24 PS mutierte.
Eine erhellende Ansicht in der Richtung liefert uns folgende Aufnahme aus der Sammlung von Leser Matthias Schmidt:
Dass wir es hier mit einem „Dixi“ zu tun haben, das verrät dem Kenner schon die Kühlerfigur – ein vorwärtsstürmender Kentaur.
Typisch für die G-Modelle der Marke war speziell die Kombination aus leicht spitz zulaufendem Kühler, Drahtspeichenrädern, schrägstehenden Haubenschlitzen und unten „geknicktem“ Frontscheibenrahmen.
Keines dieser Elemente war für sich genommen exklusiv den Dixis vorbehalten, aber in dieser Zusammenstellung waren sie letzlich einzigartig, so meine Sicht der Dinge.
Bei der Gelegenheit vergleiche man auch die ungewöhnliche Gestaltung des Heckkotflügels mit seitlicher „Schürze“ mit dem Wagen auf dem ersten Foto.
Nach meiner Ansicht ist so etwas selten zu sehen, während der Tourenwagenaufbau mit „Tulpenkarosserie“ und umlaufendem Verdeckkasten nicht markentypisch war, sondern kurz nach dem 1. Weltkrieg einen Standard bei fast allen deutschen Herstellern repräsentierte.
Vermutlich werden Sie sich jetzt meiner Ansicht anschließen, dass auch mein eingangs gezeigtes Foto einen solchen Dixi des Typs G1 6/18 PS zeigt, eventuell auch ein frühes Exemplar des G2 vor der Einführung großer Bremstrommeln hinten.
Aber würden Sie auch die oberflächliche Ansicht teilen, dass dieser Wagen ein Nummernschild trägt, dessen Kennung mit „NB“ beginnt?
Klarer Fall – das ist erst ein „N“ und dann ein „B“ zu sehen, oder?
Nun, wenn Sie das glauben, dann sind Sie zwei vermeintlichen Autoritäten auf den Leim gegangen. Die eine bin ich, die Ihnen diese auf perfide Weise Lesart nahelegt, die andere ist ihre eigene Sinneswahrnehmung, welche sie dort tatsächlich „NB“ sehen lässt.
Auf beides zu vertrauen, ist indessen gefährlich. Es gibt nur eine Instanz, die einen vor solchen Irrtümern bewahrt – der kritische Gebrauch des eigenen Verstandes, auch wenn es vielen lästig ist, wie schon der Aufklärungspapst Immanuel Kant feststellte.
So muss man sich nämlich fragen: Selbst wenn ich dort klar und deutlich „NB“ lese, kann das denn überhaupt sein? Der Verstand sagt einem, dass man das trotz aller scheinbarer Offensichtlichkeit kritisch prüfen muss.
Dass ich selbst dieser Sinnestäuschung zum Opfer gefallen bin, will ich gerne bekennen. Mir kam das Nummernschild zwar von Anfang an „spanisch“ vor, dennoch nahm ich es für den Nennwert und schaute im „Herzberg“ (Handbuch Deutsche KfZ-Kennzeichen, Band 1) nach, ob es nicht vielleicht doch so etwas wie „NB“ in deutschen Landen gegeben haben könnte.
Dort fanden sich jedoch nur zwei optisch ähnliche Kennungen „HB“ für Bremen und „IV B“ für den Raum Baden. Allerdings fällt es schwer, diese mit dem zur Deckung zu bringen, was das Auge auf dem Foto wahrnimmt.
Den Erkenntnisdurchbruch lieferte erst das Einnehmen einer ganz anderen Perspektive – die titelgebende erhellende Ansicht fand sich sogar in meinem eigenen Fundus:
Dixi Typ G1 6/18 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Ich hatte vergessen, dass sich in meinem Bestand an unaufgearbeiteten Fotos auch diese Dixi-Aufnahme befand – auf welcher der Wagen belichtungsbedingt ganz anders wirkt.
Doch nicht nur einige Insassen kommen einem auffallend bekannt vor, auch die laufende Nummer auf dem Kennzeichen war identisch: „43058“!
Für mich steht außer Frage, dass es sich um dasselbe Auto handelt, wenngleich ich mich nicht daran erinnern konnte, beide Abzüge gemeinsam erworben zu haben. Nur bei dem ersten hatte ich das umseitig vermerkte Aufnahmedatum im Dateinamen festgehalten.
Bleiben wir also skeptisch und schauen genau hin:
Was meinen Sie? Lesen Sie jetzt ebenfalls „IV B“ für Baden? Und bemerken Sie ebenfalls die übereinstimmende Gestaltung der Doppelstoßstange, die aus dem Zubehör stammte und US-Vorbildern ab etwa 1925 nachgebildet war?
Sollten Sie meine neu gewonnene Ansicht für erhellend halten, dann dürfen Sie auch meiner Feststellung glauben, dass dieser Dixi im Landkreis Waldkirch zugelassen war. Doch Vorsicht: Dies stützt sich nur auf die entsprechende Zuordnung zum Nummernkreis 43001-43400, wie sie für 1936 im „Herzberg“ dokumentiert ist.
Ob das auch in den 1920er Jahren so war, kann ich nicht mit Gewissheit sagen. So erhellend sich das Einnehmen einer anderen Ansicht im vorliegenden Fall erweist, so vage bleibt am Ende das, was wir wirklich als gesichert ansehen können.
Doch muss man alles ganz genau wissen? Mitunter genügt es auch, sich mit dem zufrieden zu geben, was uns spontan zugänglich ist und uns für einen flüchtigen Moment Vergnügen bereitet wie die Vorfreude auf diesem Dokument:
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Wer sich ein wenig auskennt in Sachen Faun, wird meine heutige These einigermaßen steil finden, wonach ich hier den ersten seiner Art präsentiere.
Der erste Faun, dem die meisten Zeitgenossen begegnet sind, die nicht nur alte Autos im Kopf haben, dürfte der in Pompeji als Abguss einer antiken Statue aufgestellte sein. Denkbar aber auch, dass für manchen dieser in München zu bewundernde Vertreter seiner Art der erste ist – nebenbei eines der ganz großen Meisterwerke der Antike.
Keine Sorge, es geht gleich wieder züchtiger zu – sofern Sie gesteigerten Wert darauf legen.
Dabei entwickelte man gerade in der Zeit, in die mein heutiger Blog-Eintrag führt – die frühen 1920er Jahre – erstmals seit dem lebensfrohen Barock wieder ein entspanntes Verhältnis zum menschlichen Körper in seiner natürlichen Form.
Nach dem unfassbaren Desaster des 1. Weltkriegs, den alle beteiligten Staaten bis zum Schluss mit kaum gebremstem Furor unter sinnloser Aufopferung der eigenen männlichen Jugend kämpften, blieb fast nichts, wie es war.
Bei den Damen schrumpften die Rocklängen und die Durchmesser der Hüte rasant, die Herren begannen sich wieder überwiegend zu rasieren oder ließen allenfalls einen Schnauzer stehen und es durfte maßvoll nackte Haut in der Öffentlichkeit gezeigt werden.
Im Automobilsektor gab es ebenfalls bedeutende Zäsuren, wenngleich viele deutsche Hersteller erst einmal die alten Modelle weiterbauten. Doch von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, waren nun elektrische Lichtanlagen und Anlasser der neue Standard.
Damit wurde es für Autobesitzer – speziell Frauen – deutlich attraktiver, den eigenen Wagen auch selbst zu steuern. Der noch vor dem Krieg meist unverzichtbare Chauffeur wurde allmählich zur Seltenheit, fand aber eine Nische zum Überleben noch einige Zeit bei Gutbetuchten, welche es schätzten, sich überhaupt nicht um das Auto mit seinen nach wie vor umfangreichen Wartungsanforderungen kümmern zu müssen.
Dieser Herr im Tourenwagen dürfte noch ein Vertreter der Chauffeur-Spezies gewesen sein – darauf deutet jedenfalls die Fahrermütze mit leider nicht genau erkennbarem Emblem hin:
Faun Tourenwagen, wohl Typ K1 6/22 PS; Originalfoto: Sammlung: Jürgen Klein
Dieses schöne Dokument verdanke ich in digitaler Form meinem Sammlerkollegen Jürgen Klein. Wir waren uns einig, dass es sich bei dem abgebildeten Wagen um einen „Faun“ des gleichnamigen Nürnberger Nutzfahrzeugherstellers handeln muss.
Dass dieser „Faun“ einer der ersten seiner Art gewesen sein muss, das verrät schon der leicht spitz zulaufende Kühler, denn spätere Exemplare besaßen (wohl ab 1925) einen Flachkühler.
Zu Vergleichszwecken darf ich hier auf einen anhand des Kühleremblems eindeutig als Faun 6/24 PS ab 1924 identifizierten Wagen verweisen, wenngleich dieser einen anderen Aufbau besitzt, was uns aber nicht stören soll:
Faun Typ K2 6/24 PS von 1924; Originalfoto: Sammlung Jason Palmer (Australien)
Diese von einem geschätzten Leser aus Australien beigesteuerte Aufnahme habe ich hier ausführlich besprochen. Entscheidend ist die Übereinstimmung der Kühlerpartie mit dem typischen Markenemblem der Faun-Werke (schräg auf der „Nase“ angebracht).
Doch an der Frontpartie zeigt sich eine wesentliche Abweichung von allen mir bisher begegneten „Faun“-Automobilen (ich habe bereits eine kleine Galerie bilden können).
Anstelle der üblichen vier kleinen und eng beieinander liegenden Luftschlitze in der Haube sieht man hier deren fünf mit deutlich größerem Abstand:
Ins Auge fallen hier auch die komplett glänzenden Scheinwerfer – ob noch in Messing oder schon vernickelt, lässt sich nicht sagen. Bei den übrigen mir vorliegenden Faun-Dokumenten ist das Scheinwerfergehäuse lackiert und nur der vordere Ring in blankem Blech ausgeführt.
Da ich an der Identifikation des Wagens als Faun der frühen 1920er Jahre keinen Zweifel hege, ergeben sich aus meiner Sicht zwei Möglichkeiten:
Entweder wir haben es mit einem individuell aufgebauten Exemplar des ab 1924 gebauten Typs K2 6/24 PS zu tun – dann wäre dies das erste seiner Art – oder Jürgen Klein hat eine Aufnahme des sagenumwobenen Vorgängers K1 6/22 PS aufgetan.
Laut Literatur (Werner Oswald: Deutsche Autos 1920-1945) wurde der 1921 vorgestellte Faun K1 6/22 PS nämlich „wenn überhaupt, nur in geringer Stückzahl gebaut“.
Nach meiner Erfahrung verbergen sich hinter solchen Mutmaßungen oft genug schlicht Wissenslücken der Autoren. Inzwischen liegen uns viel mehr zeitgenössische Aufnahmen von Vorkriegswagen deutscher Nischenhersteller vor als noch den Altmeistern W. Oswald, H. von Fersen oder auch H. Schrader.
Angesichts der Fülle von Hinterhoffabrikanten, die Anfang der 1920er Jahre von der Sonderkonjunktur am deutschen Automarkt im Umfeld zunehmender Währungsentwertung profitieren wollten, wäre es verwunderlich, wenn ein etablierter Betrieb wie Faun damals keine nennenswerte Serienfabrikation seines Typs K1 6/22 PS zustandegebracht hätte.
Von daher bin ich geneigt, in dem Faun-Tourer auf dem Foto von Jürgen Klein ein solches frühes Exemplar zu sehen – das dann nach meiner Wahrnehmung das erste seiner Art wäre, das hiermit breit zugänglich gemacht würde.
Wie immer in solchen Fällen, in denen ich mich auf Indizien stütze und solche Hypothesen aufstelle, sind die oft fachlich Versierteren unter meinen Lesern aufgerufen, ihre Meinung kundzutun – auch gerade dann, wenn sie völlig von der meinen abweicht.
Ich fungiere mit meinem Blog ja selbst weniger als Fachmann, denn als Stichwortgeber, Fragensteller und bisweilen auch Provokateur – denn nur im ganz offenen Diskurs kommen wir weiter, was solche Fragen angeht.
Wohliges Konsensgedudel ist nicht, worauf ich abziele. Tatsächlich war auch die altrömische Gottheit Faunus eine durchaus schillernde Figur mit vielen Seiten, die sich zudem im Volksglauben über die Zeit weiterentwickelten.
Eines kann ich aber jetzt schon sagen: Selbst wenn dieser Faun nicht der erste seiner Art gewesen sein sollte, ist er ganz gewiss nicht der letzte dieser Spezies – denn es finden sich doch immer wieder neue Ansichten dieses bemerkenswerten Phänomens…
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Eine Gesellschaft, die sich das Attribut „ehrenwert“ anheften muss, wird es wohl nötig haben. Ähnliches gilt für Einrichtungen, bei denen ausdrücklich betont wird, wie demokratisch sie doch sind.
Eine Republik beispielsweise hat das nicht nötig, wenn sie tatsächlich „Sache der Öffentlichkeit/Allgemeinheit“ ist, denn genau das meint der lateinische Begriff der „res publica“. Zwar war die antike römische Republik keine wirkliche Demokratie, aber sie behauptete es im Unterschied zur seligen DDR beispielsweise auch nicht von sich.
Mein Favorit auf dem Sektor ist ohnehin der „Demokratische Aufbruch“ – eine ostdeutsche Parteineugründung aus dem Jahr 1989. Ihr Mitbegründer und Vorsitzender war „freier Mitarbeiter“ der staatlichen Geheimpolizei (Stasi). Weitere interessante Personalien können Sie selbst recherchieren.
Dass sich immer wieder Leute für Verwendungen finden, bei denen es oberflächlich einwandfrei zugeht, die aber tatsächlich ganz andere Zwecke verfolgen, das ist eine Konstante in der Geschichte.
Wichtig für die Beteiligten scheint zu sein, dass man sich um einem seriösen Anstrich bemüht, bisweilen legt man sich sogar einen Ehrenkodex zu. So gilt es bei der Mafia als tabu, sich an unbeteiligten Familienmitgliedern von Rivalen zu vergehen.
Sie fragen sich, was das mit Vorkriegsautos zu tun hat?
Ganz einfach, auf solche Gedanken kam ich, als ich das wohl ehrenwerte Personal auf dem folgenden Foto studierte, welches ich vor einiger Zeit im Rahmen eines Konvoluts aus (Süd)Osteuropa erwarb:
Oldsmobile von 1928/29; Originafoto: Sammlung Michael Schlenger
Der Tourenwagen auf der Aufnahme mit dem attraktiven Zweifarbschema und dem markanten Zierstreifen an der A-Säule war rasch als Fabrikat des US-Herstellers Oldsmobile aus dem Modelljahr 1928/29 identifiziert.
Dieses Sechsylindermodell mit rund 60 PS Leistung wurde für amerikanische Verhältnnisse zwar in überschaubaren Stückzahlen von weniger als 100.000 Exemplaren pro Jahr gebaut, aber das genügte natürlich, um quasi nebenher auch den europäischen Markt zu bedienen.
So findet sich ein solcher Oldsmobile als Nebendarsteller auch auf dem folgenden Foto, auf dem eigentlich ein Studebaker „Special Six“ im Mittelpunkt steht (Porträt siehe hier).
Studebaker „Special Six“ und Oldsmobile von 1928/29 (links); Originalfoto aus Familienbesitz (via Johannes Kühmayer, Wien)
Interessanter als den Oldsmobile – der nur einer von vielen Vertretern der US-Autoindustrie war, die Ende der 1920er Jahre den ungestillten Bedarf in Europa deckten und in Deutschland heute unvorstellbare Marktanteile gewannen – finde ich freilich die Umstehenden auf diesem Foto.
Ich nehme an, dass die Szene irgendwo in Südosteuropa kurz nach dem 2. Weltkrieg fotografisch festgehalten wurde, wohl noch vor Ende der 1940er Jahre.
Sie zeigt einige prächtige Charaktere, denen ich gleichwohl keinen Oldsmobile abkaufen würde, selbst wenn er so solide erschiene wie auf dieser Aufnahme. Zu den Herren auf diesem Dokument folgen gleich meine spontanen – augenzwinkernden – Assoziationen:
Ganz links haben wir womöglich einen ehemalige Partisanen und nun zum Zigaretten- und Schnapsschmuggler aufgestiegenen sehr geschäftstüchtigen und geschmeidigen Zeitgenossen.
Neben ihm vor dem Kühler des Oldsmobile sehen wir den vielleicht einzigen halbwegs vertrauenswürdigen Vertreter – wobei dieses Urteil sich hauptsächlich auf seine offensichtliche Zuneigung zu dem kleinen Hund stützt – auf dem Balkan ist solches bis heute leider keine Selbstverständlichkeit.
Der Soldat neben ihm wirkt von der Uniform abgesehen wenig militärisch – das mag man sympathisch finden, dennoch scheint er mir ein zwielichtiger Charakter zu sein, der sich nicht in die Kamera zu schauen traut.
Sein Vorgesetzter – als einziger im Wagen thronend – wirkt auf mich geradezu operettenhaft.
Ihn ihm könnte man einen korrupten Offizier sehen, der Waffen auf eigene Rechnung weiterverschiebt und gegen Barzahlung Freistellungen vom Militärdienst gewährt – so etwas soll es auch in unseren Tagen geben. Verständlich, aber eben nicht korrekt.
Wie die beiden „Damen“ auf dem Foto einzuordnen sind, das fällt mir schwer zu bestimmen:
Schick ist sie ja schon gekleidet, die junge Frau direkt neben dem Auto, doch hat mir meine Mutter eine gesunde Skepsis gegenüber Menschen mit niedriger Stirn mit auf den Weg gegeben – eine Maxime, mit der ich bislang gut gefahren bin.
Die Gute scheint tatsächlich nicht die Hellste zu sein, was freilich vielen Herren der Schöpfung eher entgegenzukommen scheint, die sich von klugen und gebildeten Weibsbildern eher bedroht als angezogen fühlen.
Was von der älteren Frau neben der etwas kariert dreinschauenden Maid zu halten ist? Zu Ihr fällt mir wenig ein als irgendetwas mit „Schwiegermutter“. Ich könnte sie mir aber auch in fragwürdige Geschäfte verwickelt vorstellen, denn sie strahlt hier etwas Verschlagenes aus.
In Frage kommende Berufsbilder überlasse ich ihrer Fantasie, denn das ist ein schlüpfriges Gelände und wir legen doch Wert auf gute Traktion auch bei Vorkriegautos, nicht wahr?
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.