Fund des Monats: Ein „Komet“ 4/12 PS Sport-Zweisitzer

Das Auto, dessen fotografisches Konterfei ich als Fund des Monats Juli 2025 präsentiere, zählt zu den vielen kurzlebigen deutschen Konstruktionen der frühen 1920er Jahre, von denen außer dem Namen, dem Hersteller und der Motorisierung nahezu nichts bekannt ist.

Die Firma, die den fraglichen Wagen einst baute – Buchmann & Co. aus Leisnig in Sachsen – hatte zwar wie alle diese Nischenproduzenten keinerlei Gespür für den Markt und die Absatzchancen eines Manufakturwagens mit zugekauftem Fremdaggregat.

Immerhin fand sie aber unfreiwillig einen treffenden Namen für ihr Gefährt. Denn ein Komet ist ein Bote aus der Frühzeit unseres Sonnensystems, begegnet uns typischerweise auf exzentrischer Bahn für nur kurze Zeit und verliert in Sonnennähe zunehmend an Substanz, bevor er wieder im ewigen Dunkel verschwindet.

Manche davon tauchen jedoch irgendwann wieder auf, wobei der Zufall in Form des Einflusses der Planetenbahnen eine erhebliche Rolle spielt. Das Wiederscheinen des Halleyschen Kometen alle 80 Jahre etwa ist seit über 2.000 Jahren dokumentiert.

Ganz so weit geht es im Fall des heute präsentierten Kometen zwar nicht zurück, aber der Zyklus ist ein ähnlicher. So ist rund 100 Jahre, nachdem der Komet 4/12 PS für kurze Zeit erschien – das war 1922-24 – immerhin sein Abbild wieder aufgetaucht:

Komet 4/12 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Eine hübsche Erscheinung ist dieser Komet, nicht wahr? Dass man ihn der Gattung der Cyclecars zuordnen würde, die Anfang der 1920er Jahre ausgehend von Frankreich für kurze Zeit einen Lauf in Europa hatte, steht außer Frage.

Die schmalen Räder im Motorradformat, die Gasscheinwerfer, das Notverdeck und die überwiegend auf der Abkantbank entstandene Karosserie verraten, dass wir es mit einem Automobil einfachster Machart zu tun haben.

Allerdings sorgen die Zweifarblackierung und die v-förmige Windschutzscheibe für eine durchaus sportliche Wirkung. Auch der von Steudel zugekaufte 12 PS-Motor könnte dem kleinen Komet einen achtbaren Vortrieb verliehen haben.

Warum auch sonst sollt man einen solchen Sport-Zweisitzer kaufen wollen, außer damit Spaß auf der Landstraße zu haben? Ob das grundsätzlich vielversprechende Rezept in der Praxis aufging, dürfte davon abhängig gewesen sein, ob der Hersteller dem Wagen ein der Fahrdynamik zuträgliches Chassis und Fahrwerk verpassen konnte.

Immerhin müssen einige dieser Komet-Wagen für eine gewisse Zeit in der irdischen Sphäre unterwegs gewesen sein, denn sonst hätte kein Kühleremblem dieser Marke überlebt – Spezialist Claus Wulff aus Berlin hat tatsächlich eines auftreiben können (siehe hier).

Vielleicht bringt ja noch jemand das Kunststück zustande herauszufinden, was auf dem Schild im Hintergrund steht – eventuell ergibt sich daraus ein lokaler Bezug:

Als Fahrer dieses Komet ist übrigens ein gewisser Rasmus Gruber überliefert – auch das mag Anlass zu weiterführenden Recherchen geben, ich selbst bin in der Hinsicht nicht fündig geworden.

Für dieses Mal begnüge ich mich damit, diesen Komet angemessen ins Licht zu rücken, nachdem er rund 100 Jahre im Dunkel geschlummert hat.

Sollte ich die Wiederkehr des Halleyschen Kometen anno 2061 noch erleben – dann wäre ich 92 – und sollte es diesen Blog oder ein Nachfolgeformat dann noch geben, grabe ich den Komet 4/12 PS gern wieder aus – eventuell gibt es dann ja „neue“ Dokumente davon…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Das Vorkriegsauto als „Wayback Machine“: Amilcar CGS

Das historische Auto als Überbleibsel und Repräsentant längst vergangener Epochen hat etwas von einer Zeitmaschine, wenn man überlebenden Exemplaren heute begegnet oder gar selbst darin unterwegs ist. Nur wenige menschliche Schöpfungen vermögen dasselbe Gefühl zu vermitteln, genau das zu erleben, was ihre einstigen Besitzer erlebten.

Doch alte Autos können noch mehr als „nur“ eine Zeitmaschine sein, die uns in die Welt zurücktransportiert, in der sie entstanden. Sie können auch unterschiedliche Phasen ihres eigenen, viele Jahrzehnte umspannenden Daseins illustrieren, von denen übrigens jede auf ihre Weise historisch und original ist – keineswegs nur der Moment der Auslieferung.

Damit wären wir beim Auto als analoge „Wayback Machine“. Das sagt Ihnen nichts? Nun, die Wayback-Machine ist quasi das Gedächtnis oder Museum des Internets.

Dort sind die allermeisten Websites in unterschiedlichen Stadien ihrer historischen Erscheinung gespeichert – man findet dort also auch vermeintlich gelöschte Präsenzen im Netz bzw. frühere Versionen noch existierender Websites – nicht alle, aber sehr viele.

So hat die Wayback Machine von meinem Blog seit seiner Entstehung über 100 Schnappschüsse erstellt. Einer davon wurde Ende Juli 2021 aufgenommen und sah so aus.

Jetzt können Sie sagen, dass doch das Archiv in meinem Blog selbst enthalten ist. Das stimmt, aber nur weil ich keinen Eintrag gelöscht habe. Allerdings habe ich einige überarbeitet, während die Wayback Machine ggf. die Ursprungsversion gespeichert hat.

Letztlich lassen sich die Spuren nicht völlig verwischen, die man als Inhaber einer Website hinterlassen hat – wertvoll für Forscher, Journalisten und Zeitgenossen, die sich ihr Urteil selber bilden. Bei der Recherche zu einem „kontroversen“ Thema der letzten fünf Jahre griff ich kürzlich auf die Wayback Machine zurück – erstaunlich, was man da so alles findet…

Das brachte mich auf die Idee, inwieweit auch alte Autofotos als gewissermaßen analoge Wayback Machine fungieren, indem sie Momentaufnahmen eines historischen Fahrzeugs darstellen und unterschiedliche Phasen seines Daseins illustrieren.

Als Anschauungsobjekt habe ich den Typ CGS des französischen Sportwagenherstellers Amilcar aus den 1920er Jahren ausgewählt. lm Oktober 1923 wurde das 1,1-Liter Modell vorgestellt, das mit 115 km/h Spitze den Vorgängertyp CS deutlich übertraf.

Einige Exemplare mit teils unterschiedlichen Karosserien habe ich im Blog bereits präsentiert – Sie finden alle in meiner Amilcar-Galerie. Nur zwei „neue“ will ich Ihnen heute zur Veranschaulichung meiner Wayback Machine-These vorstellen.

Hier haben wir das erste Foto, das in der Tschechoslowakei entstand und einen Amilcar CGS irgendwo auf dem Land zeigt:

Amilcar Typ CGS; nach originalem Negativ aus Sammlung Michael Schlenger

Tatsächlich ist das ein besonders gutes Beispiel dafür, wie ein historisches Foto als Wayback Machine fungieren kann.

Denn das, was Sie hier sehen, ist ein von mir kreiertes Foto auf Basis des Negativs, das sich vor 100 Jahren in der Kamera befand, mit der diese Situation festgehalten wurde. Noch näher kann so ein Dokument nicht ans Original und den Aufnahmeort herankommen.

Zu dem Auto selbst will ich hier keine weiteren Worte verlieren – Sie werden ihm gleich wiederbegegnen und selbst alles wiedererkennen, was diese halbwegs „zivile“ Ausführung des sportlichen Amilcar CGS äußerlich auszeichnete.

Bloß sehen wir jetzt beinahe dasselbe Auto an einem anderen Ort zu einer ganz anderen Zeit und mit einigen Änderungen – alles festgehalten wiederum mittels analogem Film, der Wayback Machine des prädigitalen Zeitalters:

Amilcar Typ CGS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Fast 40 Jahre liegen zwischen den beiden Fotos eines Amilcar CGS.

Das tschechische Nummernschild ist ebenso verschwunden wie der Spritzlappen am Vorderkotflügel und das Notverdeck. Hinzugekommen ist eine Ballhupe und ein spezielles Kennzeichen, das auf eine Registrierung als historisches Fahrzeug in der DDR hinweist, wo es bereits in den 1960er Jahren eine große Vorkriegsautoszene gab.

In dieser Zeit – vielleicht auch Anfang der 1970er Jahre – entstand diese Momentaufnahme eines Amilcar CGS, der im Osten unseres Landes überlebt hatte. Auf der Rückseite des Originalabzugs ist der mutmaßliche Fotograf vermerkt: „Klaus-Jürgen Mertink, Berlin“.

Seiner gedenken wir heute mit Dankbarkeit, denn er hat diesen Beitrag zur Wayback Machine in Sachen Vorkriegsauto ermöglicht. Das bringt mich zum Schlussgedanken:

Wenn ich eines Tages den Blog schließe, so wie jedes Tagebuch seinen letzten Eintrag hat – sei es geplant oder durch Ablauf der biologischen Uhr – dann werden die Inhalte zum Gutteil verfügbar bleiben, solange es die Wayback Machine gibt…

So, jetzt lausche ich noch ein wenig Gustav Leonhardt, der – obwohl 2012 verstorben – auf CD die Französischen Suiten von Bach auf dem Cembalo meisterlich darbietet. Nach diesem für heute letzten Lauf der Wayback Machine steht morgen der Fund des Monats an.

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Kühler, kaum überraschend: Benz 11/40 bzw. 16/50 PS

Meinungsmache in den Mainstream-Medien hat – unabhängig vom Thema – einen Vorteil: hat man einmal die Absicht erkannt, kann man zuverlässig vom Gegenteil des Behaupteten ausgehen und liegt damit meist richtig.

Je wilder die Prognosen für den Sommer 2025 hierzulande ausfielen, je dunkelroter die Wetterkarten bei völlig normalen Temperaturen eingefärbt wurden und je absurder die Warnungen vor Sonne, Wärme und Betätigung im Freien, desto wahrscheinlicher, dass das Ganze mit der Realität nichts zu tun hat.

Wer seinen eigenen Erfahrungshorizont zugrundelegt und sich ein eigenes Bild von den Dingen zu machen pflegt, für den lautet das bisherige Fazit des diesjährigen Sommers in weiten Teilen Deutschlands: „Kühler, kaum überraschend.“

Das Wettergeschehen ist erratisch, chaotisch und bestenfalls zyklisch, von daher ist es kaum überraschend, dass es auch mal wieder kühler und regnerischer wird mitten im Hochsommer. Kein Grund zur Veranlassung, wie Spötter zu sagen pflegen.

Man muss sich halt passend kleiden, wenn die Wetterprognosen wieder mal danebenliegen und man dennoch einen Ausflug unternimmt. Dazu liefere ich heute das passende Foto:

Benz 11/40 PS Chauffeurlimousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Auch hier ist mit Blick auf die Frontpartie dieser Chauffeurlimousine festzustellen: „Kühler, kaum überraschend“.

Denn der Kenner deutscher Wagen der Zwischenkriegszeit wird hier sogleich einen Benz der ersten Hälfte der 1920er Jahre erkennen, noch also vor der Fusion mit Daimler.

Den markanten Spitzkühler gab es bei Benz wahlweise zwar schon ab 1913/14, doch die Kombination mit elektrischen Scheinwerfern lässt eher auf eine Entstehung nach dem 1. Weltkrieg schließen, als diese zum Standard geworden waren.

Die Proportionen der Motorhaube lassen vermuten, dass darunter ein 6-Zylinderaggregat sein Werk verrichtete. Das hat mich zu der Annahme veranlasst, dass wir hier einen Benz Typ 11/40 PS sehen – eventuell auch einen 16/50 PS.

Beide waren in der ersten Hälfte der 1920er eingeführt worden und gehörten damals zu den wenigen 6-Zylindern aus Deutschland. Eigentlich ist es aber auch egal, was für ein Motor genau verbaut war – denn der eigentliche Reiz dieses Fotos liegt für mich im Personal.

Von bunten Polyester-Fummeln unserer Tage denkbar weit entfernt ist man hier gewandet. Bei diesen Herrschaften (m/w/d usw.) ist zudem nichts von der Stange zu sehen, man ließ sich die Sachen auf den Leib schneidern oder zumindest entsprechend anpassen.

Das Ergebnis sind typgerecht gekleidete Zeitgenossen, die zwar damals wie heute keinen Schönheitspreis gewinnen würden – aber wer würde das heute? Verwegene Tätowierungen und kühne Bärte helfen nun einmal nicht, wenn einer dumm aus der Wäsche schaut.

Die Welt ist ungerecht, auch was die Verteilung von Schönheit betrifft. Umso schöner, wenn man ihr in so bezaubernder Form begegnet wie im Fall der jungen Dame am Steuer, die uns als einzige mit klarem und konzentriertem Blick begegnet.

Allein dafür lohnt sich schon das Studium dieser Aufnahme, über die wir sonst nichts wissen. Aber auch das nehmen wir als abgeklärte Betrachter solcher Zeugnisse längst vergangenen Lebens kühl zur Kennntis, kaum überrascht – oder doch nicht?

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Im Blick das Wesentliche: Ein 1926er Nash „Light Six“

Es fällt nicht immer light, ich meine: leicht, in einem Ozean aus Informationen, Meinungen und Einflüssen den Blick auf’s Wesentliche und damit den eigenen Kurs zu halten.

Unterwegs hält das Dasein jede Menge Ablenkungen, Verführungen und Verirrungen bereit – das ist schon das Thema der „Odyssee“ am Anfang der europäischen Literaturgeschichte.

Feste Prinzipien und das Vertrauen auf die eigenen Fähigkeiten sowie das eigene Urteilsvermögen waren und sind das A und O für ein gelungenes, selbstbestimmtes Leben.

Das beginnt bereits bei so banalen Dingen wie dem Wetter. Für den heutigen Sonntag war für den Raum Bad Nauheim eine Abfolge leichter Schauer „vorhergesagt – mit einer ans Magische grenzenden Genauigkeit, was deren Beginn und Ende betrifft.

Der Einheimische begegnet diesen modellbasierten Prognosen schon deshalb mit Skepsis, weil sich an den Taunusausläufern und der angrenzenden Ebene oft Mikroklimata etablieren – auf gut deutsch: Während es in Nauheim schüttet – kann in den Ortsteilen wenige Kilometer östlich die Sonne scheinen oder es kommen nur ein paar Tropfen herunter.

Im Ergebnis ist der Garten der Schwiegereltern in der Kernstadt Ende Juli von sattem Grün geprägt, während das Gras beim Blogwart außerhalb verdorrt ist. Daraus zu schließen, dass sich wenigstens darin der wie jedes Jahr angekündigte Hitzetod manifestiert, ist einigermaßen verfehlt – am frühen Abend zeigte das Außenthermometer 17 Grad an.

Ach ja, die leichten Schauer erwiesen sich in der Kernstadt als stundenlanger Dauerregen. Der eigene Blick zum Himmel war wie so oft wertvoller als die Fantasieprodukte der IT-gestützten Wetterklempner ohne eigenes, erfahrungsbasiertes Urteil.

Was diese Vorrede mit Vorkriegsautos auf alten Fotos zu tun hat? Wie immer alles und nichts, ganz wie Sie mögen.

Ich jedenfalls mag solche manchen abwegig oder lästig scheinende Herleitungen aus dem Erleben des Alltags – speziell wenn ich das dazu passende Dokument präsentieren kann:

Nash Landaulet von 1926; Originalfoto Sammlung Michael Schlenger

„Im Blick das Wesentliche“ – das gilt hier gleich in mehrfacher Hinsicht.

Beginnen wir mit dem Kennzeichen – die Kombination aus römisch „1“ und „A“ stand in der Vorkriegszeit stets für den Großraum Berlin.

Auch am anderen Ende des Wagens offenbart ein kurzer Blick Wesentliches in Form des niedergelegten Verdecks eines Landaulets, also eines Wagens, bei dem nur die Passagiere auf der hinteren Sitzbank die Möglichkeit hatten, unter freiem Himmel unterwegs zu sein und so sich ein Bild von der Welt (nicht nur vom Wetter) zu machen.

Man darf anhand dieser Indizien die Aussage wagen, dass man es sehr wahrscheinlich mit einer Droschke aus Berlin zu tun hat.

Der Blick auf’s Wesentliche erschließt einem dann auf dem Kühlergrill nicht nur den Hersteller des Wagens – Nash aus den USA – sondern obendrein die Zylinderzahl 6.

In den Staaten war jedem Kind klar, dass dieser Nash, dessen Frontpartie so nur 1926 aussah, einen Sechszylindermotor besaß – denn Vierzylinder baute man zuletzt 1924. Interessanter wäre die Information gewesen, welche der drei verfügbaren Versionen dieser „Nash Six“ nun genau repräsentierte.

So gab es die Varianten „Advanced Six“ mit 60 PS, den „Special Six“ mit knapp 50 PS und den „Light Six“ mit 40 Pferdestärken – zuvor übrigens als Ajax angeboten.

Ich gehe davon aus, dass anno 1926 ein Taxi im topografisch wenig anspruchsvollen Berlin mit der schwächsten Motorisierung auskam. Die einheimische Konkurrenz bewegte sich leistungsmäßig in derselben Liga, kam aber meist nur vierzylindrig daher.

Dergleichen Details sind es aber gar nicht einmal unbedingt, die mich an dieser Aufnahme so faszinieren. Vielmehr ist es der Blick des Fahrers neben dem Nash, in dem ich alles Wesentliche zu erkennen meine: Ernsthaftigkeit, Selbstbewusstsein, Entschlossenheit – alles Eigenschaften, die für ein Überleben als freier Fahrer am Markt notwendig waren.

Hinzukommen musste jedoch noch etwas weiteres Wesentliches: Der Wille, den Passagier zufriedenzustellen, vielleicht sogar zu einem Stammkunden zu machen.

Auf eigene Faust eine Leistung anzubieten, für die ein Fremder freiwillig zu zahlen bereit ist, das erfordert mehr als nur jeden Morgen ins Büro zu gehen, um dort genau definierte Arbeiten zu verrichten, deren Abnehmer man nicht kennt, die vielleicht sogar überflüssig sind. Dafür muss man das Wesentliche im Blick haben – nämlich sich das Interesse des Kunden zueigen zu machen, ihm im besten Fall mehr zu bieten, als er erwartet hat.

Das erfordert besondere Anstrengung und wenn Sie genau hinschauen, erkennen Sie an den Händen unseres Nash-Fahrers eine beträchtliche Anspannung. Der Mann war zum Erfolg verdammt und er wusste das.

Man mag ihn um seinen Job nicht beneiden, aber hätte er lieber in einer Fabrik, im Kontor oder gar in der Landwirtschaft arbeiten wollen? Wohl kaum. Hier wollte einer auf eigenen Beinen stehen, vielleicht hatte er Pläne für einen eigenen Betrieb, eventuell eine Werkstatt oder einen Autosalon – im Berlin war einst alles möglich mit dem Wesentlichen im Blick…

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Meine Burg, meine Jungs, mein Auto: Stoewer R-150

Wenn Sie hier heute einem alten Bekannten begegnen, dann wird das nicht zu Ihrem Nachteil sein – denn so wie ich Ihnen den frontgetriebenen Stoewer Typ R-150 von 1934/35 diesmal präsentiere, haben Sie ihn garantiert noch nicht gesehen.

Gleich drei Ansichten davon erwarten Sie – nicht schlecht bei nur 1.150 gebauten Exemplaren dieses 1,5-Liter-Autos mit 35 PS der Stettiner Traditionsfirma, die wohl als einzige das Kunststück fertigbrachte, mit reinen Kleinserien so lange zu überleben.

Während ich die Fotos noch etwas bearbeitete – d.h. Flecken entfernte und den Ausschnitt nach meinem Gusto anpasste – stellte ich mir die Frage, was für ein Titel sich dafür eignen könnte.

Ein paar spontane Assoziationen stellten sich ein, darunter solche, die mit Buben in Strumpfhosen zu tun haben. Das war zwar naheliegend, wie Sie noch sehen werden, war mir aber zu heikel – denn wer weiß, was irgendein Suchalgorithmus damit anstellt.

Also griff ich zu der alten Kreativtechnik, nicht angestrengt über ein Problem nachzudenken, sondern es an eine nachgelagerte Instanz im Kopf zu delegieren und derweil etwas anderes zu erledigen – ein brauchbares Ergebnis stellt sich dann unter Umgehung des aktiven Monitors namens Bewusstsein oft von selbst ein.

Dabei arbeiten fleißige Geister im Hintergrund an der Aufgabe – ähnlich einem KI-Agenten, dem man Aufgaben übertragen kann, für die man keine Zeit oder auf die man keine Lust hat.

Das hat heute wieder geklappt – zu meiner Zufriedenheit jedenfalls. Der Titel „Meine Burg, meine Jungs, mein Auto“ ist für mich das, was Friedrich Nietzsche so formuliert hat: „Alle guten Dinge haben etwas Lässiges und liegen wie die Kühe auf der Wiese„.

Wenn jetzt einer zusammenzuckt, die innere Gedankenpolizei aktiv wird und warnt: „Nietzsche, das war doch der schlimme Erfinder des Übermenschen und Frauenverächter„, dann empfehle ich auch hier Gelassenheit und den Mut zum eigenen Urteil.

Nietzsche war ein hochsensibler Mensch, ein Künstler und Poet – kein Philosoph im klassischen Sinne. Es lohnt sich, sich mit ihm und seinem vielschichtigem Werk auseinanderzusetzen – ich halte ihn mit Luther, Goethe und Hölderlin für das größte deutsche Sprachgenie.

Nach diesem überflüssigen, aber notwendigen Exkurs – die beste Verbindung zwischen zwei Punkten ist eine Kurve – geht es endlich zur Sache.

Hier haben wir nun den Burgherrn, seine Jungs und seinen Wagen:

Stoewer R-150; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Zur Identifikation des Wagens ist nicht viel zu sagen:

Die Kühlerfigur – ein stilisierter Greif – verweist auf Stoewer und der schrägstehende Kühlergrill mit den schmalen, in enger V-Formation angebrachten Lamellen ist zusammen mit den horizontalen Luftschlitzen in der Motorhaube typisch für die 1934/35 gebaute Ausführung R-150 des bereits 1931 vorgestellten Frontantriebswagens von Stoewer.

Zugelassen war dieses Exemplar im Raum Leipzig und es stellt sich die Frage, ob auch die Burganlage im Hintergrund in dieser Gegend zu verorten ist.

Leider bietet die Ansicht wenig Spezifisches – einen mittelalterlichen Rundturm mit typischen Schießscharten für Bögen und Armbrüste sowie einen schönen Renaissancegiebel über dem Tor links davon. Vielleicht erkennt ja doch jemand die Anlage.

Dass wir es hier tatsächlich mit dem Burgherrn, seinen Jungs und seinem Wagen zu tun haben, dafür sprechen die beiden weiteren Aufnahmen, die vermutlich ebenfalls auf dem Gelände der historischen Anlage entstanden sind.

Hier sehen wir den Stoewer vor einem Nebengebäude aus seltener Perspektive von hinten links, wahrscheinlich neben seiner Garage:

Stoewer R-150; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ganz klassisch bietet sich der Stoewer hier dar – so als sei Ende der 1920er Jahre für ihn die Zeit stehengeblieben. Vom Frontantrieb abgesehen, weist hier nichts auf Mitte der 1930er Jahre hin – es fehlen sogar die damals längst üblichen seitllichen „Schürzen“ an den Vorderkotflügeln.

Fast scheint es, als wollte man bei Stoewer damals zwar technisch weiterhin vorne sein, aber stilistisch sich der Mode entziehen – ein durchaus sympathischer Ansatz. Tatsächlich ging damals die Zeit der von den Gebrüdern Stoewer geprägten Firmenhistorie zuende, die sich in Sachen Automobil bis 1899 zurückverfolgen lässt – einzigartig am deutschen Markt.

Doch lassen wir uns nicht von der Nostalgie ablenken, es gibt nämlich noch das dritte Foto desselben Wagens zu studieren, welches abermals zeigt, wie zeitgemäß man bei Stoewer zu konstruieren und gestalten wusste:.

Stoewer R-150; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Den ohne Mittelpfosten auskommenden Limousinenaufbau kennt man vom Fiat 1500 beispielsweise – ein enorm komfortabler Einstieg war so möglich.

Interessant finde ich hier aber auch die leichten Klappsitze mit stoffbespanntem Rohrgestell – das meine ich so zuerst beim Citroen „Traction Avant“ gesehen zu haben. Vielleicht weiß es jemand besser, wer der Erfinder dieser funktionellen Sitze war.

Damit wäre ich auch schon am Ende der heutigen Betrachtung. Dass die kurzbehosten Buben in der kühlen Jahreszeit, in welcher diese Fotos offenbar entstanden, tatsächlich Strumpfhosen trugen, werden Sie selbst bemerkt haben.

Ich kann mir dieses Kuriosum, dem ich auf alten Fotos schon einige Male begegnet bin und das ich auch aus Erzählungen meiner Mutter kenne, die noch in der Vorkriegszeit ihre ersten Lebensjahre verbrachte, nur damit erklären, dass man die Jungs für ebenso kälteempfindlich hielt wie die Mädels und man die Kosten langer Hosen in der Wachstumsphase scheute.

Aber auch dazu werden uns im Strumpfhosenfach bewandertere Leser Aufklärung geben – meine Kompetenz will ich für heute auf die Datierung historischer Bauten, die Identifikation alter Kennzeichen und die Ansprache deutscher Vorkriegswagen beschränken.

Spät ist es wieder einmal geworden, draußen fällt der Regen, der Sommer scheint in Urlaub zu sein, bald sollte meine vierbeinige Freundin Ellie wieder heimkehren und sich über das nasse Fell beklagen – so hat sie sich den Abend nicht vorgestellt.

Bis dahin höre ich noch den Rest der Goldberg-Variationen von Bach in der „umstrittenen“ und genau deshalb beachtlichen Interpretation von Glenn Gould auf dem ahistorischen Flügel.

Ich liebe das Stück ebenso auf dem Cembalo und kann mich nicht entscheiden, was besser ist. Darum geht es letzlich auch nicht, beides kann von Könnern so lässig dargeboten werden, wie das Meister Nietzsche mit den Kühen auf der Wiese meinte…

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Via Benz nach Böhmen: Laurin&Klement G4 um 1910

Die heutige Reisebeschreibung mutet merkwürdig an – sollte es einst eine „Via Benz“ gegeben haben, die nach Böhmen führte? Und auf der soll ein Wagen der Marke Laurin & Klement unterwegs gewesen sein?

Wie immer ist etwas dran an der Sache, auch wenn es etwas anders gemeint ist, als es auf den ersten Blick scheint.

Den Weg nach Böhmen fand einst nicht der Wagen selbst, um den es heute geht, denn der kam ja von dort – aus Jungbunzlau im Österreichisch-Ungarischen Imperium, zu dem bis 1918 auch die böhmische Region gehörte.

Laurin & Klement war dort seit 1905 im Automobilbau tätig und bot wie viele Konkurrenten jener Zeit Fahrzeuge in allen Leistungsklassen an. Schon 1907 zeigte man sogar einen Achtzylinderwagen, den ein gewisser Karl Slevogt konstruiert hatte – wir kennen ihn unter anderem von seiner produktiven Tätigkeit bei Apollo ab 1910.

Slevogt hatte die Motorenpalette von Laurin & Klement auf eine solide Grundlage gestellt und auch motorsportliche Aktivitäten ermöglicht (lesenswerte ausführliche Darstellung hier).

Nachfolger von Slevogt wurde ab 1908 Otto Hieronimus, ein junger Mann mit Benzin im Blut. Bereits mit 14 Jahren hatte er das Autofahren erlernt – kein Wunder, denn sein Vater besaß eine Niederlassung der Marke Benz. Hieronimus arbeitete mehrere Jahre in der Benz-Fabrik, bevor er eine Karriere als Konstrukteur einschlug.

So gelangte er via Benz letztlich nach Böhmen zu Laurin & Klement, wo er wie zuvor bereits Karl Slevogt seinerseits eine neue Fahrzeuggeneration konstruierte. Außerdem intensivierte er mit persönlichem Einsatz das Rennengagement der noch jungen Marke.

Für uns interessant ist aber vor allem diese Schöpfung von Otto Hieronimus:

Laurin & Klement Tourenwagenum 1910; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Diese Aufnahme, die wir Leser Matthias Schmidt aus Dresden verdanken, entstand offensichtlich bei einem Ausflug ins Gebirge, leider ist zu Ort und Zeit nichts überliefert.

Dass es sich bei dem abgebildeten Tourenwagen (vor dem 1. Weltkrieg meist als Phaeton bezeichnet), um einen Laurin & Klement handelt, das ergibt sich aus dem charakteristischen Kühleremblem, das die Buchstaben L&K nebeneinander zeigt.

Die geringe Größe des Wagens weist auf das G-Modell hin, das Hieronimus als Nachfolger der kleinen 2-Zylindermodelle entwickelt hatte, die noch auf Karl Slevogt zurückgingen.

Von 1908 bis 1911 wurde der G-Typ mit zunächst 1,6 Litern, später 1,8 Litern Hubraum gebaut – gut 15 PS bzw etwas mehr waren damit drin.

Stilistisch bewegt sich „unser“ Exemplar genau am Übergang von der ersten Ausführung von 1908/09 zum etwas stärkeren Nachfolger. Die Gestaltung mit schwingenartigen Vorderkotflügeln und mit Lederspritzschutz zwischen Trittbrett und Chassisrahmen verweist auf den ersten Blick noch auf ein frühes Entstehungsdatum.

Doch der Windlauf (auch Windkappe genannt), der hinter dem Ende der Motorhaube ansteigt – ein Detail aus dem Motorsport – verrät uns, dass dieses Exemplar so nicht vor 1910 entstanden sein kann.

Mir ist jedenfalls kein Beispiel eines früheren Serienwagens bekannt, welches dieses Detail bereits ab Werk besaß, auch wenn das so in der Literatur nirgends zu lesen ist.

Apropos Serie: Das G-Modell war das erste von Laurin & Klement, von dem über 300 Exemplare gefertigt wurden. Auch die stärkere Ausrichtung auf größere Serien gehörte zu den Verdiensten von Otto Hieronimus, der Laurin & Klement 1911 wieder verließ, um sich seiner Sportkarriere zu widmen. 1922 kam er beim Training für ein Rennen ums Leben.

So kurz wie der Lebensweg von Hieronimus insgesamt war auch sein Weg via Benz nach Böhmen. Doch bleibt sein Name eng mit dem von Laurin & Klement verwoben und so bietet das heute vorgestellte Foto auch die Gelegenheit, seiner und seines durchaus beachtlichen Beitrags zur Automobilgeschichte zu gedenken.

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Ideales Nachkriegsauto: 1934er Chevrolet „Master 6“

Mit den meisten europäischen Autos der frühen Nachkriegszeit kann ich wenig anfangen. Erst in den 60ern finden sich für meinen Geschmack jede Menge Modelle mit hinreißender Linienführung und guter Motorisierung, vor allem in Italien und England.

Ausnahmen für mich sind zum einen der Peugeot 203, der 1948 wohl das modernste Automobil europäischer Provenienz war, zugleich der einzige Franzose, welcher US-Styling gekonnt in die Alte Welt transportierte, zum anderen der britische MG Y-Type von 1947, der völlig wie ein Vorkriegsauto aussah, aber bereits die Einzelradaufhängung erhielt, die auch mein 1974er MGB GT besitzt und an der ich nichts auszusetzen wüsste.

Aber als gewohnheitsmäßiger Altautokäufer wären mir diese neu entwickelten Wagen nach dem 2. Weltkrieg vielleicht fragwürdig vorgekommen. Hätte ich in den 50ern gelebt und das nötige Kleingeld gehabt, wäre es wohl ein gut motorisierter Vorkriegs-Ami geworden.

Natürlich hätte es ein bewährtes Modell sein müssen, an dem man alle wichtigen Arbeiten selbst erledigen kann und an dem auch nach 25 Jahren nichts wirklich kaputtgehen kann.

Ein Ford V8 hätte in das Schema gepasst, der ja auch in Deutschland gebaut worden war und viele Käufer gefunden hatte. Aber es gab einen Konkurrenten, der zwar nur einen Reihensechszylinder besaß, aber für mich klassischer wirkte – der 1934er Chevy.

Wie, unser Blogwart hätte sich für so ein US-Massenfabrikat begeistert, das in den Staaten sich jeder leisten konnte, der irgendeiner ehrlichen Arbeit nachging?

Nein, nein, liebe Leser, ich rede nicht vom braven 1934er Chevrolet „Standard Six“ mit lediglich 60 PS und begrenzter Auswahl an Aufbauten (fünf). Mein Favorit wäre die Mittelklasseausführung „Master Six“ gewesen, von der wir hier ein Beispiel sehen:

Chevrolet „Master Six“ Limousine von 1934; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die verchromten Lampengehäuse und die schmalen Kühlerstreben verraten uns, dass dieser 1934er Chevrolet ein „Master Six“ war. Der verfügte über ein in der Tat meisterliches Aggregat mit kopfgesteuerten Ventilen (ohv), das aus 3,4 Litern Hubraum 80 PS holte.

Damit wäre die souveräne Leistung gesichert gewesen, die ich für meine Reiseaktivitäten als ideal angesehen hätte. welche regelmäßig die Überquerung der Alpen beinhalten.

Alles schön und gut, werden Sie jetzt denken, aber so eine brave Familienkutsche wie auf obigem Bild aus deutschen Landen würde der Blogwart doch sicher nicht favorisiert haben. Da haben Sie vollkommen recht.

Aber seien Sie nicht zu streng mit der abgebildeten Limousine – sie liefert mit den drei horizontalen Luftschlitzen in der Haube, die von oben nach unten kürzer werden, wichtige Hinweise zur Identifikation des 1934 Chevrolet, für den ich – sagen wir Ende der 50er Jahre, als dieses Foto entstand – alles andere hätte stehengelassen:

Chevrolet „Master Six“ Cabriolet von 1934; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Was sagen Sie jetzt? So eine offene Version des 1934er Chevy mit 80 PS unter der Haube war doch auch Ende der 50er schwer zu schlagen gewesen, oder?

Nimmt man an, dass dieses Exemplar als Extra nicht nur die seitlich montierten Reserveräder hatte, sondern auch die ab Werk optional verfügbare Heizung und das Radio, hätte man 25 Jahre nach der Produktion nichts Wesentliches vermissen müssen.

Und wenn einem später so ein Vorkriegs-Chevy dann doch untermotorisiert und zu wenig komfortabel vorgekommen wäre, dann hätte man ihm ja doch noch einen V8 mit rund 5 Liter Hubraum und Drehmoment ohne Ende, eine Automatik und eine gediegene Innenausstattung verpassen können.

Wie das ausssehen kann, das zeigt dieses äußerlich wie technisch modernisierte Exemplar, dem man aber immer noch ansieht, das es einmal ein 1934er Chevrolet „Master Six“ war.

Ich weiß, das Ergebnis ist nicht jedermanns Sache, aber die Amis sind auch in Sachen „Oldtimer“ ultraliberal – jeder kann mit seinem Auto machen, was er will, nur gut machen sollte er es…

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Wuppertal kann warten: Unterwegs im Wanderer W 240

Zurück aus Italien nach 13 Stunden Autofahrt und gut ausgeschlafen hat mich die Heimat nördlich der Alpen wieder.

Auch wenn man die Strecke noch so genau kennt, kostet der permanente 360 Grad-Blick beim Fahren einige Kraft. Nur so kann man als Vielfahrer in den letztlich unvermeidlichen kritischen Situationen angemessen reagieren oder sogar vorausschauend sich darauf einstellen.

Hinzu kommt, dass ich wo es geht und es die Lage erlaubt, schnell fahre. Die Konzentration bei hohem Tempo lässt bei mir keine Müdigkeit aufkommen, die stellt sich eher ein, wenn es gemächlich zugeht. Man ist dann gut beraten, kurz zu halten, etwas herumzugehen oder auch ein paar Minuten die Augen zu schließen. Danach ist der Kopf wieder klar.

Freilich ist jeder anders und jeder muss selber wissen, wo seine Grenzen sind und wie er solche Trips angeht. Ich verstehe völlig die Leute, die konsequent mit Tempo 100 auf der rechten Spur ihres Weges ziehen, niemand wird dadurch beeinträchtigt. Nur zum Überholen sollte man schon um einiges schneller sein als das…

Auch mit Tempo 50 die Gotthard-Paßstraße hinauf und dann abwärts in jeder Serpentine fast zum Stillstand kommen, so etwas erlebt man ebenfalls und das muss wirklich nicht sein – es sei denn, man ist allein unterwegs und hat alle Zeit der Welt.

Damit wären wir bei diesen Herren, die es 1938 auf dem Heimweg aus Mittelitalien wahrlich nicht eilig hatten und einfach auf der Straße für Fotozwecke haltmachen konnten:

Wanderer W240 anno 1938 in der nördlichen Toscana; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

58 Kilometer waren es von hier nach Florenz und gut 10 Kilometer nach Piancaldoli in die entgegengesetzte Richtung – so ist das Straßenschild im Hintergrund zu interpretieren.

Das versetzt uns an den Raticosa-Pass, über den es von Florenz kommend auf knapp 1000 Meter Höhe Richtung Norden nach Bologna und damit in die Po-Ebene geht.

Die Straße macht einen exzellenten Eindruck, sie scheint erst vor kurzem instandgesetzt oder modernisiert worden zu sein – jedenfalls meine ich eine entsprechende Walze zur Verdichtung und Glättung des Belags im Hintergrund rechts von der hochgereckten Hand eines der drei Herren an Bord zu erkennen.

„Wuppertal kann warten“ dachten sich die Insassen des dort zugelassenen Cabriolets, als sie im Sommer 1938 anhielten, bevor sie dem Abzweig nach Norden weiter folgten:

Wanderer W240 anno 1938 in der nördlichen Toscana; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Was den Wagen angeht, haben wir es passend zum heutigen Sujet mit einem „Wanderer“ zu tun, wie es bereits das geflügelte „W“ als Kühlerfigur verrät.

Allerdings war dieser Wanderer nicht gerade ein Musterbeispiel für die Bescheidenheit eines Pilgers zu den großen Stätten der Andacht in weltlicher und geistlicher Hinsicht, wie sie Mittelitalien in einzigartiger Dichte bietet.

Nein, dieser Wanderer war ein luxuriöser Vertreter seines Standes – mit enorm teurem Manufakturaufbau als 2-Fenster-Cabriolet von „Gläser“ aus Dresden. Den gab es als Typ W240 von Wanderer für ungeheure 5.250 Reichsmark.

Bei Erscheinen anno 1935 entsprach dieser Preis mehr als dem dreifachen Brutto-Jahreseinkommen eines sozialversicherungspflichtigen Durchschnittsverdieners in Deutschland. Von der Relation betrachtet wären das heute über 150.000 EUR.

Die Ansprache als Wanderer W 240 gelingt anhand der feinen schräggestellten Kühlerstreben in Verbindung mit dem einteiligen Feld für die Luftschlitze in der Motorhaube.

Trotz seines immensen Preises war das 1,3 Tonnen wiegende Cabrio mit 40 PS wie bereits der Vorgänger W 235 (35 PS) für ein Fahrzeug seiner Klasse noch untermotorisiert.

Wanderer reagierte schon im Herbst 1935 auf die Kritik und bot den Wagen nun mit 50 PS aus 2,3 Litern Hubraum an. Spitze 100 km/h waren damit im Land der mangels Autobesitzern leeren Autobahnen wenigstens diesen exklusiven Gefährten möglich.

Ob „unser“ Wanderer noch das 2 Liter Aggregat mit 40 PS besaß oder die speziell für Reisen über die Alpen eher geeignete 2,3 Liter-Variante mit 50 Pferdestärken, muss offen bleiben. Die Literatur liefert keine Hinweise auf äußerliche Unterscheidungsmerkmale.

Dass wir es tatsächlich mit dem 2-Fenster-Cabrio zu tun haben (es gab auch eine 4-Fenster-Version), ist auf dem nächsten Foto zu erkennen, das denselben Wagen zeigt:

Wanderer W240 anno 1938 am Gardasee; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Fotografiert wurde der Wanderer an der linken Uferseite des Gardasees mit Blick auf Riva an dessen Nordende.

So ist es auf der Rückseite vermerkt und das lässt sich auch dann problemlos verifizieren, wenn man noch nie am Gardasee war, den die Italiener bisweilen ironisch als „Deutschlands südlichsten See“ bezeichnen.

„Wuppertal kann warten“ werden die Insassen auch bei dieser Gelegenheit gedacht haben. Ich kann das auch ohne Berücksichtigung der sich damals verschärfenden politischen Situation und des alsbald begonnenen 2. Weltkriegs nachvollziehen.

Unsere „Wandersleute“ scheinen es wahrlich nicht eilig gehabt zu haben. Denn nur kurze Zeit spät hielten sie abermals an und machten diese Aufnahme ihres wackeren Wagens:

Wanderer W240 anno 1938 am Gardasee; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

An dieser Stelle bricht die Bildüberlieferung ab und – egal, was noch kam, die Verhältnisse sollten sich kaum zum Besseren wenden. Was aus den Insassen wurde, welchen Anteil sie am politischen und militärischen Geschehen hatten, das wissen wir nicht.

Vielleicht hat der schöne Wanderer die Wirren der folgenden Jahre überlebt und sei es nur für eine begrenzte Zeit in Wuppertal oder nach einer Wehrmachtskarriere irgendwo sonst…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Anhalten und die Zeit anhalten: Hansa 1100 Limousine

Beim heutigen Radeln in Umbrien ging mir wie so oft durch den Kopf, wie einfach es doch sein kann, einen uralten Traum wahrwerden zu lassen: die Zeit anzuhalten, wenn es gerade am schönsten ist.

Hier scheint das vorzüglich gelungen zu sein – so bietet sich die Kulturlandschaft in der Valle Umbra seit gut 2000 Jahren dar:

Val di Chiona, Juli 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Die Umbrer sind ein stolzer und im besten Sinne konservativer Menschenschlag – die Moderne hat bei ihnen nur eine Chance, wo sie wirklich eine Verbesserung mit sich bringt: Mobilität, Kommunikation und Zahnbehandlung vor allem.

Ansonsten hält man die Zeit an, soweit es geht und das sogar, wenn einer etwas ganz Neues macht.

So verfolge ich seit letztem Jahr mit Sympathie den Baufortschritt bei diesem Anwesen, das im Chiona-Tal etwas erhöht in Sichtweite von Spello liegt:

Val di Chiona, Juli 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Viel mehr als ein paar verfallene Mauern werden dort nicht gestanden haben, bevor dieser Neubau entstand – ich kann mich nicht erinnern, bei meinen regelmäßigen Radtouren früher dort etwas Nennenswertes gesehen zu haben.

Stück für Stück entstand dann ein Haus im lokalen Stil, nur der niedrige Anbau geht etwas in die Neuzeit hinein. Gemauert wird mit dem örtlichen beige- bzw- rosafarbenen Kalkstein, den es nur hier am Monte Subasio gibt. Auch die betonierte Einfahrt vorne wird noch mit Naturstein verblendet, da bin ich zuversichtlich.

Hier nimmt sich einer die Zeit, dieselbe anzuhalten – jedenfalls in stilistischer Hinsicht. Auch für Fensterläden und Echtholzfenster nach Maß ist gesorgt, beides ein Standard in der Region bis heute – die entsprechenden Handwerke florieren und die Leute können sich das dank soliden Wohlstands auch in der Mittelschicht leisten.

Um solche Momente zu genießen, in denen die Zeit gewissermaßen angehalten wird, muss man sich freilich selbst die Zeit nehmen anzuhalten. Im vorliegenden Fall bediente ich mich dabei dieser Zeitmaschine aus dem englischen Hause Raleigh:

Val di Chiona, Juli 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Das etwas modifizierte Gerät aus den 1980er Jahren erinnert mich an eine Zeit, die von mir aus trotz Kalten Kriegs in vielerlei Hinsicht hätte anhalten können. Außer den digitalen Geräten fällt mir nichts ein, was sich seither für den Normalbürger verbessert hätte.

Die Freiheit, das Stilbewusstsein, die Kompetenz und Ordnung im Alltag von damals hätte man ruhig konservieren können, meine ich als Kind der 70/80er Jahre.

Bemerkenswert, dass man einst mit einem Bruchteil des heutigen Abgabenaufkommens die staatlichen Kernaufgaben wie Verteidigung und Infrastruktur auf heute undenkbarem Niveau wahrnehmen konnte – auch von Armutsrenten und Bildungsdefiziten war kaum die Rede.

Erst recht die Damen aus Schlesien auf dem folgenden Foto hätten gewiss gern die Zeit angehalten, zumindest was die privaten Verhältnisse angeht, wenn sie gewusst hätten, was ihnen wenige Jahre nach dieser Aufnahme blühen sollte:

Hansa 1100 Limousine; Originalfoto Sammlung Michael Schlenger

Sie nahmen sich auf einer Nebenstraße in einer unbekannten Gegend Zeit anzuhalten. Und mit dieser Momentaufnahme haben sie zugleich für uns die Zeit angehalten.

Gewiss, der hübsche Hansa 1100 (1934-39) in der späteren Ausführung mit gerundetem Frontscheibenrahmen und profilierten Radkappen ist uns schon einige Male begegnet.

Ich halte ihn für einen der markantesten und gelungensten deutschen Wagen seiner Klasse in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre und mit der Sechszylinderversion 1700 war zugleich eine gediegen motorisierte Alternative verfügbar.

Im Fotoalbum einer der Damen – vielleicht der jungen Blondine auf dem Beifahrersitz – ist die Aufnahme einst im Fluchtgepäck anno 1945 nach Westen gelangt. Heute ist dieses Foto vielleicht alles, was an den Moment von einst, die untergegangene Heimat dieser Frauen und an das erinnert, was sie damals beschäftigt oder für die Zukunft inspiriert hat.

Die Fotografie ist zusammen mit alten Handschriften, Musiknoten oder auch einem historischen Haus ein wunderbares Medium dafür, um die Zeit anzuhalten. Dafür nehmen wir uns hier immer wieder gerne Zeit, um innezuhalten, und werden immer wieder auf’s Neue belohnt, obwohl es doch vordergründig bloß um alte Autofotos geht…

Jetzt habe ich glatt vergessen, dass erst der letzte Blog-Eintrag einen Hansa zum Gegenstand hatte. Muss ich das bedauern?

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Fotorätsel des Monats: Ein Hansa „Raketenauto“?

Eine gründliche Erziehung wird nicht immer als angenehm empfunden, doch bringt sie hinreichend Struktur und Disziplin ins Leben, die man immer wieder abrufen kann, wenn man sie braucht. Und wenn nicht, kann man ja alle Fünfe gerade sein lassen, wenn man will. Nur ganz ohne gewissen Ordnungssinn wird man sich zeitlebens schwertun.

In meinem Blog geht es dementsprechend meist anarchistisch zu, weil ich am Ende eines diszipliniert zugebrachten Arbeitstags nur noch tun will, was mir gerade in den Sinn kommt.

Das müssen Sie, liebe Leser, regelmäßig ausbaden, aber Sie wissen auch: Etwas Struktur hat der abendliche Ausflug in die automobile Welt von gestern dann doch bisweilen.

Neben dem Fund des Monats, den ich mit bislang schöner Regelmäßigkeit präsentiere, gibt es zum 15. das erst dieses Jahr eingeführte Fotorätsel des Monats. Dass ich damit einen Nerv getroffen habe, zeigen mir die vielen Reaktionen darauf.

Bei der letzten Gelegenheit waren es mehrere Leser, die mich auf die Lösung brachten – ein umkarossierter Simson! Ich wäre nie darauf gekommen, wenngleich meine These, dass der Hersteller des expressiven Aufbaus eine tschechische Firma war, Unterstützung fand.

Heute steuert Leser Klaas Dierks das Fotorätsel des Monats bei – er zählt mit Matthias Schmidt, Marcus Bengsch, Jürgen Klein und Helmut Kasimirowicz zu den großzügigen Sammlerkollegen, ohne die mein Blog nur halb so interessant wäre.

Hier haben wir also den im Titel nicht ganz ernst, aber doch irgendwie begründet angekündigten „Raketenwagen“:

Sport-Zweisitzer mit Spezialaufbau um 1920; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Irres Teil, nicht wahr? Dabei wirkt der Fahrer eigentlich ganz vernünftig, aber am Steuer mutiert mancher braver Bürger bekanntlich zur Bestie, wenn es die Umstände erlauben.

Eine solche radikale Granate auf vier Rädern ist nur auf Basis eines Vorkriegswagens möglich, dessen Chassis mit Leiterrahmen fast beliebige Aufbauten erlaubt.

Was sich darunter verbirgt, ist fast bis zur Unkenntlichkeit verändert, doch meine ich, den wahrscheinlichen „Spenderwagen“ identifiziert zu haben. Schärfen wir zunächst den Blick für das, was trotz des futuristisch anmutenden Aufbaus erkennbar ist:

Der Radstand ist gemessen am Raddurchmesser – klingt kurios, trifft es aber – der eines sportlichen Zweisitzers. Dessen kurzes, gerundetes Heck ist recht gut zu erkennen, das behalten wir im Hinterkopf, die aufgeschnallten Ersatzreifen ignorieren wir.

Auch die eckigen Vorderkotflügel, eine kurzlebige Modeerscheinung am deutschen Markt nach dem 1. Weltkrieg (der AGA-Wagen lässt grüßen) blenden wir aus – sie sind nicht modellspezifisch.

Schon eher auf die Serienbasis schließen lässt der Kühler mit vorkragender „Nase“, auch das ein in vielen Varianten zu beobachtendes vorübergehendes Phänomen zwischen 1913/14 und 1920.

Auf eine Basis aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg schließen lassen die Karbidgasscheinwerfer, wenngleich sie bis etwa 1920 noch vereinzelt weitergenutzt wurden.

Zum Eindruck der „Rakete“ trägt nicht nur die schnurgerade ansteigende Linie von Motorhaube und Windlauf bis zur nicht vorhandenen Frontscheibe bei. Auch meint man am Chassis zwei Druckbehälter wahrzunehmen, welche die für Raketentreibstoff benötigten Gase beherbergt haben könnten, nicht wahr?

Nun, Jules Verne wäre sicher begeistert gewesen und hätte hier ein weiteres Automobil von Käpt’n Nemo gesehen, wenn der aus dem Uboot Nautilus zum seltenen Landgang antrat.

Doch bei allen phantastischen Assoziationen werden wir es hier eher mit einem Kraftstoffbehälter (oben) und einem Schalldämpfer (unten) zu tun haben.

Schade, das mit dem Raketenauto wird wohl doch nichts, mögen Sie jetzt denken. Aber enorm rasant sieht dieses Gerät allemal aus und das galt auch schon für die Serienbasis, die ich unter dieser kompromisslosen Karosse vermute:

Hansa Typ D 10/30 PS Sport-Zweisitzer von 1913/14; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Ich will Sie nicht über Gebühr beeinflussen, aber ich meine, dass dieser Hansa Sport-Zweisitzer des Typs D 10/30 PS von 1913/14 die Grundlage für das „Raketenauto“ im heutigen Fotorätsel lieferte.

Kurios, aber vielleicht nicht zufällig ist der Umstand, dass auch diese Aufnahme aus dem Fundus von Leser Klaas Dierks stammt. Manche haben einen Blick für Qualität, vor dem man nur neidlos den Hut ziehen kann.

Gern stelle ich die Plattform für die Verbreitung und Diskussion solcher genialen Dokumente bereit, lehne mich bei der Interpretation unerschrocken aus dem Fenster, habe gerne recht mit meiner Interpretation, kann aber auch völlig danebenliegen.

Damit wäre die Diskussion eröffnet – meine These kennen Sie. Scheuen Sie sich nicht, sie gründlich zu zerlegen, oder liefern Sie weitere Indizien zugunsten meiner Sicht. Ich bin gespannt, was vom „Raketenwagen“ aus dem Hause Hansa am Ende übrigbleibt…

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Montags ans Meer mit Peugeot 201 von 1934/35

Montags ans Meer – das ist ein Privileg von Urlaubern und Rentnern. Ich bin weder das eine noch das andere, auch wenn ich derzeit in Umbrien in Mittelitalien weile.

Der heutige, herrlich sommerliche Montag lud zwar zu einem Ausflug ans Meer ein, das rund eine Stunde Fahrtzeit entfernt liegt.

Doch zum einen galt es bis zum frühen Nachmittag noch einiges an Schreibtischarbeit zu erledigen – das ist der moderate Preis, den mal als digitaler Nomade zu entrichten hat. Zum anderen zieht es mich nicht sonderlich ans Meer – Umbrien bietet mit uralter Kulturlandschaft und endlosen Eichenwäldern viel mehr, wenn der Kalauer erlaubt ist.

Also setzte ich mich unvernünftig wie stets gegen 15 Uhr im prallen Sonnenschein auf das über 40 Jahre alte „Raleigh“-Tourenrad und sauste im warmen Wind die 300 Höhenmeter ins Tal zum Endpunkt des römischen Aquädukts, der einst Spello versorgte und wo die Leute heute noch bestes Quellwasser aus den Bergen für den Hausgebrauch abfüllen.

Ab dort ging es entschieden langsamer wieder zurück und hinauf, ohne eine Menschenseele zu treffen. Montags sind die Leute hier entweder bei der Arbeit oder fahren lieber ans Meer, anstatt sich nach dem Wochenende erneut auf dem Rennrad zu quälen.

Mir war das recht, denn gegen die trainierten Lokal-Amateure alter Altersklassen bis hoch ins Rentenalter bin ich mangels Training an dem sechs Kilometer langen Anstieg chancenlos.

Dafür erlaube ich mir auf dieser atemberaubenden Tour den einen oder anderen Fotohalt.

Blick auf die Valle Umbra Richtung Süden, Juli 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Erst abends ging es dann doch zu meiner eigenen Überraschung ans Meer. Auf die Idee kam ich anhand noch unveröffentlichter Fotos von Autos, an denen es nicht viel zu rätseln gibt und auch über die es auch wenig Bemerkenswertes zu erzählen gibt.

Auf solche Aufnahmen aus meinem Fundus greife ich auf Reisen zurück, wenn ich nicht die gewohnte Literatur bei mir habe. Die Peugeot-Modelle der 1930er Jahre sind in der Hinsicht eine sichere Bank, denn sie haben zwar viel Charakter, sind aber zugleich so konventionell, dass es keine Sensationen dazu vermelden gibt.

Mit seinen robusten Großserienwagen trug Peugeot mit Citroen und Renault sowie einigen vergessenen Marken wie Berliet oder Licorne zu dem enormen Motorisierungsgrad der Franzosen bei, der damals um ein Mehrfaches über dem deutschen Landen lag.

Mit so einem Brot-und Butter-Gerät wie diesem expressiv gestalteten Peugeot 201 von 1934/35 konnte man sich durchaus bei den Eingeborenen oder Rentiers am Meer blicken lassen, die selbiges wenigstens am Montag für sich zu haben glaubten:

Peugeot 202 von 1934/35; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Das Foto gefällt mir in mehrfacher Hinsicht:

So wirkt die markante Frontpartie des Peugeot, die es nur 1934/35 so gab , aus dieser Perspektive besonders repräsentativ, auch wenn sich hinter dem Kühler und unter der hohen Haube nur ein Vierzylinder mit 1,3 Litern Hubraum und knapp 30 PS verbarg.

Daneben finde ich die Perspektive gelungen, die den Blick auf eine Dünenlandschaft freigibt – so verkörpert der Wagen für den Betrachter perfekt die Funktion, einen mühelos hinaus aus dem Alltag und an ersehnte Orte transportieren zu können.

Das Automobil wird ja gern als Plage betrachtet, die es auch sein kann – speziell wenn es von inkompetenten oder sich überschätzenden Zeitgenossen bewegt wird. Aber das große Freiheitsversprechen im Sinne der Überbrückung von Raum und Zeit erfüllt es immer noch. Ich denke bei jeder meiner Trips in den Süden daran.

Nicht zuletzt sind es die schönen Holzhäuser im Hintergrund, deren verspielte Details von solidem Wohlstand und der Liebe zur schönen Form kündet, mit der sich der Mensch über die Barbarei der bloßen Funktion seiner Schöpfungen zu erheben vermag.

Ich habe keine Ahnung, wo diese Ferienhäuser einst standen – vielleicht ist ihr Stil ja regionalspezifisch und unter meinen Leser sind ja auch einige Frankophile. Wenn uns dann noch jemand anhand des Kennzeichens darüber unterrichtet, von woher einst der wackere Peugeot 21 kam, dann ist dieser Montag am Meer auch für mich perfekt…

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Turiner Bubi in Bevagna: Fiat 508 „Balilla“

Die Vorkriegsauto-Geschichte, die ich heute erzähle, ist einigermaßen kompliziert – aber das habe ich mir selbst eingebrockt.

Eigentlich wollte ich es mir leicht machen und einige Fotos präsentieren, die einst auf einer Tour in den Süden nach Mittelitalien entstanden. Am Wochenende fahre ich nämlich selbst dorthin und da dachte ich, dass ich meine Leser einfach mitnehmen könnte.

Im letzten Moment stellte ich aber beim Studium der Aufnahmen fest: „Die fahren ja in die falsche Richtung!„. Also warf ich das Vorhaben über den Haufen und musste mir etwas Neues ausdenken.

Mein Blick fiel auf den Stapel mit alten, noch unbearbeiteten Fotos auf dem Schreibtisch. Drei Ansichtskarten der Vorkriegszeit waren darunter, die aus meinem Zielgebiet stammen – der Valle Umbra zwischen Perugia und Spoleto.

Alle wichtigen Orte dort sind über 2000 Jahre alt und fast alle davon liegen erhöht über der Ebene, die von einem See und Sümpfen bedeckt war, bevor die Römer sie in generationenlanger Arbeit entwässerten und das so gewonnene Land nutzbar machten.

Zwei neue römische Städte in der Ebene kamen hinzu, die bis heute existieren: Foligno („Fulginium“) und die Kleinstadt Bevagna („Mevania“) nordwestlich davon. Hier eine Ansichtskarte der Zwischenkriegszeit, die Bevagna von Westen aus zeigt:

Bevagna (Umbrien); Ansichtskarte aus Sammlung Michael Schlenger

Aus eigener Anschauung weiß ich, dass das geschichtsträchtige Städtchen heute noch genau so aussieht. Es gibt praktisch keine Bauten dort, die jünger als 100 Jahre sind.

Die Moderne ist völlig an Bevagna vorübergegangen – jedenfalls, was die Architektur und das Stadtbild betrifft. Die Leute dort wissen, was sie an ihrem Ort haben, pflegen ihr historisches Erbe mit Hingabe und haben sich behutsam dem Tourismus geöffnet.

Wer sich Zeit dafür nimmt, findet in dem Städtchen mit gerade einmal 1.000 Einwohnern diverse romanische und gotische Kirchen, eine Therme, einen Tempel und ein Theater aus der Römerzeit, eine formidable archäologische Sammlung und ein ziemlich einzigartiges Theater des 19. Jahrhunderts.

Letzteres befindet sich – von außen nicht erkennbar – im ehemaligen Palazzo dei Consoli aus dem 13. Jh. Dort war einst die kommunale Selbstverwaltung ansässig und man kann an den Dimensionen des Baus erahnen, wie wohlhabend und selbstbewusst das mittelalterliche Bevagna war:

Bevagna (Umbrien), Palazzo dei Consoli; Ansichtskarte aus Sammlung Michael Schlenger

Der mächtige Bau wirkt streng und abweisend, daher fand ich, dass etwas Abwechslung nicht schaden könne und der altehrwürdige Palast durchaus auch ein Stück gekonnte Moderne vertragen kann.

Letztere fand sich zufälligerweise von selbst ein in Form eines Automobils der Turiner Fiat-Werke. Das Fahrzeug parkte genau vor den beiden gotischen Arkaden, die rechts neben der breiten Freitreppe zu sehen sind:

Störend wirkt der Wagen hier keineswegs, wie überhaupt Vorkriegsautos aufgrund ihrer speziellen Formensprache und Proportionen meist mit vormodernen Bauten harmonieren.

Dabei war dieses spezielle Exemplar ein auf Krawall gebürsteter Rabauke -jedenfalls dem Namen nach. Fiat vermarktete dieses ab 1932 gebaute Modell mit Typbezeichnung 508 nämlich mit dem Zusatz „Balilla„.

Das war eine Anspielung auf den Dialekt-Spitznamen eines im 18. Jh. die Obrigkeit mit Steinen bewerfenden Buben namens Giovan Battista Perasso aus Genua. Der furchtlose freche Junge findet in der italienischen Nationalhymne heute noch Erwähnung.

Dass „Balilla“ auch die Bezeichnung der Jungs der faschistischen Jugendorganisation während der totalitären Herrschaft von Mussolini Co. war, stört in Italien keinen.

Der kompakte Fiat 508 mit seinem 20 PS leistenden 1-Liter-Motor war zwar als robuster Einsteigerwagen gedacht, wies mit 12 Volt-Elektrik und Hydraulik-Stoßdämpfern jedoch einige gehobene Charakteristika auf.

Vom etwas stärkeren, aber durchaus als Vorgänger anzusehenden Fiat 514 unterschied sich der Balilla äußerlich insbesondere durch die niedrigere Schwellerpartie unterhalb der Türen sowie die hier zu erahnende geschwungene Scheinwerferstange.

Wenn Ihnen das bisher Gezeigte doch etwas dürftig erscheint, kann ich das verstehen, zumindest in automobilhistorischer Hinsicht. Allerdings kann ich im Fall des Fiat 508 „Balilla“ in Limousinenausführung bislang nur mit diesem einen Foto aufwarten.

Als kleine Entschädigung mag die Gesamtansicht der Szene dienen:

Bevagna (Umbrien), Palazzo dei Consoli und Kirche San Silvestro; Ansichtskarte aus Sammlung Michael Schlenger

Lassen Sie sich von der bescheiden wirkenden, unvollendeten Fassade der Kirche San Silvestro rechts neben dem Palast nicht täuschen.

Sollten Sie einmal nach Bevagna kommen, werfen Sie unbedingt einen Blick ins Innere – Sie werden überrascht sein, wie freundlich hell dieses romanische Kleinod plötzlich wirkt:

Bevagna, Kirche San Silvestro; Bildrechte: Michael Schlenger

Und wenn Sie wieder hinausgehen, sehen Sie auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes die monumentale Fassade von San Michele.

Innen ist diese Kirche infolge von Umbauten der Neuzeit weniger sehenswert, aber vielleicht haben Sie ja Glück und es steht gerade ein Vorkriegs-Fiat auf der Piazza davor.

Das könnte dann so aussehen – auch wenn es sich hier um den früheren Typ 509 in Sportausführung von Anfang der 1920er Jahre handelt, nach dessen Lenkrad ein kesser Junge greift:

Fiat 509 in Bevagna, September 2024; Bildrechte: Michael Schlenger

Wenn Sie nun damit zufrieden sind und Ihnen obendrein der Hintergrund bekannt vorkommt, dann darf ich meine heutige Geschichte vom Bubi in Bevagna als gelungen betrachten, auch wenn Sie aus der Not geboren und mit heißer Nadel gestrickt ist…

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Endlich groß rauskommen! Horch 400 Sport-Cabriolet

Wer wollte nicht einmal ganz groß rauskommen? Nun, vielleicht nicht auf einer Bühne, der man nicht gewachsen ist, weil es einem an der nötigen Ausbildung und Erfahrung mangelt.

Ein kluger Mensch wird doch keine Position anstreben, der er nicht gewachsen ist, wo man doch sonst schon für alles Mögliche einen Befähigungsnachweis benötigt – mit Ausnahme eines speziellen Bereichs, in dem jedem Banausen alles offensteht.

Das zu konkretisieren, ist hierzulande riskant geworden, aber kluge Köpfe wissen zwischen den Zeilen zu lesen. Also lassen wir es bei der Andeutung auf’s Aktuelle und wenden uns der Welt von Gestern zu, in der man sich in der Retrospektive risikolos bewegen kann – ein Privileg, das wir den Zeitgenossen von damals voraus haben.

Die bewegten sich zwar im Einzelfall mit einem exklusiven Fahrzeug fort, aber das in einem Umfeld, das in nichts Gutes mündete. Dabei wirkt hier doch alles ganz idyllisch, nicht wahr?

Horch 400 Sport-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Mit so einem Achtzylinder-Horch des Typs 400 – erkennbar an den nach Cadillac-Vorbild nach hinten versetzten Luftschlitze in der Motorhaube in Verbindung mit einer Doppelstoßstange – kam man im Deutschland der 1930er zunächst groß heraus.

Der 80 PS starke Motor und der zweitürige Aufbau als Sport-Cabriolet aus dem Hause Gläser (Dresden) ließen keinen Zweifel – wer darin unterwegs war, bewegte sich am oberen Ende des automobilen Spektrums und machte entsprechend Eindruck.

Doch dann bemerkt man die matte Lackierung und das Kennzeichen mit dem Kürzel „WL“, das für „Wehrmacht Luftwaffe“ stand. Deutschland rüstete damals rasant auf, man wollte das stärkste Militär in Europa werden. Ähnliches war kürzlich in der Zeitung zu lesen, auch manches Vokabular der 30er Jahre wird reaktiviert – aber sicher nur ein Zufall.

Groß rauskommen wollte man damals nach der Schmach des 1. Weltkriegs und dem desaströsen Versailler „Vertrag“, der mal als kolossale Dummheit, mal als kalkulierte Provokation der Kriegsgewinner interpretiert wird.

Egal, wir wissen, was sich aus der Melange aus alliierter Arroganz und deutscher Selbstüberschätzung später ergab. Kluge Köpfe ziehen ihre Schlüsse daraus in diesen Tagen und plädieren für wachsame und wehrhafte Selbstbeschränkung.

Dabei kann man auch auf sympathische Weise groß herauskommen, wenn man sich seiner selbst gewiss ist und den Nachbarn nur im rein touristischen Kontext begegnet:

Horch 400 Sport-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Der Oberleitung im Hintergrund nach zu urteilen, ist diese schöne Aufnahme, die wir Leser Matthias Schmidt aus Dresden verdanken, in den 1930er Jahren in der Schweiz entstanden, wo die Bahn damals bereits elektrifiziert war.

Das Auto mit Zulassung in Westfalen (Raum Bielefeld) ist leicht als ein weiteres Exemplar des Horch 400 identifiziert, der zwischen 1930 und 1932 rund 950mal gebaut wurde. Und wieder haben wir es mit dem Sport-Cabriolet von Gläser zu tun.

Mit diesem fahrbaren Untersatz war es nicht schwer, endlich einmal auch im Ausland groß herauszukommen, ohne Anstoß zu erregen – vorausgesetzt man verfügte über die Maße der freundlichen Dame an Bord.

Leider wissen wir wie so oft nichts über sie und darüber, was aus dem prächtigen Wagen wurde. Aber manches spricht eben vollkommen für sich wie dieses schöne Zeugnis…

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Klein-Helga in Kalkutta: Morris „Minor“ von 1932

Nach drei Tagen Hochsommer haben die Hitze-Hysteriker die erhoffte Abkühlung bekommen: Tagsüber um die 18 Grad und immer wieder Regen, so präsentiert sich der Juli derzeit in meiner Heimatregion – der hessischen Wetterau zwischen Taunus und Vogelsberg.

Mir passt das Ganze gar nicht, denn ich hatte mich gerade daran gewöhnt, beim Fahren mit offenem Fenster geföhnt zu werden und bei der Gartenarbeit die Kleidung durchzuschwitzen – beides nach meinem Gusto als der Sonne und dem Leben draußen zugewandter Geist.

Während die bessere Hälfte schon wieder zu langärmeligen Oberteilen greift, reagiere ich trotzig und wende mich heute gezielt tropischen Gefilden zu. Der geografische Ort meines Ausflugs in die automobile Vergangenheit ist zwar das Gegenteil von dem, was ich als Reiseziel gutheißen würde, aber das kann den Chronisten nicht abhalten.

So geht es diesmal ins ferne Indien in eine Gegend, wo man sich als Mitteleuropäer schon eher mit dem Klima schwertut, wenn man sich Temperatur und Feuchte vergegenwärtigt.

Und dennoch hielten sich dort lange Zeit freiwillig die Briten auf, die sich einst berufen fühlten, ihre kleine Insel als Mittelpunkt der Welt zu betrachten und von dort global in die Verhältnisse fremder Völker hineinzuregieren, die ihnen nichts getan hatten und die schon über ihre eigene Herrschaftsschicht verfügten.

Immerhin scheint Indien nach der Abschüttelung der Fremdherrschaft inzwischen ökonomisch einen Rang ereicht, welcher es immer mehr Menschen dort erlaubt, mit ganz neuem Selbstbewusstsein auf die einstigen Unterdrücker zu schauen.

Ich kann es nicht beweisen, aber ich könnte mir vorstellen, dass es den Chefs der indischen Tata Group eine Genugtuung war, den beiden 2008 erworbenen urbritischen Marken Jaguar und Landrover auf Modellebene die Traditionslinie zu kappen.

Man ist nicht mehr auf das Erbe der einstigen Kolonialherren angewiesen und kann heute nach Belieben darüber verfügen – das scheint mir die Botschaft zu sein.

So sehr ich die englische Autohistorie schätze, so sehr gönne ich es den Indern, dass sich sich auch auf diesem Sektor „freigeschwommen“ haben. Sie haben das Zeug dazu, es China nachzumachen und Europa vorzuführen, dass es bestenfalls noch als Museum taugt.

Dagegen hätte ich nichts, wenn ich nicht leise Zweifel daran hegte, dass wir selbst das nicht mehr hinbekommen. Egal, dann muss man selbst das tun, was in seinen Möglichkeiten liegt – und sei es nur in der Dokumentation der Vorkriegsautohistorie anhand alter Fotos.

Man macht schöne Entdeckungen dabei, auch wenn man dafür – so paradox es klingt – bisweilen ins indische Kalkutta des Jahres 1936 reisen muss, so ist es jedenfalls auf der Rückseite dieses Fotos überliefert:

Morris Minor von ca. 1932, Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Angeblich ist die Aufnahme auf dem Grund des Botanischen Gartens der Millionenstadt entstanden, die heute international als Kolkata bezeichnet wird.

Die bereits im 18. Jh. entstandene Anlage gehört zu den eher wenigen Sehenswürdigkeiten Kalkuttas. Jedoch konnte ich das im Hintergrund zu sehende zweistöckige Gebäude nicht identifizieren, obwohl der Botanische Garten noch einzelne Bauten der Kolonalzeit beherbergt, darunter das verwunschene Roxburgh House.

Der Holzbau mit Welblechdach hinter dem Auto könnte eine Stallung gewesen sein. Sicher ist aber, dass auf dem Trittbrett Klein-Helga sitzt, deren mutmaßlich deutschsprachige Eltern es in der Vorkriegszeit nach Indien verschlagen hatte, vielleicht waren sie Diplomaten.

Das Auto, das hier als Kulisse dient, war indessen ein Fahrzeug für einkommensmäßig „kleine Leute“ – ich konnte den Wagen als Morris „Minor“ von ca. 1932 identifizieren. Das 1928 als Konkurrent des legendären Austin „Seven“ eingeführte Modell war ein Wagen der 800ccm-Klasse und leistete je nach Motorenversion (OHC oder Seitenventiler) rund 20 PS.

Das Auto wurde stetig weiterentwickelt und war ab Sommer 1933 serienmäßig mit hydraulischen Bremsen und mit hydraulischen Stoßdämpfern ausgestattet – für einen Wagen dieser Klasse bemerkenswert wie das synchronisierte 4-Gang-Getriebe.

Da auf unserem Foto noch konventionelle Reibungsstoßdämpfer zu sehen sind (rechts neben dem Nummernschild), ist eine Entstehung um 1932 anzunehmen, was durch die Gestaltung von Kühler und Kotflügeln unterstützt wird.

Vermutlich durch das Klima bedingt hatten sich zwischen den Glasflächen der Frontscheibe Flecken ausgebreitet, die zweifelhaft erscheinen lassen, ob dieser Wagen zum Aufnahmezeitpunkt im Frühjar 1936 noch im Straßenverkehr bewegt wurde.

Immerhin wies mich ein Mitglied meiner internationalen Vorkriegsautogruppe auf Facebook darauf hin, dass das numerische Kennzeichen zu einer Zulassung in Kalkutta passe.

Außer der Ansprache der zweitürigen Limousine als Morris „Minor“ von ca. 1932 ist für mich auf dieser Aufnahme einiges unklar. Wer war die kleine Helga und wurde das Foto wirklich am angegebenen Ort aufgenommen?

Es wäre nicht das erste Mal, dass solche handschriftlichen Angaben sich als unzuverlässig erweisen – sie wurden oft erst mit einigem zeitlichen Abstand vermerkt.

Das alles ändert nichts daran, dass es sich um ein schönes Zeitdokument handelt, das von längst vergangenen Abenteuern erzählt. Freuen wir uns also über das, was wir hier an Lebens- und Liebenswertem wahrnehmen und stören uns nicht an dem, was wir nicht wissen können – so wie auch sonst im Dasein…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Hinein ins Vergnügen! BMW Cabriolet 319

Was ist nur mit dem Blogwart los? Seit wann begeistert er sich für Cabriolets? Preist er sonst nicht Wagen mit geschlossenen Aufbauten als die vollkommeren, was die Linienführung angeht?

Oder hat es ihm heute einfach nur die Motorisierung des vor 90 Jahren eingeführten BMW 319 angetan?

Sollte der gediegene 6-Zylindermotor mit im Zylinderkopf hängenden Ventilen, entsprechend drehfreudiger Charakteristik und 45 PS bei nur 850 kg Gewicht nicht seiner Neigung für eine ordentliche Motorisierung entgegenkommen?

Nun, nach über 1.500 Blog-Einträgen muss man als Chef vom Janzen die Leserschaft bei Laune halten und dazu gehört immer wieder auch, nicht genau das zu liefern, was erwartet wird oder der Titel vermuten lässt.

Mit einer Sache haben Sie aber recht – der BMW 319 kommt grundsätzlich meiner Vorstellung schon nahe, was einen solide motorisierten Wagen der Mittelklasse am deutschen Markt in den 1930er Jahren betrifft.

Allerdings hätte ich mir von BMW bei einem solchen knapp 2 Liter großen Motor eine standfest machbare Leistung von an die 60 PS gewünscht. Die 45 Pferde lieferte Fiat damals ja schon mit seinem 1500er Sechszylinder in Großserie ab.

Zur Ehrenrettung von BMW sei angemerkt, dass es parallel eine Sportversion des 319 mit 3 statt 2 Vergasern gab, welche ziemlich genau die Leistung abwarf, die bei einem derartigen Aggregat damals wirklich drin war.

Ein solches Gerät konnte ich anno 2014 bei den legendären Classic Days auf Schloss Dyck dingfest machen:

BMW 319/1; Bildrechte: Michael Schlenger

Damit zog man dann auf der Autobahn an fast allen vorbei – wobei das ohnehin nicht viele waren, denn im Deutschland der 30er Jahre war ein Automobil für den Durchschnittsbürger immer noch unerreichbar. Das gigantische Aufrüstungsprogramm der damaligen Regierung fraß sämtliche sonst möglichen Wohlstandszuwächse für den Normalbürger auf.

So blieb auch der kompakte, aber einigermaßen flott motorisierte BMW 319 trotz dreijähriger Bauzeit ein Luxusobjekt für ein paar tausend gut situierte „Volksgenossen“. Immerhin findet man ihn bisweilen auf alten Fotos, und wie es scheint, wurde er gern als Cabriolet gefahren.

Leider trifft die 4-fenstrige offene Version überhaupt nicht meinen Geschmack. Das Heck ist verunglückt und das Verdeck war entweder eine Fehlkonstruktion oder es war hier nicht korrekt zusammengefaltet – jedenfalls weckt dieses Exemplar keine Begeisterung:

BMW 319 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Etwas besser kommt der BMW 319 weg, wenn das Verdeck aufgespannt ist, aber das merkwürdige Stummelheck mit dem angesetzten Kofferraum und unglücklich hoch angebrachten Reserverad ruiniert für mich auch hier das Bild – da kann das Fotomodell daneben noch so gute Figur machen.

BMW 319 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Immerhin kommt man hier in den Genuss der vollverchromten großen Scheinwerfer, die noch nicht der rüstungsbedingten Rohstoff-Planwirtschaft zum Opfer gefallen waren – eventuell haben wir es mit einem frühen Exemplar des Typs 319 zu tun.

Nachdem der Wahn von der Weltgeltung des kleinen, ressourcenarmen Deutschland vorbei war und das Land unter den beiden einzigen Siegern des 2. Weltkriegs – den USA und der Sowjetunion – aufgeteilt worden war, begegnete man dem BMW 319 mit etwas Glück in Form eines Überlebenden wie auf dieser Ansichtskarte aus DDR-Zeiten:

BMW 319 Cabriolet in Sitzendorf (Thüringen); Ansichtska aus Sammlung Michael Schlenger

Von der für Mensch, Wirtschaft, bauliches Erbe und Umwelt zersetzenden Wirkung staatlicher Planwirtschaft ist hier noch nichts zu sehen. Das schöne „Hotel zur Linde“ in Sitzendorf (Thüringen) steht noch in alter Pracht dar.

Sieht man von dem Zusatz „HO“ ab, der auf die nunmehrige Zugehörigkeit des einst privaten Hotels zur gesichtslosen Staatswirtschaft (Handelsorganisation) verweist, könnte man die Szene glatt als idyllisch ansehen.

Auch der heutige Hauptdarsteller BMW 319 hat hier einen durchaus ansprechenden Auftritt – weniger aufgrund der nachgerüsteten Scheinwerferblenden und Rückspiegel als infolge der Tatsache, dass seine problematische Heckpartie verdeckt ist:

BMW 319 Cabriolet in Sitzendorf (Thüringen); Ansichtska aus Sammlung Michael Schlenger

Die matt erscheinende Lackierung könnte auf ein ehemaliges Armee-Fahrzeug hindeuten, doch bezweifle ich, dass man sich mehrere Jahre nach Kriegsende noch mit der Lackierung der einstigen „Wehrmacht“ sehen lassen konnte.

Das Auto war entweder eingestaubt oder war mit einem matten neuen Lack versehen. Bei der Gelegenheit sei angemerkt, dass die drei gegeneinander versetzt angebrachten Zierleisten auf der Motorhaube das Erkennungsmerkmal des BMW 319 waren.

Mit dieser dürftigen Erkenntnis ausgestattet werden Sie sich jetzt fragen: „Wo bleibt denn nun das vollmundig angekündigte Vergnügen, in das wir uns heute stürzen dürfen?

Keine Sorge – abgesehen vom herrlichen Sommerwetter haben viele Landsleute zwar sonst wenig Anlass zum Vergnügen – aber dieses eine gibt es kostenlos und ohne dass man sich irgendetwas daran zwanghhaft schönsehen müsste.

Also vergessen Sie alles, was Sie sonst belastet, was ich über das verunglückte Heck des BMW 319 erzählt oder sonstwie Anstößiges von mir gegeben habe. Bedenken Sie für einen Moment, was das für ein Wagen war, in welchen Zeiten das Foto entstanden sein muss und ziehen Ihre eigenen Schlüsse für’s Hier und Jetzt daraus – hinein ins Vergnügen!

BMW 319 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Prosperität von einst: Ein Citroen C4 in Clamecy

Fährt man im Herzen Frankreichs – in der Champagne und im Burgund – über Land und macht Halt in den Kleinstädten, begegnen einem allerorten die Zeugen einstiger Prosperität, bürgerlichen Stolzes und handwerklicher Meisterschaft.

Selbst in Kleinstädten mit kaum 5.000 Einwohnern stößt man auf Bauten bester Machart, aus lokalem Kalkstein gefertigt, großzügig mit den Schmuckformen der jeweiligen Zeit versehen – die Nachkriegszeit ausgenommen, die in architektonischer Hinsicht den historischen Bestand generell nur selten zu bereichern vermag.

An einen solchen Ort entführe ich Sie heute, liebe Leser, wenngleich am Ende das Gefühl zurückbleibt, dass sich die titelgebende Prosperität in unseren Tagen verflüchtigt hat.

Begleiten Sie mich nun ins Burgund, wo nach meiner Meinung von altersher die besseren Weine als im überschätzten Bordeaux produziert werden und obendrein die Kulturlandschaft dem Reisenden weit mehr zu bieten hat.

Zwischen Bourges im Westen und Dijon im Osten findet sich einigermaßen auf halbem Wege die alte Kleinstadt Clamecy:

Clamecy (Burgund); Ansichtskarte aus Sammlung Michael Schlenger

Nicht nur die monumentale Kirche Saint Martin erzählt von einer Prosperität, die man hierzulande in einem 4.000-Seelen-Ort nur selten antrifft.

Diese Ansichtskarte der späten 1920er Jahre vermittelt auch den Eindruck einer intakten Geschäftswelt mit kleinen Läden und Handwerksbetrieben für den lokalen Bedarf.

Von einer – wiederum an deutschen Verhältnissen jener Zeit gemessen – erstaunlichen Prosperität zeugen auch die Automobile, welche vor dem 2. Weltkrieg in Frankreich in der Fläche weit alltäglicher waren als in deutschen Landen.

Mit großen Überraschungen aufwarten kann ich dabei nicht, aber betrachtenswert ist diese zufällige Auswahl an Wagen in der französischen Provinz schon, meine ich:

Citroen C4 in Clamecy; Ansichtskarte aus Sammlung Michael Schlenger

Im Hintergrund zeigt sich ein Hotchkiss – zu erkennen an der markentypischen Kühlereinfassung in Hufeisenform. Davor steht wahrscheinlich ein Tourenwagen der Marke Renault.

Uns erfreut aber vor allem der vertraute Anblick eines Citroen des Typs C4 (1928-32), mit dem der Hersteller auch den anbieterseitig rückständigen deutschen Markt versorgte.

Im Kölner Citroen-Werk entstanden zahlreiche dieser technisch unauffälligen, aber gut konstruierten und dank Massenproduktion für die gehobene Mittelschicht erschwinglichen Wagen.

Hier haben wir ein solches Exemplar mit deutscher Zulassung:

Citroen C4, aufgenommen im Mai 1932 am Laacher See; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

In Frankreich mit seinem damals höheren Einkommensniveau und modernerem Fertigungsstandard war ein solcher Citroen um 1930 eines der zahlreichen heimischen Angebote für den Durchschnittsbürger – der Wagen stand für Prosperität in der Breite.

Wir wissen, wie sich die Dinge seither entwickelt haben in Frankreich.

Erst während der deutschen Besetzung 1940-44 ausgeplündert, dann von zentralistischer Planwirtschaft in seiner Dynamik stark beeinträchtigt und seit langem von einer missglückten Migrationspolitik geplagt, gehen in den Kleinstädten auf dem Land allmählich die gewachsenen Strukturen vor die Hunde.

Die Zeugen einer großen Vergangenheit und einstiger Prosperität sind noch da in Clamecy, aber die Atmosphäre, die Geschäfte und das Leben von früher sind weg. Das war schon bei meinem letzten Besuch im Herzen Frankreichs vor rund 10 Jahren so…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.