„Mer muss och jünne künne“ sagt der Kölner Volksmund. Als Angehöriger der Übersetzer-Profession und Hochdeutsch-Experte kann ich Ihnen versichern, dass sich dahinter nichts Fragwürdiges verbirgt wie hinter manch anderer Kölscher Weisheit.
Vielmehr wird hier im Dialekt der alten Colonia am Rhein etwas gesagt, was hierzulande eher selten ist und was ich entschieden vertrete: „Man sollte seinen Mitmenschen neidlos gönnen, was ihnen Gutes widerfährt oder was sie besitzen“.
Mich freut es, wenn jemand eines der berüchtigten „leistungslosen“ Einkommen bezieht – etwa weil er im Lotto gewonnen, unverhofft ein Vermögen geerbt oder mit seinen Aktienanlagen unverschämtes Glück gehabt hat.
Mir ist noch keiner begegnet, der solche „windfall profits“ – wie der Engländer sagt – empört ausschlagen und dem gefräßigen Staat abtreten würde. Umgekehrt ist es für mich ein Gebot der Fairness und eine Stilfrage, großzügig mit dem Glück zu verfahren, das einem selbst widerfährt, und andere daran teilhaben zu lassen.
Wenn Sie in meinem Blog mitlesen, dessen Erstellung mich einen vierstelligen Betrag pro Jahr kostet (inkl. Fotokäufen, aber ohne Arbeitszeit), dann weil es mir Vergnügen bereitet, diesen Spleen mit anderen teilen zu können und weil es der in unseren Tagen naheliegenden Verbiesterung entgegenwirkt, sich mit schönen Dingen zu beschäftigen.
So kommen Sie heute wieder einmal in den Genuss, etwas ziemlich Exklusives vorgeführt zu bekommen – und ich profitiere dabei einmal wieder von der Großzügigkeit anderer, die ihre Schätze ebenfalls mit uns Verrückten teilen.
Na, was sagen Sie hierzu?

Ähm, ja. Ein typischer Backsteinbau des 19. Jh., prinzipiell unkaputtbar (solange die Royal Air Force danebenlag) und selbst bei Funktionsgebäuden von einer gestalterischen Qualität, die sich mit über Jahrhunderten gewachsenen historischen Stadtbildern verträgt.
Irgendein öffentlicher Bau dürfte das gewesen sein, eine Schule, ein Amt, eventuell auch ein Hospital. Budget- oder Bauzeitüberschreitungen waren dabei seinerzeit die Ausnahme.
Von mir aus könnte man sich heute noch an einem der Baustile orientieren, die es in den letzten 2.500 Jahren in Europa gab; nach 100 Jahren Bauhaus ist das immergleiche Betonkartonschema doch auch von gestern – warum keine Neuauflage des Jugendstils?
Egal, wir haben heute etwas anderes im Blick, nämlich das auf den ersten Blick unscheinbar wirkende Cabriolet auf obigem Foto. Der Wagen wirkt aufgrund der großzügigen Proportionen des Baus im Hintergrund unverdient kompakt.
Wir nähern uns dem Auto mit den waagerechten Luftschlitzen in der Motorhaube und haben bereits den Verdacht, dass es sich um eines der Achtzylindermodelle von Stoewer aus Stettin handeln könnten, denn die Kühlerfigur scheint ein Greif zu sein:
Verflixt, das kann doch nicht sein, dass solch ein großer Wagen hier so harmlos wirkt. Vielleicht war der Bau im Hintergrund doch eher eine Fabrik mit extrahohen Fenstern, um ganzjährig viel Licht hineinzulassen. Leider fehlt hier der menschliche Maßstab.
Dennoch haben wir allen Grund elektrisiert zu sein. Das ist einer der legendären Stoewer-Achtzylinder, wie er Ende der 1920er Jahre gebaut wurde.
Die unter chronischer Kapitalknappheit leidender Manufaktur hatte sich ab 1928 binnen kürzester Zeit in eine Kunst eingearbeitet, in der Marktführer Horch ab Mitte der 1920er Jahre Millionen versenkt hatte. Mercedes verschlief den Trend unterdessen erst einmal.
Hier haben wir beispielsweise ein Exemplar des 80 PS starken Stoewer Achtzylindertyp G15, von dem 1928/29 rund 650 Stück entstanden.
Man erkennt die Ähnlichkeit der Kühlerpartie und auch die horizontalen Haubenschlitze, ebenso den Greif als Kühlerfigur.
Aber die Scheinwerferstange ist hier waagerecht ausgeführt, bei dem eingangs gezeigten Wagen ist sie nach oben gebogen. Außerdem reichten die Luftschlitze in der Motorhaube dort weiter nach oben.
Was ist davon zu halten? Nun, einfach dass wir heute unverschämtes Glück haben, denn offenbar ist uns einer der nur 280mal gebauten Stoewer-Achtzylinder des Typs M12 „Marschall“ ins Netz gegangen, den es nur 1930 gab.
Dieser 60 PS-Wagen wurde neben einem 100 PS leistenden und längeren Schwestermodell angeboten, von dem bloß rund 25 Stück entstanden. Da wir es mit einem zweitürigen Cabriolet zu tun haben, plädiere ich im vorliegenden Fall für die schwächere Version.
Ja, ist ja schön und gut, aber irgendwie wirkt das Auto immer noch nicht ganz so großartig, wie es die Bezeichnung „Marschall“ erwarten lässt. Keine Sorge, Ihnen wird gleich geholfen.
Denn nicht nur ich, auch einige geschätzte Sammerkollegen, deren Funde ich hier immer wieder präsentieren darf, hängen dem Grundsatz nach: „Man muss auch gönnen können“.
Diesmal ist es so gemeint, dass man nicht ängstlich auf seinen Schätzen hocken sollte, auch wenn man sie redlich und gegen wohlverdienten Zaster erworben hat. Das Leben ist kurz, und früher oder später landet aller Besitz bei lachenden Dritten oder auf dem Müll.
Also raus aus den Archiven mit den Zeugen von einst, so lange diese noch Bewunderung, Staunen oder Leidenschaft wecken. Das ist meine Philosophie, um den überstrapazierten Begriff zu bemühen, und ich bin offenbar nicht allein damit:
So sah er also aus – ohne Gründerzeit-Riesenbau im Hintergrund und in sommerlich freundlicher Farbgebung – der Stoewer M12 „Marschall“ als grandioses zweitüriges Cabriolet, hier mit Zulassung Berlin statt Bochum wie oben.
2 von 280 Stoewer dieses Typs kennen Sie jetzt schon, keine schlechte Quote würde ich sagen. Das lässt sich aber noch verbessern. Denn so wie Leser Klaas Dierks uns hier Einblick in sein Archiv gibt, können das auch andere tun.
„Man muss auch gönnen können“, ein gutes Motto und Rezept gegen Missgunst, nicht nur wenn es um Fotos von Vorkriegsautos geht…
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.