Mitunter bringt einen das aktuelle Zeitgeschehen dazu, über zeitlos Aktuelles zu sinnieren. Gelegenheit dazu bietet sich dieser Tage reichlich, meine ich.
Diesmal geht es um den Unterschied zwischen charakterlosen Typen und Typen mit Charakter. Wie ich gerade jetzt darauf komme, mag sich jeder selbst ausmalen.
Jedenfalls kennt wohl jeder den Typus des geländegängigen Opportunisten, des smarten Slalomfahrers, der allen Hindernissen geschickt ausweicht, um ans Ziel zu gelangen – in der Regel eines, das entgegen hehren Bekundungen eng ans Ego geknüpft ist.
Nichts gegen das Ego und damit verbundene Ziele. Doch finden sich bisweilen auch Naturen, denen auf ihrem persönlichen Weg das Geschmeidige weniger liegt, die keine Konfrontation scheuen und sich gern auch robuster Methoden (oder Rhetorik) bedienen.
Dieser Typus des Kämpfers ist selten Sympathieträger, aber oft einer, der sich Anerkennung dadurch erwirbt, dass er sich treu bleibt und auf eine schroffe Weise authentisch ist, die ihn glaubwürdiger macht als die biegsameren Karrieristen, welche allzuoft das Rennen machen.
Wie gesagt, Beispiele für beide Typen – den charakterlosen Mollusken und den robust-aneckenden Charakter – finden sich zu allen Zeiten.
Und da es an Typen ohne Charakter in unseren Tagen leider nicht mangelt, wir uns hier aber vor allem an positiven Beispielen erbauen wollen, beschränke ich mich im Folgenden auf einen Vorkriegstypen, bei dem man spontan ausrufen möchte: „Der hat Charakter!“
Stoewer Typ R-140, viertürige Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Na, was denken Sie über diesen Typen? Nun, bezogen auf den Herrn neben dem Wagen. der sich im Januar 1938 hat ablichten lassen, ist wohl soviel konsensfähig:
Gut betucht und nicht öffentlichkeitsscheu, selbstbewusst, aber im persönlichen Umgang vielleicht nicht der angenehmste. Auf jeden Fall einer, der weiß, wo es lang geht und dabei ungewöhnliche Wege nicht scheut – und sei es bei der Wahl seines Wagens.
Denn dieses nur auf den ersten Blick konventionelle Auto gehörte in der ersten Hälfte der 1930er Jahre zu den modernsten deutschen Autos der unteren Mittelklasse. Das waren in technischer Hinsicht insbesondere die Fronttriebler von Adler und Stoewer.
Während die Marke aus Frankfurt am Main sich einer gut geölten Großserienproduktion bedienen konnte, um ab 1932 den 1,5 Liter-Typ Trumpf an den Mann zu bringen, blieb die unverwüstliche Traditionsmarke Stoewer aus Stettin der Manufaktur verhaftet.
Dennoch hatte sie das Kunststück vollbracht, mit dem Typ V5 anno 1930 noch vor DKW Deutschlands ersten frontgetriebenen Serienwagen vorzustellen, was gern vergessen wird.
Der Stoewer R-140, den wir auf dem Foto sehen, war dann der erheblich verbesserte, weit stärkere und besser aussehende Nachfolger. Er kam 1932 mit 25 PS aus 1,4 Litern auf den Markt, doch schon 1933 hatte man den Motor auf 1,5 Liter (30 PS) vergrößert.
Ob die Höchstgeschwindigkeit von angeblich 85 km/h davon tatsächlich unberührt blieb, wage ich angesichts der Konkurrenz von Adler zu bezweifeln. Immerhin gab es laut Literatur eine sportlich abgestimmte Version mit angemessener Spitze 100 km/h.
Die viertürige Ausführung, welche auf dem Foto zu sehen ist, erschien 1934. Dass Stoewer diese Limousine zu fast demselben Preis anbieten konnte wie Adler sein Modell Trumpf, ist erstaunlich.
Geschuldet war es vielleicht dem Verzicht auf gefällige Details, ein weniger geschmeidiges Finish und ein robusteres Auftreten, was Laufkultur und Fahreigenschaften angeht.
Aber das machte womöglich gerade den Unterschied: Das war ein Typ mit Charakter!
Und wie eine zweite Aufnahme zeigt, war das ein Typ, der nicht nur in der Welt der gelackten Schuhe auf Anklang stieß, sondern auch keine Berührungsängste hatte, was die Welt der harten und schmutzigen Arbeit angeht, wo dennoch auf Ordnung Wert gelegt wird:
Stoewer Typ R-140, viertürige Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Mir sind solche ehrlichen Charaktertypen mit manchen Kampfspuren und Dellen, vielleicht auch dem einen oder anderen offensichtlichen Mangel lieber als perfekt gestylte Vertreter, bei denen man nicht weiß, woran man ist – bis man feststellt, dass das Äußere reines Blendwerk ist und sich dahinter Leere oder abgründige Absichten verbergen…
Die echten Charaktertypen sind heute so rar gesät wie einst und ich wage es zu bezweifeln, dass mehr als ein Dutzend dieser Stoewer-Frontantriebstypen mit viertürigem Limousinenaufbau noch unter uns weilen…
Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Manchmal denke ich mir: Wir leben in der besten aller Zeiten.
Das mag jetzt überraschen, wissen doch meine langjährigen Leser, dass mich viele Phänomene des Hier und Jetzt deprimieren: das ästhetische Elend öffentlicher Bauten, die Unfähigkeit, Plätze und Parks zu gestalten, die sogenannte Moderne Kunst, die keinerlei Grundsätze und Qualitätsmaßstäbe kennt usw….
Und doch erlauben uns heutige Transportmittel, fast mühelos die schönsten Orte aufzusuchen, die einst von Menschenhand geschaffen wurden, oder auch die Naturwunder der Welt.
Wir können uns auf elektronischem Weg, die großartigsten Bilder und Skulpturen der letzten Jahrtausende vor Augen zaubern, sie auf Wände projizieren und sie sogar zum täglichen Genuss dauerhaft reproduzieren.
Ebenso können wir jederzeit und an jedem Ort sämtliche Meisterwerke der Musik aus den letzten 500 Jahren genießen. So höre ich gerade die Kantatensammlung „Salvator Mundi“ von Dietrich Buxtehude, komponiert im 17. Jh und eingespielt 2022 in der Klosterkirche der Abtei Sainte-Trinité de la Lucerne d’Outremer vom Ensemble Le Ricercar Consort.
Ist das nicht großartig, das A und O von allen Dingen verfügbar oder zumindest zugänglich zu haben? Gewiss, aber in vielen Fällen bedeutet „A und O“ nicht nur „Das Beste“ oder „Einfach Alles“, sondern im ursprünglichen Sinne „Anfang und Ende“.
Denn das „A und O“ sind der erste und der letzte Buchstabe des griechischen Alphabets, welches mit dem „Omega“ endet – letzteres im Unterschied zum „Omikron“ mit langem „O“.
So können wir Menschen des 21. Jh. davon ausgehen, dass wir Anfang und Ende vieler Dinge überschauen können. Die Meisterschaft antiker Mosaiken und Fresken, die Kunst der Kantate und der Fuge, die Welt von Englischen Gärten und klassizistischen Opernhäusern – alles abgeschlossen.
Und vermutlich leben wir in Zeiten, in denen wir auch Zeugen des Endes neuzeitlicher Kreationen auf dem Feld der Technologie sind – dem wohl einzigen Gebiet, in dem das Jetzt bislang brillierte.
Wer denkt nicht an einst große Automarken wie Alfa oder Lancia, die längst nur noch ein Schatten ihrer selbst sind und ein würdigeres Ende verdient hätten?
Ähnliches gilt für die Marke Opel, welche vor dem 1. Weltkrieg in deutschen Landen ganz selbstverständlich neben Benz, Daimler, NAG und Protos in höchsten Kreisen vertreten war. Was ist davon geblieben außer dem Namen?
Kaum jemand kann sich heutzutage noch vorstellen, dass Opel am deutschen Markt zu den Herstellern zählte, die das „A und O“ im Automobilbau repräsentierten. Illustrieren will ich dies heute anhand zweier ganz gegensätzlicher Aufnahmen.
Gemeinsam ist ihnen auf den ersten Blick nicht viel. Beginnen wir mit dem „A“ – das für den Anfang steht – zwar nicht der Marke Opel, aber des Lebens von Kindern aus begütertem Hause, die einst mit einem solchen Wagen wie selbstverständlich aufwuchsen:
Opel Tourenwagen um 1908; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Diese schöne Aufnahme lief 1910 oder 1911 als Ansichtskarte von Wiesbaden nach Frankfurt am Main – adressiert war sie an ein Fräulein Anne Klinzner in der Scheffelstraße 13 im einst großbürgerlich geprägten Frankfurter Nordend.
So wie die kleinen Kinder für den Beginn des Lebensweges stehen, so repräsentiert auch der hier recht groß wirkende Wagen eine frühe Phase des Herstellers Opel.
Dieser ist übrigens hier nur anhand der Form des Kühlers und der Gestaltung des Kühlerwasserstutzens zu erkennen und auf etwa 1908/09 zu datieren.
1908 hatte Opel mit dem relativ kompakten Modell 10/18 PS, das auf dieser Aufnahme wahrscheinlich zu sehen ist, einen Neubeginn gewagt. Denn neben den bisher dominierenden großen bis sehr großen Wagen boten die Rüsselsheimer damit nun einen kompakteren Typ an.
Gleichwohl blieb auch dieser Typ mit seinem 2,5 Liter-Vierzylinder nur einem winzigen Teil der Bevölkerung zugänglich und man sieht den Kindern auf dem Foto an, dass sie aus Verhältnissen stammten, in denen man keine materiellen Sorgen kannte.
Der Opel markierte für diese Kleinen also gewissermaßen das „A und O“ der damals verfügbaren Transportmittel. Anstelle mit Pferdegespann, Straßen- oder Eisenbahn wuchsen sie bereits mit einem Automobil auf.
Sie dürften – wenn sonst nichts dazwischenkam – den weiteren Weg der Marke Opel bis weit in die Nachkriegszeit verfolgt haben – vielleicht sogar bis ans Ende des 20. Jh. Dann waren sie Zeuge eines langen – ab den 1960er Jahren allmählich abschüssigen Weges eines einst hochangesehenen und kompetenten Herstellers.
Doch das „O“ – also das „Omega“ und damit das Ende – konnte einen Opel schon viel früher ereilen, lange vor rostanfällligen Schaurigkeiten wie „Astra“ und „Omega“ der 90er Jahre.
Damit verbunden sein konnte auch das Ende des Fahrers selbst – ein weiteres Foto von anno 1908 gemahnt uns an diese finale Bedeutung von „A und O“:
Opel Sportwagen um 1908; Originalabbildung: Sammlung Michael Schlenger
Diese zeitgenössische Abbildung zeigt einen Opel mit dem 1908 eingeführten markanten Sportwagenaufbau, welcher für diverse Motorisierungen erhältlich war.
Selbst der eingangs abgebildete kompakte Typ 10/18 PS konnte mit diesem aufs Wesentliche reduzierten 2-Sitzer-Aufbau geordert werden, dessen niedrigeres Gewicht mehr Agilität versprach.
Der oben genannte und abgebildete Fahrer Otto-Hermann Fritzsche dürfte aber über ein stärkeres Modell mit 40 bis 60 PS verfügt haben. Mit diesem Gefährt, das um die 100 km/h Spitze erreicht haben dürfte, kam er 1908 auf der Landstraße ums Leben.
So schnell konnte es also vorbei sein, wenn man mit dem damaligen „A und O“ aus dem Hause Opel unterwegs war. Es gibt prosaischere und vor allem elendere Wege, aus dem Leben zu scheiden – von daher seien wir nicht traurig.
Bisweilen ist ein rasantes Ende auf der Höhe des Lebens einem langen Siechtum vorzuziehen – und das gilt beileibe nicht nur für Opel. Doch leider sterben zivilisatorische Phänomene meist einen langen Tod und es schmerzt, das mitzuerleben…
Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Ende Oktober, unübersehbar Herbst in deutschen Landen – vielleicht nicht nur in Sachen Wetter. Vermisst eigentlich jemand die panischen Meldungen aus dem August, die uns ständig herrliches Hochsommerwetter als gefährliche „Hitze“ vermiesen wollten?
Vermutlich missfällt auch den Klimabewegten inzwischen der Nebel, die kühle Luft und der Mangel an Sonnenlicht – und die allgemeine Lage, die nirgends aufwärts zeigt.
IIn einer Hinsicht kann ich heute aber immerhin – hoffe ich – für etwas aufgehellte Stimmung sorgen. Denn während die Landsleute im Norden unter allgemeiner Tristesse leiden, darf ich für eine Woche im italienischen Umbrien fast spätsommerliche Verhältnisse genießen und daran möchte ich meine Leser gern teilhaben lassen.
Damit wir uns recht verstehen: Wenn ich mich mehrfach pro Jahr in meinem Domizil südlich der Alpen aufhalte, mache ich dort mitnichten nur Urlaub. Als Freiberufler arbeite ich eigentlich immer – wochenlang bezahltes Nichtstun kenne ich nicht.
Natürlich nutze ich den Vorteil freier Zeiteinteilung – und mache davon besonders Gebrauch, wenn ich in Italien bin und die Sonne lacht. So war das auch heute.
Am frühen Nachmittag waren die dringlichsten Aufträge abgearbeitet und ich schwang mich auf’s Rad. Zunächst ging es sechs Kilometer talwärts durch ausgedehnte Olivenhaine in den Nachbarort Spello.
Hier haben wir im Gegenlicht das über 2000 Jahre alte Städtchen, das wie hingegossen auf einem Felssporn über der Ebene liegt:
Blick auf Spello (Umbrien), Ende Oktober 2024; Bildrechte: Michael Schlenger
Wohin das Auge schaut, ist hier alles herrlich grün – als wäre es ein prachtvoller Frühsommertag. Da es hier ergiebigen Regen gegeben hatte und der Sommer eher mäßig gewesen war, gab es weit und breit keinen dürren Grashalm.
Während die Talebene – die Valle Umbra, die von Perugia im Norden bis Spoleto im Süden reicht – in leichtem Dunst lag, lachte oberhalb die Sonne. Bei 20 Grad kam es mir vor, „als wär‘ noch Sommer“.
Beglückt trat ich den Rückweg an, auf dem 300 Höhenmeter zu absolvieren sind – diesmal nach oben. Mit meinem gut 40 Jahre alten Stahlrahmen-Rad der britischen Marke Raleigh fiel mir die Strecke trotz Gangschaltung nicht ganz leicht. Die Geländereifen taten ein übriges und so nutzte ich die eine oder andere Gelegenheit, um innezuhalten:
Zwischen Spello und Collepino (Umbrien), Ende Oktober 2024; Bildrechte: Michael Schlenger
Sieht eher aus wie Ende Mai/Anfang Juni, oder? Nur in den schattigen Abschnitten war die Luft empfindlich kühl und verriet, dass auch hier der Herbst auf der Lauer liegt.
Doch ansonsten kam mir alles so vor, „als wär‘ noch Sommer“.
Am Wegesrand standen bisweilen stolz und still die edlen Zypressen, die man in Deutschland merkwürdigerweise kaum anpflanzt, obwohl sie winterhart sind, keine Pflege verlangen und uralt werden:
Zwischen Spello und Collepino (Umbrien), Ende Oktober 2024; Bildrechte: Michael Schlenger
Während ich so vor mich hinpedalierte, begann die stetige Steigung allmählich anstrengend zu werden. Doch lockte mich die baldige Aussicht auf den Anblick des Ziels.
Dieses zeigte sich nach einer Weile zum ersten Mal – wenn auch noch in einer Entfernung, die dem Radler noch keine baldige Entspannung verheißt.
Ein Grund mehr, anzuhalten und die Aussicht zu genießen, welche sich auch dem x-ten Mal nicht abnutzt:
Blick auf Collepino (Umbrien), Ende Oktober 2024; Bildrechte: Michael Schlenger
Das rund tausend Jahre alte Bergdorf, ursprünglich eine Festung auf einem Sporn oberhalb des Chiona-Tals, durch welches seit unausdenklichen Zeiten Hirten ihr Vieh in den nächstgelegene Talbecken trieben, zählt zu den schönsten seiner Art in Italien.
Nach den dort nur oberflächlichen Schäden des Erdbebens 1997 wurde der gesamte Ort denkmalgerecht saniert und präsentiert sich seither in größter Harmonie. Wer dort wohnt – wenn auch viele nur zeitweilig – will alles genau so, wie es seit Jahrhunderten ist.
Bevor ich nun zum eigentlichen Gegenstand des heutigen Blog-Eintrags komme, hier noch ein letzter Blick auf das Ziel, nun auch mit meinem wackeren Radl:
Blick auf Collepino (Umbrien), Ende Oktober 2024; Bildrechte: Michael Schlenger
„Als wär‘ noch Sommer“ – so lautete das Motto und bisher meine ich, dem aus aktueller Perspektive gerecht worden zu sein.
Doch wie schaffe ich nun den Übergang zu einem Vorkriegsautomobil, welches genau das illustriert, noch dazu zwangsläufig in Schwarzweiß?
Nun, das gelingt im vorliegenden Fall nur, indem ich Ihnen nahelege, die zuvor gezeigten Bilder schnell wieder zu vergessen. Denn diesmal müssen wir uns mit kahlen Bäumen und Herbstlaub anfreunden.
Dass es jedoch in einem solchen eher mitteleuropäisch anmutenden Spätherbst Tage geben kann, an dem sich alles so vollkommen heiter fügt, „als wär‘ noch Sommer“, das beweist diese herrliche Aufnahme, die Leser Jörg Pielmann beigesteuert hat:
Na, wie finden Sie das? Wäre dieses an sich zweisitzige Cabriolet – hier mit drei Grazien – nicht ein Kandidat für eine Ausfahrt an einem Tag Ende Oktober, an dem zwar alle Blätter unten sind, aber ein Hauch von Sommer die Stimmung hebt?
Noch dazu haben wir hier einen gutmotorisierten Sechszylinder-Wagen der US-Marke Essex zur Verfügung, einer speziell für den europäischen Markt geschaffenen Schwester der bekannteren Marke Hudson.
Die markanten Sechseck-Nabenkappen sind ein erster Hinweis, die Gestaltung der Kühlerfigur liefert dann endgültige Gewissheit, was den Hersteller angeht. Die zwei Reihen Luftschlitze in der Motorhaube verraten schließlich das Modelljahr: 1929
Den serienmäßigen Werksaufbau mit im Heck liegender ausklappbarer Notsitzbank bezeichnete man in den Staaten als „Rumbleseat Roadster“ – das Automobil-Vokabular in den USA weicht deutlich von dem des früheren britischen Kolonialherren ab.
Mangels bezahlbarer heimischer Alternativen waren die Essex-Wagen der späten 1920er Jahre auch bei deutschen Käufern gefragt. Man findet sie oft auf zeitgenössischen Fotos, aber überlebt haben wohl keine in deutschen Landen. Oder doch?
Die Beschäftigung mit dergleichen unnützen Fragen anhand solcher Dokumente hat eine herzerwärmende Qualität, finde ich. Tun wir also einfach so, „als wär‘ noch Sommer“…
Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Wenn meine Blog-Einträge bisweilen – oder besser: fast immer – entschieden zu lang ausfallen, dann bin ich mir dessen bewusst.
Doch halte ich es mit dem auf eine ungeklärte Quelle zurückgehenden Bonmot, wonach ich meist nicht genug Zeit habe, um mich kurz zu fassen. Denn letzteres erfordert entweder viel Aufwand beim Schreiben oder beim Feinschliff vor der Fertigstellung.
Immerhin folgt auf jeden freigeschalteten Blog-Eintrag eine Korrektur- und Kürzungsrunde, von deren Ergebnis diejenigen leider nichts erfahren, die den Blog abonniert haben.
Würde ich diese Überarbeitung vor den Versand verlegen, bräuchte ich insgesamt noch länger, da ich dann alles ausmerzen müsste, was ich meist am Morgen „danach“ schnell korrigiere.
Wenn ich mir nun ausnahmsweise das Motto „Heute nur ganz kurz“ zueigen gemacht habe, dann hat das einen bestimmten Anlass.
Beim spätnachmittäglichen Besuch des Supermarkts in der benachbarten Kleinstadt „Spello“ (ich weile derzeit im italienischen Umbrien), dessen Auswahl und Qualität in deutschen Landen nur in großstädtischen Feinschmeckerzentren zu finden ist, fiel mir wie praktisch jedes Mal ein Fiat 500 der 60/70er Jahre ins Auge – diesmal knallrot lackiert und in schönem Zustand.
Nach meiner Erfahrung sind diese genialen Kleinwagen im italienischen Alltag nicht mehr so oft zu finden wie noch vor 30 Jahren. Aber ihr Anblick ist durchaus nichts Ungewöhnliches. Das liegt daran, dass sie bis heute ein unschlagbares Raumangebot für ihre Größe bieten und zugleich ideal für die engen Straßen vieler Altstädte mit wenig Parkraum sind.
Ein dermaßen kompaktes Auto mit soviel Nutzwert ließe sich angesichts der ungebremst wuchernden Regularien heute nicht mehr bauen – aus demselben Grund ist der Fiat „Panda“ der 80er Jahre ein noch viel häufigerer Vertreter seiner Art – oft als 4×4-Version.
Beim Anblick des Fiat 500 kam mir der Gedanke, dass es aktuell ja noch zwei Fotos in meinem Fundus zu „verarbeiten“ gilt, welche den Großvater des klassischen Fiat 500 zeigen – den ab 1936 eingeführten Typ 500A mit dem Spitznamen „Topolino“ – also „Mäuschen“.
Woher dieser rührte, wird beim Anblick der Frontpartie unmittelbar klar:
Fiat 500A „Topolino“ (dahinter ein Tatra 75, Hinweis von Leser H. Kasimirowicz); Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Spätestens jetzt wird auch klar, was ich mit „heute nur ganz kurz“ in Wahrheit meinte. Denn wie der 500er der Nachkriegszeit mit luftgekühltem Heckmotor war der Vorkriegs-Fiat (mit Frontmotor und Wasserkühlung technisch zwar anders geartet) vor allem eines: kurz.
Dass er dennoch wie ein richtiges Auto aussah – sogar mit windschnittiger Kühlerpartie, die bei Spitze 90 km/h kaum notwendig war – und dass er relativ erschwinglich war, das macht einen erfolgreichen Kleinwagen aus.
Kein Wunder, dass Fiat mit dem Topolino das mühelos gelang, woran deutsche Hersteller seit etwa 1920 vergeblich herumbastelten – ein richtiges Auto für jedermann (in der Mittelschicht).
Während in Deutschland endlos über einen Volkswagen geredet wurde, jede Menge Leute in der Theorie alles genau wussten, aber in der Praxis nicht lieferten und der „Volkswagen“ der 1930er Jahre bis in die frühe Nachkriegszeit nicht erhältlich war – baute Fiat im armen Italien einfach den „Topolino“ – und das gleich in weit über 100.000 Exemplaren bis 1948.
Wie war das noch einmal mit der einzigartigen deutschen Automobiltradition? Wenn ich etwas in den vergangenen fast 10 Jahren Bloggerei über Vorkriegsautos gelernt habe, dann dies:
Von wenigen Sternstunden abgesehen, war die Automobilindustrie in Deutschland von 1900 bis etwa 1930 in Sachen Technik, Gestaltung und Stückzahlen bestenfalls Mittelmaß.
Definiert man die wesentliche Innovation des Automobils damit, dass es möglichst vielen Menschen ein individuelles Reisen an beliebige Orte erlaubt – dann haben deutsche Hersteller vor dem Krieg kaum etwas dazu beigetragen.
Was dagegen Fiat bereits ab 1919 mit dem Großserientyp 501 anstellte, was Austin in England mit dem „Seven“ und Citroen in Frankreich mit dem „5CV“ ab Anfang der 20er tat – das waren „die“ Impulse in Richtung Volksmotorisierung in Europa.
Wäre das Potenzial des Volkswagenwerks nach dem 2. Weltkrieg nicht von den britischen Besatzern erkannt worden, wäre die Nachkriegsmotorisierung Deutschlands vermutlich ebenfalls von Fiat nebenher mit erledigt worden.
Wie es der Zufall will, haben wir hier sogar noch einen Vorkriegs-Topolino, der ausweislich des Nummernschilds im Nachkriegs-Osnabrück der späten 1950er oder frühen 60er Jahre treue Dienste leistete:
Fiat 500 A „Topolino“; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Wer so einen Wagen – der in beachtlichen Zahlen auch als NSU-Fiat in Heilbronn gefertigt wurde – über den Krieg gerettet hatte, hatte damit bei aller Bescheidenheit immer noch das bessere Gefährt als diejenigen, die auf die vielen, oft absurden deutschen Kleinstautos der Wiederaufbauzeit zurückgreifen mussten, weil der „Käfer“ von VW viel zu teuer war.
Zusammen mit den hervorragend gestalteten und geräumigeren, aber leider nicht so dauerhaften Zweitakt-DKWs gehörten die Vorkriegs-Topolinos zum besten, was man in der Kleinwagenklasse kurz nach dem 2. Weltkrieg fahren konnte – wenn man das Geld hatte.
Nur eines konnte man auf so einem „kurzgefassten“ Fiat nicht wirklich überzeugend tun – lasziv posieren wie eine Diva auf der langen Haube eines Sechs- oder Achtzylinders.
Wenn es diese junge Dame dennoch versucht, mag das ein wenig von dem Lebensgefühl vermitteln, was der Besitz eines solchen Autos einst vermittelte:
Fiat 500 A „Topolino“; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Das war es heute „nur ganz kurz“ zu einem Automobil, dessen Rang man trotz seines verniedlichenden Spitznamens nicht groß genug einschätzen kann.
Wenn Sie jetzt trotz aller relativer Kürze doch noch Lust auf mehr in Sachen Fiat „Topolino“ haben, dann werden Sie entweder auf Ferdinand Lanners fabelhaften Fiat-Seiten fündig oder auch in meinem Blog, zum Beispiel bei diesem Bilderreigen.
Doch ich muss Sie warnen: In beiden Fällen wird das Vergnügen eines nicht: kurz!
Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Nach meiner jüngsten Abhandlung zum Cadillac des Modelljahrs 1930 hatte ich einen aufregenden Traum – darin ging es nicht gerade jugendfrei zu. Das lag daran, dass das Erlebte den Besitz eines Führerscheins und zumindest oberflächliche Erfahrung im Umgang mit klassischen Automobilen voraussetzte.
So fand mich in einer großen Scheune wieder, in der sich neben technischen Geräten, Werkzeugen und Autoteilen ein offener Zweisitzer der 50/60er Jahre befand – eingestaubt und mit Spuren eines langen Lebens, aber augenscheinlich komplett.
Aus dem Schatten trat jemand hervor, der sich als Bekannter des Besitzers vorstellte. Er habe den Wagenschlüssel, ob ich das Auto nicht mal fahren wollte? – So fragte er mich.
Ich bejahte, wollte mir den Wagen wegen offensichtlich längerer Standzeit aber erst genauer ansehen. Wir öffneten die Haube und warfen gemeinsam einen Blick darunter.
Ein Vierzylinder mit obenliegenden Nockenwellen und zwei Doppelvergasern war zu sehen – ein leistungsstarkes und drehfreudiges Aggregat, wie es einst vor allem Alfa-Romeo zu hunderttausenden selbst in Familienautos verbaute, was sich kein deutscher Serienhersteller in der Mittelklasse zu fertigen traute – soweit ich weiß.
Wir testeten die Gängigkeit der Vergaser, bauten eine Batterie ein, prüften Zündspannung und Benzinzufuhr und ließen den Motor ohne Kerzen drehen, bis die Öldruckanzeige – bei deutschen Autos kaum zu finden – auf einen gesunden Wert stieg.
Der Kraftstoff machte noch einen guten Eindruck und so probierten wir unser Glück – der Motor sprang nach einigen Umdrehungen unter einigem Stottern an und lief bald rund. Der Unbekannte ermutigte mich, einzusteigen und den Wagen rückwärts herauszumanövrieren.
Die Bremsen hatte ich nicht getestet, und an dieser Stelle wurde aus der Sache ein Alptraum. Denn die Ausfahrt rückwärts aus der Halle entpuppte sich als abschüssig, der Weg wurde schmaler und verlief schließlich einspurig eng in einer Kurve mit Metallzäunen links und rechts.
Nun, die Sache verlief glimpflich, da der Weg wieder anstieg, bevor er in einer Sackgasse endete. Später fuhren wir dann mit dem Wagen noch in sportlicher Gangart über eine unbefestigte Landstraße und dabei ging es zu meinem Ärger durch eine große Pfütze, die verräterische Spuren an dem Wagen hinterlassen würde.
Doch es machte Spaß, der Motor klang großartig und nahm das Gas willig an. Eine Edelstahlauspuffanlage sorgte für einen metallischen Klang – genau mein Geschmack.
An weitere Details erinnere ich mich nicht – irgendwann stand der Wagen wieder in der Scheune und ich drapierte zur „Tarnung“ einige Herbstblätter darauf.
Nach diesem Abenteuer erwachte ich und da noch Zeit bis zum Aufstehen war, überließ ich mich meinen Gedanken. Bald stellte sich eine Frage ein, die an den Cadillac-Blogeintrag anknüpfte.
Darin hatte ich erwähnt, dass die Cadillacs der späten 1920er Jahre das formale Vorbild für die 8-Zylinderwagen der sächsischen Marke Horch abgegeben hatten.
Doch im Lauf der 1930er Jahre war Schluss damit – Horch stand mit einem Mal für eigenständige gestalterische Meisterstücke wie das Modell 853:
Horch 8 Typ 853 Sportcabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Mir ging die Frage durch den Kopf, wann genau der Moment in der Geschichte der Horch-8-Zylinderwagen war, als man sich vom US-Vorbild emanzipierte.
Das wollte ich klären und gleichzeitig ein Motto finden, unter dem sich dieser bedeutende Schritt beschreiben lässt. Dies beschäftigte meine grauen Zellen während einer längeren Autofahrt.
Nach einer Weile wurde mir das Ergebnis präsentiert – „Vom Ich zum Selbst“ sollte in der Titelzeile stehen. Ein Weg, der zunächst einmal für jeden von uns relevant sein kann. Irgendwann in früher Kindheit erkennen wir uns als „Ich“ in Abgrenzung von den anderen und von da an haben wir Erinnerungen an Erlebtes.
Das „Ich“ kann sich lange Zeit vollkommen in Einklang mit „den anderen“ befinden, teils wird es dazu erzogen, teils ist es von sich aus bestrebt, sich an Vorbildern zu orientieren.
Was man in dieser Zeit als „seinen Stil“ entwickelt ist meist eine Kopie etablierter oder sich für solche ausgebender Personen. Man kommt sich dabei furchtbar individuell vor – besonders kurios sind die, welche aus Protest gegen die Massengesellschaft alle dieselben Insignien des Desinteresses tragen, dieselben Bücher lesen usw.
Diese Phase in der Persönlichkeitsentwicklung kann sich hinziehen, irgendwann stellen sich praktischere „Probleme“ ein und das Interesse an einer Ausgestaltung des Ich erlahmt. Die meisten bleiben mit ihrem „Ich“ der Masse verhaftet, fungieren als Rädchen im Getriebe. Das ist der Normalzustand in einer Gesellschaft.
Interessant – im Guten wie im Schlechten – wird es, wenn Einzelne in sich Wesenszüge entdecken oder heranzüchten, welche sich nicht aus anderen Vorbildern ableiten. Dann entdeckt man ein inneres, autonomes Selbst, welches sich zum Vorschein bringen lässt – zur Freude oder zum Leidwesen anderer.
Wie der Weg vom „Ich“ zum „Selbst“ auf dem Umweg über das bloße Nachahmen zu den schönsten eigenständigen Schöpfungen führen kann, das lässt sich im Fall der Horch 8-Zylinderwagen exemplarisch zeigen:
Frisch auf die Welt gekommen stellte sich der erste Horch 8 des Baujahrs 1927 nur mit einem rein physischen „Ich“ dar. Denn es war äußerlich ein Auto wie jedes andere seiner Zeit am deutschen Markt – bar jeden Charakters:
Horch 8 von 1927; Originalfoto Michael Schlenger
Die fast völlige Abwesenheit individueller Züge war um die Mitte der 1920er Jahre typisch für viele Serienautomobile aus deutscher Produktion. Der Verzicht auf gefällige Details und dem Auge schmeichelnden Zierrat spiegelte die Glaubenssätze der Bauhaus-Ideologen wider.
Man erkannte bei Horch indessen rasch, dass man den grandiosen und sehr teuren 8-Zylindermotor nicht auf Dauer in einer dermaßen banalen Hülle verstecken konnte, wenn man nicht nur einem Spleen folgen, sondern am Markt Erfolg haben wollte, der in diesem Segment von markant gestalteten US-Automobilen dominiert wurde.
Das „Ich“ sollte nun auch zur Persönlichkeit heranreifen und weil man hoch hinaus wollte, nahm man genau Maß an den 8-Zylinderwagen der Marke Cadillac.
Schon ab 1928 zeigte sich der Horch mächtig in Schale geworfen und nur wenige Details unterschieden ihn äußerlich vom modisch führenden Zeitgenossen aus den Staaten:
Horch 6 Typ 350; Originalfoto: Matthias Schmidt (Dresden)
Wie das bisweilen so ist, wenn sich das „Ich“ auf der Suche nach Ausdruck seiner Persönlichkeit übermäßig an anderen orientiert, wird gern ein wenig in die Richtung übertrieben, welche den als Vorbild dienenden Stil ausmacht.
So hängt man sich bei Bedarf noch etwas mehr Lametta um, damit auch jeder sieht: „Ich bin ein Amerikaner“ (frei nach JFK), auch wenn man eigentlich aus Sachsen kommt:
Horch 8 Typ 375; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Der bis 1931 gebaute Horch 375 mit dreiteiliger Stoßstange – nicht bei Cadillac, sondern beim 1929er Buick abgeschaut – markiert zugleich den Gipfel der Anpassung und deren Ende.
Denn die anschließenden Modelle von Horch erhielten nicht nur komplett neu konstruierte (weniger aufwendige) Achtzylindermotoren, sondern lassen zunehmend die Tendenz erkennen, auch äußerlich eigenständig zu werden.
Die Suche nach einem „Selbst“, das aus sich heraus wirkt und keinerlei Vorbild mehr nachahmt, zeitigt ab 1932 erkennbar Erfolg – hier am Beispiel des Horch 8 Typ 500 B:
Horch 8 Typ 500 B; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Mit dieser Frontpartie hatte Horch sich vom Vorbild Cadillac emanzipiert und ging nun immer deutlicher seine eigenen Wege.
Die Gestalter bei Horch hatten offenbar auch ihr eigenes „Selbst“bewusstsein entdeckt und gaben der Marke von nun an ein unverwechselbares Gesicht, das bis heute als ikonisch gilt und Sammler auf der ganzen Welt begeistert.
Hier ein Horch 8 des Typ 710 oder 720 auf einer auf 1940 datierten Aufnahme, die aber deutlich vor Kriegsbeginn entstanden sein muss:
Horch 8 Typ 710 bzw. 720; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Hier bestand schon lange keine Verwechslungsgefahr mehr – dies war kein ängstlich um Anpassung bemühter Vertreter seiner Zunft, sondern ein stolzes automobiles Individuum.
Nachtrag: Leser Ulrich Landeck aus der Schweiz schreibt hierzu: „Dieses Bild ist in Zürich entstanden, das im Hintergrund sichtbare Gebäude ist das „Mythenschloss“, das 1926 bis 1928 als herrschaftliches Mehrfamilienhaus in schönster Lage am Zürichsee errichtet worden war. – Die Datierung „1940“ halte ich für absolut glaubhaft, denn in der Schweiz hatte sich ja der Zweite Weltkrieg noch nicht ausgewirkt, also auch nicht in der Beschränkung von Kraftstoff.„
Am Ende stand dann die so nur bei Horch zu findende großartig durchgestaltete Kühlerfront des bereits eingangs gezeigten Modells 853 in Verbindung mit sensationellen Aufbauten speziell als Sport-Cabriolet, wie sie deutsche Spitzenautomobilen auszeichneten.
Diese eigenständige und auf die Spitze getriebene, nach herkömmlichen Maßstäben „unvernünftige“ Linienführung macht einen Horch des Typs 853 auch dann sofort als solchen erkennbar, wenn er wie hier hastig durch ein Fenster fotografiert wurde:
Horch 853 Sport-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Mit den 8-Zylinderwagen der späten 1930er Jahre war Horch also unübersehbar endgültig bei sich selbst angekommen.
Tragischerweise – vielleicht aber auch typischerweise – ging diese kühne Reise an die äußersten Grenzen des Machbaren in einer Zeit zuende, in welcher der Einzelne mit einem aus der Masse herausragenden, autonomen „Selbst“ nicht mehr gefragt war.
Stattdessen wurde das Kollektiv zum Maß aller Dinge erhoben und der Drill zum Gehorsam gegenüber der Obrigkeit allgegenwärtig – nebenbei ein gemeinsames Merkmal antiliberaler und antibürgerlicher Systeme – ganz gleich, wie sie sich nennen, wo sie im Links-Rechts-Schema verortert sind oder welcher Farben, Fahnen und Uniformen sie sich bedienen.
Für den Einzelnen ist letztlich nur eine Frage relevant: Lässt man mich auf dem Weg von meinem „Ich“ zu meinem ureigenen „Selbst“ in Ruhe?
Dieser Weg muss jedem freistehen. Dann wird sich zeigen, wer bloß Teil einer allgemeinen Bewegung sein will und wer selbst eigenen Antrieb entwickelt, Motor großartiger Neuerungen wird oder auch einfach nur sein Selbst für sich und ausgewählte andere entfalten möchte…
Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog
Auch wenn ich selbst nicht zu den passionierten Familienmenschen zähle, sagt mir der Verstand, dass die Familie für die meisten Menschen die wichtigste Gemeinschaft ist.
Sie ist die kleinste Einheit, die aus sich heraus die Welt reproduzieren kann, ohne dass es dazu mehr bedarf als weiterer Familien, die vor denselben Herausforderungen stehen und dasselbe Können in sich vereinen, die Gegenwart und die Zukunft zu gestalten.
Das war über Jahrtausende so, lange bevor es überhaupt so etwas gab wie einen Staat, dessen Vertreter in Festtagsreden betonen, wie wichtig die Familie ist – nur um ihr anschließend immer mehr in Belange hineinzuregieren, die ihn nichts angehen.
Immerhin hatten die Vertreter der Obrigkeit die längste Zeit meist selbst Kinder und damit zumindest eine Gemeinsamkeit mit der Masse der Bürger, über die sie herrschten.
In Deutschland fällt indessen auf, dass seit einer Generation die Kinderlosen an den Schaltstellen der Macht weit überrepräsentiert sind. Das darf man für ebenso bedenklich halten, wie wenn ein Staatenlenker keine Ahnung von der Entwicklung des Benzinpreises hat, weil er den Sprit für seine Panzerlimousine nicht selbst zahlen muss.
Vor diesem Hintergrund fordere ich – selbst kinderlos, aber eben auch nicht der Anmaßung verfallen, über die Zukunft einer Gesellschaft zu befinden – ganz klar Vorfahrt für die Familien.
Jede Familie hierzulande sollte aus eigenen Kräften imstande sein, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten und dabei einen soliden Wohlstand zu erlangen, der eine eigene Wohnung und mindestens ein ausreichend dimensioniertes Auto umfasst.
Das war in meiner Kindheit während der 1970/80er Jahre zumindest in der Bundesrepublik klar der Fall. Unsere Nachbarn, die alle Einfamilienhäuser mit großzügigen Grundstücken besaßen, waren mitnichten nur Akademiker, Beamte oder spezialisierte Fachleute – es waren einige fleißige Arbeiter dabei, die mit nur einem Einkommen und Eigenarbeit ebenfalls ein Haus hatten und obendrein deutsche Autos kauften.
Das kann man im angeblich reichen Deutschland des 21. Jh. völlig vergessen. Die breite Masse ist nicht nur relativ betrachtet verarmt. Sie wird gleichzeitig über steigende Verbrauchsteuern gemolken und mit Dutzenden von Almosen über Wasser gehalten.
Der in alle Lebensbereiche hineinwuchernde Staat muss sich drastisch beschränken – und zwar auf seine Kernaufgaben, die er vernachlässigt, obwohl seine Einnahmen laufend steigen.
Stets „Vorfahrt für Familien“ sollte es dagegen heißen und illustrieren möchte ich diese Forderung mit einer passenden Aufnahme aus meinem Fundus:
Citroen C4 oder C6 „Grand Luxe“ mit „Familiale“-Aufbau: Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Gewiss, als diese Aufnahme entstand – Anfang der 1930er Jahre – war der Besitz eines so großzügigen Automobils in Europa ein Luxus, den sich die Durchschnittsfamilie nicht leisten konnte.
Kein Zufall, dass der Hersteller der Sechsfenster-Limousine – Citroen – diese spezielle Ausführung auf Basis ihres Modells C4 bzw. C6 (mit vier bzw. sechs Zylindern) mit dem Zusatz „Grand Luxe“ versah.
Doch gleichzeitig spielte man mit der Bezeichnung des geräumigen Aufbaus als „Familiale“ auf die eigentliche Zielgruppe an – nämlich Familien mit mehr als nur zwei Sprösslingen.
Dass ich dies so genau sagen kann, verdanke ich nicht eigener Weisheit oder aufwendigen Recherchen. Vielmehr lieferte mir Leser (und Kenner) Gerd Klioba hier vor Jahren in einem Kommentar zu einer weiteren Aufnahme eines auf den ersten Blick identischen Wagens die entscheidenden Hinweise.
Damals hatte ich dieses Foto besprochen, das deutsche Soldaten zeigt, die im 2. Weltkrieg mit einem im besetzten Frankreich beschlagnahmten Citroen des Typs C4 bzw. C6 unterwegs waren:
Citroen C6G; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Der entscheidende Hinweis auf die 6-Zylinderversion ist die Zahl der seitlichen Lüftungsklappen in der Motorhaube. Fünf – wie hier zu vermuten – waren dem Sechszylinder C6 vorbehalten, während der C4 deren vier besaß.
Zudem weist die ganz links zu erkennende einteilige Stoßstange auf die „normale“ Ausführung als C6G hin, auch wenn hier ebenfalls ein „Familiale“-Aufbau als Sechsfenster-Limousine zu sehen ist.
Die aufwendiger ausgestattete „Grand Luxe“-Version, die es mit vier wie mit sechs Zylindern gab, zeichnete sich äußerlich durch die zweiteilige Stoßstange aus. Genau dieses Detail findet sich an dem eingangs gezeigten Citroen.
Die junge Frau vor dem Wagen – wohl eine Bedienstete im Haus der Besitzer – hatte den richtigen Instinkt bewiesen. Vielleicht dachte sie daran, dereinst eine Familie zu gründen (womöglich mit dem Chauffeur, wer weiß?) und sich dann mit ganz viel Fleiß einen Wohlstand zu erarbeiten, der dann auch ein Auto für die ganze Familie umfasste.
Anstatt plumper Umverteilung von oben nach unten, die kein strukturelles Problem löst und die „kleinen Leute“ nur in die Abhängigkeit von einem vermeintlich wohlmeinenden Staat stürzt, hätte diese junge Frau vielleicht bloß „Vorfahrt für die Familie“ gefordert.
Das heißt: die in Ruhe ihr Leben leben lassen, die das ganz aus eigenen Kräften können und die mit dem „Familiale“ die entscheidende Basis für die Zukunft schaffen. Denn das ist etwas, was der Staat erwiesenermaßen nicht kann, mögen seine Vertreter für sich auch noch sehr „Grand Luxe“ auf Kosten der Allgemeinheit in Anspruch nehmen…
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Die Welt ist ungerecht – das gilt von jeher für die Ungleichverteilung gewisser äußerer Merkmale. Aber es gibt auch Abhilfe, wie wir heute sehen werden.
Von der Natur weniger großzügig mit optischen Reizen bedachte Damen haben früh Wege ersonnen, dies entweder kosmetisch oder mit purem Charme zu übertünchen.
Schwerer hatten es von jeher die Herren speziell dann, wenn sie etwas klein geraten waren. Schmale Schultern und Bauchansatz ließen sich ja bis in gewisser Hinsicht kompensieren – mit breiten Schulterstücke bei Uniformen hoher Militärs und zweireihigen Jacketts etwa.
Aber der kleiner Mann – der muss sich irgendwie mit seinem wenig imposanten Erscheinungsbild arrangieren. Dafür stehen ihm verschiedene Möglichkeiten offen:
Er kann durch schiere Leistung begeistern, als Beispiel fällt mir Tazio Nuvolari ein, einer der größten Rennfahrer überhaupt – und das mit ganzen 1,60 m!
Der kleine Mann kann sein Geltungsbedürfnis aber auch in der Politik ausleben, wie das seit Napoleon auffällig oft der Fall ist – manch‘ einem fallen auch aktuelle Beispiele ein, bei denen ein ungesundes Streben nach Größe eher schädliche Folgen zeitigt.
Als dritte Möglichkeit bleibt die, sich durch Erwerb von Statussymbolen quasi selbst als Heros über die schnöde Masse zu erheben. Das Automobil bot vom ersten Tag an beste Voraussetzungen für dergleichen Ablenkungsmanöver und mein Eindruck ist der, dass einige Frauen immer noch darauf hereinfallen – gut so für den kleinen Mann!
Wenn Sie jetzt den Kopf schütteln und sagen, dass die im Titel erwähnte Marke Fiat doch für diese therapiebedürftigen Fälle nichts im Angebot hatte, sondern nur für ökonomisch wirklich „kleine Leute“, dann kann ich Ihnen nur bedingt recht geben.
Die Turiner Marke bot nicht nur vor dem 1. Weltkrieg Luxuswagen an, die international hoch angesehen waren, sie baute auch nach Einführung des für europäische Verhältnisse revolutionären Kleinwagentyps 501 anno 1919 weiterhin auch große und starke Modelle.
Spektakulär war der ab 1922 gebaute Fiat 519 mit fast 80 PS leistendem 6-Zylindermotor und hydraulischen (!) Vierradbremsen. Ein Foto dieser Rarität konnte ich vor Jahren dingfest machen:
Fiat 519 Chauffeur-Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Nachfolger des sensationellen Fiat 519 wurde ab 1927 der nicht ganz so grandiose, aber immer noch beeindruckende Typ 525. Mit knapp 70 PS aus 3,7 Litern Hubraum bot er nach wie vor souveräne Leistung als kraftvoller Reisewagen im vielerorts bergigen Italien.
Doch dachte man bei Fiat auch an den Repräsentationsbedarf des „kleinen Manns“ in der gehobenen Mittelklasse.
So wusste man, dass ein 6-Zylinder für manchen beruflich erfolgreichen Käufer ein wichtiger Erfolgsausweis war – nur einigermaßen bezahlbar sollte er sein und weniger gigantisch daherkommen wie das Spitzenmodell, das eher in den Vorstandsetagen der schon damals hochentwickelten Industrie Norditaliens zuhause war.
So bot man parallel auf etwas kürzerem Chassis und mit „kleinem“ Sechszylinder den Typ 520 an, welcher 45 PS aus 2,3 Litern schöpfte. Das klingt nicht mehr so beeindruckend, doch um bei den Zeitgenossen groß herauszukommen, genügte das Erscheinungsbild.
Ein hübsches Beispiel dafür haben wir, wo gleich mehrere sich als Dandy gebende junge Herren neben einem solchen Fiat posieren:
Fiat 520 Tourer; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Interessant ist hier, dass als Aufnahmeort Czarnikow angegeben ist, das in der ehemaligen Provinz Posen lag. Fiat war auch mit diesen gehobenen Modellen international auffallend präsent und gehörte neben den US-Herstellern zu den damals erfolgreichsten Exporteuren.
Aufgrund der Aufnahmesituation fällt hier kaum auf, dass es sich eigentlich um eine offene Version als Tourenwagen handelt. Mit geschlossenem Verdeck wirkte der Fiat beinahe so imposant wie in der Limousinenausführung.
Diese gab es natürlich auch – hier ein 6-Fenster-Exemplar mit deutscher Zulassung:
Fiat 520 Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Fiats mit kompaktem 6-Zylindermotor erfreuten sich demnach auch in Deutschland einiger Beliebtheit bei den „kleinen Leuten“, denen ein großes Aggregat schlicht zu teuer war. Dass sie kein deutsches Fabrikat wählten, lag schlicht an der mangelnden Verfügbarkeit seitens der in dieser Klasse noch rein in Manufaktur arbeitenden heimischen Hersteller.
Dagegen war Fiat durch frühzeitige Übernahme US-amerikanischer Produktionsmethoden imstande, auch die größeren Typen in industriellem Maßstab – d.h. in hohen Stückzahlen und zum konkurrezfähigen Preis – zu fertigen.
So hatten die Turiner am deutschen Markt der Zwischenkriegszeit leichtes Spiel – ihre Wagen gehörten in allen Größenklassen zum Straßenbild, was sich bei heutigen Klassikerveranstaltungen hierzulande nicht annähernd widerspiegelt.
Da ist es nur konsequent, wenn das für heute letzte Foto eines Fiat 520 – dieses habe ich noch nicht bereits an anderer Stelle präsentiert – wieder einen in Deutschland zugelassenen Wagen zeigt.
Und dass der wirklich etwas für kleine Leute war, davon können Sie sich nun zum Abschluss selbst überzeugen:
Fiat 520 Tourer; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
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Auch heute beginne ich mit einer persönlichen Erinnerung in Sachen Nachkriegs-Automobilbau aus deutschen Landen. Der erste und letzte Wagen der Marke Audi, der mich faszinierte, war der aerodynamisch optimierte und dennoch elegante V8 von 1988.
Er vereinte die ästhetische Klarheit des Audi 100 C3 – bei Erscheinen 1982 eine Sensation – mit souveräner Oberklasse-Motorisierung, die man bei der Marke bis dato vermisste.
Das nächste Mal, dass ich mich für Audis erwärmen konnte, war nachdem ich diesen Blog vor bald 10 Jahren begann. Dabei stellte ich fest, dass die Audis der Vorkriegszeit außer dem Namen so gut wie nichts mit den späteren verband – tatsächlich wurde die Marke nach dem Krieg völlig neu gegründet, ohne dass es eine echte Kontinuität gab.
Bemerkenswert auch, dass dem Ingolstädter Massenfabrikat von heute eine reine Manufakturfabrikation mit teils extrem niedrigen Stückzahlen in der Vorkriegszeit gegenüberstand. Vorkriegs-Audis gehören zu den seltensten deutschen Wagen ihrer Zeit.
Eine Gemeinsamkeit findet sich dann doch – der fehlenden Traditionslinie zum Trotz. So brachte Audi kurz vor dem 1. Weltkrieg ein Premium-Auto heraus, dessen Leistungsfähigkeit die bisherigen Typen A bis D (22 bis 45 PS) in den Schatten stellte.
Mit der Premiere des Typs E 22/55 PS, der über einen 5,7 Liter großen Vierzylindermotor verfügte, stieg Audi anno 1913 in die damals hochexklusive Liga der Serienwagen auf, die eine Spitzengeschwindigkeit von 100 km/h erreichen konnten.
Freilich fällt es schwer, in diesem Fall von einem Serienauto zu sprechen – denn bis Produktionsende 1924 entstanden nur rund 300 Exemplare. Dass ich davon überhaupt Fahrzeug auf historischen Fotos zeigen kann, das verdanke ich Lesern meines Blogs, deren Sammlungen meinen eigenen Fundus übertreffen:
Audi Typ E 22/55 PS; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks
Hier haben wir einen prächtigen Tourer auf einer Aufnahme, die mir Klaas Dierks zur Verfügung gestellt hat, der in Sachen Vorkriegs-Audis besonders gut sortiert ist.
Jetzt mögen Sie sich fragen, woran man hier erkennen soll, dass dieser Wagen mit einem keinesfalls ungewöhnlichen Tourenwagenaufbau der frühen 1920er Jahre mit der damals beliebten „Tulpen“-Karosserie und kantig ausgeführter „Schulter“ ein Audi war.
Nun, wie fast immer in solchen Fällen aus der Zeit bis etwa 1930 findet sich die Antwort am vorderen Ende – der Kühlerpartie, um genau zu sein.
Ein auf den ersten Blick überraschendes Vergleichsexemplar, das ich schon einmal präsentieren durfte, zeigt diese Aufnahme aus der Sammlung von Leser Matthias Schmidt:
Audi Typ E 22/55 PS; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)
Hier sieht man in aller Klarheit und Schärfe das, was die Audis der Zeit direkt nach dem 1. Weltkrieg unverwechselbar machte – ein Spitzkühler, der nach unten hin weiter vorsprang.
Diese bei deutschen Herstellern einzigartige Gestaltung erlaubt auch die Ansprache des Wagens auf dem Foto von Klaas Dierks als Audi jener Zeit.
Dazu werfen Sie bitte einen genauen Blick auf die Frontpartie unterhalb der Scheinwerfer und noch unterhalb der kleineren Lampen, welche der Ausleuchtung der Straßenseite speziell in Kurven auf dunklen Landstraßen dienten:
Haben Sie dort die vorspringende Kante des Kühlers entdeckt? – Gut, denn in Verbindung mit dem aufgesetzten ovalen Kühleremblem und den (oft verbauten) Drahtspeichenrädern ist dies ein untrügliches Indiz dafür, dass man es mit einem Audi zu tun hat.
Nun gilt es „nur“ noch, den genauen Typ zu bestimmen.
Audi bot nach dem 1. Weltkrieg drei bewährte Modelle an: Das kleinste war der noch 1914 eingeführte Typ G 8/22 PS, den wir hier getrost ausschließen können. Daneben gab es weiterhin das meistverkaufte Modell C 14/35 PS mit 3,6 Litern Hubraum.
Nach oben abgerundet wurde die Palette durch den erwähnten Premiumtyp E 22/55 PS. Ich schätze, dass das Bild aus der Sammlung von Klaas Dierks wahrscheinlich ein entsprechendes Modell zeigt.
Letztendliche Gewissheit dürfte diesbezüglich nicht zu erlangen sein, da der schwächere C-Typ in einigen Fällen mit einem längeren Radstand ausgeliefert wurde, welcher in etwa dem kürzesten Chassis des E-Typs entsprach.
Da sich der Fall aber ohnehin nicht mehr klären lässt und ich hier als „Blog-Wart“ das Sagen habe, gefällt mir die Lösung, dass wir es wohl mit dem ersten Premium-Audi zu tun haben, welcher seine Premiere 1913 erlebte und bis fast zur Mitte der 1920er Jahre durchhielt.
Für echte Audi-Gourmets ist so etwas reizvoller als die massenhaft als Vertreterwagen die linke Spur der Autobahn bevölkernden Wiedergänger, die zudem noch die vier Ringe der einstigen Auto-Union tragen, die ihnen meiner Meinung nach kaum zustehen…
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Wann waren Sie das letzte Mal vom Aussehen eines neuen deutschen Autos wirklich begeistert?
In meinem Fall ist das über 10 Jahre her – der 2012 eingeführte Mercedes-Benz CLS in der hocheleganten und radikal unvernünftigen Version als „Shooting Brake“ hatte es mir wirklich angetan – zum ersten Mal seit Daimlers S-Klassen-Coupé der 1980er Jahre.
Seither deprimiert mich nur noch, was aus den Fabriken hierzulande rollt – ganz abgesehen vom selbstmörderischen Opportunismus, mit dem man sich der realitätsentrückten Automobil-Planwirtschaft der EU-Priesterkaste und ihrem Elektrokult unterwirft.
Ein Grund mehr, Ablenkung in der Zeit vor rund 100 Jahren zu suchen, in der kaum etwas besser war als heute – bis auf drei Dinge: Manieren, Kleidung und das Erscheinungsbild der meisten Automobile.
Den Beweis dafür will ich heute am Beispiel eines der meistverkauften deutschen Wagens der ersten Hälfte der 1920er Jahre erbringen. Und am Ende werden Sie vielleicht meinem Urteil zustimmen: Wahre Schönheit altert nicht!
Eine erste Ahnung in der Richtung vermittelt uns diese Dame, die einst an einem kalten Tag im offenen Wagen unterwegs war und sich entsprechend ausstaffiert hatte:
Presto Typ D 9/30 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Der Tourer, neben dem sie steht, gehört zu den wenigen Autos jener Zeit, die sich bereits anhand eines derartigen Bildausschnitts sicher identifizieren lassen.
Denn die Kombination aus vorn spitz zulaufenden Kotflügeln und sechs in der hinteren Haubenhälfte angeordneten Luft“kiemen“ gab es nur bei einem Modell – dem Typ D 9/30 PS von Presto aus Chemnitz in Sachsen.
Dass dieses Exemplar über nachgerüstete Radabdeckungen verfügt und vom markanten Kühler wenig zu sehen ist, stört dabei nicht.
Wir sehen dasselbe Fahrzeug hier auf einer zweiten Aufnahme, welche die bis auf den Spitzkühler völlig beliebige Linienführung erkennen lässt:
Presto Typ D 9/30 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Tatsächlich war es die Kühlerpartie, welche dem von 1921-25 in etlichen tausend Exemplaren gebauten Vierzylindermodell ihr unverwechselbares Erscheinungsbild gab.
Spitzkühlerwagen gab es nach dem 1. Weltkrieg in Deutschland und Österreich wie Sand am Meer – eine Mode, welche in anderen Ländern nicht annähernd so ausgeprägt war.
Vielleicht war der Alltag nach dem verheerenden Ausgang des 1. Weltkriegs mit britischer Hungerblockade und den mörderischen Lasten des Versailler „Vertrags“ so deprimierend, dass man gezielt überall dort den Exzess suchte, wo es noch ging.
Neukonstruktionen waren bei den meisten Herstellern nicht drin, sodass die Technik überwiegend auf Vorkriegsniveau blieb. Dafür traute man sich etwas, wo es kaum mehr kostete – aber wirksam war: an der aufmerksamkeitsstarken Frontpartie:
Presto Typ D 9/30 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Man bekommt hier ansatzweise eine Vorstellung wie scharfkantig der Kühler des Presto D 9/30 PS ausgeführt war. In Verbindung mit der leicht tropfenförmig zulaufenden Spitze des oberen Kühlerabschlusses machte das kein anderer Hersteller so.
Zweifellos sehr wirkungsvoll, aber gewiss noch nicht umwerfend.
Immerhin bot Presto werksseitig auch eine sportlicher daherkommende Variante an, die ich hier bereits einige Mal dokumentieren konnte – etwa anhand dieses Beispiels:
Presto Typ D 9/30 PS Sport-Tourer; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)
Technisch war dieses dank Drahtspeichenrädern und abgespecktem Aufbau leichtfüßig erscheinende Gerät praktisch identisch mit dem herkömmlichen Tourer, aber es sah schon richtig flott aus und ließ sich dank niedrigeren Gewichts auch agiler bewegen.
Doch würde man dieser auf’s Nötigste reduzierten Ausführung für den sich sportlich gebenden Käufer einen Schönheitspreis verleihen? Schwer zu sagen – heute wohl schon, allein schon mangels Konkurrenz am deutschen Markt – doch vor 100 Jahren eher nicht.
Damals war bei den einschlägigen Schönheitskonkurrenzen etwas anderes gefragt, was in der französischen Bezeichnung dieser meist an an mondänen Orten stattfindenden Veranstaltungen anklingt: Concours d’Elegance!
Und auf etwas in der Richtung stieß ich heute beim Durchblättern der mir im Original vorliegenden „Berliner Illustrirten Zeitung“ von August 1922. Dort waren nämlich zwei beim bekannten Concours in Baden-Baden ausgezeichnete Wagen abgebildet.
Der eine war ein mächtiger Mercedes, den ich bei Gelegenheit ebenfalls bringen werde, und der andere war ein eher kompakter Presto Typ D 9/30 PS, aber nun mit einer extravaganten Manufakturkarosserie, die sicher nicht im Werk entstanden war:
Presto D 9/30 PS mit Bootskarosserie; Abbildung aus „Berliner Illustrirte Zeitung“ Nr 32 von August 1922 (Original aus Sammlung Michael Schlenger)
Nur die Gestaltung des Kühlers und der Vorderkotflügel entspricht noch der Serienversion – die übrige Karosserie ist im Stil eines Boots ausgeführt, eine damals für Spezialaufbauten gern gewählte modische Form.
In diesem Fall scheint man sich bei der Gestaltung des Scheibenrahmens sogar am Spitzwasserschutz eines Motorboots orientiert zu haben – bewusst gesehen habe ich das bei anderen Wagen mit ähnlicher Karosserie so noch nicht.
Die Anleihe beim Bootsbau wird auch durch die Planken andeutende Lackierung unterstrichen, deren Farbschema sich leider nicht rekonstruieren lässt.
Jedenfalls wird der Auftritt dieses Presto „live und in Farbe“ noch wesentlich effektvoller gewesen sein, als es diese alte Schwarzweiß-Wiedergabe ahnen lässt.
Dennoch darf man hier mit Fug und Recht behaupten „Wahre Schönheit altert nicht“ – und ob Sie das jetzt auf den Wagen beziehen oder auf die Gesamtsituation oder auch nur auf die leider namenlose Begleiterin des „Herrn Hoffmann“ – vielleicht seine Tochter oder die Sekretärin – das bleibt ganz Ihnen überlassen.
Solange Sie in Beiträgen wie diesem einen Hafen sehen, in dem Sie für eine Weile Erholung vor dem Irrsinn und den Geschmacklosigkeiten unserer Tage finden, weiß ich, dass meine Arbeit nicht vergebens ist – auch wenn sie in weiten Teilen einer Selbsttherapie gleichkommt…
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„Nanu, singt unser Blog-Wart jetzt auch das Hohe Lied von Vielfalt über alles?“, mag mancher derer denken, die mein Treiben schon länger kritisch-wohlwollend begleiten. In der Hinsicht kann ich Entwarnung geben – beim Thema Vorkriegsautos verbieten sich zeitgeistige Verbeugungen ohnehin von vornherein.
Eine Diversity-Policy und ähnliche Bekenntnisse werden Sie hier wie in meiner geschäftlichen Existenz vergebens suchen, schon deshalb weil ich in beidem überzeugter Einzeltäter bin.
Das hält mich jedoch nicht davon ab, Vielfalt für eine fruchtbare Sache zu halten – sofern sie sich auf einer soliden gemeinsamen Grundlage abspielt, die von allen Beteiligten getragen wird.
Das gilt im Ökonomischen, wo die Vielfalt der Ideen im Wettbewerb ihre innovative Kraft entfaltet, wenn es einen akzeptierten Rahmen gibt, der Monopole und Kartelle vermeidet – leider versagt die genau dafür zuständige Politk (auch) auf diesem Sektor allzuoft.
Gleiches gilt im Austausch der Meinungen und Weltanschauungen: Die Vielfalt ist es, welche die Menschheit weiterbringt, doch nur wenn alle Auffassungen sich Gehör verschaffen können – auch die vermeintlich abwegigen wie die „umstrittener“ Leute wie Galilei oder Einstein. Das verträgt sich nicht mit dem Wahrheitsanspruch Einzelner oder von Kollektiven, speziell solcher, die endgültige Weisheiten von ganz oben vertreten.
Nicht zuletzt ist auch im täglichen Miteinander Vielfalt zu begrüßen in dem Sinne, dass jeder nach seiner Facon glücklich werden soll. Bloß allgemeine Gesetze und die fundamentalen Rechte anderer gilt es dabei zu achten, wozu auch das gern übergangene Recht gehört, in seinem privaten Dasein möglichst in Ruhe gelassen zu werden.
Fassen wir zusammen: Vielfalt war und ist eine großartige Sache, wenn sie eine gemeinsame Basis hat. Genau das will ich heute ausgerechnet am ab 1924 in Großserie gebauten simplen Opel 4 PS-Model illustrieren, der vielen auch als „Laubfrosch“ bekannt ist.
Ich habe mich mit diesem Modell schon länger nicht mehr befasst, bis ich bemerkte, wie groß die Vielfalt der Ausführungen war, die auf der Basis mit 1-Liter-Vierzylinder erhältlich waren.
Eine erste Vorstellung vermittelt diese Reklame aus dem Jahr 1925:
Opel-Reklame aus: Allgemeine Automobil Zeitung (AAZ), 20. Juni 1925; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Doch beschränke ich meine heutige Betrachtung auf die erst ab Herbst 1927 gebaute späte Version, welche einigermaßen kühn mit einem vom US-Luxushersteller Packard abgeschauten markanten neuen Kühlergehäuse ausgestattet wurde.
Dieser sogenannte Packard-Kühler beendete die Phase, in welcher der Opel 4PS seinem Vorbild – dem Citroen 5CV noch so zum Verwechseln ähnlich sah, dass der Volksmund für den „Laubfrosch“ das Bonmot „Dasselbe in Grün“ erfand.
In erfreulicher Klarheit und zugleich in einer nur selten fotografierten Situation sehen wir den Opel 4 PS hier in einem Verkaufsraum auf der rechten Seite – links haben wir das weit stärkere Modell 8/40 PS mit identisch gestalteter Kühlerfront:
Opel 4/20 PS von 1930; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Dier hier angebotene 20 PS leistende Ausführung des Opel 4 PS wurde übrigens erst ab 1930 gebaut, also ein Jahr vor Produktionsende des damals heillos veralteten Modells.
Die Karosserieausführung scheint die eines 2-sitzigen Cabriolets gewesen zu sein – streng genommen war das eine 2-sitzige Cabrio-Limousine, da der Wagen über einen festen oberen Abschluss der Tür verfügte.
Diese Lösung darf man sich in etwa so vorstellen wie bei diesem früher entstandenen Opel 4/16 PS (ab Ende 1927).
Opel 4/16 PS ab Herbst 1927; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks
Dieses Exemplar mit Zulassung im Raum Hamburg lässt sich anhand der Form der Vorderkotflügel und des Fehlens einer Verbindungsstange recht genau datieren – auf Ende 1927 bis spätestens Herbst 1928.
Denselben Aufbau sehen wir auch auf der folgenden Aufnahme im Hintergrund, interessanter ist freilich die offene Version davor, die mit der seitlichen Zierleiste raffinierter gestaltet war und ohne hohe Türrahmen daherkam.
Opel 4/16 PS ab Herbst 1928; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks
In voller Pracht sehen wir dieselbe Ausführung auf einer weiteren Aufnahme aus dem Fundus von Leser Klaas Dierks, der inzwischen eine beeindruckende Sammlung von Fotos des Opel 4 PS-Modells zusammengetragen hat.
Opel 4/16 PS ab Herbst 1928; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks
Die identischen Gestaltungssprinzipien finden sich am im Vergleich zum Zweisitzer seltener anzutreffenden viersitzigen Tourer.
Hier haben wir ein solches Exemplar anlässlich einer Concours-Veranstaltung mit charmanter Besatzung, wobei wir davon ausgehen dürfen, dass zumindest die Dame am Lenkrad nicht nur dekoratives Beiwerk war, sondern den Wagen auch tatsächlich fuhr.
Opel 4/16 PS ab Herbst 1928; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Hier erkennt man gut die ab Herbst 1928 neu gestalteten Vorderkotflügel, welche nun stärker der Radform folgen und nicht mehr dem uralten Citroen-Vorbild entsprechen, was auch höchste Zeit war. Mit einem Mal wirkt der Opel zeitgemäß, äußerlich jedenfalls.
Diese schöne Aufnahme von einer geschlossenen Gesellschaft, welche mit der Lebenswirklichkeit der allermeisten in bestürzender Armut lebenden Deutschen nichts gemeinsam hatte, wirft die Frage auf, wie es um Limousinenaufbauten bestellt war.
Auch auf diesem Sektor lässt sich das Thema „Vielfalt auf gemeinsamer Basis“ trefflich illustrieren, wie wir gleich sehen werden. Doch zuvor will ich noch die vielleicht häufigste, weil billigste Ausführung zeigen, den einfachen „Roadster“ ohne jeden Zierrat:
Opel 4/16 PS ab Herbst 1928; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks
Hatte ich gesagt „ohne jeden Zierrat“? Nun, das muss ich relativieren.
Denn diese Aufnahme „lebt“ nicht nur von dem kleinen Mädchen am riesigen Lekrad, das aufmerksam in die Kamera schaut und zum eigentlichen Reiz der Situation beiträgt.
Neben dem menschlichen Element, das noch jedes Autofoto adelt, ist es hier ein spezielles Zubehör, welches die Aufmerksamkeit des Vorkriegsenthusiasten weckt. Es handelt sich um die auf dem Tritttbrett montierte spezielle Signalvorrichtung, welche ich in dieser Form bislang eher bei französischen Fahrzeugen der 1920er Jahre gesehen habe.
Frage an die Experten in der Hinsicht: Handelte es sich um eine rein elektrisch betriebene Hupe oder um ein mit (vom Motor abgeleiteten) Überdruck arbeitendes Horn?
Kommen wir nun zu den geschlossenen Varianten. Natürlich gab es eine Limousine, wobei diese nach meiner Wahrnehmung stets nur zwei Türen besaß. Gleichwohl wirkt der Opel 4 PS mit dem geschlossenen Aufbau weit eindrucksvoller als in den offenen Ausführungen:
Opel 4/16 PS ab Frühjahr 1928; Originalfoto aus Familienbesitz (via Michael Plag)
Diese hervorragende Aufnahme, die einst im Odenwald entstand, wartet schon einige Jahre auf ihre Veröffentlichung – ich verdanke sie Michael Plag, aus dessen Familienalbum sie stammt.
Interessant ist hier neben der reizvollen Aufnahmesituation die wohl aus dem Zubehörhandel stammende Doppelstoßstange nach US-Vorbild mit mittig angebrachtem „Opel“-Schriftzug, welcher nicht der Konvention auf dem Kühleremblem entspricht.
Der Aufnahme kaum nach steht dieses schöne Dokument aus der Sammlung von Wolfgang D. Küssner (Kiel), welches einen Opel 4/16 PS mit Geschäftswagenaufbau zeigt:
Die Aufnahme entstand auf der Lübecker Chaussee in Kiel vor dem Thaulow-Museum und zeigt einen Lieferwagen der ortsansässigen Bäckerei Sass.
Wie bereits auf der weiter oben gezeigten Reklame ersichtlich, bot Opel serienmäßig ab Werk solche geschlossenen Aufbauten für Geschäftszwecke an.
Alles schön und gut, mögen Sie jetzt denken, das sind ja durchaus abwechslungsreiche Ansichten, die unser Blog-Wart hier ausbreitet. Aber verdient das Thema Vielfalt auf gemeinsamer Basis nicht irgendwie noch einen krönenden Abschluss?
Etwas, was einen tatsächlich zufrieden die heutige Betrachtung beschließen lässt und einen wunschlos glücklich ins Land der Träume entlässt?
Das lässt sich einrichten, meine ich, und wieder ist es ein Leserfoto, welches das ermöglicht:
Opel 4/16 PS ab Herbst 1928; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt
Hier können wir nicht nur den Limousinenaufbau als Ausweis der Karosserievielfalt auf Basis des Opel 4PS-Modells studieren. Hier sehen wir auch die lebendige Vielfalt an einstigen „Besitzern“ dieser Wagen.
Wir sind offensichtlich nicht nur als Menschen und Autofahrer gut beraten, uns im vielfältigen Gewimmel des Alltags an gemeinsame Grundlagen zu halten, um zurecht- und vorwärtszukommen. Wir sollten auch die Vielfalt an Geschöpfen im Blick behalten, mit denen wir die Welt als gemeinsame Basis teilen.
Sie sind wie wir Teil einer Wirklichkeit, deren Ursprung und Sinn wir verstandesmäßig letztendlich nicht erfassen können – genießen und schonen wir also auch diejenigen unserer Mitgeschöpfe, mit denen wir durchs Dasein gehen (und bisweilen fahren), deren Ursprünge weit vor unserer Zeit liegen und mit denen wir dennoch kommunizieren können…
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Anfang Oktober – gestern abend hörte ich die ersten Wildgänse über meine Heimatregion – die hessische Wetterau – fliegen. Wie immer kamen sie von Osten und steuerten auf die nächstgelegene Landmarke zu – den Taunus, wo sie dann nach Süden abbiegen.
Das geht so seit unausdenklichen Zeiten – die Zugvögel wussten ihren Weg schon, als die Wetterau für rund 200 Jahre ein Zipfel des Römischen Reichs war, und sie wussten ihren Weg, als hier vor rund 7500 Jahren die ersten unserer Vorfahren sesshaft wurden.
Die Sehnsucht nach dem Süden, nach der Wärme, nach dem Sommer – sie ist auch uns Menschen eingepflanzt, die Spezies mit der bislang kürzesten „Karriere“ auf Erden. Es ist die Wärme, in der die ersten Hochkulturen gediehen, ob im Industal, in Ägypten, Griechenland oder Rom.
Absurd die in jüngster Zeit zu beobachtenden Versuche deutscher Wetterdienste, diese Wärme, ja den ganzen Sommer zur brandgefährlichen Hitze hochzujazzen, einige Tage über 30 Grad für lebensgefährlich zu erklären, während in stark bevölkerten Ländern wie Thailand das ganze Jahr über tropische Temperaturen deutlich darüber herrschen.
Wenn ich in Italien unterwegs bin, höre ich stets den Sender „RAI Musica Tutta Italiana“ – kommt dort zur vollen Stunde die Wettervorhersage, ist sie wohltuend sachlich, wie das bis vor ein paar Jahren auch bei uns der Fall war. Am Ende wird stets erwähnt, dass der brottrockene Bericht von der italienischen Luftwaffe stammt. Ja, die gibt es.
Der deutsche Sommer 2024 war weit davon entfernt, rekordverdächtig zu sein – erst hat er lange auf sich warten lassen, dann gab es vielleicht vier Wochen Sonnenschein, aber ohne die herrlich warmen Nächte, die zum Verweilen im Freien bis Mitternacht einladen.
Vermutlich ist kein Sommer je perfekt gewesen – irgendwer hat immer zu jammern, dem einen ist „zu heiß“, dem anderen „zu trocken“ und wiederum einem ist er „zu durchwachsen“. Aber wenn er geht, und der Herbst das Regiment übernimmt, trauern wir ihm doch nach.
Da brauchen wir plötzlich draußen zumindest eine leichte Jacke, das Schuhwerk wird solider und die Zeit des Offenfahren ist in der Regel auch vorbei. Die perfekte Illustration liefert Leser Jürgen Klein mit diesem Foto eines Adler 6/25 PS:
Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Jürgen Klein
Immer schön, so einen Tourenwagen einmal mit aufgestelltem Verdeck zu sehen – der Wagen wirkt so gleich viel erwachsener und für mich „vollständiger“. Aber wie komme ich eigentlich darauf, hier einen Adler 6/25 PS zu sehen?
Dazu erst einmal dies: Das 1925 eingeführte Fahrzeug der unteren Mittelklasse war der mit Abstand meistgebaute Adler bis zum Erscheinen des neuen 6-Zylindertyps „Standard 6“ anno 1927. Mit den 6500 bis 1928 gebauten Exemplaren des 6/25 PS hielt sich die Frankfurter Traditionsmarke im PKW-Geschäft einigermaßen über Wasser – die parallel erhältlichen weit stärkeren Typen mit 45 bis 80 PS wurden nur in sehr geringen Stückzahlen gebaut.
Unverwechselbar ist die Gestaltung der Scheibenräder in Verbindung mit dem engen 5-Lochkreis für die Radbolzen – so unglaublich es klingt: genau so findet man das nur beim Adler 6/25 PS und das kann ich nach Betrachtung von inzwischen wohl über tausend Autofotos aus den 1920er Jahren mit Zuversicht sagen.
Da Sie aber zurecht der Ansicht sein werden, dass Wissen besser ist als Glauben, zeige ich hier mein bisher wohl bestes Foto dieses Modells, das neben der charakteristischen Radgestaltung auch die Kühlerpartie erkennen lässt, welche es mit in den Grill hineinreichendem Adler-Emblem so ebenfalls nur beim Typ 6/25 PS gab:
Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Michael Schlenger
Nachdem auch diese Aufnahme trotz niedergelegten Verdecks eher auf einen kühlen Tag schließen lässt und wir davon noch genügend vor uns haben – leider meist ohne so ein wohlgestaltetes Adler-Automobil – ist es nun Zeit, zum eigentlichen Thema zurückzukehren.
Also noch einmal die Frage: War das ein perfekter Sommer?
Die Antwort geben Sie jetzt bitte nicht anhand Ihrer Wahrnehmung des hinter uns liegenden, sondern anhand desjenigen, welcher unzweifelhaft den Hintergrund für diese großartige Aufnahme lieferte, welche ich erst vor einer guten Woche erworben habe:
Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Michael Schlenger
Na, was meinen Sie? Hier könnte man glatt neidisch werden, nicht wahr?
Diese Herrschaften (m/w/d usw.) genossen zweifellos einen herrlichen Sommertag und bei einigen hat die Sonne bereits erkennbar Wirkung in Form gesunden Teints gezeitigt.
Bevor wir uns dem Personal im Detail zuwenden – denn vom Auto gibt’s ja nicht so viel zu sehen, muss zumindest ein kurzer Exkurs sein. Dieser führt uns in Gefilde, die normalerweise nicht zu den aufregendsten eines Vorkriegsautos gehören.
Doch irgendwie muss ich ja herleiten, wie ich darauf gekommen bin, dass auf dieser Aufnahme tatsächlich ein Adler des Typs 6/25 PS den Hintergrund abgab:
Da ist sie wieder, die meines Erachtens so einmalige Gestaltung des Scheibenrads – an sich einer Konstruktion, welche sich in den 1920er Jahren an vielen Fahrzeugen fand, insbesondere solchen von US-Herstellern, was ein sehr weites Feld eröffnet.
Doch hier sind wir in der komfortablen Situation, dass man mit etwas gutem Willen den Namen „Adler“ auf der Nabenkappe erkennen kann. Damit ist der Fall klar, sodass wir nun zum angenehmen Teil der heutigen Betrachtung übergehen können.
Den Anfang machen die beiden auf der linken Seite:
Hier gibt es nun wirklich nichts auszusetzen – auch wenn die Sonne ins Gesicht scheint, wird hier durchaus freundlich und erfreulich posiert, meine ich.
Über die Vorzüge der jungen Dame mit den schicken Sommerschuhen muss ich keine Worte verlieren, daher vielleicht eine Anmerkung zu dem ganz in Weiß gekleideten Herrn.
Seine Kapitänsmütze muss nicht auf eine entsprechende Profession hinweisen – so etwas wurde gern auch so getragen, wenn man sich an der See befand und sportlich geben wollte. Dennoch gut möglich, dass der Mützenträger aber wirklich ein Segelboot sein eigen nannte.
In wessen Leben ein Automobil eine Rolle spielte, ob es das eigene oder das von Freunden oder Verwandten war, gehörte im Deutschland der 1920er Jahre zu einer dünnen Schicht an sehr weit überdurchschnittlich materiell Ausgestatteten.
Das gilt praktisch für alle damals erhältlichen Wagen, auch Kleinwagen die Opels 4 PS „Laubfrosch“. Kein Automobil war hierzulande für Durchschnittsverdiener auch nur annähernd so erschwinglich, dass man es für volkstümlich erklären konnte.
Ein Adler 6/25 PS und der Besitz eines Boots war also durchaus etwas, was zusammenpasste. Wer so etwas bezahlen konnte, hatte auch das Kleingeld für den Aufenthalt in einem der schon damals teuren Seebäder, zu dem auch der Erwerb einer entsprechend sommerlichen Garderobe gehörte:
Der junge Mann ganz rechts war ziemlich genau so gekleidet, wie die Herren damals Tennis spielten – eine weitere Beschäftigung, welche dem Normalmalocher unzugänglich war.
Ich bin aber vermutlich nicht allein mit der Einschätzung, dass der reizvollste Teil des Schauspiels auf dieser Aufnahme genau in der Mitte zu finden ist.
Hierfür war ich ausnahmsweise bereit, etwas mehr als die üblichen 5 EUR zu bezahlen:
Tja, was soll man sagen? Die Natur ist bekanntlich ungerecht, was die Verteilung äußerer Vorzüge angeht. Aber soll man sich deshalb über die Lockenpracht und die sportliche Erscheinung der Dame links beschweren?
Selbst mit geschlossenen Augen stellt sie die Konkurrenz mühelos in den Schatten und speziell der im Wagen sitzenden Geschlechtsgenossin meint man eine leicht säuerlich Miene andichten zu dürfen. Aber das war sicher nur der Sonne geschuldet.
Bezeichnend, dass die Dame rechts, ihrer etwas herberen Erscheinung mit einigen Accessoires auf die Sprünge half, was ihr Pendant nicht nötig hatte. Aber auch hier muss man konstatieren: durchaus typgerecht und besser als vieles, was man in unseren Tagen auf diesem Sektor im Sommer geboten bekommt – jedenfalls in deutschen Landen…
Den Vogel schießt freilich der Herr auf dem Trittbrett ab, der erst gar nicht versucht, sich besonders elegant zu geben. Er weiß, dass er in der Rolle des Spaßvogels die beste Figur abgibt und als solcher sind ihm besitzergreifende Scherze erlaubt, welche die Damen gewiss nicht bei jedem geduldet hätten.
Jetzt würde man nur noch gern das Muster und die Farben seines phantasievollen Bademantels im Detail studieren dürfen, doch das muss uns leider versagt bleiben.
War das dennoch ein perfekter Sommer, auch wenn wir ihn nur in Schwarz-Weiß präsentiert bekommen und der Adler 6/25 PS sich hier der Konkurrenz geschlagen geben muss?
Die Antwort findet sich auf der Rückseite des Fotos. Dort ist in kleiner feiner Schrift vermerkt: „1932“. Und nun entscheiden Sie selbst, ob der schönste Sommer damals nicht von einem schattenhaften Makel behaftet war, von dem diejenigen, welche ihn damals genossen, noch nichts ahnen konnten. Denn niemand von uns würde mit ihnen tauschen wollen.
Also genießen wir das Hier und Jetzt, den Herbst und manche Unzuträglichkeit, überlegen aber auch, wie wir uns unsere bürgerlichen Freiheiten vor erneuten totalitären Tendenzen schützen – eine zeitlose Botschaft solcher Fotos aus dem Deutschland der Vorkriegszeit…
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Heute wird hier zur Abwechslung einmal nicht problematisiert – auch wenn es täglich neue Anlässe dazu gäbe.
Vielleicht stimmt mich die Tatsache milde, dass ich gerade in Italien weile, wo es zwar auch Zahnschmerzen, Behörden, Korruption und Untreue in allen Lebenslagen gibt, aber die Alltagskultur einen immer wieder glücklich stimmt – von der Qualität des Essens über den Umgang mit dem historischen Erbe bis hin zum Verkehr, der auch ohne zwanghaftes Blinken und sklavische Einhaltung von Tempolimits fließt.
Ich weiß, für manche Landsleute ist das anarchistische Verhalten italienischer Automobilisten schwer zu ertragen, doch sie (die Deutschen) sind zu unflexibel, zu regelversessen. Für mich dagegen ist es das reine Vergnügen, mich dem Strom anzuvertrauen, der sich seinen Weg selbst sucht und in dem überwiegend das Recht des Flinkeren gilt.
Das reine Vergnügen ist aus meiner Sicht auch das Foto (aus Sammlung Matthias Schmidt, Dresden), das ich heute vorstellen will. An sich gäbe es jede Menge andere Kandidaten, die mich ebenfalls gereizt hätten, aber ich bemerke, dass ich dazu gern die Literatur griffbereit hätte, die ich zurückgelassen habe.
So müssen Sie sich heute mit der bloßen, nicht näher hergeleiteten Ansprache dieses Tourenwagens begnügen, den die in Suhl (Thüringen) ansässigen Simson-Werke um 1920 bauten – ich meine, es handelt sich um das Modell der unteren Mittelklasse Bo 6-22 PS:
Simson Typ Bo 6-22 PS; Originalfoto: Sammlung: Matthias Schmidt (Dresden)
Die Identifikation als Simson ergibt sich aus der entsprechenden Aufschrift auf den Radnaben – denn solche Autos mit von Benz „inspiriertem“ Spitzkühler gab es im Deutschland der frühen 20er Jahre ohne Ende.
Es ist das moderate Format des Tourers, welches mich dazu tendieren lässt, hier den eher kompakten Typ Bo 6-22 PS zu sehen. Aber die genaue Motorisierung ist völlig egal, denn das reine Vergnügen sind aus meiner Sicht die gutgelaunten Insassen – schön, dass mal jemand nicht griesgrämig dreinschaut bei einer solchen Gelegenheit.
Dass die Insassen auch im wahrsten Sinne des Wortes nicht nur sauber, sondern „rein“ gewesen sein dürften, ergibt sich aus dem Umstand, dass sie mit ihrem technisch beliebigen, aber exzellent verarbeiteten und entsprechend teuren Simson sowie ihrem Hund „Samson“ (spontaner Scherz) auf Badeurlaub irgendwo im Harz waren.
Im Juni 1925 war das ausweislich der Beschriftung. Der Klimawandel sorgte schon damals für Kapriolen, denn es scheint für die Jahreszeit unerwartet frisch gewesen zu sein.
Wenn jetzt noch ein Leser wüsste, wie der Kurort im Harz hieß, dessen Namen ich nicht entziffern kann, dann wäre dieses heutige reine Vergnügen für mich vollkommen!
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Heute bringe ich ein Foto, das viele Assoziationen weckt.
Mich erinnert es an meinen walrossbärtigen Fahrlehrer aus dem Nachbarort, der Ende der 80er seine attraktive Frau im 3er-BMW über die Dörfer schickte, um uns Fahrschüler einzusammeln – der dröge lokale Monopolist war davon nicht so angetan, zumal seine Preise dabei unterboten wurden.
Der weiße Golf II Diesel, auf dem ich dann fahren lernte, war zwar geeignet, die nächste Generation für das Automobil zu verderben: ein hässliches Wolfsburger Facelift des knackigen Golf I aus italienischer Meisterhand; das primitiv gestaltete Plastikarmaturenbrett vibrierte bedrohlich im Leerlauf und die Kiste war unsäglich lahm.
Doch genau mit diesem Mobil brachte uns Meister Eckardt (so hieß er tatsächlich mit Vornamen) binnen kürzester Zeit das Fahren bei und noch heute denke ich an ihn, denn er war ein Verfechter der stets angemessen zügigen Fortbewegung. Schon in der ersten Stunde drückte er aufs Gas, wenn man auf der Landstraße zu langsam unterwegs war.
Später machte ich noch den Motorrad-Führerschein bei ihm – ebenfalls mit der vorgeschriebenen Mindeststundenzahl – bei ihm ging es auch in der Hinsicht zügig zu.
Das war ein gelungener Kompetenztransfer von einer Generation zur anderen, wie er sein soll – was übrigens auch in jeder anderen Hinsicht gilt: Bildung, Eigenständigkeit, Rücksicht auf die Mitmenschen, Mitleid mit denen, die sich nicht selbst helfen können usw.
Hört man unterdessen denen hierzulande zu, die sich in fortgeschrittenem Alter befinden und larmoyant feststellen, dass ihr eigener Nachwuchs die Liebe zum klassischen Automobil nicht teilt, habe ich den Eindruck, dass sie am Generationswechsel gescheitert sind.
Ich habe selbst keine Kinder – zu viele „gut katholische“ Psychopathen in der väterlichen Linie. Aber ich stelle mir vor, dass Eltern ihren Sprösslingen etwas von den Dingen vermitteln wollen, die sie bewegen – warum sonst haben sie Kinder?
Doch dann hört man in Deutschland immer wieder das Gejammer, dass die nächste Generation sich nicht mehr für Vorkriegsautos interessiere. Vielleicht liegt es am Mangel an einschlägiger Erziehung, meine Herren (und eher selten: Damen).
Die Jugend will verdorben werden, pflege ich zu sagen und stelle meine historischen Autos gern zu diesem Zweck zur Verfügung – hier etwa meinen Peugeot 202 Pickup:
Lächerliche Hinweise wie „Nicht berühren“ oder noch besser: „Nicht fotografieren“ gibt es bei mir nicht. Ein altes Auto, das über Jahrzehnte so viel erlebt hat, geht nicht kaputt, wenn jemand es anfasst oder sich hineinsetzt – im Gegenteil: ich animiere die Leute dazu.
Die nächste Generation will begeistert und im besten Sinn „verdorben“ werden, wenn das historische Automobil und die Leidenschaft für freie Fortbewegung oberhalb des Niveaus eines Lastenrads weiterleben soll.
So, nach dieser Vorrede kommen Sie jetzt in den Genuss des Dokuments, welches all das vollkommen illustriert, wie ich meine:
NAG um 1911; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Hier ist der Generationswechsel in Sachen Vorkriegswagen perfekt auf den Punkt gebracht. Der wiederum walrossbärtige Fahrlehrer auf der rechten Seite bringt der nächsten Generation an Automobilisten die Feinheiten des Kraftfahrzeugs am lebenden Objekt bei.
Dabei war das Anschauungsobjekt für die beiden jungen Herren links sehr wahrscheinlich ein Vorkriegsauto. Doch war es noch geeignet, der nächsten Generation die Grundfunktionen der pferdelosen Kutsche zu vermitteln.
Denn der mit „NAG“ gemarkte Motor mit von oben zugeführter Kühlflüssigkeit und offenbar vier Zündkabeln war um 1920, als diese Aufnahme wohl entstand, im damaligen Deutschland noch durchaus aktuell:
Den Wagen würde ich auf ca. 1911 datieren, doch der Jüngling mit dem offenen Hemd, der neben dem noch mit Vatermörder-Kragen ausstaffierten Kollegen steht, ist aus meiner Sicht ein Indiz für eine Entstehung der Aufnahme nach dem 1. Weltkrieg.
Zu Schulungszwecken der nächsten Generation war der Vorkriegs-NAG noch geeignet.
Bekanntlich hielt die deutsche Autoindustrie bis Mitte der 1920er Jahre überwiegend an Vorkriegstechnik fest – teils aus der Not geboren, teils aufgrund der arroganten Auffassung, dass traditionelle deutsche „Wertarbeit“ ohnehin konkurrenzlos sei.
Jedenfalls sehen wir hier, wie ein gelungener Wissenstransfer in Sachen Vorkriegsauto schon vor über 100 Jahren stattfinden konnte. Es bedarf dazu einer speziellen Mentalität, welche die nächste Generation – ohne diese zu fragen – erst einmal in die Lage versetzt, den Stand der Vorfahren zu erreichen, bevor sie sich davon loslöst und diese überflügelt.
So war das in Europa seit der Antike: Die nächste Generation gewinnt man durch Vorbild, Anschauung und eigene Erfahrung, auf der sich aufbauen lässt. Wer indessen das Desinteresse der Nachgeborenen beklagt, ist schlicht selbst schuld daran…
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Ich halte meine Leser über meinen Aufenthaltsort nicht um Unklaren, aktuell befinde ich mich wieder im Süden – im italienischen Umbrien. Das erklärt einiges: Temporäre Verzögerungen in meinen Blog-Aktivitäten sowie keinen Zugriff auf Fachliteratur (und entsprechende Schnitzer, die aber von aufmerksamen Lesern korrigiert werden).
Aber Sie profitieren auch davon – denn demnächst steht ein Bericht über die diesjährige „Francescana Ciclostorica“ in der Valle Umbra an – eine Veranstaltung für Fahrradoldtimer aller Art, bei der es wieder Vorkriegswagen zu sehen gab.
Gut, werden Sie jetzt sagen, aber können wir denn nicht wenigstens einen Vorgeschmack bekommen, zumindest was die Vorkriegsautos vor Ort angeht? Gewiss, das ist ziemlich naheliegend, so dachte ich mir heute abend, als ein prächtiger Gewitterregen niederging.
Der herrenlose Kater „Leoncino“, den wir schon einige Jahre durch den harten Winter auf 600 Meter Höhe bringen, hat sich angesichts von Blitz und Donner auf die außenliegende Fensterbank zurückgezogen. Gern wäre er auch hereingekommen, wie man sieht:
Doch so naheliegend das eigentlich für ihn wäre, so vernünftig ist es, ihn bei aller Freundschaft draußen zu halten. Immerhin hat er gelernt, dass es alle sechs bis acht Wochen Besuch aus dem Norden gibt, der es gut mit ihm meint.
Eigentlich naheliegend, werden jetzt die Katzenfreunde denken. Aber war hier nicht ein italienischer Tourenwagen von Anfang der 1920er Jahre angekündigt?
In der Tat und heute haben Sie Glück, denn meine übliche Abschweifung folgt erst, nachdem ich Ihnen dieses Foto präsentiert habe:
Italienischer Tourenwagen um 1920; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Na, was sagen die Kenner? Eigentlich naheliegend, dass das ein italienischer Tourenwagen von Anfang der 1920er Jahre sein muss.
Denn eine Motorhaube mit so weit unten liegenden Luftschlitzen findet sich vor allem dort. Aber welcher Hersteller kommt dafür in Frage?
In einer einschlägigen Vorkriegsauto-Gruppe auf Facebook, in der ich Mitglied bin, wurde zwar auf die Ähnlichkeit der Kühlerpartie mit Itala-Wagen jener Zeit verwiesen. Doch weder das schemenhaft wiedergegebene Kühleremblem, noch der ominöse Schriftzug auf dem Kühler wollen passen.
Wer jetzt sagt, dass es doch eigentlich naheliegend sei, was hier geschrieben steht, ist ernsthaft aufgerufen, sein Wissen oder seine Eingebung vai Kommentarfunktion kundzutun.
Meine eigenen Recherchen führten bis hin zu entlegenen Herstellern wie der Marke Storero, die 1919 ein letztes Mal Autos mit ganz ähnlichem Erscheinungsbild baute. Wie in Deutschland gab es auch im damals schon hoch entwickelten Oberitalien zahllose Fabrikate, die in der Zwischenkriegszeit vom Markt verschwanden.
Überlebt haben nur diejenigen, die wie Fiat konsequent auf echte Massenfabrikation nach US-Vorbild setzten oder wie Alfa oder Lancia technisch und ästhetisch herausragende Wagen für zahlungskräftige Gourmets bauten.
Nun könnte jemand einwenden, dass dieses Foto vielleicht gar kein italienisches Auto zeigt, schließlich könnte die Aufnahme auch irgendwo anders in Europa entstanden sein.
Hier muss ich ausnahmsweise autoritär werden: Für mich ist klar, dass der Tourenwagen auf italienischem Boden aufgenommen wurde. Und das ist tatsächlich sehr naheliegend.
Denn aktuell trennen mich gerade einmal 35 km vom Aufnahmeort. Darauf bin ich allerdings nicht selbst gekommen – das hat mir eine Italienerin mitgeteilt, die Mitglied in besagter Facebook-Gruppe zu italienischen Vorkriegsautos ist.
Zu meiner Entschuldigung muss ich vorbringen, dass der Ort, um den es geht, zwar die größte Stadt Umbriens ist, aber von vielen Umbrern als eher feindliches Territorium angesehen wird, das man meidet. Die Rede ist von Perugia.
Die locker dreitausend Jahre alte Stadt war zwar eine umbrische Gründung, wurde aber früh von den westlich siedelnden Etruskern einkassiert, die sie Perusna nannten.
Interessanterweise wirkt die Grenze zwischen dem etruskischen und umbrischen Territorium bis in die Gegenwart nach. Für hartgesottene Umbrer ist Perugia bis heute ein Außenposten der großspurigen Toskana (des Kernlands der Etrusker), der alles tut, um Reisenden die Schönheiten des übrigen Umbriens vorzuenthalten.
Umgekehrt ignorieren patriotische Umbrer die Schätze, welche Perugia zu bieten hat. Dazu zählt natürlich die herrliche Altstadt, die man im Unterschied zu den umbrischen Hügelstädten aber erst genießen kann, nachdem man die moderne Vorstadt durchquert hat.
Doch am Ende wird man fündig und stellt fest: Eigentlich naheliegend, wo der Tourer von Anfang der 1920er Jahre einst mitsamt Fahrer abgelichtet wurde.
Vor dem Renaissance-Portal der südlichen Seitenfassade der Kathedrale San Lorenzo wurde der Wagen fotografiert. Das den Unterteil der Fassade wie Spitzengewebe überziehende geometrische Muster in weißem und rosafarbenem Kalkstein war der Schlüssel.
Tja, eigentlich alles naheliegend – im nachhinein betrachtet. Nur, was die Identität des sicher italienischen Tourers angeht, der einst dort zum Fototermin Halt machte, Fehlanzeige.
Hier sind die Kühler- und Emblem-Spezialisten gefragt, wobei mir das Votum von einem davon schon genügen würde. Für ihn ist die Lösung (so hoffe ich) eigentlich ganz naheliegend…
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Für Ökonomen wie mich – und alle Leute mit praktischem Hausverstand – besteht Wirtschaften darin, wie sich eine prinzipiell unbegrenzte Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen mit dem naturgemäß begrenzten Angebot zur Deckung bringen lässt.
Das bisher beste Verfahren zur Messung unvermeidbarer Knappheit und zur effizienten Lenkung von Ressourcen ist der Preismechanismus. Der Preis zeigt Knappheiten an und gibt den Wirtschaftssubjekten Signale sowohl, was lohnende Investionen zur Ausweitung des Angebots betrifft, als auch im Hinblick auf die Verwendung begrenzter Mittel für Güter und Dienstleistungen mit individuell maximalem Nutzen.
Das ist – kurz gefasst – das Leitmotiv in der Ökonomie, das quasi naturgesetzlichen Charakter hat. Es hat nichts mit Ideologie oder Gesellschaftsentwürfen zu tun, es beschreibt schlicht Tatsachenzusammenhänge in unserer Welt.
Der Menschheit wäre erheblich geholfen, wenn nicht ständig irgendwelche bildungs- und arbeitsmarktfernen Zeitgenossen auf dem Planeten die Idee hätten, das preisorientierte Verfahren zur Lenkung knapper Ressourcen durch zentrale Lenkung oder irgendwelche ideologisch begründete Prinzipien zu ersetzen. Das Ergebnis ist immer Verarmung der breiten Masse, während sich die Oberschicht ungestört sanieren kann.
Stellen wir uns einmal vor, man wäre im Europa ab Mitte der 1920er Jahre so dumm gewesen, Autoexporte aus Übersee zu verbieten oder durch Strafzölle zu verteuern.
Hätten sich die Konsumenten dadurch in der Breite besser gestellt? Hätte die heimische Autoindustrie dann zum Ausgleich mehr produziert? In beiden Fällen lautet die Antwort: nein.
Betrachten wir die Sache anhand dieses Fotos:
Chevrolet „Roadster“ von 1928; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Hier haben wir – anhand der Kühlergestaltung und der Scheinwerferstange zu identifizieren – einen Chevrolet des Modelljahrs 1926, zugelassen in der lettischen Hauptstadt Riga.
Nach US-Maßstäben war das neben dem Model T von Ford ein absoluter Billigheimer – praktisch jeder in den Staaten konnte sich dieses Auto leisten (und zwar neu!).
Zugunsten des Chevys lässt sich anführen, dass sein 26 PS leistender Vierzylinder dank im Zylinderkopf hängender Ventile effizienter und drehfreudiger war als der des Ford.
Wie bei allen US-Marken waren trotz Massenproduktion alle gängigen Karosserieformen erhältlich. Hier haben wir den offenen Zweisitzer-Aufbau, der als „Roadster“ firmierte.
So, jetzt stellen wir uns vor, den Granden der lettischen Regierung hätte der Import solcher Autos aus den USA nicht gefallen – etwa weil sie „unnötigen Luxus“ darstellen. Dann hätte davon schon einmal nicht die inländische Autoindustrie profitiert, denn die gab es nicht.
Die potenziellen Käufer hätten sich stattdessen mit Eisenbahn, Pferdefuhrwerk oder Fahrrad begnügen müssen – alles Transportmittel mit gewissen Reizen, aber auch Limitierungen.
Wenn gut betuchte Letten partout ein Automobil besitzen wollten und dafür einen Haufen (eigenen) Geldes auf den Tisch zu blättern bereit waren, liegt es auf der Hand, dass der Wagen für sie einen erheblichen zusätzlichen Nutzen stiftete.
Und wenn das entsprechende Angebot nun einmal nur aus dem Ausland kam, war das hinzunehmen. Ob dadurch Devisen abflossen, war egal, denn die Käufer konnten mit ihrem Geld machen, was sie wollten, solange sich einer fand, der es in Dollar konvertierte.
Konsumentensouveränität nennt man das – für sich überlegen dünkende Gesellschaftsklempner schwer akzeptabel. Aber: Der Staat ist für die Bürger da, nicht umgekehrt. Die Regierung ist Angestellter des Souveräns, nicht seine Gouvernante.
Jetzt stellen wir uns aber einmal vor, es habe in Lettland eine Automobilindustrie gegeben. Hätte die Regierung dann diese vor dem „unlauteren“ Wettbewerb der billigen US-Autohersteller schützen sollen?
Nein, und das nicht nur, weil diese wahrscheinlich gar nicht diesen sehr amerikanischen Roadster-Typ angeboten hätte. Sondern auch deshalb nicht, weil die Interessen der Industrie aus ökonomischer Sicht nicht über denen der Konsumenten stehen.
Die Produzenten haben die Aufgabe, einer bestehenden Nachfrage in einer Volkswirtschaft ein bestmögliches Angebot gegenüberzustellen. Es ist nicht Aufgabe der Konsumenten, ein möglicherweise unterlegenes Angebot zu unterstützen.
Vom Wettbewerb „bedrohten“ Anbietern steht es frei, ihre Produkte wettbewerbsfähig zu machen oder innovative Produkte aufzulegen, um selbst einen Vorsprung zu erlangen. Gelingt ihnen das nicht, gibt es daran nichts zu bedauern, solange ein alternatives Angebot besteht, welches den Konsumenten das liefert, was sie wollen.
Genau das ist, was auf dem europäischen Kontinent in den 1920er Jahren am Automarkt geschah. Die Käufer des Chevrolets aus Riga haben ihren Wagen nicht gekauft, weil sie „vaterlandslose Gesellen“ waren.
Sie entschieden sich schlicht für das Angebot, das ihrer Nachfrage am besten entsprach und das war für ihren Lebensstil nun einmal dieser für sie bezahlbare Zweisitzer-Chevrolet.
So gut wie alles, was wir täglich freiwillig nutzen – und seien es Smartphones, um auf „X“ über den Kapitalismus zu schimpfen – sind Ergebnis eines weitgehend ungestörten Spiels von Angebot und Nachfrage – nicht „wohlmeinender“ zentraler Planung.
Kurioserweise waren die stets mit Varianten des Zentralismus liebäugelnden Deutschen solange mit den Tatsachen der Marktwirtschaft einverstanden, wie ihre Produkte den Weltmarkt beherrschten. Doch als die Japaner den Spieß umdrehten und auf einmal die besseren Angebote machten – bei Kameras, Stereoanlagen, Autos usw. – da war der Wettbewerb plötzlich schlecht, sollte sozialverträglich eingehegt oder ganz abgewürgt werden.
Das Ergebnis dieser marktfernen und wettbewerbsfeindlichen Mentalität können wir heute auf allen Ebenen besichtigen. Was einst der Ami besorgte, erledigt heute der Chinese und der kauft im Zweifelsfall noch die Reste der strangulierten deutschen Industrie auf.
Das ist das Gesetz der Ökonomie und egal, was die Regierung auch an Subventionen verschleudert oder sonstigem Weihrauch verteilt, man kommt an den langfristigen Konsequenzen nicht vorbei, wenn man sich nicht den Realitäten des Markts stellt.
Auch das ist die Botschaft solcher alten Autofotos, ob es einem gefällt oder nicht…
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Zahlensalat ist nicht jedermanns Geschmack. So las ich heute morgen vom jahrelangen Ringen der hessischen Gemeinde Löhnberg (eine Leserin wohnt dort…) mit der überfälligen Übernahme der doppelten Buchführung.
Dass man im 21. Jh. Schwierigkeiten mit dem Verständnis und der Umsetzung dieses jahrhundertealten Konzepts hat, das u.a. mittels Abschreibungen und Rückstellungen ein realistisches Bild der Finanzlage zu zeichnen vermag, wirkt verstörend.
Denn selbstverständlich erwartet die öffentliche Hand, dass buchführungspflichtige Unternehmen vom ersten Geschäftsjahr an sauber bilanzieren. Was kann ein kleiner Betrieb mit einer Buchhalterin, was eine Gemeinde mit Dutzenden Angestellten nicht kann?
Die Antwort muss im für manche Zeitgenossen offenbar unverdaulichen Zahlensalat liegen. Dass hier ein möglicherweise strukturelles Problem im öffentlichen Sektor vorliegt, dieser Gedanke kam mir am Nachmittag.
Meine Inspiration zum Auftischen des heutigen Zahlensalats bezog ich heute aus folgendem Erlebnis: Nachdem die erste Ausfahrt mit meinem frisch aufgebauten Fahrradoldtimer der Marke Stricker kürzlich auf erniedrigende Weise geendet hatte (das Sattelrohr ließ sich nach halber Strecke nicht mehr in der gewünschten Position fixieren), unternahm ich nochmals eine kurze Testfahrt von gut 25 Kilometern, um zu sehen, dass ich das Problem gelöst hatte.
Auf dem Rückweg wollte ich – von leichtem Rückenwind beflügelt – sehen, wie schnell sich das Gerät nun in der Ebene bewegen lässt. Eine fest installierte Anzeige am Ortseingang von Rockenberg leuchtete schon von weitem auf: 32 km/h wie beim letzten Mal.
Das erschien mir steigerungsfähig und so trat ich nochmals kräftiger in die Pedale des bald 75 Jahre alten und rund 15 kg schweren Stahlrosses mit fester Übersetzung. Und siehe da: Plötzlich sprang die Anzeige auf 48 km/h!
Verdutzt schaute ich mich um, weil ich überzeugt war, dass dies die Geschwindigkeit eines auf mich aufgelaufenen Autos sein musste. Doch hinter mir war niemand…
Das Gerät muss angesichts meiner Attacke spontan Zahlensalat produziert haben, denn viel mehr als 35 km/h war realistischerweise nicht zu erwarten – schließlich war ich nicht mit dem Rennrad unterwegs und trug auch keine spezielle Kleidung.
Wenn es so leicht ist, eine Geschwindigkeitsanzeige aus dem Konzept zu bringen, wie mag das auf anderen Feldern aussehen? Diese rhetorische Frage führte mich zur Erkenntnis, dass Zahlensalat ein Fall für echte Gourmets ist, die auf diesem Gebiet zuhause sind.
Genau diese Form von Vertrautheit und Leidenschaft, was das eigene Fach angeht, ist auch bei der Ansprache des Autotyps im Fall dieser prächtigen Aufnahme gefragt:
„Apollo“-Tourenwagen um 1913; Originalfoto: Sammlung: Matthias Schmidt (Dresden)
Lassen wir uns von den elektrischen Scheinwerfern nicht dazu verleiten, hier ein Modell zu sehen, das erst nach dem 1. Weltkrieg eingeführt wurde.
Denn die Kühlerform ist typisch für die Vorkriegswagen der Marke Apollo aus dem thüringischen Apolda. Die Firma lief durch das Wirken des enorm vielseitigen deutschen Konstrukteurs Karl Slevogt ab 1910 für rund eine Dekade zu großer Form auf.
Slevogt katapultierte die Apollo-Wagen in die Moderne und heimste selbst zahlreiche Sporterfolge ein. Wirklich alles darüber findet man in Wolfgang Spitzbarths erschöpfender Darstellung zu Karl Slevogt und seiner langen Karriere bei vielen deutschen Herstellern.
Allein die Beschäftigung mit Slevogts Konstruktionen für Apollo ist abendfüllend. Daher mache ich es mir heute bequem und werfe einfach die Frage auf, was für einen Typ der Marke das oben wiedergegebene Foto aus dem Fundus von Matthias Schmidt zeigt.
Mein Beitrag beschränkt sich zum einen auf die Festtellung, dass wir es wohl mit einem Apollo-Wagen zu tun haben, der zwischen 1912 und 1914 gebaut wurde.
Zum anderen möchte ich die Markengourmets bitten, aus dem folgenden Zahlensalat doch bitte die richtige oder zumindest wahrscheinlichste Lösung auszuwählen:
Sehen wir hier das Basismodell mit 1 Liter Hubraum (Typ B, 4 Steuer-PS), das bis in die Nachkriegszeit weitergebaut wurde? Ich meine, nein – der Wagen wirkt zu groß.
Könnte es sich um die nächstgrößere Variante (Typ C, 6 Steuer-PS) mit 1,5-Liter-Aggregat handeln? Das erscheint mir nach Durchsicht der verfügbaren Abbildungen möglich.
Dann haben wir aber auch noch den 2-Liter Typ N (8 Steuer-PS) sowie eine leistungsgesteigerte Ausführung F desselben Hubraums, die statt 24 immerhin 28 PS leistete – dank im Kopf hängender statt seitlich stehender Ventile. Nicht auszuschließen, oder?
Aus meiner Sicht definitiv nicht in Frage kommen die Typen der oberen Mittelklasse K bzw. S, die 30 bzw. 40 PS aus 2,3 bzw. 3,4 Litern Hubraum leisteten. Ihr Radstand war so groß, dass die hintere Einstiegstür deutlich vor dem Heckkotflügel angebracht werden konnte.
Ich gebe zu: Dieser Zahlensalat ist für viele schwer verdaulich – es gibt eingängigere Gerichte zu genießen in meinem Blog. Aber, bitte, es sind einige tausend davon verfügbar und alle zum Nulltarif. Wer hier nicht auf seine Kosten kommt, dem ist nicht zu helfen.
Die Markenkenner (ich kenne in diesem Fall nur einen in der Leserschaft) würden mir helfen, wenn sich der Apollo im von mir angerührten Zahlensalat identifizieren ließe…
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Nachdem ich erst kürzlich hier erfolgreich den Herbst herbeigeschrieben haben, sind die Temperaturen stärker gefallen, als es mir lieb ist. Tagsüber rund 12 Grad, nachts deutlich unter 10 – das ist für Mitte September schon recht stramm.
Doch auch wenn ich ein Freund der sommerlichen Wärme bin – selbst sogenannte „Hitze“ ist mir von jeher sehr recht – sage ich mir: ob mir kalt ist oder nicht, bestimme ich!
So pflege ich die Abkühlung am Ende des Sommers so lange wir irgend möglich zu ignorieren. Jetzt zeigt sich, wer wahre Outdoor-Mentalität verinnerlicht hat und sich nicht gleich nach kuscheligem Wohlfühl-Ambiente sehnt.
Mancher holt jetzt seine Outdoor-Kleidung hervor, die mir aufgrund der künstlichen Materialien, ihrer bei Bewegung verursachten Geräusche und der meist infantilen Farbgebung zuwider ist.
Also gehe ich weiterhin kurzärmelig und in Schläppchen der Gartenarbeit nach – und es gibt immer genug zu tun, um hinreichend in Bewegung zu blieben, damit man nicht auskühlt.
Immerhin bin ich damit nicht ganz allein – ein Nachbar pflegt seinen Hund nach wie vor in Bermuda-Shorts auszuführen, ein T-Shirt mit der Aufschrift „Army“ ergänzt das Bild eines Endfünzigers mit gesundem und ironischem Verhältnis zu körperlicher Belastung.
Auch er weiß, dass in Bewegung bleiben entscheidend ist, wenn man sich den Herausforderungen des „Outdoor“-Dasein nach dem Ende der warmen Jahreszeit aussetzt.
Leser Jason Palmer aus Australien (wo gerade der Winter zuendegeht) hat mir vor einiger Zeit das dazu passende Autofoto zugesandt:
Dürkopp Außenlenker Typ P12 12/45 PS; Originalfoto: Sammlung Jason Palmer (Australien)
Eine geniale Aufnahme, finde ich.
Die gestalterische Andersartigkeit von Vorkriegsautos wird hier radikal auf der Punkt gebracht – denn dieser Aufbau war zum Zeitpunkt seiner Entstehung völlig von gestern. Perfektes Material für alle Freunde des Unzeitgemäßen, also.
Die Heckpartie mit dem coupehaft anmutenden geschlossenen Passagierraum weist in die Zeit vor dem 1. Weltkrieg zurück – tatsächlich sogar bis in das Kutschenzeitalter.
Dass die Fahrer von Wagen aller Art bei Wind und Wetter im Freien saßen, war seit Erfindug des Rads der Normalfall. Ebenso das „Outdoor“-Leben der Männer, die mit Segelschiffen den Übersee-Warenhandel ermöglichten.
Während sich englische Ladies der Upperclass teetrinkend über ihre Benachteiligung in einer Männerwelt beklagten (kleiner Scherz), sorgten privilegierte Herren „outdoor“ in der Takelage dafür, dass die ganz auf Tempo getrimmten Tee-Clipper ihre kostbare Fracht schnellstmöglich von Indien um das Kap der Guten Hoffnung nach Britannien brachten.
Auch die sich allmählich durchsetzende „Indoor“-Beschäftigung des Kohleschaufelns auf Dampschiffen gehört zu den vergnüglichen und hervorragend vergüteten Aktivitäten, von denen Frauen damals systematisch ausgegrenzt wurden.
Nein, für unsere Vorfahren der niederen Klassen (auch die Bäuerinnen) war es normal, bei jedem Wetter draußen für’s Dasein zu sorgen. Dafür sind wir genetisch über zehntausende Jahre gerüstet, weshalb es abwegig ist, das Schicksal eines „outdoor“ sitzenden Fahrers zu beklagen. Das war einfach schon immer „in“.
Klar ist es drinnen bequemer, aber draußen lässt es sich auch aushalten – vor allem, wenn man es geschafft hat, eine relativ lukrative Anstellung als Chauffeur zu bekommen. Es gab Schlimmeres, als einen repräsentativen Wagen gutsituierter Leute zu bewegen und in Schuss zu halten – es soll Leute geben, die sich noch heute hobbymäßig damit befassen.
Doch was war das überhaupt für ein Riesenwagen mit „Außenlenker“-Aufbau (eine selbsterklärende Bezeichnung), wie wir ihn auf dem Foto von Jason Palmer sehen?
Nun, einen vergleichbaren Tourenwagen mit identischem Markenemblem auf dem Spitzkühler habe ich vor längerem vorgestellt – einen Dürkopp des Typs P10 10/30 PS:
Dürkopp-Tourenwagen Typ P 10/30 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Die seit 1897 gebauten Automobile der Bielefelder Dürkopp-Werke gehören zu den vielen miserabel dokumentierten deutschen Fabrikaten, obwohl sie keineswegs selten waren.
Leider ist mir bislang keine Quelle bekannt, welche die Modelle dieses Herstellers umfassend und in hinreichender Detailtiefe dokumentiert. Dass meine stetig wachsende Dürkopp-Galerie wohl das größte allgemein zugängliche Bildarchiv in der Hinsicht ist, unterstreicht diesen beklagenswerten Zustand.
Denn ich habe von den Dürkopp-Wagen kaum Ahnung und stütze mich bei allen Zuschreibungen auf plausible Annahmen, die durchaus falsch sein können.
Das gilt auch für die Identifikation der Dürkopp-Autos auf den Fotos, die ich zum Markeneintrag in der 2019er Neuausgabe von Werner Oswalds Klassiker „Deutsche Autos 1920-1945“ beigesteuert habe.
Wenn dort eine so wichtige Marke mit nur sechs Aufnahmen dokumentiert ist, von denen die Hälfte aus meinem Fundus stammt, ist mir nicht wohl dabei. Aber gut, auch Amateure können mitunter einen Beitrag zur Vervollständigung des Bildes leisten.
Und so gehe ich auch in diesem Fall in Vorlage und stelle die These auf, dass der Dürkopp-Außenlenker auf dem Foto von Jason Palmer ein Exemplar des 6-Zylindertyps 12/45 PS zeigt, welches ab 1923 dem 4-Zylindermodel 10/30 PS zur Seite gestellt wurde.
Dafür spricht aus meiner Sicht nicht nur die wesentlich längere Motorhaube – wobei diese auch lediglich optisch gestreckt sein kann – sondern auch der im Vergleich zu einem Tourer recht schwere geschlossene Aufbau.
Gewiss, in der ersten Hälfte der 1920er Jahre findet man vereinzelt auch Limousinen oder Landaulets deutscher Hersteller mit 30 PS-Motorisierung. Aber irgendjemand muss ja auch die 45 PS leistende 6-Zylinderversion gekauft haben und dafür kommt eher ein (weitgehend) geschlossener Aufbau in Frage.
Äußerlich ließen sich die Dürkopp-Typen 10/30 PS und 12/45 PS wohl nur anhand des Radstands unterscheiden. Die Zahl der Luftschlitze scheint ausnahmsweise keine Differnzierung zu ermöglichen.
Bleibt festzuhalten, dass wir uns beim Thema „Dürkopp“ im Bereich „terra incognita“ bewegen – heute würde man sagen „outdoor“. Hier sind bewährte Kompetenzen und Instinkte gefragt.
Dazu zählt auch, sich eines Besseren belehren zu lassen, wenn es einer genauer weiß.
Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Heute las ich in der Online-Ausgabe eines ehemaligen Frankfurter Intelligenzblatts, dass die deutsche Bundeswehr noch Jahrzehnte brauche, um „kriegstüchtig“ zu werden. Das ist ja zur Abwechslung einmal eine gute Nachricht, dachte ich.
Denn mir würde es völlig genügen, lediglich den überzeugenden Eindruck hinreichender Verteidigungsbereitschaft zu machen, was das eigene Territorium angeht. Dazu habe ich einmal selbst beigetragen – anno 1988/89 bei den Panzergrenadieren in Rotenburg/Fulda direkt am „Eisenern Vorhang“.
Die Truppe war freilich schon damals nur bedingt einsatzfähig – man pflegte zu sagen, wir hätten den Feind so lange aufzuhalten, bis richtiges Militär eintrifft. Immerhin waren genügend junge änner vorhanden, um bei den regelmäßigen Hochwassern in Rotenburg anzupacken.
Wir Wehrdienstleister fungierten also in doppelter Hinsicht als Überbrückungs-Helfer. Daran möchte ich mit dem heute vorgestellten Autofoto anknüpfen. Die zweite Hälfte der Inspiration dazu lieferte der teilweise Zusammenbruch einer Elbbrücke in Dresden.
Angeblich gibt es tausende als „maroder“ eingestufter Brückenbauwerke in Deutschland, welche die Steuerzahler täglich ahnungslos passieren – zum Glück bisher ohne Unfälle.
Wie wäre es da, dachte ich mir, wenn man die vorgesehene Ertüchtigung junger kräftiger Männer für wirklich konstruktive (und vordringlichere) Zwecke nutzt? Wenn man schon Panzer rollen lassen will, könnte man ja erst einmal die Infrastruktur ertüchtigen.
Wenn sie bis jetzt durchgehalten haben, fragen Sie sich vielleicht: „Wie bekommt er jetzt bloß die Kurve zum Jawa Minor? Und was hat es mit der Rolle als Überbrückungs-Helfer auf sich?„
Die Lösung finden Sie hier:
Jawa „Minor“; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Sicher sehen Sie nun, auf was ich hinauswollte. Schon lange habe ich auf eine Gelegenheit gewartet, um diese außergewöhnliche Aufnahme zu zeigen.
Heute passen die Tagesnachrichten dazu, wie ich meine, auch wenn das Umfeld zum Entstehungszeitpunkt des Fotos ein völlig anderes war.
Was sehen wir hier? Nun, offenbar mehr oder weniger bekleidete junge Männer bei Arbeiten an einer Behelfsbrücke über einen schmalen Fluß. Verstärkung oder zumindest Besuch bekommen haben diese Überbrückungs-Helfer durch ein außergewöhnliches Auto.
Auf den Wagen – einen Zweitaktwagen der tschechischen Marke Jawa von 1938/39 – komme ich noch zu sprechen. Zuvor widmen wir uns der Frage, wann und wo die Aufnahme entstanden sein könnte.
Orientiert man sich am eigentümlichen Kennzeichen und am Fehlen von Tarnscheinwerfern, würde man ein deutsches Armeefahrzeug aus dem 2. Weltkrieg ausschließen. Doch tatsächlich handelt es sich genau darum. Wie kann das sein?
Nun, bekanntlich griff die Wehrmacht im Sommer 1940 Frankreich an, nachdem die angeblichen Verbündeten Polens dessen Besetzung 1939 tatenlos zugeschaut hatten.
Hier sehen wir, wie sich der Westfeldzug aus Perspektive hinter der Front nachrückender deutscher Soldaten darstellte – aufgenommen beim Übergang über die Maas:
Übergang einer deutschen Heereseinheit über die Maas im Sommer 1940; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Hier kann man auf dem Nummmernschild des vorausfahrenden Wagens das Kürzel „WH“ erkennen, welches Heeres-Fahrzeuge der Wehrmacht kennzeichnete.
Allerdings wurden speziell die größtenteils von privaten Besitzern stammenden PKW-Bestände oft so hektisch zusammengezogen, dass das vorgeschriebene Militärkennzeichen erst irgendwann nach Beginn des Einsatzes vergeben wurde.
Bis dahin wurden einfach die zivilen Nummernschilder weiterverwendet, und das auch bei Autos, die in besetzten Gebieten beschlagnahmt oder vom Gegner erbeutet worden waren.
Mit so einer Situation scheinen wir es im Fall des Jawa „Minor“ zu tun haben – ich vermute, dass das Kennzeichen noch die laufende zivile tschechische Nummer zeigt, wenngleich davor eigentlich noch ein Buchstabe stehen sollte.
Auch für das Fehlen von Tarnscheinwerfern gibt es eine Erklärung. In besetzten Gebieten, in denen nicht mehr gekämpft wurde und deutsche Luftfüberlegenheit bestand, wurde bisweilen auf die an sich vorgeschriebene Abtarnung der Beleuchtung verzichtet.
Diese Annahme bestätigt sich bei einem Blick auf die umseitige Beschriftung der Aufnahme: „Frankreich, 1942“ ist dort lapidar vermerkt. Zu diesem Zeitpunkt schwiegen in Frankreich längst die Waffen und gegnerische Kampfflugzeuge waren im Hinterland die Ausnahme.
Dessen ungeachtet bleibt so ein tschechischer Jawa im deutschen Kriegsdienst ein eher ungewöhnlicher Anblick. Das lag allerdings nicht an einer etwaigen Abneigung der Militärs – ganz im Gegenteil.
Generell nahm man angesichts chronischer Fahrzeugknappheit alles, was man kriegen konnte, sofern das Baujahr nicht vor Anfang der 1930er Jahre lag. Entgegen bisweilen zu findender Behauptungen kamen auch Fronttriebler und Zweitakter in Betracht.
Der erst kurz vor Kriegsbeginn in Serie gegangene Jawa „Minor“ ist ein Beispiel für Letzteres. Das Fahrzeug wog nur 6-700 kg (je nach Aufbau) und der 600ccm-Motor leistete 18-19 PS – für diesen Hubraum ein sehr guter Wert.
Ein Spitzentempo von 90 km/h war damit erreichbar und dank Zweitakttechnik war das Aggregat anspruchslos, was die Benzinqualität angeht. Nicht zufällig nutzte die Wehrmacht in großer Stückzahl auch Zweitaktmotorräder wie die DKW NZ 350.
Wenn ich es richtig sehe, war der 600ccm-Motor des Jawa „Minor“ kein DKW-Lizenznachbau mehr wie im Fall des Jawa 700 und das Leistungsvermögen des kleinen Aggregats spricht für das vergleichbare Können der tschechischen Ingenieure.
Welche Funktion „unser“ 1942 in Frankreich aufgenommener Jawa genau hatte und zu welcher Einheit er gehörte, wird sich nicht mehr ermitteln lassen. Jedenfalls war auch er einer von tausenden Überbrückungs-Helfern im defizitären Fuhrpark der Wehrmacht.
Mit seinem minimalistischen Antrieb und eingebauten Tempolimit könnte der Jawa heute ein politisch korrektes Fortbewegungsmittel für einen Offiziellen darstellen, der den zähen Bau unzähliger Behelfsbrücken beaufsichtigt, ohne die hierzulande bald nicht mehr viel läuft.
Aber nein, für diese Aufgabe wäre dieses Cabriolet entschieden zu schick – wenn es schon retour geht, dann bitte ein Fahrrad als Helfer bei der Überbrückung der kurzen Distanz bis zum nächsten durch systematische Vernachlässigung verursachten Bauschaden…
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In Berlin ist alles auf Sand gebaut – das wird gern als Erklärung für die oft bizarren Überschreitungen bei Baukosten und Bauzeit bei öffentlichen Gebäuden vorgebracht.
Nur böswillige Zeitgenossen bringen in dem Zusammenhang korrupte Beziehungen zwischen Bürokratie und Bauwirtschaft ins Spiel. Der mit Bonner Bescheidenheit in der alten Bundesrepublik aufgewachsene Bürger mag das kaum glauben.
Inwieweit solche speziellen Berliner Verhältnisse bereits in der Vorkriegszeit bestanden, vermag ich nicht zu beurteilen. Nur der Sand, der war auf jeden Fall schon da. Und dass es damals dennoch rasant vorangehen konnte, dafür gibt es durchaus einige Hinweise.
Vielleicht erinnern Sie sich an diese prächtige Aufnahme, die einen vom Weltstadttrubel erkennbar erledigten Berliner am Steuer seines „Fluchtautos“ zeigt:
Amilcar Typ CGSS, Zulassung: Berlin; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Ich hatte den schon im Stand rasant daherkommenden Zweisitzer seinerzeit als Typ CGSS des französischen Herstellers Amilcar identifiziert, der in den 1920er Jahren mit überwiegend kleinvolumigen, aber agilen Sportwagen Furore machte.
Auch am deutschen Markt fanden sich damals viele Käufer – das einheimische Angebot in der Hinsicht ließ offenbar zu wünschen übrig. Vielleicht lag es an den oft sehr niedrigen Stückzahlen deutscher Hersteller, dass die Franzosen so oft das Rennen machten.
Im Fall des Amilcar CGSS, der von 1926-1929 gebaut wurde, mag die sensationelle Optik eine besondere Rolle gespielt haben, denn motorenseitig hatte sich gegenüber dem 1923 eingeführten Vorgänger CGS wenig getan.
Der seitengesteuerte Vierzylinder leistete 33 PS – für ein 1,1 Liter-Aggregat damals ganz außergewöhnlich. Dabei war dieser Motor nicht auf reinen Sporteinsatz ausgelegt, sondern sollte speziell im Fall des CGSS Käufer ansprechen, die reinrassige Sportwagenoptik mit Anklängen an die damaligen Bugatti-Rennwagen in Verbindung mit spritziger, aber verlässlicher Fortbewegung wünschten.
Dieser Kundschaft genügte das Spitzentempo von 115-120 km/h vollauf – schon mit 100 Sachen zog man auf der Chaussee ohnehin an nahezu allem anderen vorbei. Also das ideale Fluchtauto für gestresste Bewohner der Metropolen, die am Wochenende möglichst unverzüglich ihr Domizil auf dem Land erreichen wollten.
Mit einem Vertreter dieser Klientel aus Berlin haben wir es auch auf dem folgenden Foto zu tun, auch wenn das Auto hier auf den ersten Blick etwas weniger rasant erscheint:
Amilcar Typ CGSS, Zulassung: Berlin; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Die Zulassung in der Hauptstadt entnehmen wir dem Kürzel „IA“ auf dem Nummernschild – nicht mit dem Vokabular eines Esels zu verwechseln, denn wir haben es mit einer Kombination aus der römischen Ziffer „I“ und dem Buchstaben „A“ zu tun.
Das wissen Stammleser natürlich schon länger als ich – aber ich schreibe auch für Novizen aller möglichen Geschlechter, die sich immer wieder hierher verirren.
Was aber auch den alten Hasen möglicherweise neu ist – mir war es das auch – ist der Umstand, dass Amilcar bei seinem Typ CGSS schon ab 1927 von dem aufwärtszeigenden Blech vor dem Fahrer wieder abkam, welches den Wind über diesen hinwegleiten sollte.
Offenbar wünschten die Käufer statt dieser radikalen Lösung eine klassische Frontscheibe mit ausreichender Höhe, wie wir sie auf dem obigen Foto mit dem bürgerlich wirkenden Fahrer sehen.
Das mag ein wenig zulasten der rennwagenmäßigen Optik gegangen sein, doch insgesamt hat man den Eindruck, dass auch der überarbeitete Amilcar Typ CGSS hinreichend rasant daherkam und das auch auf Sand – wie hier zu besichtigen:
Amilcar Typ CGSS, Zulassung: Berlin; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Es handelt sich klar um dasselbe Fahrzeug wie auf dem vorherigen Foto – ich habe beide Aufnahmen zusammen erworben.
Hier haben wir neben dem nun vollständigen Kennzeichen auch die Kühlerpartie mit dem Markenschriftzug. welcher endgültige Gewissheit gibt, dass wir es nicht mit einem der vielen anderen französischen Sportwagen dieses Schlags wie Salmson oder Rally zu tun haben.
Das Foto zeigt den Wagen offenbar fern der Großstadt, wobei das grobschlächtige Tor etwas irritiert. Es erinnert mich an ein Militär- oder Straflager, aber meine Meinung über die Bautendenzen in Deutschland ab Mitte der 1920er Jahre ist ohnehin nicht die beste.
Lassen wir es also offen, was es mit diesem Landhaus auf sich hatte, ohne Zweifel hat der Amilcar seinen Besitzer auch auf sandiger Piste recht rasant dorthin gebracht.
Abschließend möchte ich die Frage aufwerfen, was eigentlich aus den zahlreichen Amilcar-Sportwagen geworden ist, die vor dem 2. Weltkrieg in Deutschland gefahren wurden – von der einheimischen „Pluto“-Lizenzproduktion ganz abgesehen.
Das Militär war an diesen Geräten ab 1939 nicht interessiert und einen Sportwagen dieses Kalibers stellt man nur nach einem schweren Unfall auf den Schrott. Wo sind sie also geblieben, wenn in anderen Ländern soviele Amilcars überlebt haben?
Verliert sich ihre Spur schon ab den späten 30er Jahren rasant im Sand oder erst später?
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Bereits vor ein paar Tagen meinte ich den bevorstehenden Herbst zu spüren, als es gegen Abend plötzlich kühl wurde.
Zum Glück blieb uns die Sonne und die Wärme noch ein wenig hold – heute war ein vielleicht letzter prächtiger Tag, wie wir ihn schon bald vermissen werden.
Bei meiner Fahrradrunde durch die Wetterau – eine kurze Tour von gut 20 km – boten sich herrliche Ausblicke bei tiefstehender Sonne über die abgeernteten Felder zum Taunus hin. Die Luft war windstill, trocken und warm – doch das Licht hatte mit einem Mal etwas Fahles, wie es mir ein Vorbote des Herbstes zu sein scheint.
Nach Einbruch der Dunkelheit brachte ich noch ein totes Mäuschen in den hinteren Teil des Gartens – unsere Katze Ellie macht bisweilen solche „Geschenke“. Über der mächtigen Krone des alten Maronenbaums wölbte sich der dunkle Himmel und es funkelten mir einige Sternbilder entgegen, wie sie Städter kaum zu Gesicht bekommen.
In warmen Sommernächten flimmern die Sterne stets etwas, doch jetzt schauten sie kalt und unbeweglich auf mich herab. Nun ist es wohl wirklich so weit: plötzlich ist Herbst.
Dazu passend habe ich ein Autofoto aus meinem Fundus herausgekramt. Dort scheint eben noch Sommer gewesen zu sein – man hatte eine Ausfahrt im Sonnenschein im offenen Tourer unternommen – doch die Kleidung ist bereits auf kühle Luft eingestellt und einige Gesichter zeigen sich überrascht: Soll es das wirklich gewesen sein?
Mercedes-„Knight“ um 1920; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Eine bemerkenswerte Aufnahme, finde ich.
Besonders gut gefällt mir hier der Kontrast zwischen den etwas verdattert dreinschauenden Herren der „besseren Gesellschaft“ – mangels Kontakt mit körperlicher Arbeit keine äußerlich sonderlich beeeindruckenden Mannsbilder – und den von der Erscheinung her klar dominierenden Frauenzimmern.
Die tragende Rolle bei dieser Inszenierung kommt unterdessen dem großzügig dimensionierten Tourenwagen zu. Das Fehlen von Vorderradbremsen und der Spitzkühler sprechen für eine Datierung vor Mitte der 1920er Jahre.
Den Aufbau mit dem in die Karosserie integrierten Verdeckkasten findet man nach meinem Eindruck erst kurz nach dem 1. Weltkrieg. Dann haben wir noch den dreizackigen Stern auf dem Kühler und einen Luftschlitz vor einem Auspuffrohr in der Motorhaube.
Das Gesamtbild passt zum meistgebauten Modell der Marke „Mercedes“ aus dem Hause Daimler – dem „Knight“-Typ mit meist 16/45 PS-Motorisierung.
Der Zusatz „Knight“ in der Modellbezeichnung verwies auf den ventillosen Motor nach Patent von Charles Knight aus den USA. Das bereits 1906 vorgestellte Prinzip sah die Steuerung von Gemisch und Abgas über weitgehend geräuschlose Hülsenschieber vor.
Dem Prinzip werden bisweilen einige Schwächen zugeschrieben, aber das sollte man nicht überbewerten. Alleine Willys-Knight in den USA baute über 180.000 Wagen mit entsprechender Motorisierung und dutzende andere Hersteller nutzten das Patent lange.
Bei Vernachlässigung der Wartungsvorgaben und bei unangebrachter Fahrweise scheint es Ausfälle gegeben zu haben – das erinnert mich an die genialen Doppelnockenweller-Motoren von Alfa-Romeo, die sorgfältiges Warmfahren verlangen und auf ignorante Fahrer mit erhöhtem Verschleiß reagieren, aber ansonsten kaum zerstörbar sind.
Inwieweit Daimler beim „Knight“ 16/45 PS versäumt hatte, den Fahrern die besonderen Anforderungen des Aggregats zu vermitteln, was die Schmierung angeht, oder das Patent konstruktiv schlecht umgesetzt hatte, sei dahingestellt. Dass die „Knight“-Motoren generell mängelbehaftet gewesen wären, lässt sich auf internationaler Ebene nicht erkennen.
So oder so musste man bei Mercedes zu jener Zeit feststellen, dass plötzlich der Herbst der Firmengeschichte bevorstand. Ohne gleichwertigen Partner mit weiteren Produktionskapazitäten und nennenswertem Marktanteil befand man sich im Niedergang.
Wir wissen, dass es anders kam – 1926 erfolgte der Zusammenschluss zur Marke Mercedes-Benz – doch in der ersten Hälfte der 20er, als das vorgestellte Foto entstand, durfte man sich Gedanken darüber machen, ob man nicht die beste Zeit hinter sich hatte.
Diese Frage lässt sich auf manches in unserer Republik auch 100 Jahre später anwenden – und das keineswegs nur im Autosektor. Plötzlich ist der Herbst da für eine über Jahrzehnte florierende und inzwischen von wuchernder politischer Planwirtschaft und überbordendem Sicherheits- und Bequemlichkeitsdenken in der Bevölkerung strangulierten Ökonomie.
Für mich als Volkswirt klassischer ordoliberaler Prägung und Freund von Wettbewerb und kapitalistischen Instinkten wäre es an der Zeit für eine Neuauflage der Erhard’schen Reformen für mehr Markt und weniger Staat, mehr Freiheit und weniger Vorschriften, weniger German Angst und mehr Made in Germany.
Aber das wird wohl nichts mehr, fürchte ich. Der Herbst steht vor der Tür…
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