Gletscher kommen und gehen seit Jahrtausenden – warum das so ist, weiß niemand. Schon früh im 19. Jahrhundert – also lange, bevor Verbrennungsmaschinen weltweit in großem Stil zum Einsatz kamen – begannen sich beispielsweise die Alpengletscher zurückzuziehen.
Bis heute hält diese Bewegung an und das schmelzende Eis gibt preis, was einst von vordringenden Gletschern begraben wurde – Wälder, Weideflächen, Siedlungsreste.
Es war also wiederholt so warm wie in unseren Tagen, nämlich während der Klimaoptima der Antike und des Hochmittelalters, die zugleich kulturelle Blütezeiten waren.
Zwischendurch flehten die Bewohner der Alpen zu ihrem Gott, dass er das Vordringen des Eises und der Kälte abwehren möge. Letztlich ist das, was wir als Trend wahrzunehmen meinen, nur Momentaufnahme eines größeren Geschehens, welches wir nicht verstehen.
Während wie in unaufgeklärten Zeiten Profiteure der Panik wieder heißlaufen, gilt es für abgeklärte Zeitgenossen, die über den Tellerrand des Hier und Jetzt hinausschauen, cool zu bleiben.
Für den Automobilisten gab und gibt es letzlich nur Wetter und allein dessen Vohersage bereitet schon über zwei, drei Tage oft genug Schwierigkeiten. Der Angsthase und Pessimist schwört von jeher auf den geschlossenen Wagen, der Mutige und Optimist auf den offenen.
Wir schließen uns heute der letztgenannten Fraktion an und machen uns auf den Weg ins Gebirge, auf der Suche nach Abkühlung. Dabei begleitet uns ein alter Gefährte – der AD 6-17 von Austro-Daimler.
![](https://i0.wp.com/vorkriegs-klassiker-rundschau.blog/wp-content/uploads/2022/08/Austro-Daimler_AD_6-17_Matthias_Schmidt_Galerie.jpg?resize=584%2C330&ssl=1)
Dieses schon von den Dimensionen her eindrucksvolle Fahrzeug war die erste Neukonstruktion der österreichische Marke nach dem 1. Weltkrieg, entwickelt von niemand Geringerem als Ferdinand Porsche.
Der 1920 vorgestellte Wagen besaß ein Sechszylinderaggregat mit 4,4 Litern Hubraum und 60 PS, der Ventiltrieb mit obenliegender Nockenwelle und Königswelle war vom Feinsten.
Doch auch solch ein Gefährt der Oberklasse war damals noch empfindlich, was Überhitzung bei längeren Bergpassagen mit niedrigem Tempo angeht. Die größere Last bei anhaltenden Steigungen ließ das Kühlwasser irgendwann an den Siedepunkt gelangen.
Dann legte man einen Halt ein, um dem Fahrzeug Gelegenheit zur Abkühlung zu geben – das ließ sich trefflich mit einem Beweisfoto verbinden wie hier:
Der Blick der Kamera hat hier aber nicht nur den Austro-Daimler festgehalten, welchem für einen Moment Kühlung gegönnt wird, bevor es an die nächste Kehre geht.
Im Hintergrund droht zugleich auch ein Ungetüm des kalten Grauens – die Zunge eines Gletschers, welche im ungünstigten Fall alles Leben unter sich begräbt, im günstigeren Falle jedoch neuem Leben Raum gibt.
Der Mensch ist gut beraten, Demut zu zeigen angesichts der Dimensionen solcher Naturphänomene, von deren gewaltiger Dynamik er bis heute so gut wie nichts versteht.
Wie klein wir gegenüber diesem Geschehen sind, das illustriert die Originalaufnahme aus meiner Sammlung sehr gut, welcher ich obigen Ausschnitt entnommen habe.
Mit einem Mal erscheint das eben noch so mächtige Automobil wie ein Spielzeug:
Neben der grandiosen Kulisse, auf die ich gleich zu sprechen komme, ist hier die Fortsetzung der „Straße“ am rechten Bildrand bemerkenswert: So stellten sich die Wegeverhältnisse für Autofahrer im Alpenraum vor 100 Jahren vielerorts dar.
Nun aber zum Aufnahmeort. Auf dieser als Postkarte veröffentlichten Aufnahme fand sich der lapidare Zusatz „Glocknerstraße“. Damit ist die damals noch kaum befahrene Großglockner-Hochalpenstraße gemeint.
Nach kurzer Recherche würde ich sagen, dass dieses Foto von Südosten mit Blick auf den Pasterzegletscher am Fuß des Großglockners aufgenommen wurde.
Seit dem Halt des Austro-Daimlers vor fast 100 Jahren, welcher dem Wagen einen Moment der Abkühlung verschaffte, hat sich der Gletscher um einiges weiter zurückgezogen. Das tat er allerdings bereits, als es noch gar keine Verbrennungsmotoren gab und global betrachtet nicht einmal die Kohleverbrennung eine nennenswerte Rolle spielte.
Machen wir es daher wie einst die Insassen des Wagens, die am Pasterzegletscher haltmachten, welcher noch zu Zeiten ihrer Urgroßeltern weit größer und bedrohlicher war:
Gönnen wir uns einen Moment kühlen Innehaltens und fragen uns, welchen Anteil wir Menschenzwerge am gigantischen Geschehen der Natur wirklich haben können.
Und wenn dann partout einer die Katastrophe herbreireden will, weil doch seit damals so viel mehr Autos unterwegs sind und Energie verbraucht wird, fragen wir ihn, a) ob jemals in unseren Städten in den letzten 100 Jahren die Qualität von Luft und Wasser so gut wie war heute, und b) in welcher Zeit seit der Sesshaftwerdung des Menschen er eigentlich lieber leben möchte, wenn es doch heute so fürchterlich gefährlich ist.
Bei kühler Betrachtung werden wir feststellen: Wir leben über alle Aspekte des Daseins betrachtet in der besten aller Welten und haben dank moderner Technologie erstmals in der Geschichte Zugriff auf alles Großartige, was Menschen jemals irgendwo auf der Welt geschaffen haben, und das in vielen Fällen nahezu kostenlos.
Wie cool ist das denn!?
Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.