Porsche zieht immer! Austro-Daimler Typ ADV Tourer

Die Inspiration für die heutige Betrachtung verdanke ich erneut einem Leser und zwar ausgerechnet dem, der mich jüngst hier auf die Palme brachte. Nun meinte er nämlich, mich mit einer einzigen Zeile locken zu können: „Porsche-Traktor zu verkaufen„.

Ich weiß zwar, dass das Stichwort Porsche bei den meisten männlichen Zeitgenossen zuverlässige Reflexe auslöst – und zumindest einem Trecker aus dem Hause würde ich ebenfalls zutrauen, dass er immer zieht – das ist ja sein Job.

Doch habe ich als Besitzer eines Land-Rovers Serie III von 1971 bereits ein Gerät, welches zu allerlei Landarbeiten eingesetzt werden kann – das war werksseitig ausdrücklich so vorgesehen.

Ausprobiert habe ich es noch nicht, doch er hat seine robusten Qualitäten bereits in einem früheren Winter unter Beweis gestellt, als er uns nachts zuverlässig durch den tief verschneiten Taunus zu einer Party und zurückbrachte:

Landrover Serie 3, Baujahr 1971; Bildrechte: Michael Schlenger

Nun schlummert der wackere Landy seit einer Weile unbewegt im Carport. Doch lässt er sich bei Gelegenheit leicht wiederbeleben und die üblichen Malaisen am Rahmen hat er nicht, da er aus der Schweiz stammt und die dort übliche Unterbodenbehandlung erfuhr, an der hierzulande früher selbst Besitzer von Premium-Rostern von Daimler & Co. meist sparten…

Das Stichwort „Porsche“ zieht bei mir aber auch sonst nicht, wenngleich ich schon einmal einen „Elfer“ gefahren bin.

Doch die seelenlosen Armaturenbretter dieser Dinger aus den 70/80er Jahren gefielen mir nicht, sodass ich bei einem MGB GT mit klassischer Instrumenten-Ausstattung und Ledersitzen landete.

Der war obendrein für einen Bruchteil des Preises zu haben, bereitet auf britische Weise viel Fahrfreude und ist lachhaft billig im Unterhalt ist, speziell, wenn’s mal etwas zu ersetzen gibt.

Aber wie kürzlich ausgeführt, weiß ich es aus volkswirtschaftlicher Perspektive zu schätzen, wenn die Moneten hilfsbedürftiger Porsche-Fahrer von geschäftstüchtigen Werkstätten abgesaugt und in Umlauf gebracht werden. Es gibt nur Gewinner dabei…

Bei einer speziellen Porsche-Konstruktion werde ich aber doch schwach – nein, es ist nicht der Volkswagen gemeint,. so sehr ich meinen unverwüstlichen 1200er Mexiko-Käfer geliebt habe. Hier ist „Hermine“ vom Balkon „meiner“ Villa in Bad Nauheim aufgenommen:

VW 1200 von 1985 in Bad Nauheim, 2002; Bildrechte: Michael Schlenger

Vielmehr meine ich die von Ferdinand Porsche Anfang der 1920er Jahr bei Austro-Daimler konstruierten eindrucksvollen Sechszylinderwagen.

Den Anfang machte der AD 617 – mit 4,4 Liter Hubraum, obenliegender Nockenwelle und damals beeindruckenden 60 PS – ein Meisterstück der frühen Nachkriegszeit.

Und das, nachdem Österreich vielleicht von allen Kriegsbeteiligten den größten Absturz erlebt hatte – gemessen an seiner früheren Rolle als Zentrum eines trotz mancher Spannungen erstaunlich stabilen und kulturell wie wirtschaftlich enorm fruchtbaren Imperiums.

Hier haben wir einen Tourenwagen des Typs AD 6-17 mit den für Austro-Daimler und andere österreichische Marken damals typischen Drahtspeichenrädern:

Austro-Daimler AD 6-17; Originalfoto: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Dieser mit seinen Leistungsreserven speziell auf die Topografie der Alpenrepublik zugeschnittene Wagen erhielt bereits 1923 einen optisch und technisch weitgehend identischen Nachfolger, der nun aber auch die dringend benötigten Vorderradbremsen besaß.

Die Rede ist vom Austro-Daimler ADV, an dessen Verfeinerung Ferdinand Porsche zwar nicht mehr beteiligt war, der aber im Kern immer noch ein Porsche war.

Zu erkennen ist dieses modernisierte Modell an den großzügig bemessenen Bremstrommeln an den Vorderrädern, die dank der filigranen Drahtspeichenräder meist gut zu sehen sind:

Austro-Daimler ADV Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die mit fotografischem Gedächtnis ausgestatteten Leser unter Ihnen werden jetzt sicher denken: „Kennen wir schon – wo bleibt das Neue, Genosse?“

Ganz recht – dieses beeindruckende Gefährt mit kostenbedingt seltenem geschlossenen Aufbau habe ich hier schon einmal vorgestellt.

Doch tatsächlich ist es gar nicht so einfach, in der von mir bevorzugten Preisklasse (ca. 5 EUR) weitere Fotos dieses Luxusgeräts aufzutreiben. Glücklicherweise gibt es Gleichgesinnte, die ihre oft hochkarätigeren Schätze gerne mit uns teilen.

Leser Jörg Pielmann gehört zu den Sammlerkollegen, die uns hier regelmäßig mit Beiträgen dieser Art beglücken, die Sie nirgends anders finden werden – schon gar nicht kostenlos:

Austro-Daimler ADV Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Jörg Pielmann

Diese Aufnahme vermittelt einen besonders guten Eindruck von den Proportionen und dem Platzangebot des Austro-Daimler mit rund 3,50 m Radstand.

Gut zu erkennen sind hier auch die Befestigungspunkte der hinteren Ausleger (Cantilever)-Blattfedern, die typisch für viele sportlich angehauchte Automobile der frühen 1920er Jahre waren.

Weiter vorne in der Schwellerpartie zwischen Trittbrett und Aufbau ist eine Werkzeugschublade mit zwei Zugknöpfen zu erkennen, wenn ich es richtig sehe.

Auch solche Details können bei Wagen, die aus ungünstiger Perspektive oder unvollständig aufgenommen wurden, bei der Identifikation helfen.

Auf diesem Sektor kenne ich mich nach zehn Jahren Bloggerei zu dem Thema und mehreren tausend vorgestellten Fotos ein wenig aus. Was nicht heißt, dass es nicht einer von Ihnen im Zweifelsfall noch besser weiß – und genau davon profitiere ich immer wieder.

Gut auf dem Foto von Jörg Pielmann gefällt mir auch, dass der Wagen hier in einem Umfeld zu sehen ist, wie es typisch für die Welt war, in der sich seine Besitzer bewegte: Luxuriöse Hotels mit allen Schikanen und vielen dienstbaren Angestellten.

Die junge Dame mit der Schirmmütze ganz rechts fällt dabei aus dem Rahmen. Ich könnte mir vorstellen, dass sie zu der Reisegesellschaft gehörte, aber aus irgendeinem Grund separat abgelichtet werden wollte. Irgendwelche Ideen dazu?

Eine weitere Sache wüsste ich zum Schluss gerne noch: Wieviele von den Porsche-Konstruktionen aus dem Hause Austro-Daimler haben eigentlich überlebt?

Und warum sieht man keine in Deutschland bei einschlägigen Veranstaltungen? Die Marke wurde doch auch hierzulande hochgeschätzt, und das beileibe nicht nur, weil der damals bereits zugkräftige Name Porsche dahintersteckte…

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Luxus „light“ tut selten leid! Buicks von 1930

Da habe ich gestern noch mein Leiden am Luxus der frühen 30er beklagt – am Beispiel einer Horch „8“-Pullman-Limousine, die es mir nicht leicht gemacht hat. Man hat es der entsprechenden Abhandlung sicher angemerkt.

Vorausgegangen war dem eine völlig erfolglose erneute Recherche zu dutzenden Fotos in meinem Fundus, die deutsche Autos der frühen 1920er Jahre mit Spitzkühlern – aber ohne jeden Markenhinweis – zeigen.

An diesen oft in bester Qualität aufgenommenen Exemplaren versuche ich mich schon seit Jahren. Das können doch nicht alles individuell gemachte Specials mit modischem Kühlergehäuse aus dem Zubehör gewesen sein! Auch dass so viele Besitzer die Markenembleme entfernt haben sollen, halte ich für unwahrscheinlich.

Inzwischen bin ich soweit, dass ich aus diese Kandidaten bei Gelegenheit einen eigenen Fotoreport machen werde, damit Sie am wahren Ausmaß meiner Leiden an diesen praktisch nirgends dokumentierten Modellen teilhaben können.

Zuvor muss ich mich jedoch mit einigen schnellen Erfolgen belohnen, und wo lassen sich diese leichter als bei US-Großserienwagen erzielen, die in der Zwischenkriegszeit eine heute undenkbare Präsenz in deutschen Landen entfalteten?

Diese Beschäftigung tut einem nur selten leid, denn fast immer wird man mit bemerkenswerten Ergebnissen belohnt – so auch heute.

Ausgangspunkt war diese Aufnahme, die im August 1933 am „Deutschen Eck“ bei Koblenz im düst’ren Schatten von Kaiser Wilhelm entstand:

Buick Limousine, Modeljahr 1930; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Beeindruckend diese 3-Fenster-Limousine mit sieben Plätzen, nicht wahr? Von den Dimensionen an den zuletzt präsentierten, etwas jüngeren Horch erinnernd, aber von der Gestaltung noch den späten 1920er Jahren verhaftet.

Dass es sich bei dem mächtigen und doch wohlproportionerten Wagen um ein US-Fabrikat handeln müsse, das war mir auf Anhieb klar. Die am hinteren Ende der Motorhaube angebrachten Parkleuchten und die Drahtspeichenräder waren Indizien in diese Richtung.

Doch ansonsten wollte sich dieses Gefährt seine Identität nicht ohne Weiteres entlocken lassen. Glücklicherweise genießen wir bei den gängigsten US-Vorkriegsautos jedoch den Luxus, dass einem die Ansprache von Hersteller und sogar Baujahr meist „light“ fällt.

Im vorliegenden Fall dachte ich für einen Moment an einen Cadillac, doch dem Auto fehlt doch einiges zu der Prachtentfaltung dieser amerikanischen Luxuswagen. Tatsächlich bewegen wir uns hier im Segment „Luxus light“, wie wir gleich sehen werden – nach US-Maßstäben.

Inzwischen muss ich in solchen Fällen nicht mehr immer die über 1.500 Seiten starke US-Vorkriegsauto-Bibel „Standard Catalog of American Cars“ von Kimes/Clarke bemühen, die ich zusammen mit den wichtigsten Werken für deutsche Autos stets in Reichweite in einem Biedermeier-Notenschrank neben meinem Schreibtisch liegen habe.

Oft genug hilft es bereits, durch meine eigene, laufend wachsende US-Markengalerie zu „brausen“. Sie ist zwar noch nicht nach Marken unterteilt, aber nach Marken sortiert – so kommt man schneller zum Ziel, indem man einfach solange herunterrollt, bis man fündig wird.

Dieses Mal war das bereits beim Buchstaben „B“ wie „Buick“ der Fall.

Denn dort findet sich diese Aufnahme, die mir Leser Klaas Dierks in digitaler Form zur Verfügung gestell hat und die ich noch nicht vorgestellt habe, meine ich:

Buick, Modelljahr 1930; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Dieses im Raum Berlin zugelassene Exemplar liefert den Schlüssel zur Identifikation des Wagens vom Deutschen Eck, auch wenn es keine aufpreispflichtigen Drahtspeichenräder aufweist. Immerhin hatte sich der Käufer dieses Wagens ebenfalls für die seitlich angebrachten Ersatzräder entschieden, sogar mit Abdeckung (das Rad selbst fehlt).

Entscheidend ist hier die Silhouette des Kühergehäuses welche sich in Form seitlicher Einbuchtungen über die ganze Länge der Motorhaube fortsetzt.

Wichtig außerdem, dass der Aufbau vor dem hinteren Kotflügel nicht mehr über die darunterliegende Schwellerpartie hinauskragt, wie das noch beim 1929er Modell der Fall war.

Nach diesen Hinweisen kehren wir nun zu dem eingangs gezeigten Wagen zurück:

Vergleichen Sie auch die seitlichen Zierleiste und die Position der Türgriffe. Die Haubenschlitze brauchen Sie in diesem Fall nicht zu zählen, wesentlich ist nur, dass sie ebenfalls nicht bis ganz nach vorne reichen. Auch die erwähnte Haubenkontur sollten Sie erkennen können.

Ebenfalls ein 1930er Buick, einverstanden?

Dann ein paar Worte zu dem Wagen, den wir hier sehen: Die Marke Buick war nach amerikanischen Maßstäben in der gehobenen Mittelklasse angesiedelt, bot also selbst im Fall der enorm großzügigen 3-Fenster-Limousine nur Luxus „light“.

Das schlug sich im Fall des Modelljahrs 1930 auch darin nieder, dass es noch keine Achtzylindermotoren wie bei Cadillac gab. Die Reihensechser boten aber hinreichend Leistung, sodass einem der Verzicht auf die zwei zusätzlichen Zylinder nicht leid tun mussten.

Je nach Version (Serie 40, 50 oder 60) wurden zwischen 80 und 100 PS geboten. Das war damals auch das Territorium der Luxuswagen von Horch, aber in den Staaten galt das nicht als ungewöhnlich. Den Buick-Aggregaten fehlte zwar die Komplexität der Zwickauer 8-Zylinder, aber mit kopfgesteuerten Ventilen (ohv=over-head valves) waren sie auf der Höhe der Zeit.

Dass Luxus „light“ auch in ästhetischer Hinsicht zu überzeugen wusste, das zeigt die folgende Aufnahme, die ich in digitaler Form Leser Marcus Bengsch verdanke:

Buick, Modelljahr 1930; Originalfoto: Sammlung: Marcus Bengsch

Mit der hellen Grundfarbe wirkt der Buick trotz des schweren Aufbaus als 6-Fenster-Limousine mit einem Mal auch optisch „light“.

Interessant ist an diesem Exemplar, dass die Parkleuchten hier nach deutscher Konvention auf den Kotflügeln angebracht sind. Auffallend ist außerdem die Rechtslenkung.

Ein ganz bemerkenswertes Dokument für die Leichtigkeit, mit der so ein Wagen daherkommen konnte, auch wenn sich aufgrund der Umstände im Deutschland der frühen 1930er Jahre schwere Zeiten ankündigen.

Doch wir genießen noch den Augenblick und staunen, wie lässig Luxus „light“ in Form eines Buick von anno 1930 damals in deutschen Landen daherkommen konnte:

Buick, Modelljahr 1930; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Na, was sagen Sie dazu? Ist doch eine großartige Sache, wenn Luxus so leicht daherkommt – von der Form und der Farbe des Wagens und den Personen her.

Die extrem niedrige Frontscheibe dieses Cabriolets verrät bereits, dass wir es hier – unabhängig vom Hersteller – mit einer Spezialausführung in Manufaktur zu tun haben.

In Ermangelung anderer Hinweise, müssen wir uns in diesem Fall ganz auf die Kühler-und Haubenpartie konzentrieren.

Ein Markenemblem auf dem Kühlergehäuse ist nicht zu erkennen, was zum 1930er Buick passt. Der Opel 1,8 Liter von 1931 (ebenfalls aus dem Hause General Motors) wies oberflächlich betrachtet einen ähnlichen Kühler auf – doch war der Wagen deutlich kleiner und besaß auch nicht die erwähnte durchgängige Einkerbung in der Motorhaube.

Wie der Blitz auf dem Kühlergitter zu interpretieren ist, überlasse ich erfahreneren Lesern. Ich sehe hier jedenfalls keine unmittelbare Beziehung zum Hersteller.

Für mich bleibt als Arbeitshpothese festzuhalten, dass es sich bei dem schicken Sport-Cabrio vor der Villa (oder Pension) „Ella“ um eine in Deutschland gefertigte Sonderausführung auf Basis eines Buick des Modelljahrs 1930 handelt.

Sie sehen hoffentlich: die Beschäftigung mit solchen Formen von Luxus light“ tut einem selten leid, sofern man mit angemessenem Aufwand zu solcherlei Ergebnissen gelangt.

Jetzt ist die Welt der Vorkriegsautos auf alten Fotos für mich wieder in Ordnung. Damit das Glück aber auch wirklich perfekt ist, blenden wir den Miesepeter am linken Bildrand aus und erfreuen uns einfach nur an all dem, das hier zu sehen ist…

Solche Ausflüge in die automobile Welt von einst sind heute wahrlich kein Luxus. Sie haben allerdings ein gewisses Frustrationspotenzial, denn nicht immer erschließen sich einem die Dinge so „light“ wie im heutigen Fall.

Wenn dann aber alles wie von Zauberhand ineinandergreift, haben diese autotherapeutischen Übungen eine heilende Wirkung in Zeiten, in denen das Schöne viel zu kurz kommt, meine ich.

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Stimme(n) aus der Stille: Adler 6/25 PS Tourenwagen

Zum Wochenende hin gibt’s wie in jedem anständigen Haushalt, der nichts verkommen lässt, Resteverwertung. Die gereichte Kost wird indessen nicht so schwer werden wie beim jüngsten „BMW meets Bach“-Thema – versprochen!

Auch gibt es diesmal wenig zu sinnieren oder zu recherchieren – denn eigentlich tische ich Ihnen heute nur x-mal das Gleiche auf. Als geübter Hobbykoch meine ich aber, auch einer simplen Rezeptur traditioneller Machart einige raffinierte Seiten abgewinnen zu können.

Auf der Menükarte steht nur ein einziges Gericht – doch zum Glück nicht angerührt in der für ihren kalten Funktionalismus berüchtigten Frankfurter Küche – sondern in den prächtigen Adlerwerken unweit des Hauptbahnhofs zu Frankfurt am Main.

Viele Jahre – von der kaufmännischen Ausbildung über das VWL-Studium bis zu meiner Tätigkeit bei einem örtlichen Wertpapierverwalter (Kennern als „Asset Manager“) bekannt – fuhr ich täglich mit der Bahn dort vorbei, ohne mir viel dabei zu denken.

Erst als ich in der Frühzeit meines Dilettierens über Vorkriegsautos auf alten Fotos vor bald 10 Jahren über diese Aufnahme stolperte, begann ich eine intensivere Beziehung zu der Traditionsmarke Adler zu entwickeln – jedenfalls, was deren Automobile betrifft:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die wirklichen Veteranen der Altautofraktion wussten es natürlich lange vor mir: Das war ein Adler des Typs 6/25 PS, der ab 1925 in rund 6.500 Exemplaren gebaut wurde.

Das technisch konventionelle Fahrzeug mit 1,6 Liter Vierzylindermotor (seitengesteuert) war der bis dato größte Erfolg der Marke. Mit Vierradbremsen, vier Gängen und 12 Volt-Elektrik sowie markentypisch makelloser Verarbeitung war der Wagen ein grundsolides Angebot.

Im Unterschied zu einigen anderen Wagen der um 1925 einsetzenden Flachkühler-Ära am deutschen Markt wirkte der Adler durchaus gefällig gestaltet. Mit seinen serienmäßigen Scheibenrädern und der markant gestalteten Frontpartie stach er aus der Masse ähnlicher Fahrzeuge deutscher Provenienz hervor.

Sofern sich der Käufer für die spektakuläre Adler-Kühlerfigur entschieden hatte, kam der Wagen beinahe repräsentativ daher:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Vielleicht fragen Sie sich an dieser Stelle die Frage, was mich dazu bewogen hat, den adretten Adler 6/25 PS im Titel mit „Stimme(n) aus der Stille“ in Verbindung zu bringen.

Nun, das ist einfach erklärt. Ich suchte nach einem Motto, das sich für einen Bilderreigen des Immergleichen eignet, der ohne viele Worte auskommt und zugleich die Frage aufwirft: Was ist aus all den tausenden Wagen dieses Typs geworden, die in den meisten Fällen als Tourer und nur selten mit geschlossenem Aufbau gekauft wurden?

Zum Glück hatte ich gerade eine Platte mit Liedern der geheimnisvollen italienischen Sängerin Mina (nicht zu verwechseln mit Milva) aufgelegt und gerade wickelte sie mich mit der Nummer „La Voce del Silenzio“ auf’s Angenehmste ein.

Das wäre doch ein passender Titel – die alten Adler Fotos als paradoxe „Stimme(n) aus der Stille“ zu präsentieren und zu lauschen, was sie uns – wenn auch stumm – am Ende doch zu sagen vermögen. Und das ist eine ganze Menge, wie wir im Folgenden sehen werden.

Dieser Adler etwa erzählt – mag er selbst sonst völlig schweigend dastehen – von der gestalterischen Schönheit so banal erscheinender Gegenstände wie eines Gartenzauns an einer großzügigen Vorstadtvilla:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Das folgende Exemplar wiederum lässt uns an den bisweilen auftretenden Problemen damaliger Kameras teilhaben.

Hier war unbeabsichtigt Seitenlicht auf den eingelegten Film gefallen. Das konnte beispielsweise passieren, wenn man den belichteten Film herausnehmen wollte, aber vergessen hatte, ihn zuvor ganz zurückzuspulen:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der aufmerksame Betrachter erfährt hier aber auch etwas anderes: Auffallend viele dieser Adler wurden nachträglich mit wohl ledernen „Seitenschürzen“ an den Vorderkotflügeln ausgestattet. Das kenne ich in dieser Häufung von keinem anderen Wagen.

Ich schließe daraus, dass die vorderen Kotflügel ihren Zweck nur unvollkommen erfüllten. Der Hersteller scheint darauf nicht reagiert zu haben. Auch die bei obigem Modell montierte Doppelstoßstange stammte aus dem Zubehörhandel.

Überhaupt fällt auf, dass die Fahrer deutscher Wagen jener Zeit oft die Behebung von Mängeln ihrer Fahrzeuge selbst in die Hand nahmen – im Fall von Stoßstangen nahm man meist Maß an den moderneren US-Modellen, welche den Stil auch solcher funktioneller Bauteile vorgaben.

Wer auf dem Land wohnte, wo außer dem Hausarzt und dem Gutsbesitzer kaum ein Mensch ein Auto besaß, konnte freilich noch gut auf Stoßstangen verzichten. Wenn sich einer freilich in die Großstadt traute – hier im Fall von „Vati in Darmstadt“ – galt es vorsichtig zu sein:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Erst recht kam man ohne großstädtischen Ballast aus, wenn man einen Tourenwagen des Typs Adler 6/25 PS bestimmungsgemäß in der Botanik ausfuhr, um sich an derselben und der Stille zu erbauen, die beim Abstellen des Motors zu vernehmen war.

Dieser Herr etwa fühlte sich irgendwo im Wald mit sich, der Welt, seinem Adler so zufrieden, dass er genau hier und genau so für die eigene Erinnerung und die Nachwelt festgehalten werden wollte:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Andere Vertreter (m/w/d) der Adler-Fraktion wiederum bevorzugten die reizvolle Umgebung eines herrschaftlichen Landsitzes, auch wenn es wohl nicht der eigene war.

Vielleicht bekommt jemand heraus, vor welcher Schlossanlage diese Aufnahme entstand. Der Abzug trägt auf der Rückseit den Stempel eines Fotogeschäfts aus Kassel – das könnte helfen:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Auf der folgenden Aufnahme geht es zwar weit bodenständiger zu, jedenfalls die Architektur im Hintergrund betreffend, aber immerhin ist hier überliefert, wo das Foto entstand und auch wann.

Denn umseitig ist vermerkt: „Pinneberg, Juni 1930“: Die teuer gekleideten Kinder neben dem Wagen wollen eher nicht zu den einfachen Häusern in dieser Straße passen – zum Adler dagegen durchaus:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

So viel Menschliches ist auf diesen nur vordergründig schweigenden Dokumenten zu sehen. Da beginnt der Adler 6/25 PS allmählich in den Hintergrund zu rücken, wenngleich er als Charaktertyp auch in solchen Situationen stets auf Anhieb zu erkennen ist.

Bei der Gelegenheit darf ich an die bereits erwähnten Seitenschürzen erinnern – diese nicht gerade schmückenden Teile, welche eine spätere Kotflügelgestaltung vorwegnehmen. Sie müssen von vielen Fahrern des Adler 6/25 PS als Notwendigkeit empfunden worden sein:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Weiter geht es mit der Resteverwertung auf gehobenem Niveau. Dass ich einigen von Ihnen auch mit bereits vorgestellten Aufnahmen des Adler 6/25 PS eine Freude machen kann, das weiß ich genau.

So zeige ich mit Vergnügen wieder dieses Foto eines Wagens des Typs, der in den 1960er Jahren in der DDR regelmäßig bei Veranstaltungen in der dort bereits vorbildlich organisierten Veteranenszene mit von der Partie war. Wir wissen in diesem Fall sogar, wem dieses schöne Exemplar gehörte, nämlich Heiner Goedecke aus Leipzig:

Adler 6/25 PS Tourenwagen von Heiner Goedecke (Leipzig); aufgenommen in den 1960er Jahren

Von diesem speziellen Fahrzeug, das sehr wahrscheinlich noch existiert, finden sich in einem älteren Blog-Eintrag einige weitere Fotos.

Das hatte ich fast vergessen, als mir kürzlich eine Aufnahme desselben Adler 6/25 PS in die Hände fiel, die ebenfalls zu dieser Zeit bei einer Veranstaltung in der DDR entstanden sein muss.

Hier haben wir das gute Stück neben einem russischen Militär-LKW, wenn ich es richtig sehe:

Adler 6/25 PS Tourenwagen von Heiner Goedecke (Leipzig); aufgenommen in den 1960er Jahren

Zu diesem speziellen Exemplar können sicher noch einige Zeitzeugen etwas sagen. Doch ich will mich nicht zu weit vom heutigen Motto entfernen: „Stimme(n) aus der Stille“. Denn hier sind die alten Fotos selbst die Botschaft und vieler Worte bedarf es nicht.

Nebenbei: Wie so ein Adler 6/25 PS in der Tourenwagenausführung aussah, werden Sie spätestens jetzt verinnerlicht haben, ohne dass ich darauf ausführlich eingehen musste.

Also lassen wir noch ein letztes Mal für heute eine Aufnahme eines Adler 6/25 PS ganz aus sich selbst heraus sprechen und lauschen, was sie uns vielleicht zu sagen hat:

Adler 6/25 PS Tourenwagen von Heiner Goedecke (Leipzig); aufgenommen in den 1960er Jahren

Ein zauberhaftes Dokument finde ich. Hier ist der Wagen ebenso wie die Fachwerkscheune im Hintergrund nur eine gut gewählte Kulisse. Der Fotograf hat die Schärfentiefe mit seltener Präzision auf den Bub hinter dem Lenkrad gelegt, dafür musste man sehr versiert sein.

Und jetzt überlasse ich es ganz Ihnen, was Ihnen dieses schöne stille Foto sagt, das einen Moment festhält, von dem nichts geblieben ist als – bestenfalls – die Scheune mit ihren verwitterten Balken und den typischen Tonziegeln, die man hierzulande nur noch selten findet.

Damit Sie das Wochenende aber nicht allzu melancholisch beginnen, sei Ihnen anempfohlen, was die hinreißende Mina einst zum Thema „Stimme der Stille“ zu singen hatte. Das war anno 1968 – seitdem geht es stilistisch leider eher den „Bach runter“…

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Glückliche Heimkehr: BMW 303 / 309 4-Fenster-Cabriolet

Wenn man sonst keine Probleme hat, macht man sich welche, aber so richtig, und sieht anschließend zu, wie man aus dem Schlamassel wieder rauskommt – deutsche Tradition.

Heute wollen wir diese Kompetenz anhand eines auf den ersten Blick unproblematisch erscheinenden Gegenstands erproben – des BMW 303 bzw. 309. von 1933 bzw. 1934.

Warum nenne ich hier zwei unterschiedliche Modelle in einem Atemzug, nämlich einen Sechszylindertyp und einen Vierzylindertyp? Tja, hier zeichnen sich schon die ersten selbstgeschaffenen Probleme ab.

Denn wenn ich es richtig sehe, lassen sich die beiden von Leistung und Charakteristik so unterschiedlichen Typen äußerlich nicht zuverlässig auseinanderhalten.

Vielleicht kann ja jemand sagen, ob dieser wohlgenährte Herr vor der Kulisse der Nürburg einst einen BMW 303 mit 30 PS aus 1,2 Litern oder einen Typ 309 mit 22 PS aus 850 ccm fuhr:

BMW 303 oder 309 Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die Stoßstange war beim Sechszylindertyp 303 serienmäßig, beim schwächeren 309 konnte sie aber als Zubehör geordert werden. Und genau das dürften prestigebedürftige Zeitgenossen gern gemacht haben.

Wer aufgepasst hat, wird an dieser Stelle beanstanden, dass ich im Titel die 4-fenstrige Cabrio-Ausführung angekündigt hattte. Keine Sorge, der werden wir uns noch widmen.

Mir ging es bloß darum, das grundsätzliche Erscheinungsbild der Frontpartie der beiden BMW-Modelle zu veranschaulichen. Tatsächlich müssen wir dem fülligen Besitzer in diesem Fall sogar dankbar sein, verdeckt er doch den ansonsten arg langweiligen Aufbau.

Für ein Automobil von 1933/34 war die geschlossene Ausführung sehr konservativ geraten, um es zurückhaltend auszudrücken. Von der Kühlerpartie abgesehen, hätte das auch ein Auto der zweiten Hälfte der 1920er Jahre sein können.

Böse Zunge könnten jetzt sagen, dass dies kaum verwunderlich sei, wurde doch die Limousine bei Daimler-Benz in Sindelfingen gefertigt, wo es von einzelnen kühnen Cabriolet-Entwürfen abgesehen eher ängstlich-bieder zuging.

So kommt es, dass dieser BMW 303 als Limousine auch vor einem historischen Gebäude kaum sonderlich modern wirkt:

BMW 303 Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Bemerkenswert an dieser Aufnahme ist nicht nur die phänomenale Wirkung des großzügigen Bauernhauses aus dem beschaulichen Groß-Grönau in Schleswig-Holstein – es dürfte mit einiger Wahrscheinlichkeit noch existieren.

Interessant ist auch das Aufnahmedatum: Mai 1942. Hier hatte jemand mitten im 2. Weltkrieg das Bedürfnis verspürt, den mit Tarnscheinwerfern versehenen Wagen vor einer Kulisse zu dokumentieren, die sonst nichts von den Umständen ahnen lässt.

Vielleicht war es das letzte Foto, bevor der Wagen für das Militär eingezogen wurde. Vielleicht aber auch die letzte Fahrt, bevor der Besitzer selbst an die Front musste – etwa als Arzt.

Wir wissen nichts darüber, nur eines ist klar: Die gigantische Katastrophe, die von deutscher Seite damals aus freien Stücken und – in vielen Fällen – mit großer Hingabe angerichtet wurde, war drei Jahre später vorbei, im Mai 1945 nämlich.

Gut ein Jahr später – am 23. September 1946 – war jedoch jemand schon wieder in der Lage, mit seinem Vorkriegs-BMW einen Ausflug zu unternehmen – da musste einer schon viel Glück gehabt oder eher: sich in brillianter Weise aus dem Schlamassel nach oben gearbeitet haben:

BMW 303 oder 309 4-Fenster-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme kündet zugleich von den kolossalen Problemen, die ich mir mit dem ziellosen Einsammeln solcher Fotorelikte bisweilen selber mache.

Man muss schon einigermaßen bekloppt sein, um sich die Mühe zu machen, so ein Dokument zu enträtseln. Alternativ bzw. ergänzend hilft es, wenn man schon vieles in der Hinsicht gesehen hat und grundsätzlich bei Problemen aller Art zu besonderer Form aufläuft.

Vielleicht erinnern Sie sich an diese Aufnahme eines nahezu identischen 4-Fenster-Cabriolets, das ebenfalls kurz nach dem 2. Weltkrieg aufgenommen wurde.

BMW 303 oder 309 4-Fenster-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ich hatte den Wagen seinerzeit als BMW 315 angesprochen, also den stärkeren Nachfolger des 303, aber aus dieser Perspektive konnte es ebenso ein früheres Modell sein – das Serien-Cabrio wurde von 1933 bis 1936 meines Wissens nicht verändert.

Sehen Sie die Ähnlichkeit der Linienführung am hinteren Verdeckausschnitt? Wichtig ist auch der leicht gerundete Verlauf des hinteren Türabschlusses.

Übrigens wurde diese 4-fenstrige Cabrio-Karosserie von Reutter in Stuttgart entworfen und anfänglich auch dort für BMW gebaut.

Jedoch genügten die Kapazitäten dort nicht, sodass man bald von dem aufwendigen Transport der Chassis von Eisenach nach Stuttgart und zurück absah und die Aufbauten nach Reutter-Vorbild schlicht selbst baute.

Damit sind wir nun tatsächlich an dem Ort angelangt, auf den ich mich mit dem Titel „Glückliche Heimkehr“ bezog.

Denn nach all den Katastrophen der 1930er und 40er Jahre gelangte dieser BMW 303 bzw. 309 mit halbwegs intakter Cabrio-Karosserie an einen besonderen Ort zurück, der für uns Deutsche einer der wichtigsten Orientierungspunkte und dauerhafte Inspiration sein sollte.

Die Rede ist zwar nicht vom Geburtsort des BMW und des historisch bedeutendsten und begnadetsten deutschen Komponisten – Johann Sebastian Bach – denn das wäre Eisenach in Thüringen.

Doch für alle die, die im historischen Mitteldeutschland eine ganz besondere Konzentration schöpferischer Geister über Jahrhunderte sehen, repräsentiert auch das sächsische Leipzig eine ebensolche Heimkehr zu den Ursprüngen:

BMW 303 oder 309 4-Fenster-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Vor dem Bach-Denkmal an der Thomas-Kirche in Leipzig, wo der Meister einst wirkte, wurde 1958 dieser BMW fotografiert. Wenn ich mich nicht irre, trug er ein Nachkriegskennzeichen aus dem sächsischen Reichenbach.

Bemerkenswert sind die beiden Volkswagen und der Heckflosser, die mit dem BMW abgelichtet wurden. Doch der von der Zeit gezeichnete BMW mit wohl von einem DKW geborgten Stoßstangen war für den unbekannten Fotografen eindeutig das großartigste Motiv.

Ich kann das gut nachvollziehen – so wie neben der Kunst von Bach alles Gegenwärtige in musikalischer Hinsicht verblasst. Man hat uns in der Schule – in meinem Fall der ehrwürdigen Augustinerschule in Friedberg/Hessen – exakt nichts davon mit auf den Weg gegeben.

Ich musste mir diese Schöpfungen, die zum Besten zählen, was deutscher Geist für die Menschheit zustandegebracht hat, selbst erschließen. Auch im Elternhaus fand keinerlei Erziehung in der Richtung statt.

Die Deutschen sind im 21. Jh. immer noch ein mit sich selbst zutiefst im Unreinen befindliches Volk. Das ist der Schlamassel, aus dem wir herausmüssen, indem wir uns des Besten in uns vergewissern und zugleich fatalen Neigungen eine Abfuhr erteilen:

Perfektionismus im Banalen, belehrendes Gehabe, lustvolle Hierarchiegläubigkeit, verbiesterte Humorfeindlichkeit und: die Geringschätzung von Schönheit und Überfluss.

Die Kunst Bachs kann bei diesem Heilungsprozess helfen, meine ich. Wie das geht, zeigt uns das Ensemble „Netherlands Bach Society“ anhand der weltlichsten Komposition des Meisters aus Eisenach bzw. Leipzig überhaupt – der „Kaffeekantate“ (BWV 211).

Hier tritt uns Bach bei aller Genialität als Menschenfreund und augenzwinkernder Beobachter gegenüber – und das auf zeitlose Weise, wie uns diese Musiker mit Freude vorspielen:

Wem die Eingangsarie des Herrn „Schlendrian“ zu anstrengend ist, obwohl es darin um zeitlose Probleme von Vätern mit ihren Kindern geht, mag zu 5:00 Min. springen. Dort kommt alsbald die Tochter zu Wort, die ausgiebig ihre Kaffee-Leidenschaft schildert.

Und wenn Sie bis zum Schluss durchhalten, werden Sie erfahren, wie alt die Redewendung „Die Katze lässt das Mausen nicht“ ist (ab 23::30 min).

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Käpt’n Nemo hätt’s gemocht: Ein Cyclecar um 1920

Keiner weiß genau, wie es geschah, doch als ich in die Schule kam, konnte ich schon lesen. Irgendwie muss ich meinen etwas älteren Bruder so lange genervt haben, bis er mich an seinem neu erworbenen Grundschulwissen teilhaben ließ.

Jedenfalls hatte ich schon als kleiner Bub in der Familie den Ruf als Leseratte weg. Das machte es leicht, mir etwas Passendes zu schenken: Bücher mussten es sein, Thema egal! Ob wilde Tiere, Dinosaurier, der Kosmos, Geografie, Erdgeschichte, das alte Ägypten, Raketen oder das römische Imperium – mich interessierte so ziemlich alles.

Unerheblich war auch die Form, ob Sachbücher, Märchen, Romane, Gedichte, Sagen oder Epen – ich saugte beinahe alles im elterlichen Bücherschrank auf wie ein Staubsauger.

Die übliche Karl May-Lektüre gab mir nichts, dafür entdeckte ich früh meine Leidenschaft für die Romane von Jules Verne – dort ging es ebenfalls abenteuerlich zu, aber verbunden mit technischen Schöpfungen raffiniertester Art.

Das wich zwar später einer Phase intensiven Interesses an Science Fiction von Autoren wie Stanislav Lem etwa. Doch eines habe ich nie vergessen: Das Unterseeboot „Nautilus“ von Kapitän Nemo – die weitsichtigste Schöpfung von Jules Verne. Es gibt sogar einen Wikipedia-Artikel zu seinen „Features“.

Auch die schillernde Figur von Käpt’n Nemo hat Spuren in meiner Erinnerung hinterlassen. Er wurde als eine Person mit widersprüchlichen Seiten beschrieben – hochgebildet, kultiviert – dann wieder eiskalt und grausam. Das unterscheidet rein unterhaltenden Gemütskitsch von Literatur, in der man etwas über den Menschen als solchen erfährt.

An Nemo und die Nautilus musste ich heute abend denken, als ich mich mit einem Foto befasste, das mir in digitaler Form Leser Klaas Dierks übersandte:

unidentifiziertes Cyclecar um 1920; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

In dem Augenblick, in dem ich das Bild hier einstelle, durchfährt mich eine Idee, was die Identität des Wagens angeht. Eventuell hat mir eine fleißige Instanz im Hinterkopf gerade die Lösung auf dem virtuellen Tablett serviert.

Sollte ich nun den heutigen Eintrag umschreiben? Nein, denn dann wäre es schade um die Einleitung. Also, nehmen Sie jetzt quasi in Echtzeit an meiner Analyse dieser Aufnahme teil.

An das Uboot Nautilus ließ mich die Form der Karosserie denken, auch wenn dieser Wagen eher rückwärts fahren müsste, um von seiner Gestaltung zu profitieren. Es bleibt jedenfalls der Eindruck eines irgendwie futuristisch wirkenden Fortbewegungsmittels.

Dem steht zwar der monströse Gasscheinwerfer an der Front entgegen – Käpt’n Nemo war nämlich ein Freund der Elektromobilität zu einer Zeit, als auf diesem Sektor nur Techniker etwas zu melden hatten.

Doch das Teil sieht zugleich aus wie ein prächtiger Filmscheinwerfer von anno dazumal. Das passt doch ganz gut zur Vorstellung einer phantastischen Welt der Zukunft, in der es schnell und elegant zugeht und an Energie Überfluss herrscht.

Vielleicht wurde dieser Wagen tatsächlich für einen Film zurechtgemacht, der in der Zukunft spielt. Um 1920, als diese Aufnahme entstand, waren solche Gas-Scheinwerfer zwar technisch von gestern, aber sie machten optisch mehr her als diese neuen Elektrolaternen.

Vielleicht aber sehen wir auch bloß einen Filmmogul jener Zeit, der sich einen modern wirkendend offenen Zweisitzer auf Basis eines Vorkriegsgefährts hatte schneidern lassen.

Möglich, aber aus meiner Sicht unwahrscheinlich. Denn dieser Wagen entspricht ziemlich genau typischen Cyclecars aus der Zeit direkt nach dem 1. Weltkrieg. Das betrifft nicht nur die minimalistischen Kotflügel, sondern vor allem die Cantilever-Hinterachse.

Gemeint ist damit die Hinterrad-Federung mittels einer am Rahmen fixierten halbierten, nach hinten auskragenden Blattfeder – ein Element, das man oft an sportlichen Kleinwagen jener Zeit findet. Über die Vorteile dieser Lösung weiß uns sicher ein Leser aufzuklären.

Mein 1921er EHP Cyclecar verfügt ebenfalls darüber:

EHP Voiturette von 1921; Heckpartie mit Cantilever-Blattfeder

Auch er wurde nach meinen Recherchen original noch mit Gasscheinwerfern ausgeliefert, wie das bei einfachen Wagen kurz nach dem 1. Weltkrieg für kurze Zeit noch üblich war.

Damit hätten wir also eine zeitliche Einordnung – soviel ist klar. Was nun den Hersteller angeht, sagte mir mein Bauchgefühl, dass wir es auf dem Foto von Klaas Dierks mit einem französischen Cyclecar zu tun haben.

Dazu scheint mir auch das Profil des Fahrers mit prächtiger Adlernase zu passen, wie sie sich rechts des Rheins eher selten findet. Doch auch Kapitän Nemo, der angeblich indischer Abstammung war, ist hier aus physiognomischer Sicht nicht auszuschließen.

Ihm hätte dieses Gefährt sicher gefallen, doch seine Vita sah keinen Landgang in Europa vor, wenn ich mich recht erinnere. Es muss sich also bei diesem Nautilus auf vier Rädern um etwas anderes handeln als Käpt’n Nemos bodenständigen Flitzer.

An dieser Stelle möchte ich auf meinen zwischenzeitlichen Geistesblitz zurückkommen. Haben wir es hier angesichts des markanten Kühlerprofils und der daran anschließenden Haubenpartie möglicherweise mit einem Sizaire-Naudin zu tun?

Der französische Hersteller baute bis 1921 solche leichten Sportwagen mit potenten 2,3 Liter-Motoren von Ballot, aber zuletzt wohl auch eine Voiturette in der 1 Liter-Klasse.

Könnte es sein, dass hier zwar nicht die Nautilus, aber ein für Käpt’n Nemo durchaus angemessenes Gefährt für eine heimliche Landpartie aufgetaucht ist?

Und wenn Sie es auch nicht genau wissen, erzählen Sie ruhig, was Ihnen sonst zu dem Wagen, zu Jules Verne, Nautilus und Co einfällt. Ich erfahre gern, wie meine Leser ticken.

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Wagenden winkt der Weg gen Walhall: Hanomag „Garant“

Wer im Titel eine Anspielung an den Komponisten Richard Wagner wähnt, wagt wahrlich wenig.

Denn des Großmeisters der deutschen Romantik Neigung zu Alliterationen in den Texten zu seinen Werken – also aufeinanderfolgenden Wörten mit gleichem Anklang – ist unter Wissenden weithin während – und entsprechend leicht zu persiflieren.

Auf der Woge von Wagner über Wagen nach Walhall ist somit leicht zu surfen, wenn mir diese flapsige Wortwahl erlaubt ist.

Damit wir uns recht verstehen: Wagners Musik gehört für mich zu den wenigen singulären Großtaten deutscher Kultur – neben der Kunst von Bach und Dürer sowie der Bibelübersetzung Luthers und Goethes Faust.

Nicht zufällig finden sich diese Urheber in dem Bau wieder, um den es heute zumindest im Hintergrund geht – der „Walhalla“ an der bayrischen Donau. In dem klassizistischen Bau von Anfang des 19. Jahrhunderts sollten Größen aus dem (weitgefassten) deutschen Sprachraum einen Tempel zur Andacht finden.

Doch bevor wir uns der Walhalla nähern, möchte ich an ein Fahrzeug erinnern, das aufgrund seines bodenständigen Charakters von vornherein keine Chance hatte, in das Museum grandioser Germanen (und solcher, die man dafür hielt) aufgenommen zu werden.

Die Rede ist vom Hanomag „Garant“ – einem biederen Vierzylinderauto der unteren Mittelklasse, welches der Hersteller aus Hannover von 1934 bis 1938 fertigte. Mit 23 PS aus 1,1 Litern Hubraum war er ein direkter Konkurrent des Fiat 508 4m, dem er auch von Abmessungen und Erscheinungsbild zumindest ähnelte.

Hier haben wir die Ausführung des Hanomag „Garant“ als Cabrio-Limousine von 1935/36:

Hanomag „Garant“ Cabrio-Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Gegenüber den beeindruckenden Produktionszahlen des Fiat 508 4m mit über 70.000 Exemplaren (1934-37) blieb der Hanomag eher selten (ca. 12.000 Stück von 1934-38).

Doch bisweilen findet sich ein Foto eines dieser Fahrzeuge, die meines Wissens keinen internationalen Absatz fanden – eine Schwäche in einem noch unterentwickelten Heimatmarkt. DKW zeigte damals, wie man es besser macht.

Bei Hanomag hatte der Bau von PKWs allerdings generell nicht die Bedeutung wie bei anderen Herstellern. Die Nischenexistenz spiegelt sich im Fall des „Garant“ auch in der Abkehr von den Ganzstahl-Karosserien von Ambi-Budd wider, die 1935 einem von Karmann gefertigten Manufakturaufbau als Cabrio-Limousine wichen.

Diese kam anfänglich noch mit einem angesetzten Kofferraum daher, welcher auf diesem Foto zu erahnen ist:

Hanomag „Garant“ Cabrio-Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Diese Gestaltung der Heckpartie wich 1936 einer harmonischen Ausführung mit integriertem Kofferraum und gekonnt abfallender Linienführung – damals auch als Stromlinienheck bezeichnet.

Entsprechende Aufnahmen scheinen nach meiner Wahrnehmung allerdings Seltenheitswert zu haben.

Erst beim Studium eines Fotos, das ich vorrangig aufgrund der Szenerie erworben hatte, ging mir auf, dass hier genau so ein Wagen auf dem Weg gen Walhall zu sehen ist:

Hanomag „Garant“ Cabrio-Limousine (Karmann); Originalfoto: Michael Schlenger

So wirkungsvoll diese Aufnahme mit der „Walhalla“ im Hintergrund auch gestaltet ist, leidet sie doch unter den Mängeln derselben.

Ein weißer Marmorbau passt nun einmal nicht so gut vor eine deutsche Waldkulisse wie das Vorbild – der Parthenon-Tempel in Athen – auf die dortige Akropolis. Auch leidet die Wirkung der Walhalla unter der überdimensionierten Treppenanlage davor – sie lässt den Tempel in Relation unverdient klein erscheinen.

Was die Architekten Anfang des 19. Jahrhunderts zudem mangels eigener Anschauung nicht wussten, war der Umstand, dass die klassischen Tempel der Antike ihre Spannung aus der gezielten Abweichung von der Geraden in der Horizontalen wie der Vertikalen bezogen.

Die beeindruckendste Partie der Walhalla ist ohnehin der Innenraum mit einer vom kühlen Weiß abweichenden Farbfassung – man muss das gesehen haben.

Warum man bei der Bezeichnung dieses Tempels ausgerechnet auf die „Walhall“ der nordischen Tradition Bezug nahm, in der es weniger erhaben zuging und die germanischen Helden sich mit Bier und Wurst die Zeit vertreiben mussten, erschließt sich mir nicht.

Aber dieser ganze Germanenkult ging ohnehin nie an mich und als Freund der klassischen Antike finde ich die Verehrung haufenweise germanischer Barbarenführer in der Walhalla verstörend, die außer Zerstörung der Welt der Antike nichts Bleibendes zustandebrachten.

Genug davon, das deutsche Gemüt scheint zwischen primitivem Gefolgschaftsdenken und destruktivem Ausbreitungsfuror einerseits und der großbürgerlichen Sehnsucht nach der wohltemperierten Grandiosität mittelmeerischer Tradition nie eine Balance gefunden zu haben.

Dieses Problem gilt es aber heute auch nicht zu lösen – also zurück zum Ausgangspunkt:

Während ich die Zulassung dieses Wagens nicht ermitteln konnte – nur Oberbayern als Region ist gesichert – konnte ich der Identität von Hersteller und Typ auf die Spur kommen.

Das erste Indiz lieferte die Gestaltung der Stoßstange mit „Mittelrippe“ in Verbindung mit dem Scheibenrädern und Chromradkappen. Viele Kandidaten kommen da nicht in Betracht und rasch landete ich beim „Garant“ aus dem Hause Hanomag.

Die schön gestaltete Heckpartie hatte ich bis dato noch nie an dem Modell gesehen, aber in Verbindung mit der für meine Begriffe in Bild und Detailtiefe etwas sparsamen Literatur zu Hanomag-PKWs gelangte ich alsbald ans Ziel.

Indessen muss dem Wagen der finale Einzug nach Walhall versagt bleiben, denn dieser ist nur dem wirklich alles Wagenden verheißen – außerdem den Walküren, die der germanischen Sage nach im Kampf gefallene Recken zu ihrem Altersruhesitz brachten…

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Der letzte seiner Art? Adler „Primus“ von 1932

Wir leben wieder in Zeiten, in denen Altes Neuem weicht. Die Karten werden auf vielen Ebenen neu gemischt – unangreifbar scheinende Champions werden binnen kurzem abgehängt oder nehmen sich in Selbstgenügsamkeit aus dem Rennen.

Liebgewonnene Denkschemata und Freund/Feind-Bestimmungen werden durch neue Gegebenheiten und Frontlinien abgelöst. Wer in den Kategorien und Methoden von gestern verhaftet bleibt, mag sich noch eine Weile über Wasser halten, wird aber früher oder später dynamischeren und vitaleren Kräften weichen.

Das ist der Gang der Geschichte – in unseren Gefilden nur durch die Erstarrung im Kalten Krieg eine Weile aufgehalten.

Doch spätestens mit der IT-Revolution ab 2000 zeigt sich zunehmend: Wer bisher der Klassenprimus war, mag sich in der rauen Wirklichkeit des Wettbewerbs bald abgehängt sehen, wenn er die Zeichen der Zeit nicht erkennt oder schlicht abgewirtschaftet hat.

Solche Phasen geben Anlass zur Melancholie – man lässt Gewohnheiten ungern gehen – doch zugleich eröffnen sich mit einem Mal Räume, die großen Reiz entwickeln können, wenn man im Kopf beweglich bleibt und sich selbst neu zu erfinden weiß.

Die Kutscher mussten nach 1900 über kurz oder lang das Chauffeurs-Handwerk erlernen. Kaum waren angestellte Fahrer etabliert, wurden sie ab 1920 selbst Opfer des Fortschritts – wer auf Zack war, wurde dann Fahrlehrer, eröffnete eine Werkstatt oder ein Autohaus.

Eine der wenigen deutschen Automarken, die alle Umbrüche ab der Jahrhundertwende mitmachten und sich bis zum 2. Weltkrieg unter dem Druck des Markts immer wieder erfolgreich neu zu orientieren zu verstanden, war „Adler“ aus Frankfurt am Main.

Anfang der 1930er Jahre sah sich der Traditionshersteller ebenso wie seine Kunden einem rapiden Wandel in der Welt des Automobils gegenüber. Gleich mehrere Tendenzen zeichneten sich ab, ohne dass sicher war, welche davon den Weg in die Zukunft wies:

Der neue Frontantrieb forderte den Status quo ebenso heraus wie die Idee, Karosserien windschnittiger und zugleich geräumiger zu gestalten. Straßenlage und Fahrkomfort gewannen immer mehr an Bedeutung, und das Einsteigerauto sollte endlich familien- und reisetauglich tauglich werden, wie das in den USA längst der Fall war.

Interessant zu sehen ist, dass etliche Hersteller auf diese neue Gemengelage dadurch reagierten, dass sie Tradition und Moderne gleichermaßen Raum gaben und damit einer gespaltenen Kundschaft gerecht zu werden suchten.

Im Fall von Adler konnte das noch anno 1932, als man bereits das moderne Frontantriebsmodell „Trumpf“ anbot, so vollkommen konservativ aussehen wie hier:

Adler „Primus“ von 1932; Originalfoto: Michael Schlenger

Das könnte doch glatt ein Adler „Favorit“ sein – entwickelt Ende der 1920er Jahre – und bis in die frühen 30er mit etwas modernisierten Formen weitergebaut.

Nur die kompakte Bauweise als zweitürige Limousine, die einfache Stoßstange und das neugestaltete Adler-Emblem auf dem Kühler verraten, dass wir es mit einem 1932 neu eingeführten kleineren Modell zu tun haben – dem „Primus“ mit 1,5 Liter-Vierzylinder.

Wieso Adler ausgerechnet dieses traditionelle Gefährt mit Heckantrieb und 20er Jahre-Optik als „Klassenbesten“ anpries, erscheint schwer verständlich. Vielleicht dachte man, dass es nicht schaden kann, ein so konservatives Angebot dem Namen nach aufzuwerten.

Tatsächlich ging das Kalkül auf und bis 1936 blieb der Primus im Programm. Allerdings wurde der identisch motorisierte Adler „Trumpf“ mit Frontantrieb weit öfter verkauft, obwohl er nicht über die Hydraulikbremsen des „Primus“ verfügte. Womöglich wollte Adler damit dem Hecktriebler etwas Rückenwind geben.

Während das Spekulation bleiben muss und auch egal ist, wenn man Vorkriegswagen aus vorwiegend ästhetischer Sicht betrachtet, ist eine Sache es wert, festgehalten zu werden.

Der Adler Primus wurde nämlich nur im Jahr seines Erscheinens, also 1932, mit dem klassischen Flachkühler angeboten, der perfekt zu der konservativen Erscheinung passt.

Adler „Primus“ von 1932; Originalfoto: Michael Schlenger

In dieser Ausführung war der Primus zwar dem Namen nach der „Erste“, aber von der Form her der letzte seiner Art. Adler sollte ab 1933 keinen Wagen in dieser klassischen Optik mehr bauen.

Das mag in Verbindung mit den gegenüber dem Fronttriebler „Trumpf“ weit geringeren Stückzahlen dazu beigetragen haben, dass der „Primus“ von 1932 kaum noch bekannt ist.

Dabei war der Wagen genau in dieser Form noch einmal perfekter Ausdruck des Stils der 1920er Jahre, den amerikanische Gestalter perfektioniert hatten. Hier wird nämlich im Kleinformat ein letztes Mal die klassische Frontpartie des Cadillac von 1928 zitiert:

Adler „Primus“ von 1932, Nachkriegsaufnahme; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dem repräsentativen Eindruck keinen Abbruch tut weder die mitgenommmene Stoßstange noch der aus dem 2. Weltkrieg übriggebliebene „Notek“-Tarnscheinwerfer auf dem Kotflügel.

Dieser „Primus“ hatte die Umbrüche jener Zeit einigermaßen intakt überstanden, und auch wenn er inzwischen völlig von gestern war, löste er für seine Besitzer immer noch das zentrale Versprechen des Automobils ein: Herrscher über Zeit und Raum zu sein.

Ich würde diese Aufnahme grob auf „späte 40er Jahre“ datieren, tue mich aber schwer mit dem Nummernschild. Offensichtlich handelt es sich nicht um eines der damals in Deutschland üblichen Besatzungskennzeichen, aber was ist es dann?

Dass jemand im einst von deutschen Truppen besetzten Ausland nach dem Krieg noch die an unselige Zeiten erinnernde Tarnlaterne beibehalten hätte, fällt mir schwer vorzustellen.

Könnte das ein Kennzeichen aus der Zeit der Neuordnung des Nummernschildwesens ab 1948 sein? Für Hinweise bin ich dankbar – dann bitte die Kommentarfunktion nutzen.

Mich beschäftigt und begeistert unterdessen mehr die zweite Aufnahme desselben Wagens:

Adler „Primus“ von 1932, Nachkriegsaufnahme; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

So wie der Adler mit Heckantrieb, 20er Jahre-Look und Tarnscheinwerfer formal wirklich von gestern war, wirkt auch der Herr mit Hund ganz links wie einer der letzten seiner Art.

Das bezieht sich auf sein Erscheinungsbild mit klassischer Knickerbocker-Hose und langen Strümpfen – nebenbei ein Outfit, das ich als Retro-Radler und radikaler Gegner kurzer Hosen bei Männern mit bleichem Gebein nur zur Nachahmung empfehlen kann.

Dieses Thema werde ich übrigens demnächst hier vertiefen, anhand eines Potpourris an Bildern aus dem Süden, bei dem es nebenbei auch um Vorkriegsautos geht.

Was den Adler „Primus“ betrifft, hoffe ich doch sehr, dass wir auf diesen frühen Nachkriegsfotos nicht wirklich den letzten seiner Art sehen. Einige sollte es noch geben.

So gelungen die Fronttriebler von Adler auch waren, würde ich vor die Wahl gestellt, doch dem rareren „Primus“ die Rolle als meinem „Favorit“ einräumen.

Denn so ein wirklich klassischer Vorkriegswagen ist doch die reine Freude, auch wenn es mal etwas zu basteln gibt, nicht wahr?

Adler „Primus“ von 1932, Nachkriegsaufnahme; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

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Wer und wo ist hier ein Star? Renault „Vivastella“ von 1934

Die Faszination der Sterne ist ungebrochen – auch in der Hinsicht sind wir noch ganz die Abkömmlinge der jungsteinzeitlichen Siedler, die viele tausend Jahre vor Beginn unserer Zeitrechnung sesshaft wurden und für deren Dasein als Ackerbauern die Betrachtung des Sternenhimmels elementar für das „Timing“ ihrer Aktivitäten war.

Etwas später – in der Bronzezeit – begann die Handelschiffahrt über die offene See. Auch zum Navigieren fernab der Küsten war der Blick zum Firmament überlebenswichtig. Dergleichen Alltagskompetenzen verloren für die meisten Menschen an Bedeutung – doch die Sterne wissen immer noch zu begeistern.

Was den einen ihr Horoskop ist, ist den anderen der Kult um Sterne, die zwar nur für begrenzte Zeit auf Erden wandeln, aber es dennoch geschafft haben, überirdische Wirkung bei ihren Anhängern zu entfalten.

Neben Superstars für die Ewigkeit wie Maria Callas oder Elvis Presley, Catherine Deneuve oder Steve McQueen, Tazio Nuvolari oder Stirling Moss gab und gibt es stets auch vorübergehende glänzende Erscheinungen, die zwar bald wieder in Vergessenheit geraten, aber bei einem Wiedersehen doch noch zu funkeln wissen.

Mitunter begegnet man auf alten Fotos verdächtigen Zeitgenossen in der Hinsicht und stellt sich die Frage: Verbirgt sich hier vielleicht ein Star von einst, den wir bloß nicht mehr kennen?

So ein Beispiel ist mir in Form dieser Aufnahme vor einiger Zeit „zugelaufen“:

Renault „Vivastella“; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieses Arrangement erscheint mir ein wenig zu inszeniert, um einfach nur zufällig aufgenommen worden zu sein.

Man meint hier gleich drei voneinander unabhängige filmreife Szenen zu sehen:

Zwei Geschäftsleute ins Gespräch vertieft – daneben eine selbstbewusste junge Dame, die sich mit einem Mann ertappt fühlt, als habe man gerade ein Abkommen geschlossen, über das man besser Stillschweigen bewahrt – zuletzt eine weitere Frau, die mit triumphierendem Blick und perfekter Pose ins Bild schreitet.

Das bilde ich mir vermutlich alles nur ein, aber irgendwie muss ich ja den üblichen Umweg hin zum eigentlichen Thema hinbekommen. Und dabei handelt es sich um den eigentlichen Star der Situation – im wortwörtlichen Sinn, wenngleich er seinen Status zu verbergen sucht.

Sie ahnen es, es geht um die glänzende Limousine mit geöffneter Fahrertür, auf die hier kurz der Blick fällt, als der Fotograf im einzig richtigen Moment den Auslöser betätigte.

Das Ganze ist derartig auf den Punkt gebracht, dass man sich das gerne näher anschaut:

Spätestens jetzt werden Sie den Markenschriftzug „Renault“ auf der Stoßstange bemerken.

Aber glauben Sie bloß nicht, dass die Identifikation des genauen Typs dadurch wesentlich erleichtert wird. Zu dem Zeitpunkt, als dieses Auto gebaut wurde – in der ersten Hälfte der 1930er Jahre – bot Renault eine kaum zu überschauende Modellvielfalt mit fast jährlich wechselnden Details und phantasievollen Bezeichnungen, die nur bedingt weiterhelfen.

Noch relativ einfach findet man sich bei den drei Vierzylindertypen zurecht, deren Namen immerhin einen Hinweis auf die Motorisierung enthielten: „Monaquatre“, „Primaquatre“ und „Vivaquatre“. Sie unterschieden sich hauptsächlich im Hubraum und Radstand.

Die Frontpartien der Vierzylindermodelle entsprach allerdings weitgehend derjenigen der nächsten Kategorie mit Sechszylindermotoren: „Monastella“, „Primastella“ und „Vivastella“. Erschwerend kommt hinzu, dass der Monastella (8 CV) hubraum- und größenmäßig zwischen den 4-Zylindertypen Monaquatre (7CV) und Primaquatre (10 CV) angesiedelt war.

Außerdem besaßen Primastella und Vivastella dieselbe Motorisierung, unterschieden sich aber im Aufbau. Diese Aussagen beziehen sich nebenbei nur auf die Zeit ab 1932.

Wenn Sie jetzt denken, dass der Namensbestandteil „stella“ auf die sechs Zylinder verweisen könnte – quasi in Analogie zu „quatre“ bei den Vierzylindertypen, so irren Sie.

Das auf das lateinische Wort für „Stern“ bezogene Partikel findet sich nämlich auch bei den Spitzenmodellen von Renault wieder: den Achtzylindertypen „Nervastella“ und „Reinastella“.

Neben den für einfach gestrickte germanische Gemüter heillos verwirrenden gallischen Modellbezeichnungen ist vielleicht der Umstand am bemerkenswertesten, dass Renault damals auch in der Achtzylinderklasse mit Hubräumen von 4 bis 7 Litern aktiv war.

Für diese teils atemberaubend, teils „eigenwillig“ gestalteten Premium-Fahrzeuge der Marke interessiert sich in deutschen Landen kein Mensch mehr, während man sich mühelos für die massenhaft neu fabrizierten Specials der englischen Marke „Bentley“ begeistert, für die in den meisten Fällen eine originale Limousine oder ein Coupé zerstört wurde.

So ist mir bei Veranstaltungen in Deutschland noch nie ein solches französisches Designobjekt aus dem Hause Renault begegnet, obwohl diese nun wahrlich exklusiv sind.

Zurück zu unserem mutmaßlichen Star. Dummerweise tauchen nach meinen Recherchen erst ab 1935 durchgängig die erwähnten Modellbezeichnungen auf den dann meist mittig nach unten geschwungenen Vorderstoßstangen auf.

Einen Hinweis finden wir beim genauen Hinsehen dann aber doch: Die beiderseitig angebrachten Ersatzräder mit der verchromten Abdeckung finden sich definitiv nicht an den Vierzylindertypen, auch nicht am kleinen Sechszylindermodell „Monastella“.

Mir scheint dieses Ausstattungsdetail dem sechszylindrigen „Vivastella“ vorbehalten gewesen zu sein, außerdem gab es das bei den nochmals größeren Achtzylindern. Deren Motorhauben waren allerdings länger und verfügten über mehr seitliche Luftklappen.

Somit bleibt als wahrscheinlichster Star-Anwärter der „Vivastella“ von 1934. Übrigens waren die Stella-Modelle von Renault an einem erhaben ausgeführten sechszackigen Stern oben auf dem Kühler zu erkennen.

Leider ist das auf der digitalisierten Version meines Fotos nicht zu erkennen, während der Stern auf dem Originalabzug zumindest zu erahnen ist. Wenigstens den Teil der Story „müssen“ Sie mir also glauben, alles Übrige steht wie immer zur Diskussion.

Wie so ein Star aus dem Hause Renault anno 1934 daherkommen konnte, davon vermittelt folgendes Video einen Eindruck. Bitte bedenken Sie dabei, dass es sich hierbei um einen Achtzylinder des Typs „Nervastella“ handelt und der Aufbau ein anderer ist.

Aber immerhin bekommen Sie dabei den in Aussicht gestellten Star zu sehen…

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Eine grüne Vision wird wahr! Mercedes-Benz 170 (W15)

Wenn Sie beim Stichwort „Grüne Vision“ zusammenzucken, ist das nicht meine Schuld. Doch keine Sorge, es gibt Dinge, die sich selbst so grün(d)lich unmöglich machen, dass diese keines weiteren Kommentars bedürfen.

Es geht daher heute unpolitisch zu – für den Fall, dass Sie anderes befürchtet hatten.

Wir machen stattdessen einen Ausflug ins Grüne, wie er eigentlich sein soll – erbaulich für den Städter, schonend für die Umwelt und dem Herz des Autofreunds wohltuend.

Das Fahrzeug unserer Wahl ist eines, wie es das längst nicht mehr gibt – hauptsächlich weil das wuchernde Vorschriftendickicht es praktisch unmöglich macht, so etwas zu bauen:

Ein kompakter Viersitzer mit gut einer Tonne Wagengewicht, ausreichender Leistung, guten Bremsen, modernem Fahrwerk und – jetzt halten Sie sich fest: einem 6-Zylindermotor!

Diese Vision verwirklichte Damler-Benz ganz ohne ins Grüne strebende Absichten anno 1931 mit dem Mercedes 170 – nicht zu verwechselt mit dem späteren 170V.

Natürlich gab es in bester Markentradition auch Cabriolet-Versionen, aber die überzeugen den Ästheten aufgrund der kompakten Abmessungen nicht so recht:

Mercedes-Benz 170 (W15) Cabriolet C; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Das riesige Verdeck und die kastige, hohe Tür tun der Linie des Wagens einfach nicht gut.

Unglücklich finde ich auch die arg hohen Luftschlitze in der Motorhaube, die aber auf die offenen Versionen beschränkt waren, wie es nach dem Studium der für meine Begriffe etwas dürftigen Literatur zu dem Modell scheint.

Die klassische Limousine war nach meinen Maßstäben ausgewogener proportioniert. Ein Fan der Mercedes-Optik jener Zeit werde ich allerdings nicht mehr – jedenfalls was die geschlossenen Aufbauten betrifft.

Doch das alles relativiert sich, wenn man mit so einem Mobil ins Grüne aufbricht und sich Visionen ganz eigener Art hingibt:

Mercedes-Benz 170 (W15) oder 200 Limousine; Originalfoto: Sammlung Marcus Bengsch

Ich weiß, dieses Exemplar könnte auch ein Mercedes 200 mit Flachkühler aus dessen Einführungsjahr 1933 gewesen sein, aber es gab den äußerlich identischen 170er zumindest gegen Aufpreis ebenfalls mit Vorderstoßstange.

Mir ging es ohnehin eher darum, Sie ins Grüne zu entführen, welches sich auf alten Fotos meist in Grautönen manifestiert – aber warten Sie ab, Sie erleben am Ende Ihr grünes Wunder.

Hauptsache, wir sind jetzt abseits der Städte, der Industrieareale und ausgebauten Landstraßen – darauf kommt es an, wenn man sich der wahren Verführungskraft des Grünen hingeben will.

Auf diese Foto befinden wir uns schon fast am Ziel für heute:

Mercedes-Benz 170 (W15) Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wer entwickelt hier keine Sehnsucht nach dem Grünen? Für einen Moment kann man hier glatt die politischen Umstände der 1930er Jahre vergessen, auch wenn sie durchscheinen.

Ich erspare Ihnen und mir an dieser Stelle die Herleitung, dass die Limousine im Hintergrund mit Kölner Zulassung sehr wahrscheinlich ein Mercedes-Benz 170 (W15) war.

Zumindest der Stern auf dem Kühler ist zu erahnen. Vielleicht prägen Sie sich noch die Silhouette der Frontpartie ein, bevor es weitergeht.

Diese Aufnahme, so reizvoll ist, repräsentiert nur eine Zwischenstation auf der Suche nach der angekündigten grünen Vision, wie sie eigentlich sein soll – nämlich: dem Auge schmeichelnd, von alter Kultur geprägt und mit der Moderne harmonisch vereint.

Genau das, liebe Leser, hielt jemand kurz vor dem 2. Weltkrieg für uns auf einem der damals neuen und noch sehr teuren Agfa-Farbdiafilme fest.

DAS ist das Original – grüner wird’s nicht, wie mein Großonkel Ferdinand im Auto zu pflegen sagte, wenn jemand mal wieder vor der Ampel nicht in die Gänge kam:

Mercedes-Benz 170 (W15) Limousine; Originaldia: Sammlung Michael Schlenger

Ich versichere Ihnen: Diese Aufnahme ist nicht nachkoloriert und von ein paar entfernten Flecken abgesehen auch nicht nachbearbeitet.

Der Zustand des Mercedes – aus meiner Sicht muss das ein 170 (W15) sein – spricht gegen eine frühe Nachkriegsaufnahme. Mir liegen noch einige Farbdias weiterer Autos aus der Vorkriegszeit vor, welche ich bei Gelegenheit zeige – das gab es also, wenn auch selten.

Das wär’s von meiner Seite für heute – ich hoffe, diese grüne Vision der besonderen Art hat Ihre Zustimmung gefunden.

Wenn jetzt noch einer herausfindet, wo dieses Foto entstanden ist und wie grün es dort in unseren Tagen (hoffentlich) aussieht, dann ist das Glück für den passionierten Vorkriegsautofreund und unheilbaren Nostalgiker vollkommen…

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Fund des Jahres: Aus dem Gau in den Stau zum Gardasee…

Was auch immer Sie als Fund des Jahres 2024 erwartet oder sich erhofft haben – ich bin sicher, dass Sie mit dem Ergebnis zufrieden sein werden, auch wenn dieses etwas anders ausfällt als sonst.

Als passionierter Italienreisender bin ich zwangsläufig auch leidenschaftlicher Kilometerfresser. Perfekt dazu passte die Entdeckung einer ganzen Bilderfolge – die zwar viel Arbeit gemacht hat, bis sie präsentabel war, aber mich nebenher mit einer Route und Ansichten belohnt hat, die mir bislang unbekannt waren.

Denn zum südlichsten See Deutschlands – wie die Italiener zu sagen pflegen – also dem Gardasee, bin ich in bald 40 Jahren Reiserei über die Alpen nie gelangt. Mich hat es stets weiter den Stiefel hinunter gezogen und das tut es bis heute.

Den wenigsten ist das Glück gegeben ist, sein Leben mit gewohnheitsmäßigen Italienreisen und dem Erhalt von Vorkriegsautos zu bereichern – außerdem lässt der Winter einen gern von blauem Himmel, Sonnenschein und Wärme träumen.

So dachte ich mir, dass ich gerade den Lesern in der finsternsten Zeit des Jahres vielleicht eine Freue mache, welchen dieser Lebenstil nicht vergönnt ist oder die vielleicht nicht mehr selber reisen können.

Nun machen Sie es sich bequem und nehmen Sie an einer außergewöhnlichen siebentägigen Reise teil, die am 4 Juni 1938 in Halle begann. Stellen wir uns vor, wir besäßen einen Stoewer „Greif“, wie er auf dieser alten Reklame für Benzin der Marke Standard abgebildet ist:

Stoewer „Greif“- auf Reklame für „Standard“-Kraftstoff; Original: Sammlung Michael Schlenger

Der 1935 eingeführte Stoewer wird hier völlig angemessen auf der Autobahn gezeigt. Denn mit seinem luftgekühlten 34 PS-Motor erreichte er die damals wichtige Marke von 100 km/h.

Das moderne Chassis mit Zentralrohrrahmen und komfortablem Fahrwerk mit Querblattfedern machte den ursprünglich von Tatra entwickelten Wagen zu einem angenehmen Reisefahrzeug, das überdies leistungsfähige hydraulische Bremsen besaß.

Früh machen wir uns auf den Weg, denn wir haben einiges vor.

Doch kaum sind wir auf der Autobahn, die von Halle in Richtung Nürnberg gen Süden führt, finden wir uns in einem Stau vom Feinsten wieder – so sieht es jedenfalls auf den ersten Blick aus:

Wagenkolonne auf der Autobahn; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Naja, mögen Sie jetzt denken, es gibt Schlimmeres als so eine Ansammlung von Vorkriegswagen, auch wenn im Moment nichts mehr zu gehen scheint. Die Leute stehen ja sogar auf der Straße herum!

Offenbar dauert es, bis weitergeht, warum auch immer.

Also steigen wir aus unserem Stoewer „Greif“ aus, greifen zur Kamera und wechseln die Straßenseite, die fast völlig leer ist. Schauen wir doch, ob sich etwas Interessantes auf den frisch eingelegten Rollfilm im Format 9 x16 cm bannen lässt:

Wagenkolonne auf der Autobahn; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Und tatsächlich! Das Auto ganz am Ende, das ist doch ein BMW 326 in der Ausführung als viertürige Limousine. Von dessen 50 PS starkem Sechszylinder und Spitze 115 km/h können wir nur träumen.

Mit 5500 Reichsmark spielt er aber auch preislich in einer ganz anderen Liga als unser braver Stoewer – und schon der ist mit 3650 für die Cabrio-Limousine) kein Billigheimer.

Übrigens ist unser „Greif“ der zweite Wagen von links auf diesem Ausschnitt – zwei Mercedes trennen ihn vom BMW.

Nachdem sich der „Stau“ endlich aufgelöst hat, folgen wir weiter der Autobahn via Nürnber Richtung München. Unterwegs gibt es einen nunmehr planmäßigen Halt bei Eichstätt im Altmühltal, wo wir den Blick auf die Willibaldsburg genießen:

Aussichtspunkt bei Eichstätt; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wieder nutzen wir die Gelegenheit, unseren wackeren Stoewer – in der erwähnten Ausführung als Cabrio-Limousine vor eindrucksvoller Kulisse abzulichten.

Das ist übrigens eine Gelegenheit, den „Greif“ aus ganz ungewöhnlicher Perspektive zu studieren – noch dazu mit geöffnetem Kofferraum, der darauf ausgelegt war,weit mehr Gepäck zu fassen als man denkt. Er blieb dann eben auch während der Fahrt offen:

Stoewer „Greif“ bei Eichstätt; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Nach diesem Idyll geht es bald weiter gen Süden – an München vorbei und in Richtung Alpen – denn über die wollen wir drüber.

Aber irgendwie scheint in dieser Fahrt der Wurm drin zu sein – jedenfalls den Bildern nach zu urteilen. Denn kurz vor Garmisch-Partenkirchen – wir haben schon das majestätische Wettersteingebirge mit der Zugspitze vor Augen – bildet sich der nächste Stau.

Bereits routiniert steigen wir aus, die Kamera in der Hand und nutzen die Gelegenheit, um Bilder zu machen:

Straße nördlich von Garmisch; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wie es der Zufall will, haben wir wieder einen BMW vor der Linse, doch diesmal ein Cabriolet mit schicker Zweifarblackierung. Der jungen Dame im Wagen ist offenbar langweilig und so posiert sie freundlich für uns in dem edlen Fahrzeug.

Bald nimmt die Sache wieder Fahrt auf und nach nicht allzulanger Zeit sind wir bereits in Österreich. Der nächste Höhepunkt ist der Fernpass, wo wir einen kurzen Halt zur Proviantaufnahme nutzen.

Ein Tiroler Bub reicht uns eine Papiertasche mit Wegzehrung. Was darauf und auf der Seitenscheibe zu lesen gibt Ihnen eventuell einen ersten Hinweis auf den wahren Charakter dieser Fahrt – doch so oder so folgt die Auflösung am Ende.

Zwischen Fernpass und Nauders; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der Aufbau unseres Stoewer kommt hier gut zur Geltung, nicht wahr? Als Cabrio-Limousine verbindet er das Beste aus zwei Welten.

Weiter geht es nun über Nauders auf immerhin knapp 1400 Meter Höhe, bevor wir den Reschenpass ins seit 1920 italienische Südtirol hinein überqueren.

Auf der anderen Seite finden wir uns doch tatsächlich erneut in einem Stau wieder:

Unterhalb des Reschenpasses; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Meine Güte, was ist denn nun schon wieder los? So könnten unbeherrschte Zeitgenossen reagieren. Doch wir blieben ganz gelassen so wie unser luftgekühlter Stoewer die Passfahrt völlig „cool“ nahm.

Wie es scheint, sammeln sich hier an einer Tankstelle die zahlreichen Wagen, für welche die bisherigen Strapazen mehr waren als gewohnt, und nehmen erst einmal diverse Flüssigkeiten zu sich.

Da wir mit unserem „Greif“ mitten in der Kolonne stecken, nutzen wir erneut die Gelegenheit zur Fotopirsch. Noch ist der erste Film in der Kamera – noch sechs von sagenhaften 12 Aufnahmen auf verbleiben uns.

Also gehen wir sparsam mit dem Material um und treten einfach etwas näher heran:

Unterhalb des Reschenpasses; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wir haben Glück: Ganz vorne sehen wir einen Sechszylinderwagen in schöner Cabrio-Ausführung, diesmal einen Hanomag. Das Modell mit der Bezeichnung „Sturm“ konkurrierte von der Papierform her mit dem BMW 326, sah aber nicht so modern aus.

In Zweifarblackierung und mit sportlich wirkendne Drahtspeichenrädern auf jeden Fall ein gutaussehendes Fahrzeug für eher konservative Käufer.

Direkt dahinter haben wir – wenn ich nicht irre – zwei ebenfalls flotte Vertreter der Marke Wanderer, ganz rechts außerdem ein Opel mit eher biederer Anmutung.

Nachdem sich auch dieser Stau endlich aufgelöst hat, ist Schlanders die nächste Station. Wir halten kurz, um die pittoreske Lage des Ortes festzuhalten.

Schlanders (Südtirol); Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Für große Worte bleibt keine Zeit – wir haben es eilig und wollen bis abends in unserem nächsten Etappenziel ankommen: Meran!

Hier genießen wir erstmals mediterranes Klima – man merkt, dass Italien nicht mehr weit ist.

Wir gönnen uns nach inzwischen gut 800 Kilometern Wegstrecke eine Nacht in einem Hotel, das sich sehen lassen kann bzw. konnte, denn heute wird der 1908 gegründete „Albergo Emma“ leider profaner genutzt. Da schauen wir lieber zurück in die Welt von gestern:

Hotel „Emma“ in Meran (Südtirol); Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Links geschickt einbezogen parkt unser treuer Stoewer „Greif“, nun mit über die Nacht geschlossenem Dach. Keine Sorge, bald werden wir das Auto noch aus vorteilhafterer Perspektive sehen.

Vorher gilt es allerdings noch einige Kilometer zu absolvieren, denn uns zieht das nächste große Ziel magisch an – der Gardasee!

Bozen lassen wir unterwegs links liegen, nur auf dem Mendelpass gönnen wir uns angesichts der grandiosen Aussicht bei strahlendem Sonnenschein eine kurze Pause:

Auf dem Mendelpass (Südtirol); Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die abgebildeten Personen gehörten übrigens alle zur Besatzung des Stoewer – er hatte also vier erwachsene Insassen an Bord.

Alle wieder einsteigen, wir haben noch eine hübsche Wegstrecke vor uns.

Diese führt übrigens westlich der Hauptroute via Trient in Richtung Gardasee. Auf dem Weg dorthin genießen wir die grandiose Szenerie am Molvenosee mit der Brenta-Gruppe im Hintergrund:

Molvenosee (Südtirol); Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Auf dem weiteren Weg hält uns kein Stau mehr auf, denn wir haben geschickt eine weniger stark befahrene Route gewählt.

Über geschotterte Pisten und teils kühne Serpentinen geht es schließlich von der Höhe hinunter ans Ziel – den zauberhaften Ort Riva am Nordufer des Lago di Garda.

Nach erquickendem Schlaf und gutem Frühstück im Hotel Sole wechseln wir am folgenden Tag das Fortbewegungsmittel, denn eine Rundfahrt zu ausgewählten Schönheiten des Gardasees steht auf dem Programm.

Hier eine Aufnahme kurz nach der Abfahrt mit Blick Riva und unser Hotel:

Riva am Gardasee; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Natürlich muss man die berühmten Burgen am Seeufer gesehen haben – allen voran die bei Malcesine, welche durch eine abenteuerliche Episode in Goethes „Italienischer Reise“ im deutschsprachigen Raum berühmt wurde.

Hier haben wir die Ansicht der malerisch gelegenen Festungsanlage direkt von unserem Dampfer:

Malcesine am Gardasee; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Da wir bislang sparsam mit unserem Filmmaterial umgehen können, erlauben wir uns nun den einen oder anderen Schnappschuss vom Treiben an Bord.

Merkwürdig, dass praktisch alle Passagiere deutsch sprechen und sich überdies gut zu kennen scheinen. Das Ganze hat etwas von einem Familienausflug:

Auf dem Gardasee; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Nun gut, das wird seine Gründe haben.

Wir lenken unterdessen den Blick des geübten Fotografen wieder auf die Schönheit der Landschaft und lichten wie alle anderen gelernten Touristen natürlich auch die im Baedeker vermerkte „Punta S. Vigilio“ ab.

Die pittoreske Landspitze am Ostufer des Gardasees mit ihrer direkt am Wasser gelegenen kleinen Kirche ist aber auch unwiderstehlich für einen neuen Gast aus dem Norden:

Punta S. Vigilio am Gardasee; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Bevor wir an unser eigentliches Ziel auf der Westseite des Sees gelangen – den Ort Maderno – gibt es noch Gelegenheit zum Tanz an Deck, die von einigen Reisenden gern genutzt wird.

Dergleichen Situationen ist nicht leicht eine besondere Note abzugewinnen, zumal sich nicht alle Personen bei dieser Gelegenheit von ihrer besten Seite zeigen. Doch der geübte Fotograf wird dennoch den richtigen Moment abpassen und der Nachwelt einen hübschen Schnappschuss hinterlassen:

Auf dem Gardasee; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Bei unserem Halt in Maderno auf der westlichen Seeseite nutzen wir die Gelegenheit zur Begutachtung eines Hotels, das uns von erfahrenen Gardasee-Reisenden für künftige Gelegenheiten empfohlen wurde.

Kurioserweise trägt das Etablissement ebenfalls den Namen „Maderno“, doch das stört uns nicht, denn Lage und Erscheinungsbild des Hotels gefallen uns ausnehmend gut. Dass es in der italienischen Variante des Jugendstils – der Liberty-Stil errichtet wurde, welcher in Italien übrigens bis Ende der 1920er Jahre fortlebte, spricht uns besonders an.

Was wir bei unserem Besuch noch nicht wissen konnten, ist der Umstand, dass just in diesem Hotel von 1943-45 das Innenministerium der von deutschen Gnaden installierten Marionettenregierung von Mussolini residieren sollte.

Überhaupt lassen wir uns bei unserer Reise von den Zeitumständen den Spaß nicht verderben. Nichts wird ungeschehen dadurch, dass man die wenigen schönen Seiten ausblendet, die zumindest im Privaten möglich waren.

Dem Horror begegnet man in Italien ohnehin auf Schritt und Tritt, das erweist sich auch auf unserer Weiterfahrt nach dem Abschied vom Gardasee in Richtung Dolomiten über Canazei hinauf auf den Pordoi-Pass:

Deutscher Soldatenfriedhof am Passo di Pordoi; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier liegen deutsche Soldaten begraben, die bei den Kämpfen zwischen italienischen und deutsch/österreichischen Truppen im 1. Weltkrieg ihr junges Leben verloren.

Wie es sich gehört, halten wir inne, lesen stumm die Namen der Gefallenen, denken an Kriegsteilnehmer in der eigenen Familie und ziehen nachdenklich wieder von dannen.

Oben auf dem Pass gönnen wir uns und dem „Greif“ eine Pause und nutzen die Gelegenheit, den Wagen endlich einmal von seiner schönsten Seite zu zeigen:

Auf dem Pordoi-Pass (Südtirol); Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier is neben der Aufschrift „Stoewer Greif“ auf der Kühlerattrappe – merke: der Wagen war luftgekühlt – auch das Magdeburger Kennzeichen zu sehen.

Da wir die Kamera schon gezückt haben und das Wetter prächtig ist, nutzen wir die Gelegenheit, von der Passhöhe aus auch die majestätische Spitze des 3.200 Meter hohen „Sassolungo“ auf das Negativ zu bannen:

Auf dem Pordoi-Pass; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Förmlich berauscht von der Höhe und dem lustvollen Befahren der Pässe gehen wir gleich das nächste Ziel in dieser Hinsicht an – den Falzaregopass.

Er ist die letzte Zwischenstation auf dem Weg weiter gen Osten in Richtung Cortina d’Ampezzo. Vor der Auffahrt halten wir noch einmal an und nehmen den Pass mit der Kamera ins Visier:

Auffahrt zum Falzarego-Pass; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Herrlich, ganz alleine auf weiter Flur in solch grandioser Landschaft.

Was für ein Privileg, hier mit dem Stoewer „Greif“ unterwegs zu sein, in dem Wissen, dass ihm die Steigungen nichts ausmachen, auch wenn er einiges zu schleppen hat.

Man wähnt sich fast allein auf der Welt, bis einen in Cortina d’Ampezzo die Realität wieder einholt. Abermals ein Stau – das kann doch gar nicht sein! Und wir mit dem Greif mitten drin:

Cortina d’Ampezzo; Auf dem Gardasee; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Leider hat sich nun auch das Wetter gegen uns verschworen. Wir brechen daher die Fotodokumentation der weitere Reise ab, zumal das Filmmaterial zur Neige geht.

Bloß eine kurze Gelegenheit zu einer letzten Aufnahme bietet sich an, als für einen Moment die Sonne durch die Wolken bricht – das ist kurz vor der Weiterfahrt über den Passo Tre Croci in Richtung Norden via Misurino und Toblach.

An den entsprechenden Hinweisschildern entsteht dieses Foto, diesmal ohne den Stoewer:

In Cortina d’Ampezzo; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Von hier ist es nicht mehr weit bis zur österreichischen Grenze und dann bietet sich die Route über Innsbruck zur Heimreise an.

Wie genau das vonstatten ging, das kann ich leider nicht mehr erzählen, denn weitere Dokumente dieser beeindruckenden Tour fehlen.

Nachtrag: Im zeitgenössischen Bericht zu der Fahrt finden sich die wenigen noch fehlenden Stationen zwischen Cortina und Innsbruck, von wo aus die Teilnehmer einzeln wieder heimwärts fuhren:

Originalbericht zur DDAC-Pfingstfahrt von 1938; Quelle: Archiv des ADAC (bereitgestellt von Jochen Thoma)

Damit wären wir bei der Auflösung des Rätsels, was das für eine Fahrt war, welche auf so vielen schönen Fotos von ungewöhnlicher Qualität dokumentiert ist.

Sämtliche Aufnahmen fand ich in einem originalen Album des Deutschen Automobils-Clubs DDAC. Dessen Sektion „Gau 18 Mitte“ unternahm an Pfingsten 1938 eine Reise mit rund zwei Dutzend Automobilen an den Gardasee mit einem Abstecher in die Dolomiten:

DDAC-Fotoalbum von 1938; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger; Wiedergabe des Hakenkreuzes ausschließlich im Sinne der historischen Dokumentation ohne jede politische Botschaft

Mir stellen sich hier folgende Fragen:

Welchen Raum deckte der „Gau 18“ des DDAC ab? Ich habe eine Weile gesucht und dann aufgegeben. Irgendwo in Mitteldeutschland dürfte das gewesen sein.

Nachtrag: Laut Jochen Thoma von der Abteilung „Klassik-Veranstaltungen & Organisation“ des ADAC war „Gau 18 Mitte“ wohl „Halle Saale“.

Bekamen die Teilnehmer ein solches Fotoalbum mit Aufnahmen eines sie begleitenden Fotografen, bestückten sie diese mit eigenen Fotos oder beides?

Auch hier wusste Jochen Thoma mehr: Laut ADAC-Archiv gab es bei den DDAC-Ausfahrten beide Varianten.

Und zuletzt: Warum bricht die Dokumentation in Cortina d’Ampezzo ab, obwohl die Reise nicht zuende war und noch einige leere Albumseiten folgen?

Damit Sie eine bessere Vorstellung haben, hier die unbearbeitete Seite 1 des Albums:

Sämtliche Aufnahmen waren im Format 9×6 cm aufgenommen, die Abzüge waren identisch gestaltet und trugen den umseitigen Stempel des „Groß-Fotohauses Martin Könnecke“ aus Magdeburg.

Da der Stoewer aus Magdeburg das meistfotografierte Auto ist, vermute ich, dass seine Insassen alle Aufnahmen selbst angefertigt haben. Dafür spricht die sehr gleichmäßige Qualität, die auf eine gehobene Mittelklassekamera im damals gängigen Fornat 9×6 schließen lässt – etwa eine Zeiss Nettar.

Mich interessieren Ihre Gedanken zu diesen Bildern und ihre ggf. auch abweichenden Einschätzungen. Überhaupt freue mich auf ein weiteres Jahr genüsslichen Bloggens zum wohl überflüssigsten Thema, das man sich vorstellen kann, und hoffe, dass Sie mir als still genießende Leser wie aktive Kommentatoren erhalten bleiben.

Davon unabhängig wünsche ich uns allen ein in möglichst vieler Hinsicht besseres Jahr 2025!

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Von Berlin nach Entenhausen: NAG-Protos Sport-Cabrio

Noch ein Tag bis zum Fund des Jahres in meinem Blog – ich darf Ihnen versichern, der erspart Ihnen jedes Feuerwerk. Mir wird er noch einen Haufen Arbeit machen, aber ich mache das ja alles freiwillig und staune immer wieder, was man alles dabei erfährt.

So auch heute, als ich leichtsinnigerweise einen mir einfach erscheinenden Fall vornahm, der mir nicht viel Mühe und Ihnen viel Freude bereiten sollte.

Dabei geht es um einen alten Bekannten, der einem wie ein guter Freund immer ein willkommener Anblick ist. Er mag sich etwas rar machen – das ist seine Art und das muss man akzeptieren – doch wenn man seiner nach längerer Abwesenheit ansichtig wird, ist man jedes Mal wieder aus dem Häuschen.

Hier noch das Abschiedsfoto vom letzten Besuch – er hatte es eilig und zeigte uns bereits die Rücklichter – das war in Passau:

NAG-Protos 16/80 PS Typ 208 Sport-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Den Schlingel mit den zwei Nummernschildern am Heck – heute undenkbar – hatte zwischenzeitlich Leser Klaas Dierks aus anderer Perspektive vor die Flinte bekommen und in Form dieses Konterfeis dokumentiert.

Hier kommt die gute Figur unseres alten Freundes bereits perfekt zu Geltung – eine athletische Erscheinung mit trainierter Muskulatur genau dort, wo man sie braucht, ansonsten mit schlanker Taille und keinem Gramm Speck auf dem Leib.

NAG 16/80 PS Typ 208 Sport-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

So ein tief auf der Straße liegendes Sport-Cabriolet mit sprungbereiter Erscheinung bekommt heute keiner mehr hin – der Jaguar XK120 verkörperte diesen Stil in den 1950er Jahren wohl ein letztes Mal in ultimativer Perfektion, meine ich.

Und noch dazu war unser alter Freund nicht nur eine sportliche Erscheinung – er wusste auch von der Papierform her zu beeindrucken: 80 PS aus 4 Litern Hubraum, das versprach Anfang der 1930er Jahre starken Antritt und vor allem Elastizität im Gebirge.

Er war zwar kein Sprinter – bei Tempo 110 war Schluss, dafür sorgte die werksseitig verbaute Übersetzung. Aber wenn es bergauf ging, besaß dieser großvolumige Wagen das Drehmoment, um schaltarm zum Gipfel zu gelangen.

Solche Bergsteigerqualitäten waren in der Vorkriegszeit für viele Käufer in deutschen Landen wichtiger als Beschleunigung und Höchsttempo. In Britannien und Italien verfolgte man damals eine andere Philosophie – doch der Reiz von Europa lag und liegt gerade in den Unterschieden, sonst könnte man ja gleich zuhausebleiben, nicht wahr?

Was man aber wohl am meisten an unserem alten Freund schätzte, war seine stilistische Klasse, die bis heute als Vorbild gelten könnte, wenn sich dafür jemand interessierte:

NAG-Protos 16/80 PS Typ 208 Sport-Cabriolet; Originales Pressefoto aus Sammlung Michael Schlenger

Gewiss, speziell italienische Manufaktur-Karosserien der 1950/60er Jahren erreichten nochmals einen ähnlichen Grad an ästhetischer Wirkung – in ihrer skulpturenhaften Anmutung den besten Werke von Antike und Renaissance vergleichbar, behaupte ich.

Doch, liebe Leser, Sie wissen das: Die besten Vorkriegswagen der 1930er Jahre spielten in einer eigenen Liga.

Nie zuvor und nie danach wurden dermaßen beeindruckende Persönlichkeiten auf vier Rädern geschaffen, die in einem schwer begreiflichen Kontrast zu den sonstigen bedrückenden Verhältnissen der Zeit standen:

NAG-Protos 16/80 PS Typ 208 Sport-Cabriolet; Originales Pressefoto aus Sammlung Michael Schlenger

Über fünf Meter in der Länge maß dieses von der altehrwürdigen Berliner Firma NAG kurz vor ihrem Ende gebauten Sport-Cabriolet des Typs 208.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand dieses Gefährt „zu groß“ findet, auch wenn heuztzutage und hierzulande sonst so viel Propaganda für „Downsizing“, Schrumpfen, Kaltduschen und andere frühmittelalterliche Verzichtstugenden gemacht wird.

So wie wir nicht weniger Energie verbrauchen sollten, sondern im Gegenteil viel mehr benötigen, um den Laden am Laufen zu halten und den Lebensstandard wieder zu heben, so brauchen wir auch die Lust am Exzess in der Nische, die Freude am Überfluss, den Wunsch nach dem Grandiosen und Erhabenen jenseits aller Notwendigkeit.

Daran erinnert uns wohlwollend unser alter Freund, der uns heute zum letzten Mal in diesem Jahr begegnet auf einem Foto, das ich erst kürzlich in einem eigentümlichen Konvolut fand, welches Teile des Archivs von Hans-Heinrich von Fersen umfasste:

NAG-Protos 16/80 PS Typ 208 Sport-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger, Copyright: J.A. Sural (Hanau)

Nach dem bereits Gebotenen werden Sie vielleicht denken, dass diese Aufnahme dem NAG-Protos 208 Sport-Cabriolet keine neuen Seiten abzugewinnen vermag.

Das ist richtig. Aber ausgerechnet dieses unscheinbare Foto transportiert uns aus dem Berlin der frühen 1930er Jahre auf Umwegen nach Entenhausen und das geht so:

Auf der Rückseite des Abzugs befindet sich der Stempel „Photo-Coypright J. A. Sural, PO Box 767, Hanau, West Germany„.

Alles, was ich zur Hanauer Firma „J.A. Sural, Hanau“ finden konnte, ist der Umstand, dass es sich um einen Lizenzträger von Walt Disney handelte, der in den 50ern u.a. die Figuren aus der Donald Duck-Serie reproduzierte. Das tat die Firma etwa in Form einer Keramikfigur, welche den tragikomischen Helden aus Entenhausen mit einer Uhr zeigt.

So, liebe Leser, jetzt wissen Sie, wie man von einem mondänen Luxusgefährt aus dem Berlin der Vorkriegszeit in die Entenhausener Niederungen der Nachkriegs-„Kultur“ gelangt. Es brauchte dazu bloß gut 15 Jahre und deutsche „Gründlichkeit“.

NAG ist schon lange Geschichte und weitgehend vergessen, doch Entenhausen ist nach Jahrzehnten immer noch quicklebendig. Was einem das über den Zustand der sich immer noch überlegen dünkenden europäischen Kultur verrät, sei dahingestellt.

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Egotrip mit Mutti & Lassie: Citroen B14

Kaum zurück von einer vernüglichen Kurztour ins „Finst’re Tal“ im Weilburger Land – ein Codewort, das nur meine dort residierende „Beute-Cousine“ verstehen wird – begebe ich mich nun auf große Fahrt und zugleich einen absoluten Egotrip.

Wer sich heute dagegen großzügig vermittelte Erkenntnisse in Sachen Vorkriegsautomobil erwartet hatte, der wird weitgehend leer ausgehen.

Immerhin kann ich etwaige Sorgen zerstreuen, was die Identität von „Mutti und Lassie“ angeht. Mutti ist nicht, was manch‘ einer jetzt denken könnte, sondern eine echte Mutter, und Lassie ist kein Vierbeiner aus einer US-Fernsehserie – wobei auch ein solcher in der heutigen Story eine Nebenrolle spielt.

Gehen wir systematisch vor und werfen zunächst einen Blick auf’s Ego. Dieses darf nicht gänzlich unterentwickelt sein, wenn man einen für jedermann einsehbaren Blog im Netz betreibt.

Seit ich anlässlich der Abiturfeier anno 1988 den „Eingebildeten Kranken“ des französischen Schriftstellers Molière auf der Bühne gegeben hatte, kenne ich kein Lampenfieber.

Allerdings suche ich auch kein Publikum – dieses soll sich gefälligst selbst anstrengen und mich finden. Ziemlich konstant knapp 5.000 Leser verirren sich pro Monat hierher – nicht übel für ein Thema, das von gestern ist.

Aber ach, das Ego, um das es hier geht, ist ja gar nicht meines. Selbiges ist vielmehr auf dem folgenden Foto zu finden, das von links nach rechts folgende Personen zeigt: „Hermann, Hilda P. und Ego„:

Originalfoto von 1930; Sammlung Michael Schlenger

Tja, meine Herren, neben Hilda P. verblasst jedes Ego, nicht wahr? Ich zumindest bin bereit, auch bei winterlichen Verhältnissen dahinzuschmelzen für die junge Dame (der englische Fachbegriff folgt später…).

Das liegt aber nicht nur an dem hinreißenden Lächeln, sondern auch – ich gebe es zu – an der androgynen Aufmachung mit Krawatte.

Während Männer in Frauenkleidern – hier muss man heute vorsichtig sein, sagen wir daher – nicht meine völlige Begeisterung wecken, haben attraktive Frauen im auf den sportlichen Leib geschneiderten Anzug für mich ein gewisses Etwas.

(Auch) In dieser Hinsicht lässt unsere Zeit sehr zu wünschen übrig, wenn ich das bei der Gelegenheit feststellen darf. Aber das nur nebenbei.

Wer von dergleichen Dingen weniger leicht abzulenken ist, wird mit nüchternem Blick nicht nur die nach heutigen Maßstäben ungeeignete Skikleidung, sondern auch die Zigarre in der Hand des als „Ego“ bezeichneten jungen Mannes bemerkt haben, außerdem den Siegelring am Finger.

Aus seinem Fotoalbum – bzw. aus Resten daraus, die ich vor Jahren erworben habe – stammen alle heute präsentierten Bilder. Was uns der in vermögende Verhältnisse geborene junge Herr „Ego“ sonst noch aus seinem Trip durch’s Dasein hinterlassen hat?

Da wir strukturiert vorgehen wollen, ist als nächstes „Mutti“ an der Reihe. Hier sehen wir sie anno 1930 im Heck eines Motorboots auf dem Vierwaldstättersee – wo genau, dürfte schwer festzustellen sein, vielleicht unweit von Beckenried?

Originalfoto von 1930; Sammlung Michael Schlenger

Das Schweizer Kreuz auf der Flagge ist ein willkommener Kontrast zu anderen Wimpeln aus dem deutschsprachigen Raum, welche sich auf allzuvielen Fotos der 1930er Jahre finden.

Natürlich ist niemand vollkommen, aber wie sich die kleine Schweiz in den beiden Weltkriegen aus den irren Massenmorden der Nachbarn heraushalten konnte, findet meine Anerkennung. Dass sie oft beide Seiten mit allem Möglichen beliefert hat, von der Heeresuhr bis zur Flugabwehrkanone, na und?

Wer wahnsinnig ist, lässt sich ohnehin nicht aufhalten, also kann man auch an ihm verdienen, solange das eigene Volk verschont bleibt – und darauf kommt es letztlich an.

Zurück zu Mutti, die wie Sohn „Ego“ in der Eidgenossenschaft zuhause war. Hier haben wir sie auf dem eigenen Grundstück mit einem kleinen Vierbeiner:

Originalfoto von 1930; Sammlung Michael Schlenger

War das kleine Hundchen vielleicht die im Titel angekündigte „Lassie“?

Nein, zwar trifft es zu dass „Lassie“ kein Collie war, aber eben auch kein Schoßhündchen. Dieses hier hörte auf den Namen „Mädi“ und wir dürfen annehmen, dass der Fotograf genau diesen Namen rief, bevor er auf den Auslöser drückte.

Nachdem wir das geklärt haben, wird es nun höchste Zeit, die wahre Identität von „Lassie“ zu entschlüsseln. Dazu muss man wissen, dass eine „lass“ im Englischen eine junge Dame ist, die noch etwas Mädchenhaftes hat.

Früher hätte man hierzulande „Fräulein“ gesagt, wobei das insofern nicht ganz passt, als auch unverheiratete Frauen im fortgeschrittenen Alter so bezeichnet wurden – gern mit einem gewissen vorwurfsvollen Unterton, als seien sie nicht für voll zu nehmen.

Das hatten wir eigentlich überwunden – bevor das archaische Frauenbild in unseren Tagen durch die Hintertür und inzwischen im Alltag unübersehbar hereingeschneit kam.

Aber egal, hier geht es ja um die Welt von gestern, und so mies vieles war, so sehr können wir uns auf die durchaus erfreulichen Dinge konzentrieren, die es dennoch gab:

Citroen B14, Originalfoto von 1930; Sammlung Michael Schlenger

Das ist „Lassie“ – so hat es der junge Herr „Ego“ jedenfalls direkt unter dem Foto in seinem Album vermerkt. Ein schöner und durchaus passender Name, wie ich finde.

Die Kenner unter Ihnen werden jetzt nüchtern feststellen: Offenbar ein Citroen B14 (1926-28) – erkennbar an Form und Anordnung der Luftschlitze in der Motorhaube, den vier Radbolzen und den Knöpfen des Batteriekastens im Schweller unterhalb der A-Säule.

Vergleichsfotos finden Sie bei Bedarf in meiner „Citroen“-Galerie. Ich habe heute keine Zeit, näher auf Details des Wagens einzugehen, wenngleich dieser der erste seines Typs ist, den ich mit einem solchem Aufbau als Coupé oder Faux Cabriolet sehe.

Näheres wird wohl ein Leser dazu sagen können. Ich mache unterdessen weiter auf diesem „Egotrip“, der uns als nächstes an den Genfer See bringt. Dort entstand 1930 oberhalb von Montreux dieses Foto:

Wiese oberhalb von Montreux, 1930; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Narzissenzeit bei Montreux“ ist in dem Fotoalbum des Herrn „Ego“ dazu vermerkt. Bitte prägen Sie sich bei der Gelegenheit die Silhouette der schneebedeckten Berge am Horizont ein.

Jetzt geht es erst einmal weiter hinunter ans Ufer des schweizerischen Ufers des Genfer Sees – immer noch oberhalb von Montreux. Ob dieser Trip mit „Lassie“ unternommen wurde, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen, auch wenn wir dem Citroen am Ende der heutigen Tour noch einmal begegnen werden.

Hier also besagter Ausblick über den Genfer See oberhalb von Montreux, das in der Vorkriegszeit als mondäner Ausflugsort galt und nach dem 2. Weltkrieg neuerlich Bedeutung als Austragungsort von Musikfestivals erhielt:

oberhalb von Montreux, 1930; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Im Fotoalbum, das vom einstigen „Egotrip“ erzählt, fand sich auch eine Aufnahme der unvermeidlichen Wasserburg Chateau Chillon, welche sich unweit von Montreux befindet.

Es gibt neben diesem endlos fotografierten Monument freilich ein weiteres, das meinem Geschmack weit mehr entspricht und sich ebenso trefflich mit den spektakulären Alpengipfeln „Dents Du Midi“ ablichten lässt. Sie erinnern sich…

Die Rede ist von der Villa im florentinischen Renaissancestil, welche vor dem 1. Weltkrieg auf der Ile de Salagnon unweit Montreux entstand. Ich musste feststellen, dass es nicht so einfach ist, dieses auf einer künstlich geschaffenen Insel platzierte klassische Gebäude zu identifizieren:

Ile de Salagnon, 1930; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Erkennen Sie die Dents du Midi im Hintergrund wieder? Sie waren der Hinweis, welcher mir die Identifikation der Örtlichkeit erlaubte.

Nicht zu sehen ist hier aufgrund der Perspektive der unweit gelegene Mont Blanc, mit dem sich ein Egotrip an den Genfer See aus meinem eigenen Leben verbindet.

Tja, was bleibt am Ende des heutigen Ausflugs in die Welt von gestern festzuhalten? Würde ich den Besitz des Schlösschens auf der Ile de Salagnon am Genfer See akzeptieren, verbunden mit der Auflage, für immer dort bleiben zu müssen?

Die Antwort ist ein hessisch klares „Im Lebe ned“! Vor die Wahl gestellt – Schloss-Immobilie für immer oder Auto-Mobil für alle Zeiten – würde ich das herumzigeunernde Dasein auf motorisierten vier Rädern stets dem Kleben an der Scholle vorziehen.

Einen besseren Ort als den gegenwärtigen findet man im Zweifelsfall immer. Das wussten nicht nur die Bremer Stadtmusikanten und die Farmer in den USA, welche in den 1930er Jahren nach jahrelangen Dürren in ihren Fords und Chevrolets auf den Weg in ein neues Leben in Kalifornien aufbrachen.

Das wusste auch unser leider ansonsten unbekannter Herr „Ego“, der am Ende noch einmal zwar ohne Mutti, aber dafür mit „Lassie“ zu sehen ist:

Citroen B14, Originalfoto von 1930; Sammlung Michael Schlenger

Ein vollgetankter Wagen, ein der Jahreszeit angemessen und stilvoll gekleideter Zeitgenosse – so lässt sich der Trip in eine ungewisse Zukunft angehen.

Das Automobil ist nicht einfach nur eine Maschine, um den Alltag bequemer zu gestalten. Gestern und heute verkörpert es das Versprechen der ursprünglichsten aller Freiheiten – der Bewegungsfreiheit und damit der Freiheit, sich die angenehmen Dinge des Lebens zu erschließen, wie der Freiheit, im Zweifelsfall alles hinter sich zu lassen…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Die Schöne und das Biest: Rätsel für Sterndeuter

Heute begann der Tag mit dichtem Nebel, es wollte kaum hell werden. Doch um die Mittagszeit kam die Sonne hervor und trotz des jahreszeitlich bedingt niedrigen Stands vermochte sie einen Hauch Wärme zu verbreiten.

Immer wieder wunderbar, welche Wirkung das auf das Befinden hat. Kaum verwunderlich, dass der Mensch von jeher die Sonne verehrt.

Nicht zufällig feierten die alten Römer am 25. Dezember den Festtag des Sol Invictus – des unbesiegten Sonnengotts. Terminliche Übereinstimmungen mit dem Weihnachtsfest nach Erhebung des Christentums zu römischen Staatsreligion in der Spätantike haben ihren guten Grund – wie übrigens sehr vieles anderes vom „Heidentum“ in der Kirche fortlebt.

Dazu gehört auch die Tradition der Sterndeuter – auf verschlungenen Wegen über die Zeiten zu den Heiligen Drei Königen oder auch Weisen aus dem Morgenland umgemodelt.

Auf diese Herrschaften kam ich abends, als ich zum Himmel emporsah. In nunmehr kalter Nacht knapp über dem Nullpunkt funkelten dort freundlich die Sterne. Der Blick nach oben ans Firmament gehört seit Urzeiten zu den Aktivitäten, die den Menschen „erden“ – im wahrsten Sinne des Wortes.

Schon in der Antike hatte man eine Vorstellung davon, dass sich dort unzählige Sonnen befinden, unter denen unsere nur eine ist.

Im „Traum des Scipio“ des römischen Politikers und Schriftstellers Cicero – ein im Lateinunterricht ignorierter Part seines Standardwerks „De re publica“ – findet man eine bemerkenswerte Beschreibung erst der Erde von oben, dann einen Blick auf diese aus dem All und eine entsprechende Einordnung der Bedeutung des Menschen.

Cicero beschrieb damit schon vor über 2000 Jahren quasi den „Pale Blue Dot„, den blassblauen Punkt namens Erde, den die US-Raumsonde Voyager 1990 aus 6 Milliarden Kilometern Entfernung aufnahm, bevor ihre Kamera abgeschaltet wurde und die Sonde unser Sonnensystem für immer verließ.

Auf diesem Umweg kam mir der Beruf des Sterndeuters in den Sinn, welcher ebenfalls in der Antike wurzelt, wenngleich ich mit Astrologie nichts anzufangen weiß.

Als Anhänger des Rationalismus im Denken verfiel ich darauf, gewissen „Sterndeutern“ der Gegenwart ein Rätsel aufzugeben, an dem sie sich erbauen und abarbeiten können.

Die Mercedes-Freunde, die ich damit meine, werden zunächst jede Zuständigkeit von sich weisen, wenn ich unter dem Motto „Die Schöne und das Biest“ ihre Dienste ausgerechnet in diesem Fall in Anspruch nehme:

Mercedes-Cabriolet Ende der 1920er Jahre; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Nie und nimmer ist dieses Monstrum von Auto ein Mercedes!“ Kein Wunder, dass die adrette junge Dame hilfesuchend Blickkontakt mit uns aufnimmt. Wie es scheint, bereitet ihr das im Hintergrund lauernde Biest Ungemach. Nervös ringt sie die Hände, so scheint es…

Die brachiale Kühlerform, der kastige Aufbau, die breiten Reifen – nein, das ist nicht, was man sich als filigranes Frauenzimmer unter einem eleganten bis repräsentativen Mercedes vorstellt.

Damit hat sie einerseits recht – nirgend findet sich in der mir bekannten Literatur ein solches Biest von Automobil, das durch den Mercedes-Stern geadelt würde.

Andererseits scheint das Monster friedfertig gewesen zu sein, nur so ist zu erklären, dass sich unsere Schöne mit weiteren Zeitgenossen hat daneben ablichten lassen:

Mercedes-Cabriolet Ende der 1920er Jahre; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die kolossalen Dimensionen und die hohe Schwellerpartie lassen einen an ein Automobil der Zeit kurz vor oder nach dem 1. Weltkrieg denken – auf grobe Weise nachträglich modifiziert.

Die Sterndeuter der Mercedes-Fraktion werden immer noch heftig den Kopf schütteln.

Doch, verehrte Leser mit einschlägiger Kompetenz, studieren Sie die Schwellerpartie mit dem darin eingelassenen Werkzeugfach etwas näher.

Das findet sich bei großvolumigen Mercedes-Wagen um 1920, als sich die Firma Daimler noch nicht mit Benz zusammengeschlossen hatte.

Sie sind als Sterndeuter immer noch unsicher? Dann schauen wir uns den Wagen genauer an:

Mercedes-Cabriolet Ende der 1920er Jahre; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier stehen „Die Schöne und das Biest“ geradezu einträchtig beisammen. „Hände aus den Taschen in Gegenwart einer Dame!“ höre ich jetzt meinen Lieblingsonkel rufen.

Leider scheinen die Herren auf diesem Foto nichts davon zu wissen – generell macht sich die Verlegenheitsgeste in solchen Situationen nicht gut. „Macht Euch doch einmal locker Männer„, möchte man ihnen zurufen, „Ihr gehört zu den oberen Zehntausend!“

Denn wer genau hinsieht, erkennt nun den Mercedes-Stern auf dem Kühler dieses kolossal dimensionierten Wagens. Unter der enorm langen Haube darf man einen Sechszylinder gigantischen Hubraums vermuten.

Ich dachte hier an ein Exemplar des 7,2 Liter-Mercedes des Typs 28/95 PS, der 1914 eingeführt und nochmals von 1920-24 gebaut wurde. Allerdings besaß der wohl durchweg armdicke Auspuffrohre, die auf der linken Seite aus der Haube hervortraten.

Davon ist jedoch hier nichts zu sehen:

Mercedes-Cabriolet Ende der 1920er Jahre; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Allerdings steht außer Frage, dass dieser Mercedes stark modifiziert wurde – der Kühler und die nach US-Vorbild nachgerüsteten Doppelstoßstangen künden davon.

Nicht nur professionelle Sterndeuter werden ihr Augenmerk noch auf ein anderes Detail lenken: Kann es sein, dass sich die geöffnete Tür hinter dem Heckkotflügel befindet?

Das würde bedeuten, dass dieser monströs anmutende Wagen einen über die Hinterachse hinausreichenden offenen Aufbau besaß – also im Stil eines Ausflugswagens mit mehreren hintereinanderliegenden Sitzreihen.

Solches findet sich in der Zwischenkriegszeit vielfach im Alpenraum zur Erbauung von Touristen, welche die Schönheiten der Bergwelt aus dieser Perspektive genießen wollten.

Aber: Wieso trug dieser modifizierte Mercedes dann eine Hamburger Zulassung? Sie sehen, liebe Sterndeuter, hier ist Ihre Expertise in besonderer Weise gefragt.

Ich verlasse mich da ganz auf die Magier auf ihrem Gebiet, während ich mich geistig und praktisch auf den Fund des Jahres vorzubereiten beginne, der mir in den nächsten Tagen einen Haufen Arbeit machen wird…

Ein Blick nach oben zu den Sternen in klarer Nacht, ein tiefer Atemzug in kalter Luft, der Genuss der Stille um diese Zeit – und mit einem Mal fühlt man die Fülle des Daseins. Machen wir was draus! Heute, morgen und im Neuen Jahr.

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Bremer Braut bei Bingen: BMW 327 Cabriolet

Heute brauche ich keine umständliche Einleitung und komme gleich zur Sache: Fühlen Sie sich vom Christkind großzügig bedacht oder ließ Weihnachten zu wünschen übrig?

Gab es Streit in der Familie? Wollte das vegane Schnitzel nicht zu Klößen und Rotkohl passen? Waren die verwöhnten Kinder undankbar und wollten Sie belehren? Oder, was schlimmer wäre: Waren Sie unfreiwillig allein?

Ich werde seit Jahr und Tag von alledem verschont, freue mich aber auch für jeden, der harmonisch nach alter Tradition Weihnachten als Familienfest feiert. Es soll ein jeder nach seiner Fasson selig werden – nichts ist schlechter, als im falschem Leben festzustecken.

Für all‘ die, deren Erwartungen enttäuscht wurden, werde ich unterdessen gerne seelsorgerisch tätig. Schauen Sie, nie war alles vollkommen, aber oft genug in der Geschichte war manches vollkommen, selbst unter den schwierigsten Umständen.

Davon sollten wir das uns Beste in Gegenwart und Alltag gönnen, wann immer das geht, auch wenn es sich in den großen Dingen nicht zum Besseren wendet hierzulande.

Das Bild, das ich heute präsentiere, bringt das in Perfektion zum Ausdruck. Man weiß, wann es entstand und man möchte nicht tauschen mit den Menschen, die darauf abgebildet sind.

Und dennoch gibt es da einige Dinge zu sehen, die zeitlos und einfach zauberhaft sind:

BMW 327 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Muss ich über diesen Wagen viele Worte verlieren? Selbst wer nicht vertraut ist mit deutschen Vorkriegsautos, dem ist dieses Exemplar auf merkwürdige Weise bekannt.

Für manche ist dieses 327er Cabriolet, das ab 1937 gebaut wurde, die Quintessenz eines BMW – man erkennt ihn sofort und ist hingerissen.

Für einen Moment steht die Zeit still, denn hier ist das Beste aus der Vorkriegswelt und der sich ankündigenden Moderne vereint.

Kühler und Scheinwerfer sind keine eigenständigen Bauteile mehr, man kann ihnen förmlich dabei zusehen, wie sie mit dem Wagenkörper verschmelzen. Doch die Kotflügel sind gerade noch als solche erkennbar, kraftvoll geformt wie wohltrainierte Muskeln.

Die Trittbretter sind nur noch angedeutet, funktionslos geworden, die niedrige Frontscheibe fügt sich ebenso dem Diktat des Luftstroms wie die ganze Vorderpartie. Wie der kurz nach dem Krieg als Improvisation entstandene sensationelle Jaguar XK 120 sah der BMW 327 schon im Stand wie ein sprungbereites Raubtier aus.

Nicht zufällig schmückt genau dieser Wagen den Deckel des lange ersehnten, über 400 Seiten starken BMW-Standardwerks von Nyncke/Simons/Zeichner (BMW 1929 bis 1945, Verlag Geramond, 1. Auflage 2022).

Es gehört zu den vielen Verdiensten dieses Werks, endlich den Männern Ehrerbietung zu zollen, welche in den späten 1930er Jahren das Gesicht von BMW geprägt haben.

Das Buch macht Schluss mit der Geringschätzung der Leistung der Gestalter deutscher Vorkriegswagen, die für den Erfolg mindestens so entscheidend waren wie die Techniker.

Für die aus jeder Richtung vollkommene Linie des BMW 327 war Wilhelm Kaiser verantwortlich. Geboren 1908 und gelernter Karosseriebauer, kam er 1936 zu BMW nach Eisenach. Sein Name ist für immer mit den sensationellen Typen 327/328 verbunden.

Ab 1941 verliert sich seine Spur – man weiß schlicht nicht, was aus ihm geworden ist. Dieses Verschwinden aus der Geschichte ist typisch für unzählige seiner Zeitgenossen – so wohl auch für die beiden hier:

BMW 327 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Außer dass dieses Paar aus Bremen stammte, wissen wir nur, dass es auf der rechten Rheinseite gegenüber von Bingen haltgemacht hatte, als diese Aufnahme entstand.

Der Titel „Bremer Braut bei Bingen“ ist spontan dieser Tatsache entsprungen. Zwar ist auf der Rückseite des Originalabzugs nichts vermerkt, doch mir kam die Landschaft im Hintergrund bekannt vor.

Es ist ein Vierteljahrhundert her, dass ich für eine Weile in Wiesbaden wohnte und bei schönem Wetter abends nach der Arbeit Ausflüge mit dem Motorrad in den Rheingau unternahm. Doch die bei gemütlicher Fahrt mit gerade einmal 40 PS aus einzylindrigen 500ccm gewonnenen Eindrücke genügten, um sich ins Langzeitgedächtnis einzubrennen.

Der Aufnahmeort war in der Nähe der Burgruine Ehrenfels gegenüber der Stelle, an der die Nahe in den Rhein mündet. Auf der anderen Seite des Flusses erkennt man am Horizont die Silhouette der Rochus-Kapelle.

Wenn man von hier weiter dem Fluss folgte, war man binnen kürzester Zeit in einer der bis heute großartigsten deutschen Landschaften – dem Mittelrheintal.

Dorthin wird auch der Fahrer des BMW 327 mit seiner Bremer Braut weitergefahren sein – dieser Rheinabschnitt präsentiert sich in unseren Tagen (hoffentlich) noch so wie einst.

Ich war schon lange nicht mehr dort, doch heute bin ich für eine Weile zurückgekehrt, habe mich an den warmen Sommerwind im Gesicht erinnert und an die Landstraße, die bei weniger Verkehr zum genüsslichen Kurvenräubern einlädt.

Was mag aus dem BMW 327 geworden sein, der auf unserem Foto das Abzeichen des staatlichen NSKK auf dem Kühlergrill trug – der auf das Kraftfahrwesen spezialisierten Unterorganisation der NSDAP?

Und was mag aus dem hier so zufrieden erscheinenden Paar geworden sein? War er überzeugter Nationalsozialist oder wies die NSKK-Zugehörigkeit auf eine oberflächliche Anpassung hin, um weiteren Bücklingen gegenüber dem Regime zu entgehen?

Nichts davon wissen wir und alles ist möglich. Auch, dass wir hier das letzte Zeugnis der beiden sehen. Vielleicht verschwanden sie in den Kriegswirren wie Wilhem Kaiser, dem wir das ikonische Design des BMW 327 verdanken.

Wir sehen: alles Persönliche hat eine ungewisse Zukunft, aber die Schöpfungen der Vergangenheit bleiben uns im besten Fall als beglückende Begleiter auf dem weiteren Weg. Der BMW 327 wird uns dabei wiederbegegnen, das kann ich schon jetzt versprechen…

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Lässt Sachsenherzen höher schlagen: Tornax „Rex“

Entgegen des Titels sollen beim heute präsentierten Foto keineswegs nur Sachsenherzen höher schlagen – auch wenn es im Wesentlichen darum geht.

Bei der Gelegenheit darf ich daran erinnen, dass das Herz der deutschen Autoindustrie in der Vorkriegszeit – speziell in den 1920er/30er Jahren mitnichten im Westen schlug. Die größte Konzentration an Marken fand sich in Mitteldeutschland.

Interessant finde ich in dem Zusammenhang, dass – von Berlin abgesehen – in den deutschen Großstädten nur wenige bis gar keine Autofirmen existierten. Ob in Hamburg, Köln, München, Dresden oder Breslau – dort fanden sich nur vereinzelte Hersteller.

Die technische Kreatitivät und der unternehmerische Mut gediehen überwiegend in der Provinz – so wie es nach meiner Wahrnehmung hauptsächlich die deutsche Provinz und die Mittelstädte waren, welche auch auf anderen Feldern Könner und Geistesgrößen hervorbrachten.

Ich habe mir vor einiger Zeit mit meiner besseren Hälfte den Spaß gemacht, die Liste berühmter Kölner seit dem Mittelalter durchzugehen. Gefühlte 90% Kirchenleute und Karnevalisten waren das – zuviel, um aus der ehrwürdigen Domstadt auch ein Zentrum von freiem Denken, großer Kunst und moderner Technik zu machen.

Also flugs zurück nach Sachsen – der Heimat von Komponisten wie Bach, Schütz, Telemann, Schumann und Wagner, von Malern wie Caspar David Friedrich und Ernst Ludwig Kirchner, von Denkern und Literaten wie Leibniz, Lessing und Karl May (kleiner Scherz), sowie Technikern wie Friedrich Siemens, Konrad Zuse und: August Horch!

Nachdem wir dies geklärt haben, geht es nun zur Sache – die Mitte der 1930er Jahre keinesfalls nur Sachsenherzen höher schlagen ließ. Die Rede ist wieder einmal vom Tornax „Rex“ – einem hinreißend radikalen Roadster, der angeblich nur 168mal gebaut wurde.

Mir kommt diese Zahl recht niedrig vor, denn heute habe ich wieder ein bis dato unveröffentlichtes Foto davon aufgetan. Übrigens: Ich bringe hier ausschließlich Originalaufnahmen aus meinem Fundus oder aus dem von Sammlerkollegen.

In diesem prächtigen Fall liegt mir sogar das originale Negativ vor:

Tornax „Rex, Bauzeit: 1934-1936; Originalnegativ: Sammlung Michael Schlenger

Zunächst einmal, liebe Leser, halten wir inne: Ist das nicht ein wunderbares Foto, das die Sehnsucht nach einem sonnigen Tag auf dem Lande weckt?

Die Schatten der Alleebäume auf der Piste, das frisch angehäufte Heu auf der Wiese daneben – in der Ferne reine unverbaute Landschaft, im Tal geduckt ein Dorf – und dann fast beiläufig der sportliche Zweisitzer mit tiefen Türausschnitten, endlos langer Haube und mit den Vorderrädern mitdrehenden „Cycle-Wings“.

Hier schlägt das Herz des Vorkriegsautofreundes höher. Das ist ein Idyll wie aus dem Prospekt – und es war vor rund 90 Jahren für einen Moment Wirklichkeit. Wir genießen das Privileg, nach so langer Zeit wieder in diese Situation einzutauchen.

Weshalb auch – aber nicht nur – die sächsischen Landsleute hier und heute besonderes Herzklopfen verspüren sollten, das hatte zwei Gründe.

So hatte eine Motorradfirma aus Wuppertal namens Tornax 1934 einen Roadster mit dem Zweitaktantrieb des sächsischen DKW F2 „Meisterklasse“ auf den Markt gebracht, dessen sportliche Linienführung der Firma Hebmüller zu verdanken war (siehe hier):

Tornax „Rex, Bauzeit: 1934-1936; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Der nur 700ccm „große“ Zweizylindermotor von DKW wurde moderat leistungsgesteigert, sodass in dem Sachsenherz satte 23 PS klopften. Was nach wenig klingt, war in Verbindung mit niedrigem Schwerpunkt und optimiertem Fahrwerk ein echtes Sportgerät.

Beherzt gefahren bot der Tornax „Rex“ königliches Fahrvergnügen, wie bei zeitgenössischen Wagen vor zuletzt 20 Jahren im Fall des Smart Roadster (ebenfalls mit 700ccm Hubraum).

Tempi passati – im unteren bis mittleren Preissegment wollen die Leute nur noch praktische Autos, wohl aus der sich in die deutsche Mittelschicht fressenden materiellen Not heraus.

Also bleiben wir bei dem Traumbild von einst – ganz gleich wie besch….en die Zeiten in politischer Hinsicht für viele in deutschen Landen damals auch waren.

Vor allem Sachsenherzen höherschlagen lässt mein heute präsentierter Fund wohl auch deshalb, weil er eine Ikone der Sächsischen Schweiz zeigt – den Tafelberg Lilienstein:

Tornax „Rex, Bauzeit: 1934-1936; Originalnegativ: Sammlung Michael Schlenger

Sollte ich nicht ganz im Ziel liegen – solche Naturwunder gibt es im Elbsandsteingebirge ja einige – sehen es mir die sächsischen Leser bitte nach und korrigieren mich.

Was den Wagen mit dem Sachsenherz angeht, bin ich mir dagegen sicher, und sicher bin ich mir auch, dass dieser den Puls der Vorkriegsautoliebhaber im Rest der Republik höherschlagen lässt.

Denn so so hinreißend auf Wirkung und Fahrvergnügen reduziert und von unbekannter Hand so brilliant in Szene gesetzt – das weckt die positiven Leidenschaften, die zum Leben gehören.

Dass ich nach so langer Zeit heute das Negativ in Händen halte, das sich einst in der Kamera befand, welche diese Aufnahme machte – das lässt nun auch mein Herz höher schlagen…

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Vater/Sohn-Beziehung negativ? Positiv! Hansa 1700

Ist Weihnachten eine gute Gelegenheit, die Vater/Sohn-Beziehung zu thematisieren? Ja, auch dann, wenn es einem zeitlebens fremd blieb, dass Jesus schon am Tag seiner Geburt dazu bestimmt worden sein soll, einst den Kreuzestod zu sterben.

Was das bringen sollte und was es der Menschheit gebracht hat, habe ich mich vergebens gefragt, seit ich zu eigenständigem Denken befähigt war und Kenntnis der europäischen Geschichte erlangt hatte.

Die Weihnachtsgeschichte um das unschuldig geborene und zum Verbrechertod verdammte Kind berührt einen aber auch dann, wenn man die daran geknüpften Glaubensinhalte nicht teilt. Dem liegt die normal veranlagten Menschen angeborene Sorge um die Hilflosen und Schwachen zugrunde – die Schöpfer der Weihnachtsgeschichte waren gute Erzähler.

Den Teil, dass hier ein Gott den eigenen Sohn geopfert hat, „um ein Zeichen zu setzen“ – den erlaube ich mir für inakzeptabel zu halten. Für mich – wer’s anders sieht, soll das tun.

Es dürfte mit der eigenen Vater/Sohn-Beziehung zu tun haben, dass mich die christliche Überlieferung in weiten Teilen nie angesprochen oder gar überzeugt hat. Die überlieferten physischen und psychischen Grausamkeiten eifriger Kirchgänger in der väterlichen Linie verrieten mir früh, dass mit diesem „Glauben“ etwas nicht stimmen kann.

Wenn man vor diesem Hintergrund die eigene Vater/Sohn-Beziehung als Desaster empfindet – ich habe mich früh damit arrangiert und meine Schlüsse gezogen – dann stellte sich die Frage: Wie kommt man an Weihnachten vom Negativen zum Positiven?

Ganz einfach, liebe Leser. Erst geht man zu später Stunde das Material durch, welches den diesjährigen „Fund des Jahres“ in meinem Blog konstituieren wird – eine mehrere Dutzend Vorkriegsfotos umfassende automobile Zeitreise.

Anschließend findet man ein Negativ mit einem meiner Lieblingsautos der 1930er Jahre und zaubert ein Positiv daraus, das eine Vater/Sohn-Beziehung wie aus dem Bildebuch zeigt:

Hansa 1700 Cabrio-Limousine; von originalem Negativ aus Sammlung Michael Schlenger

Treue Leser wissen es – dieser Wagen aus dem Hause „Hansa“ gehört speziell in der Sechszylinder-Version „1700“ mit 40 PS aus 1,6 Litern zu meinen Favoriten jener Zeit.

Er kam als einer der wenigen deutschen Autos seiner Klasse in die Nähe des Fiat 1500 – ebenfalls mit 6-Zylinder – mit 45 PS aus nur 1500ccm und Spitze 115 km/h aber weit agiler.

Während der Fiat eine moderne Karosserie mit die Vorderkotflügel integrierten Scheiwerfern besaß, folgte der Hansa der klassischen Linie, wie sie speziell in England noch lange ausgeprägt blieb.

Kein deutscher Wagen der 1930er Jahre wirkt auf mich dermaßen „britisch-konservativ“ wie der Hansa – ich weiß das ebenso zu schätzen wie die moderneren Linien des Fiat 1500.

Übrigens: Die kleinen und flachen Radkappen des Wagens auf dem „Vater&Sohn“-Beziehungsfoto weisen auf ein frühes Exemplar von 1934/35 hin. Dass wir es mit dem geschmeidigen 6-Zylindermodell zu tun haben, das verraten die fünf statt sonst vier seitlichen Luftklappen in der Motorhaube.

Wenn Sie trotz aller Lobeshymnen auf diesen Wagen das Gefühl haben, dass an dieser Vater&Sohn-Sache bei aller scheinbarer Harmonie etwas nicht stimmt, dann haben Sie recht. Sofern Sie es nicht gleich erkennen, findet sich in meiner Hansa-Galerie der Schlüssel dazu – obwohl: ein Schlüssel war an dieser Stelle wohl nicht notwendig…

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Weiße Weihnacht gesucht – Für Kenner und Genießer

Weiße Weihnacht in der hessischen Wetterau, in der ich aufgewachsen und immer noch zuhause bin – nach meiner Erinnerung von jeher die seltene Ausnahme.

Schon vor über 40 Jahren machte sich meine Mutter über die Versuche der Wetterfrösche im Radio lustig, die Chancen eines Winter-Weihnachtswunders zu erörtern. Sie wusste aus Erfahrung, dass das in unserer Gegend meist nichts wird.

Das Klima hier ist ganzjährig mild und ausgewogen – der am Bad Nauheimer Johannisberg angebaute Riesling-Wein gedeiht hier ebenso wie der prächtige alte Maronenbaum im eigenen Garten und der Feigenbaum der Nachbarn.

Also an sich kein Grund zur Verzweiflung, wenn’s mal wieder nur kühl und regnerisch ist zur Weihnachtszeit, könnte man meinen. Dennoch habe ich gestern abend verzweifelt gesucht – allerdings nach der Lösung hunderter Rätsel auf alten Autofotos.

Ganz am Ende wurde ich sogar fündig – dummerweise bei einer Marke, die erst kürzlich an der Reihe war. Außerdem bedarf die Bestimmung des Baujahrs einiger Recherchen.

Also musste ich mir etwas anderes einfallen lassen, um Ihnen zu Weihnachten etwas Besonderes zu kredenzen. Nicht dass Sie – oder ich – darauf angewiesen wären. Aber nett ist es schon, wenigstens einmal im Jahr den Alltag in den Adelsstand zu erheben.

Ich weiß nicht wie, aber die Instanz in meinem Kopf, die mir regelmäßig Einfälle präsentiert, hatte etwas mit Schnee vorgeschlagen, am besten verbunden mit Fotorätseln, an denen Sie sich abarbeiten können, wenn Sie mögen.

Sie ersehen bei der Gelegenheit das Ausmaß der Probleme, mit denen ich mich hier fast allabendlich befasse – wenn auch selten verzweifelt. An den heute präsentierten Fällen sollen Sie sich wie immer vor allem erfreuen. Doch es dürfen sich auch die Kenner aufgerufen fühlen, spontan Thesen aufzustellen – oder gleich die Lösung zu liefern.

Begleiten Sie mich jetzt auf einer Weihnachts-Winterreise in die Welt von gestern – chronologisch und mit Schnee als Leitmotiv:

Tourenwagen mit Hamburger Zulassung; Ansichtskarte von Dezember 1908; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir einen typischen Tourer aus der Zeit vor 1910 – noch ohne Windlaufblech zwischen Motorhaube und Passagierabteil und sogar ohne Frontscheibe. Letztere war bei ganz frühen Wagen ein aufpreispflichtiges Zubehör ebenso wie die Scheinwerfer.

Was die Datierung angeht, halte ich hier auch ein Automobil von ca. 1905/06 für möglich. Der Schlüssel zur Identifikation ist der Kühler, aber dessen Proportionen und das halbmondförmig gestaltete Oberteil konnte ich mit keinem Modell zur Deckung bringen.

Nächster Kandidat ist dieser Tourer aus der Zeit ab 1910:

Tourenwagen ab 1910 mit Heidelberger Zulassung; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Das Foto könnte auch kurz nach dem 1. Weltkrieg entstanden sein, doch die Gasscheinwerfer (erkennbar an den Düsen im Innern und den Abgasauslässen an der Oberseite) sowie der noch sehr einfach gehaltene Windlauf vor der (nach vorne geklappten) Scheibe deuten auf die Zeit kurz nach 1910 hin.

Im ersten Reflex dachte ich an einen kleinen Benz des Typs 8/20 PS, doch die Kühlergestaltung will bei näherer Betrachtung nicht dazu passen. Einigermaßen sicher bin ich mir nur, was die Zulassung im Raum Heidelberg angeht.

Der nächste Kandidat wurde im 1. Weltkrieg aufgenommen – trotz der verheerenden Umstände mit offensichtlich gesprengter Brücke in einer beinahe malerischen Situation:

Tourenwagen des deutschen Heeres im 1. Weltkrieg; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Abgesehen von dem auffallend großen Federweg an der Hinterachse sind hier keine Besonderheiten an dem Auto zu erkennen, das durch den preußischen Adler als deutsches Militärfahrzeug gekennzeichnet ist.

Hier würde mich auch der Aufnahmeort eher interessieren – ich tippe auf einen Kriegsschauplatz irgendwo im Osten. Dort gab es nicht ganz so viele Opfer bei den Kämpfen zwischen den Mächten wie im Westen, aber dafür die drastischsten Grenzverschiebungen, die bis heute nachwirken.

In die Zeit kurz nach dem 1. Weltkrieg transportiert uns die nächste Aufnahme, die mir mein australischer Sammlerkollege Jason Palmer in digitaler Form zur Verfügung gestellt hat:

Tourenwagen kurz nach dem 1. Weltkrieg; Originalfoto: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Fotos solcher Tourenwagen aus der Zeit um 1920 mit teils extremen Spitzkühlern, aber ohne jedes Markenemblem finden sich in einer Vielzahl, die einen schier verzweifeln lässt.

Damals gab es nicht nur unzählige kurzlebige Marken im deutsche Sprachraum – die meist nicht dokumentiert sind – oft wurden auch leistungsfähige Vorkriegswagen modernisiert, indem man ihnen einige aktuelle Elemente verpasste.

Die expressive, an die Keilschrift der Babylonier erinnernde Gestaltung der Luftauslässe in der Motorhaube war keineswegs markentypisch. Sie findet sich bei diversen Autos kurz nach dem 1. Weltkrieg und meiner Einschätzung nach nur in einem kurzen Zeitraum.

Auch die Ausführung des hinteren Wagenkörpers mit nach innen gezogener „Schulter“ ist typisch für deutsche Wagen unmittelbar nach dem 1. Weltkrieg. Die elektrische Beleuchtung mit den seitlich ausgestellten kleinen Lampen zur Kurvenausleuchtung wird ebenfalls direkt nach dem Krieg Standard.

Ein bizarres Relikt ist hingegen der mächtige Suchscheinwerfer vor dem Kühler. Das findet sich meines Erachtens so seigentlich nur bei Autos, die im 1. Weltkrieg militärisch genutzt wurden. Allerdings fehlen an diesem Wagen alle Hinweise auf eine Heeres-Zulassung.

Weiter geht’s durch die Zeitgeschichte, auch wenn uns das unselige Thema Krieg auch hier nicht ganz erspart bleibt:

Tourenwagen um 1925 in den Dolomiten; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Diese schöne Aufnahme aus dem Fundus von Leser Matthias Schmidt entstand auf dem fast 2500 Meter hohen Dolomitenpass „Col di Lana“. Der war im 1. Weltkrieg einer der vielen Schauplätze der Stellungskämpfe zwischen österreichischen und italienischen Truppen, die an Irrsinn denen in Belgien und Frankreich kaum nachstanden.

Auch hier ging es um quasi nichts, außer dass für minimale Frontverschiebungen unzählige junge Männer und die Ressourcen der beteiligten Länder verheizt wurden. In der Bereitschaft, selbstmörderisch eine ganze Generation für nirgends definierte Ziele zu opfern, unterschieden sich die Regierungen der europäischen Kriegsparteien nicht.

Wenige Jahre später war das alles egal, und wer es sich leisten konnte, fuhr mit dem Tourenwagen über die zuvor heftigst umkämpften Pässe, als wäre nichts gewesen.

Im vorliegenden Fall scheinen wir es mit einem großzügigen Modell mit Vierradbremsen und auffallend leicht erscheinender Karosserie zu tun zu haben. Ich dachte hier anfänglich an ein Exemplar des spektakulären Lancia „Lambda“ – des innovativsten Autos seiner Zeit.

Doch der Lambda kam noch leichtfüßiger daher – er war auch in Sachen filigraner Eleganz eine Klasse für sich. Daher vermute ich, dass der Wagen ein anderes Fabrikat war.

Auch das nächste Foto zeigt auf den ersten Blick einen alten Bekannten – oder wer würde hier keinen Mercedes von Mitte oder Ende der 1920er Jahre vermuten?

Limousine mit Bad Homburger Zulassung ab 1925; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ich besitze noch zwei weitere Aufnahmen desselben Wagens, der in Bad Homburg zugelassen war, also beinahe vor meiner Haustür und wie die Wetterau auf einst römischem Territorium. Bloß der Hersteller ist nirgends klar zu erkennen.

Jetzt haben Sie vielleicht eine Ahnung davon bekommen, mit was für Luxusproblemen ich mich regelmäßig herumschlage, nur um erfolgreich identifizierte Exemplare in bisweilen stundenlanger Arbeit einer überschaubaren interessierten Öffentlichkeit zu präsentieren.

Aber selbst wenn Sie gar keine Beziehung zu Vorkriegsautos haben, dürfte deutlich werden, was diese Gefährte und speziell ihre Fotodokumente von einst so besonders macht.

Mitunter sind Beispiele dabei, bei denen man wenig Hoffnung hat, dass man überhaupt herausfindet, was für ein Wagen da einst abgelichtet wurde. Aber herrje, wenn es gilt, ein wenig weiße Weihnacht zu simulieren, greift man verzweifelt auch dazu:

Limousine der 1930er Jahre, aufgenommen 1956; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Mit dieser Aufnahme sind wir in der Nachkriegszeit angelangt. Denn dieses Foto zeigt zwar ein bislang nicht identifiziertes Auto der 1930er Jahre, aber es ist auf Januar 1956 datiert.

Selbst wenn der Wagen rätselhaft bleiben sollte, ist hier Verzweiflung fehl am Platz. Denn die Situation hat zeitlose Qualitäten. Da hat einer seine Liebste im Winter mit dem Auto fotografiert, weil ihm der Sinn danach stand.

Beide haben ihre Sache gut gemacht, finde ich, wobei der Fotograf ein schattenhaftes Selbstporträt zuwegegebracht hat, das auf dem Vorderkotflügel zu erkennen ist. Viel mehr kann man vom Leben nicht erwarten und mehr wird über kurz oder lang nicht bleiben.

Also, liebe Leser, genießen Sie das Ihre und machen das Beste daraus – nicht nur an Weihnachten, aber tun Sie es heute vielleicht besonders bewusst. Es sollte am Ende nichts übrigbleiben, das man verzweifelt gesucht, aber nicht gefunden hat.

Wenn ein paar alte Bilder – vielleicht aus dem eigenen Dasein – rätselhaft bleiben, ist das unerheblich. Wir werden nie alle Geheimnisse des Lebens lösen, auch das macht seinen Wert aus.

Jetzt genießen Sie ein paar Tage abseits des Alltags, feiern Sie Weihnachten oder lassen Sie es sein (so wie ich), aber beschäftigen Sie sich einmal nur und ausschließlich mit guten Dingen. Es gibt sie noch – im Zweifelsfall hier…

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Serie, aber nicht nur Standard: Buick Modelljahr 1928

Ich weiß, es gefällt nicht jedem, aber ich mag den Kapitalismus und den überwiegenden Teil seiner Hervorbringungen. Damit dies klar ist: Nichts auf Erden ist vollkommen und alles Menschengemachte hat Vor- und Nachteile.

Wer von reinen Idealen träumt, soll das weiter tun oder mit Gleichgesinnten irgendwo seine Utopie verwirklichen, aber die Leute verschonen, die einfach nur nur ihr Leben leben wollen – mit allen Chancen und Risiken, die es mit sich bringt.

Was von der Leine gelassene Marktwirtschaft zu bewirken vermag, das erlebten die Deutschen in allen Facetten nach den Erhardschen Reformen in den 1950/60er Jahren. Das sogenannte Wirtschaftswunder wurde teutonischen Tugenden zugeschrieben, die aber die Nachbarvölker ebenfalls hatten – bloß ließ man sie nicht von der Kette der Planwirtschaft.

Ohne den Kapitalismus nach US-Muster hätten wir heute kein Automobil für jedermann – für mich die demokratische Erfindung schlechthin. Schon vor dem 1. Weltkrieg findet man in deutschen Landen Erörterungen über allgemein erschwingliche Wagen.

Während man sich in solchen Diskussionen erging, machten sich in den Vereinigten Staaten, wo Hunderttausende risikobereiter deutscher Auswanderer hingegangen waren, Männer an die Arbeit – und lieferten, was zeitgemäß war.

Ende 1908 entstanden die ersten Exemplare des Model T von Ford. Damit begann alles, was wir heute täglich nutzen, ohne nachzudenken. Das muss als Einführung genügen.

Wir springen jetzt bloße 20 Jahre weiter und schauen, was für Autos 1928 in den USA – aber auch in Deutschland – verfügbar waren. Und das war trotz Serie nicht nur Standard.

Schauen wir also, was eine solide US-Mittelklassemarke wie Buick anno 1928 zu bieten hatte. Den Anfang macht die billigste Ausführung – der offene Tourenwagen:

Buick Tourer von 1928; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieser Wagen – am Kühler und der Figur sowie der Scheinwerferform als 1928er Buick erkennbar – gehörte laut umseitiger Beschriftung einem Gutsinspektor, der bei Baron von Gollme in der Nähe von Halle an der Saale angestellt war.

Weiterführende Informationen zu dieser Personalie von kundiger Seite sind willkommen.

Die Tourenwagenversion des 1928er Buick war damals schon eher selten – die meisten Käufer bevorzugten geschlossene Versionen. Hier haben wir die Ausführung als zweitürige Limousine – nach amerikanischer Konvention als „Coach“ bezeichnet:

Buick „Coach“ von 1928, Zulassungsbezirk Köln; Originalfoto: Jürgen Klein

Diess hervorragende Foto hat mir Leser Jürgen Klein in digitaler Form zur Verfügung gestellt.

Bei der Gelegenheit darf ich Sie, liebe Leser, daran erinnern, dass Sie hier das ganze Jahr über von den Ergebnissen privater Sammlerleidenschaft profitieren.

Kein Druckwerk und keine Website in deutschen Landen bietet ihnen Vergleichbares. Das nur für den Fall, dass Sie beginnen, dergleichen für selbstverständlich zu halten.

Denn ohne Gleichgesinnte wie etwa Matthias Schmidt aus Dresden, wäre ein solches Verwöhnprogramm nicht möglich. Er hat mir – großzügig wie immer – diese wunderbare Aufnahme aus seiner Sammlung zur Verfügung gestellt:

Buick „Sedan“ von 1928, Zulassungsbezirk: Chemnitz; Originalfoto: Matthias Schmidt (Dresden)

Dieser im sächsischen Chemnitz zugelassene Buick mit viertürigem (und sechsfenstrigem) Aufbau entsprang zwar der amerikanischen Serie – aber ein „Standard“ war er wohl nicht.

Buick bot für das Modelljahr 1928 neben dem gut 60 PS leistenden „Standard Six“ auch die weit leistungsfähigere Version „Master Six“ mit gut 75 PS an. Nebenbei: Beide 6-Zylindermotoren waren kopfgesteuert, besaßen also im Zylinderkopf hängende Ventile.

Ich könnte mir vorstellen, dass der sächsische Besitzer des Buick auf dem Foto von Matthias Schmidt nicht nur die Standardausführung besaß, sondern den „Master Six“. Die Villa im Hintergrund spricht meines Erachtens dafür.

Wenn Sie jetzt auf beiden Fotos die als Extra verfügbare Dreifach-Stoßstangen an dem 1928er Buick vermissen, dann kann ich mit einem Foto aus meinem Fundus einspringen:

Buick „Sedan“ von 1928; Originalfoto: Michael Schlenger

Das ist ein Autofoto ganz nach meinem Geschmack. Der Wagen spielt nur die zweite Geige, ist aber an Details identifizierbar wie hier der Gestaltung der Scheinwerfer.

An dieser Aufnahme habe ich mich eine Weile abgearbeitet, bis ich auf die Lösung gekommen bin. Doch genau das zeichnet uns Menschen aus – nicht nachlassen, nicht aufgeben, nicht sich auf eine bequeme Position zurückziehen.

Auch wenn man selbst nur Ergebnis einer Serienproduktion ist, muss man sich nicht unbedingt mit der Rolle als „Standard“ abfinden – vielleicht reicht es doch für eine kleine Rolle als „Master“ oder Mistress“ – sei es nur auf einem kleinen Feld und für eine zeitlang…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Beinah‘ ein Sechser im Lotto: Adler 10/50 PS

Geld macht bekanntlich nicht glücklich – soviel ist klar. Kein Geld aber auch nicht. Und so hoffen jede Woche Millionen von Bundesbürgern auf den sprichwörtlichen Sechser im Lotto, der sie zumindest der Bürde des Geldverdienens enthebt.

Dass gegen diese Form des „leistungslosen“ Einkommens noch nicht von interessierter fiskalischer Seite agitiert wurde, wundert mich. Das kommt aber sicher auch noch – denn dass mit knapp 1.000 Milliarden EUR Steuereinnahmen pro Jahr die nötigsten Staatsaufgaben nicht erfüllt können (dafür aber jede Menge andere), ist offensichtlich.

Auf den sprichwörtlichen Sechser im Lotto musste vor rund 100 Jahren auch der hoffen, der sich ein Automobil des Kalibers zulegen wollte, das wir uns heute anhand einer raren „neuen“ Aufnahme ansehen wollen.

Dazu ist es hilfreich, sich zunächst die Einkommensverhältnisse eines deutschen Durchschnittsverdieners im Jahr 1925 zu vergegenwärtigen. Diese sind gut dokumentiert, denn für die breite Masse der sozialversicherungspflichtigen Arbeiter und Angestellten wird seit 1891 das durchschnittliche Jahreseinkommen erhoben. Dass die Beamten hier nicht enthalten sind, ist vernachlässigbar – ihre Zahl war bis in die 1970er Jahre relativ niedrig.

Schauen wir also in die Statistik der deutschen Sozialversicherung, um uns ein Bild zu machen. Anno 1925 – nach der überstandenen Hyperinflation – betrug das Durchschnittsentgelt 1.469 Reichsmark – pro Jahr und brutto, wohlgemerkt.

Diesen Wert behalten wir im Hinterkopf – wir brauchen ihn später noch. Bevor wir ein wenig rechnen, wollen wir uns erst einmal an einem deutschen Oberklassewagen jener Zeit erbauen – dem Adler 10/50 PS.

Er löste Ende 1925 den kurzlebigen Vierzylindertyp 10/45 Typ ab, der entweder eine Fehlkonstruktion oder in seinem Preissegment kaum verkäuflich war. Der Adler 10/50 PS bot stattdessen bei ähnlichem Hubraum (2,6 Liter vs. zuvor 2,7 Liter) etwas mehr Spitzenleistung und vor allem: Sechszylinder-Laufkultur.

Den ersten Adler mit Sechszylinder hatte es übrigens kurz vor dem 1. Weltkrieg gegeben (Typ 15/35 PS), als dies bei deutschen Wagen noch eine seltene Ausnahme darstellte.

Ab Mitte der 1920er Jahre wurden Sechszylinder – ausgehend von den USA – zum Standard bei gehobenen Automobilen. Man scheint das bei Adler in Frankfurt/Main frühzeitig registriert zu haben, nachdem selbst bei US-Mitteklassemarken wie Buick ab 1925 Sechszylindermotoren die Vierzylinderaggregate ablösten.

So erschien in kurzer Zeit der beeindruckend dimensionierte neue Adler 10/50 PS, den wir hier auf einer Aufnahme aus dem Fundus von Leser Matthias Schmidt sehen:

Adler 10/50 PS Pullman-Limousine; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Mit dem 50 PS leistenden Sechszylinder und Vierradbremsen war der Adler technisch auf der Höhe der Zeit. Die filigranen Drahtspeichenrädern waren Serienausstattung und nahmen dem massigen Karosseriekörper etwas von seiner Schwere.

Typisch sind die sehr schmalen und zahlreichen Luftschlitze in der Motorhaube sowie die minimalistischen Trittschutzbleche auf der Schwellerpartie unterhalb der Türen. Diese Gestaltung findet sich sonst meines Wissens nicht und ist ein Merkmal dieser Adler-Wagen.

Von solchen Finessen abgesehen, sieht der Adler aus der Seitenansicht völlig beliebig aus. Dem in deutschen Landen Mitte der 1920er grassierenden Funktionalismus in der Karosseriegestaltung machte die ausländische Konkurrenz zum Glück bald ein Ende.

Doch zumindest bis Produktionsende 1926/27 kam der mächtige Adler 10/50 PS in diesem puritanisch schlicht anmutenden Gewand daher.

Immerhin hatten die Gestalter in den Adlerwerken nahe dem Hauptbahnhof zu Frankfurt/Main dafür gesorgt, dass man den Wagen von vorne sofort erkennt:

Adler 10/50 PS Pullman-Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieses prächtige Dokument ist mir heute abend bei der Durchsicht meiner prallgefüllten Mappe mit bislang unveröffentlichten Adler-Fotos in die Hände gefallen.

Besonders gut gefällt mir hier, dass der Typ 10/50 PS auf der Rückseite des Abzugs von alter Hand vermerkt ist, denn äußerlich ließ sich dieser vom 10/45 PS nicht unterscheiden – die 10 cm Unterschied im Radstand kann man nicht erkennen.

Überhaupt gibt es kaum Vergleichsfotos dieses Modells. Das gute halbe Dutzend in meiner Adler-Galerie scheint die größte allgemein zugängliche Versammlung solcher Aufnahmen zu sein.

Noch eine Sache möchte ich erwähnen, wenngleich sie für die Bildanalyse unerheblich ist. Der Besitzer des Wagens hat auch seine Mutter (im Fond) sowie die Tochter Brunhilde und deren Mutter Berta auf der Rückseite erwähnt.

Der mutmaßliche Chauffeur am Steuer (damals war Rechtslenkung noch Standard in Deutschland) muss leider namenlos bleiben. Doch sein Status als Fahrer eines dermaßen kostspieligen Wagens war auch so herausgehoben – man wird ihn gut bezahlt haben.

Damit wären wir beim eingangs angerissenen Thema – den leidigen Moneten. Erinnern Sie sich noch an das durchschnittliche Brutto-Jahreseinkommen eines Durchschnittsdeutschen anno 1925?

Genau, knapp 1.500 Reichsmark brutto waren das. Jetzt unterstellen wir einmal, dass ein Durchschnittsverdiener damals noch nicht dermaßen vom Fiskus zur Kasse gebeten wurde wie heute. Nehmen wir an, er musste vielleicht 10 % an Sozialabgaben und nochmals 10 % an Steuern abdrücken – aus heutiger Sicht ein Traum – dann blieben ihm 1.200 Mark.

Und nun nehmen wir noch an, er konnte davon großzügig bemessen 20 % pro Jahr sparen, sagen wir: aufgerundet 250 Mark.

Jetzt raten Sie einmal, nach wievielen Jahren er sich die zuvor gezeigte Pullman-Limousine des Typs Adler 10/50 PS hätte leisten können. Halten Sie sich fest: er hätte 52 Jahre sparen müssen. Der Wagen kostete nämlich kolossale 13.000 Reichsmark.

Machen wir die Rechnung noch anschaulicher. Der Kaufpreis des Adler entsprach fast neun Brutto-Jahresgehältern eines deutschen Durchschnittsverdieners. Das übertragen wir jetzt auf die Gegenwart, damit endgültig deutlich wird, was das einst bedeutete.

Ein sozialversicherungspflichtiger Durchschnittsverdiener in Deutschland bekam im Jahr 2024 rund 45.000 EUR brutto. Ein Auto, für das wie einst für den Adler ebenfalls neun mittlere Brutto-Jahresgehälter aufgerufen werden, würde also heute über 400.000 EUR kosten.

Jetzt dürfte klar sein, weshalb man damals wie heute einen Sechser im Lotto brauchte, um sich so einen Wagen leisten zu können – vom Chauffeurgehalt ganz zu schweigen.

Das erklärt, weshalb diese Autos nur in winzigen Stückzahlen gebaut wurden – wir reden im Fall des Adler 10/50 PS von dreistelligen Produktionsziffern.

Gleichzeitig wird deutlich, weshalb jedes Foto eines dieser raren 6-Zylinderwagen von Mitte der 20er beinahe ein Sechser im Lotto ist – und das wie immer hier kostenlos und steuerfrei…

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Die letzte Offensive: Opel 8/40 PS von 1929/30

Dieser Tage jährt sich zum 80. Mal das letzte Aufbäumen der deutschen Wehrmacht gegen die US-Kriegsmaschine – am 16. Dezember 1944 begann die „Ardennen-Offensive“.

Anfänglich erfolgreich, scheiterte das Unternehmen an altbekannten Problemen auf deutscher Seite: Mangel an Nachschub in Form von Kraftstoff, Munition und frischen Kräften. Strategisch – also was das Verhältnis der verfügbaren Ressourcen betrifft – war der Krieg ohnehin bereits mit dem Eintritt der Vereinigten Staaten Ende 1941 verloren.

Naheliegende Analogien zu einem aktuellen Kriegsschauplatz in Osteuropa spare ich mir. Stattdessen widme ich mich den letzten Versuchen der deutschen Traditionsmarke Opel, ab 1927 mit einem günstigen Sechszylinderwagen der US-Konkurrenz entgegenzutreten.

Die Rede ist vom Typ 7/34 PS bzw. ab 1928 8/40 PS, der in der steuergünstigen Klasse von 1,7 bzw. 1,9 Liter angesiedelt war, in der die Amis mit ihren durchweg großvolumigen Wagen nicht vertreten waren.

Mit rund 20.500 Exemplaren gelang ein Achtungserfolg, doch mehr war nicht drin, vor allem nicht im internationalen Geschäft, das Aussicht auf höhere Stückzahlen geboten hätte.

Die Wagen waren zwar großzügig dimensioniert, aber von Ausstattung, Komfort und Fahrverhalten nicht auf dem Niveau, wie das anspruchsvolle Kunden damals erwarteten.

Da half auch die deutliche Überarbeitung der Karosserie nicht, die 1929 erfolgte. Der Opel hatte nun jede Ähnlichkeit mit den kleinen 4 PS-Modellen abgelegt und sah mit seiner langen Haube und geglätteter Frontpartie durchaus ansprechend aus.

Opel 8/40 PS von 1929/30; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Merkwürdigerweise war diese Aufnahme lange die einzige der späten Ausführung dieses Typs, die ihren Weg in meinen Fundus genommen hat. Möglicherweise verkaufte sich diese Version bereits weit schlechter als der Vorgänger 7/34 PS.

Dieser Tage sind mir jedoch gleich zwei weitere Fotos zugelaufen, die den Opel 8/40 PS in seiner letzten Fassung endlich in aussagefähigerer Form zeigen.

Das Exemplar auf der ersten Aufnahme war im rheinhessischen Oppenheim zugelassen, leider ist der Ort dieser reizvollen Szene unbekannt.

Opel 8/40 PS von 1929/30; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Bei dem am rechten Rand ausschnitthaft zu sehenden Wagen mit Berliner Zulassung handelt es sich übrigens um eine BMW-Cabriolimousine des Typs 3/20 PS, der von 1932-34 gebaut wurde.

Somit ist die Aufnahme in den frühen oder mittleren 30er Jahren anzusiedeln.

Werfen wir nun einen näheren Blick auf den Opel 8/40 PS mit seiner modernisierten Kühlermaske, den wohlgerundeten Kotflügeln und nunmehr filigraneren Haubenschlitzen:

Opel 8/40 PS von 1929/30; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die relativ schlicht anmutende Doppelstoßstange dürfte ein Teil aus dem Zubehörhandel gewesen sein. Dergleichen war Ende der 20er Jahre im unteren bis mittleren Segment noch kein Standard, auch nicht bei US-Fahrzeugen.

Umso mehr Freiheiten hatte der Besitzer eines solchen Wagens, wenn er das Image eines größere und besser ausgestatteten Autos erzeugen wollte.

Das konnte mit ein paar Anpassungen durchaus gelingen, wie ausgerechnet das zweite Foto eines späten Opel 8/40 PS beweist:

Opel 8/40 PS von 1929/30; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieser Wagen hatte mir eine ganze Weile Schwierigkeiten bereitet. Ich war zunächst überzeugt, dass es sich um ein US-Fabrikat von Ende der 1920er Jahre handeln müsse.

Dafür sprach neben der sehr aufwendig gestalteten Doppelstoßstange die an Chysler erinnernde Kühlerfigur und das eigentümliche Kühleremblem.

Erst der Vergleich mit dem zuvor gezeigten Foto brachte mich darauf, dass wir es mit einem vom Besitzer selbst an den amerikanischen Stil angepassten Opel 8/40 PS zu tun haben.

Hier hatte jemand offenbar die US-Fabrikate als überlegen erkannt und versucht, den unstrittigen Marktführern entgegenzuarbeiten anstatt vergeblich auf deutsche Eigenheiten zu pochen, die letztlich doch keine Aussicht auf Erfolg hatten.

Damit nahm der Besitzer dieses Wagens lediglich voraus, was ohnehin geschehen sollte. Die Amis übernahmen in Gestalt von General Motors anno 1929 das Regiment in Rüsselsheim und zogen der deutschen Entwicklungsabteilung den Stecker.

Nach Auslaufen des Opel 8/40 PS im Jahr 1930 hatten die GM-Leute endgültig das Sagen und brachten den in den Staaten neu entwickelten Nachfolger heraus: den Opel 1,8 Liter, wiederum mit Sechszylinder, aber nun nach amerikanischen Standards, was Komfort und Fahrverhalten anging.

Bilder dieses Neubeginns liegen mir sehr zahlreich vor, während die Dokumente der letzten gescheiterten Offensive von Opel vor der Kapitulation merkwürdig rar sind…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.