Fund des Monats: Fiat 1500 Cabriolet in Thüringen

30. April, kurz vor 11 Uhr abends – höchste Zeit für den Fund des Monats.  Mal sehen, ob ich noch die Kurve kriege…

Fund des Monats und Fiat 1500 – wie geht das zusammen? Sicher, mit dem formal wie technisch hochmodernen Wagen der oberen Mittelklasse schufen die Turiner 1935 ein heute viel zu selten gewürdigtes Meisterwerk.

Stromlinienkarosserie mit großem Platzangebot, hydraulische Bremsen, standfeste 45 PS aus nur 1500ccm Hubraum und Spitze 115 km/h – kein deutscher Hersteller konnte in dieser Klasse Vergleichbares bieten.

Auch in der einstigen NSU-Autofabrik in Heilbronn wurde der Fiat 1500 einst gebaut – und so wundert es nicht, dass zeitgenössische Aufnahmen des Modells aus Deutschland alles andere als Mangelware sind.

Hier haben wir einen Fiat 1500 mit sächsischer Zulassung, der von seinem Besitzer an irgendeiner einsamen Landstraße abgelichtet wurde:

Fiat_1500_Sachsen_Galerie

Fiat 1500 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Vom etwas kleineren, aber noch populäreren Vierzylindertyp Fiat 1100 unterschied sich der 1500er äußerlich vor allem durch die halb in die Vorderkotflügel integrierten Scheinwerfer.

Weitere sehenswerte Aufnahmen dieses hierzulande fast völlig vergessenen Fiat-Modells sind in einem Blog-Eintrag aus dem Jahr 2018 zu sehen. Dort gibt’s sogar Fotos eines überlebenden Fahrzeugs zu bestaunen.

Dass der Fiat 1500 einst in Deutschland Furore machte, zeigt auch die folgende Aufnahme aus meiner Sammlung, die ich hier erstmals vorstelle:

Wenn ich mich nicht täusche, besaß dieser Fiat 1500 ein italienisches Kennzeichen, das auf eine Zulassung in Mailand (Milano) verweist.

Vermutlich handelte es sich um einen Wagen von Reisenden aus dem Süden, vor dem sich ein deutsches Paar gegen Ende der 1930er Jahre ablichten ließ, als sei es ihres.

Wo genau das Foto entstand, lässt sich leider nicht mehr rekonstruieren. Aufgrund des Bündnisses des Deutschen Reichs mit Italien sind einige Konstellationen denkbar, etwa ein Wagen italienischer Gesandter in Berlin.

Die stark abgefahrenen Reifen weisen darauf hin, dass der Fiat schon länger in Gebrauch war. Autobahntauglich war er nach damaligen Maßstäben absolut und so traut man ihm durchaus zu, als Kurierwagen entlang der „Achse“ Berlin-Rom eingesetzt worden zu sein.

Doch auch abseits der damaligen Autobahnrouten konnte man einem Fiat 1500 begegnen – und was für einem! So wurde einst in Thüringen in einem Örtchen mit dem schönen deutschen Namen Finsterbergen diese Variante abgelichtet:

Fiat 1500 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir den Fiat 1500 in der sehr raren Ausführung als zweitüriges Cabriolet. Bei einem offenen Wagen hält sich der Vorteil einer strömungsgünstigen Karosserie zwar in Grenzen – aber im Stehen weiß der luftige Fiat das Auge umso mehr zu erfreuen.

Die Zweifarblackierung mit hellem Wagenkörper und dunkel abgesetzten Elementen – Kotflügel, Motorhaube und Gürtellinie – steht dem Auto ausgezeichnet – sie gab es vermutlich nur bei den Cabrioletversionen.

Hier übrigens die Originalaufnahme des Wagens, die erkennen lässt, dass der Fiat vor einer wehrhaft wirkenden Kirche im romanischen Stil abgelichtet wurde.

Fiat 1500 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Kann jemand den Kirchenbau identifizieren? Zum Ort Finsterbergen im Thüringer Wald – laut umseitiger Beschriftung des Abzugs der Aufnahmeort – will der Turm jedenfalls nicht passen.

Merkwürdig ist auch das Nummernschild mit weißen Lettern auf schwarzem Untergrund. Das gab es in Deutschland nur einige Jahre lang nach dem 2. Weltkrieg, als die Besatzungsmächte entsprechende neue Kennzeichen ausgaben.

Meine Vermutung ist, dass dieser offene Fiat 1500 in den späten 1940er Jahren aufgenommen wurde. Dafür spricht ein weiteres, ganz wunderbares Foto, das ich zusammen mit dem ersten erwerben konnte:

Fiat 1500 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlug Michael Schlenger

Fast überflüssig zu sagen, dass der Fiat hier als Hochzeitsauto eingesetzt wurde – vermutlich war er das schönste Fahrzeug, das weit und breit aufzutreiben war.

Die abgefahrenen Reifen und der auf dem linken Vorderschutzblech angebrachte Außenspiegel erzählt von den Verhältnissen der frühen Nachkriegsfahrzeug, als man die Fahrzeuge, die der Krieg übriggelassen hatte, irgendwie in Gang hielt.

Die Hochzeitsgesellschaft wirkt auf den ersten Blick nicht anders als eine vor dem Krieg – Kleidung und Frisuren blieben noch eine Weile unverändert, man hatte andere Sorgen.

Doch fällt auf, wie gertenschlank alle Personen auf dem Foto sind – in der Vorkriegszeit hätte man den einen oder anderen gut genährten Zeitgenossen zu sehen bekommen.

Die einzigen opulenten Rundungen besaß hier der Fiat. Man vergleiche die herrlichen Formen des Vorderkotflügels mit denen der Limousinenversion. So etwas fiel nicht aus irgendeiner Blechpresse, das war wahrscheinlich Manufakturarbeit.

Vom serienmäßigen Fiat 1500 in der geschlossenen Variante weicht auch die Gestaltung der Seitenpartie unterhalb der Motorhaube ab. Weiß vielleicht jemand, wo diese wunderbaren offenen Versionen entstanden?

Vermutlich glich davon keine der anderen. Darauf deutet zumindest eine Aufnahme hin, die wir dem Familienalbum von Leser Rolf Ackermann verdanken:

Fiat 1500 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Rolf Ackermann

Zwar haben wir hier ebenfalls einen Fiat 1500 als zweitüriges Cabriolet mit identischem Farbschema und wunderbar fließender Linienführung. Doch es fehlen die seitlichen Zierleisten unterhalb der Motorhaube.

Denkbar ist, dass diese Leisten am Wagen auf dem vorherigen Foto erst nachträglich angebracht worden waren. Mit über 70 Jahren Abstand wäre aber auch eine solche Variation als authentisch anzusehen.

Doch gibt es heute überhaupt noch einen Überlebenden dieses Typs – also des Fiat 1500 als zweitüriges Cabriolet? Ich habe da meine Zweifel – lasse mich aber gern eines Besseren belehren – denn ein solcher Wagen müsste doch ganz wunderbar sein!

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Zeitgenossen mit Charakter: Ley Typ M8 8/36 PS

Die Automobilfabrikation des Maschinenbauers Ley aus dem thüringischen Arnstadt wird den meisten heutigen Zeitgenossen wohl nur vom Hörensagen bekannt sein.

Doch von den wenigen tausend Wagen, die ab 1905 unter der Marke Loreley und nach dem 1. Weltkrieg als Ley verkauft wurden, haben sich ausreichend originale Fotos gefunden, dass ich eine kleine „Ley“-Galerie in meinem Blog einrichten konnte.

Einige davon habe ich bereits vorgestellt, zuletzt den recht erfolgreichen Typ T6 6/16 bzw. 6/20 PS. Doch bot Ley parallel dazu auch ein wesentlich stärkeres 2-Liter-Modell an, das ab 1921 unter der Typbezeichnung M8 gebaut wurde.

Ob der bis 1927 gebaute Ley M8 von Anfang an bereits als 8/36 PS-Typ firmierte oder als 8/25 PS oder zumindest 8/30 PS-Typ begann, lässt die mir zugängliche Literatur offen.

Jedenfalls fällt es schwer zu glauben, dass die Thüringer 1921 schon einen 8/36 PS-Wagen bauten, während die erfahrenere Rüsselsheimer Konkurrenz damals nur einen Opel 8/25 PS zustandebrachte. Der Leistungsunterschied erscheint arg groß.

Wie dem auch sei – noch interessanter als die Entwicklung der Motorisierung der Ley-Wagen des Typs M8 ist ihre formale Evolution, die sich im Deutschland der 1920er Jahre oft nur in Trippelschritten vollzog.

Als erstes Anschauungsobjekt eignet sich die folgende Aufnahme aus der schier unerschöpflichen Sammlung von Leser Klaas Dierks:

Ley Typ M8; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks,

Trotz einiger lagerungs- /altersbedingter Mängel des Abzugs erkennt man hier auf Anhieb die Merkmale eines Ley Typ M8 der frühen 1920er Jahre:

  • moderater Spitzkühler mit typischem Ley-Emblem (hier sogar mit „Ley“-Schriftzug)
  • fünf niedrige, breite Luftschlitze in der Motorhaube, leicht nach hinten versetzt
  • Bremstrommeln nur an der Hinterachse, innenliegender Bremshebel.

Untypisch (soweit sich das sagen lässt) sind die filigranen Drahtspeichenräder. Sie waren bei deutschen Autos bis in die Mittelklasse generell selten, stattdessen dominierten weniger empfindliche Stahlspeichenräder.

Interessant ist, dass hier zwar noch keine Vorderradbremse verbaut wurde – was für eine frühe Entstehung bis 1924 spricht – jedoch bereits Reibungsstoßdämpfer vorhanden waren (neben der vorderen Federaufnahme zu erkennen):

Dabei kann es sich wie im Fall der sportlich-leichten Drahtspeichenräder um ein auf Wunsch erhältliches Zubehör gehandelt haben.

Die Stoßstange aus rustikal zurechtgebogenem Bandstahl folgt zeitgenössischen Vorbildern aus den USA und will nicht so recht zur Raffinesse des Ley passen.

Sehr schön zu sehen ist auf diesem Bildausschnitt neben dem geschwungenen „Ley“-Schriftzug am unteren Ende des Kühlers die leicht nach außen zeigende Stellung der Zusatzlampen unterhalb der Hauptscheinwerfer.

Damit wurde in Kurven gezielt der Straßenrand ausgeleuchtet, der damals meist unbefestigt war und entsprechend tückisch sein konnte.

Vom Kennzeichen ist leider nur ein Teil zu sehen, die Machart der Nummernschilds mit schwarzem Rahmen und schwarzer Schrift auf weißem Grund verweist aber auf eine Zulassung in Deutschland.

Besondere Aufmerksamkeit verdient die Seitenpartie, da sie Details zeigt, die bei etwas späteren Wagen desselben Typs verschwunden sind:

Bedingt durch die Montage der zwei (!) Reservereifen hinter dem Vorderschutzblech ist hier kein Platz für eine Fahrertür.

Das wirft die Frage auf, weshalb die Ersatzräder nicht auf der anderen Seite angebracht wurden. Nun, dann hätte es der Beifahrer beim Einsteigen schwerer gehabt als der Fahrer – damals stand der Komfort der Passagiere noch im Vordergrund.

Dasselbe gilt für das großzügige Platzangebot im Heck des Wagens. Für ausreichende Beinlänge war im Fonds von Vorkriegsautos stets gesorgt – speziell zu Zeiten, als  die  Besitzer hinten saßen und über einen angestellten Chauffeur verfügten.

Hier wurde durch einen Kunstgriff auch für zusätzliche Breite gesorgt. So kragt die Karosserie im hinteren Bereich deutlich über den Schweller hinaus, der den Rahmen kaschiert. Weiter vorne verengt sich der Aufbau dann zunehmend.

Besitzer von Vorkriegsautos, die auf „großem Fuß“ leben, wissen, wie eng es im Bereich der Pedalerie bei solchen frühen Wagen werden kann.

Passend zur Überschrift sollen auch die Zeitgenossen gewürdigt werden, die einst in diesem Ley Typ M8 unterwegs waren:

Wie die Ley-Wagen jener Zeit sind auch die Insassen eigenständige Charaktere – das erkennt man schon daran, dass hier jeder Kopf auf andere Weise gegen den Fahrtwind gewappnet ist.

Bei dem gebräunten Herrn mit Nickelbrille könnte es sich um den eigentlichen Fahrer gehandelt haben. Dafür spräche die „Prinz-Heinrich“-Mütze und das Fehlen einer auf der Rückbank solcher offener Wagen anzuratenden Schutzbrille.

Genau eine solche trägt dagegen der Beifahrer, der sie wie die Dame am Steuer eigentlich nicht unbedingt bräuchte, da vorn die Windschutzscheibe ausreichend Augenschutz bietet.

Wer übrigens außer der „Sunlicht“-Reklame auf der Werbetafel weitere Marken erkennen kann, kann dies über die Kommentarfunktion kundtun. Ich freue mich immer über Details, die aufmerksame Leser bemerken und die ich übersehen habe.

Nachtrag: Leser Matthias Schmidt aus Dresden macht mich darauf aufmerksam, dass die Anzeigentafel auch eine Reklame des Kaufhauses Renner aus seiner Heimatstadt zeigt. Somit wird dieses Foto im Umland der sächsischen Metropole entstanden sein.

Nun aber zum Vergleichsstück – einem auf den ersten Blick ganz ähnlichen Ley Typ M8 auf einem Foto aus meiner eigenen Sammlung:

Ley Typ M8; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Auch hier sehen wie einen moderaten Spitzkühler mit „Ley“-Emblem sowie fünf etwas nach hinten versetzte Luftschlitze in der Motorhaube.

Die übrigen Details erscheinen ebenfalls recht ähnlich.

Doch schaut man hier genauer hin, treten zahlreiche Unterschiede zutage – teils formaler, teils technischer Art. Beginnen wir auch hier am Vorderwagen:

Der wohl augenfälligste Unterschied gegenüber dem Ley M8 auf dem ersten Foto ist der nach hinten ausschwingende Vorderkotflügel, in den das Reserverrad eingelassen ist. Diese Lösung war nicht nur platzsparend, sondern wirkte auch gefälliger.

Im Vergleich zu den Drahtspeichenrädern kommen die lackierten Stahlspeichenräder hier zwar stämmiger daher, fügen sich aber gut in das Gesamtbild ein.

Hinter den Speichen des uns zugewandten Vorderrads ist – wenn nicht alles täuscht – der Umriss einer Bremstrommel zu erkennen. Ihr Durchmesser scheint dem der Trommel an der Hinterachse zu ähneln.

Das ist interessanter Befund: Möglicherweise waren die letzten Spitzkühlermodelle dieses Typs, die 1924/25 durch modernisierte Wagen mit Flachkühler ersetzt wurden, bereits ab Werk ebenfalls mit Vorderradbremsen ausgestattet.

Dasselbe Phänomen findet sich übrigens am Presto Typ D 9/30PS, der ausweislich zeitgenössischer Werbung zuletzt ebenfalls Vierradbremsen besaß, ohne dass die Literatur dies erwähnt.

Aufmerksamen Betrachtern dieses Bildausschnitts wird der Taxameter nicht entgangen sein, der am Frontscheibenrahmen angebracht ist. Wenn ein Wagentyp im harten Droschkenbetrieb eingesetzt wurde, was das ein Qualitätsausweis.

In der Tat besaßen die Ley-Automobile einen ausgezeichneten Ruf. Ob der hier abgebildete Ley M8 von Anfang im Taxibetrieb unterwegs war, ist aber ungewiss.

Das Foto lief nämlich erst im Juli 1930 als Postkarte. Demnach war der Ley wahrscheinlich schon etliche Jahre alt, als er auf Zelluloid gebannt wurde.

Möglicherweise gibt die Uniform des Soldaten (wenn es einer war) neben dem Wagen einen Hinweis auf das frühestmögliche Entstehungsdatum dieser Aufnahme:

Die Insassen des Ley bieten ein opulentes Spektrum an Charakteren. Vorn rechts am Steuer der wackere Fahrer, der die Verbindung zu seinem Ley mit einem entsprechenden Emblem an der Schirmmütze kundtut.

Auf dem Beifahrersitz wendet sich ein wohlgenährter Schnauzbartträger der Kamera zu. Der helle Anzug weist ihn als Flaneur aus, der viel Zeit für leibliche Genüsse hat…

Auf der Rückbank sitzt zusammengesackt sein Gegenstück im fortgeschrittenen Alter und in ungesund wirkender Verfassung – sein Schneider wird ihm demnächst eine neue Weste anfertigen müssen, wenn nicht vorzeitiges Ableben dies überflüssig macht.

Solide wie der Fahrer wirkt der zweite Schirmmützenträger im Wagen – eventuell wie dieser Angestellter eines florierenden Droschkenbetriebs.

Am sympathischsten kommt mir der gelöst wirkende ältere Herr auf der Rückbank vor. Seiner Barttracht nach zu urteilen ist er noch in der Kaiserzeit großgeworden.

Vielleicht bezieht er als ehemaliger Staatsbediensteter eine solide Pension und genießt nun im Alter die Vorzüge motorisierter Fortbewegung, deren Kindertage er als junger Bursche bewusst miterlebt hat.

Alles, was auf diesem alten Abzug festgehalten wurde, ist längst vergangen – sicher auch der Ley Typ M8 in der frühen Spitzkühlerversion. Mir ist lediglich bekannt, dass von der ab 1924/25 gebauten Flachkühlerversion zumindest ein Exemplar noch existiert.

Es würde mich aber nicht wundern, wenn sich in Skandinavien, in Osteuropa oder in Australien noch ein Spitzkühler-Ley erhalten hätte und wir es bloß nicht wissen, dass ein derartig charakterstarker Zeitgenosse auf vier Rädern noch unter uns weilt…

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Auf Spurensuche: Horch 470/480 Sport-Cabriolet

Meine bisherigen Blog-Einträge zur Zwickauer Luxusmarke Horch konzentrierten sich auf Modelle der Vierzylinderära (40 PS-Modell von 1913/14 und 10/50 PS um 1925) sowie die frühen Achtzylinder (303, 305, 350 und 375 der späten 1920er Jahre).

Von diesen Typen will ich auch hin und wieder „neue“ Bilder vorstellen – es hat sich einiges angesammelt über den Winter. Doch für die meisten Horch-Freunde sind die hocheleganten Modelle der 1930er die eigentlichen Objekte der Begierde.

Wer nun auf die legendären Typen 853 und 853 A hofft, muss sich aber noch etwas in Geduld üben – wenngleich meine Fotosammlung auch da einiges zu bieten hat.

Die Horch-Modelle, die diesen einmalig schönen Wagen der späten 30er Jahre vorangingen, werden selten gewürdigt, dabei lassen sie bereits die formale Klasse erkennen, für die die sächsische Traditionsmarke bis heute Bewunderung genießt.

Allerdings ist der Zugang dazu gar nicht so einfach – die laufend verfeinerten Horch-Achtzylindermodelle der frühen 1930er Jahre wurden jeweils nur in wenigen hundert Exemplaren gefertigt – heute kennt sie kaum noch jemand.

Gutes zeitgenössisches Bildmaterial ist entsprechend schwer zu bekommen, aber oft genug liegt der Reiz von Meisterwerken im Fragment:

Horch 470 oder 480 Sport-Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auweia, mag jetzt mancher denken – wie soll man so einen Wagen identfizieren?

Halten wir zunächst fest, was wir vor uns sehen:

  • ein zweitüriges Cabriolet mit schrägstehender Frontscheibe und Winkern
  • Vorderschutzbleche ohne seitliche Schürzen (d.h. vor 1933/34)
  • voluminöses Kühlergehäuse mit davor montiertem Steinschlagschutzgitter
  • Drahtspeichenräder mit großen Radkappen und erhaben geprägtem Emblem
  • zwei Reihen senkrecht stehender Luftschlitze in der Motorhaube

Der Originalabzug liefert als zusätzliche Information dieses: „Fahrt nach Freiburg“. Somit haben wir es sehr wahrscheinlich mit einem deutschen Auto zu tun – eines der Luxusklasse, wie die hierzulande eher seltenen Dratspeichenräder verraten.

Maybach und Mercedes-Benz sind anhand der genannten Karosseriedetails rasch ausgeschlossen – was bleibt dann noch übrig? Die in den 1930er Jahren arg dezimierte Herstellerlandschaft lässt nur noch Horch als Kandidaten übrig.

Und tatsächlich: Horch baute 1931/32 ein solches Sport-Cabriolet mit allen diesen Elementen, allerdings in drei nicht leicht voneinander unterscheidbaren Varianten:

  • Modell 420 mit 4,5 Liter Achtzylinder und 90 PS (späte Ausführung)
  • Modell 470 mit 4,5 Liter Achtzylinder und 90 PS
  • Modell 480 mit 5 Liter Achtzylinder und 100 PS

Die Modelle 470 und 480, die sich offenbar nur in Motorisierung und Spurweite unterschieden, sind unter anderem an der bis an die Frontscheibe reichenden Motorhaube zu erkennen.

Dumm nur, dass die späten Versionen des kürzeren Modells 420 ebenfalls damit ausgestattet wurden.

Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zwischen dem modernisierten Typ 420 und den längeren Typen 470 bzw. 480 ist auf unserem Foto nicht zu sehen – die Ausführung der Stoßstange.

Diese blieb nämlich beim Horch 420 bis zum Schluss zweiteilig (so scheint es), während Horch 470 und 480 eine massive einteilige Stoßstange besaßen.

Solche Details werden ohne Anschauungsmaterial zunehmend abstrakt, je mehr man davon aufzählt, daher zur Illustration eine weitere Originalaufnahme:

Horch 470 oder 480 Sport-Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir neben den bereits oben erwähnten Details auch die einteilige Stoßstange und wiederum besagtes Steinschlagschutzgitter vor dem Kühler, das beim Horch 470 und 480 serienmäßig war.

Dass auch das erste Foto ein solches Accessoire aufweist, ist ein Indiz dafür, dass es ebenfalls einen Horch 470 oder 480 zeigt. Dies ist aber kein Beweis, da es auch ein Extra beim Horch 420 gewesen sein kann.

Generell sollte man sich nie an nur einem Element orientieren, wenn es um die genaue Ansprache eines Vorkriegswagens geht. Erst das Vorhandensein mehrerer typischer Details erlaubt eine einigermaßen sichere Identifikation.

So muss offenbleiben, ob das Sport-Cabriolet auf dem ersten Foto einer der letzten Hochs des Typs 420 mit kurzem Radstand war oder ein Typ 470 bzw. 480 mit längerem Radstand und im Fall des Typs 480 stärkerer Motorisierung.

Bei Manufakturwagen, wie sie Horch fast ausschließlich produzierte, kommt hinzu, dass prinzipiell unbegrenzte Möglichkeiten zur Individualisierung bestanden.

Und bei manchen überlieferten Horch-Fotos wird wohl ganz ungeklärt bleiben, was sie genau zeigen – etwa in diesem Fall:

Horch 8 eventuell Modell 450 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses viertürige Cabriolet ist ebenfalls ein Horch der frühen 1930er Jahre – das verraten allein schon die Radkappen mit dem gekrönten „H“ und die typische Kühlerfigur.

Doch leider sehen wir nichts von der Motorhaube und bei den Stoßstangen bin ich unsicher, ob sie einteilig oder zweigeteilt sind. Dennoch ist das ein wunderbares Dokument – nicht nur wegen der gut aufgelegten Insassen.

Nur selten bekommt man Details der Innenausstattung dieser luxuriösen Horch-Wagen so gut zu sehen, hier etwa die in Leder ausgeführte Tasche an der Türverkleidung sowie den Chromgriff und das Netz an den Vordersitzen.

Was mag aus dem schönen Cabriolet und seinen Passagieren geworden sein, die hier für die Nachwelt festgehalten sind? Genaues wissen wir nicht, aber es wäre doch merkwürdig, wenn zumindest von dem Horch überhaupt nichts außer diesem Foto erhalten geblieben wäre.

Eine verbogene Kühlerfigur, eine rostige Radkappe, ein eingedellter Scheinwerfer – irgendetwas von dem, was wir auf diesem Fotos sehen, mag noch existieren – meine eigene Teilesammlung umfasst ebenfalls solche Relikte, auch von Horch-Wagen.

So kehrt man auf der Suche nach den Spuren alter Autos stets zum Thema Vergänglichkeit zurück – und dem Bemühen des Menschen, diese aufzuhalten – einst, indem man solche Fotos machte und heute, indem man übriggebliebene Fahrzeuge erhält oder Geschichten darüber erzählt…

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Camping de Luxe mit Austro-Daimler Typ ADR

Die Beschäftigung mit den automobilen Errungenschaften der Vorkriegszeit wird unter anderem dadurch erleichtert, dass sich manche Neuerung der Gegenwart als alter Hut erweist.

Das gilt nicht nur für das verzweifelt propagierte und subventionierte Elektroauto, das an denselben Problemen herumlaboriert wie vor 100 Jahren  – stark eingeschränkte Mobilität zum nicht sozialverträglichen Preis.

Nein, auch Zeitgeistphänomene wie das sogenannte „Glamping“ findet man bereits in der Zwischenkriegszeit, bloß hatte man damals noch keinen Begriff dafür.

Vermutlich ist den meisten Campern gar nicht bekannt, dass sich hinter dem Kunstwort aus „Glamour“ und“Camping“ quasi eine Luxusvariante davon verbirgt. Dabei tut man so, als würde man auf Reisen im Zelt wohnen, ohne jedoch auf die Annehmlichkeiten eines Hotels verzichten zu müssen.

Die naheliegende Bewertung als Dekadenzphänomen spare ich mir an dieser Stelle, zumal es etwas in der Richtung auch vor 90 Jahren schon gab. Bloß bestand der Luxus nicht in der Unterbringung – die war denkbar profan – sondern im „Campingwagen“:

Austro-Daimler Typ ADR; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Regelmäßige Leser meines Blogs werden sich vielleicht an diesen kolossalen Austro-Daimler des 70 PS-Typs ADR erinnern, den ich vor einiger Zeit hier vorgestellt habe.

Daher will ich heute gar nicht näher auf die Einzelheiten dieses Spitzenmodells der Wiener Luxusmarke eingehen, von dem zwischen 1927 und 1931 weniger als 1.000 Exemplare in Manufaktur entstanden.

Etliche davon scheinen trotz des enormen Preises von mehr als 15.000 Mark für die Limousinenausführung auch in Deutschland Käufer gefunden zu haben.

So gab es in Berlin eine Vertretung der österreichischen Marken Austro-Daimler und Steyr, wie folgende Aufnahme zeigt, die ich erst kürzlich erwerben konnte:

Ausstellungsraum von Austro-Daimler und Steyr in Berlin; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dort könnte auch der Austro-Daimler Typ R in der Tourenwagenversion verkauft worden sein, der auf einem Foto festgehalten ist, das wir Leser Klaas Dierks verdanken.

Zwar ist auf der Aufnahme kein Nummernschild zu sehen, doch entstand der Abzug in einem „Talbot Atelier“ in Berlin, was für eine entsprechende Herkunft des Wagens spricht:

Austro-Daimer Typ R Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Hier sieht man eines der Details, die eine Unterscheidung des Austro-Daimler Typ ADR vom Vorgängertyp ADM erlauben – die angedeuteten Kotflügelschürzen, die einer stärkeren Verschmutzung der Wagenseite vorbeugen sollten.

Die Doppelstoßstange scheint ein Zubehörteil gewesen zu sein, man findet es nur selten an Wagen dieses Typs. Dagegen waren die Drahtspeichenräder Standard – wer diese sportlich aussehenden, aber empfindlichen Räder nicht wollte, konnte aber offenbar auch massive Stahlspeichenräder bekommen.

Damit wären wir nun endlich bei dem Fahrzeug, um das es heute geht und das uns in die wunderbare Welt des „Glamping“ der Zwischenkriegszeit entführt:

Austro-Daimler Typ ADR; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auf dieser außergewöhnlichen Aufnahme – ich kenne keine annähernd vergleichbare mit einem Auto dieses Kalibers – fallen gleich mehrere Dinge ins Auge:

  • die monumentalen Ausmaße des Wagens – hier mit Aufbau als sechsfenstriger Limousine,
  • die geringe Bodenfreiheit oder  – positiv gewendet – der niedrige Schwerpunkt,
  • die Stahlspeichenräder und das deutsche Nummernschild – sowie
  • das simple Zelt aus Segeltuch, in dem die Insassen offenbar nächtigten.

So profan die Campingausstattung hier anmutet, so glamourös war jedenfalls der Wagen – eindeutig ein mächtiger Austro-Daimler Typ ADR mit einem Platz und einem Einstiegskomfort, der Besitzer heutiger Oberklasse-Limousinen sprachlos macht:

Die Reisenden, die diesen Wagen zur Verfügung hatten, werden vermutlich den kargen Komfort ihrer nächtlichen Unterkunft in Kauf genommen haben, wenn sie tagsüber die Wunder der Welt aus einem derartigen Automobil genießen konnten.

Vermutlich wird man alle paar Tage in einem richtigen Hotel genächtigt haben, wo man seine Kleidung waschen und bügeln lassen sowie anständig essen konnte.

Dennoch muss es sich um abenteuerlustige Leute gehandelt haben, denn es gibt eine weitere Aufnahme des Wagens mit aufgeschlagenem Zelt, diesmal – wie es scheint – in einer kargen Gegend irgendwo im Süden:

Austro-Daimler Typ ADR; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Man kann aus diesem schönen Dokument einstiger Reiselust einiges ablesen – etwa das unbedingte Vertrauen in die Zuverlässigkeit des Austro-Daimler.

Für den komplexen 6-Zylindermotor des Wagens – nebenbei eine Konstruktion des Porsche-Chefkonstrukteurs Karl Rabe – wäre in einer gottverlassenen Gegend wie dieser kein Ersatzteil zu bekommen gewesen.

Selbst die Beschaffung von Kraftstoff, Öl und Reifen dürfte in dünnbesiedelten Regionen Europas wie Zentral- und Südfrankeich, Unteritalien oder dem Balkan schwierig gewesen sein.

Das Wichtigste wird man also mit sich geführt haben bzw. die Vorräte in Städten aufgefüllt haben. Auch die Kenntnis des Tankstellennetzes und der befahrbaren Routen muss eine Herausforderung gewesen sein – heute brauchen die Leute dagegen schon beim Einparken „Hilfe“…

Da steht er nun irgendwo in der Einsamkeit – der Austro-Daimler Typ ADR – doch genau dafür waren diese großzügig motorisierten und zuverlässigen Wagen gemacht:

Diese Reiseaufnahmen erzählen etwas von der (in Teilen) verlorengegangenen Magie des Automobils:

  • Mobilität über hunderte Kilometer in Hitze und Staub, Regen und Kälte,
  • Fortbewegung unabhängig von Fahrplänen, abseits von Eisenbahnrouten und selbst auf unbefestigten Straßen
  • unbehelligt von willkürlich festgelegten Umweltzonen und Abgasgrenzwerten,
  • einfache Reparierbarkeit unabhängig von Werkstätten und Software-Updates,
  • auf die Passagiere (nicht den Fahrer) abgestimmtes Platzangebot.

Die Exklusivität und den Erlebniswert einer Reise durch das Europa der Vorkriegszeit mit einem derartigen Luxusautomobil können wir uns kaum vorstellen.

Stattdessen setzen sich heute selbst betuchte Zeitgenossen der Massenunterbringung auf Kreuzfahrtschiffen oder in künstlichen Urlaubsoasen aus…

Wir wissen nicht genau, welcher Route unsere „Camper“ in ihrem Austro-Daimler Typs ADR folgten – nur ein Foto ihrer Reise gibt einen eindeutigen Hinweis:

Austro-Daimler Typ ADR; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses Foto – aufgenommen aus raffinierter Perspektive – wird wohl in Südfrankreich entstanden sein. Das verrät die Werbung für die Spirituosenmarke Byrrh, deren Ursprünge in der Region Okzitanien nahe den Pyrenäen liegen.

Das Auftauchen einer Limousine der Marke Austro-Daimler muss einst für die Einheimischen außergewöhnlich gewesen sein – zumindest für die Herren, die hier um die Mittagszeit im Schatten saßen (ihre Frauen hatten vermutlich zu tun…).

Hier ist übrigens ein Detail an dem Wagen zu sehen, das die bisherigen Aufnahmen nicht erkennen ließen – das bis nach hinten zu öffnende Rolldach:

Ganz selten auf Abbildungen dieses Typs zu sehen ist außerdem die raffinierte Kombination aus ausstellbarer Frontscheibe und verstellbarem Sonnenschutz.

Letzterer war häufig starr ausgeführt, wie zeitgenössische Aufnahmen verraten. Inwieweit es sich hierbei um ein optionales Zubehör handelte oder ob diese Lösung baujahrabhängig war, ist mir nicht bekannt.

Generell freue ich mich über weitere sachkundige Hinweise zu diesem Austro-Daimler ADR, da die Literatur trotz aller Meriten im Detail einige Wünsche offen lässt.

Wunschlos glücklich sollten die Freunde solcher Reiseaufnahmen rarer Autos aus dem deutschprachigen Raum sein, vor allem wenn man ein überraschend frühes Beispiel für „Glamping“ findet…

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US-Rarität in Bayern: Ein „Moon Roadster“ von 1927

Was könnte es Spannenderes mit vier Rädern und Motor geben als Vorkriegsautos?

Für die Generation, die sich noch an Wagen der 1920er und 1930er Jahre in der Nachkriegszeit erinnern kann, ist der Fall klar – auch wenn man die Traumwagen der 1950er und 60er Jahre durchaus zu schätzen weiß.

Doch was bringt jemanden des Jahrgangs 1969 – also etwa mich – dazu, sich den wirklich alten Automobilen zu verschreiben, die man nie im Alltag erlebt hat?

Die Antwort findet sich in diesem Blog: die abertausenden (!) Marken der Vorkriegszeit bieten eine schlicht unerschöpfliche Fundgrube für den Liebhaber des Außergewöhnlichen.

Damit muss man sich gar nicht in die Wunderwelt der Rennsportwagen und Manufakturgefährte jener Zeit begeben – auch Serienhersteller bieten Material ohne Ende, das selbst bei gusseisernen Enthusiasten für Überraschung zu sorgen vermag.

Heute zeige ich gleich zwei Beispiele dafür anhand originaler Vorkriegsaufnahmen, die ich gleichzeitig erwerben konnte. Foto Nr. 1 erscheint auf den ersten Blick wenig spektakulär:

Moon Tourenwagen um 1925; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme ließ mich lange rätseln – bis ich mich entsann, beim Durchblättern des „Standard Catalog of American Cars“ von Kimes/Clark von US-Herstellern gelesen zu haben, die ihre Wagen mit Kühler nach Vorbild von Rolls-Royce aufwerteten.

Dummerweise umfasst besagte US-Vorkriegsautobibel eine vierstellige Zahl an Marken auf fast 1.600 Seiten – also dauerte es eine Weile, bis ich wieder fündig wurde:

Obiges Foto zeigt einen Tourenwagen der „Moon Motor Car Company“, deren Anfänge sich bis ins Jahr 1905 zurückverfolgen lassen. Die in St. Louis am Mississipi gelegene Fabrik produzierte bis 1930 Automobile, blieb aber stets ein Nischenhersteller.

1924/25, als der Moon auf dem Foto entstand, war die Firma auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs – rund 7.500 Autos entstanden damals pro Jahr. Nach den Maßstäben der amerikanischen Großserienproduzenten entsprach das bloß einer Wochenproduktion

Man glaubt es kaum, dass einer dieser Exoten einst über den Atlantik gelangte – doch der Markt auf dem europäischen Festland konnte von den einheimischen Herstellern nicht annähernd bedient werden.

Das galt nicht nur für Nord- und Osteuropa, wo es kaum eine eigenständige Autoproduktion gab, sondern auch für den deutschsprachigen Raum. Dort fand praktisch jedes Auto aus Übersee einen Käufer. 

Selbst Opel baute nach Einführung der Fließbandproduktion 1924 über alle Typen (inklusive Nutzfahrzeuge) hinweg weit weniger Autos als die unbedeutende „Moon“-Fabrik am Mississippi. Erst 1925 schafften die Rüsselsheimer knapp 15.000 Autos.

Vor diesem Hintergrund ist es gar nicht mehr erstaunlich, dass ich ein zweites Foto miterwerben konnte, das ebenfalls einen Moon zeigt – nun mit eindeutig deutscher Zulassung (beim ersten Foto bin ich nicht sicher) und in besserer Qualität:

Moon Roadster von 1927; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Markant ist hier das Kühlergehäuse, das wie bei Rolls-Royce die Konturen einer griechisch-römischen Tempelfassade mit Dreiecksgiebel nachzeichnet.

Interessanterweise spiegelt die Motorhaube die Silhouette des Kühlergehäuses nicht, wie das bei italienischen Autos jener Zeit der Fall war, deren Kühler ebenfalls Zitate klassischer Architektur waren (Ansaldo, Fiat, Lancia).

Vielmehr wirkt der Kühler ein wenig wie ein Fremdkörper – man beachte den Höhenversatz zwischen der seitlichen Kühlerkante und der Haube. Das ist auch bei dem Moon auf der ersten Aufnahme zu erkennen.

Unter der Haube eines Moon befand sich damals meist ein Sechszylindermotor mit rund 50 PS. Es waren aber auch stärkere Aggregate, darunter Achtzylinder, verfügbar.

Die Stoßstange sieht zwar aus wie vom lokalen Dorfschmied gebastelt, findet sich aber ähnlich an vielen anderen US-Wagen jener Zeit:

Originalausstattung waren die gewaltigen annähernd trommelförmigen Scheinwerfer, die vorn und hinten einen vernickelten Ring besaßen.

Typisch für die Moon-Fahrzeuge um die Mitte der 1920er Jahre waren außerdem die Stahlscheibenräder mit abnehmbaren Felgen, hier nur ansatzweise zu erkennen.

Die schräggestellte Frontscheibe, das leichte Verdeck und der Türausschnitt deuten darauf hin, dass wir es hier mit einem Moon Roadster von 1927 zu tun haben:

Selten zu sehen sind die am Frontscheibenrahmen montierten Windabweiser, sie finden sich aber auf anderen Abbildungen des Moon Roadsters von 1927 (z.B. hier).

Die neben dem Wagen posierende Dame schaut vermutlich wegen der gleißenden Sonne ein wenig streng, ist aber wie so oft auf solchen Aufnahmen das entscheidende Element, das für Leben sorgt und das Auto ins rechte Verhältnis setzt.

Das verwegen gemusterte Kleid ist so typisch für die 1920er Jahre, wie man sich das wünscht und die schlanke „Moon“-Mitfahrerin macht darin gute Figur.

Dem Kennzeichen nach stammte sie wie der Wagen aus dem Landkreis Coburg in Oberfranken – eine an landschaftlichen Schönheiten und Kunstschätzen reiche Region, die heute noch ideale Verhältnisse für eine Ausfahrt im Vorkriegsauto bietet.

Nur den Moon Roadster wird man nicht mehr antreffen – was mag aus ihm geworden sein? Schmückt der Kühler vielleicht noch einen Partykeller in der Region oder die Sammlung eines lokalen Vorkriegsfreunds?

Jedenfalls haben wir hier einmal mehr ein wunderbares Beispiel für die unfassbare automobile Vielfalt der Vorkriegszeit, der das heutige Spektrum an Klassikern bei Veranstaltungen kaum gerecht wird – schade, eigentlich…

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Ein Adler 6/25 PS für Genießer: 2-Sitzer- Cabriolet

Zu den immer wieder gern gesehenen Gästen in meinem Blog für Vorkriegsautos auf alten Fotos gehört das Volumenmodell der Frankfurter Adlerwerke von Mitte der 1920er Jahre – der Vierzylindertyp 6/25 PS.

Zwar konnte ich bislang erst 2 Promille der einstigen Fertigung von rund 6.500 Stück auf historischen Originalaufnahmen dingfest machen. Doch auf dem (bislang) guten Dutzend Fotos finden sich immerhin vier unterschiedliche Karosserievarianten.

Dazu gehören neben der eher raren Limousine eine m.W. bisher andernorts überhaupt noch nicht dokumentierte Landaulet-Version. Dann wären da natürlich mehrere Exemplare der häufigsten Variante – des Tourenwagens.

Ein „neues“ Foto dieses klassischen offenen Viersitzers konnte ich kürzlich meiner Sammlung einverleiben. Technisch sicher nicht perfekt, aber dennoch ein schönes Dokument, da man hier endlich mal das geschlossene Verdeck sieht:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ungewöhnlich ist auch die Kühlerfigur – kein weiterer Adler 6/25 PS aus meiner Sammlung trägt diese schräg nach oben zeigende Variante. Meines Erachtens handelt es sich um eine nur vorübergehend verwendete Figur von 1925/26.

So oder so war eine Adler-Kühlerfigur ein aufpreispflichtiges Extra, sie findet sich am Typ 6/25 PS eher selten, zumindest auf meinen zeitgenössischen Fotos.

An der Ansprache des Typs gibt es übrigens keinen Zweifel: Die tief geschüsselten Scheibenräder sind in Verbindung mit dieser schlichten Kühlerausführung ein untrügliches Zeichen dafür, dass man einen Adler 6/25 PS vor sich hat.

Zu  den nachgerüsteten seitlichen „Schürzen“ an den Vorderschutzblechen ist zu sagen, dass sie sich schon beim Vorgängertyp 6/24 PS und beim 6/25 PS-Modell auffallend oft finden. Offenbar neigten beide Modelle stark zur Verschmutzung der Seitenpartie.

Versprach der Titel aber statt solch profaner Details nicht einen Adler 6/25 PS für Genießer? Gewiss, doch wenn man sich zuvor in die Niederungen des Allztagseinsatzes begeben hat, fällt der Kontrast umso größer aus, wenn man einem so etwas begegnet:

Adler 6/25 PS 2-sitziges Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Was auf den ersten Blick wie bloß ein weiterer vom Straßenschmutz verunstalteter offener Adler 6/25 PS wirkt, entpuppt sich auf den zweiten Blick als etwas ganz Besonderes.

Hier haben wir nämlich die rare Ausführung als zweisitziges Cabriolet vor uns, die in der Literatur zwar erwähnt, aber sonst kaum zu finden ist. Eine Ausnahme war bislang obiges Exemplar, das ich vor längerer Zeit bereits besprochen habe (Porträt).

Die dokumentierten Zweisitzer-Cabrios von Karmann bzw. Papler auf Basis des Adler 6/25 PS unterscheiden sich grundlegend von dem sportlich wirkenden Wagen mit leichtem Verdeck und sanft abfallender Heckpartie, der auf obigem Foto zu sehen ist.

Dass diese Karosserieversion wohl die eleganteste war, mit der der Adler 6/25 PS erhältlich war, das konnte man auf dieser Aufnahme allenfalls ahnen.

Dass es sich hierbei keineswegs um ein Einzelstück handelte und dass es tatsächlich eine Ausführung für Käufer mit besonderem Geschmack war, das zeigt nun dieses hervorragende Foto, das ich kürzlich erwerben konnte:

Adler 6/25 PS, 2-sitziges Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sieht man endlich das sehr niedrig gehaltene Heck, das mit Sicherheit keinen Platz für ausklappbare Notsitze – den berüchtigten Schwiegermuttersitz“ – bot.

Das war ein Wagen für Genießer, die ihren Adler unbeschwert von unnötigem Ballast und nur mit Beifahrerin für lustvolle Ausflugsfahrten nutzen wollten.

Offenbar war schlechtes Wetter dabei nicht eingeplant, denn das ungefütterte Verdeck bot allenfalls geringen und vorübergehenden Schutz vor Regen und Wind:

Solche filigranen, durchaus sportlich anmutenden Aufbauten mit Platz für nur zwei Insassen und mit flachem Heck findet sich bereits in der Zeit vor dem 1. Weltkrieg.

Ein derartiger Wagen war ein bewusstes Statement – denn, wer so etwas fuhr, war darauf nicht ganzjährig angewiesen und auch sonst über praktische Erwägungen erhaben – heute würde man von einem Zweitwagen für’s Wochenende sprechen.

Nicht einmal eine Reifenpanne scheint unser stolzer Adler-Fahrer eingeplant zu haben. Stattdessen hat er das seitlich montierte Ersatzrad einfach zuhause gelassen – „Kostet nur unnötiges Gewicht“, mag er sich gedacht haben:

Wer genau hinsieht, erkennt im Radhaus hinter der hier ebenfalls am Kotflügel montierten „Schürze“ die Ausbuchtung, in der normalerweise das Reserverad ruhte.

Außerdem sind am Schweller unterhalb des hinteren Haubenendes drei Bohrungen zu sehen – hier wäre der Halter für das Ersatzrad angeschraubt gewesen.

Lassen wir der Phantasie ein wenig freien Lauf: Da hat möglicherweise bewusst die leichteste Version des Adler 6/25 PS gekauft, die drastisch weniger Platz bot als der gängige Tourenwagen, aber kaum nennenswert billiger war.

Wer so etwas machte, der träumte von einer sportlichen Variante des braven 6/25 PS-Modells und möglicherweise hat er sich von den Adlerwerken noch das eine oder andere PS durch klassisches „Frisieren“ aus dem 1,6 Liter-Motor holen lassen.

Fiat bot bereits serienmäßig bei seinem zeitgleich angebotenen und auch im deutschen Sprachraum verbreiteten Modell 503 standfeste 27 PS aus 1,5 Litern Hubraum, da werden die Frankfurter auch zu ein paar Pferden extra imstande gewesen sein.

Auch wenn sich dieser offene Adler 6/25 PS mit roadstermäßigem Verdeck so nicht in der Literatur findet, oder gerade deshalb, bin ich geneigt, ihn eher als Sport-Zweisitzer denn als 2-sitziges Cabriolet anzusprechen.

Die unterschiedlichen Bezeichnungen würden aus meiner Sicht auch dem jeweiligen Typ von Besitzer gerecht:

Ein Cabriolet mit vollwertigem Verdeck und ggf.  Sitzbank im Heck ist noch konform mit bürgerlichen Vorstellungen von Komfort. Ein aufs Nötigste beschränkter Sport-Zweisitzer wie dieser Adler 6/25 PS war dagegen ein reines Spaßgefährt für Genießer…

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Franzosenchic & Sachsenstolz: Citroen B14 Landaulet

In der Vorkriegszeit war Sachsen eines der Zentren der deutschen Autoindustrie. Wenn ich mich nicht täusche, gab es außer in Berlin nirgends im deutschsprachigen Raum eine derartige Konzentration von Automobilherstellern, Karosseriebauern und Zulieferern.

Dennoch waren die zahlreichen lokalen Produzenten nicht imstande, die ab Mitte der 1920er Jahre hierzulande rapide steigende Nachfrage zu stillen. In die Lücke stießen vor allem amerikanische Automarken.

Die US-Fabrikate waren längst von Konstruktion und Logistik her konsequent auf Großserie getrimmt und so lag der Versuch nahe, auch auf dem brachliegenden deutschen Markt zu expandieren.

Dazu bedurfte es keiner besonderen Anstrengungen, bereits ein einfach gestrickter Chevrolet wie dieser aus dem Modelljahr 1927 war mehr als konkurrenzfähig:

Chevrolet von 1927 mit Zulassung in Sachsen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wie konnte ein solches simples Gefährt mit 30 PS-Vierzylinder dem Kennzeichen nach zu urteilen selbst im stolzen Autoland Sachsen an den Mann gebracht werden?

Die Antwort ist schlicht die, dass dieser Wagen verfügbar war – und das zum absolut konkurrenzfähigen Preis. Die einheimischen Modelle dagegen konnten von keinem Hersteller in den Stückzahlen gefertigt werden, die der Markt seinerzeit verlangte.

Dass Chevrolet quasi nebenher den Bedarf deutscher Käufer stillen konnte, wird an den auch heute noch unfassbaren Stückzahlen deutlich: Von dem oben gezeigten Modell entstanden 1927 mehr als eine Million Exemplare!

Da kam es auf einige tausend Stück mehr oder weniger kaum an. Zudem gab es weitere ausländische Produzenten, die zusammen mit den US-Herstellern Ende der 1920er Jahre im Deutschen Reich auf einen Marktanteil von bis zu 40 % kamen.

Möglicherweise der erfolgreichste Mitbewerber der Amerikaner war Citroen. Die Franzosen waren direkt nach dem 1. Weltkrieg in die Massenfabrikation eingestiegen und lieferten Opel ungewollt die Blaupause für das spätere 4 PS-Modell „Laubfrosch“.

Doch als Opel begann, dank des französischen „Vorbilds“ erstmals nennenswerte Stückzahlen in der Einsteigerklasse zu fertigen, hatte Citroen bereits seinen Schwerpunkt auf die Mittelklasse verlegt.

Ganz billig waren diese Wagen hierzulande nicht – vermutlich erreichte die 1927 eingerichtete Citroen-Fertigung in Köln nicht die Produktivität des Mutterhauses. Doch verkaufte sich das neue Mittelklassemodell B14 mit 25 PS aus 1,5 Litern am deutschen Markt auf Anhieb ausgezeichnet.

Als Beispiel mag dieser Citroen B14 in der Limousinenausführung dienen:

Citroen B14 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Wagen machte 1928 am Klausenpass in der Schweiz halt – wohl um eine Überhitzung des Kühlwassers auf dem mehr als 20 km langen Anstieg zu vermeiden.

Das Kennzeichen verweist auf eine Zulassung in Deutschland und tatsächlich war dieser Wagen auf deutschen Straßen damals keine Seltenheit – fast 9.000 Stück davon entstanden 1927/28 im Kölner Citroen-Zweigwerk, das entsprach fast 5 % der Neuzulassungen im Deutschen Reich.

Trotz ähnlich einfacher Bauart wies der Citroen B14 gegenüber „Amerikaner“wagen vom Schlag eines Chevrolet eine diskrete Eleganz auf, die vor allem der recht schmalen Spur geschuldet war.

Während der oben gezeigte Chevrolet den stämmigen Auftritt eines breitbeinig daherkommenden Cowboys hatte, waren die Proportionen des Citroen grundlegend anders: der Wagen war mit 1,83 m deutlich höher als breit (Spur: 1,23 m):

Citroen B14 Landaulet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese schöne Aufnahme unterstreicht nicht nur, dass der Citroen B14 mit seinen typischen Scheibenrädern und acht nach hinten versetzten Luftschlitzen in der Motorhaube deutlich filigraner wirkt.

Man erkennt zudem am Nummernschild, dass die Qualitäten des äußerst robust geltenden Wagens auch im Herzen Sachsens geschätzt wurden – das Auto war nämlich im Verwaltungsbezirk Dresden zugelassen.

Bemerkenswert ist an diesem Fahrzeug die dreiteilige Stoßstange nach amerikanischem Vorbild, die hier bei gleicher Ausführung höher angebracht war als bei dem Citroen am Klausenpass. Wer hat eine Idee zu den Beweggründen?

Der Wagen macht – einmal von den Reifen abgesehen – einen kaum gebrauchten Eindruck und die Aufnahme wirkt nicht wie ein zufälliger Schnappschuss. Hier wurde vielleicht kurz nach Anlieferung ein bewusst inszeniertes Foto gemacht.

Ich vermute, dass dabei das Firmenschild an der Hauswand im Hintergrund bewusst in die Bildgestaltung einbezogen wurde:

Bei der überdurchschnittlichen Qualität dieser Aufnahme darf man davon ausgehen, dass der Fotograf das Firmenschild nicht in den Tiefenschärfebereich einbezogen hätte, wenn sie irrelevant gewesen wäre.

So ist denkbar, dass der auf der Hauswand erwähnte Schmiede- und Autoreparaturbetrieb Max Franke etwas mit diesem Citroen zu tun hatte.

Für unternehmerische Tüchtigkeit spricht auch, das Werbeschild für Benzin der Marke Dapolin, die zur seit 1890 bestehenden Deutsch-Amerikanischen Petroleum Gesellschaft gehörte und Kraftstoffe von Standard Oil vertrieb.

Aus einer ursprünglichen Schmiede war wohl inzwischen eine Autowerkstatt mit Tankstelle entstanden. Wie passt aber nun der Citroen dazu? Nun, obiger Bildausschnitt liefert ein Indiz.

Denn am in Fahrtrichtung linken Scheibenrahmen sieht man einen Taxameter mit darüber angebrachtem Schild „FREI“. Besagter Max Franke könnte demnach auch in das Taxigeschäft eingestiegen sein.

Dieses Metier war damals noch stärker von Einzelunternehmern geprägt und die Verdienstmöglichkeiten waren besser als heute, da kein Überangebot an Fahrzeugen herrschte.

Auf diese Weise konnte sich ein Taxifahrer offenbar sein eigenes Auto finanzieren. Näheres dazu kann vielleicht ein sachkundiger Leser beitragen.

Wenn meine Vermutung zutrifft, haben wir hier vielleicht besagten umtriebigen Max Franke höchstselbst mit der frisch angeschafften Citroen-Droschke vor uns – ansonsten einen als Fahrer fungierenden Angestellten.

Jedenfalls ist dem jungen Sachsen, der hier zuversichtlich in die Ferne zu schauen scheint, ein gewisser Stolz auf den feinen Citroen anzusehen.

Hier lohnt sich das genaue Hinschauen:

Interessant ist zum einen die einreihige Jacke aus Wolltuch, deren Schnitt und Ausführung mit aufgesetzten Taschen nur noch entfernt an die schweren ledernen Fahrerjacken anlehnt, wie sie Kraftfahrer vor dem 1. Weltkrieg und bis weit in die 1920er Jahre trugen.

Seitdem der Fahrer nicht mehr im Freien saß, war die Notwendigkeit eines Wetterschutzes nicht mehr in der Weise gegeben wie zuvor – entsprechend feiner wirkt hier die Chauffeurskleidung. Geblieben war die für Fahrer typische Schirmmütze.

Leider ist auch auf dem Originalabzug das Emblem auf der Mütze nicht genau erkennbar – es hätte möglicherweise einen interessanten Hinweis geliefert.

Dafür erkennt der Betrachter am Heck des Wagens etwas, das Aufmerksamkeit verdient. Denn dort sieht man, dass der rückwärtige Teil der Dachpartie nach hinten geklappt ist, sodass die Passagiere auf der hinteren Rückbank bei schönem Wetter unter freiem Himmel sitzen konnte.

Es handelt sich bei dem Aufbau des Citroen also um die besonders elegante Karosserieversion eines Landaulet, die noch aus der Kutschenära stammte.

Am Ende des hier senkrecht stehenden Dachabschnitts sind zwei Klappverschlüsse zu sehen, mit denen bei wieder hochgeklapptem Verdeck die Verbindung zum Dach hergestellt wurde.

Dieses Detail habe ich bislang so deutlich auf noch keinem historischen Originalfoto gesehen und man kann den Handwerkern, die diese technische Lösung klappersicher und wasserdicht umzusetzen hatten, nur großen Respekt zollen.

Nebenbei: Landauletversionen des Citroen B14 scheinen gerade bei Droschken nicht ungewöhlich gewesen zu sein. Bloß: Eine Ausführung wie die auf dem Foto – also mit starrer Hecksäule – konnte ich bislang nicht finden.

Kann es sein, dass sich hier französischer Chic mit sächsischem Stolz vermischten? Dann hätte sich der Taxi-Betrieb zwar für einen schlank gebauten Citroen B14 entschieden, aber den Aufbau von einem lokalen Karosserieschneider fertigen lassen.

Für Ideen zu diesem für mich spannenden Fahrzeug und der reizvollen Situation bin ich wie immer dankbar (bitte Kommentarfunktion nutzen).

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Ideal in jeder Kurve: NAG Typ C4 10/30 PS

„Schönheit liegt im Auge des Betrachters“ – wer kennt nicht dieses Zitat? Man nutzt es gern, um sein Geschmacksurteil als ebenso legitim wie jedes andere zu rechtfertigen.

Ich meine: Wer Zitate irgendwelcher Geistesgrößen bemüht, hat eine schwache Position, da es ihm offenbar an eigenen Argumenten und damit an Urteilskraft mangelt.

Kurios wird es dann, wenn sich der vermeintliche Urheber universeller Weisheiten wie der genannten bei näherer Betrachtung verflüchtigt.

„Schönheit liegt im Auge des Betrachters“ wird im deutschen Sprachraum gern Goethe zugeschrieben, der aber als Klassizist sehr resolute Vorstellungen davon hatte, was als schön gelten darf und was nicht.

In Großbritannien nennt man als Urheber wahlweise den schottischen Philosophen David Hume oder einen der zuverlässigsten Zitatelieferanten überhaupt: William Shakespeare (z.B. in „Love’s Labour’s Lost)“.

Wiederum andere schreiben die Sentenz den alten Griechen zu und verweisen auf sinngemäße Feststellungen von Platon oder Thukydides.

Gemeinsam ist ihnen: Keiner hat je ein Automobil erblickt und so fehlten ihnen die Maßstäbe, ein ästhetisches Urteil über eine Schöpfung wie zum Beispiel diese zu fällen.

unbekanntes Cabriolet der 1930er Jahre, aufgenommen in Dortmund

Ich wage die Behauptung, dass sich kaum jemand finden wird, der die Linien dieses bislang unidentifizierten Wagens als „nicht schön“ – also ausdrücklich als „hässlich“ –  bezeichnen würde.

Das hat meiner Überzeugung nach damit zu tun, dass die meisten Menschen organische, geschwungene Formen als angenehm empfinden. In der Natur, aus der wir stammen, gibt es nun einmal kaum gerade Linien, sondern fast nur Kurven.

Wer der Natur nicht völlig entfremdet ist, empfindet spontan Vertrautheit mit sanften Bögen, opulenten Rundungen und spannungsreichen Linien. Das ist ein uraltes Erbe, dass durch ein paar Jahrtausende Sesshaftigkeit nicht zunichtegemacht wurde.

Es mag ja mancher intellektuellen Zugang zum Diktat des rechten Winkels und der geraden Linie der Bauhaus-Ideologie gefunden haben. Mir ist diese in Deutschland besonders verbreitete Leidenschaft für unorganische Formen unheimlich.

Für mich entfaltet sich Meisterschaft in der Formgebung eines Industrieprodukts eher in Beispielen wie diesem:

Hanomag 1,3 Liter; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Es fällt schwer, an diesem Hanomag auch nur eine gerade Linie zu finden und dennoch kommt seine von der Stromlinie beeinflusste Karosserie ganz ohne Zierrat aus.

Als schön würde ich den Wagen zwar nicht bezeichnen, dafür fehlt ihm schlicht die Länge, die es braucht, damit sich solche Formen voll entfalten können und am Ende schlüssig zueinanderfinden.

Doch ist dieser letzte Hanomag für mich ein gutes Beispiel für den plastischen Reiz, den organische Formen ausüben können. Eine derartige Dreidimensionalität und Dynamik kann nun einmal nicht von einem Ziegelstein auf Rädern ausgehen

Damit wäre ich beim eigentlichen Gegenstand meines heutigen Blog-Eintrags:

NAG Typ C4 10/30 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Tourenwagen, der hier aus außergewöhnlicher Perspektive abgelichtet wurde, verkörpert für mich idealtypisch das Konzept der von Bögen und Kurvaturen geprägten Karosserie, das in deutschen Landen bis in die 1920er Jahre fortlebte.

Der Wagen als solcher – ein NAG Typ C4 10/30 PS aus Berlin – stellt keineswegs eine Besonderheit dar. Er wurde in der ersten Hälfte der 1920er Jahre mit den unterschiedlichsten Karosserien gebaut.

Allein in meiner NAG-Galerie finden sich mehr als ein Dutzend Originalfotos dieses Typs und ich habe meine Zweifel, dass von diesem Modell wirklich nur „höchstens ca. 5.000 Exemplare“ entstanden, wie es in der älteren Literatur heißt (vgl. W. Oswald: Deutsche Autos 1920-1945).

Sicher bezieht dieses Modell einen Großteil seiner Wirkung aus der raffinierten Verwandlung des NAG-typischen Ovalkühlers in einen Spitzkühler, wie er seit 1913/14 Mode im deutschsprachigen Raum war.

Folgende Ausschnittsvergrößerung lässt ungewöhnlich gut erkennen, wie sich ausgehend von der ovalen Kontur des Kühlers die Karosseriesilhouette entlang der Motorhaube bis zum Fahrgastraum weiterentwickelt:

Hier wird unmittelbar erkennbar, woher die Bezeichnung „Tulpenkarosserie“ für einen derartigen Aufbau herrührt – wie die Blüte einer Blume öffnet sich der Wagenkörper nach hinten immer weiter.

Aus dieser Perspektive mag deutlich werden, dass es der Kunst von Bildhauern bedurfte, um, eine derartige sich in drei Dimensionen kontinuierlich entfaltende Form aus Holz und Stahl zu schaffen.

Natürlich fielen auch die Vorderschutzbleche dieses NAG nicht aus einer seelenlosen Stanze – sie wurden von Hand über Holzformen aus dem Blech getrieben und man sieht ihnen an, dass sie keine exakten Spiegelbilder voneinander waren.

Wie bei einem schönen Gesicht die eine Hälfte nicht völlig der anderen entspricht, waren es kleine Abweichungen von der Symmetrie, die die Spannung und Persönlichkeit eines derartigen Fahrzeugs ausmachten.

Ein letztes Mal entfaltete sich solche Meisterschaft und organische Formgebung in den italienischen Manufakturkarosserien der 1960er Jahren. Auch dort kam außer spannungsreichen Bögen und schwellenden Formen fast kein Dekor zum Einsatz.

Wer je ein Auto jener Zeit mit individueller Karosserie restauriert hat, weiß um die Herausforderungen, die schon mit dem Einpassen des Kotflügels oder der Tür eines Spenderfahrzeugs verbunden sind.

Eigentlich passt nichts zusammen, weil jedes dieser Fahrzeuge eine eigene Linie, eine Persönlichkeit hatte. Das ist es – unter anderem – was seit damals verlorengangen ist.

Und das ist zugleich das Geheimnis der Magie früher Vorkriegsfahrzeuge wie zum Beispiel dieses Benz-Wagens von 1910, dessen Gestaltungslogik sich im NAG Typ C4 der frühen 1920er Jahre ein letztes Mal widerspiegelt:

Benz von 1910; Bildrechte: Michael Schlenger

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Der erste Borgward: Hansa 2000 von 1938/39

Die legendäre Bremer Automarke Borgward verbinden die meisten Klassiker-Liebhaber in erster Linie mit den Pontonmodellen der Nachkriegszeit, die in den 1950er Jahren zu den modernsten und attraktivsten Autos gehörten, die in Deutschland produziert wurden.

Doch der Erfolg dieser Borgward-Wagen und der Konkurs des Unternehmens von Carl F. Borgward im Jahr 1961 ist natürlich kein Thema für meinen Blog, der sich ganz den Fahrzeugen der Vorkriegszeit verschrieben hat.

Dass unter dem Namen Borgward bereits ab 1939 Automobile entstanden, ist jedoch ein ebenso interessantes Thema, das bloß heute kaum noch jemandem geläufig ist.

Tatsächlich kam Carl F. Borgward auf einigen Umwegen zum PKW-Bau, weshalb man sich fragt, was davon zielgerichtetem Vorgehen und was dem Zufall zu verdanken ist. Entscheidend war wohl der frühzeitige Kontakt zu den altehrwürdigen Hansa-Lloyd-Werken in Bremen, für die Borgwards erste Firma ab 1920 Kühler lieferte.

Ab Mitte der 1920er Jahre hatte Borgward dann erheblichen Erfolg mit den neu entwickelten Goliath-Lieferwagen. Produziert wurden diese in Sichtweite der Fabrik, in der die Automobile von Hansa-Lloyd entstanden.

1929 nutzte Borgward finanzielle Schwierigkeiten von Hansa-Lloyd zur Übernahme der Firma. Die Produktpalette wurde gestrafft und nach einem Kleinwagen-Intermezzo (Hansa 400 / 500) entstanden ab 1934 in Bremen wieder richtige Autos:

Hansa 1700 Cabriolimousine; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Die Aufnahme dieser schönen Cabriolimousine des Sechszylindertyps Hansa 1700 verdanke ich Leser Klaas Dierks. Den Typ als solchen – auch die Vierzylindervariante Hansa 1100 – habe ich hier schon mehrfach anhand von Originalaufnahmen präsentiert.

Für mich ist der bis 1939 gebaute Hansa 1100/1700 eines der elegantesten deutschen Mittelklasseautos der damaligen Zeit. Er lässt bereits erkennen, dass Carl F. Borgward der Sinn danach stand, seinen Kunden etwas Besonderes zu bieten.

Genau das tat er spätestens mit dem ab 1938 gefertigten größeren Schwestermodell Hansa 2000. Dieser Sechszylindertyp war bei identischen Fahrleistungen und etwas geringeren Abmessungen eine Alternative zum weit teureren und wesentlich durstigeren Mercedes 230.

Allerdings brachte Borgward aus mir unbekannten Gründen keine nennenswerten Stückzahlen beim Hansa 2000 zustande. Auch die Umbenennung in Borgward 2000 ab 1939 brachte keinen größeren Erfolg am Markt.

So sind von diesem interessanten Modell – dem ersten Auto, das den Namen Borgward trug – in knapp zwei Jahren überhaupt nur 2.000 Stück entstanden. Von einer industriellen Produktion kann man hier kaum sprechen, merkwürdig.

Dies erklärt jedenfalls, warum zeitgenössische Fotos des Hansa bzw. Borgward 2000 Mangelware sind. Die älteste Aufnahme in meiner Sammlung ist die folgende:

Hansa bzw. Borgward 2000; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese reizvolle Aufnahme ist im März 1940 anlässlich einer Reifenpanne eines Hansa bzw. Borgward 2000 entstanden, der im Dienst der Wehrmacht unterwegs war. Das Kürzel „WH“ auf dem Kofferraumdeckel bestätigt zusammen mit der matten Lackierung die Zugehörigkeit zum Fuhrpark einer Heereseinheit.

Die Identifikation als Hansa bzw. Borgward ist anhand der charakteristischen Form der vorderen Luftklappe in der Seitenwand des Motorraums und der Form der Scheibenräder sowie der Radkappe möglich.

Nebenbei haben wir hier ein frühes Beispiel für eine zwar noch zweiteilige, aber bereits flach aufliegende Motorhaube ohne Seitenteil. Auch das Fehlen eines Trittbretts ist ein Hinweis darauf, dass die vertrauten Elemente der Vorkriegszeit bald einer fundamental anderen Karosseriearchitektur weichen sollten.

Der großgewachsene Soldat scheint ein Unteroffiziersanwärter zu sein (das verraten die silbernen Krageneinfassungen). Das weitgehende Fehlen militärischer Ausrüstung lässt darauf schließen, dass die Fahrt irgendwo in friedlichen Gefilden stattfand.

Zum Aufnahmezeitpunkt war Polen längst erobert und besetzt – der Frankreichfeldzug hatte noch nicht begonnen. Von daher ist der Aufnahmeort ungewiss.

Die nächste Aufnahme eines Hansa bzw. Borgward 2000 aus meiner Sammlung stammt aus der frühen Nachkriegszeit – sie ist im Mai 1947 entstanden:

Hansa bzw. Borgward 2000; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sehen wir den Wagen zwar aus günstigerer Perspektive. Doch ein Großteil des Kühlergrills wird von einem Holzgasgenerator verdeckt, mit dem privat betriebene PKW in der Kriegszeit die Knappheit an Benzin überbrückten.

Solche Anlagen sind in der Nachkriegszeit bald wieder entfernt worden, doch dieser Wagen ist ein Beispiel dafür, dass die Behelfslösung noch eine Weile beibehalten wurde.

Das zum Aufnahmezeitpunkt fast 10 Jahre alte Auto steht – von der zerdellten Radkappe rechts vorne abgesehen – noch ganz gut da. Auch das empfindliche Verdeck scheint den Krieg gut überstanden zu haben.

Sehr wirkungsvoll unterstützen hier die tropfenförmigen Scheinwerfer das Erscheinungsbild des Wagens mit strömungsgünstig wirkendem Aufbau.

Der freundlich in die Kamera schauende Herr mit Barett und elegantem hellen Staubmantel könnte ein Franzose in Zivil gewesen sein. Ob er zu den französischen Besatzungstruppen gehörte, wissen wir nicht.

Wie es scheint, hat er eine Kamera umhängen – vielleicht war er Journalist. Was ihn mit dem Hansa bzw. Borgward mit Holzgasantrieb verband, muss offen bleiben.

Zu guter letzt kann ich noch eine rare Heckansicht des Hansa bzw. Borgward 2000 anbieten, die sich auf folgender Ansichtskarte aus Leipzig von 1961 findet:

Hansa bzw. Borgward 2000; Ausschnitt aus einer Postkarte (Serie „Bild und Heimat“, Foto Kühn) aus Sammlung Michael Schlenger

Die im Original weit größere Ansichtskarte zeigt die nach dem Krieg notdürftig wieder hergerichteten Reste des Thüringer Hofs in Leipzig, der im Kern auf das 15. Jahrhundert zurückgeht.

Die Fenstereinfassungen und das Portal scheinen noch originale Teile der einstigen Renaissancefassade zu sein, auch die schmiedeeisernen Kandelaber haben die zahlreichen schweren Bombardierungen der Leipziger Innenstadt überstanden, die bis Mitte April 1945 – eine Woche vor der Besetzung durch die US-Armee – anhielten.

An dem davorstehenden Hansa bzw. Borgward 2000 sind einige Modifikationen vorgenommen worden – kein Wunder: das Auto war zum Aufnahmezeit fast ein Vierteljahrhundert alt.

Die Radkappen scheinen ebensowenig original zu sein wie die silbern angestrichene Stoßstange. Erkennt jemand, woher diese Teile stammten?

Auch die Lackierung des Wagens war mit Sicherheit nicht mehr die erste. Denkbar, dass der Wagen im Krieg bei der Wehrmacht diente und anschließend eine neue Farbgebung erhielt.

Interessanterweise hat sich der Suchscheinwerfer erhalten, der genau demjenigen entspricht, der an dem 1947 fotografierten Auto mit Holzgasgenerator montiert war. Offenbar handelte es sich um ein schon ab Werk erhältliches Zubehör.

Der Fotograf dieser Ansichtskarte war vermutlich froh, dass vor dem Thüringer Hof einige ansehnliche Vorkriegswagen abgestellt waren, die noch auf viele Jahre hinaus allem überlegen waren, was die sozialistische Planwirtschaft zustandebrachte:

Das hübsche zweisitzige Cabriolet weiter vorn konnte ich übrigens noch nicht identifizieren – ich tippe hier aber auf ein tschechisches Modell.

Von dem Hansa bzw. Borgward 2000 abgesehen bietet sich dem heutigen Besucher dieser Ausschnitt der (später wieder aufgestockten) Fassade des Thüringer Hofs noch genauso dar. Auch beherbergt das Haus immer noch einen Gasthof gleichen Namens.

Man sieht: Noch weit nach dem Ende des 2. Weltkriegs waren Vorkriegsautos in Ostdeutschland allgegenwärtig und eine selbstverständliche Ergänzung der übriggebliebenen oder wiederaufgebauten historischen Bauten.

Nur ein Hansa 2000 bzw. der gleichnamige Borgward war schon damals eine ausgesprochene Rarität. Vielleicht war es sogar der Wagen des Fotografen – wer weiß?

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Pionier des Fortschritts: Panhard & Levassor von 1908

Heute geht es in meinem Blog für Vorkriegsautos auf historischen Fotos 111 Jahre zurück in die Vergangenheit – ins Jahr 1908.

Dabei haben wir den seltenen Fall, dass sich nicht nur die Aufnahme datieren lässt – sie entstand im Oktober 1908 irgendwo in Frankreich – auch das Baujahr des darauf abgebildeten Wagens lässt sich auf das Jahr genau bestimmen – ebenfalls 1908.

Hier haben wir das Prachtstück:

Panhard & Levassor von 1908; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Hersteller ist anhand des markanten Kühlergehäuses ebenfalls eindeutig zu bestimmen: Es handelt sich um ein Fahrzeug von Panhard & Levassor, dem ersten Hersteller eines Serienwagens mit Benzinmotor in Frankreich.

Kenner der Pionierära wissen, dass Panhard & Levassor zusammen mit De Dion-Bouton das in Deutschland von Daimler und Benz erfundene Auto so weit verbesserten, dass es anschließend seinen internationalen Siegeszug antreten konnte.

So wie Bertha Benz 1888 mit ihrer legendären Langstreckenfahrt im Auto ihres Mannes Carl den entscheidenen Impuls zur Marktreife der neuen Erfindung gegeben hatte, war es auch im Fall von Panhard & Levassor eine Frau, die im entscheidenden Moment das Richtige tat, und das ging so:

Emile Levassor, eine der beiden Inhaber des auf das Jahr 1846 zurückgehenden und seit 1886 als Panhard & Levassor firmierenden Maschinenbauunternehmens war mit einem belgischen Ingenieur namens Edouard Sarazin befreundet.

Sarazin verfügte über Kontakte zum deutschen Motorenhersteller Deutz, wo bis 1882 Gottlieb Daimler beschäftigt war. Nachdem Daimler sich selbständig gemacht hatte,  wurde Sarazin sein Vertreter bei der Sicherung seiner Patente in Frankreich.

Als Edouard Sarazin 1887 unvermittelt starb, trat seine Witwe Louise auf den Plan. Sie überzeugte Emile Levassor, den Kontakt ihres verstorbenen Mannes zu Daimler für die Zwecke von Panhard &  Levassor zu nutzen. 

Zusammen mit Levassor reiste Louise Sarazin 1888 zu Daimler nach Bad Cannstadt.  Dort stieß Levassor nicht nur auf den ihm bereits bekannten Einzylindermotor, sondern auch auf eine interessante neue Zweizylinderkonstruktion.

Panhard & Levassor erwarben eine Lizenz zum Nachbau dieses Zweizylinders und statteten damit ihren ersten Wagen aus – den Typ P2D 2 CV, der Ende 1890 fertig wurde.

Maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidung von Panhard & Levassor, selbst Automobile zu bauen, hatte einmal mehr Louise Sarazin, die noch 1890 Levassor heiratete – ein weiteres Beispiel dafür, wie kluge Frauen vor über 100 Jahren subtil Macht ausübten.

Keine 20 Jahre später, als das oben präsentierte Foto von 1908 entstand, gehörte Panhard & Levassor zu den international bedeutendsten Automobilherstellern und hatte die deutsche Konkurrenz längst überflügelt.

Das Jahr 1908 war in zweifacher Hinsicht bedeutsam für die Automobile von Panhard: Zum einen setzte sich eine formale Lösung durch, die eine schrittweise weitere Verschmelzung bis dato unabhängiger Elemente des Aufbaus ankündigte.

So wurde ab dann das Vorderschutzblech, das zuvor vor dem Trittbrett weiter nach unten reichte, nun in den meisten Fällen so ausgeführt, dass es in elegantem Bogen an die Horizontale des Trittbretts anschloss.

Folgender Bildausschnitt lässt dies erkennen:

Zu sehen sind in dieser Ausschnittsvergrößerung weitere reizvolle Details:

  • die facettierte Ausgestaltung der Kühlergehäuses, die durch feine, von Hand gezogene Zierlinien zusätzliche Plastizität erhält,
  • der markante Verschluss des Kühlwassereinfüllstutzens, dessen Gestaltung sich an klassischen Gefäßformen orientiert
  • die niedergelegte Windschutzscheibe mit poliertem Messingrahmen
  • die prachtvollen Positionsleuchten, die mit Petroleum betrieben wurden
  • die Halter der gasbetriebenen Frontscheinwerfer, die damals oft nur bei Nachtfahrten montiert wurden, um sie vor Steinschlag zu schützen.

Wer genau hinsieht, kann am in Fahrtrichtung linken Scheinwerferhalter ein herabhängendes Lederband erkennen. Dieses diente während der Fahrt der Fixierung der Anlasserkurbel.

Dass das Band auf dem Foto abgenommen ist, lässt erkennen, dass der Wagen im Anschluss an das Foto in Betrieb genommen werden sollte – sofern nicht vergessen worden war, es anlässlich der letzten Fahrt wieder zu fixieren.

Die andere bedeutende Veränderung neben der erwähnten Weiterentwicklung der Karosserieelemente betraf die Kraftübertragung auf die Hinterachse.

Nachdem gegen Ende 1907 erstmals ein Panhard & Levassor mit Kardan- statt Kettenantrieb vorgestellt worden war – das Modell 15 PS – kamen 1908 zwei weitere Kardanmodelle mit 10 und 18 PS hinzu.

Nur die beiden großen Modelle 24 PS und 35 PS wurden noch in nennenswerten Stückzahlen ausschließlich mit Kettenantrieb hergestellt.

Welche der insgesamt gut ein Dutzend gängigen Motorisierungen mit Hubräumen von 1,8 bis über 7 Liter „unser“ Panhard & Levassor aufwies, muss wohl offen bleiben.

Vermutlich wird es sich den Proportionen nach zu urteilen um eines der mittelgroßen Modelle 15 bis 24 PS gehandelt haben (3,5 bis 5,3 Liter Hubraum). Annähernd 700 solcher Fahrzeuge baute Panhard & Levassor 1908.

Der Wagen auf dem Foto dürfte frisch angeliefert worden sein und das Besitzerpaar posiert für das damals übliche Foto mit dem stolzen Ehemann am Steuer:

Recht gut zu erkennen sind an der Schottwand vor der Lenksäule die senkrechten Druckknöpfe, über die wichtige Schmierstellen mit Öl versorgt wurden.

Übrigens verkörpert die Beifahrerin einen selbstbewussten und durchsetzungsfähigen Frauentyp, der im damaligen Großbürgertum nicht selten gewesen zu scheint.

Der junge Mann mit der Schirmmütze und dem fein geschnittenen Gesicht auf dem Rücksitz ist mit Sicherheit der Chauffeur und damit der eigentliche Herr dieses prachtvollen Panhard & Levassor.

Mit der Verantwortung für den zuverlässigen Betrieb dieses teuren Luxuswagens und die sichere Beförderung seiner Insassen genoss ein Fahrer damals eine außerordentliche Vertrauensposition. 

Die Beherrschung und Instandhaltung einer dieser neuartigen Fahrzeuge verlieh ihm eine herausgehobene Stellung. Hinzu kam, dass in den exklusiven Kreisen der damaligen Automobilisten perfekte Manieren erwartet wurden.

Wie so oft bei Betrachtung dieser Bilder aus längst vergangene Zeit fragt man sich, wie wohl der weitere Lebensweg der Menschen ausgefallen sein mag, die uns über den Abstand von weit mehr als 100 Jahren in die Augen schauen.

Leider werden wir nichts mehr darüber in Erfahrung bringen – es sei denn, man hat mit einem der seltenen Fälle zu tun, dass sich auf diesen Dokumenten einer untergegangenen Welt prominente Personen identifizieren lassen.

Sicher nicht prominent war die junge, schlicht gekleidete Dame, die mit Hund neben dem Panhard & Levassor posiert:

Aufgrund der langen Belichtungszeit der damaligen Plattenkameras findet sich auf Aufnahmen jener Zeit selten ein spontanes Lächeln. Doch meine ich, dass um die Lippen dieser Unbekannten durchaus etwas Freundliches spielt.

Welche Rolle mag sie in dem Haushalt der Besitzer des eindrucksvollen Panhard & Levassor gespielt haben, dass sie ebenfalls auf dem Foto mitposieren durfte?

Wie immer sind Ideen und Anmerkungen dazu und auch zu anderen Details willkommen und finden gegebenenfalls Eingang in diesen Blogeintrag.

Einige weitere Fotos von Wagen der Marke Panhard & Levassor schlummern in meinem Fundus, doch erfordert eine genaue Ansprache noch einige Recherchen.

Unterdessen empfehle ich allen, die sich für die Markengeschichte interessieren, ein Buch, das für mich einen einzigartigen Rang einnimmt, da es jedes einzelne Baujahr umfassend abhandelt und dabei eine Fülle von Originalfotos (nicht nur Prospektabbildungen) zeigt wie kaum ein Buch zu deutschen Vorkriegsmarken:

Bernhard Vermeylen: Panhard & Levassor – Entre Tradition et Modernité, Verlag ETAI, 2005, ISBN: 2-7268-9406-2

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ganz schön verwegen: Ein Fiat 518 „Ardita“ 2000

Zu den überraschenden Seiten der Beschäftigung mit Vorkriegsautos im deutschsprachigen Raum gehört die enorme Bedeutung ausländischer Marken in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren.

Dass US-Fahrzeuge seinerzeit einen heute unvorstellbaren Marktanteil besaßen – übrigens auch in Skandinavien sowie in Ost- und Südosteuropa – wird den meisten Kennern geläufig sein.

Vielleicht weniger bekannt ist, dass auch Fiat aus Turin noch vor dem Erfolg des 500er „Topolino“ Ende der 1930er Jahre längst eine allgegenwärtige Marke war.

Schon kurz nach dem 1. Weltkrieg fanden die Modelle 501 und 505, ab Mitte der 1920er dann die Typen 509 und 503 reißenden Absatz in deutschen Landen. Ihnen gemeinsam waren kompakte, zugleich drehfreudige und kaum zerstörbare Motoren.

Die parallel verfügbaren größeren Sechszylindertypen von Fiat blieben dagegen eher selten, wenngleich sie ebenfalls in meinem Blog vertreten sind. Ähnliches gilt für das Modell, das ich heute anhand eines besonders verwegenen Fotos vorstelle:

Fiat 518C „Ardita“ 2000; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Naja, mag man jetzt denken – ein schönes Foto aus günstiger Perspektive, aber was soll an dieser konventionell wirkenden Limousine schon verwegen sein?

Eine ganze Menge, das fängt schon bei der Typbezeichnung an. Denn der Beiname des 1933 von Fiat in Mailand vorgestellten Vierzylindermodells „Ardita“ bedeutet soviel wie „die Kühne“, „die Mutige“, „die Kecke“ oder auch: „die Verwegene“.

Dabei sei daran erinnert, dass das Auto im Italienischen weiblichen Geschlechts ist– so heißt es „la macchina“ oder (kaum noch gebräuchlich) „l’autovettura“. Und so sehen wie hier „una Fiat cinquecento-diciotto Ardita duemila“ – soviel Zeit muss sein.

Die Identifikation des Wagens ist denkbar einfach, steht doch die Typbezeichnung in „verwegener“ Schrift auf dem Kühlergrill: „Ardita 2000“. Dennoch birgt dieses Auto eine ganze Reihe Überraschungen, wie wir sehen werden.

Der Fiat 518 Ardita markiert den Übergang von der konventionellen Bauweise der späten 1920er Jahre hin zu den hochmodernen Modellen, die die Turiner gegen Mitte der 1930er Jahre anboten.

Traditioneller Bauart waren folgende Details:

  • seitengesteuerter Vierzylinder mit 1,8 oder 2,0 Liter Hubraum (40 bzw. 45 PS)
  • blattgefederte Starrachsen vorne und hinten
  • Aufbau nach US-Vorbild mit nur mäßiger Windschnittigkeit

Moderne Elemente waren dagegen:

  • synchronisiertes 4-Gang-Getriebe
  • hydraulische Vierradbremsen und Stoßdämpfer
  • Ganzstahlkarosserie ohne Holzgerippe

Damit vereinte der Fiat 518 Ardita aus Sicht konservativer Käufer das beste aus zwei Welten.

Er bot eine klassische Karosserie mit viel Platz, großer Stabilität und geringem Gewicht (1.185 kg bei kurzem Radstand). Gleichzeitig waren zeitgemäße Fahrleistungen möglich (Spitze: 105 km/h), die diejenigen der Mercedes-Modelle 170 und 200 (W15 bzw. W21) übertrafen.

Attraktiv war das Fehlen eines Mittelpfostens, der einen bequemen Einstieg erlaubte, wie ihn heute aufgrund des Diktats der Stromlinie selbst Luxuswagen kaum noch bieten.

Dennoch hielt sich der Erfolg des Fiat 518 Ardita mit nur rund 7.500 Exemplaren in Grenzen. In den Schatten gestellt wurden die Qualitäten des Wagens recht bald durch die konsequent modernen Fiat-Modelle „1100“ und „1500“.

Umso überraschender ist es daher, einem dieser eher raren Fiat-Modelle ausgerechnet in Deutschland zu begegnen:

Das Kennzeichen verrät, dass dieser Fiat nach dem 2. Weltkrieg in der britischen Besatzungszone Rheinland zugelassen war, die Ziffernfolge 42 verweist auf Iserlohn.

Kurios ist, dass der Wagen immer noch einen „Notek“-Tarnscheinwerfer auf der Verbindungsstange zwischen den Hauptscheinwerfern trägt, wie er während des Kriegs bei Wehrmachtfahrzeugen, aber auch bei Zivil-PKW, üblich war.

Ein Grund für die Beibehaltung dieses Relikts aus Kriegszeiten fällt mir beim besten Willen nicht ein – hat ein Leser eine Idee dazu?

Von ein paar Dellen abgesehen scheint der Fiat das Kriegsgeschehen recht gut überstanden zu haben. Die beiden Hupen und der Nebelscheinwerfer könnten schon vor Kriegsbeginn montiertes Zubehör gewesen sein.

Man könnte sagen, dass dieser Fiat Ardita – hier als viertürige Limousine auf kurzem Fahrgestell (518C) – den Zeitumständen nach zu urteilen ganz gut dasteht.

Doch so kann man sich täuschen, denn der Fiat steht keineswegs auf dem Boden der Tatsachen:

Fiat 518C „Ardita“ 2000; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier wird deutlich, aus welch „verwegener“ Perspektive dieser schöne Fiat 518 Ardita tatsächlich aufgenommen wurde, nämlich vom Dach einer Halle oder Garage aus, von der aus sich der Blick auf ein Werkstattgelände öffnet.

Während der Fiat auf einer hydraulischen Hebebühne schwebt, genießen drei nicht mehr ganz junge Männer einen Schluck zum Feierabend (?), während die junge Dame rechts am Bildrand die Situation zu genießen scheint.

Was mag der Anlass für dieses außerordentliche Foto gewesen sein? Vielleicht die erfolgreiche Inbetriebnahme der frisch montierten Hebebühne? Darauf würde das Umfeld mit allerlei Baumaterial deuten.

Auch hier sind Ideen von Lesern hochwillkommen, vielleicht erkennt jemand sogar das zweistöckige Fabrikgebäude im Hintergrund mit dem markanten Mittelbau, der aus den frühen 1920er Jahren stammen dürfte.

Das Foto ist zwar in der Nachkriegszeit entstanden, doch vom Besatzungskennzeichen abgesehen ist darauf nichts zu erkennen, was es nicht schon vor dem Krieg gab. Auch der Opel Blitz-Lastwagen im Hintergrund passt perfekt.

Nun liegt auch diese Szene schon wieder rund 70 Jahre zurück, und die Zeitzeugen werden immer weniger.

Umso mehr sind jüngere Generationen gefragt, wenn es um die Bewahrung unseres technologischen Erbes und die Dokumentation der Vorkriegszeit geht, von der bald nur noch die überlebenden Fahrzeuge und Fotos wie dieses übrig sein werden.

Mein Blog soll einen Beitrag dazu leisten – ich hoffe, das klingt nicht zu verwegen…

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Klein, aber oho! Ein DKW Front F1 Roadster

Zu  den bestdokumentierten deutschen Vorkriegswagen in meinem Blog gehören inzwischen sicher die Automobile von DKW.

Daher fällt es auf den ersten Blick schwer, den volkstümlichen Wagen aus Zwickau neue Facetten abzugewinnen – doch es geht, und das überraschend gut.

Dem Ziel – dem DKW Front F1 Roadster – nähere ich mich auf einem reizvollen Umweg, der die wichtigsten Karosserieversionen des ab 1931 gebauten ersten Frontantriebsmodells von DKW anhand historischer Originalfotos streift.

Heutzutage findet man – wenn überhaupt – nur noch offene zweisitzige DKW F1, bestenfalls mit Notsitz im Heck. Doch stellte DKW auf Drängen der Kundschaft eine Weile nach Produktionsbeginn auch familientaugliche Viersitzer her.

Leser Marcus Bengsch verdanke ich diese schöne Aufnahme einer viersitzigen Cabrio-Limousine mit verlängertem Fahrgestell und stärkeren Bremsen:

DKW Front F1 Cabriolimousine 4-sitzig; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Hier sehen wir gerade noch das Hauptmerkmal des ersten DKW-Frontantriebswagens: das schrägstehende Blech unterhalb des Kühlergrills, das das Differential der Vorderachse verdeckt.

Die übrigen Details wie die schrägstehenden kurzen Luftschlitze in der Motorhaube, die unprofilierten Scheibenräder  und der Schwung der Vorderschutzbleche finden sich nahezu identisch noch beim ab 1932 gebauten Nachfolger DKW F2.

Kaum bekannt ist, dass es neben den mit Kunstleder bespannten Holzkarosserien auch Ganzstahlausführungen gab. So liefert das Presswerk Ambi-Budd in Berlin rund 200 entsprechender Limousinenaufbauten für den DKW F1.

Mit einer weiteren Version in Blech wird der geduldige Leser am Ende dieses Ausflugs belohnt…

Der weit überwiegende Teil der 1931/32 in etwas mehr als 4.000 Exemplaren gebauten DKW F1-Wagen entfiel jedoch auf eine hübsche 2-sitzige Cabrio-Limousine (von den stets erfindungsreichen DKW-Werbern als Cabriolet vermarktet):

DKW F1 Cabriolet-Limousine 2-sitzig; Originalfoto aus Sammlung Volker Wissemann

Diese ausgezeichnete Aufnahme hat Leser Volker Wissemann beigesteuert. Dass dieser Wagen tatsächlich ein DKW F1 und kein F2 war, ist an der kantigen Kontur des oberen Kühlerabschlusses zu erkennen (beim F2 fiel diese gerundeter aus).

Man sieht hier auch, warum die korrekte Bezeichnung für diese Art Aufbau „Cabrio-Limousine“ gewesen wäre: Ein echtes Cabriolet hätte keine massiven und feststehenden Türrahmen, sondern lediglich herunterkurbelbare Seitenfenster besessen.

Besonders attraktiv finde ich bei dieser Ausführung des DKW F1 die Ansicht von schräg hinten mit geschlossenem Verdeck. Leser Klaas Dierks konnte aus seinem Archiv eine solche Aufnahme hervorzaubern, die ihresgleichen sucht:

DKW F1 Cabrio-Limousine zweisitzig; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Hier sieht man nun auch die herausklappbare Notsitzbank im Heck (sog. Schwiegermuttersitz).

Die Ersatzradhülle mit den vier Auto Union-Ringen ist nachgerüstet, da  das Emblem erst im Frühjahr 1934 nach dem Zusammenschluss von Audi, DKW, Horch und Wanderer entstand.

Interessant ist die vom vorherigen Foto desselben Typs abweichende Position des Türgriffs (unterhalb statt oberhalb der Zierleiste). Vielleicht hat ein sachkundiger Leser eine Erklärung dafür (evtl. 2. Serie).

Weiter geht es auf unserer kleinen Reise durch die Vielfalt an reizvollen Aufbauten für den DKW-Fronttriebler mit seinem winzigen 2-Zylinder-Zweitakter und je nach Hubraum 15 bis 18 PS Leistung.

Geradezu wie ein Spielzeug wirkt dieser offene Zweisitzer, aber an diesem Eindruck trägt der große irische Wolfshund erheblichen Anteil:

DKW Front F1 Zweisitzer; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Man beachte hier den Zustand der Straßen, der außerhalb größerer Städte selten wesentlich besser war.

Dementsprechend waren diese Wagen außerhalb von Autohäusern und Concours-Veranstaltungen kaum in dem aseptischen Neuzustand anzutreffen, der von vielen heutigen Besitzern als „original“ angesehen wird.

Von daher hat eine Aufnahme wie die folgende Seltenheitswert, auf der ein weiterer offener Zweisitzer des Typs DKW Front F1 bei einer Landpartie zu sehen ist. Hier haben die Schmutzlappen am Ende der Vorderschutzbleche vorerst Schlimmeres verhindert:

DKW Front F1 Zweisitzer; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ein interessantes Detail ist das Steinschlagschutzgitter, das auch die Blechpartie unterhalb des Kühlers abdeckt. So wirkt die Frontpartie des kleinen DKW auf einmal wie die eines Sportwagens mit üppiger Motorisierung.

Auch die große verchromte Hupe kündet von dem Willen des Besitzers, seinem Wagen eine erwachsenere Anmutung zu verleihen, vielleicht des Guten etwas zuviel.

Die schrägstehende Scheibe und das offenbar ungefütterte Verdeck unterstützt den Eindruck, dass man einen rassigen Roadster vor sich hat.

Doch halt: ein roadstertypisches Element fehlt, der tiefe Türauschnitt, auf dem sich der Arm bequem ablegen lässt. Das ist etwas, das bei heutigen Autos fast unmöglich geworden ist – versuchen Sie’s mal bei Ihrer Alltagskutsche.

Doch am Ende findet sich auch ein offener DKW Front F1, der tatsächlich die Ansprache als Roadster verdient.

DKW Front F1 Roadster (Karosserie: Schneider & Korb); Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses schon ziemlich mitgenommene Exemplar habe ich vor längerer Zeit schon einmal präsentiert. Damals hatte mich die Identifikation einige Zeit gekostet – doch am Ende war der Fall klar:

Das ist einer von nur knapp 170 gebauten Roadstern mit Blechaufbau der Karosseriefirma Schneider & Korb aus Bernsbach in Sachsen. Von diesem Hersteller stammte übrigens der Aufbau des Prototyps des DKW Front F1.

Dass der DKW F1 Roadster zum Zeitpunkt der Aufnahme in einem ungepflegten Hinterhof schon einiges hinter sich hatte, verraten nicht zuletzt die nachträglich montierten Speichenräder, die dem sonst so gelungenen Wagen gar nicht gut stehen.

Aber bei einer solchen Rarität muss nehmen, was man kriegen kann, und bis dato war dies das einzige Originalfoto eines DKW F1 Roadster mit Blechkarosserie, die mir ins Netz gegangen ist.

Vor ein paar Tagen gelang mir dann zufällig ein weiterer Fund, der dieser Rarität schon eher gerecht wird:

DKW Front F1 Roadster (Karosserie: Schneider&Korb); Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Etwas getrübt wird der Eindruck zwar durch die krude montierte Stoßstange – doch attraktiv bleibt der Wagen aus dieser Perspektive zweifellos.

Für die junge Dame am Steuer passt der Türauschnitt perfekt, auch wenn sie kaum über das Lenkrad schauen kann und der Motor des Scheibenwischers ihr ebenfalls die Sicht versperren dürfte.

Hier ist nun auch das auf der Fahrerseite montierte Ersatzrad zu sehen, das hier zwar den schönen Schwung der Karosserie verdeckt, aber auf Seitenansichten durchaus zur sportlichen Wirkung dieses Roadsters beiträgt.

Warum der Radler partout mit auf’s Foto wollte, ist mir zwar schleierhaft, aber auch das macht letztlich solche Fotos lebendig und authentisch.

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass auch dieser DKW Roadster das erwähnte Steinschlagschutzgitter trägt. Es scheint nicht serienmäßig gewesen zu sein, oder doch? Interessieren würde mich außerdem, was für ein Emblem darauf angebracht ist.

Einen Datierungshinweis gibt uns die Fahne am Stander – es handelt sich um die ab 1935 neu eingeführte deutsche Nationalflagge (kein Parteiabzeichen).

Das war nun ein Parforceritt durch gerade einmal zwei Jahre DKW-Automobilgeschichte. Doch bereits daran wird deutlich, warum die in Zschopau ansässige Firma mit Produktion in Zwickau und Spandau so großen Erfolg hatte:

Die frontgetriebenen DKWs waren die günstigsten am deutschen Markt verfügbaren Automobile und hatten zugleich nichts Improvisiertes an sich. Sie waren kompakt, aber nicht kurios, moderat motorisiert, aber durchaus sportlich wirkend.

Für Käufer, die zuvor allenfalls ein Motorrad oder auch nur ein Fahrrad besessen hatten, wurde mit den DKW Frontantriebswagen der Traum vom ersten eigenen Auto wahr, ohne dass man sich der Lächerlichkeit preisgab – Voraussetzung für einen großen Erfolg als volkstümliches Automobil, der bis in die Nachkriegszeit anhalten sollte…

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.