Fund des Monats: Ein „Speedwell“ von 1909

Für den Fund des Monats September bleibt mir heute nicht viel Zeit – doch das passt durchaus zum Namen und der kurzen Lebensdauer der Marke, die ich vorstellen darf.

Nur von 1907 bis 1914 entstanden in Dayton im US-Bundesstaat Ohio die Wagen, welche ein gewisser Pierce D. Schenck unter der Bezeichnung „Speedwell“ bauen ließ.

Nach bescheidenen Anfängen mit Einbaumotoren von Rutenber entschied man sich für die Eigenfertigung eines großvolumigen Vierzylinders, der anfänglich 40 (später 50 PS) leistete.

1909 wurden 100 Exemplare gebaut, bis zum Ende der Marke sollten rund 4.000 Stück mit unterschiedlichsten Aufbauten entstehen.

Bemerkenswert ist, dass Speedwell-Wagen bereits ab 1909 über einen „Torpedo“ verfügten, also ein Luftleitblech am hinteren Ende der Motorhaube, wie es ab 1908 erstmals bei reinen Sportwagen zum Einsatz kam:

Speedwell von 1909; Prospektabbildung via Varun Coutinho (USA)

Diese Prospektabbildung schickte mir Varun Coutinho aus den Vereinigten Staaten mitsamt der genauen Ansprache des Wagens zu, nachdem ich in meiner Vorkriegsautogruppe auf Facebook ein entsprechendes Foto mit der Bitte um Identifikation gezeigt hatte.

Entstanden war die Aufnahme 1914 in Chicago und zur Verfügung gestellt hat sie mir Sammlerkollege und Leser Klaas Dierks. Ich hatte auf ein US-Modell vor 1910 getippt, hegte aber Zweifel daran, dass es gelingen konnte, den Hersteller zu identifizieren.

Das markante Emblem auf dem Kühlergrill verwies lediglich auf die American Automobile Association (AAA), half also erst einmal nicht weiter:

Speedwell von 1909; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Tatsächlich findet sich die von Benz bzw. Daimler inspirierte Kühlerform bei zahlreichen amerikanischen Fabrikaten der Frühzeit, doch die Kombination mit dem „Torpedo“ führte besagten US-Experten letzlich auf die richtige Spur.

Die besonders sportlich wirkende Ausführung als „Runabout“ mit minimalistischer Karosserie war durchaus typisch für die Zeit, stellte also keinen „Special“ dar, wie man ihn heute gern auf Basis erhaltener, doch unvollständiger Chassis zu fertigen pflegt.

Leider ruinierte sich Speedwell kurz vor dem 1. Weltkrieg mit Experimenten, welche Motoren mit Drehventilen umfassten. So war die Marke bereits 1915 Geschichte.

Bedeutung über den kurzlebigen Automobilbau hinaus hat Speedwell dadurch erlangt, dass Gründer Schenck einen Teil seinen anfänglich überdimensionierten Fabrikgebäude an die Gebrüder Wright vermietete, welche dort kurzzeitig ihre neuen Fluggeräte bauen ließen.

So erwies sich „Speedwell“ letztlich als gutes Omen für eine Entwicklung, die uns bis heute über Raum und Zeit gebieten lässt…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Entdeckung auf zwei Rädern: Fiat 501 Tourer

Zurückgekehrt aus dem Süden muss ich mich in deutschen Landen stets erst wieder ein wenig einfinden. Dass wir doch alle bloß „Europäer“ seien, das behaupten nur Leute, die nichts mit den Kulturnationen unseres Kontinents anfangen zu wissen.

Gerade weil jenseits des Alpenhauptkamms und vor allem südlich der Po-Ebene so vieles großartig anders ist, zieht mich Italien von jeher so an wie kein anderes Land.

Bei der Gelegenheit sei versichert, dass der träge dahinfließende Po randvoll ist – die im Hochsommer verbreiteten Panikmeldungen erweisen sich regelmäßig als Märchen.

Wer übrigens von falscher Bewirtschaftung und Windindustrie verschonte gesunde Wälder sehen möchte, dem sei angeraten, statt der Tour an die Adria kurz vor der Küste die Abfahrt „Cesena Nord“ zu wählen und die Route nach Süden einzuschlagen – ins grüne Herz von Umbrien hinein.

Mehr als zwei Stunden lang geht es durch wildromantische Täler, die auch nach einem langen Sommer mit üppigen Laubwäldern aufwarten, bis man in der umbrischen Ebene anlangt.

Dort bietet sich dem Reisenden, Pilger oder Wanderer eine seit 2500 Jahren gepflegte Kulturlandschaft, die bis heute intakt ist:

Blick auf Spello (Umbrien) am 25. September 2023; Bildrechte: Michael Schlenger

In diese in Deutschland nur wenig bekannte Region Italiens zog es mich kürzlich wieder – diesmal weil mir der Sinn nach Entdeckungen auf zwei Rädern stand.

Dass sich dabei ausgerechnet ein Fiat 501 als einer der Höhepunkte erweisen sollte, das konnte ich nicht ahnen. Wer in meinem Blog bereits länger mitliest, weiß natürlich um die Meriten dieses frühen Großserienmodells der Turiner Firma.

Als erster europäischer Hersteller überhaupt brachte Fiat 1919 mit dem 1,5 Liter-Typ 501 ein für die Massenfabrikation geeignetes Automobil auf den Markt. Rund 80.000 Exemplare davon wurden in alle Welt verkauft.

Auch nach Deutschland mit seiner der Marktnachfrage nicht annähernd gewachsenen Autoindustrie gelangten zahlreiche Fiats dieses für seine Robustheit berühmten Vierzylindermodells.

Dort fanden sogar 501er mit Sonderkarosserie Absatz wie dieser sportlich angehauchte Tourer (ausführlicher Beitrag):

Fiat 501 Sport-Tourer; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Mit minimalistischen Kotflügeln – die ihren Namen in diesem Fall besonders verdienen – , ungewöhnlich niedriger Gürtellinie und Verzicht auf ein Trittbrett wirkt der Fiat kompakt, geradezu unscheinbar.

Dass der 501 in Wahrheit ein beeindruckend dimensioniertes Fahrzeug war, speziell in der Ausführung als serienmäßiger Tourer, das war mir lange Zeit nicht bewusst.

Sicher: mir war das Modell von zeitgenössischen Bildern vertraut, die ich im Blog besprochen habe. Doch trotz seiner einstigen Verbreitung in deutschen Landen war mir noch nie ein Exemplar in natura begegnet.

Das sollte sich erst ändern, als ich in ganz anderer Mission in Italien unterwegs war, nämlich auf zwei Rädern ganz ohne Motorkraft. Anlass dazu gab eine Veranstaltung für historische Fahrräder, die von Enthusiasten im umbrischen Foligno ausgerichtet wird.

Wem der Name Foligno nichts sagt, der sollte wissen, dass in der uralten Stadt inmitten der Valle Umbra der spätere Stauferkaiser Friedrich II. seine ersten Lebensjahre verbrachte, außerdem wurde dort die erste Ausgabe von Dantes Commedia Divina gedruckt.

Leider haben alliierte Bombardierungen der Altstadt im 2. Weltkrieg schwere Schäden zugefügt, weshalb Foligno nicht mehr mit der makellosen Schönheit anderer umbrischer Städte aufwarten kann. Dennoch ist auch dort die Identifikation mit der Region groß und Traditionen wie die Giostra della Quintana werden begeistert fortgeschrieben.

Von Foligno aus findet jährlich im September eine Ausfahrt mit klassischen Stahl-Rennrädern und sonstigen historischen Drahteseln statt – die Francescana Ciclostorica.

Auf zwei Rundkursen geht es durch die Valle Umbra – und im Fall der längeren Route auch hinauf in die über dem Tal liegenden Orte wie Assisi, Spello, Trevi und Montefalco, allesamt von modernen Entstellungen verschont und mit grandiosen Kunstschätzen gesegnet.

Der sportliche Aspekt ist nebensächlich – der Genuß der Landschaft und der guten Gesellschaft Gleichgesinnter steht im Vordergrund. Unterwegs wird wiederholt gehalten, um sich mit kulinarischen Köstlichkeiten zu stärken, wozu einer der ausgezeichneten Weine der Region gehört – also nichts für Verzichtsfetischisten.

Ich hatte mir für die Teilnahme auf Basis eines Rahmens der Torpedowerke aus Frankfurt/Main einen „Halbrenner“ gebastelt, wie er von 1900 bis 1930 beliebt war. Die Anbauteile dazu hatte ich meinem Fundus entnommen und nach eigenem Gusto montiert.

Hier präsentiert sich das Gerät vor dem Einsatz:

Torpedo „Halbrenner“ in Collepino (Umbrien); Bildrechte: Michael Schlenger

Wenn Sie sich spätestens jetzt fragen, was das Ganze mit Vorkriegsautomobilen zu tun hat, dann kann ich nur zu etwas Geduld raten – es lohnt sich auszuharren.

Ich hatte mich in Anbetracht der nicht vorhandenen Gangschaltung für den kürzeren Kurs entschieden, welcher lediglich 35 km umfasste und sich – vom kurzen Anstieg zu einem Weingut abgesehen – auf ebene Strecken beschränkte.

Am Morgen der Fahrt präsentierte sich das Wetter den über 500 Teilnehmern zunächst unfreundlich. Doch 10 Minuten nach dem vorgesehenen Starttermin hörte es auf zu regnen und nach dem frenetischen Absingen der italienischen Nationalhymne ging es auf die Reise.

Ich hatte mir ein zum Rad passendes Outfit zugelegt und noch am Vortag letzte Details wie die passende Krawatte ausgewählt – so konnte man sich als Deutscher durchaus sehen lassen, meine ich:

Start zur La Francescana Ciclostorica 2023 in Foligno: Bildrechte: Luca Petrucci

Die Fahrt gestaltete sich trotz wiederholter Regenschauer sehr erfreulich.

Das lag nicht zuletzt daran, dass die zahlreichen weiblichen Teilnehmer große Sorgfalt auf die in Italien noch ausgiebig gepflegten Äußerlichkeiten verwendet hatten, ohne welche keine den Niederungen des Notwendigen enthobene Kulturnation bestehen kann.

Mit spektakulären Hüten, Frisuren und Kleidern sowie maximal unpraktischem Schuhwerk begaben sich die Vertreterinnen des schönen Geschlechts gutgelaunt auf die von mancher Pfütze und kühler Brise begleitete Tour.

Hin und wieder war ein kurzer Zwischenhalt erforderlich, damit die lokale Polizei den Radlern freie Bahn auf den wenigen Passagen verschaffen konnte, die über öffentliche Straßen führten.

Dann ergab sich Gelegenheit, mit der Nachbarin anzubandeln oder Studien bei den Vorausfahrenden zu betreiben:

La Francescana Ciclostorica; Bildrechte: Michael Schlenger

Selbstredend mussten solcherlei Anstrengungen früher oder später dazu führen, dass sich Appetitgefühl einstellt.

Bei der von mir gewählten kurzen Tour waren gleich drei Pausen vorgesehen, bei denen man sich zuverlässig durch das regionale Angebot an Köstlichkeiten essen konnte.

Gleich der erste Halt führte zum Weingut Arnaldo Caprai, dessen Weine (keineswegs nur der lokale Sagrantino) nach meiner Einschätzung zu den besten Umbriens gehören, ohne (vor Ort) übermäßig teuer zu sein.

Um dorthin zu gelangen, war die einzige nennenswerte Steigung zu bewältigen, welche der Autor selbstredend im ersten und einzigen Gang absolvierte, während es etliche andere Teilnehmer offensichtlich weniger militant angingen:

La Francescana Ciclostorica 2023, Weingut von Arnaldo Caprai bei Montefalco (Umbrien); Bildrechte: Michael Schlenger

Jetzt sind wir quasi in Sichtweite dessen, was im Titel des heutigen Blog-Eintrags angekündigt wurde – eine Entdeckung auf zwei Rädern, welche sich als absolut beeindruckender Fiat 501 entpuppte.

Denn als wir Pedalisten auf dem Weingut der Familie Caprai angelangten, hatten sich dort zu unsere Begrüßung bereits einige Vertreter der Fiat-Dynastie versammelt.

Sie umfassten gleich drei Generationen der Turiner Automobile, obwohl zwischen dem ältesten Vertreter und dem jüngsten nur rund 20 Jahre liegen.

Die ganze Zeitspanne von 1919 bis 1939 sehen wir hier – in automobiler Hinsicht wie auch sonst eine Periode ungeheurer Umwälzungen, doch in diesem Fall vollkommen beschaulich:

Fiat Vorkriegswagen auf dem Weingut Arnaldo Caprai bei Montefalco (Umbrien), September 2023; Bildrechte: Michael Schlenger

So interessant das Nebeinander von gleich drei Versionen des Erfolgsmodells 508 „Balilla“ auch ist, gilt unsere besondere Aufmerksamkeit heute den beiden Fiats ganz links.

Sie kontrastieren in außerordentlicher Weise und illustrieren den Sprung in die Moderne, den Fiat Ende der 1930er Jahre mit dem 1100er („Millecento“) vollzog, dessen geschmeidiger und drehfreudiger Motor noch bis in die 1960er Jahre kaum verändert gebaut werden sollte.

Leider kann ich in diesem Fall nur mit einer Ausschnittsvergrößerung mäßiger Qualität aufwarten, da ich zum Aufnahmezeitpunkt noch nicht wusste, was ich daraus in meinem Blog machen würde:

Jedenfalls wird hier schlagartig deutlich, wie grundlegend sich die Gestaltungsprinzipien bei Fiat – aber auch bei anderen Herstellern – zwischen 1919 und 1939 wandelten.

Denn diese beiden Wagen stehen jeweils stellvertretend für diese Baujahre.

Dass der weit moderner geformte Millecento keineswegs ein Kleinwagen war, auch wenn er neben dem 20 Jahre älteren Tourer so wirkt, dass begreift man, wenn man einmal direkt davor steht.

Dazu bot sich bei einem späteren Halt die Gelegenheit, auch wenn sich das Wetter zwischenzeitlich gegen uns Zweiradfahrer verschworen hatte und die Aussicht auf eine Fortsetzung der Tour in einem solchen Automobil durchaus verlockend erschien:

Fiat 1100 „Musone“; Bildrechte: Michael Schlenger

Wer sich hier an den Ford „Eifel“ erinnert fühlt, liegt mit seinem Bauchgefühl nicht schlecht.

Auch Fiat folgte Ende der 1930er Jahre – wie übrigens auch Renault – stilistischen Tendenzen, welche die damals führende US-Autoindustrie entwickelt hatte.

Mit dem spitz zulaufenden Kühler sollte der Millecento bis in die späten 1940er Jahre gebaut werden. Hier haben wir ihn in Bestzustand mit originaler Zulassung in der umbrischen Hauptstadt Perugia.

So wenig es an dem markant gestalteten, technisch ausgereiften und bestens verarbeiteten 1100er Fiat auszusetzen gibt, so verblasst er mit seinen beinahe modernen Proportionen aus meiner Sicht gegen den älteren 501, der uns in eine frühe Ära mit vollkommen anderen Gestaltungsprinzipien transportiert.

So etwas wie Familienähnlichkeit will sich jedenfalls nicht erkennen lassen, wenn man dann direkt vor einem Exemplar von Fiats erstem Großserienerfolg steht:

Fiat 501 Tourer; Bildrechte: Michael Schlenger

Hätte ich die Wahl, würde ich mich für das ältere Modell entscheiden – wobei mir die Tatsache entgegenkommt, dass ich bereits Besitzer eines originalen Fiat 1100 aus den 1960er Jahren bin, dessen kultivierter kopfgesteuerter Motor wie gesagt eine Vorkriegskonstruktion ist.

Mit nur 23 Pferdestärken statt deren 32 wie im 1100er war der 501 natürlich nicht annähernd so leichtfüßig zu bewegen. Doch seine Stärken entfaltete der langhubige Motor gerade auf hügeligen Strecken, wie sie in Italien überwiegen, und früh erlangte er legendären Ruf für astronomische Laufleistungen – die damals noch aufwendige Pflege vorausgesetzt.

So begegnet einem der Fiat 501 in allen Weltregionen – selbst im fernen Australien haben einige davon überlebt. Nun stand ich in Italien endlich vor einem Original und diese Entdeckung gehörte zu den schönsten, die ich auf zwei Rädern machen durfte.

Das war eigentlich schon alles, was ich Ihnen erzählen wollte. Beim nächsten Mal kehre ich wieder zum üblichen Muster der Besprechung historischer Fotos von Vorkriegswagen zurück.

Nur für den Fall, dass Sie den Autor noch einmal in Bewegung sehen wollen, habe ich ein kurzes Video meiner Ankunft in Foligno eingefügt…

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Mobile Waschanlage: Ein Plymouth von 1936

Sachen gab’s, die gibt’s nicht mehr – das könnte ein Motto meines Blogs sein, in dem es um weit mehr geht als nur um Vorkriegsautos auf alten Fotos.

Eigentlich ist die Beschäftigung mit dem Blech von einst auf ebenso altem Papier nur ein Vorwand, in der Welt von damals auf Entdeckungsreise zu gehen. Nicht etwa, weil alles besser war, ganz gewiss nicht.

Aber es gab nun einmal eine ganze Menge Dinge, die leider verloren sind. Ihnen nachzuforschen, bisweilen nachzutrauern, das ist ein Luxus, den man sich auch mit wenig Aufwand leisten kann.

Hier im Blog gibt es die Wunder aus längst vergangenen Tagen sogar frei Haus, zumindest für Sie, geschätzte Leser. Den größten Aufwand mussten ohnehin diejenigen treiben, an deren längst vergangenem Leben mit Automobilen wir heute teilhaben dürfen.

Nicht nur war der Besitz eines Autos außerhalb der USA, wo sich jeder Arbeiter eines leisten konnte, eine ziemlich teure Angelegenheit. Noch einmal exklusiver wurde es, wenn man damit zum Vergnügen auch noch ins Ausland reisen wollte.

Dass sich dennoch viele nicht davon abhalten ließen, wenigstens einmal im Leben mit dem eigenen Wagen beispielsweise die Alpen zu überwinden, um ins Sehnsuchtsland Italien zu gelangen, davon erzählen eine ganze Menge Bilder.

Heute haben wir es wieder mit so einem Fall zu tun – nebenbei lernen wir eine ingeniöse Lösung kennen, welche wir im 21. Jh. auch gut gebrauchen könnten, jedenfalls wenn der Sommer mal wieder heiß und trocken ist – also nicht dieses Jahr.

Die Rede ist von der im Titel bereits erwähnten mobilen Waschanlage. Dafür interessieren Sie sich vermutlich auch mehr als für den ebenfalls angekündigten Plymouth des Modelljahrs 1936, oder?

Doch bevor wir uns der mobilen Waschanlage nähern, wollen wir diesem Gewächs aus dem Hause Chrysler (nicht GM!) ebenfalls Gerechtigkeit zukommen lassen.

Für amerikanische Verhältnisse war das 6-Zylinder-Auto mit rund 80 PS Leistung aus 3,3 Litern Hubraum ein preisgünstiger Mittelklassewagen – rund eine halbe Million Exemplare wurden davon binnen eines Jahres verkauft.

Am europäischen Markt dagegen war man damit im Luxussegment unterwegs. Das galt selbst dann, wenn man sich nur für die Exportmotorisierung mit nur „2,8 Litern“ entschied. Allein die Liste der Extras für Komfort und Optik ist beeindruckend lang.

Solche US-Großserienwagen wurden von Leuten gekauft, die nicht an technischen Raffinessen interessiert waren, sondern ausgereifte, leistungsfähige Technik für ein langes Autoleben und komfortable Kilometerfresserei suchten.

Genau so ein Exemplar mit – wie ich vermute – Zulassung irgendwo in Nordeuropa begegnet uns nun im italienischen Städtchen Cernobbio am Comer See:

Plymouth, Modelljahr 1936; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dass wir es mit einem Plymouth zu tun haben, das zu ermitteln, erforderte eine gute Viertelstunde Recherche. Der markante Kühlergrill mit der lackierten mittigen Unterteilung verwies schon einmal auf ein US-Fabrikat um die Mitte der 1930er Jahre.

Sofern man die Lösung nicht gleich weiß, geht man einfach die gängigsten US-Marken jener Zeit durch, also etwa 20 an der Zahl, und sucht im Netz nach Fotos davon in Verbindung mit den Jahreszahlen von etwa 1934 bis 1937.

Oft ist schon meine US-Fotogalerie ausreichend, doch dieses Exemplar fehlte bislang dort – wie gesagt ein 1936er Plymouth. Hier haben wir ihn als Limousine in dunkler Lackierung und mit aufpreispflichtigen zwei Ersatzrädern – vielleicht ein Hinweis auf die Langstreckenambitionen des Besitzers und auf jeden Fall ein optischer Akzent.

Das war auch schon alles, was ich zu dem Auto erzählen will, denn interessanter ist der Ort, an dem es einst abgelichtet wurde. Der Plymouth befand sich nämlich direkt an einer mobilen Waschanlage, wie sie einem nach langer Urlaubsfahrt auch heute gewiss willkommen wäre.

Das glauben Sie nicht? Nun, ich biege mir hier schon manches so zurecht, wie es mir gefällt und blende bisweilen das eine oder andere aus, das mir nicht zusagt – aber im Großen und Ganzen halte ich mich an das, was auf diesen alten Zeugnissen zu sehen ist.

Also auch hier – aber schauen Sie selbst:

Plymouth, Modelljahr 1936; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die versprochene mobile Waschanlage wurde offensichtlich von der Gemeinde des Städtchens Cernobbio am Comer See betrieben.

Dort gibt es vor allem einige herrschaftliche Villen zu bewundern, von denen die Villa d’Este heute noch Schauplatz eines der exklusivsten Schönheitswettbewerbe für klassische Automobile überhaupt ist.

Dorthin hatte sich also unserer wackerer Plymouth von anno 1936 verirrt, als ihm der lokale Sprengwagen entgegenkam, der es freilich weniger auf verdreckte Autos abgesehen hatte als auf Straßen, auf denen es in trockenen Sommern den Staub zu binden galt.

Der Sprengmeister, dessen Gefährt noch von einem Pferd gezogen wurde, wirft einen interessierten Blick auf den modernen Wagen mit einem Vielfachen an Pferdestärken, bequemen Polstern und einem festen Dach über dem Kopf.

Was der Fotograf dieser Szene eher im Auge hatte – das exklusive US-Auto, die „mobile Waschanlage“ oder die Kombination aus beidem, das wissen wir nicht.

Leider lässt sich das auch mit einem Ortstermin nicht mehr feststellen, obwohl ich zufälligerweise morgen um diese Zeit ganz in der Nähe weilen werden – auf dem Weg zu einer speziellen Klassikerveranstaltung in Umbrien, die ausnahmsweise wenig mit Autos, dafür aber viel mit Stil und Freude an historischer Technik zu tun hat…

Gut eine Woche lang herrscht daher Funkstille im Blog, bevor ich heimkehre. Bis dahin findet ja jemand heraus, wo genau in Cernobbio dieses Foto entstand. Das wäre fast so ein Wunder wie die mobile Waschanlage…

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Spurensuche: Beckmann-Wagen (Folge 3: Wieder 1903)

Heute geht es weiter auf der im Juli begonnenen Suche nach Spuren der einst im schlesischen Breslau beheimateten Automarke Beckmann. In der letzten Folge waren wir bereits bei den ersten selbstkonstruierten Wagen mit bis zu 30 PS Leistung angelangt.

Eigentlich müssten wir das nächste Kapitel ab 1905 aufschlagen, in dem die Beckmann-Wagen immer mehr an Format gewannen.

Doch bei der Beschäftigung mit Vorkriegswagen muss man es im 21. Jahrhundert nicht eilig haben – die Epoche liegt bereits so weit zurück, dass man sich die eine oder andere Abweichung von der Chronologie leisten kann, wenn sich der Anlass dazu ergibt.

Nur zu gern lasse ich mich von der öden geraden Linie der Geschichtschreibung ablenken, vor allem dann, wenn ein Beinahe-Zeitzeuge und Nachkomme eines einstigen Autofabrikanten mich mit reizvollem Material versorgt.

Die Rede ist von Christian Börner, Urenkel des Gründers der Beckmann-Autowerke.

Er hat mir nicht nur das Material zu den beiden bisherigen Folgen dieser Spurensuche zur Verfügung gestellt. Ihm verdanke ich auch eine bemerkenswerte Rückblende in das Jahr 1903, in deren Mittelpunkt – unter anderem – ein Beckmann-Auto steht.

Heute soll Christian Börner selbst zu Worte kommen und zwar anhand dieses Fotos:

Beckmann-Wagen von 1903; Originalfoto aus Familienbesitz (Christian Börner)

„Wer sind diese drei Kinder? Welches Fahrzeugmodell ist das? Wann und wo ist das Foto entstanden?“ Das mögen Sie jetzt fragen.

Mein Name ist Christian Börner, und ich will es Ihnen erzählen.

Zunächst zu den Fahrzeuginsassen, oder eher Fahrzeug“auf“sassen: Das sind die drei Kinder des Fabrikbesitzers Paul Beckmann, meines Urgroßvaters.

Am Lenker sitzt etwas arrogant Otto (Jg. 1894), als wüsste er, dass er einst die Nachfolge seines Vaters antreten würde. Das war zwei Jahre nach dessen Tod im Jahr 1914 der Fall, als Otto volljährig und uneingeschränkt geschäftsfähig wurde. 

In der Mitte hat die 1896 geborene Erna Platz genommen, meine Großmutter. Sie schaut wenig begeistert drein, sie mochte das Autofahren ihr Leben lang nicht.

Anders verhielt es sich mit ihrer Schwester Ilse (Jg. 1898), die vis-a-vis sitzt und sich uns zuwendet. Man sieht es ihr noch nicht an, aber sie sollte später als Sportfahrerin auf Beckmann Karriere machen.

Was lässt sich zu der abgebildeten Voiturette sagen?

Nun, es handelt sich um die seitlich offene Version (Beckmann-Modell XIV), deren Produktion 1901 begann und 1903 endete. Aber ich kann es noch genauer sagen. Hier sehen wir die erste Version mit senkrechter Lenksäule und Hebel. Denn ab 1902 gab es eine schrägstehende Lenksäule mit Lenkrad.

Diese Aufnahme stammt von 1903 und zählt zu den drei Fotos, welche die Frauen meiner Familie bei ihrer Flucht aus Breslau im Januar 1945 als einziges „Erbe“ retten konnten.

Meine schon erwähnte Großmutter und ihre Tochter Ursula hatten wichtigeres Fluchtgepäck mitzuschleppen und vor dem Erfrieren zu bewahren – den ein halbes Jahr alten Enkel Christian. Ihnen ist es zu verdanken, dass Sie heute meine Zeilen lesen können.“

Soweit Christian Börner im O-Ton.

Er weiß auch augenzwinkernd zu berichten, dass die Beckmann-Wagen die ersten mit Sicherheitsgurt waren. Wenn Paul Beckmann seine Kinder auf dem Automobil umherkutschierte, sicherte er sie nämlich mit Ledergurten davor, beim Bremsen oder in scharfen Kurven aus dem Wagen zu fallen. 

Gefällt Ihnen diese persönliche Rückschau in Sachen Beckmann, die Sie wohl nirgends anders finden?

Dann schauen Sie zur Mitte des nächsten Monats wieder in meinen Blog, wenn die nächste Folge ansteht. Aber gern auch vorher – es gibt ja soviel zu erzählen…

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Taugt doch für etwas! Hanomag 2/10 PS Limousine

Um es vorwegzunehmen: Der erste Hanomag-PKW, welchen der Maschinenbauer aus Hannover von 1925-28 baute – das Modell 2/10 PS – dieses Minimalgefährt und ich werden gewiss keine Freunde mehr.

Zu weit entfernt war dieses vermeintliche Volksmobil von echten Entwürfen für den Alltagsbedarf, wie sie in den frühen 1920er Jahren längst existierten: In den Staaten der Ford T, in England der Austin 7, in Frankreich der Citroen 5CV und in Italien der Fiat 501.

Nur in Deutschland meinte man, mit etwas Besonderem aufwarten zu müssen. So ließ sich Hanomag auf die Bastelei eines gewissen Fidelis Böhler ein, die konsequent am Massenmarkt vorbeikonstruiert war: lauter Einzylindermotor mit Motorradleistung, kein elektrischer Anlasser, kein Platz für eine Familie mit Kindern.

Die in der Literatur mangels anderer Qualitäten bemüht betonten Novitäten wie etwa die noch ungewohnte Pontonkarosserie machten keinen der genannten Praxismängel wett.

Oft heißt es, der Hanomag 2/10 PS sei „seiner Zeit zu weit voraus“ gewesen oder „von den Käufern nicht verstanden worden“. Das erinnert an die Entschuldigungen, welche heute bei einer radikal an der Realität vorbeiregierenden Politik vorgebracht werden.

Seien wir ehrlich: Außer kinderlosen Avantgardisten konnte doch kein Normalbürger damals ernsthaft Begeisterung für diese komische Kiste mit kulturlosem Krachantrieb aufbringen – wenn nicht gerade eine junge Dame darauf herumturnte:

Hanomag 2/10 PS Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ungeachtet meiner grundsätzlichen Geringschätzung dieses Sackgassengefährts möchte ich heute dennoch Gnade walten lassen, denn ich habe festgestellt, dass der Hanomag 2/10 PS doch für etwas taugte – außer seinen Besitzern das befriedigende Gefühl zu geben, den verständnislosen Mitbürgern ihren exklusiven Geschmack vorführen zu können.

So bot er in Gestalt der Limousine die formidable Möglichkeit, das Dach nicht nur von vorn – wie oben – sondern ebenso leicht auch von hinten zu erklimmen und sich dort zumindest zeitweise im Luftreich der Illusion aufzuhalten.

Im besten Fall war das Resultat dann so erbaulich wie auf der folgende Aufnahme:

Hanomag 2/10 PS Limousine; Oiginalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier ist fast nur am Ersatzrad und am Fehlen des mittigen Scheinwerfers zu erkennen, dass wir den Hanomag diesmal von hinten betrachten.

Die Idee, ein Auto von vorn wie von hinten nahezu identisch zu gestalten – siehe den unsäglichen Zündapp „Janus“ – empfand ich schon immer als eine Beleidigung des Betrachters, der bei einem dermaßen teuren Gegenstand wie einem Automobil zurecht etwas Bemühen um eine einfallsreiche Form erwarten darf.

Doch heute ist mir das beinahe egal, denn die Aufnahmesituation versöhnt mich diesmal mit diesem automobilen Machwerk. Ja, der Hanomag 2/10 PS taugt doch für etwas!

Ich bilde mir ein, dass die charmante Dame auf dem Dach des Wägelchens sich einfach köstlich über selbigen amüsiert hat, als sie solchermaßen abgelichtet wurde:

Der Kontrast zwischen ihrem reizvollen Erscheinungsbild und der Blechkiste unter ihr könnte kaum größer sein. Selbst der Glanz ihrer Stiefel stellt den Lack des Hanomag mühelos in den Schatten, von anderen Ansehnlichkeiten ganz zu schweigen.

Mir ist bewusst, dass ich mit meinem schroffen Urteil über den Hanomag 2/10 PS auf Widerspruch einiger Verehrer des „rasenden Kohlenkastens“ stoße.

Doch abweichende Ansichten muss man aushalten und Kritik auch sportlich nehmen können. Das ist im wirklichen Leben nicht anders und gegebenenfalls unüberbrückbare Meinungsdifferenzen gehören auch bei letztlich banalen Themen wie Vorkriegsautos dazu.

Rede und Gegenrede – gern auch engagiert und zugespitzt – sind die Vorausetzung jedes argumentativen Austauschs und so sind mir auch ganz andere Sichtweisen willkommen. Wer also dem Hanomag 2/10 PS auch ohne weibliche „Besatzung“ vorteilhafte Seiten abgewinnen kann, möge das im Kommentarteil tun.

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Lehrstück für hoffnungslose Fälle: Faun 6/24 PS Tourer

In der Vorkriegszeit gab es viele tausend Automarken, vor allem in Frankreich, England und den USA – weniger im deutschsprachigen Raum. Doch auch hierzulande existierte eine große Zahl an Nischenherstellern, denen meist ein kurzes Dasein beschieden war.

Diese Kleinserienfahrzeuge haben naturgemäß nicht allzuviele Spuren hinterlassen und leider sind die meisten Marken der dritten und vierten Reihe bis heute nicht aufgearbeitet.

Mangels Literatur ist man als engagierter Laie – als solchen betrachte ich mich in Abgrenzung zu den „echten“ Automobilhistorikern – häufig genug auf die eigene Intuition und vor allem Erfahrung angewiesen, wenn es um die Identifikation eines Exoten geht.

Ein Beispiel dafür möchte ich heute anhand eines Fotos aus meiner Sammlung vorstellen und dabei Hinweise geben, wie man selbst vermeintlich hoffnungslosen Fällen bisweilen auf die Spur kommt.

Als Anschauungsmaterial dient dabei diese Aufnahme eines auf den ersten Blick völlig beliebigen Tourenwagens:

Faun Typ K2 6/24 PS Tourer; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Versetzen wir uns in die Perspektive eines Novizen auf dem Gebiet der Identifikation historischer PKW.

Vermutlich wird jeder noch so unbeleckte Zeitgenosse dieses Gefährt irgendwo in der Vorkriegszeit verorten. Man kennt ja noch die Aufnahmen der ersten Autos von Eltern und ggf. Großeltern – die sahen allesamt anders aus.

Das Hauptmerkmal dieser Andersartigkeit ist die Gestaltung der Kotflügel. Sind sie noch vom eigentlichen Karosseriekörper losgelöst und ist ein belastbares echtes Trittbrett vorhanden, dann hat man es sicher mit einer Vorkriegskonstruktion zu tun.

Einen wichtigen Datierungshinweis liefert dann bei Vorkriegsautos das Vorhandensein von Vorderradbremsen. Natürlich gab es die bei einigen Premiumwagen schon kurz nach dem 1. Weltkrieg, doch allgemein lässt sich sagen, dass sie erst ab 1925 Standard wurden.

Demnach dürfen wir den Tourer auf dem eingangs gezeigten Foto sicher in der Zeit vor Mitte der 1920er Jahre verorten – denn am Vorderrad sind keine Bremstrommeln zu sehen:

Übrigens ist auch der gerade – nicht der Radform folgende Verlauf des Vorderkotflügels typisch für eher frühere Automobile.

Das nächste bei der Datierung hilfreiche Element ist hier leider nicht sichtbar – gemeint sind die Frontscheinwerfer. Allgemein wurden an Neuwagen nach dem 1. Weltkrieg keine Gasscheinwerfer mehr montiert – es gab Ausnahmen nur in der Kleinstwagenklasse.

Zumindest optional finden sich elektrische Scheinwerfer bei deutschen Fabrikaten ab 1913. weshalb dieses Detail oft bei der zeitlichen Einordnung hilft. Doch ersatzweise können wir uns auf ein anderes Element stützen – die Linie von Motorhaube und dem dahinterliegenden Windlauf, also dem Blech direkt vor der Windschutzscheibe.

Ebenfalls erst ab 1913/14 begannen diese beiden Bauteile einen waagerechten Verlauf anzunehmen wie bei dem Wagen auf dem heute vorgestellten Foto.

Damit wären wir bei einer gut 10-jährigen Spanne, innerhalb dieser Wagen aus rein formaler Sicht hätte entstanden sein können. Das ist für damalige Verhältnisse, als eine Autogeneration nur rund fünf Jahre umfasste, natürlich entschieden zuviel.

Bevor wir nach weiteren Hinweisen Ausschau halten, prägen Sie sich bitte ein scheinbar unwesentliches Detail auf dem zuletzt gezeigten Bildausschnitt ein – die vier kleinen Luftschlitze in der Motorhaube und die dahinter im Windlauf etwas höher angebrachte Klappe, welche der Belüftung des Innenraums diente.

Jetzt schauen wir, ob uns das Foto mehr über die Entstehungszeit dieses Tourers verrät. Tatsächlich werden wir fündig, und zwar in Gestalt des Fahrers:

Die sportliche Schiebermütze werte ich als modischen Hinweis auf die 1920er Jahre.

Auch das Fehlen von Schnurrbärten bei Männern jüngeren bis mittleren Alters ist nach meiner Erfahrung ein Indiz dafür, dass man es mit einer Aufnahme aus der Zeit nach dem 1. Weltkrieg zu tun hat.

Somit würde ich die Situation und tendenziell auch das Auto irgendwo in der ersten Hälfte der 1920er Jahre verorten.

Um auf Grundlage dieser These den Wagen genau ansprechen zu können, bedarf es eines großen Fundus an Automobilfotos jener Zeit. Ich empfehle ganz unbescheiden die Markengalerien in meinem Blog – denn mehr solcher Dokumente findet man sinnvoll geordnet schwerlich so einfach und kostenlos.

Warum auf ein solches Online-Museum mit Schwerpunkt auf dem deutschsprachigen Raum sonst keiner gekommen ist, weiß ich nicht. Vielleicht ist es die „German Angst“ vor dem Nicht-Fertig-Werden, welche unser Land auch sonst zunehmend lähmt und international (verdientermaßen) der Lächerlichkeit preisgibt.

Die Mühe der eigenen Recherche in meinem Fundus erspare ich Ihnen diesmal und präsentiere Ihnen die relevanten Vergleichsstücke selbst. Hier haben wir einen sehr ähnlichen Tourer, wie ihn die Nürnberger Faun-Werke um 1925 bauten:

Faun Typ K2 6/24 PS; Originalreklame von 1925 aus Sammlung Michael Schlenger

Von den Drahtspeichenrädern und der anders gestalteten Tür abgesehen ist das doch ein ziemlich ähnliches Fahrzeug, oder?

Vor allem die Motorhaube mit den vier kleinen Luftschlitzen ist ein starkes Indiz, dafür dass wir es mit einem solchen Faun Typ K2 6/24 PS zu tun haben.

Weiteren Auschluss liefert die folgende Aufnahme eines solchen Faun von ca. anno 1925 in Form der ansatzweise erkennbaren Luftklappe hinter der Motorhaube:

Faun 6/24 PS Limousine; Originlfoto: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Der leicht spitz zulaufende Kühler ist hier ein Hinweis auf die frühe Ausführung des wohl erst ab 1924 in Serie gebauten Faun 6/24 PS.

Ab 1925 scheint man zu dem dann gängigen Flachkühler übergegangen zu sein.

Diesen sehen wir auf einer weiteren Aufnahme in Kombination mit Stahlspeichenrädern genau in der Gestaltungsweise wie bei dem Wagen auf dem heutigen Rätselfoto:

Faun Typ K2 6/24 PS von 1925; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier „passt“ nun auf einmal auch die Form der Tür – die mittig gepfeilte, schrägstehende Frontscheibe scheint ebenfalls identisch zu sein.

Nach Lage der Dinge dürfte es sich beim eingangs gezeigten Tourenwagen um einen Faun des Typs K2 6/24 PS von 1924/25 gehandelt haben. Weiter wird sich die Identität des Autos nicht eingrenzen lassen, doch genauer ist das bei einem „Faun“ auch kaum zu erwarten.

Diese Kleinserienautos konnten sich auch bei gleichem Baujahr im Detail erheblich unterscheiden, da sie in Manufaktur entstanden und der Hersteller selbst selten die komplette Karosserie fertigte.

So erweist sich am Ende ein scheinbar hoffnungsloser Fall von Autofoto doch zumindest als geeignetes Lehrstück für den gelehrigen Schüler im Fach der frühen Fahrzeugkunde.

Damit verknüpfe ich die Hoffnung, dass mancher Sammlerkollege in seinem Fundus doch noch das eine oder andere Faun-Erfolgserlebnis hat und es mit uns teilt…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Nachklang der 1920er Jahre: Peugeot 201B Coupé

Vor 90 Jahren zeichnete sich nicht nur in Deutschland mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten eine neue Zeit ab. Dass nichts bleiben sollte, wie es war, das war auch auf einem damals noch unpolitischen Gebiet zu beobachten – dem Automobildesign.

Den formal wohl modernsten Wagen jener Zeit fabrizierte nicht die meiner Meinung nach – von isolierten Spitzenleistungen abgesehen – überschätzte deutsche Autoindustrie, sondern ein US-Hersteller der zweiten Reihe: Graham aus Dearborn (Michigan).

Mit dem hochdynamisch gestalteten Modell „Blue Streak“ kam 1933 ein Wagen auf den Markt, der Schluss machte mit der meist kastigen Optik der zweiten Hälfte der 1920er Jahre.

Diesen Wagen habe ich hier schon einmal vorgestellt. Zur Erinnerung die Aufnahme eines einst in Berlin zugelassenen Exemplars – einige Zeitgenossen hatten dort offenbar noch ein gesundes, d.h. von ideologischen Störungen ungetrübtes Verhältnis zum Automobil:

Graham „Blue Streak“ von 1933; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Nach dieser gestalterischen Großtat konnte keiner mehr so weitermachen wie bisher und rollende Schuhkartons mit vertikalem Kühler auf den Markt werfen.

Eine der Marken, welche als erste in Europa mit einer Designoffensive reagierten, war Peugeot. Die Franzosen sollten in den Jahren darauf zu einzigartiger Form auflaufen – jedenfalls die schöne Hülle betreffend.

Wie groß der Kontrast zwischen dem vom obigen US-Vorbild geprägten Peugeot 201 ab 1934 und den bis 1933 gebauten Ausführungen desselben Typs war, will ich heute zeigen.

Dass es dabei quasi zurück in der Zeit geht, stört hoffentlich nicht. Ich finde, das macht die Sache noch reizvoller, außerdem drängt sich dieses Vorgehen förmlich auf.

Beginnen wir kurz nach dem, Ende des 2. Weltkriegs im nun wieder zu Frankreich gehörenden Straßburg. Vor der ehrfurchtgebietenden Kulisse des Kammerzellhaus aus dem 15.-16. Jahrhundert, welches bis heute existiert, steht ein Peugeot 201 von 1934/35:

Peugeot 201D von 1934/35; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Meine Leser wissen, dass ich das Automobil für die bedeutendste Zivilisationsleistung der Neuzeit halte. Aber die technische und vor allem formale Kompetenz unserer Vorfahren aus der vorindustriellen Zeit nötigt mir noch größeren Respekt ab.

Diese grandiose Schöpfung von Planern und Handwerkern vor fast 500 Jahren stellt mühelos das vorwiegend mit Maschinen geschaffene kleine Blechgebilde davor in den Schatten. Solche Demut vor dem enormen Können und Wollen im damaligen Europa muss sein.

Gleichwohl gilt es heute, einer anderen Sache gerecht zu werden. Also schärfen wir den Blick und nehmen das im Jahr 1467 entstandene Sockelgeschoss in den Fokus – denn so haben wir den Peugeot 201 von 1934/35 genau im Blick:

Technisch war der 1929 eingeführte Peugeot mit seinem 1,1 Liter „großen“ und rund 23 PS leistenden Vierzylindermotor vollkommen unauffällig.

Doch in dieser Klasse bot damals kein anderer europäischer Hersteller eine derartig lebendig wirkende Karosserie voller Spannung – sie wirkt schon im Stand in Bewegung befindlich.

Die Erklärung für diese Wirkung ist einfach: Die Karosserie meidet die öde Gerade, wo es geht, sie ist ein spannungsreiches Spiel aus Kurven, Schwüngen und Rundungen.

Noch radikaler sollte Peugeot dies beim Nachfolgetyp 202 umsetzen, der mit dem großen Schwestermodell 302/402 zu den Höhepunkten der Peugeot-Automobilgeschichte zählt.

Wie es der Zufall will, ist am rechten Rand des obigen Fotos das verkleidete Hinterrad eines dieser vom Chrsyler Airflow beeinflussten Peugeot-Typen abgebildet.

Haben Sie’s gesehen? Dann sind Sie jetzt bereit dafür:

Peugeot 302 oder 402; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ist das nicht eine Skulptur auf Rädern? Für mich sind diese 02er Peugeots jedenfalls wahre Kunstwerke gemessen an dem, was in der Neuzeit von irgendwelchen sich kreativ wähnenden Zeitgenossen zurechtgeknetet wird.

Doch ich schweife schon wieder ab, eigentlich wollten wir doch in der Zeit zurückreisen!

Also: Die formal avancierten Peugeot-Modelle 201 und 202-402 der fortgeschrittenen 1930er Jahren haben wir bereits angerissen. Wie war das nun mit dem „Nachklang der 1920er Jahre“?

Genau den will ich nach dieser Herleitung (oder besser: Umleitung) präsentieren. Noch im Jahr des Erscheinens des alles Dagewesene in den Schatten stellenden Graham „Blue Streak“, 1933, baute Peugeot nämlich erst einmal unverdrossen seinen alten 201 weiter.

Und der sah beileibe nicht annähernd so elegant-dynamisch aus wie die gezeigten Ausführungen von 1934/35, sondern waren noch ganz der Gestaltungslogik der ausgehenden 1920er Jahre verhaftet.

Daher seien Sie nicht enttäuscht, wenn ich nun den Peugeot 201 im strengen Kleid zeige, welches noch auf sein Einführungsjahr 1929 verweist. Das entsprechende Foto ist dennoch ein hübsches Dokument der Eintracht von Mensch, Maschine und Natur:

Peugeot 201; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wären da nicht die seitlichen Luftklappen in der Motorhaube, würde man diesen Peugeot des Typs 201 auf 1929 und nicht auf 1933 datieren, als selbige anstelle von Luftschlitzen verbaut wurden.

Es fällt schwer zu glauben, dass dieses Coupé irgendetwas mit dem eingangs gezeigten Peugeot 201 oder gar dem stromlinienförmig gestalteten Nachfolger 202 zu tun hat.

Doch tatsächlich haben wir es mit technisch gesehen engen Verwandten zu tun. Bloß war der hübsche Zweisitzer, der mitsamt Beifahrerin verewigt wurde, formal noch in fast jeder Hinsicht eine Kreation der 1920er Jahre.

Das macht die Aufnahme so interessant – denn wir Nachgeborenen sehen dieses Fahrzeug und die Menschen, die einst mit ihm unterwegs waren, bereits aus der Perspektive der 1930er Jahre und der sich darin anbahnenden Zivilisationsbrüche.

Die junge Französin, die uns hier so nachdenklich anschaut, stand im Moment der Aufnahme an einem Wendepunkt der europäischen Geschichte. Das konnte sie nicht ahnen, doch wir Nachgeborenen können mit unserem Wissen anders auf diese Dokumente schauen, die oft genug weit mehr sind als bloß irgendwelche alten Autofotos…

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Wieder neu beleuchtet: Tourenwagen von „Helios“

Moment einmal, werden mit solider Kenntnis antiker Mythologie ausgestattete Zeitgenossen angesichts der Überschrift denken: Helios fuhr doch keinen Tourenwagen, sondern ein Gespann mit vier Pferden, jedenfalls als Geschäftsfahrzeug.

Der Sonnengott der alten Griechen hatte nämlich die Aufgabe, mit seinem Gefährt das Tagesgestirn über den Himmel zu transportieren. Ihm voraus ging seine Schwester Eos, die für die Morgenröte zuständig war – die andere Schwester, Selene, folgte ihm mit etwas Abstand, denn sie verkörperte den Mond.

Die vom Menschen erlebte und empfundene Welt solchermaßen als von göttlichen Kräften belebt zu beschreiben und diese zugleich als unvollkommene Wesen mit menschlichen Eigenschaften darzustellen, diese Sicht auf die Dinge war mir stets sympatisch.

So heiße ich die Sonne – wenn sie sich uns denn zeigt, wie in diesem prächtigen Nachsommer – gern persönlich willkommen und werfe ihr andernfalls ihre Versäumnisse vor.

Dass die bloße Anrufung der Sonne kein Garant dafür ist, dass sie sich zuverlässig zeigt, diese Erfahrung hätte schon die Kölner Industriewerke und die Delfosse Motorenfabrik GmbH skeptisch stimmen sollen, als sie in der gemeinsam gegründeten “Helios”-Automobilbau AG ab 1924 Kleinwagen unter diesem vordergründig glänzenden Namen bauen ließ.

Erstmals ist uns der Kölsche „Sonnenwagen“ hier im Blog in Form dieses markant gestalteten Exemplars mit Lieferwagenaufbau begegnet:

Helios Kleinwagen; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Tatsächlich war dem Helios wie unzähligen anderen deutschen Wagen dieser Klasse mangels Nachfrage keine große Laufbahn beschieden, schon 1926 ging ein für allemal das Licht aus für die Marke.

Doch für uns Verehrer dieser alten Vehikel hat Helios noch einmal die Pferde angespannt und uns den Gefallen einer abermaligen Fahrt über’s Erdenrund getan – das Beweisfoto dafür lieferte mir Sammler und Leser Jörg Pielmann.

Es zeigt diesmal die Tourenwagenausführung, die der Standardaufbau beim Helios gewesen sein dürfte, schlicht weil sie am preisgünstigsten war. Ohne das zuvor von Leser Klaas Dierks bereitgestellte Foto hätte ich dieses Exemplar aber nicht so leicht identifiziert:

Helios Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Jörg Pielmann

Im Vergleich kann man gut erkennen, dass die Lieferwagenvariante auf dem Tourer basierte, lediglich die Frontscheibe war höher und der Scheibenrahmen stand senkrecht.

Kleine Unterschiede wie das Vorhandensein oder Fehlen von Ersatzrad, Scheinwerferstange oder Werkzeugkasten auf dem Trittbrett spiegeln lediglich Ausstattungsvarianten wider – davon abgesehen sind die Wagen identisch.

Dass die Wirkung dennoch so unterschiedlich ist, das ist nicht nur dem unterschiedlichen Aufbau hinter der Windschutzscheibe geschuldet – auch die Belebtheit der Szene auf dem zweiten Foto lässt den dort abgebildeten Wagen dynamischer erscheinen.

Beinahe meint man, dass Helios hier kurz für seine Bewunderer angehalten hat und schon im nächsten Moment unbeirrt seine Bahn weiterverfolgen wird. Leider fällt mir zu den Personen in dem Tourer bzw. daneben nichts ein, was sie in Verbindung mit der griechischen Mythologie bringen würde.

Dafür kann ich aber noch zwei weitere Dinge zum Thema Helios und Automobil beisteuern: So ist wissenswert, dass die alten Griechen dem Helios einen Sohn zusprachen, der auf den Namen Phaeton hörte – das war die ursprüngliche Bezeichnung von Tourenwagen!

So lässt sich die komplexe Götterwelt der Antike doch viel leichter begreifen als in der Schule, sofern diese dort überhaupt noch ein Thema war – in meinem hessischen Gymnasium war schon in den 1980er Jahren eher Marxismus als Bildungsgut angesagt.

Hier pflegen wir zum Glück immer schön das automobile Erbe, das mindestens so spannend ist wie die wunderbare Welt der Göttter und Halbgötter der Antike. Während dort die Geschichte – leider – abgeschlossen ist, gibt es in Sachen Vorkriegsautos immer noch Neues zu entdecken, und zwar auch Helios betreffend:

Helios-Reklame, 1900-1905; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Offenbar machte Helios schon früher die Gegend mit einem Phaeton unsicher, denn diese Anzeige müsste bereits kurz nach der Jahrhundertwende publiziert worden sein.

Mit der Kölner Helios-Autofabrik hatte dieser deutsch-österreichische Hersteller nichts zu tun. Zumindest konnte ich ihn im Standardwerk „Österreichische Kraftfahrzeuge“ von Seper/Krackowizer/ Brusatti (1982) nicht finden.

Wer etwas zur Geschichte dieses bis dato unbekannten Helios weiß, auch wenn sich keine Verbindung zur Götterwelt der alten Griechen herstellen lässt, möge uns im Kommentarteil erleuchten!

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Na so was! Mobiler Blumenladen: Simson So 8/40 PS

Der Titel meiner heutigen Betrachtung ist aus der Not geboren. Etwas Besseres ist mir spontan nicht eingefallen, und auf die Überschrift ver(sch)wende ich normalerweise nur ein paar Sekunden. Geistesblitze stellen sich entweder sofort ein oder nicht.

So ist es also diesmal ein „mobiler Blumenladen“, den ich Ihnen heute nahebringen will. Ganz abwegig erscheint dies schon deshalb nicht, weil diejenigen, welche es sich leisten konnten, sich auch vor 100 Jahren schon alles Mögliche ins Haus liefern lassen konnten.

Das geschah zunehmend mit dem Lieferwagen, bisweilen aber auch mit einem für eine ansprechende Warenpräsentation besser geeigneten Auto mit offenem Tourenaufbau.

Das folgende Beispiel verdanke ich Leser Matthias Schmidt (Dresden), und er teilte mir auch mit, dass der Originalabzug mit dem Vermerk „Berlin, Juni 1929“ versehen ist:

Simson „Supra“ Typ So 8/40 PS; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Wer sein Leben nicht nur von Notwendigkeiten geleitet gestaltet – solche Zeitgenossen gibt es auch oberhalb der Armutsgrenze – der hat nicht nur ein Herz für den großen Freiheitsbeförderer in Form des Automobils, sondern schätzt auch die Gaben der Natur.

So verbinden sich auf dieser Aufnahme beide Welten vorzüglich – die Sphäre der unauffällig funktionierenden Technik und die Magie der opulenten Farbe und Form, wie sie sich uns in Gestalt blühender Pflanzen zweckfrei zum reinen Plaisir präsentiert.

Mindestens ein Leser dieses Blogs vereint in seiner Vita dieses Nebeneinander in kaum zu übertreffender Form: einst erfolgreicher Blumenhändler und bis heute leidenschaftlicher Liebhaber des alten Blechs. Ihm sollte dieser Transporter also besondere Freude bereiten.

Aber was war das überhaupt für ein Automobil, das uns hier so wundersam belebt begegnet? Die Antwort liefert wie so oft bei Vorkriegsmodellen die Frontpartie:

Lassen Sie sich nicht von dem Blick der jungen Dame ablenken, welche hier vorgibt, den Motor des Wagens mit der Anlasserkurbel zu starten. Solches war bei hochwertigen Wagen ab 1920 kaum mehr notwendig, wenn nicht gerade die Batterie streikte.

Der professionelle Blick fokussiert sich auf die Gestaltung der Kühlerpartie mit dem vorkragenden Einfüllstutzen und der Motorhaube mit den auffallend schmalen und hohen Luftschlitzen sowie der umlaufenden Nietenreihe. Kommt Ihnen das nicht bekannt vor?

Nein? Dann beginnen wir zu Schulungszwecken zunächst mit dieser Reklame von 1927:

Simson-Reklame von 1927; Original aus Sammlung Michael Schlenger

So bewarb der thüringische Nischenhersteller Simson sein von 1925 bis 1928 gebautes Modell So 8/40 PS – eine „zivile“ Variante des Sportwagentyps Supra Typ S 8/50 PS.

Das 2-Liter-Aggregat verfügte über eine moderne Ventilsteuerung mittels obenliegender Nockenwelle, welche wiederum direkt über eine Königswelle (nicht über eine Kette oder Stirnräder) angetrieben wurde. Das sollte bis in die Nachkriegszeit die Ausnahme bleiben.

Der Tourer in der Anzeige sieht unserem Blumenlieferwagen doch schon ziemlich ähnlich, nicht wahr? Die eigentümliche Gestaltung des Kühlwassereinfüllstutzens – ich liebe diese aneinandergekoppelten deutschen Wörter – ist absolut typisch.

Auch die Gestaltung der Luftschlitze in der Haube, die Vierradbremsen und die Form der Türen mit darunterliegenden Trittschutzblechen sind identisch.

Der Fall ist klar: Auch dieser Simson war ein Typ So 8/40PS mit Tourenwagenaufbau, der aus unerfindlichen Gründen „Karlsruhe“ hieß. Mit diesem Modell habe ich mich – nicht zuletzt dank Matthias Schmidt – schon wiederholt befasst (siehe hier).

Drei Jahre ist das schon wieder her – meine Güte, wie rast die Zeit.

Wie so ein Simson des Typs So 8/40 PS aus der besonders vorteilhaften Perspektive „schräg von vorne“ aussah, das kann ich dank des Beitrags eines weiteren Lesers mit großem Fundus und gutem Gespür zeigen:

Simson So 8/40 PS mit Tourenwagfenaufbau „Karlsruhe“; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Die digitale Kopie dieser hervorragenden Originalaufnahme hat mir Klaas Dierks zur Verfügung gestellt – er ist zusammen mit Matthias Schmidt, Jörg Pielmann, Marcus Bengsch, Gottfried Müller und Volker Wissemann eine maßgebliche Stütze dieses Blogs.

So viel Zeit muss sein, auch wenn es eigentlich um den Simson So 8/40 PS geht.

Mir bereitet diese unkomplizierte und fruchtbare Form der Zusammenarbeit großes Vergnügen. Ihnen auch? Na dann schauen Sie doch einmal, was sich in ihrer Sammlung oder Ihrem Familienalbum vielleicht an schönen Dingen verbirgt. Her damit, bitte!

Sie wissen: Mir geht es nicht immer um die großen Sensationen – auch wenn die hier ebenfalls einen Platz haben – mir genügt auch eine scheinbar banale Erkenntnis an wie diese: „Schau an: Ein Simson So 8/40 PS als Blumentransporter. Na so was!“

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Gestern und heute: Ein „Terraplane“ von 1934

Kürzlich schrieb mir ein Leser, aus dessen Familienalbum wir bereits einige Schätze bewundern durften, dies: „Ich muss mich von all dem Wahnsinn, der uns umgibt, mit Ahnenforschung und alten Automobilen ablenken.“

Die Einstellung ist mir sympathisch, wobei ich schon länger der Auffassung bin, dass über 2500 Jahre europäische Kulturgeschichte bereits rein statistisch mehr Großartiges und Interessantes hervorgebracht haben müssen als unser kleines Hier und Jetzt.

Dass man dennoch zwischen Gestern und Heute ganz selbstverständlich eine Balance finden kann, mit der es sich vorzüglich leben lässt, das kann ich leicht beweisen.

Beginnen wir mit dem Gestern. Dazu reisen wir knapp 90 Jahre zurück ins Jahr 1934. Damals brachte einer der wenigen unabhängig gebliebenen US-Automobilbauer – Hudson aus Detroit – eine Neuauflage seiner Untermarke „Terraplane“ heraus.

Der Terraplane – mit „Landflieger“ zu übersetzen – war ursprünglich eine leistungsgesteigerte Version des „Essex“ – einer auch in Europa präsenten Marke von Hudson.

Mit seiner Höchstgeschwindigkeit von über 120 km/h war der Sechszylinder-Wagen einer der schnellsten in der preiswerten US-Mittelklasse und entsprechend erfolgreich. Das brachte Hudson auf die Idee, das Modell nur noch als „Terraplane“ zu vermarkten.

Wie schon im Fall des braveren „Essex“, auf dem er technisch basierte, stieß der „Terraplane“ auch in Europa auf Kaufinteresse. Ein Beispiel dafür zeigt folgende Aufnahme:

Terraplane von 1934; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die beiden Damen posieren hier gut aufgelegt vor einem Wagen mit markant gestaltetem Kühlergrill, zwei Hupenhörnern und einer mittig nach unten geschwungenen Stoßstange.

Ich hatte das Foto für kleines Geld erworben, weil mir die Situation gefiel und ich ahnte, dass dies ein Terraplane von 1934 ist – so einen Kühler hatte damals kein anderer Wagen.

Zudem war das Fahrzeug am Nummernschild erkennbar in Deutschland zugelassen und das zu einer Zeit, in der die nationalen Sozialisten das Land binnen kürzester Zeit in eine Gesinnungsdiktatur und Planwirtschaft verwandelt hatten.

Dummerweise brauchte es dafür nicht einmal eine Wahlmehrheit in der Bevölkerung, wie wir wissen. So kann es nicht verwundern, dass es auch weiterhin „Volksgenossen“ gab, die sich beim Autokauf nicht von der Berliner Propaganda beeinflussen ließen.

Um in Deutschland 1934 einen amerikanischen „Terraplane“ zu kaufen, musste man schon natürliche Immunität gegen autoritäre Anmaßung und den Herdentrieb haben. Jedenfalls gefällt mir der Gedanke, dass es auch im Gestern immer Geistesverwandte gab, die schlicht das taten, was sie für richtig hielten, soweit es ging.

Soviel zum Gestern – mehr weiß ich leider nicht zu diesem hübschen Schnipsel Geschichte, das in meiner Fotosammlung gelandet ist.

Wie bekomme ich nun den Bogen zum Heute hin? Nun, liebe Leser, das ist ganz einfach. Man muss bloß zur besten Oldtimeraustellung im Westen der Republik fahren – der Classic Gala im Schlosspark Schwetzingen in der Nähe von Heidelberg.

Nachdem es die Classic Days auf Schloss Dyck leider nicht mehr gibt, ist der herrliche Park des Schwetzinger Barockschlosses nicht nur für mich „der“ Sehnsuchtsort, was die Präsentation automobiler Klassiker in einem wahrhaft würdigen Ambiente angeht.

Traditionell wird dort die gesamte Autogeschichte in allen ihren faszinierenden Facetten vor grandioser Kulisse, in entspannter Atmosphäre mit vielen gut gelaunten Menschen präsentiert – nebenbei zu einem Eintrittspreis, den sich jeder leisten kann.

Ich war über die Jahre schon öfters bei der Classic Gala in Schwetzingen, doch jedes Mal bin ich begeistert, welche hochkarätigen Fahrzeuge die Veranstalter neben populären Klassikern aus über 130 Jahren Automobilgeschichte gewinnen können.

So war das auch heute wieder – und das verbunden mit dem diesen Sommer schmerzlich vermissten Sonnenschein und angenehm warmen Temperaturen.

Ich war schon auf dem Weg zum Ausgang, als ich mich plötzlich an das eingangs gezeigte Foto erinnert fühlte:

Terraplane Modelljahr 1934 bei der Classic Gala Schwetzingen 2023; Bildrechte: Michael Schlenger

„Das ist ein Terraplane“, sagte ich zu meiner Begleiterin, der der Wagen ebenfalls aufgefallen war und die nun wissen wollte, worum es sich handelte, zumal das Auto in Heidelberg zugelassen war, wo sie einst studiert hatte.

Ja, es gibt Unterschiede zu dem Terraplane auf dem Foto aus den 1930er Jahren. So fehlen die Hörner unterhalb der Scheinwerfer und das Kühleremblem ist anders angebracht.

Doch der Grill mit den nach unten zusammenlaufenden Streben ist derselbe und den gab es so wirklich nur beim Terraplane des Modelljahrs 1934.

Die kleinen Abweichungen sind damit zu erklären, dass wir hier eine nur in geringer Stückzahl gebaute Ausführung sehen – ein „Convertible Coupe“ mit leistungsgesteigertem Motor, welcher statt der üblichen 80-90 PS rund 100 Pferdestärken leistete.

Diese bärenstarken US-Vorkriegswagen lassen sich auch heute noch gut bewegen, man ist definitiv kein Verkehrshindernis, solange man die Autobahn meidet. Von extremen Steigungen abgesehen kann man sich die Schalterei sparen, das schiere Drehmoment genügt, um auch aus niedrigen Touren beschleunigen zu können.

Wer nun meint, dass die Ami-Wagen dieser Zeit aber stilistisch den europäischen Fahrzeugen nicht das Wasser reichen konnten, mag hier ins Nachdenken kommen:

Terraplane Modelljahr 1934, bei der Classic Gala Schwetzingen; Bildrechte: Michael Schlenger

Sie sehen: Das Heute hat eine ganze Menge für sich, und sei es nur in Form dieses Zeitzeugen, der in Dänemark den 2. Weltkrieg überdauert und später einen neuen glücklichen Besitzer in Heidelberg gefunden hat, welcher den Wagen hegt und pflegt.

Unsere Zeit mag nur noch wenig hervorbringen, das bewundernswert ist, speziell in Europa. Doch die Gegenwart verschafft uns einen Zugang zu den Wunderwerken der Vergangenheit wie wohl keiner Generation zuvor.

Mit diesem glücklichen Nebeneinander von Gestern und Heute lässt sich leben, meine ich…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.