Kaum bekannter Cadillac-Konkurrent: Cole V8 von 1920

Heute unternehme ich in meinem Blog für Vorkriegsautos auf alten Fotos wieder einen Ausflug in die Wunderwelt obskurer US-Autohersteller.

Genaue Zahlen sind nicht verfügbar, doch weit mehr als 5.000 Automarken soll es in der Vorkriegszeit in den Vereinigten Staaten gegeben haben.

Zwar sind dabei auch Fabrikate berücksichtigt, die nicht mehr als einen Prototyp zustandebrachten. Aber darauf kommt es nicht an – die Zahl an Entwicklern und Unternehmern, Spinnern und Spekulanten war groß genug, um bereits vor dem 1. Weltkrieg den meisten europäischen Herstellern den Rang abzulaufen.

Dabei finden sich immer wieder typisch amerikanische Karrieren wie die, die ich zum folgenden Foto aus meiner Sammlung erzählen kann:

Cole_V8_1920_Galerie

Cole V8 von 1920; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hand auf’s Herz: Wer hat schon einmal einen solchen Wagen zu Gesicht bekommen? Dabei entstanden zwischen 1909 und 1925 mehr als 35.000 Fahrzeug dieses Herstellers.

Die Geschichte beginnt im US-Bundesstaat Indiana, wo der 1869 geborene Bauernsohn Joseph Cole nach seinem Schulabschluss zunächst eine steile Karriere bei lokalen Kutschenfabriken hinlegte.

1904 verfügte er über genügend Kapital, um einen Kutschhersteller in Indianapolis zu kaufen, den er kurzerhand in Cole Carriage Company umbenannte. Dabei handelte es sich keineswegs um irgendeine Klitsche, wie die Jahresproduktion von rund 3.000 Stück erkennen lässt.

Ein solcher Aufstieg mag dem von historisch und global einzigartigen Abgabenlasten geplagten deutschen Zeitgenossen märchenhaft erscheinen – doch es hat seine Gründe, warum das Unternehmer- und Erfindertum bis heute in den USA prosperiert, während hierzulande schon eine Festanstellung bei „Vater Staat“ als großes Glück gilt…

Der mit einem Highschool-Abschluss ausgestattete Bauernbursche Joseph Cole tat 1908 den nächsten Schritt zu Ruhm und Reichtum: er entwickelte sein erstes Auto. Dieses war zunächst kein großer Erfolg, doch Cole ließ nicht locker.

Mit Hilfe von Charles Crawford (später maßgeblich für den Erfolg des Luxusherstellers Stutz) wurde von der neugegründeten Cole Motor Car Company 1909 ein Vierzylinder konstruiert, der sich bald gut verkaufte, nicht zuletzt aufgrund von Rennerfolgen.

1913 folgte ein Sechszylindermodell mit elektrischer Beleuchtung und Anlasser, ab 1915 gab es dann einen Achtzylinder. Den V8-Motor bezog Cole wie Cadillac von General Motors – womit klar wird, in welcher Liga die Marke Cole antrat.

Nach dem 1. Weltkrieg war Cole tatsächlich zeitweilig die Nummer 2 im US-Oberklassesegment nach Cadillac. Doch der bis Mitte der 1920er Jahre anhaltende Konjunkturabschwung ließ den Markt für Cole immer weiter schrumpfen.

Wieder bewies Cole besonderes unternehmerisches Gespür, als er 1925 das noch gewinnträchtige Unternehmen zu liquidieren begann, um eine Insolvenz zu vermeiden. Leider starb Cole noch im selben Jahr.

Das ist für sich bereits eine filmreife Geschichte – doch noch spannender ist ein Detail an dem Cole V8 von 1920 auf dem heute vorgestellten Foto:

Der mächtige Wagen mit seinem 80 PS leistenden Achtzylinder – 1920 war ein so kraftvolles Aggregat in Europa bei Serienwagen kaum zu finden –  war nämlich ganz offensichtlich in Deutschland zugelassen.

Dummerweise ist die Kennung unvollständig. Möglich sind „IA“ für Berlin, „IIA“ für München und „IIIA“ für Stuttgart. Die Wahrscheinlichkeit spricht zwar für Berlin, wo in den 1920er Jahren viele amerikanische Hersteller Niederlassungen hatten.

Doch für den konkret hier abgebildeten Wagen sind Wahrscheinlichkeiten unerheblich – eine Münchener oder Stuttgarter Zulassung ist ebenso möglich. Vielleicht haben wir ja das Glück, dass das Nummernschild aus einem lokalen Adressbuch bekannt ist.

Einen solchen Fall, in dem sich sogar der Besitzer und die genaue Typenbezeichnung aus dem Nummernschild ableiten lassen, stelle ich gelegentlich vor – übrigens wieder anhand eines in Deutschland zugelassenen US-Wagens.

Bleibt einstweilen die Frage, was es mit der Beschädigung des Kennzeichens auf sich hat. Ich vermute, dass das Nummernschild anlässlich der Abmeldung des Cole ungültig gemacht wurde – dafür spricht speziell das abgekratzte Hoheitswappen.

Könnte es sein, dass hier ein Wagen der frühen 1920er Jahre kurz nach seiner Stillegung oder gar vor der Verschrottung aufgenommen wurde?

Eventuell stammt die Aufnahme vom einstigen Besitzer, der sich den Luxuswagen in der Inflationszeit oder der späteren Wirtschaftskrise nicht mehr leisten konnte, aber über eine Kamera verfügte, um seinen einstigen Besitz zur Erinnerung abzulichten.

Einen Markt für einen solchen Wagen gab es in den fortgeschrittenen 1920er Jahren in Deutschland nicht mehr. Im Unterschied zu dünner besiedelten Ländern wie Frankreich oder England wanderten die Autos dann meistens auf den Schrottplatz.

Das erklärt, weshalb Autos jener Zeit hierzulande kaum überlebt haben – und wenn, dann vor allem in ländlichen Regionen Ostdeutschlands. Einen Cole wird man hierzulande dennoch heute vergeblich suchen.

Oder hat doch einer überlebt?

Im Anschluss an meinen Blog-Eintrag zum „Moon“-Wagen erfuhr ich von mindestens zwei in Deutschland existierenden Exemplaren. Man sieht: Auch nach 80 bis 130 Jahren bleibt die Geschichte des Automobils in Deutschland voller Überraschungen.

Literatur: Standard Catalog of American Cars, von Beverly R. Kimes & Henry A. Clark

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