Fund des Monats: Ein Hansa A8 „Alpenwagen“

Mein Fund des Monats April ist so facettenreich, dass er auch als Fund des Jahres durchgehen könnte. Doch das Jahr ist noch recht jung, und auch wenn ich eher zum Skeptizismus neige, kann es 2021 eigentlich nur besser werden – in mancher Hinsicht.

So setze ich einfach darauf, dass mir oder einem meiner Leser noch etwas zuläuft, was am Ende tatsächlich der Kategorie Fund des Jahres würdig sein wird.

Vor die Wahl gestellt, mit welcher der vielen Facetten des Dokuments ich beginne, um das es heute geht, entscheide ich mich kurzerhand für die auf den ersten Blick abwegigste.

So startet die heutige Entdeckungsreise in die Wunderwelt des Vorkriegsautomobils im 14. Jahrhundert – in Nürnberg, um genau zu sein. Damals wird dort erstmals ein Vertreter der Patrizierfamilie Praun erwähnt, Fritz war sein durch und durch bürgerlicher Name.

Die Prauns legten über die nächsten 500 Jahre eine erstaunliche Kontinuität als eine der führenden Geschlechter ihrer Heimat an den Tag. Die Grundlage dafür schuf der überregionale Handel, insbesondere mit Oberitalien.

Dass die Alpen kein Hindernis für die später mit Adelsprivilegien ausgestattete und bis heute im süddeutschen Raum ansässige Familie von Praun war, das sollte sich im 20. Jahrhundert nochmals eindrucksvoll bestätigen.

An dieser Stelle kommt ganz unerwartet ein Name aus dem hohen Norden ins Spiel – und zwar die traditionsreiche Automarke Hansa, die ebenfalls auf eine abwechslungsreiche, wenn auch weit kürzere Geschichte zurückschauen konnte.

Sie war der Erbauer des mächtigen Sportwagens, den wir hier den Berg emporstürmen sehen:

Hansa Typ A „Alpenwagen“ Spezialroadster; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die im oldenburgischen Varel ansässigen Hansa Automobilwerke hatten bereits 1914 bewiesen, dass auch für sie die Alpen kein unbezwingbares Hindernis auf dem Weg zum Erfolg sind – sie absolvierten siegreich eine der härtesten Sportprüfungen der damaligen Zeit: die Alpenfahrt.

Ein original gerahmtes Foto des Siegerteams von 1914 hängt an der Wand meiner kleinen Automobilbibliothek und wird eines Tages noch angemessen gewürdigt.

Heute dagegen spielt die Alpenfahrt des Jahres 1929 eine wichtige Rolle, bei der gleich drei Hansa-Spezialroadster auf die fast 2.200 km lange Reise gingen. Hansa gelangte neben BMW als einziges von 12 gestarteten Teams ins Ziel!

Der oben gezeigte Wagen entsprach genau diesen siegreichen Typen (vgl. U. Kubisch, Hansa-Lloyd Automobilbau, Verlag Steintor, 1986, S. 89). Doch weist das Kennzeichen auf einen Besitzer aus München hin, der sich einen solchen Boliden im Anschluss an den spektakulären Sieg von Hansa bei der Alpenfahrt gekauft haben muss.

85 PS aus über 4 Liter Hubraum leistete der von Continental in den USA zugekaufte Achtyzlindermotor. Das Chassis hingegen war eine Eigenentwicklung von Hansa und war die Basis für die ab 1927 gebauten Typen A6 und A8 (mit sechs bzw. acht Zylindern).

Hansa hatte Wert darauf gelegt, bei der Alpenfahrt 1929 mit technisch serienmäßigen Fahrzeugen des großen Achtzylindertyps anzutreten.

Der anschließende Verkaufserfolg hielt sich zwar in Grenzen – das Geschäft mit großvolumigen und relativ günstigen Wagen beherrschten die Amis damals besser – doch zumindest dieser privat beschaffte Wagen war das genaue Abbild der Siegerfahrzeuge:

Schön und gut, mögen Sie jetzt denken, aber was hat das mit der eingangs erwähnten Familie von Praun zu tun – abgesehen von den transalpinen Ambitionen?

Die Antwort findet sich auf der Rückseite dieses Fotos, auf dem sich eine handschriftliche Nachricht an eine gewisse Hanna findet. Diese ist auf „München, 31.10.1929“ datiert, stammt also aus dem Jahr des neuerlichen Sieges von Hansa bei der Alpenfahrt.

Der Verfasser war ein gewisser Arnold, der in der Nachricht zunächst bedauert, dass man sich wider Erwarten nicht wird treffen können. Die entscheidende Information ist dann folgende: „Umstehend ein Bild von Wilhelm und mir vom Zirler Bergrennen in Österreich, wo wir mit unserem neuen Hansa 8-Zylinder den 2. Preis erhielten“:

Nach der Entzifferung ging alles ganz leicht so wie Abfahrt von einem Alpenpass. Denn der erwähnte Zweitplatzierte beim Zirler Bergrennen 1929 ließ sich als Arnold von Praun (geb. 1885) ermitteln (Quelle).

Er trat beim Zierler Bergrennen in der Tourenwagenklasse bis 5 Liter Hubraum an und benötigte 5 Minuten, 51 Sekunden für die Strecke. Zum Vergleich: Der Bugatti von Robert Richter, der bei derselben Gelegenheit in der Klasse bis 1,5 Liter den Sieg errang, brauchte 40 Sekunden weniger.

Das Überraschende ist für mich nicht nur, dass sich Ort und Anlass dieses Fotos sowie der Besitzer des Wagens so genau ermitteln ließen, sondern die Tatsache, dass die sportlichen Aufbauten der Werksautos von der Alpenfahrt auch für Privatleute erhätlich waren.

In der mir zugänglichen Literatur finden sich neben den drei Spezialroadstern, die bei der Alpenfahrt siegreich waren, ansonsten nur konventionelle Aufbauten auf Basis des Hansa Typ A8 – sie wurden meist von Karmann in Osnabrück geliefert.

Insofern könnte diese Aufnahme, die man sich besser dokumentiert nicht wünschen kann, ein bisher unbekanntes Puzzlestück in der Historie von Hansa darstellen. Vielleicht kann ein Leser noch mehr über diesen Spezialroadster in Händen des Privatfahrers Arnold von Praun sagen, der jenseits der Alpen Furore machte wie einst seine Vorfahren…

© Michael Schlenger, 2021. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Von Paris in die Provinz: Delage Type DI

Heute unternehme ich einen Ausflug von Paris hinaus auf’s Land – nebenbei etwas, was den Franzosen seit Ausrufung der Corona-Pandemie 2020 auf eine so rigide Weise verwehrt wird, dass die ständig neu ausgewürfelten Maßnahmen hierzulande als bloße Posse erscheinen – mit robustem Auftritt will der gallische Zentralstaat vom Versagen in der Sache ablenken.

Paris war zwar vor 100 Jahren ebenfalls bereits eine Heimstatt ineffizienter und arroganter Bürokraten, doch ihr Wirken reichte noch nicht in jeden Haushalt und jedes Unternehmen hinein. So schlug in der Hauptstadt das Herz einer hochmodernen, oft mittelständisch geprägten Industrie, von der fast nichts übriggeblieben ist.

Im Automobilsektor gab es bis zum 1. Weltkrieg keinen so avancierten und vielfältigen Standort wie Paris. Dort sollte einst auch ein gewisser Louis Delâge sein Glück machen.

Nach einem Aufenthalt bei Peugeot gründete der junge Ingenieur, der aus dem Städtchen Cognac in der westfranzösischen Provinz stammte, im Jahr 1905 seine eigene Automarke.

Binnen kürzester Zeit machten die Delage-Wagen, die anfänglich noch Motoren von DeDion-Bouton besaßen, mit hervorragender Qualität und zahlreichen Rennsiegen von sich reden – Sporterfolge waren damals die beste Werbung für einen neuen Hersteller.

In der Serienproduktion konzentrierte sich bei Delage auf die Leichtgewichtsklasse – die „voitures légères“, die in folgender Reklame von ca. 1912 hervorgehoben werden:

Delage-Reklame um 1912; Orignal aus Sammlung Michael Schlenger

Allerdings sollte man diese „leichten Wagen“ nicht mit Kleinautos verwechseln – es konnten durchaus repräsentative Automobile mit Aufbauten für bis zu sieben Personen sein, jedoch mit kompakten Motoren, die deutlich weniger leisteten als zeitgenössische schwere Wagen.

Daneben gab es freilich auch leichte Zweisitzer wie dieses Exemplar, das ich 2015 anlässlich der Veteranenausfahrt „Kronprinz Wilhelm Rasanz“ am Niederrhein aufgenommen habe. Man präge sich für später das typische Markenemblem ein:

Delage Zweisitzer um 1912; aufgenommen im Mai 2015 während der „Kronprinz Wilhelm Rasanz“

Bis zum 1. Weltkrieg gewannen die Delage-Autos ständig an Leistungsvermögen und Ansehen – 1914 verließen deutlich über 100 Fahrzeuge im Monat das Werk in Courbevoie im Nordwesten von Paris.

Noch vor Kriegsende erhielt ein neuer großer Delage die Zulassung – der Typ CO mit 4,5 Liter-Sechszylinder. Dieser mit luxuriösen Aufbauten erhältliche Wagen sollte ab 1918 zunächste das einzige Delage-Modell sein.

Rasch zeigte sich, dass man angesichts der von vier Jahren Krieg geschwächten Wirtschaft erschwinglichere Modelle ins Programm aufnehmen musste – so kamen 1920 bzw. 1921 die Vierzylindertypen DO und DE auf den Markt.

Je nach Perspektive sind die Delages der frühen 1920er Jahre schwer auseinanderzuhalten – einerseits machten die Manufakturaufbauten fast jeden Wagen zum Einzelstück, andererseits unterschied sich die Kühlerpartie der einzelnen Typen im wesentlichen nur durch die Größe.

Es hat mich daher einige Zeit gekostet, mich dem mutmaßlichen Typ dieses Delage anzunähern, der einst weit entfernt von Paris irgendwo im Süden des Landes auf einer staubigen Piste abgelichtet worden war:

Delage Typ DI; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Selbst wenn sich das Auto nicht identifizieren ließe, wäre das eine malerisches und durchaus sammelnswertes Zeugnis einer Reise aus der großen Stadt in die Provinz – vermutlich die an Italien angrenzende „Provence“ oder das Pyrenäengebiet.

Dass dieser Wagen tatsächlich aus Paris stammte, erkennt man erst auf den zweiten Blick. Verräterisch ist dabei nicht unbedingt das Nummernschild, das vielleicht ein Kenner entziffern kann, sondern vor allem die Kühlerpartie.

Dort prangt nämlich – hier nur schwer erkennbar – das Emblem von Delage mit Sitz in Courbevoie/Paris, was auf dem Originalabzug zum Glück etwas besser wiedergeben ist. Man darf davon ausgehen, dass die meisten Delage-Wagen auch in Paris verkauft wurden, wenngleich die Marke bereits seit 1910 auch in England präsent war.

Damals wie heute konzentrierten sich in Frankreich Macht und Geld auf die Hauptstadt und so könnte man in diesen Herrschaften Angehörige der Pariser Oberschicht vermuten:

Die Frage, um was es für ein Modell sich handelt, ist nur annäherungsweise zu beantworten. Wie gesagt, die Kühlerform war bei allen Delages der frühen 1920er Jahre identisch und die Länge des Chassis ist aus diesem Blickwinkel nicht abzuschätzen.

Ich würde aber das sehr große Luxusmodell CO ausschließen, ebenso die frühen Vierzylindertypen DO und DE. So scheinen die hier nur zu ahnenden feinen Luftschlitze in der Motorhaube erst bei deren Nachfolger DI eingeführt worden zu sein – jedoch auch dort nicht von Beginn der Produktion (1923) an, sondern etwas später.

An der Rechtslenkung scheint Delage bis Auslaufen des recht häufig gebauten Typs DI im Jahr 1927 festgehalten zu haben. Auch in Sachen Motorleistung blieb man konservativ: Mit 30-35 PS bot Delage damals nicht mehr als deutsche Autos vergleichbarer Größe.

Vielleicht kann ja ein Leser meine These bezüglich Typ (DI) und Baujahr (um 1925) bestätigen oder gegebenfalls korrigieren. Erfreulich wäre es auch, ließe sich der Aufnahmeort identifizieren, den ich hier in kolorierter Form wiedergebe:

Viel anders wird es in diesem Bergdorf heute vermutlich nicht aussehen, lediglich wird der Tourismus genügend Geld aus der großen Stadt in die Provinz gespült haben, um die Mauern zu sichern und das Stadbild etwas herauszuputzen.

Den Reisenden mit dem Delage habe ich ebenfalls ein farbiges Make-Up verpasst, wenngleich das Ergebnis stellenweise ein wenig zu „schillernd“ ausgefallen ist:

Immerhin vermittelt dieser Ausschnitt etwas von der Atmosphäre eines heißen Sommertags, welche die Franzosen eventuell bald wieder genießen dürfen – wenn Paris einsieht, dass man ein Volk nicht dauerhaft einsperren und die Provinz von den Reisenden abschotten kann, die wichtiger Teil ihrer Lebensgrundlage sind…

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Karriere als Nebendarsteller: Brennabor Typ Z 6/25 PS

Ein begabter Darsteller vermag selbst in Nebenrollen erstaunliche Präsenz zu entfalten – noch den schlechtesten Kinofilm vermochte etwa ein Auftritt von Klaus Kinski zu adeln.

Mitunter ist es aber auch bloß die Häufigkeit der Auftritte, mit der sich ein nur mäßiges Talent unvergessen macht. Einige zuverlässig hölzern agierende Hilfsdetektive in klassischen deutschen Krimiserien des vergangenen Jahrhunderts fallen mir dazu ein.

In diese Klasse würde ich im automobilen Genre auch den Brennabor Typ Z 6/25 PS einordnen, der 1928/29 in der Vierzylinderklasse angeboten wurde. Es fällt schwer, an ihm irgendeine besondere Charakteristik zu erkennen – dennoch sollen in nur zwei Jahren rund 10.000 Exemplare davon entstanden sein.

Solche runden Zahlen sind mir ebenso verdächtig wie die neuerdings auf eine Nachkommastelle angegebene „Inzidenzen“ aus dem Berliner Corona-Hauptquartier. Scheinbare Genauigkeit und grobe Schätzung täuschen beide ein Wissen vor, das keiner genauen Prüfung standhält. Gemeinsam ist beiden, dass sie dennoch reproduziert werden.

Im Fall der Brennabor-Produktionszahlen findet sich seit Jahrzehnten bei gleich vier Typen von 1919-1929 die Zahlenangabe „ca. 10.000“, so auch beim Typ Z 6/25 PS. Selbst wenn man es genauer wüsste, ist es eigentlich unerheblich, eine Menge davon sind jedenfalls gebaut worden.

Ohne danach zu suchen, sind mir in relativ kurzer Zeit etliche zeitgenössische Abbildungen dieses Modells „zugelaufen“. Die letzte, die ich hier vorgestellt habe, illustriert das Motto „Karriere als Nebendarsteller“ gerade zu perfekt:

Brennabor Typ Z 6/25 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Klar, dass bei diesem Dokument aus dem Jahr 1932 der wackere Brennabor sich dem Damenquintett geschlagen geben muss, das sich eindeutig die Paraderollen gesichert hat.

Heute kann ich zwei weitere Fotos desselben Typs zeigen, bei denen der Wagen ebenfalls auf die Nebenrolle abonniert ist, aber gerade noch ausreichend charaktervoll gezeichnet ist, um neben den eigentlichen Protagonisten wahrgenommen zu werden.

Nummer 1 ist eine Aufnahme von sehr mäßiger technischer Qualität, die ich aber dennoch in meine Sammlung aufgenommen habe, weil der Brennabor die Situation bereichert, in der das Bild entstanden ist:

Brennabor Typ Z 6/25 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Vermutlich ging es der Person, die diesen deutschen Heeressoldaten irgendwo in einer Großstadt aus ungewöhnlicher Perspektive aufgenommen hat, nicht darum, unbedingt den am Straßenrand parkenden Brennabor aufzunehmen – möglicherweise „passte“ der Wagen aber so gut ins Bild, dass er darin integriert wurde.

Dass wir es tatsächlich mit einem Brennabor zu tun haben, lässt sich auf dem Originalabzug recht gut an dem Markenemblem „B“ erkennen, welches auf einer Verdickung am Vorderteil der Kühleroberseite angebracht ist.

Die Ausführung des Unterteils des Kühlergrills und die ebenfalls nur auf dem Original zu erahnenden niedrig angebrachten horizontalen Luftschlitze sprechen dafür, dass wir keinen der parallel erhältlichen 6-Zylinder-Wagen von Brennabor vor uns haben.

Besagte Luftschlitze lassen sich dafür auf einer weiteren Aufnahme gut erkennen, die sonst wenig Hinweise auf die Marke und den Typ gibt und überhaupt auf den ersten Blick ebenfalls von nur mittelmäßiger Qualität ist:

Brennabor Typ Z 6/25 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Leider ist der Abzug stellenweise stark beschädigt, man sieht kaum etwas von dem Wagen außer besagten Haubenschlitzen und der Sturmstange am hinteren Dachabschluss, die ein Cabriolet suggeriert, aber hier tatsächlich funktionslos ist.

Die Situation scheint in einer beliebigen Mittelgebirgslandschaft aufgenommen worden zu sein. Erkennt jemand den markanten annähernd trapezförmigen Berg im Hintergrund?

Was die Personen vor dem Wagen, die teilweise wenig glücklich dreinschauen, miteinander verbindet, lässt sich schwer sagen, doch eigentlich ist es auch zweitrangig, denn aus meiner Sicht überstrahlt die junge Dame im festlichen Kleid ganz links alles übrige.

Sie ist es, die nicht nur die übrigen Personen zu Nebendarstellern deklassiert, sondern auch auch dem Brennabor lediglich eine ziemlich unerhebliche Statistenrolle übriglässt.

Es ist Teil der Magie solcher alten Autofotos, dass sie ihre Wirkung am Ende oft der menschlichen Komponente verdanken. Das ist im vorliegenden Fall eine Person, die nach rund 90 Jahren dank moderner Technik auf so wunderbare Weise vor unseren Augen lebendig wird, dass ich damit für heute schließen möchte:

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Jetzt auch in Farbe: Röhr 8 Typ R 9/50 PS

Nach längerer Pause kann ich heute den Freunden der Nischenmarke Röhr aus dem südhessischen Ober-Ramstadt wieder etwas bieten.

Möglich machen das drei Sammler, denen ich die meisten Fotos von Vorkriegswagen verdanke, die nicht meinem eigenen Fundus entstammen. Ihnen sei an dieser Stelle einmal mehr für ihre Großzügigkeit gedankt.

Mein eigener Beitrag ist heute einer, von dem ich nicht weiß, wie er bei meinen Lesern ankommt – lassen Sie sich überraschen und lassen Sie mich wissen, was Sie davon halten.

Doch zunächst zur Auffrischung hier eine Aufnahme des Wagentyps, der heute in Form von gleich drei Exemplaren im Mittelpunkt steht (hier geht es zu einem älteren Porträt):

Röhr 8 Typ R; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Diese Cabrio-Limousine ist anhand der Positionierung des Fahrgastraums leicht als Achtzylinder-Röhr des von 1928-30 gebauten Typs R 9/50 PS zu erkennen.

Der von Hans-Gustav Röhr und seinem treuen Weggefährten Joseph Dauben in langjähriger Arbeit entwickelte Wagen zeichnete sich durch ein damals äußerst komfortables Fahrverhalten aus.

Dazu trug neben der unabhängigen Aufhängung der Vorderräder die niedrige Schwerpunktlage und die Tatsache bei, dass die rückwärtigen Passagiere nicht über der Hinterachse, sondern davor saßen.

Gelobt wurden damals außerdem das Bremsverhalten und die Elastizität des Achtzylinders, wenngleich sich dessen erste Version – die im 1927 eingeführten Vorgänger Röhr 8 R 8/40 PS verbaut worden war – als zu schwach erwiesen hatte. Mit dem von 2 auf 2,3 Liter vergrößerten Aggregat des ab 1928 gebauten Röhr 8 Typ R 9/50 PS änderte sich das.

Serienmäßig wurde der Wagen mit dem auf dem Foto von Matthias Schmidt abgebildeten Aufbau als viertürige Cabriolimousine geliefert – die makellos gezeichnete, vielleicht etwas sehr sachlich geratene Karosserie stammte von Autenrieth im benachbarten Darmstadt.

Trotz allgemeiner Anerkennung der konstruktiven Qualitäten und des überragenden Fahrwerks blieb dem Röhr 8 der große Erfolg verwehrt. Für eine wirtschaftliche Produktion fehlten die Kapazitäten bzw. die Kapitalgeber.

Warum letztere nicht Schlange standen angesichts der Aussicht auf einen erheblichen Anteil am damals von US-Wagen beherrschten deutschen Automarkt, mag man sich fragen. Es könnte an der hierzulande geringer ausgeprägten unternehmerischen Risikobereitschaft gelegen haben. Vielleicht hätte sich das Konzept aber selbst für einen Finanzier mit einer Mentalität wie in den Vereinigten Staaten nicht gerechnet.

Wenden wir uns nun dem nächsten Exemplar des Röhr 8 Typ R 9/50 PS zu, dessen Konterfei ich Leser Marcus Bengsch verdanke:

Röhr 8 Typ R 9/50 PS; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Auch wenn die Perspektive hier eine andere ist – die Kühlerpartie mit dem „R“ auf dem Kühlwasserdeckel und der geflügelten „8“ auf der Front kommt hier besser zur Geltung – bin ich sicher, dass es sich um denselben Typ handelt.

Nur eine kleine Abweichung konnte ich entdecken: Während beim Röhr auf dem eingangs gezeigten Foto die Frontscheibe als Ganzes ausstellbar war, haben wir es hier mit einer zweigeteilten Scheibe zu tun, bei der das untere Drittel fix war.

Ob dies baujahr- oder ausstattungsabhängig war, müsste Röhr-Spezialist Werner Schollenberger sagen können, dessen fabelhafte Publikation „Röhr – Die Sicherheit selbst: Die Automobilkonstruktionen von Hans Gustav Röhr und Joseph Dauben“ ich bei dieser Gelegenheit als Pflichtlektüre erwähnen möchte.

Legte aber nicht die Überschrift nahe, dass mit Farbabbildungen dieses für die deutsche Automobilgeschichte bedeutenden Wagens zu rechnen sei? Gewiss, hier ist die erste:

Röhr 8 Typ 9/50 PS; Originalabzug aus Sammlung Marcus Bengsch (Kolorierung von Michael Schlenger)

Wie wirkt nun diese Aufnahme, die ja denselben Wagen zeigt, auf Sie?

Aus meiner Sicht geht zwar die konzentrierte grafische Wirkung des Schwarzweiß-Originals verloren, doch gewinnt hier vor allem die menschliche Komponente an Leben.

Das hat seinen Grund: die einschlägigen im Netz verfügbaren Kolorierungsprogramme (teils kostenlos, teils gebührenpflichtig) liefern mit wenig Übung gute Ergebnisse bei der Wiedergabe von Haut, Pflanzen und anderen klar identifizierbaren Strukturen.

So wirken Personen und das natürliche oder gebaute Umfeld bei korrekter Belichtung des Ausgangsfotos nach der Kolorierung recht natürlich, wenn auch meist etwas fahl – ähnlich frühen Farbfotos der 1930er Jahre.

Nach längeren Versuchsreihen muss ich allerdings sagen, dass praktisch alle Programme große Schwierigkeiten haben, die oft spiegelnde und viele Abstufungen aufweisende Lackierung von Automobilen überzeugend wiederzugeben.

Das hat natürlich damit zu tun, dass die Software auf eine solche Komplexität nicht ausgerichtet ist. Wolken und Himmel im Bild zu identifizieren und dann weiß bzw. blau wiederzugeben, ist dagegen kein Hexenwerk, das klappt fast immer.

Nach meinen bisherigen Erfahrungen mit Vorkriegswagen schätze ich, dass nur in einem von zehn Fällen der Versuch der Kolorierung auf Anhieb ein Ergebnis liefert, das nur noch wenig Nacharbeit braucht, etwa eine stärkere Farbsättigung.

Im Fall des Röhr 8 Typ R 9/50 PS hatte ich das Glück, dass bei den nur wenigen mir zugänglichen Aufnahmen noch eine weitere dabei war, die ein ansprechendes Ergebnis ermöglichte. Hier das Ausgangsfoto:

Röhr 8 Typ R 9/50 PS; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Natürlich ist das schon in Schwarzweiß eine prachtvolle Aufnahme, an der die Perspektive, die Positionierung des Fahrers und die Lichtverhältnisse „stimmen“.

Wie wir gleich sehen werden, lässt sich hieraus eine Farbvariante zaubern, die recht natürlich wirkt. Deutlich wird daran aber auch das grundlegende Problem, dass sich die Grauabstufungen der Fahrzeuglackierung keinen bestimmten Farbtönen zuordnen lassen.

So könnte der Karosseriekorpus dieses Röhr beige, lichtgrau oder auch hellblau gewesen sein und die dunkler abgesetzten Partien wie Schweller und Kotflügel in braun, schwarz oder dunkelblau lackiert gewesen sein.

Man bräuchte schon originale Farbprospekte der Vorkriegszeit, um hier die wahrscheinliche Originalkomposition manuell zu rekonstruieren. Diesen Aufwand will ich nun nicht treiben, zumal ich der Meinung bin, dass die Schwarzweiß-Optik ihren ganz eigenen Reiz hat.

Doch will ich künftig in Einzelfällen auch eine kolorierte Variante zum Abschluss zeigen, wenn ich der Meinung bin, dass man daraus einen zusätzlichen Genuss ziehen kann. Im vorliegenden Fall ist das gegeben, oder was meinen Sie?

Röhr 8 Typ R 9/50 PS; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks (Kolorierung von Michael Schlenger)

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Garantiert schlaflose Nächte: Wanderer W 25 K Roadster

Mein Blog für Vorkriegsautos auf alten Fotos ist größtenteils der Nacht abgerungen – und wie ich weiß, sorgt er auch bei einigen treuen Lesern regelmäßig für Schlaflosigkeit.

Der Wagen, den ich heute anhand zweier Fotos präsentiere, welche ich kürzlich für kleines Geld meinem Fundus zuführen konnte, war allerdings für sich genommen schon immer ein Garant für schlaflose Nächte.

Bei seiner Vorstellung im Jahr 1936 anlässlich der Internationalen Automobilausstellung in Berlin sorgten seine hinreißenden Formen zwar für Begeisterung. Allerdings bereitete der aufgerufene Preis von 6.800 Reichsmark potentiellen Käufern wohl wechselweise Alpträume und schlaflose Stunden.

Damals lag das durchschnittliche Jahres(!)einkommen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten nämlich gerade einmal bei 1.783 Mark – der genannte Preis entsprach also fast vier Jahresgehältern eines Durchschnittsverdieners in Deutschland.

Übertragen auf die Verhältnisse des Jahres 2021 landete man bei dieser Relation bei fast 160.000 EUR – und genauso unerreichbar war der Wagen damals für Normalsterbliche. Kein Wunder, dass nur 104 Exemplare davon entstanden. Wovon? Hiervon:

Wanderer W25K Roadster; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Kein anderes Auto sah damals aus der Frontalperspektive so aus – und das, obwohl Wanderer die formale Gestaltung seiner Typen nicht mehr selbst in der Hand hatte, da der Traditionshersteller aus Chemnitz zusammen mit Audi, DKW und Horch seit 1932 zum Auto-Union-Verbund gehörte.

Doch die für die Zeichnung hauptverantwortlichen Gestalter bei Horch hatten meist eine glückliche Hand, wenn es darum ging, die einzelnen Marken weiterhin eigenständig erscheinen zu lassen.

Für Wanderer hatte man ab 1936 einen neuen und sehr eigenwilligen Kühlergrill vorgesehen, der sich in verschiedenen Varianten bei diversen Modellen der Vier- und Sechszylinderklasse sowie bei Limousinen und Cabriolets wiederfand.

Im vorliegenden Fall sehen wir diesen damals so genannten „Visierkühler“ jedoch an einem Roadster des Typ W25 K – der wohl rassigste Wanderer, der je gebaut wurde:

Wanderer W25K Roadster; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sehen wir den bei Baur in Stuttgart gebauten Aufbau mit allen roadstertypischen Elementen von seiner Schokoladenseite: tief ausgeschnittene Türen, keine festen Seitenfenster, minimalistisches Notverdeck.

Die sportliche Linie wird durch filigrane Drahtspeichenräder unterstützt, die vorne einzeln aufgehängt waren. Die Hinterachse war zwar noch starr ausgeführt, erfüllte aber dank raffinierter Aufhängung an einer Querblattfeder ihren Zweck ganz ausgezeichnet.

Ein sicheres Fahrwerk war beim Wanderer W25K von besonderer Wichtigkeit, besaß er doch einen Antrieb mit eindeutig sportlicher Ambition: Dank eines permanent mitlaufenden Kompressors leistete der 2 Liter-Sechszylinder immerhin 85 PS – damit konnte der Roadster, der übrigens nur 1.175 kg wog, bis zu 145 km/h Spitze erreichen.

Doch ausgerechnet der Motor war es, der den Entwicklern bei Wanderer schlaflose Nächte bereitete. So erwies es sich als Trugschluss, dass man einem in die Jahre gekommenen Aggregat, das Ferdinand Porsche einst für den Wanderer W17 konstruiert hatte, mit einem Kompressor ohne weiteres zu einer neuen Karriere verhelfen könne.

Frühzeitig erwies sich die Gemischaufbereitung als problematisch, später zeigte sich zudem, dass die Schmierung des Kompressors für verölende Zündkerzen sorgte, und schließlich kam es wiederholt zu Defekten am Kompressor selbst, die benachbarte Aggregate in Mitleidenschaft zogen – aufwendige Reparaturen standen dann an.

Auch das unsynchronisierte Getriebe sorgte für Ungemach, obwohl Wanderer bei anderen Modellen bereits den dritten und vierten Gang synchronisiert hatte, um ein geräuschloses Schalten zu erleichtern.

Zu guter (?) letzt hatten auch die Wanderer-Kaufleute schlaflose Nächte angesichts der zu gering kalkulierten Gewinnmarge, weshalb man den Preis des W25 Roadsters 1937 auf satte 7.950 Reichsmark heraufsetzte.

Dem jungen Mann im Mechanikeroverall wird das alles ziemlich gleich gewesen sein, vermutlich hat er sich anlässlich einer Reparatur in dem für ihn sonst unerreichbaren Roadster ablichten lassen:

Zugelassen war dieser Wagen übrigens im brandenburgischen Landkreis Sorau, der nach 1945 zum überwiegenden Teil Polen zugeschlagen wurde.

1938 wurden die letzten 31 Exemplare des Wanderer W25 K gebaut, der neben dem hier vorgestellten Roadster auch als schickes zweitüriges Cabriolet erhältlich war.

Auf Wunsch gab es zuletzt eine Variante ohne Kompressor, die lediglich 55 PS leistete – man ersieht an der Differenz, was die Aufladung und der aufwendigere Zylinderkopf der Kompressorversion an Leistungsteigerung – aber auch Belastung – bewirkten.

Wer heute so ein Traumstück sein eigen nennt, wird vermutlich immer noch wegen des horrenden Preises schlaflose Nächte haben. Die einzige konkrete Angabe, die ich finden konnte, stammt aus dem Jahr 2009: sagenhafte 365.000 EUR! Quelle

Doch immerhin scheint es noch ein paar überlebende Exemplare zu geben. Schlaflose Nächte wegen eines Wanderer W25 K Roadsters sind also heute „nur“ noch ein Luxusproblem…

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Einst einsame Spitze: Audi Typ K 14/50 PS

Einsame Spitze – das ist für mich zuallererst die Unterstützung, die ich bei meinem Online-Projekt zur breiten Dokumentation von Vorkriegsautomobilen seit über fünf Jahren erfahre.

Dazu gehören nicht nur wertvolle Anmerkungen und Korrekturen sachkundiger Leser, sondern auch zahllose hervorragende Bildbeiträge, die meine eigenen Ressourcen ergänzen und in ihrer Qualität oft einzigartig sind.

Die Aufnahmen, die ich heute präsentieren darf, illustrieren dies perfekt. Einsame Spitze ist zunächst dieses Foto eines Audi mit Spitzkühler, Motor, Chassis und zwei „Insassen“, für die dieser Minimalismus vermutlich Alltag war:

Audi Typ G 8/22 PS; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Ein derartiges Dokument in solcher Güte wird man in der einschlägigen Literatur vergeblich suchen – dennoch lässt sich genau sagen, was für ein Wagen hier zu sehen ist.

Die Marke ist dabei natürlich kein Problem – auf der ovalen Plakette am oberen Ende des schräg zulaufenden Spitzkühlers ist deutlich „Audi“ zu lesen. Doch auch ohne das Emblem wäre der Hersteller anhand der Ausführung des Kühlers zu identifizieren.

Im Unterschied zu anderen Marken aus dem deutschsprachigen Raum scheint Audi diesen scharf geschnittenen Spitzkühler erst nach dem 1. Weltkrieg verbaut zu haben. Die mir vorliegende Literatur – vor allem „Audi-Automobile 1909-1940“ von Kirchberg/Hornung – schweigt sich über das genaue Jahr der Einführung aus.

Jedenfalls entschied man sich bei Audi für eine der eigenwilligsten Variationen über das Thema Spitzkühler, die einen sehr hohen Wiedererkennungswert besaß:

Interessanter ist indessen, was sich dahinter verbirgt und was man auf zeitgenössischen Aufnahmen nur selten zu sehen bekommt – der Motor. Er wirkt unscheinbar, doch lässt sich ganz genau sagen, zu welchem Audi-Typ er gehörte.

Dazu muss man wissen, dass Audi nach dem 1. Weltkrieg zunächst drei Vorkriegsmodelle weiterbaute – die Typen C 14/35 PS und E 22/55 PS sowie den noch 1914 eingeführten G 8/22 PS.

Nur der letztgenannte kompakte G-Typ besaß bereits einen geschlossenen Motorblock, in dem alle Zylinder zusammengefasst waren – genau ein solches Aggregat ist auf dem Foto zu sehen, das uns Leser Klaas Dierks aus seinem Fundus bereitgestellt hat.

Bei den Motoren der anderen Typen waren jeweils zwei Zylinder in einem Block zusammengefasst – was sich in besagtem Audi-Standardwerk auf S. 60 anhand eines Typs C 14/35 PS der frühen 1920er Jahre nachvollziehen lässt.

Auch die Proportionen des Wagens passen perfekt zum kleinsten damals angebotenen Audi mit 2,75 oder knapp 3 Metern Radstand. Fahrer und Beifahrer veranschaulichen die kompakten Proportionen zusätzlich:

Sehr gut gefällt mir hier das Nebeneinander zwischen dem Fahrer im einfachen Arbeits-Outfit und dem distinguierter wirkenden Nachbarn. Mit Oberhemd, Krawatte und Ledergamaschen wirkt er wie ein Herrenfahrer, allerdings deutet die etwas zerknautschte Optik seiner Kleidung darauf hin, dass er es gewohnt war, ebenfalls anzupacken.

Ich könnte mir vorstellen, dass der Beifahrer zu den Entwicklern des neuen Audi G-Typs gehörte und sich bei einer Probefahrt selbst ein Bild von dessen Qualitäten machen wollte.

In ganz andere Sphären – von den Dimensionen wie dem Umfeld her – transportiert uns ein Foto, das Leser Matthias Schmidt aus Dresden beigesteuert hat. Hier hat der Wagen nur noch den Spitzkühler mit dem zuvor gezeigten Audi G 8/22 PS gemeinsam:

Audi Typ K 14/50 PS; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Dieses Prachtstück kommt standesgemäß mit einem großzügigen und sehr teuren Aufbau als Chauffeur-Limousine daher, wobei die filigranen Drahtspeichenrädern den Wagen leichter wirken lassen, als er tatsächlich war.

Heftige 1.400 Kilogramm brachte allein das Chassis mit Antriebsstrang auf die Waage. Wer sich gerade eines der modischen Batterieautos zugelegt hat, die dank in die Tausende gehender Steuerzuschüsse vom Fiskus geplagter Mitbürger ein ideales Zweit- oder Drittauto abgeben, mag das gar nicht so viel finden.

Der relevante Vergleich ist hier jedoch der Vorgänger des abgebildeten Audis – nämlich das bereits erwähnte Vorkriegsmodell C 14/35 PS, das 1921 durch diesen schweren Burschen abgelöst wurde. Dort kam man noch mit 400 kg weniger Gewicht aus.

Den zusätzlichen Kilos standen allerdings auch 15 zusätzliche Pferdestärken bei identischem Hubraum gegenüber, denn hier haben wir es mit dem Audi Typ K 14/50 PS zu tun, Anfang der 1920er Jahre einer der modernsten deutschen Wagen überhaupt.

Zum einen hatte man sich beim Motor für im Zylinderkopf hängende Ventile entschieden, was bessere Effizienz des Gaswechsels und damit erhöhte Leistungsfähigkeit ermöglichte. Zum anderen war der Audi Typ K bei Vorstellung 1921 das erste deutsche Serienauto mit Linkslenkung – womit er der Konkurrenz um drei bis vier Jahre voraus war.

Zu den zahlreichen modernen Details, deren vollständige Aufzählung ermüdend ausfiele, gehörte auch die Anordnung von Schalt- und Bremshebel in der Wagenmitte.

Der prächtige Spitzkühler verschwand beim Audi Typ K 14/50 PS im Herbst 1923 und ab 1924 wurden serienmäßig Vorderradbremsen verbaut. Damit lässt sich das Baujahr dieses Exemplars auf 1921-23 eingrenzen:

Die Abmessungen der Reifen (895×150) passen präzise zu den Angaben in der Literatur für den Typ K (und nur diesen). Auf dem Kennzeichen ist das Kürzel „IM“ für Sachsen zu sehen – dort wurden die Audis damals ja auch gebaut.

Was es mit dem etwas melancholisch dreinschauenden schlanken jungen Mann im Hintergrund auf sich hat, muss wohl offen bleiben. Zufällig wird er dort jedenfalls nicht herumgestanden haben – der Bub, der hinter dem Heck zu sehen ist, schon eher:

Unübersehbar ist dieses schöne Foto einst als Grußkarte mit der Post versandt worden, wie der spiegelbildliche Abdruck zweier Zeilen auf der Rückseite erkennen lässt.

Vermutlich wird es der Fahrer selbst gewesen sein, der damit Verwandte oder Freunde beeindrucken wollte. Das wird ihm gelungen sein, denn ein solcher Audi Typ K 14/50 PS war auch dann ein hochexklusives Vergnügen, wenn man „nur“ der angestellte Fahrer war.

Keine 200 Exemplare dieses grandiosen Automobils wurden einst in Manufakturarbeit gefertigt – kein einziges davon hat es bis in unsere Tage geschafft, soweit mir bekannt ist.

So gilt am Ende auch für dieses Dokument das Votum „einsame Spitze“, obwohl der Spitzkühler hier nicht annähernd so einsam auf dem Chassis thront wie beim eingangs gezeigten Typ G 8/22 PS…

© Michael Schlenger, 2021. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Mit etwas Übung über die Alpen: DKW P 15 PS

Übung ist nicht in allen Lebenslagen ein Erfolgsgarant – für manches Vorhaben braucht man auch Talent, welches leider „ungerecht“ verteilt ist – doch in manchen Bereichen genügt bereits etwas Übung zur Überwindung der gröbsten Hindernisse auf dem Weg zum Ziel.

Heute gehen wir mit einigen wackeren Automobilisten ein Hindernis der besonders groben Art an – die Alpen. In der Vorkriegszeit, als es auf dem Weg in den Süden noch mit meist wenig PS Pässe zu bezwingen galt, konnte das durchaus eine Herausforderung sein.

Aus eigener Anschauung weiß ich, dass sich mit luftgekühlten 34 PS der Gotthardpass beispielsweise mühelos meistern lässt, wenn einem die dröge Fahrt durch den neuzeitlichen Tunnel nicht behagt und das Wetter dazu einlädt.

Mit einem 15 PS-Automobil wie dem ersten DKW Typ P von anno 1928 die Alpen bezwingen zu wollen, mutet dagegen schon kühn an, doch unsere Vorfahren waren aus einem anderen Holz geschnitzt als unsereins.

Bekanntlich haben die Alpen noch keine germanische Völkerschar davon abgehalten, ihre Sehnsucht nach dem Süden zu zügeln und so dachten sich einst auch einige Sachsen, dass so eine Italienfahrt mit dem Automobil gewiss eine schöne Sache sei.

Da man wusste, dass die Götter vor den Genuss südlicher Sonne die Alpen gesetzt haben, begab man sich zu Übungszwecken zunächst ins Mittelgebirge – und zwar ins schöne Vogtland, wo es sich auf rund 700 Meter Höhe entspannt mit dem DKW üben ließ:

DKW Typ P 15 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

„Abwärts schiebt er sich besonders leicht!“ so scheint hier der Mann am Heck im Spaß zu rufen. „Stelle mich hiermit für die Partie hinter der Passhöhe zur Verfügung…“

Der Mann ganz vorn – mit Fahrermütze offenbar ein alter Hase – mag sich denken: „Warte ab, Du Milchgesicht, wirst Dich noch wundern, wenn’s erst mal ins Gebirge geht.“

Unterdessen scheinen die Insassen die Trockenübung ebenfalls auf die leichte Schulter zu nehmen. „Ist doch ganz gleich, wie wir vorwärtskommen mit 15 PS plus Schiebung von hinten, im offenen Wagen ist eine Fahrt in den Süden das reine Vergnügen.“

Da unsere sächsische Reisegruppe damals noch nicht dem Komfort von sechs Wochen Jahresurlaub genoss (die manchem Zeitgenossen immer noch zu wenig sind), entschloss man sich aber dann doch den Ernstfall beim Sturm auf die Alpen zu üben:

DKW Typ P 15 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

„Verflixt, so schwer kann der Wagen doch gar nicht sein – ist doch fast nur Sperrholz und Kunstleder!“ – „Das müssen die 15 Pferde unter der Haube sein, die haben sich bei der Mittagsrast die Bäuche vollgeschlagen und verweigern jetzt die Mitarbeit…“

Dergleichen launige Dialoge könnte man sich bei dieser natürlich inszenierten Aufnahme vorstellen, schließlich brachte der DKW Typ P 15 PS gerade einmal gut 500 bis 600 kg auf die Waage – je nach Ausführung.

Nach dieser Trockenübung, die noch zur allgemeinen Belustigung beigetragen hatte, konnte es nun ernst werden. Irgendwann um 1930 müssen sich unsere sonnenhungrigen Sachsen aus Dresden auf den Weg gemacht haben – wie es scheint mit zwei Fahrzeugen.

Hier hat jemand aus Wagen 2 einen kurzen Halt fotografisch festgehalten, als der mächtige Alpenhauptkamm bereits in bedrohliche Nähe gerückt war:

DKW Typ P 15 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Trotz einiger Übung bei eigenen Alpenüberquerungen muss ich sagen, dass ich bislang nicht ermitteln konnte, wo dieses Foto entstand.

Die Situation mit zwei gegenüberliegenden Burgen an dem sich verengenden Tabschnitt und majestätischen schneebedeckten Bergen im Hintergrund könnte sich in der Schweiz, aber auch in Österreich befinden.

Für Reisende aus dem Raum Dresden war natürlich die Brennerroute, die einst schon Goethe auf seiner augenöffnenden Italienreise nahm, die naheliegendere. Sie ist mir aus eigener Anschauung nicht bekannt, daher hoffe ich, dass ein Leser mehr dazu sagen kann.

Nachtrag: Leser Peter Oesterreich hat die Örtlichkeit identifiziert: Es handelt sich in der Tat um die alte Brennerroute, die zwischen den beiden Burgen Reifenstein und Sprechenstein hindurchführt (allerdings von Süden kommend, also auf der anderen Seite der Alpen…).

Bevor es weitergeht, werfen wir noch einen Blick auf das Kennzeichen des Wagen, der hier von hinten abgelichtet und aus dieser Perspektive nur schwer als DKW Typ P 15 PS zu identifizieren ist:

DKW Typ P 15 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das Kennzeichen lautet „II 6230“ und verweist auf die Zulassung im Raum Dresden. Darunter angebracht ist das im Ausland schon damals vorgeschriebene „D“-Schild. Ein solches, bloß kleiner, habe ich von meinem treuen Volkswagen aufgehoben, der mich vor gut 25 Jahren bis hinunter nach Mittelitalien gebracht hat.

Dort – in der bergigen Region Marken, die ich damals bereiste – sieht es ähnlich aus wie auf folgendem Foto, das unsere sächsischen DKW-Fahrer machten, nachdem sie offensichtlich erfolgreich die Alpen bezwungen hatten – offenbar hatte sich das Üben daheim ausgezahlt:

DKW Typ P 15 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch hier stellt sich wieder die Frage, wo dieses schöne Panorama entstanden sein konnte. Von der Topographie kommt neben dem Apenninnengebiet, in das es mich einst mit 34 PS verschlagen hatte, vor allem Südtirol in Betracht – aber auch das Piemont.

Das wird sich wohl nicht mehr genau klären lassen, aber immerhin liefert uns diese Aufnahme die Bestätigung, dass der zuvor von hinten abgelichtete Wagen tatsächlich ein DKW Typ P 15 PS ist – das Kennzeichen stimmt nämlich überein und auf dem Kühler ist das bei diesem frühen Modell rechteckige DKW-Emblem zu erahnen:

Sonst fast immer vom Nummernschild abgedeckt ist die hier zu erkennende doppelte Abstützung der Vorderachse gegen die darüberliegende Querblattfeder – ein weiterer Hinweis auf das DKW-Modell P 15 PS.

Nach dieser Verschnaufpause für Mensch und Maschine muss es weiter an die Küste gegangen sein – bloß wohin genau? Wieder lässt uns ein Foto dieser Reise vor rund 90 Jahren mehrere Möglichkeiten in Betracht ziehen.

Im ersten Moment dachte ich, dass diese schöne Szene an der Via Partenope in Neapel mit Blick nach Westen auf den Stadtteil Mergellina aufgenommen sein worden könnte:

DKW Typ P 15 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Doch ließ sich die Szene mit Neapel nach eingehendem Studium nicht zur Deckung bringen. Zudem erschien mir eine Reise so weit in den Süden dann doch zu unwahrscheinlich.

Nicht, dass ich dem kleinen DKW nicht das Durchhaltevermögen zugetraut hätte, doch selbst auf gut ausgebauten Landstraßen war damit nur eine Höchstgeschwindigkeit von 70-80 km/h möglich, während von Italienreisen mit weit stärkeren Tourenwagen bereits in den 1920er Jahren Spitzengeschwindigkeiten von an die 100 km/h überliefert sind.

Die Zeit für einen Abstecher an den Golf von Neapel wird unseren DKW-Insassen nach erfolgter Überwindung der Alpen kaum zur Verfügung gestanden haben. Naheliegendere Küstenstädte mit derartig großstädtischer Bebauung wären Triest an der Adria und Genua in Ligurien, vielleicht auch noch La Spezia.

Erkennt ein Leser die Situation wieder? So viel hat sich an Italiens historischen Orten seither nicht geändert, dass sich der stark bebaute Küsteabschnitt heute ganz anders darbieten würde:

Oder liege ich geografisch völlig falsch und wir befinden uns an einem der großen Seen in Oberitalien oder gar in der Schweiz?

Jedenfalls erkennen wir hier unseren DKW mit den tapferen Insassen aus Dresden wieder, die immer noch die zünftige Reisekleidung tragen, die bei der Fahrt im offenen Wagen über staubige Landstraßen angebracht war.

War dieser Ort der südlichste Punkt ihrer Reise? Ich kann mir das gut vorstellen, denn es existiert nur noch eine weitere Aufnahme aus dieser Serie, die den DKW wohl wieder auf der Heimfahrt zeigt:

DKW Typ P 15 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Verkehr auf dieser gut ausgebauten Landstraße war offenbar so dünn, dass man mit offener Fahrertür für ein Foto haltmachen konnte.

Analog zur Hinfahrt stellt sich mir hier die Frage: Tessin oder Südtirol?

Bergen vielleicht die Begrenzungssteine einen Hinweis oder die markanten Strommasten, die rechts der Straße verlaufen? Sie kommen mir merkwürdig bekannt vor.

Wo auch immer genau diese Momentaufnahme entstanden ist – für den Italienreisenden gehören heute noch solche Szenerien zum Erlebnis dazu, der grandiosen Landschaft hat die Moderne kaum etwas anhaben können.

Wie lange mag unsere kleine Reisegesellschaft einst unterwegs gewesen sein? Was mag sie an erzählenswerten Begebenheiten mit nach Haus gebracht haben? Welche Reisen mögen noch mit dem kleinen DKW unternommen worden sein?

Nichts von alledem wissen wir. Alles vergessen und verweht bis auf diese paar übriggbliebenen Fotos, die uns im 21. Jahrhundert das Abenteuer einer Alpenbezwingung mit 15 PS – und die scherzhaften Übungen dafür – noch einmal nacherleben lassen.

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Freund der Familie: Presto Typ P Außenlenker

Familienfreundlich konnten Autos auch schon vor 100 Jahren sein – auch wenn wohl niemand auf die Idee gekommen wäre, das eigens anzustreben oder hervorzuheben.

Von der Einsteigerklasse abgesehen – meist Zweisitzer für Ärzte und Vertreter – waren Automobile generell so großzügig dimensioniert, dass man sich über mangelndes Platzangebot kaum beschweren konnte, zumindest was die Zahl der Sitzplätze angeht:

unidentifizierter Tourenwagen der frühen 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

In einem solchen Tourenwagen fanden sechs bis sieben Personen Platz, wobei die mittlere Sitzreihe nur wenig Komfort bot – dort befanden sich meist nur leichtgepolsterte Klappsitze.

Übrigens sind Ideen zu Identität dieses Fahrzeugs willkommen, an dem ich mir schon einige Jahre die Zähne ausbeiße. Ich vermute, dass es sich um ein deutsches Fabrikat handelt, allerdings fehlt mir jeder Anhaltspunkt für Hersteller und Typ.

Ganz anders aus sieht das bei der „Familienkutsche“ die ich heute anhand eines außergewöhnlichen Fotos aus der Sammlung von Leser Klaas Dierks präsentieren darf – denn hier haben wir unverkennbar einen Presto der ab 1912 gebauten P-Reihe vor uns:

Presto Typ P mit Aufbau als Außenlenker; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Dieses Prachtstück unterscheidet sich von allen bisher hier gezeigten Presto-Wagen der P-Reihe durch den kostspieligen und schweren Aufbau als Außenlenker-Limousine – also mit geschlossenem Passagierabteil und lediglich überdachtem Fahrerraum.

Die Motorisierung lässt sich nur indirekt erschließen, da alle Presto-Wagen der P-Reihe eine formal identische Frontpartie mit birnenförmigem Flachkühler besaßen.

Die Basisausführung 6/18 PS war für leichte Zweisitzer prädestiniert, wenngleich sie auch mit Toureraufbau angeboten wurde. Die Tourenwagenausführung dürfte aber meist eher mit den Motorisierungen 8/25 PS oder 10/35 PS verkauft worden sein.

Daneben gab es ab ab 1914 die Variante 14/40 PS, die ideal für schwere geschlossene Ausführungen war. Auch sie besaß nur einen Vierzylinder, aber mit 3,5 Litern Hubraum.

Beweisen lässt sich zwar nicht, dass wir es auf dem Foto von Klaas Dierks mit einem solchen Presto Typ P 14 zu tun haben. Doch die Erfahrung besagt, dass vor dem 1. Weltkrieg solche massiven Aufbauten bei deutschen Herstellern meist mit mindestens 30-40 PS starken Motoren ausgerüstet waren, um vollbesetzt reisetauglich zu sein.

Wie gesagt, die Frontpartie alleine erlaubt ohne Größenvergleich keine genauere Aussage:

Die großen elektrischen Scheinwerfer waren bei den Presto-Wagen wohl bereits kurz vor dem 1. Weltkrieg wahlweise verfügbar. Speziell beim teuren, erst 1914 eingeführten 14/40 PS-Typ darf man sie wohl serienmäßig erwarten.

Genaueres könnte uns der Chauffeur sagen, der eigens das Oberteil der Frontscheibe aufgeklappt hat, um ebenfalls auf das Foto zu gelangen, denn die schrägstehende Scheibe spiegelte natürlich.

Die Aufmerksamkeit für den Fahrer war damals keineswegs ungewöhnlich – aufgrund seiner besonderen Verantwortung für das enorm teure Auto, das damals den Gegenwert eines einfachen Hauses repräsentierte, sowie das Wohl der Insassen, war er eine Vertrauensperson und nach einigen Jahren Dienst oft genug Freund der Familie.

Im vorliegenden Fall hatte dieselbe gerade Nachwuchs bekommen – wie freudig der Anlass war, ist dem Gesichtsausdruck der Beteiligten nicht zu entnehmen, da die Belichtungszeit unter Umständen ein paar Sekunden des Stillhaltens erzwang:

Nicht verkneifen kann ich mir hier die Feststellung, dass kleine Männer in solchen Situationen mitunter besonders um „Wirkung“ bemüht sind, daran hat sich bis heute wenig geändert, wenn man sich diverse Politprotagonisten vors geistige Auge ruft.

Gut gefällt mir die frischgebackene Mutter, die ein Selbstbewusstsein ausstrahlt, mit dem sich auch ein Gernegroß im Haus aushalten lässt. Ihre kantigen Gesichtszüge stehen in deutlichem Kontrast zu dem topmodischen Kleid, das allein schon eine Datierung dieser Aufnahme auf die frühen bis mittleren 1920er Jahre erlaubt.

Das Kind, das die mutmaßliche Großmutter hält, war wohl frischgetauft und könnte mit einigem Glück hochbetagt noch leben – wobei die Zeitumstände denkbar ungünstig waren, denn bei seiner Volljährigkeit tobte bereits der 2. Weltkrieg.

Kommen wir zum Schluss nach der prächtigen Familienkutsche und dem treuen Fahrer noch zu einem weiteren Freund der Familie, der als einziger auf dieser Aufnahme glücklich und ausgesprochen sympathisch wirkt:

Mitlesende Damen mögen mich korrigieren, aber der Matrose (oder Marinesoldat), der uns hier vom Beifahrersitz aus fixiert, war wohl das, was man auch heute als einen gutaussehenden Mann bezeichnen darf.

In welcher Beziehung er zu der übrigen Gesellschaft stand, darüber lässt sich trefflich, aber wohl vergebens sinnieren. Mir ist jedenfalls keine besondere Ähnlichkeit mit einer der Personen ins Auge gefallen – so will ich es dabei belassen, in ihm einfach einen sympathischen Freund der Familie zu sehen…

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PS-Schau in Paris 1905: Ein Renault 20CV

Die frühen Modelle von Renault, die den einstigen Weltruhm der französischen Marke begründeten, sind in meinem Blog bislang noch etwas unterbelichtet.

Nachdem sich eine ganze Reihe Exemplare aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg in meinem Fotofundus eingefunden hat und ich auch eine zumindest annähernde Vorstellung habe, um welche Typen es sich handelt, soll sich das ändern.

Den Auftakt markiert ein Prachtexemplar, das wahrscheinlich im Pariser Stadtpark „Bois de Boulogne“ aufgenommen wurde – anlässlich einer Schau der Pferdestärken, die damals noch ausgesprochen extravaganten Charakter hatte.

Interessanterweise stand dabei nur für den Fotografen das Automobil im Mittelpunkt, während die Passagiere einem anderen edlen Geschöpf zugewandt waren:

Renault 20CV; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

In dieser technisch hervorragenden Aufnahme entfaltet sich die ganze Opulenz einer untergegangenen Welt, die uns längst fremdgeworden ist.

Eine Ausfahrt im offenen Wagen mit Chauffeur, ausstaffiert mit extravagantem Kopfschmuck, eine Begegnung mit einem Militär hoch zu Pferde, Eleganz allerorten – im einst feinen Stadtpark Bois de Boulogne schon lange undenkbar – und nicht nur dort.

Für einen Moment ist das Automobil hier noch „horseless carriage“ – eine Kutsche ohne Pferde. Die gesellschaftliche Funktion ist noch dieselbe: sehen und gesehen werden unter seinesgleichen. Der Fahrer hört diskret weg, während sich die Herrschaften unterhalten und wartet auf Anweisungen:

Gute Figur macht er hier, der junge Fahrer, der vor bald 120 Jahren ein Mensch aus der Zukunft war. Mit der schmucklosen Jacke und dem dezenten Schnauzer hätte er auch in den 1940er Jahren noch eine alternde Diva in ihrem Wagen herumkutschieren können.

Er war einer der gefragten Spezialisten, die überhaupt imstande waren, ein solches neuartiges und komplexes Gefährt zu beherrschen, wozu damals auch aufwendige Wartung und die Kompetenz zu Reparaturen unterwegs gehörte.

Aber was genau war das für ein Wagen, der ihm von vermögenden Besitzern anvertraut worden war, um die Damen sicher wieder nach Hause zu bringen? Nun, die nach drei Seiten abfallende Motorhaube und der dahinterliegende Kühler verraten, dass wir hier einen Renault vor uns haben.

Sicher, es gab auch einige andere Hersteller, die eine solche eigenwillige Frontpartie besaßen, die die Engländer „coal scuttle“ nennen – weil sie an eine umgedrehte Kohlenschaufel erinnert – Komnick aus dem fernen Ostpreussen etwa.

Doch die genaue Gestaltung von Haube und Kühler fand sich so nur bei Renault. Dummerweise besaßen alle Renaults ab 1900 bis zum 1. Weltkrieg eine solche Frontpartie. Wir müssen uns daher zum einen an stärker der Mode unterliegenden Details orientieren, beispielsweise den freistehenden Vorderschutzblechen, die noch keinen Spritzschutz zum Rahmen und zur Haube hin besaßen. Bis etwa 1906 war das bei Renault üblich.

Ab 1907 änderte sich auch das Erscheinungsbild des Kühlers, wenn man der Literatur (Renault – L’Empire de Billancourt, Jacques Borgé/NicolasViasnoff, 1977) trauen kann. So war die Seite des Kühlergehäuses dann geschlossen und verbarg den Blick auf die Kühlkanäle.

Die frühesten Exemplare von Renault, die mit einer solchen Frontpartie und gepresstem Stahlrahmen gebaut wurden, scheinen aus dem Jahr 1904 zu stammen. Damals wurde in dieser Größenklasse der Renault 20CV angeboten, der bis 1906 das Spitzenmodell von Renault blieb.

Mit seinem 4,4 Liter großen Vierzylindermotor bot dieser Wagen großzügige Leistung, auch bei Montage eines schweren Limousinenaufbaus. Hier haben wir natürlich die damals oft noch bevorzugte Tourenwagenausführung, auch als Double-Phaeton bezeichnet, die eine Art der Kommunikation mit der Außenwelt ermöglichte, die heute im Verkehr undenkbar ist:

Man nehme sich Zeit, um hier die Ausführung der Sitze zu studieren, das verspielte Dekor auf den Seitenpaneelen – hier ist die Welt des 19. Jh. noch lebendig. Die Kutschbaukunst war das Maß aller Dinge, was die gesamte Partie hinter dem Fahrerabteil angeht.

Dieses spannende Nebeneinander einer jahrhundertealten Kontinuität und der mechanischen Innovation des Maschinenzeitalters begann nur wenige Jahre später, etwa ab 1910, einem Erscheinungsbild zu weichen, bei dem nun eine Gestaltung aus einem Guss erfolgte, wenngleich traditionelle Aufbauten wie das Landaulet noch bis in 1930er Jahre ein Nischendasein führten.

So ist auf dieser Aufnahme, die wohl um 1905/06 entstand, etwas festgehalten, was nur wenig später schon wieder „von gestern“ sein sollte – sieht man einmal von der Damenmode ab, die bis 1914 nur wenig Veränderung erfuhr.

Es ist das Wunder der Fotografie, das es uns ermöglicht, nach so langer Zeit nochmals einen Blick in diese Welt zu werfen, als seien wir selbst auf der Szene präsent.

Dabei sind alle die Geschöpfe, die diese Aufnahme so wunderbar machen – man beachte beispielsweise das prächtige Profil des geschmückten Pferdes links hinter dem Chauffeur – längst von der Erde verschwunden. Nur der Renault hatte eine gewisse Chance, bis in unsere Tage zu überleben.

Diese Funktion als authentischer Bote einer untergegangenen Welt – das unter anderem macht den Rang solcher frühen und bis unsere Tage erhaltenen Fahrzeuge aus.

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Ein Hauch von Luxus: Fiat 508 „Spider“

Ein Fiat 508 in der 1932 vorgestellten Erstausführung ist nicht gerade das, was man landläufig mit Luxus verbindet.

Zwar stellte für den Großteil der Menschen außerhalb der Vereinigten Staaten damals jedes Automobil einen Luxusgegenstand dar. Doch innerhalb der Autohierachie war der Fiat 508 mit seinem 20 PS leistenden 1 Liter-Motor recht weit unten angesiedelt.

Jedoch verstanden die Turiner es schon damals, auch einen Wagen der unteren Mittelklasse ausgesprochen schmuck daherkommen zu lassen – zumindest in der Version als offener Zweisitzer, die offiziell tatsächlich die Bezeichnung „Spider“ trug.

Warum ausgerechnet italienische Wagen dieses Typs bis in die Nachkriegszeit häufig diesen englischen Namen trugen, kann vielleicht ein Leser erklären. Im Fall des Fiat 508 „Spider“ fiel das Ergebnis jedenfalls ziemlich ansehnlich aus:

Fiat 508 „Spider“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses schöne Exemplar mit Nachkriegszulassung in der sowjetischen Besatzungszone (Raum Leipzig) habe ich vor bald fünf Jahren bereits präsentiert (hier).

Das Fahrzeug dient mir als Referenz bei der Besprechung eines weiteren Fiat 508 „Spider“, der im Detail etwas weniger opulent mit Chrom geschmückt ist, aber auch in der Basisversion durchaus einen Hauch von Luxus besitzt.

Halten wir zunächst die Ausstattung des nach dem Krieg in Ostdeutschland weiterbenutzten Wagen fest:

Am ehesten ins Auge fällt das verchromte Steinschlaggitter vor dem Kühler mit dem Schriftzug „Balilla“ – das war der zeitgenössische Beiname aller 508-Modelle. Ebenfalls verchromt sind Scheinwerfer, Stoßstange und Frontscheibenrahmen.

Auch die Radkappen auf den filigranen Drahtspeichenräder dürften mit Chrom beschichtet gewesen sein. Dasselbe trifft auf die Seitenscheibenrahmen zu.

Alle diese Elemente waren kennzeichnend für die Luxusausstattung des Fiat 508 Spider, wie sie in der deutschsprachigen Verkaufsbroschüre beschrieben wird, die Ferdinand Lanner auf seiner vorbildlichen Fiat-Website hochgeladen hat.

Nun zum Vergleich ein „neues“ Foto desselben Typs, das uns unübersehbar in die Vorkriegszeit zurücktransportiert.

Fiat 508 „Spider“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser einst in München zugelassene Wagen muss nicht nur ohne das prächtige Steinschlaggitter auskommen, ihm fehlen auch die Seitenscheiben mit Chromrahmen – stattdessen sorgen hier Steckscheiben für notdürftigen Schutz bei Wind und Regen.

Wie es scheint, bringt der Herr auf der Fahrerseite gerade eine dieser Scheiben an, die aus Zelluloid bestanden und in einen mit Kunstleder bespannten Rahmen eingesetzt waren.

Soweit passt das Erscheinungsbild zur Basisversion. Doch eigentlich müsste bei dieser auch die Frontscheibe schlichter ausfallen und keine Stoßstange montiert sein. Auch wären lackierte Scheinwerfer zu erwarten gewesen.

Ich erkläre mir das damit, dass die Luxusversion das volle Programm an Chrom- und Komfortzubehör umfasste, während die Basisausführung auf Wunsch um das eine oder andere dieser Extras aufgestockt werden konnte.

So wird ein Käufer aus der Großtadt München auf jeden Fall eine Stoßstange geordert haben, um den Schaden bei Parkremplern oder Auffahrunfällen in Grenzen zu halten. Die ausstellbare Frontscheibe dürfte ihm ebenfalls willkommen gewesen sein.

Ein Hauch von Luxus ließ sich auf diese Weise auch bei einem Budget realisieren, für das die Luxusversion außer Reichweite lag. Das Ergebnis war ein charmanter offener Zweisitzer, der sich von gängigen deutschen Wagen abhob und doch alle Vorteile eines Großserienherstellers bot.

Während der nur zweijährigen Bauzeit fertigte Fiat über 40.000 Exemplare des Typs 508 „Balilla“ – die Stückzahl der „Spider“-Version dürfte freilich überschaubar gewesen sein.

Auch heute verströmt der hübsche Wagen noch einen Hauch von Luxus, wie dieses geschmackvoll restaurierte Exemplar aus Italien beweist:

Videoquelle: YouTube.com; hochgeladen von: TheDubischeggia

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Sekt statt Selters: NAG C4 als Chauffeur-Limousine

Der Typ C4 10/30 PS der altehrwürdigen NAG aus Berlin, welcher von 1920-24 in einigen tausend Exemplaren gebaut wurde, gehört zu den häufigsten „Gästen“ in meinem Blog für Vorkriegswagen. Mittlerweile sind rund zwei Dutzend davon auf historischen Fotos in meiner NAG-Galerie versammelt – die nebenbei die größte öffentlich zugängliche ihrer Art überhaupt sein dürfte.

Natürlich gibt es ein Vielfaches an Fotos und Prospekten zu den einst international renommierten NAG-Wagen in privater Hand – und immer wieder erhalte ich von Sammlerkollegen interessante Originale zur Verfügung gestellt, so auch im Fall der Chauffeur-Limousine auf Basis des NAG C4, die ich heute zeigen darf.

Doch erst einmal ein „neues“ Beispiel der mit Abstand am häufigsten gebauten Variante des technisch unauffälligen Vierzylindertyps, den die NAG in der ersten Hälfte der 1920er Jahre recht erfolgreich absetzte – der Tourenwagen:

NAG C4 Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser Wagen könnte ein x-beliebiger Tourer eines deutschen Herstellers aus der Zeit kurz nach dem 1. Weltkrieg sein, wäre da nicht der auffallende Spitzkühler mit ovalem Ausschnitt (hier nur im oberen Bereich zu sehen. Dass wir es mit einem NAG zu tun haben, bestätigt außerdem die typische Plakette mit dem Firmenlogo auf der Stange zwischen den Scheinwerfern.

Auf Fotos guter Qualität ist das NAG-Emblem außerdem auf den Nabenkappen zu erkennen – hier leider nicht. Zwar ist das Foto, das heute im Mittelpunkt steht, technisch gesehen kein Deut besser, doch ist es von ungleich größerem Reiz, zeigt es doch einen raren Aufbau als Chauffeurlimousine – gewissermaßen Sekt statt Selters gemessen am NAG C4-Standard.

Typisch für diese in die Frühzeit des Automobils zurückgehende Ausführung ist das geschlossene Passagierabteil und der davor befindliche Fahrerraum, der bestenfalls ein Notdach besaß. Hier haben wir also noch dieselbe Situation wie in der Kutschenzeit:

NAG C4 Chauffeur-Limousine; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Trotz der Unschärfe der Vorderpartie kann man hier den NAG-typischen ovalen Kühlerausschnitt erkennen und wiederum das NAG-Emblem auf der Scheinwerferstange.

Besonders eindrucksvoll fällt hier der tiefe Glanz des Lacks aus, der damals noch in einem sehr zeitintensiven, auf Handarbeit beruhenden Prozess in mehreren Schichten aufgetragen und immer wieder poliert wurde.

Das spektakuläre Ergebnis passt ausgezeichnet zur Situation auf diesem Foto, das mir Matthias Schmidt aus Dresden zur Verfügung gestellt hat. Laut umseitiger Aufschrift des Abzugs entstand die Aufnahme nämlich im September 1924 im mondänen Kurort Baden-Baden.

Dort hatte die Dame mit Blumenstrauß im Arm einige Wochen zur Erholung verbracht und ist hier beim Verlassen des Stephaniehotels (heute Villa Stéphanie) zu sehen. Bei ihr handelte es sich um Hermine Schoenaich-Carolath, die zweite Gattin des ehemaligen deutschen Kaisers Wilhelm II.

Die offenbar schwärmerisch veranlagte und zugleich zu kühler Berechnung fähige Hermine hatte Wilhelm binnen kürzester Zeit für sich eingenommen. Nur anderthalb Jahre nach dem Tod von dessen erster Frau heirateten die beiden.

In bestem deutschen Untertanengeist wird wird Hermine auf dem Abzug als „Kaiserin“ bezeichnet. Das ist natürlich Unsinn, da in der Reichsverfassung von 1871 der „Kaiser“ die Amtsbezeichnung für den obersten Repräsentanten des im übrigen demokratisch verfassten neuen Bundesstaats war, also kein durch Heirat oder Erbe erwerbbarer Titel.

Das galt erst recht nach der Abdankung von Wilhelm 1918. Dennoch ließ sich Hermine als kaiserliche Hoheit anreden und genoss sichtlich die Ehrerbietung, die ihr entgegengebracht wurde:

Vielleicht war man aber bei dieser Gelegenheit auch bloß froh, diesen speziellen Gast wieder los zu sein, nachdem man ihn während des Kuraufenthalts eher mit Selters statt Sekt traktiert hatte.

Jedenfalls stand mit der NAG C4 Chauffeur-Limousine ein hinreichend majestätisches Fahrzeug bereit, um sie zum Bahnhof zu transportieren, wo vermutlich bereits ein Sonderzug auf sie wartete…

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Gruß aus Neu-Holland: Ein Hudson 112 von 1939

Haben Sie schon einmal von den Catskill-Mountains gehört? Nun, jeder Katzenfreund wird natürlich etwas mit „cat skills“ verbinden – also den phänomenalen Fähigkeiten von Katzen. Auch „cats kill“ gehört zum Erfahrungsspektrum – denn manchmal bricht auch beim bravsten Stubentiger die Mordlust durch.

Doch das Stichwort „Catskill“ begegnet uns heute in einem ganz anderen Zusammenhang, und zwar als Aufnahmeort eines Autos, das die Bezeichnung „Vorkriegswagen“ in besonderer Weise verdient. Das Fahrzeug wurde nämlich kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gebaut und fotografiert – der Abzug ging dann per Post über den Atlantik nach Deutschland.

Solche Bezüge sind oft von besonderem Reiz – denn wir Nachgeborenen verbinden mit solchen Dokumenten etwas, was die darauf abgebildeten Personen nicht wissen konnten: ihre Welt sollte binnen kurzem pulverisiert werden.

Das galt vermutlich auch für diese deutschen Auswanderer, die den Angehörigen in der alten Heimat 1939 folgendes Foto zusandten – mit dem handschriftlichen Zusatz „In den Catskill Mountains, 1939“:

Hudson 112, Modelljahr 1939; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das Besitzerpaar hat sich hier auf dem Trittbrett eines ziemlich eindrucksvoll wirkenden Wagens niedergelassen, der seine Identität praktischerweise auf den Radkappen preisgibt: „Hudson 112“ ist dort zu lesen.

Während US-Automobile der späten 1920er und frühen 1930er Jahre im damaligen Deutschland sehr verbreitet waren, wird es wohl kein Hudson des Modelljahrs 1939 mehr auf gängigem Weg ins Deutsche Reich geschafft haben. Daher gehe ich davon aus, dass auch intime Kenner der Vorkriegsszene in deutschen Landen diesem Wagen noch nie begegnet sind.

Für amerikanische Verhältnisse war der Hudson recht konservativ gestaltet. Während bei anderen Herstellern 1939 bereits die Pontonform der Nachkriegszeit zu ahnen ist, haben wir hier noch freistehende Kotflügel und außerhalb des Karosseriekörpers montierte Scheinwerfer.

Das galt allerdings auch nur für die kleinste Version des 1939er Hudson. Das Modell 112, das wir hier als zweitüriges Cabriolet haben, verfügte nämlich über den kürzesten Radstand und den kleinsten Motor mit 86 PS. Daneben gab es stärkere Sechs- und Achtzylinder mit 96 bzw. 122 PS. Nicht schlecht für einen Wagen der gehobenen Mittelklasse vor 80 Jahren…

Auch die Basisversion Hudson 112 besaß die neumodische Lenkradschaltung, außerdem hydraulische Bremsen und synchronisiertes Getriebe wie die stärkeren und größeren Ausführungen. Ein weiteres zeitegmäßes Detail war die nach vorn aufklappbare Motorhaube. Über 80.000 Exemplare entstanden insgesamt vom 1939er Hudson.

Erst nach Ausbruch des 2. Weltkriegs scheint der Hudson des Modelljahrs 1939 auch für deutsche Fahrer „in Reichweite“ gekommen zu sein – nämlich als Beutefahrzeug an der Westfront. Dem bunt zusammengewürfelten Wehrmachts-Fuhrpark wurden solche Fahrzeuge vermutlich in Frankreich oder in Holland einverleibt.

Holland ist auch das geeignete Stichwort, um am Ende das Rätsel der Catskill-Mountains aufzulösen. Wie Spanier, Franzosen und Briten gehörten unsere niederländischen Nachbarn nämlich zu den europäischen Kolonialmächten, die sich ab 1500 die übrige Welt untertan machten – ausnahmsweise hat sich Deutschland in dieser Hinsicht wenig vorzuwerfen…

So gab es im 17. Jahrhundert an der amerikanischen Ostküste eine Kolonie Nieuw Nederland, die sich auf die späteren US-Bundesstaaten New York, New Jersey, Delaware und Connecticut konzentrierte. Auf dem Territorium des heutigen Bundesstaats New York ist auf alten Landkarten das Landt van Kats Kill verzeichnet. „Kats kill“ bedeutet im Niederländischen „Katzenbach“ – nach der Übernahme der holländischen Kolonien durch die Briten wurde daraus „Catskill Creek“.

Dieses keine 50 Meilen lange Flüsschen entspringt in den malerischen „Catskill Mountains“, wo 1939 der Hudson Typ 112 für die Nachwelt festgehalten wurde und dessen Konterfei es trotz der Verheerungen des 2. Weltkriegs in Europa bis in unsere Tage geschafft hat. Möglicherweise existiert auf der anderen Seite des Atlantiks ja noch eine Entsprechung davon.

Ein hübscher Zufall will es, dass der „Catskill Creek“ am Ende ausgerechnet in den Hudson River mündet. Auch solche oft nebensächlichen Zusammenhänge sind es, die für mich die Beschäftigung mit Vorkriegswagen so reizvoll machen…

© Michael Schlenger, 2021. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.