Fund des Monats: Vauxhall „Hurlingham“ Roadster

Beim Markennamen „Vauxhall“ wird mancher sehr im Hier und Jetzt verhaftete Zeitgenosse vermutlich denken: „Ist das nicht bloß so eine Art Opel, wie kann so einer Fund des Monats werden?“

Nun, bekanntlich geht es hier ausschließlich um Vorkriegsautos, und wie im Fall von Opel war einst auch bei Vauxhall alles ganz anders, als es sich im 21. Jh. darstellt.

Tatsächlich gehört Vauxhall zu den altehrwürdigen britischen Automarken von hervorragendem Ruf – der sogar die Übernahme durch General Motors 1925 noch um einige Jahre überleben sollte.

Die Geschichte des Vauxhall, um den es in meinem heutigen Blog-Eintrag geht, ist es wert, ausführlich erzählt zu werden – anhand zweier unabhängiger Erzählstränge, die sich am Ende auf wundersame Weise vereinen.

Der eine Erzählstrang beginnt im Mai 2013 auf einem Treffen klassischer britischer Automobile in Südhessen. Dort zog mich die Frontpartie dieses Fahrzeugs in Bann:

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Vauxhall 12/60 h.p. „Hurlingham“; Bildrechte: Michael Schlenger

Die Aufnahme ist bewusst in Schwarzweiß gehalten, das tatsächliche (nicht originale) Farbschema würde die Ästhetik dieses Blogs eher stören.

Um was für ein Modell es sich handelte, war seinerzeit nicht unmittelbar ersichtlich. Klar war mir nur, dass es sich bei dem Fahrzeug mit Roadsteraufbau und Bootsheck um etwas Besonderes handeln müsse.

Dass der Wagen von Vauxhall aus England stammte, war ebenfalls offensichtlich. Das ließen schon die Einbuchtungen in der Motorhaube erkennen, die die markante Silhouette des Kühlergehäuses nach hinten fortführen.

In dieser scharf konturierten Form gab es einen solchen „fluted bonnet“ meines Wissens nach bei keinem anderen Hersteller. Bei näherem Hinsehen erkennt man dann auch das kaum weniger charakteristische Markenemblem von Vauxhall:

„Vauxhall Motors Ltd. – Luton England“ lässt sich dort im umlaufenden Schriftzug entziffern. Er fasst ein hell abgesetztes Feld ein, in dem ein geflügeltes Fabelwesen zu sehen ist. Dabei handelt es sich um einen Greif, ein seit Jahrtausenden in der Kunst dargestelltes Mischgeschöpf aus Raubkatze und Raubvogel.

Damit wechseln wir nun in den zweiten Erzählstrang, der uns 800 Jahre zurück ins mittelalterliche England führt. Dort begegnet uns ab 1206 in Diensten des englischen Königs John ein Ritter namens Falkes de Breauté.

Er war Angehöriger der aus der französischen Normandie stammenden Oberschicht, die in England seit der Eroberung der Insel im Jahr 1066 das Sagen hatte. Seine Karriere würde Stoff für einen prächtigen Mittelalterroman abgeben.

Uns soll an dieser Stelle jedoch weder seine geheimnisumwitterte Herkunft noch seine militärische und politische Laufbahn in königlichem Auftrag interessieren.

Wichtig ist nur, dass Falkes de Breauté im heutigen Stadtteil Londoner Lambeth nahe der Themse ein Anwesen namens Faulke’s Hall besaß. Daraus wurde später Foxhall und ab dem 17. Jh. befand sich dort ein Park mit der Bezeichnung Vauxhall.

Im Zuge der Industrialisierung siedelten sich im Distrikt Vauxhall zahlreiche Betriebe an. Einer davon war ein kurz nach Mitte des 19. Jh gegründeter Hersteller von Pumpen und Schiffsantrieben – der von da an unter dem Namen Vauxhall firmierte.

Im Firmenemblem lebte der Greif weiter, der einst das Familienwappen des Ritters Falkes de Breauté zierte. Damit weckte die neu entstandene Marke Vauxhall auf raffinierte Weise die Assoziation an eine ins Mittelalter zurückreichende Geschichte.

Tatsächlich darf man Vauxhall mit seinen ab 1903 gebauten, sehr leistungsfähigen Wagen der automobilen Aristokratie zuordnen. Der A-Type mit 3-Liter-Motor erreichte als Werkssportwagen bereits 1910 eine Höchstgeschwindigkeit von über 160 km/h.

Nach dem 1. Weltkrieg blieb Vauxhall im Sportwagensegment aktiv. Das noch 1913 vorgestellte Vierzylindermodell 30/98 h.p. wurde in den 1920er Jahren zu einer Ikone britischen Automobilbaus, auch wenn nur noch Privatfahrer es einsetzten.

Vauxhall wusste sein Prestige auch bei moderater motorisierten Serienfahrzeugen geschickt auszunutzen und weiter zu schärfen. Damit wären wir nun endlich beim Fund des Monats, nämlich diesem Prachtstück von Roadster:

Vauxhall „Hurlingham“ Roadster; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Identifikation dieses aus ungewöhnlicher, doch höchst wirkungsvoller Perspektive aufgenommenen Sportwagens war nicht ganz einfach.

Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so wirkt, lässt die Auflösung des Abzugs zu wünschen übrig, sodass markentypische Elemente recht schwer zu erkennen bzw. zu interpretieren sind.

Doch letztlich gaben der Buchstabe „V“ auf der Nabenkappe und das Emblem auf der Doppelsstoßstange Anlass zur Vermutung, dass es sich um eine Sonderkarosserie auf Basis eines Vauxhall handeln könnte:

Auf diesem Ausschnitt treten nun auch schemenhaft die erwähnten seitlichen Ausbuchtungen in der Oberseite der Motorhaube zutage.

Von da war es nicht mehr weit bis zur Ansprache des Wagens als Vauxhall „Hurlingham“ Roadster.

Dabei handelte es sich um eine in Kleinstserie gebaute Spezialversion des seit 1927 verfügbaren Vauxhall 12/60 h.p. mit 2,9 Liter Sechszylinder bzw. des Modells T80, das mit einem auf 3,3 Liter vergrößerten Motor von 1929-31 gebaut wurde.

Beide Motorisierungen waren mit dem hier gezeigten Aluminiumaufbau als „Hurlingham“ Roadster verfügbar:

Vauxhall „Hurlingham“ Roadster; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser Abzug zeigt dasselbe Fahrzeug, das wir zuvor von vorne bewundern durften.

Hier sieht man nun deutlich den Aufbau mit Notsitz im Bootsheck und der davor angebrachten zweiten, ebenfalls gepfeilt ausgeführten Windschutzscheibe.

Schaut man genau hin, lässt sich der Rand der hinteren Scheibe auch auf dem ersten Foto des Wagens erahnen:

Nun wird der Leser vielleicht wissen wollen, wieviele dieser sportlichen Spezialaufbauten einst entstanden.

Nun, genau bekannt ist das nicht. Die im Netz verfügbaren Quellen sprechen von lediglich 20 Exemplaren mit dem 20/60 PS-Motor und unwesentlich mehr auf Basis des stärkeren Modells T80.

Insgesamt soll es nur 50 Stück dieses rassigen Roadsters gegeben haben. Davon haben nach derzeitigem Stand mindestens 20 überlebt (Quelle).

Mir erscheint diese Überlebensrate recht hoch, insbesondere wenn man hier erfährt, dass Exemplare dieses Typs in den USA einfach als Schrott irgendwo abgestellt wurden.

Wie immer bei runden Zahlenangaben zu Produktionsziffern darf man davon ausgehen, dass man es mit reinen Schätzungen zu tun hat. Diese wurden irgendwann in die Welt gesetzt und mangels besserer Erkenntnisse einfach übernommen.

Wie dem auch sei – eine Rarität war der „Hurlingham“ Roadster allemal, der auf den beiden hier gezeigten Originalfotos zu sehen ist. Wenn jetzt nur noch jemand sagen kann, aus welchem Land das Kennzeichen stammt, wäre das Glück vollkommen.

Nachtrag: Ein Leser aus Dänemark wies mich inzwischen darauf hin, dass es sich um ein dänisches Nummernschild handele.

Wer übrigens den eingangs gezeigten Vauxhall in Farbe sehen will, kann das hier tun. Es handelt sich um einen der überlebenden „Hurlingham“ Roadster und mit etwas Glück begegnet man ihm und seinem Besitzer irgendwo im Rhein-Main Gebiet wie einst ich.

Und wenn Sie nun bei der nächsten Gelegenheit einen Opel aus britischer Produktion zu Gesicht bekommen, wird Ihnen daran das Vauxhall-Emblem ins Auge springen, in dem in stilisierter Form immer noch das Wappen von Falkes de Breauté fortlebt…

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Vor 90 Jahren: Neuigkeiten von Horch – der Typ 375

Aufmerksame Leser meines Blogs für Vorkriegsautos auf alten Fotos erinnern sich vielleicht an einen älteren Eintrag, in dem es um den Horch 8 des 1929 vorgestellten Typs 375 ging.

Dabei hatte ich mich mit Abweichungen des Erscheinungsbilds der 8-Zylindertypen 350 bzw. 375 von der Beschreibung in der Literatur (Kirchberg/Pönisch: Horch – Typen, Technik, Modelle) beschäftigt.

Eine Auffälligkeit ließ sich dank eines sachkundigen Lesers aus der Schweiz klären – doch der Reihe nach.

Nach meinem damaligen Verständnis kennzeichneten folgende Elemente den Sondertyp 375, der von 1929-31 parallel zum gleichstarken Vorgängertyp 350 angeboten wurde:

  • Einführung einer dreiteiligen Stoßstange,
  • auf zwei Drittel der Haube beschränkte Luftschlitze,
  • geflügelte Weltkugel als Kühlerfigur,
  • Positionslampen auf den Vorderschutzblechen,
  • große, die Radbolzen überdeckende Radkappen.

Vorübergehend erschüttert wurde diese Auffassung durch folgende Aufnahme:

Horch 8 Typ 350; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Abgesehen von der dreiteiligen Stoßstange entspricht auf dieser Aufnahme alles dem konventionellen Horch 8 Typ 350, wie er von 1928-32 gebaut wurde.

Nebenbei ist das ein Foto, das zwar technisch unvollkommen ist, aber auch nach über 90 Jahren seinen Reiz von der Dame am Steuer bezieht. Für den Fotografen stand hier erkennbar nicht das Auto im Mittelpunkt.

Man darf davon ausgehen, dass hier die Stoßstange vom Paralleltyp 375 übernommen wurde, um dem Wagen ein repräsentativeres Äußeres zu geben.

So weit so gut. Etwas dazugelernt habe ich etwas in Bezug auf den Horch auf folgender Aufnahme:

Horch 500; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir eine Kombination aus dreiteiliger Stoßstange, Positionsleuchten auf den Kotflügeln und geflügelter Weltkugel auf dem Kühler. Nach meinem bisherigen Verständnis waren dies Merkmale des Horch 8 Typ 375.

Doch die durchgehende Reihe Luftschlitze wollte nicht dazu passen. Muss sie auch nicht, wie mir Leser Peter Ramsauer aus der Schweiz nahebrachte.

Denn die direkt in die Haube geprägten Luftschlitze verweisen weder auf den Horch 350 (mit aufgenietetem Blech) noch auf den 375, sondern auf den Horch 8 Typ 500.

Er wurde mit neuentwickeltem 5 Liter-Achtyzlinder von 1930-32 gebaut und besaß ebenfalls eine dreigeteilte Stoßstange. Bis zu diesem Modell war ich mit meinen Recherchen jedoch noch nicht vorgedrungen.

Wie aber sah denn nun ein „echter“ Horch 8 Typ 375 aus, um die Sache anschaulicher zu machen? Nun, da kann ich mit gleich drei Aufnahmen aufwarten:

Horch 375 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Dieses „schräge“ Foto verdanken wir einmal mehr Leser Marcus Bengsch, der schon etliche besondere Aufnahmen aus seiner Sammlung beigesteuert hat, insbesondere zu den raren Wagen von Röhr.

Das viersitzige Cabriolet weist alle in der Literatur beschriebenen Elemente auf, die kennzeichnend für den Horch 8 Typ 375 sind, insbesondere die auf zwei Drittel der Haube beschränkten Luftschlitze in der Motorhaube.

Alles das findet sich auf der folgenden, bisher ebenfalls unpublizierten Aufnahme eines Horch 8 Typ 375 wieder – hier mit Aufbau als mächtiger 6-Fenster-Limousine:

Horch 8 Typ  375 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nun kann man zurecht die Qualität dieser Aufnahme bemängeln. Vermutlich wurde sie mit einer der verbreiteten Kameras gemacht, die auf kurze Distanzen nicht genau das im Sucher zeigten, was das tieferliegende Objektiv auf den Film bannen würde.

Wer beim Fotografieren nicht daran dachte, schnitt zwangsläufig das Oberteil seines Motivs ab. Dennoch ist hier gerade noch zu erkennen, dass ein Junge auf dem Beifahrersitz herumturnte, während das Foto entstand.

Wir dürfen annehmen, dass diese Aufnahme aus seinem Album stammt, dessen Inhalt im 21. Jh. in alle Winde zerstreut wurde – das ist der Lauf der Dinge. Leider ist vom Kennzeichen nichts zu sehen, sodass das Bild nicht weiter einzuordnen ist.

Ein Zubehör waren die Trittschutzbleche am Schwellerblech unterhalb der Türen – so etwas sieht man auf zeitgenössischen Fotos des Typs nur selten.

Festzuhalten ist, dass zumindest die auf zwei Drittel der Motorhaube begrenzten Luftschlitze typisch für den Horch 8 Typ 375 waren. Die Stoßstange konnte verändert worden sein, und auch beim Typ 350 finden sich bisweilen die Positionsleuchten auf den Vorderschutzblechen statt an der Flanke am hinteren Ende der Motorhaube.

Damit sind wir nun in der Lage, den Wagen auf dem folgenden Foto präzise anzusprechen, auch wenn er nur teilweise zu sehen ist:

Horch 8 Typ 375; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Eine solche Aufnahme hätte in einer Buchpublikation vermutlich keine Chance auf Veröffentlichung, doch in einem informellem Medium wie einem Blog lässt sie sich ohne weiteres einbinden.

Und seien wir ehrlich: der Reiz dieses Fotos liegt doch gerade darin, dass auch hier jemand nicht den Wagen in den Mittelpunkt stellte.

Da lichtete einst jemand den Fahrer seines Horch 8 Typ 375 ab, damit auch er eine Erinnerung in sein Fotoalbum kleben oder die Verwandschaft mit Abzügen beeindrucken konnte.

Der Chauffeur dieses Horch war nicht irgendein Angestellter, den man nach Belieben ersetzen konnte. Das war ein Fachmann, der die Technik eines der modernsten und komplexesten Automobile beherrschen musste, die in Deutschland gebaut wurden.

Ganze 937 Stück des Horch 8 Typ 375 wurden einst im sächsischen Zwickau gefertigt. Einige wenige davon sollen noch existieren – wobei mir noch keiner begegnet ist.

Insofern stellt jedes bislang unpublizierte, noch so unvollkommene alte Foto dieses Luxusautos nach 90 Jahren eine reizvolle Neuigkeit dar…

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

 

 

 

 

 

Luxusproblem: Citroen C4 oder C6 – das ist die Frage…

Heute befasse ich mich mit einer Fragestellung, die sich ohne spezielle Expertise kaum lösen lässt, aber Gelegenheit zu allerlei reizvollen Betrachtungen gibt und sich am Ende als Luxusproblem erweist.

Am Anfang steht die folgende schöne Aufnahme eines Citroen um 1930:

Citroen C6; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses feine Cabriolet mit seiner niedrigen Frontscheibe und der adretten jungen Dame daneben habe ich vor längerer Zeit hier besprochen.

Seinerzeit vertrat ich die Ansicht, dass es sich bei dem Wagen mit seinem üppigen Chromschmuck, der auch Scheinwerferstange, Scheibenrahmen und Stoßstange umfasste, um das Sechszylindermodell C6 handelte, das von 1928 bis 1932 entstand.

Ein Kenner des Modells – Dipl.-Restaurator Martin Möbus – hat diesen Eindruck bestätigt, ihn aber anhand eines technischen Details begründet. So waren die hydraulischen Stoßdämpfer, die man auf obiger Aufnahme sieht, dem C6 vorbehalten.

Dem C6 hatte ich einen ebenfalls in Deutschland zugelassenen zeitgleichen Citroen gegenübergestellt, der kompakter wirkte und mit weniger Chromschmuck daherkam:

Citroen C4 oder C6; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Im direkten Vergleich ist man versucht, einen weiteren Unterschied zwischen den beiden Wagen für bedeutsam zu halten:

Beim zuletzt gezeigten Citroen reichen die Luftschlitze nicht so weit nach vorne wie bei dem ersten Wagen. Könnte das ein zusätzlicher Hinweis auf die unterschiedliche Motorisierung sein? Laut Martin Möbus war dieses Detail eher baujahrabhängig.

Zufällig besitze ich eine Aufnahme, die sicher einen vierzylindrigen Citroen C4 zeigt, auch wenn ich lange nicht wusste, worum es sich dabei handelte. Jedenfalls beherbergt der Motorraum des folgenden Wagens sicher nur einen Vierzylinder:

Citroen C4; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Gleichzeitig sieht man hier ebenfalls, dass die Luftschlitze in der Motorhaube nicht bis ganz ans vordere Ende reichen, was für den geringeren Kühlungsbedarf des 1,6 Liter-Aggregats mit 32 PS spricht.

Wie aber lässt sich dieses zweisitzige Cabriolet überhaupt als Citroen identifizieren? Nun, das ermöglichten folgende Elemente:

  • Scheibenräder mit vier Radbolzen, verchromter Nabenkappe und konzentrischer Linierung,
  • nach oben geschwungener unterer Abschluss des Windlaufs (die Partie zwischen Haube und Windschutzscheibe), Ende der 1920er Jahre kaum noch verbreitet
  • ellipsenförmiges, farbig abgesetztes Zierelement am oberen Ende der Türen –  ein weiteres Detail, das einem zu kastigen Erscheinungsbild entgegenwirkte

Zusammengenommen finden sich diese Gestaltungselemente meines Erachtens nur beim Citroen C4 bzw. C6 der späten 1920er bzw. frühen 1930er Jahre.

Bei geschlossener Haube ergab sich dann übrigens folgendes Erscheinungsbild:

Citroen C4; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Vermutlich zeigen die beiden Aufnahmen aus Deutschland sogar dasselbe Auto, genau  lässt sich das aber nicht mehr ermitteln. Jedenfalls haben wir es hier sicher mit der vierzylindrigen Version C4 von Citroen zu tun.

Als schwierig bis unmöglich erweist sich dagegen die genaue Ermittlung des Typs der Citroen-Limousine auf folgender, bisher hier noch nicht gezeigter Aufnahme:

Citroen C4 oder C6; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Anfänglich war ich der Ansicht, es könne sich um einen kleineren US-Wagen handeln, auch wenn ich kurzzeitig eine Herkunft aus Frankreich erwog.

Klarheit erbrachte jedoch das Votum von Citroen-Kennern, wobei nicht zuletzt das ungewöhnliche Dekor auf der Sonnenschute über der Windschutzscheibe half.

Folgende Dinge fallen hier im Vergleich zu den beiden bereits gezeigten Fotos auf:

  • die Scheinwerferstange ist verchromt und eine Chromstoßstange ist montiert,
  • der Windschutzscheibenrahmen wirkt jedoch wie in Wagenfarbe lackiert,
  • statt kleiner Nabenkappen sind hier große Chromradkappen zu sehen.

Man darf daraus wohl ableiten, dass der Umfang der Chromausstattung keine oder nur bedingte Aussagen über die Motorisierung zulässt. Denkbar ist, dass eine mehr oder minder umfassende Chromausstattung auch beim schwächeren C4 erhältlich war.

Die Ausführung der Naben- bzw. Radkappen war baujahrabhängig, wobei die Radkappen später montiert wurden als die kleinen Nabenkappen (Quelle auch hier: Martin Möbus).

Was nun die Luftschlitze in der Motorhaube angeht, lässt sich aufgrund der mäßigen Qualität des Fotos nicht genau sagen, wie weit diese bis nach vorne reichten.

Die folgende Aufname ist zwar von der Qualität eher noch schlechter, doch scheint sie schon eher einen Hinweis auf die Motorisierung zu geben:

Citroen C6 und Renault; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Zum einen reichen hier die Luftschlitze klar bis ganz ans vordere Ende der Haube. Zum anderen wirkt die Haube merklich länger als auf den beiden Fotos des zweisitzigen Cabriolets mit (mutmaßlichem) Vierzylinder.

Während hier die Version C6 wahrscheinlicher ist als die Version C4, gibt die Gestaltung der Räder neue Rätsel auf. Weder sind hier die kleinen Nabenkappen noch große, die Befestigungsbolzen verdeckende Radkappen zu sehen.

Vielmehr wurde offenbar eine ebenfalls große Chromkappe verbaut, die zwar die Nabe umschließt, aber die Radbolzen sichtbar lässt. Auch hier stellt sich die Frage, ob dieses Detail ausstattungs- oder baujahrabhängig war.

Die Radkappen, die auch die Radbolzen abdeckten, finden sich wiederum auf der folgenden Aufnahme eines Citroen, die einst im französischen Armentières nahe der belgischen Grenze entstand:

Citroen C4 oder C6; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Zwar stand die Sechsfenster-Limousine – diese enorm geräumige Bauart gibt es übrigens schon lange nicht mehr – auf dieser Aufnahme nicht im Vordergrund, doch wurde sie geschickt in die Bildgestaltung einbezogen.

Ich vermute, dass dieses schöne Foto mittels Stativ und Selbstauslöser entstand. Gegen eine spontane Aufnahme einer weiteren Person sprechen die eher ernsten Mienen der Portraitierten, die auf das Geräusch des Kameraverschlusses warteten bzw. die Bewegung der Dame in der Mitte, die im Moment des Auslösens noch den Kopf drehte.

So oder so ist das ein reizvolles Dokument, das davon erzählt, wie man sich und sein Automobil einst inszenierte.

Auch wenn Citroen dank Ausrichtung auf rationelle Großserienproduktion von den Modellen C4 und C6 für deutsche Verhältnisse unvorstellbare 160.000 Exemplare unters Volk brachte, hatten diese Wagen durchaus Prestige.

Etliche davon haben bis in unsere Tage überlebt, was wohl auch dem Umstand zu verdanken ist, dass sie im Unterschied zu den späteren Citroen-Modellen während der deutschen Besetzung Frankreichs ab 1940 kaum requiriert wurden.

Für den Militäreinsatz waren diese Fahrzeuge damals bereits zu alt, zumal man mit dem Fronttriebler Citroen 11 CV „Traction Avant“ Zugriff auf ein hochmodernes Fahrzeug hatte, das bei der Wehrmacht sehr geschätzt wurde und noch bei der Kapitulation 1945 von deutschen Einheiten gefahren wurde.

So wird mancher Citroen der Typen C4 bzw. C6 während des Krieges seinen zivilen Besitzern nach Umbau auf Holzvergaser weiterhin treue Dienste geleistet haben, wie das bei den wenigen nicht eingezogenen deutschen Privat-PKW oft auch der Fall war.

Einen wunderbaren Zeitzeugen dieser Art konnte ich 2014 bei den Classic Days auf Schloss Dyck fotografieren:

Citroen C6; Bildrechte: Michael Schlenger

Bei diesem unrestaurierten Exemplar eines Citroen C6 ist die Holzvergaseranlage erhalten geblieben, was dafür spricht, dass der Wagen nach dem Krieg einfach abgestellt wurde und bis in unsere Tage erhalten geblieben ist.

Solche Funde sind in Frankreich auch heute noch möglich, da dort speziell auf dem Lande keine so rabiate „Modernisierung“ mit einhergehender Wegwerfmentalität stattfand wie in Deutschland.

Besagter Citroen dient aber nicht nur als Anschauungsobjekt für die Magie eines historisch gewachsenen, authentischen Gebrauchtzustands.

Ein Detail an seiner Frontpartie liefert uns auch den Schlüssel zur Identifikation eines weiteren Citroen, wenngleich dort offen bleiben muss, ob es ein C4 oder ein C6  war. Dazu merke man sich die Gestaltung des profilierten Abdeckblechs auf den beiden vorderen Rahmenausläufern:

Genau dieses Element, das typisch für die Liebe zum Detail bei diesem Citroen-Modell ist, ermöglichte nämlich die Ansprache eines Wagens, der auf einem weiteren Foto aus meiner Sammlung zu sehen ist.

Dabei stellt der Wagen auch hier nur die Staffage für ein Porträt dar, entfaltet aufgrund der Perspektive aber eine repräsentative Wirkung, die mich erst an ein Oberklassefahrzeug denken ließ.

Hier nun gewissermaßen als krönender Abschluss dieser Reihe eine Privataufnahme, auf der ebenfalls ein Citroen C4 oder C6 zu sehen ist – man achte auf das erwähnte Rahmen-Abdeckblech:

Der aufmerksame Betrachter wird hier zwar Unterschiede wie das (scheinbare) Fehlen von Stoßdämpfern oder die andere Gestaltung der Haubenhalter (einer ist hier übrigens nicht fixiert…) und der Scheinwerfer registrieren.

Doch die entscheidenden Merkmale – beispielsweise die Form des Kühlergehäuses und der Scheinwerferstange – stimmen überein.

Wiederum reichen die Luftschlitze in der Motorhaube bis ans vordere Ende. Doch deren tatsächliche Länge ist aus dieser Perspektive unmöglich einzuschätzen. Hinzu kommt, dass heutige Aufnahmen des 6-Zylindermodells C6 beide Varianten der Ausgestaltung des Blechs mit den seitlichen Luftschlitzen zeigen.

Zudem gab Martin Möbus den Hinweis, dass das Sechszylindermodell eigentlich auch durch den Schriftzug „SIX“ auf dem Kühlergrill gekennzeichnet war.

Ob das nun immer der Fall war und inwieweit die erwähnten Details eine Unterscheidung nach Motorisierung oder nur nach Ausstattung und/oder Baujahr erlauben, muss in Teilen vorerst offen bleiben.

Aber letzlich stellt das angesichts dieser historischen Fotos des einst so geschätzten Citroen C4 bzw. C6 aus heutiger Sicht ein Luxusproblem dar…

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Günstiger Einstieg inbegriffen: Ein Essex von 1928

Heute befasse ich mich in meinem Blog für Vorkriegsautos auf alten Fotos nach längerer Pause wieder einmal mit der ehemaligen US-Marke Essex.

Diese neben Hudson ab 1919 als günstige Alternative platzierte Marke kennt in Deutschland heute kaum noch jemand. Das war in den 1920er Jahren ganz anders.

Überhaupt war fast alles anders am damaligen deutschen Automarkt, auch das sollen im folgenden zwei historische Aufnahmen illustrieren.

Doch zum Einstieg erst einmal ein neuzeitliches Foto, das erahnen lässt, wie früh Essex mit seinen in den USA als bezahlbare Familienkutschen geltenden Wagen auch in Europa Erfolge landete:

Essex 6A Tourenwagen von 1919/20; Bildrechte: Michael Schlenger

Dieser ganz frühe Essex 6A von 1919/20 – zu erkennen vor allem an den dünnen Frontschutzblechen – stand 2016 auf dem Besucherparkplatz beim Goodwood Revival in Südengland.

Die Teilnahme an der Rallye Peking-Paris 2007 spricht Bände über die Nehmerqualitäten des 55 PS-Vierzylinders. Schon kurz nach Erscheinen machte der Essex mit spektakulären Leistungen bei Langstreckenprüfungen von sich reden.

Das blieb auch in Europa nicht ohne Wirkung. Schon 1920 warb Essex für seine Autos am nicht gerade markenarmen britischen Markt. Der Essex in Goodwood mag stellvertretend dafür stehen.

Ebenfalls aus dem Jahr 1920 stammen die ersten Aufnahmen von Essex-Wagen in Norwegen. In Deutschland sollte es etwas länger dauern, bis die Marke Fuß fasste.

Bryan Goodman zeigt in seinem reizvollen Bildband „American Cars in Europe 1900-1940“ einen Essex von 1925 mit Zulassung im sächsischen Bautzen. Ab dann tauchen gehäuft Aufnahmen von Essex-Wagen in deutschen Landen auf.

Schon einmal gezeigt habe ich dieses schöne Exemplar von 1928:

Essex-Limousine von 1928; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch wenn der Wagen mit seinem üppigen Chromschmuck auf den ersten Blick kaum noch etwas mit dem frühen Exemplar gemeinsam hat, verrät das sechseckige Emblem mit dem Markenschriftzug auf dem Originalabzug, dass auch dies ein Essex war.

Kaum zu glauben, dass dieses fast luxuriös anmutende Auto in den USA bloß als bezahlbare Familienkutsche galt. In Deutschland dagegen war Ende der 1920er Jahre für die meisten Familien jeder motorisierte Untersatz unerreichbar.

Nun war der Essex auf obigem Foto aber in München zugelassen, wie das Kennzeichen verrät. Dort lag – wie natürlich im damals noch prosperierenden Berlin – die Autodichte weit über dem Durchschnitt des Deutschen Reichs.

Sicher wusste das vergnügte Besitzerpaar, in welch privilegierter Lage es sich mit dem Essex befand, der zumindest hierzulande daherkam wie ein ganz Großer. Und groß war er ja auch selbst tatsächlich, wie das nächste Foto noch deutlicher macht.

Doch vorher seien kurz die äußeren Erkennungsmerkmale des 1928er Modells von Essex angeführt:

  • schmaler Kühler mit senkrechten Lamellen (ob verstellbar, ist mir nicht bekannt),
  • geflügelte (männliche) Kühlerfigur
  • abgesetzte Zierlinie entlang der Motorhaube, die bis zur Frontscheibe reichte,
  • am hinteren Ende der Haube an einer Zierleiste montierte Positionsleuchten,
  • breitere, aber nach wie vor optisch zweigeteilte Vorderschutzbleche.

Dieselben Merkmale finden sich auf folgender, bisher unpublizierter Aufnahme wieder:

Die einzige Abweichung stellt das filigrane ADAC-Emblem auf der Scheinwerferstange über dem Nummernschild dar.

Laut Kennzeichen war dieser Essex im sächsischen Chemnitz zugelassen. Man mag dabei an die zeitgleichen Produkte der bei Chemnitz gelegenen Wanderer-Werke denken.

So war der ab (Herbst) 1928 verfügbare Wanderer W11 10/50 PS in einiger Hinsicht durchaus mit dem Essex vergleichbar.

Beide Wagen verfügten über 6-Zylindermotoren mit 50 bzw. 55 PS (Essex). Vierradbremsen waren ebenfalls vorhanden, beim Wanderer sogar serienmäßig hydraulisch.

Auch stilistisch machte der Wanderer W11 etwas her:

Wanderer W11 10/50 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Von den Scheibenrädern und den Blinkern auf den Vorderkotflügeln abgesehen, besteht eine einige Ähnlichkeit mit dem Essex und in der Ausführung als 6-Fenster-Limousine wirkt der Wanderer sogar noch repräsentativer.

Wanderer wusste den amerikanischen Stil jener Zeit fast perfekt zu kopieren, vielleicht sogar noch etwas besser als andere deutsche Hersteller.

Wie kommt es da, dass jemand aus der Gegend von Chemnitz statt eines Wanderer W11 so einen Essex bevorzugte?

Nun, der Hauptgrund war schlicht der, dass die einheimischen Hersteller der steigenden Nachfrage nach PKW ab Mitte der 1920er Jahre nicht Herr wurden.

Während ausländische Hersteller auch in Europa – vor allem Austin, Citroen und Fiat – längst auf Massenfabrikation umgestiegen waren, hielten die meisten deutschen Hersteller an einer unwirtschaftlichen manfakturähnlichen Produktionsweise fest.

So gelang es Wanderer trotz der starken Nachfrage genau im Segment des W11 in vier Jahren gerade einmal 5.000 Exemplare davon zu fertigen. Die Angebotslücke füllten dann die betriebswirtschaftlich denkenden US-Hersteller.

Allein 1928 stellte Essex 230.000 Stück des hier gezeigten Super Six her. Davon gingen offenbar zahlreiche auch an deutsche Kunden, auf deren Bedarf die inländischen Hersteller seinerzeit erst gar nicht und dann nur unzureichend reagierten.

Am Ende war beim Essex nicht nur der Einstieg für die Passagiere günstig, wie man sich das bei heutigen Gefährten dieser Klasse vergeblich wünscht:

Auch der Preis – und die mühelose Verfügbarkeit – machten den Essex offensichtlich zu einem günstigen Einsteigerwagen für die Glücklichen, für die im damaligen Deutschland überhaupt ein Auto erreichbar war…

Am Ende sei noch der jungen Dame gedankt, die dieses für uns Nachgeborene so interessante Foto einst an ihre Freundin Irma in Leipzig als Ansichtskarte schickte, nicht ohne sich für das Motiv zu entschuldigen.

„Habe gerade keine andere Karte zur Hand“, schrieb sie.

Wenn sie aber Zugriff auf ausgerechnet eine solche Karte hatte, dürfen wir vermuten, dass diese den Wagen ihrer eigenen Familie zeigte. Davon machte man gern solche Fotos, die man als Postkarte reproduzieren ließ, um die Leute zu beeindrucken.

Vielleicht wollte die junge Dame ja auch der Adressatin dieser Karte auf raffinierte Weise unter die Nase reiben, dass man selbstverständlich einen eigenen Wagen hatte…

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Letztes Glanzstück aus Stettin: Stoewer „Sedina“

Der Titel des heutigen Eintrags in meinem Blog für Vorkriegsautos auf alten Fotos kostete mich einige Überlegung.

Erst war ich versucht, pathetisch vom „letzten Stoewer“ zu erzählen. Doch damit hätte ich mich nur in die Nesseln gesetzt.

Für die Freunde der Stettiner Traditionsmarke, die als einzige in Deutschland vom Ende des 19. Jh. bis in die frühen 1930er Jahre unter Kontrolle der Gründer blieb, kommt für den „letzten Stoewer“ nämlich nur ein Modell in Frage.

Die Rede ist vom frontgetriebenen „Greif V8“, dessen Prototyp Bernhard Stoewer persönlich auf der Internationalen Automobil- und Motorradausstellung (IAMA) im Februar 1933 in Berlin vorstellte.

Stoewer „Greif V8“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Doch noch bevor die Serienproduktion des kurzzeitig preisgünstigsten Achtzylinders auf dem deutschen Markt in Gang kam, musste Bernhard Stoewer das Unternehmen verlassen, das er und sein Bruder über Jahrzehnte geprägt hatten.

Nach dem Abgang des talentierten Schöpfers des „letzten echten Stoewer“ entstanden in Stettin freilich weiterhin Automobile. Beispielsweise baute man bis 1936 für die Wehrmacht den Kübelwagen M12 RW:

Stoewer M12 RW; Kübelwagen der 12. Kompanie des Infanterieregiments 90; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese noch vor Kriegsausbruch entstandene Aufnahme – erkennbar am Fehlen von Tarnscheinwerfern und am frühen Stahlhelmodell des Mannschaftsdienstgrads neben dem Stoewer – zeigt eines von nur rund 800 Exemplaren dieses Kübelwagens.

Die Basis dafür lieferte der zivile 8-Zylindertyp M12 „Marschall“, der ab 1930 in weniger als 280 Exemplaren entstand. Daran wird deutlich, in welch enger Nische sich Stoewer bewegte.

Dass man dennoch imstande war, auf dieser Grundlage für die Ansprüche des Militärs auch einen Kübelwagen zu liefern, spricht für das Können der Stettiner Manufaktur.

Eigentlich waren die schweren und durstigen 8-Zylinderwagen von Stoewer alles andere als ideal für den militärischen Einsatz, doch scheinen sie robust genug gewesen zu sein, um noch Jahre nach Produktionsende (1936) im Kriegseinsatz zu bestehen.

Darauf komme ich noch zurück. Doch nun zum eigentlichen Gegenstand dieses Blog-Eintrags, der ab 1937 unter Leitung des neuen Vorstandschefs Karl Trefz gebaut wurde:

Reklame für Stoewer „Sedina“ und „Arkona“; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir die elegant und zugleich markant gestaltete Limousine des Vierzylindertyps „Sedina“ mit 55 PS aus 2,4 Litern Hubraum vor uns. Auf gleicher Basis – nur mit längerem Radstand – war das Sechszylindermodell „Arkona“ verfügbar, dessen 3,6 Liter-Aggregat 80 PS leistete,  genug für Tempo 140!

Mit Einzelradaufhängung vorne und hydraulischen Vierradbremsen waren beide Ausführungen ausgezeichnet geeignet für den Alltagseinsatz. Zudem waren die Motoren für Dauerbetrieb auf der Autobahn ausgelegt.

Ebendort entstand einst auch das folgende Foto eines Stoewer „Sedina„, dessen Fahrer sich eine kurze Rast gönnt:

Das Kennzeichen verrät, dass der Wagen im Regierungsbezirk Stettin“ zugelassen war, also im näheren Umkreis des Werks.

Betrachtet man diese Aufnahme, fragt man sich, wie Altmeister Werner Oswald einst in seinem Standardwerk „Deutsche Autos 1920-45“ zu folgendem Urteil gelangte:

„Hingegen vermag die ziemlich unbeholfene Form der Karossen kaum zu überzeugen. Hier ist gar nichts mehr von der Eleganz früherer Stoewer-Modelle und insbesondere von der klassischen Schönheit der großen Achtzylinder zu sehen.“

Zur Erinnerung: Die „großen Achtzylinder“ von Stoewer waren in der Regel streng sachliche Fahrzeuge wie das folgende:

Stoewer „S8“ Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Sicher, als klassisch kann die Karosserie dieses Stoewer S8 von 1928 gelten, doch solche Limousinenaufbauten hatte auch jeder US-Großserienhersteller im Programm.

Möglicherweise dachte Werner Oswald eher an die in der Tat hocheleganten offenen Versionen dieser Achtzylinder-Stoewer. So oder so fehlte ihm aber der Zugang zu den aus meiner Sicht durchaus gelungenen Aufbauten der Modelle Stoewer und Sedina.

Die Klasse des Stoewer wird nicht zuletzt deutlich im Vergleich zur konservativen  Gestaltung des Konkurrenzmodells 230 von Mercedes:

 

 

Sieht man von den seitlichen Kotflügelschürzen und den Stoßstangen ab, war der Mercedes 230 noch ganz den Gestaltungsidealen der späten 1920er Jahre verhaftet.

Zweifellos war der Mercedes von vollkommener Harmonie, irgendwelche formalen Schwächen kann man ihm nicht vorhalten. Er war bloß nicht mehr auf der Höhe der Zeit, was für manchen Käufer damals ein wichtiges Kriterium war.

Der Stoewer dagegen bewegte sich formal in einer Liga wie die dynamisch durchgestalteten Limousinen von Fiat (1500) und Citroen (Traction Avant):

 

 

Damit wir uns recht verstehen: Schöne Autos sind alle vier hier gezeigten Fahrzeuge. Mir geht es nur darum, den Stoewer ins rechte Licht zu rücken.

Bei ähnlichen Fahrleistungen war der vierzylindrige Stoewer „Sedina“ sogar günstiger als der Mercedes 230. Bloß war das Stettiner Werk nicht auf größere Stückzahlen ausgelegt, sonst wären vom Sedina und Arkona vielleicht mehr als nur knapp 1.200 Stück entstanden.

An mangelnder Reklame können die geringen Absatzzahlen jedenfalls nicht gelegen haben. Bei Stoewer verstand man es schon immer, tüchtig die Werbetrommel zu rühren. Auch Sporterfolge dienten von Anbeginn der Schärfung des Markenprofils.

Dabei scheute man in Stettin auch nicht den Aufwand von Werkssportwagen, die man in den 1930er Jahren bei den damals verbreiteten Geländeprüfungen einsetzte:

Stoewer-Reklame von 1939; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir eine solche Sportversion im vollen Einsatz bei der Brandenburgischen Geländefahrt 1939.

Stoewer-Werksfahrer Liedke errang damals mit dem Sedina-Zweisitzer eine Goldene Plakette, wie der Literatur zu entnehmen ist. Inwieweit das abgebildete Modell modifiziert war, wäre interessant zu erfahren.

Bemerkenswert ist jedenfalls die Bodenfreiheit des Wagens, dessen Front serienmäßig erscheint, während die Partie ab der geteilten Frontscheibe sportlich gestaltet war. Ergänzende Informationen hierzu sind willkommen.

Der letzte und zugleich wohl erfolgreichste Einsatz eines Stoewer war beim Internationalen Stadtrennen in Belgrad im September 1939. Unmittelbar vor Ausbruch des 2. Weltkriegs errangen die Stettiner dort die ersten drei Plätze.

1940 kam das Ende des zivilen PKW-Baus bei Stoewer. Fortan kamen Wagen aus Stettin nur noch an der Front zum Einsatz.

Hier haben wir einen der bereits erwähnten Stoewer-Kübelwagen des Achtzylindertyps M12 RW irgendwo in einem Dorf in Russland:

Stoewer M12 RW Kübelwagen und Wehrmachts-Einheits-PKW; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der damals schon mindestens fünf Jahre außer Produktion befindliche Stoewer ist auf dieser etwas verwackelten Aufnahme ganz links zu sehen.

Die beiden anderen Fahrzeuge sind Einheitstypen der Wehrmacht, die von unterschiedlichen Herstellern im Reich gebaut werden mussten. Eie Variante davon, der Leichte Einheits-PKW, entstand auch in den Stoewer-Werken in Stettin bis 1944.

Sein 2 Liter-Motor war aus dem Aggregat des Stoewer „Sedina“ abgeleitet worden. Dieser in rund 9.800 Exemplaren gebaute Wagen war so gesehen der letzte Stoewer.

Im Frühjahr 1945 scheiterte der Versuch, wichtige Produktionsanlagen nach Hamburg zu verlegen.  Amerikanische Truppen hielten den Treck auf und überließen ihn anschließend der nachrückenden Roten Armee.

Die bis dahin noch vorhandenen Maschinen und Unterlagen von Stoewer wurden daraufhin in alle Winde zerstreut.

Der dennoch geplante Neubeginn der Stoewer-Werke unter ihrem letzten Direktor Karl Trefz, der erst Ende 1945 aus russischer Gefangenschaft entkam, scheiterte an seinem frühzeitigen Tod 1947…

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Einfach schön: Facetten des DKW Typ P 15 PS

So gern ich in meinem Blog für Vorkriegsautos die sinnliche Opulenz der Wagen der 1930er Jahre präsentiere, so gern kehre ich zur Einfachheit der 1920er Jahre zurück.

Zur Veranschaulichung des Kontrasts – und zugleich als Vorschau auf künftige Wonnen – erlaube ich mir an dieser Stelle, ein wenig verschwenderisch zu sein.

Denn vollkommener lassen sich die schwelgerischen und zugleich perfekt ausbalancierten Formen der 1930er Jahre kaum darstellen als auf folgender, noch nicht vorgestellten Aufnahme aus meiner Sammlung:

Steyr und Horch; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nach dieser herrlichen Privataufnahme aus den 1930er Jahren – keine Sorge: zu diesen Schätzchen kommen wir noch – wird es nun auf den ersten Blick prosaisch.

Verlassen wirdie Sphäre gut motorisierter und luxuriöser Oberklassewagen jener Zeit und begeben uns in die Ära bodenständiger Mobilität der späten 20er Jahre.

Tatsächlich konnte man damals am deutschen Markt kaum primitiver auf vier Rädern unterwegs sein als mit dem folgenden Gefährt:

DKW Typ P 15 PS Roadster; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Gerade einmal 15 PS leistete dieser Wagen, mit dem Motorradspezialist DKW ab Sommer 1928 die ersten Schritte in Richtung Automobil wagte.

Mit seiner Sperrholzkarosserie und dem lärmenden 2-Zylinder-Zweitaktmotor mutet der DKW Typ P 15 PS aus heutiger Sicht von der Papierform her mitleiderregend an.

Und doch vermitteln Bilder wie dieses 1929 entstandene Foto noch nach 90 Jahren etwas vom Stolz der einstigen Besitzer und Passagiere. Für viele DKW-Fahrer war es das erste Automobil überhaupt, das sie sich leisten konnten.

Wie ungeheuer exklusiv einst selbst das war, lässt sich daran ermessen, dass vom DKW Typ P 15 PS keine 5.000 Stück entstanden. Dabei war es damals das billigste am deutschen Markt verfügbare Serienauto – noch vor Opel 4/16 PS und Hanomag 3/16 PS.

Übrigens handelt es sich bei obigem DKW um die Ausführung als Roadster mit einfachem, ungefütterten Verdeck und feststehender Windschutzscheibe. Zwei Passagiere fanden im Innenraum Platz, außerdem gab es einen Notsitz im Heck, der bei Regen allerdings nicht vom Verdeck übespannt wurde…

Vier Monate später –  im Oktober 1928 – legte DKW nach und bot den Typ P 15 PS als Cabriolet an. Zwar gab es innen weiterhin nur zwei Sitze, doch war das Verdeck nun gefüttert und schloss dank seitlicher Sturmstange besser.

Außerdem – und das erkennt man auf folgender Aufnahme – war die Frontscheibe beim Cabriolet zweiteilig. Der obere Teil ließ sich zwecks Belüftung nach vorne ausstellen:

DKW Typ P 15 PS, 2-sitziges Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Gut zu erkennen ist hier übrigens der Materialmix an der Oberfläche des DKW. Matt erscheinen die mit Kunstleder bespannten Partien der Holzkarosserie, während die Lackierung der stählernen Motorhaube das Licht anders reflektiert.

Hinter dem im Vergleich zum Roadster aufwendigeren Verdeck mit seitlicher Sturmstange sieht man den leicht geöffneten Notsitz, hier als Gepäckraum fungierend.

Bei geschlossenem oder ganz geöffneten Verdeck lag dieses flacher auf als auf obigem Foto, daher zum Vergleich eine weitere Aufnahme des 2-sitzigen Cabriolets, die wiederum etwas vom Glück erzählt, mit einem DKW unterwegs sein zu können.

DKW Typ P 15 PS, 2-sitziges Cabriolet; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Nebenbei ist das ein schönes Beispiel für den lässigen Umgang der einstigen Besitzer mit ihren motorisierten Schätzen – hübsch auch die nachgerüstete „Kühlerfigur“.

Wie der Roadster besaß das 2-sitzige Cabriolet des DKW Typ P 15 PS nur kleine Türausschnitte und die Seitenpartie blieb schmucklos – von einer schmalen Chromleiste entlang der Gürtellinie abgesehen.

Man merke sich den Rahmen um die horizontalen Entlüftungsschlitze in der Motorhaube – er stellt eines der Merkmale zur Unterscheidung der verschiedenen Karosserieversionen dar.

Auf folgender Aufnahme eines DKW Typ P 15 PS ist besagter Rahmen nämlich mit einem Mal verschwunden:

DKW Typ P 15 PS, 3-sitziges Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch sonst hat sich hier einiges geändert:

  • Die Tür reicht nun fast bis zum Trittbrett herunter und weist eine breite, dunkel abgesetzte Zierleiste auf,
  • Kurbelscheiben ermöglichen eine individuelle Belüftung, daher ist die ausstellbare Frontscheibe wieder entfallen,
  • die A-Säule ist profiliert und schwingt am unteren Ende leicht nach vorn,
  • das Verdeck ist weiter hinten angesetzt, sodass im Innenraum nun weiterer Passagier Platz findet.

Diese Version wurde ab April 1929 als 3-sitziges Cabriolet angeboten, obwohl es sich wegen der feststehenden Türrahmen eigentlich um eine Cabriolimousine handelte.

Hier haben wir eine außergewöhnliche Aufnahme, die genau diese charakteristische Partie zeigt:

DKW Typ P 15 PS, 3-sitziges Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Während im Deutschland der 1920er Jahre intensiv über die Anforderungen an einen „Volkswagen“ diskutiert wurde, ohne dass dies in ernstzunehmende eigenständige Konstruktionen mündete, hatten die Hersteller in England und Frankreich längst entsprechende vollwertige Wagen für eine mehrköpfige Familie entwickelt.

Kurios mutet daher an, dass DKW wie auch Hanomag noch Ende der 1920er Jahre meinten, mit zwei- bis dreisitzigen Autos sei dem Bedarf Genüge getan. Immerhin fiel bei DKW 1929 der Groschen und man bot eine viersitzige Version des Typs P 15 PS an.

Dass man damit auf einen nicht mehr zu ignorierenden Nachfragedruck reagierte, wird daran deutlich, dass ein Viersitzer eigentlich erst für den größeren DKW des Typs V 800 mit 20 PS geplant war, dessen Serienfertigung sich aber verzögerte.

So bot man 1929/30 kurzzeitig das bisherige 15 PS-Modell mit der bereits fertigentwickelten 4-sitzigen Karosserie des Nachfolgers an:

DKW Typ V800; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

In Ermangelung eines Fotos eines dieser raren Viersitzer des DKW Typ P 15 PS von 1929/30 muss vorerst diese Aufnahme des genannten Nachfolgetyps V800 dienen.

Die Karosserie war aber identischabgesehen von den Luftschlitzen, die beim viersitzigen Typ P 15 PS noch waagerecht ausgeführt waren.

Hier bekommt man jedenfalls einen Eindruck davon, dass der DKW Typ P 15 PS mit dem Aufbau als Viersitzer (bei kleinen Kindern auch Fünfsitzer) endlich ein vollwertiges Volksautomobil gewesen wäre.

Bloß: leisten konnten ihn sich immer noch nur sehr wenige Deutsche.

Erst die ab 1931 gebauten Fronttriebler von DKW kamen mit einer Stückzahl von rund 250.000 bis 1939 der Vorstellung einer Motorisierung breiter Bevölkerungsschichten näher.

Diese hübschen – und in einigen Varianten hocheleganten – DKWs der 1930er Jahre verdienen es, gelegentlich wieder einmal ausgiebig gewürdigt zu werden…

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Kaum zu fassen! Ein MAF Typ B 6/14 PS von 1910

Kaum zu fassen – das trifft auf den Gegenstand meines heutigen Blog-Eintrags gleich in mehrfacher Hinsicht zu.

So ist es kaum zu fassen, wie miserabel die Wagen der bei Leipzig gelegenen Markranstädter Automobil Fabrik – kurz MAF – dokumentiert sind, die sich ab 1909 mit einigem Erfolg verkauften.

Auch international fanden die mit luftgekühlten Reihenvierzylindern ausgestatteten, äußerst robusten Wagen Anklang, wie wir noch sehen werden.

Die Luftkühlung brachte MAF-Gründer Hugo Ruppe als Erbe aus dem väterlichen Betrieb im thüringischen Apolda mit, wo ab 1904 zunächst Autos mit gebläsekühltem Zweizylinder entstanden waren.

Ein Beispiel für diese als „Piccolo“ vermarkteten leichten Wagen habe ich hier bereits vor einiger Zeit als Fund des Monats vorgestellt:

Piccolo 5 PS-Modell von 1905; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

 

 

Ab 1906 wurden in Apolda dann auch luftgekühlte Vierzylinder gefertigt. Mit dem Übergang zu vollwertigen Automobilen erhielten die Wagen den Markennamen Apollo.

Nachdem Hugo Ruppe das florierende Unternehmen aufgrund von Differenzen mit seinem Bruder verlassen hatte, baute er ab 1909 in Markranstädt luftgekühlte Wagen eigener Konstruktion.

Leider sind die Angaben zu den ersten Modellen A und B in der Standardliteratur äußerst lückenhaft. Altmeister Hans-Heinrich von Fersen geht in seinem Klassiker „Autos in Deutschland 1885-1920“ nur auf die Modelle D und E näherein.

Die Modelle A und B erwähnt er dann nur flüchtig, als sei ihm nachträglich eingefallen, das man sie doch zumindest nennen sollte.

Offenbar lagen von Fersen keinerlei Dokumente zu diesen frühen MAF-Typen vor. Das scheint auch für Halwart Schrader gegolten zu haben, der mit seinem Standardwerk „Deutsche Autos 1885-1920“ eine erweiterte Fassung des „Fersen“ vorlegte.

Doch auch er weiß zu den beiden Typen A und B nichts zu sagen, er nennt die Modelle nicht einmal. Stattdessen liest man lediglich folgende verworren anmutende Passage:

„Es gab anfangs einen 4/12, einen 5/14 und einen 6/16 PS, 1909 abgelöst durch die Modelle 6/12 und 6/18 PS“.

Die Modelle 4/12 und 5/14 PS sind ebenfalls nur die von Fersen genannten Typen D und E, die Modelle A und B bleiben bei Schrader wie gesagt ganz unerwähnt.

Dass ein 6/12 PS-Modell auf ein 4/12 bzw. ein 6/16 PS-Modell folgen sollte, ist zudem abwegig. Vermutlich hat hier die in der automobilen Frühzeit übliche laufende Leistungssteigerung bei gleichbleibendem Hubraum für Verwirrung gesorgt.

Wie so oft ist in solchen Fällen das Studium alter Originaldokumente förderlich:

MAF-Reklame von 1909/10; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sehen wir – das sei an dieser Stelle verraten – genau das Auto, das ich nachher in einer ausgezeichneten, bislang unveröffentlichten Originalaufnahme zeige.

Unten rechts ist zu lesen: „10/12 u. 12/14 PS“. Auf den ersten Blick mag dies nicht zu obigen Motorisierungsvarianten passen.

Doch haben wir es hier noch mit der Leistungsangabe nach alter Konvention zu tun, also „Dauerleistung/Spitzenleistung“ statt der gängigeren Angabe „Steuer-PS/Brems-PS“.

So entspricht der Angabe „10/12 PS“ faktisch die Bezeichnung „5/12 PS“.

Diese Erkenntnis findet sich zwar nicht bei Fersen und Schrader, wohl aber beim im Detail mitunter präziseren Werk von Kirchberg/Gränz „Ahnen unserer Autos“, das sich aus DDR-Perspektive auf die gängigsten ostdeutschen Marken konzentriert.

Bleibt die Frage, welche der beiden in obiger Reklame genannten Motorisierungen (10/12 PS = 5/12 PS bzw. 12/14PS = 6/14 PS) dem dort abgebildeten Wagen entspricht. Die Vermutung liegt nahe, dass es die stärkere Ausführung ist, also 6/14 PS.

Dies bestätigt sich beim Studium einer Quelle, auf die ich am Ende noch eingehen werde, da sie einige spannende Zusatzinformationen liefert.

Nun aber erst einmal zu dem versprochenen Originalfoto eines solchen MAF 6/14 PS von anno 1909/10:

MAF Typ B 6/14 PS von 1909/10; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dass der MAF hier auf den ersten Blick etwas kompakter wirkt als in der Reklame, liegt an dem heruntergeklappten Oberteil der Windschutzscheibe.

Man stelle sich dieses Teil wieder senkrecht aufgestellt vor  – dann passen die Proportionen wieder. Auch alle übrigen Details scheinen übereinzustimmen.

Nebenbei hat sich das Foto auf einer Postkarte von Mai 1911 erhalten, das Auto wird daher kaum später als 1910 entstanden sein.

Auf dieser außergewöhnlich gut erhaltenen und detailreichen Aufnahme sieht man die für MAF anfänglich typische runde Kühlerattrappe – benötigt wurde ein echter Kühler ja nicht, da der Motor über einen seitlichen Ventilator Kühlluft erhielt.

Zweifel an der Identifikation – der kleine NAG-Wagen mit der Bezeichnung „Puck“ besaß eine ähnliche Frontpartie – räumt auch ein näherer Blick auf den „Kühler“ aus:

Der hier auf dem „Kühler“grill teilweise zu sehende Schriftzug entspricht präzise dem damaligen Markenemblem der Markranstädter Automobilfabrik.

Man mag zwar auf den ersten Blick auch „NAG“ für möglich halten, doch dagegen spricht zum einen, dass die „Kühlerwaben“ hier nur ins Blech gestanzte Löcher sind, hinter denen sich kein Wasserkühler befand.

Zum anderen hilft der Vergleich mit folgender Werbeanzeige, die dasselbe Modell zeigt, nun mit einem weiteren (kleineren MAF) und zusätzlich mit dem Markenlogo:

MAF-Reklame aus „Braunbecks Sportlexikon“ von 1910; Faksimileausgabe aus Sammlung Michael Schlenger

Anhand dieser Reklame lässt sich auch ein weiteres Missverständnis in der MAF-Dokumentation im Schraderschen Standardwerk „Deutsche Autos 1885-1920“ aufklären.

Dort heißt es sinngemäß, MAF habe zunächst als Hugo Ruppe GmbH firmiert und erst ab 1911 als Markranstädter Automobilfabrik. Obige Werbung aus Braunbecks Sportlexikon von 1910 widerlegt diese Aussage klar – es kommt aber noch besser:

Tatsächlich wurde bereits bei Gründung des Unternehmens am 4. Mai 1908 folgender Firmenname eingetragen: „Markranstädter Automobil-Fabrik, Hugo Ruppe“.

Erst nach der Übernahme des in Zahlungsschwierigkeiten geratenen Unternehmens 1911 durch externe Kapitalgeber wurde MAF umbenannt in: „Markranstädter Automobil-Fabrik, vormals Hugo Ruppe GmbH“.

Diese historisch verbürgte, wenn auch nicht ganz präzise Angabe hat offenbar zu der Fehlannahme verleitet, MAF habe erst ab 1911 so geheißen. Die entsprechenden Details sind übrigens MAF-Enthusiasten vom Markranstädter Oldtimerverein zu verdanken, die hier die Geschichte des Unternehmens zusammengefasst haben.

Kehren wir nochmals zu dem heute erstmals vorgestellten Foto des MAF Typ B 6/14 PS von 1909/10 zurück. Bei den Insassen handelt es sich vermutlich um Vater und Söhne:

Die ernsten Mienen sind der langen Belichtungszeit geschuldet, die bei solchen Aufnahmen vor über 100 Jahren noch erforderlich waren, wenn die Sonne nicht schien.

Eigentlich hatten die beiden Burschen – eventuell waren es auch Cousins oder Freunde –  allen Grund stolz zu sein, in einem solchen Automobil mitfahren zu dürfen. Die aus heutiger Sicht geringe Motorleistung darf nicht über die enorme Exklusivität dieser frühen Manufakturwagen hinwegtäuschen.

Opels 4 PS-Modell „Laubfrosch“ – der erste Volumenerfolg der Marke – war 15 Jahre später mit Motorisierungen von anfänglich nur 12 PS leistungsmäßig auch nicht weiter.

Darf man zeitgenössischen Quellen Glauben schenken, bewährten sich die luftgekühlten MAF-Vierzylinder (damals die einzigen ihrer Art) ganz hervorragend.

Damit wären wir bei der letzten Quelle, auf die ich an dieser Stelle verweisen möchte.

Während nämlich die lückenhafte und widersprüchliche deutsche Standardliteratur zu MAF wenig Verlässliches zu bieten hat, lassen sich im Netz einige darüberhinaus Erkenntnisse gewinnen.

Zu nennen ist vor allem eine MAF-Originalpublikation von 1911, in der die bisherige Marken- und Modellgeschichte anhand zahlreicher Abbildungen reichhaltig dokumentiert wurde (Quelle).

Wer sich durch sämtliche Seiten dieser Publikation durchklickt, wird gleich mehrfach dem auf obigem Originalfoto gezeigten MAF Typ B 6/14 PS begegnen – und das in erstaunlichen Situationen.

Aufschlussreich sind nicht nur Wettbewerbsaufnahmen des 1911 schon nicht mehr ganz taufrischen Modells, sondern unter anderem auch ein Foto, das einen Wagen des Typs auf einer Piste hoch in den Dolomiten zeigt.

Dass „Luft nicht kocht“, war bei den damals verbreiteten Problemen wassergekühlter Automobile ein großer Vorteil – über 30 Jahre vor dem Volkswagen!

Den Vogel schießen in der erwähnten Publikation aber die Bilder eines MAF Typ B 6/14 PS in Kamerun ab. Angeblich handelte es sich um das erste Auto in der damaligen deutschen Kolonie!

So spannend kann die Beschäftigung mit Vorkriegsautos auf alten Fotos sein.

Mitunter, so auch hier, gestaltet sich die Recherche jedoch unerwartet aufwendig. Daher ist seit dem letzten Blog-Eintrag etwas mehr Zeit vergangen als gewöhnlich.

Bleibt festzuhalten: Kaum zu fassen, wieviele deutsche Vorkriegsmarken noch einer gründlichen und strukturierten Aufarbeitung harren – sei es in Buchform oder (was laufende Ergänzungen und Korrekturen ermöglicht:) im Netz.

Vielleicht nimmt sich ja irgendwann einer der hiesigen Automobilhistoriker noch der Herausforderung MAF an…

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Perfektes Winterauto: Buick Six „Sport Roadster“

Auch wenn die Winter der letzten Jahre hierzulande meist recht mild ausgefallen sind, landen viele moderne Cabriolets routinemäßig ab Oktober in der Garage und weichen einem „Winterauto“.

Diesen Luxus konnten sich Autofahrer vor über 90 Jahren nicht leisten, schon der Besitz eines einzelnen Wagens war zumindest in Deutschland etwas Besonderes.

So kommt es, dass man auf alten Fotos immer wieder offenen Automobilen im Wintereinsatz begegnet, die einem heute zu schade dafür wären – oder für deren Betrieb ohne Heizung man schlicht nicht hart genug ist.

Ein schönes Dokument, das von der diesbzüglichen Furchtlosigkeit unserer Altvorderen zeugt, ist folgende Aufnahme aus den 1920er Jahren:

Unic-Tourenwagen auf dem Grimselpass; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Entstanden ist dieses eindrucksvolle Foto auf dem höchsten Punkt des Grimselpasses in der Schweiz in knapp 2.200 Meter Höhe.

Offenbar war man mit den damaligen Mitteln in der Lage, den wichtigen Pass auch außerhalb der warmen Jahreszeit befahrbar zu halten. Die (nicht nur) in solchen Dingen unaufgeregten und effektiven Schweizer werden dafür eine motorisierte Schneefräse eingesetzt haben.

Bei dem Wagen handelte es sich um einen französischen UNIC von ca. 1925. Genaueres konnte ich bislang nicht herausfinden.

Klar ansprechen und präzise datieren lässt sich dagegen ein anderes offenes Automobil, das ich hier bereits vor einiger Zeit besprochen habe – anhand einer Aufnahme, die alles andere als winterlich daherkommt:

Buick Six „Sport Roadster“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

So sommerlich die Situation auf den ersten Blick erscheint, deutet der feuchte Straßenbelag darauf hin, dass es nicht lange zuvor zumindest einen Regenschauer gegeben haben muss.

Jedenfalls ist zum Aufnahmezeitpunkt die Sonne hervorgekommen und verströmt ihr abendliches Licht aus der Richtung, in die der Kühler des Wagens zeigt.

Man beachte, welch‘ langen Schatten der auf die Spitze gestellte Schuh des Herrn im leichten Sommeranzug wirft. Für ein Privatfoto ist das übrigens eine hervorragende Aufnahme, wie sie es nicht alle Tage gibt.

Nicht ganz so rar, aber dennoch eine nähere Betrachtung wert ist der offene Zweisitzer, der mit leicht geneigter Frontscheibe und filigranen Drahtspeichenrädern eine dezente Sportlichkeit ausstrahlt.

Tatsächlich vermarktete der Hersteller diese elegante Ausführung einst als „Sport Roadster“. In England hätte man sich das nicht getraut, dort musste ein Roadster gedrungener und weniger luxuriös daherkommen.

Doch hier haben wir einen Wagen aus den USA vor uns, wo das reduzierte Konzept des knüppelharten Roadsters mit ausgeschnittenen Türen und Notverdeck kaum Anhänger hatte – das sollte sich erst nach dem Krieg ändern.

Der Hersteller lässt sich leicht anhand der Kühlerform erkennen, die entfernt an Packard erinnert, mit der nach unten in das Kühlernetz ragenden Spitze aber eine eigene Note besitzt. Auf dem Abzug ist dort zudem das Buick-Emblem zu erahnen:

So wenig individuell dieser typisch-amerikanische Roadster mit Golfgepäckfach und sanft abfallendem Heck auch erscheint, lässt er sich doch auf’s Jahr genau datieren.

1927 muss er gebaut worden sein, denn der Buick „Sport Roadster“ des Vorjahrs besaß noch eine geteilte Frontscheibe, während 1928 die trommelförmigen Scheinwerfer durch schüsselförmige abgelöst wurden.

Woher weiß der Kerl das so genau? Nun, wissen kann ich solche Feinheiten natürlich nicht, aber sie lassen sich hervorragend recherchieren. Allerdings nicht im vermeintlich allwissenden Netz, sondern ganz traditionell in einem gedruckten Buch.

Wobei die profane Bezeichnung Buch dem über 1.600 Seiten starken „Standard Catalog of American Cars“ von B.R. Kimes und H.A. Clark nicht gerecht wird. Für alle, die Recherchen zu US-Automobilen bis 1942 betreiben, ist dies die „Bibel“ schlechthin.

So unverzichtbar das Werk auch ist – im ersten Schritt muss man erst einmal eine Vorstellung davon haben, mit was für einem Fahrzeug man es überhaupt zu tun hat. Dass das einige Erfahrung erfordert, belegt folgende Aufnahme:

Buick Six Sport Roadster; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hand auf’s Herz: Wer würde auf Anhieb erkennen, dass hier das gleiche Modell wie auf dem vorherigen Foto zu sehen ist, noch dazu aus demselben Baujahr?

Die Wirkung des Fahrzeugs ist eine deutlich andere. Das hat vor allem – aber nicht nur – mit der winterlichen „Verpackung“ von Kühler und Haube zu tun.

Der Aufwand, der hier zu schnelleren Erwärmung des Motors betrieben wurde, ist außergewöhnlich. Die Kunstledermanschette zur Regulierung der Luftzufuhr am Kühler war zwar mangels Thermostaten ein gängiges Winterzubehör.

Dass aber jemand auch den seitlichen Luftaustritt in der Motorhaube vollständig abgedeckt hat, deutet auf erhebliche Minusgrade hin. Sicher wurde diese Abdeckung nur über Nacht und für die ersten Minuten nach der Startprozedur benötigt.

Was einst gut für den Wagen war, da Kühlwasser und Motoröl so schneller auf Betriebstemperatur kommen konnten, verstellt uns dummerweise weitgehend den Blick auf die bei Vorkriegsautos meist zur Identifikation entscheidende Frontpartie.

Doch selbst hier ist noch genug zu sehen, um eine klare Ansprache zu ermöglichen:

Vielleicht als erstes Detail fällt die Übereinstimmung in der Gestaltung der trommelförmigen Scheinwerfer mit dem leicht eckigen Zierring auf. Die Ausführung der Vorderschutzbleche ist ebenfalls identisch.

Beides wäre für sich genommen kein Beweis, da sich ähnliche Elemente auch bei anderen Hersteller finden, aber zumindest liefern sie einen Datierungshinweis.

Hinzu kommen die geneigte, einteilige Frontscheibe mit nach unten eingezogenem Rahmen sowie die dosenförmigen Positionsleuchten vor der A-Säule. Zudem ist im Original auf der Nabenkappe schemenhaft der „Buick“-Schriftzug zu erahnen.

Die Bestätigung liefert dann die erwähnte US-Vorkriegsauto-Bibel. Dort heißt es nämlich, dass im Modelljahr 1927 eine spezielle Kühlerfigur verfügbar war, die einen geflügelten Frauenkopf zeigte. Dieser Kühlerschmuck ist hier deutlich zu erkennen!

Warum aber wirken die beiden Exemplare des Buick Sport Roadsters von 1927 auf der sommerlichen und der winterlichen Aufnahme so unterschiedlich? Nun, verantwortlich dafür sind mehrere Details an dem zuletzt gezeigten Wagen:

  • die winterliche Kaschierung der Vorderpartie,
  • das geschlossene Verdeck,
  • die Holzspeichenräder – und:
  • der kürzere Radstand!

Tatsächlich war der Aufbau als Sport-Roadster beim Buick von 1927 in zwei Ausführungen erhältlich: als Standard Six mit kurzem Radstand (115 Zoll) und als Master Six mit langem Radstand (128 Zoll).

Beide Versionen unterschieden sich zudem durch die Motorisierung (63 bzw. 75 PS aus 3,4 bzw. 4,5 Liter Hubraum) und wohl auch die Innenausstattung.

Laufruhige Sechszylinder mit strömungsgünstig im Zyinderkopf hängenden Ventilen sowie Vierradbremsen besaßen sie allerdings beide. Damit galten sie in den USA als attraktive Wagen der gehobenen Mittelklasse.

Im Deutschland der späten 1920er Jahre waren bereits solche Modelle für die meisten Menschen ein unvorstellbarer Luxus. Selbst der Besitz eines Motorrads war außergewöhnlich.

Der heutigen Generation der „Schneeflöckchen“, die nach Verlassen der Universität die oberste Priorität auf die sogenannte Work-Life-Balance legt, sei einen Winter lang die Fahrt zur Arbeit in einem Buick Sport Roadster von 1927 empfohlen, um ihre unerhört komfortable Lebenssituation zu erkennen.

Dabei war speziell der Buick mit kurzem Radstand seinerzeit ein ideales Wintervehikel, das selbst bei strengem Frost verlässliche Fortbewegung mit Dach über dem Kopf garantierte – auch abseits freigeräumter Straßen.

Wären diese Wagen mit ihrer großen Bodenfreiheit und breiten Spur unter den schon immer extremen klimatischen Bedingungen in den Vereinigten Staaten unzuverlässig gewesen, wären davon nicht über 250.000 Stück entstanden – in einem einzigen Jahr

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Puzzlearbeit: Die P-Typen von Presto bis 1919

Auch im fünften Jahr meines Blogs für Vorkriegsautos überrascht mich immer noch, wie lückenhaft das Wissen um etliche deutsche Marken der Frühzeit ist – und wie fehlerhaft oder fragwürdig die dazu vorhandene, meist ältere Literatur.

Positiv gewendet heißt das: „Es gibt viel zu tun, packen wir’s an.“

So lautete übrigens ein Werbespruch von Esso in den 1980er Jahren – eine Zeit, in der man hierzulande noch Dinge erledigt bekam. Heute redet meist inkompententes Politpersonal in Talkshows endlos über „Projekte“, die entweder mit gigantischen Bauzeit- und/oder Kostenüberschreitungen bzw. nie fertig werden…

Ein Glück, dass die Entwicklung des Automobils von einem anfälligen, enorm teuren Objekt zu einem alltagstauglichen Fortbewegungsmittel für jedermann seinerzeit praktisch ohne staatliche „Lenkung“ erfolgte.

Allenfalls die militärische Nachfrage nach Automobilen wirkte beschleunigend; sie ergab sich aus einem „Bedarf“ zur Kriegsführung, der vor über 100 Jahren in den meisten europäischen Staaten ziemlich ähnlich ausgeprägt war.

So werden wir auch beim heutigen Thema den Kriegseinsatz ziviler Automobile streifen. Das bleibt nicht aus, wenn man sich mit der Evolution der P-Typen des Chemnitzer Herstellers Presto von 1910-19 befasst.

Hier haben wir das früheste Foto eines Presto-Wagens des P-Typs aus meiner Sammlung:

Presto Typ P 8/22 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dabei handelt es sich meines Erachtens um das ab 1910 gebaute Modell P 8/22 PS, die erste eigenständige Autokonstruktion des sächsischen Fahrrad- und Motorradbauers.

Indizien für eine frühe Entstehung und eine moderate Motorisierung sind das große Markenemblem, das bald von einem kleineren abgelöst wurde, und die recht kleine Kühleroberfläche.

Der 2,3 Liter große Vierzylinder wurde 1913 von einem Motor mit 2,1-Litern abgelöst, der nun 25 PS leistete und entsprechend größeren Kühlungsbedarf hatte.

Der Zufall will es, dass die beiden aufeinanderfolgenden Modelle 8/22 PS und 8/25 PS auf diesem Foto nebeneinander abgelichtet sind:

Presto Typ P 8/22 PS und 8/25 PS: Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sieht man sowohl die größere Kühlerfläche und das geänderte Markenemblem des Presto Typ P 8/25 PS als auch die gegenüber dem Vorgänger 8/22 PS deutlich geglättete Karosserie.

So verschmelzen bei dem rechten, moderneren Wagen Motorhaube und Windlauf – also die Partie vor der Frontscheibe – bereits fast zu einem Ganzen. Warum der Presto P 8/25 PS hier ohne Reifen herumsteht?

Mag sein, dass die Aufnahme in der fortgeschrittenen Phase des 1. Weltkriegs oder kurz danach entstand, als neue Reifen Mangelware waren.

Der Presto 8/25 PS macht davon abgesehen einen hervorragenden Eindruck:

Presto Typ P 8/25 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Gebaut wurde der auf 25 PS erstarkte Presto als einziges Vorkriegsmodell der Chemnitzer Marke bis 1919 – die letzten Exemplare entstanden also vor 100 Jahren!

In der Zwischenzeit wurde das Modell in etlichen Exemplaren militärisch genutzt. Jedenfalls findet man öfters Bilder des Presto P 8/25 PS im Einsatz der deutschen Truppen.

Ein abgesehen vom bayrischen Wappen konventionelles Exemplar haben wir hier:

Presto Typ P 8/25 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Daneben muss es vom Presto Typ P 8/25 PS auch eine Variante mit dem ab 1914 Mode gewordenen Spitzkühler nach Vorbild von Daimler und Benz gegeben haben.

Zwar ist eine solche Ausführung in der mir bekannten Literatur weder erwähnt noch abgebildet, aber das ist letztlich ohne Bedeutung.

Denn welche bessere Evidenz könnte es geben als ein zeitgenössisches Originalfoto, das eine solche Variante zeigt? Im vorliegenden Fall haben wir die Kenntnis davon einem Leser aus Australien zu verdanken, der ein Faible für frühe deutsche Autos hat:

Presto Typ 8/25 PS (Spitzkühlerversion); Originalfoto aus Sammlung Jason Palmer

Doch dieses Spitzkühlermodell mit beidseitigem Markenemblem ist längst noch nicht das letzte Teil im Puzzle um den P-Typ von Presto.

Blenden wir zurück in den Januar 1914, als Presto eine Anzeige herausbrachte, in der neben dem P 8/25 PS weitere Motorenvarianten genannt sind, die bei entsprechend größerem Hubraum 35 bzw. 40 PS leisteten.

Bei der Gelegenheit wird auf elf internationale Sporterfolge allein im Jahr 1913 verwiesen, die vermuten lassen, dass die Presto-Wagen schon vor dem 1. Weltkrieg einiges Ansehen besaßen und sich auch überregional gut verkauften.

Leider scheinen keine Produktionszahlen aus jener Zeit bekannt zu sein, so lassen wir einfach besagte Werbeanzeige für sich sprechen:

Presto-Reklame von Januar 1914; Original aus  Sammlung Michael Schlenger

Das in der Werbeanzeige genannte Modell Typ P 10/35 PS wird in der Standardliteratur mit technischen Daten erwähnt. Doch entsprechen diese vom größeren Hubraum (2,6 statt 2,3 Liter) abgesehen weitgehend denen des Typs P 8/25 PS.

Somit lassen sich die beiden Versionen anhand der äußeren Dimensionen nicht auseinanderhalten.

Immerhin zeigt Halwart Schrader in seinem Buch „Deutsche Autos 1885-1920“ eine Prospektabbildung des Presto Typ P 10/35 PS, die sich identisch beim Vorgängerwerk von Heinrich von Fersen (Autos in Deutschland 1885-1920) findet.

Die Abbildung weist zwei Besonderheiten auf: Zum einen verfügt der Presto dort über Drahtspeichenräder, was am deutschen Markt meist auf eine höherwertige Ausführung hinwies. Zum anderen besitzt der Wagen im Windlauf elektrische Positionslichter.

In natura sah das dann so aus wie auf folgendem bisher unveröffentlichtem Foto:

Presto Typ P 8/25 PS oder Typ P 10/35 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser im Mai 1915 im Hinterland der Westfront abgelichtete Presto entspricht weitgehend dem Typ P 10/35 PS im Buch von Halwart Schrader.

Zwar sind die Vorderschutzbleche hier dünner ausgeführt, aber das muss nichts bedeuten. Jedenfalls finden wir hier die erwähnten Drahtspeichenräder wieder. Dumm nur, dass es die als Option auch beim Typ 8/25 PS gab…

Zwar ist mir bislang sonst kein Foto eines Presto des Typs P mit Drahtspeichenrädern begegnet, doch eignen sie sich allenfalls als Indiz für das stärkere Modell 10/35 PS, wo diese sportlichere Ausführung möglicherweise häufiger montiert wurde.

Bleibt das elektrische Positionslicht, das hier durch Petroleumleuchten ergänzt wurde. Dieses Detail findet sich auf Abbildungen des Typs P 8/25 PS nur bei einer raren Sportversion, ansonsten scheint man dort darauf verzichtet zu haben.

Daher wage ich die Hypothese, dass der Presto aus der Zeit des 1. Weltkrieg, der laut Kennung auf der Haube zum Lauenburgischen Jäger-Bataillon 9 (7. Kavallerie-Division) gehörte, eher ein Typ P 10/35 PS als ein Typ 8/25 PS war.

Nachtrag: Leser Klaas Dierks verdanke ich den Hinweis, dass der abgebildete Wagen laut Nummernschild zur Armeeabteilung Falkenhausen gehörte, die zum Zeitpunkt der Aufnahme (Mai 1915) in den Vogesen kämpfte.

Vielleicht finden sich dereinst weitere Puzzlestücke, die die These vom Presto 10/35 PS-Modell bestätigen oder auch widerlegen. Von der in der Anzeige von Januar 1914 erwähnten noch stärkeren Ausführung 14/40 PS fehlt bislang ein zeitgenössisches Foto – auch hier bestehen also Lücken.

Sicher ist aber, dass einige der Presto-Wagen des am längsten gebauten Typs 8/25 PS den 1. Weltkrieg überlebt haben. Einen davon habe ich schon vor längerem anhand folgender stimmungsvoller Aufnahme vorgestellt:

Presto Typ P 8/25 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Kleidung und Frisuren (speziell der jungen Dame) deuten auf eine Nachkriegsaufnahme hin. Da der Presto hier noch über gasbetriebene Scheinwerfer verfügt, die ab 1918 allgemein von elektrischen Lampen abgelöst wurden, wird diese Aufnahme kaum nach 1920 entstanden sein.

Damit wären wir fast am vorläufigen Ende dieses Puzzles um den Presto Typ P, von dem noch einige Teile fehlen. Neben dem erwähnten großen 14/40 PS-Modell gab es nämlich auch eine Kleinwagenausführung mit der Bezeichnung P 6/18 PS.

Davon fehlt bislang jede Spur, nur die technischen Daten sind bekannt. Wer Abbildungen dazu kennt oder selbst welche beisteuern kann, melde sich bitte über die Kommentarfunktion.

Immerhin liefert mein eigener Fundus ein „neues“ Foto eines Presto Typ P 8/25 PS, das ich den Lesern nicht vorenthalten will. So ist eine zweite Aufnahme exakt des Wagens aufgetaucht, der einst kurz nach dem 1. Weltkrieg so idyllisch aufgenommen wurde:

Zwar kann die Qualität nicht mit der des zuvor gezeigten Fotos mithalten. Dennoch ist die Aufnahme von großem Reiz.

Sie zeigt drei der uns bereits bekannten Insassen und eine weitere junge Dame (mit Fahrerhaube). Offenbar war nun der zuvor am Lenkrad sitzende Herr an der Reihe mit Fotografieren.

Auch wenn sich das (handgemalt erscheinende) Kennzeichen auch hier nicht sicher entziffern lässt, liefert uns diese zweite Aufnahme des Presto möglicherweise einen Hinweis auf den Entstehungsort.

Erkennt jemand die im Hintergrund hoch auf einem Felsen liegende Burganlage wieder? Es scheint sich um einen im Geiste der Romantik im 19. Jahrhundert neugestaltete Festung zu handeln, die heute sicher noch so aussieht.

Nur macht gewiss kein Mensch mehr solche zauberhaften Fotos mit seinem von einer langen Tour heillos verdreckten offenen Wagen davor…

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Herzenssache: Ein Mercedes „Stuttgart“ in Bad Nauheim

Mein heutiger Blog-Eintrag fällt subjektiver aus sonst. Das liegt aber keineswegs an dem Vorkriegsauto, das diesmal im Mittelpunkt steht, sondern an dem Ort, an dem es einst als (vermutlich) willkommene Nebensache abgelichtet wurde:

Mercedes-Benz „Stuttgart“; Bildrechte: Kerckhoff-Stiftung

Die Rede ist von meinem Heimatort Bad Nauheim im Herzen der hessischen Wetterau, auf halbem Weg zwischen Frankfurt und Gießen an der A5 gelegen und malerisch an einen der letzten Taunusausläufer geschmiegt.

Wer mit der Wetterau nur eine Ansammlung eher unansehnlicher Dörfer verbindet, in denen die einst schönsten Fachwerkhäuser meist ohne Sinn für Qualität verunstaltet wurden, der sollte Bad Nauheim besuchen!

Inmitten einer ländlichen Gegend, die seit Jahrtausenden zu den fruchtbarsten Europas gehört (und glücklicherweise von den Verheerungen der Windkraftindustrie weitgehend verschont blieb) ist Bad Nauheim ein beinahe unwirklicher Ort.

In der Niederung unterhalb des Bauerndorfes Nauheim entstand nach Erschließung salzhaltiger Quellen ab Mitte des 19. Jahrhunderts binnen kürzester Zeit ein mondäner Kur- und Badeort von internationalem Ruf.

Angelockt vom Ruf des Heilwassers, führenden Medizinern und einer meisterhaften Stadtanlage von großer Geschlossenheit und baulicher Qualität stieg hier bis zum 2. Weltkrieg alles ab, was in Europa Rang und Namen – oder zumindest Geld – hatte.

Die Kurgäste auf folgendem Foto aus meiner Sammlung besaßen alles gleichzeitig:

Opel Tourenwagen um 1908; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auf der Rückbank des Opel-Tourenwagens sehen wir in Fahrtrichtung rechts halb verdeckt Zar Nikolaus von Russland, neben ihm seinen Schwager Großherzog Ernst-Ludwig von Hessen und vor den beiden eine der Töchter des Zarenpaars.

Aufgenommen wurde diese Szene vor der Burg im Bad Nauheimer Nachbarort Friedberg, wo die Zarenfamilie bei ihren Besuchen im Schloss residierte. Der Opel steht hier abfahrbereit auf der Straße, die noch heute ins nahe Bad Nauheim führt (ausführlicher Bericht).

Doch verdankt Bad Nauheim seinen Ruhm nicht nur den Kuraufenthalten gekrönter Häupter. Es war der erwähnte Ernst-Ludwig von Hessen, der von seiner Residenz in Darmstadt aus die Entwicklung Bad Nauheims zu einer bewunderten Metropole des Jugendstils vorantrieb.

Die meisten Bad Nauheimer wissen zum Glück, was sie dem gebildeten, hochbegabten und der Technik gegenüber aufgeschlossenen Ernst-Ludwig zu verdanken haben. Entsprechend wird sein architektonisches Erbe gepflegt und auch gegen Versuche verteidigt, es mittels banaler und brutaler Neubauten zu entwerten und zu entweihen.

Doch halt – ist dies ein Blog für Vorkriegsautos auf alten Fotos oder ein Architektur- und Reiseführer?

Gewiss, doch laden einen solche historischen Automobilaufnahmen oft auf eine Reise in vergangene Zeiten voller reizvoller Umwege ein. So geht es mir hier nicht nur um die Besonderheiten von Autokarosserien und Technik, sondern auch um sonstige Facetten der Welt von gestern.

Nehmen wir uns also die Zeit und kehren nochmals in den erwähnten Nachbarort Bad Nauheims zurück – in die einstige Römersiedlung und Freie Reichsstadt Friedberg.

In Sichtweite der Friedberger Burg, von der aus vor dem 1. Weltkrieg die Zarenfamilie zum Kuren nach Bad Nauheim fuhr, entstand etliche Jahre später folgende Aufnahme:

Mercedes-Benz „Stuttgart“; Originalfoto aus Sammlung Holger Ahlefelder

Mit diesem feinen Mercedes-Cabriolet, das an einer heute nicht mehr existierenden Tankstelle auf der Friedberger Kaiserstraße abgelichtet wurde, ist nicht nur eine sehr schöne Geschichte verbunden, die ich einem Leser verdanke.

Das Auto passt auch ganz ausgezeichnet zu dem eingangs gezeigten Foto.

Zwar besitzt der in Friedberg abgelichtete Mercedes einen offenen Aufbau der renommierten Manufaktur Reutter, doch entsprach er technisch der Limousine, die einst vor dem Kerckhoff-Institut im benachbarten Bad Nauheim aufgenommen wurde:

Wir haben es hier mit einem Sechszylinder-Modell zu tun, das auf eine Entwicklung von Ferdinand Porsche aus der Mitte der 1920er Jahre zurückging (Typ 8/38 PS).

Mit einigen Verfeinerungen wurde dieses Modell von 1929 bis 1934 als Mercedes-Benz „Stuttgart“ vermarktet. Der technisch unprätentiöse, aber markentypisch solide Wagen war mit zwei Motorisierungen erhältlich.

Die Variante „200“ beschränkte sich auf 38 PS aus 2 Litern Hubraum, während das Modell „260“ mit 50 PS aus 2,6 Litern kräftiger daherkam. Gemeinsam war beiden die seidige Charakteristik des 6-Zylinders, die heutige Autofahrer kaum noch kennen.

Aus heutiger Sicht beträchtlich war der Benzinverbrauch: 14 bzw. 17 Liter wurden für die beiden Versionen des Mercedes-Stuttgart angegeben – bei Spitze 80 bzw. 90 km/h. Man mag daran die enormen Effizienzgewinne ablesen, die seitdem erzielt wurden.

Der Komfort dieser damals sehr teuren Wagen mutet aus moderner Sicht äußerst bescheiden an: Der Belüftung diente eine nach vorn ausstellbare Frontscheibe, eine Heizung gab es nicht (konnte aber nachgerüstet werden).

Auch die blattgefederten Starrachsen und die mechanisch betätigten Bremsen würden dem heutigen Autofahrer einige Umgewöhnung abverlangen, ebenso das unsynchronisierte Getriebe.

Die verchromte Doppelstoßstange, die der Mercedes „Stuttgart“ auf dem Foto trägt, war übrigens ein aufpreispflichtiges Extra. Außerhalb von Großstädten war der Autoverkehr ja so dünn, dass man nicht unbedingt mit Rempeleien rechnen musste.

Aus moderner Sicht mutet die geringe Autodichte der Vorkriegszeit natürlich idyllisch an. Doch die Schattenseite waren eine geringe Mobilität der meisten Menschen und heute unvorstellbare Härten, um bei Wind und Wetter zur Arbeit zu gelangen.

In der einst bitterarmen Wetterau war schon der Besitz eines Fahrrads etwas Besonderes und ein Automobil war bis in die 1930er Jahre purer Luxus.

Selbst im mondänen Bad Nauheim stellte noch in den 1920er Jahren ein Auto eine seltene Erscheinung dar, wie folgende Ansichtskarte illustriert:

Bad Nauheim, Ludwigstraße; Ansichtskarte aus  Sammlung Michael Schlenger

Hier zieht ein typischer deutscher Tourenwagen aus der ersten Hälfte der 1920er Jahre – zu erkennen an der geteilten Frontscheibe – einsam seine Bahn. Heutzutage rollt hier fast pausenlos der motorisierte Verkehr in beide Richtungen.

Nebenbei wurde diese schöne Szene unweit des Aufnahmeorts des ersten Fotos festgehalten, zu dem ich abschließend zurückkehren möchte. Allerdings existierte der dort abgebildete Bau im neoklassizistischen Stil noch nicht, als das Motiv der obigen Postkarte fotografisch festgehalten wurde.

Hier haben wir einen Ausschnitt des eingangs gezeigten Fotos, der erkennen lässt, dass das Gebäude und das Umfeld gerade erst fertiggestellt worden sein können:

Deutlich zu lesen ist hier der Verweis auf den Stifter des strengen Baus: William G. Kerckhoff. Sein Name steht noch heute für die verdienstvollen Aktivitäten der Bad Nauheimer Kerckhoff-Klinik auf dem Feld der Kardiologie (Herzheilkunde).

Kerckhoff (1856-1929) war ein erfolgreicher amerikanischer Geschäftsmann und suchte wiederholt den Bad Nauheimer Herzspezialisten Dr. Franz Groedel zur Behandlung auf.

Zur Förderung der Bemühungen von Dr. Groedel um Einrichtung eines Herzforschungszentrums in Bad Nauheim stiftete Kerckhoffs Frau Louise nach seinem Tod über 1 Million Goldmark zur Errichtung eines solchen Instituts.

Genau dieses Gebäude, das zwischen der eleganten Parkstraße und dem einzigartigen Jugendstil-Sprudelhof entstand, sehen wir auf dem Foto mit dem Mercedes. Wahrscheinlich entstand die Aufnahme kurz nach der Fertigstellung des Baus im Jahr 1931.

Man darf annehmen, dass der Fotograf damals den Mercedes absichtlich vor dem Gebäude leicht außerhalb der Mittelachse platzierte, um die strenge Symmetrie des Gebäudes aufzulockern.

Sein eigener Wagen wird es eher nicht gewesen sein, aber auf jeden Fall war es das Fahrzeug eines Ortsansässigen. Das Nummernschild mit der Kennung „VO 10965“ verrät nämlich, dass das Auto im Kreis Friedberg zugelassen war.

Wem mag der Mercedes wohl gehört haben? Könnte es jemand aus dem Umfeld des Kerchoff-Instituts gewesen sein – vielleicht dessen erster Leiter Dr. Franz Groedel? Möglicherweise lässt sich das noch herausfinden.

Festzuhalten bleibt, dass das Foto des Mercedes Stuttgart vor dem erst kürzlich sanierten Kerckhoff-Institut stellvertretend für die eindrucksvolle Tradition der Herzforschung in Bad Nauheim steht, die bis heute Früchte trägt.

Der von Louise Kerckhoff im Sinne ihres Mannes gestiftete Bau und das zugehörige Institut sind mittlerweile Teil der Max-Planck-Gesellschaft.

Dass ich das schöne Foto hier vorstellen darf, verdanke ich zwei Personen: Das ist zum einen Dr. Matthias Heil, seines Zeichens Pressesprecher des Max-Planck-Instituts für Herz- und Lungenforschung W.G. Kerckhoff-Institut.

Zum anderen ist Beatrix van Ooyen zu nennen, die am 13. und 14. April 2019 in dem historischen Institutsgebäude die dritte Ernst-Ludwig Buchmesse veranstaltet.

Sie weiß, dass für mich nicht nur Vorkriegsautomobile, sondern auch die Geschichte und Gebäude unseres schönen Bad Nauheims Herzenssache sind, und hat durch ihre Vermittlung letztlich diesen Blog-Eintrag ermöglicht.

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Dunkles Geheimnis: Brennabor P 8/24 PS Spitzkühler

Als Betreiber eines Blogs für Vorkriegsautos sieht man sich bisweilen dem Vorwurf ausgesetzt, bloß an der Oberfläche zu kratzen und keine wirklichen Recherchen zu betreiben.

„Mal hinschreiben und gucken, was passiert“, so lautete jüngst die Unterstellung eines Buchautoren, der meine Kritik am schrägen Stil seines ansonsten sehr verdienstvollen Werks nicht verkraftete.

Das ist bedauerlich, denn an sich arbeiten wir Liebhaber von Vorkriegswagen doch alle an derselben Sache. Dass man mitunter nicht warm miteinander wird, ist aber menschlich und letztlich kein Drama.

Aus meiner Sicht macht man sich als Blogger angreifbarer als Verfasser gedruckter Bücher, da es im Netz weit einfacher ist, Kritik zu äußern. Ich sehe das jedoch positiv und meine, dass divergierende Ansichten die Mutter neuer Einsichten sind.

Heute möchte ich einige Fotos aus meiner Sammlung präsentieren, die das unterstreichen. Dabei geht es um eine deutsche Marke, deren Dokumentation gemessen an der einstigen Bedeutung als besonders desolat gelten darf: Brennabor.

Brennabor-Reklame um 1914; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Dass unter diesem Namen in Brandenburg Havel neben Kinderwagen und Zweirädern einst auch Automobile von internationalem Ruf entstanden, wissen heute nur noch Spezialisten.

Erst recht nicht allgemein bekannt ist, dass Brennabor nach dem 1. Weltkrieg eine Weile sogar Deutschlands größter Hersteller von PKW war, bevor Opel vorbeizog. Das liegt auch daran, dass bis heute ein Standardwerk zu den Brennabor-Wagen fehlt.

So kommt es, dass es jede Menge Originalfotos der zehntausendfach gebauten Brennabor-Autos gibt, aber keine verlässliche Referenz in der Literatur. So ist man bei der Identifikation oft auf Mutmaßungen oder Indizienbeweise angewiesen.

Nehmen wir als Ausgangspunkt der heutigen Betrachtung das folgende schöne Foto:

Brennabor Typ P 8/24 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser klassische Tourer der frühen 1920er Jahre ist der erste Brennabor, den ich in meinem Blog besprochen habe. Dabei war gerade seine Identifikation besonders schwierig.

Auf den ersten Blick besitzt das Fahrzeug keinerlei auffallende Merkmale. Doch gerade das Fehlen markanter Schmuckelemente und die vollkommene Sachlichkeit liefern den Schlüssel zur Identifikation.

Betrachten wir dazu den Vorderwagen näher:

Hier fälllt folgendes auf:

  • Das Kühlergehäuse ist in Wagenfarbe gehalten, desgleichen die Nabenkappen und die Fixierung der Motorhaube,
  • die Motorhaube kommt ganz ohne Luftschlitze aus,
  • der Windlauf ist in etwa halb so lang wie die Haube,
  • die Räder besitzen 10 Speichen und vier (wohl) vernickelte Radmuttern,
  • die Frontscheibe ist schräggestellt und mittig unterteilt,
  • das Lenkrad befindet sich rechts, Schalt- und Handbremshebel liegen außen.

Für sich genommen finden sich die meisten dieser Details an zahlreichen deutschen Wagen der Zeit kurz nach dem 1. Weltkrieg.

Doch in der Kombination deuten diese Elemente – speziell die Haube ohne Luftschlitze – auf den Typ P von Brennabor hin, der laut Literatur ab 1919 bzw. 1921 in den Motorisierungen 8/24 PS und später 8/32 PS gebaut wurde.

Hier haben wir nun ein weiteres solches Exemplar:

Brennabor Typ P 8/24 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser Wagen stimmt in allen Details mit dem Tourer auf der ersten Aufnahme überein.

Auch hier ist der Blick auf den Vorderwagen trotz der mäßigen Qualität des Abzugs aufschlussreich – speziell die Gestaltung der Partie unterhalb der Frontscheibe sollte beim Abgleich mit dem ersten Foto etwaige Zweifel ausräumen:

Der Vorderwagen findet sich praktisch identisch auf einer Prospektabbildung im „Oswald“ („Deutsche Autos 1920-45“), dort mit der Typbezeichnung 8/32 PS und der Jahresangabe 1926.

Außerdem zeigt sich dasselbe Erscheinungsbild auf folgender Reklame von 1924, als der Brennabor noch als Typ P 8/24 PS firmierte:

Brennabor-Reklame von 1924; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Wir können daraus schließen, dass sich die beiden aufeinanderfolgenden Motorenvarianten 8/24 PS und 8/32 PS des Brennabor Typ P äußerlich kaum unterschieden.

Übrigens kennt das weit über 40 Jahre alte Werk von Heinrich von Fersen („Autos in Deutschland 1920-1939“) nur den Typ 8/32 PS, der angeblich ab 1921 gebaut wurde.

Vermutlich ist die anfangs schwächere Motorisierung 8/24 PS inkludiert. Doch ist die abweichende Angabe für den Beginn der Baureihe P (1921 statt 1919) auffallend.

Tatsächlich liefert uns der „Fersen“ damit bei aller sonst gegebenen Ungenauigkeit dieses Werks eine wichtige Detailinformation. Offenbar scheint es 1919/20 ein weiteres Modell gegeben zu haben.

Erwähnt ist es zwar weder im „Fersen“ noch im „Oswald“, aber in der 1995 erschienen Broschüre „Brennabor-Werke Brandenburg (Havel) von Kreschel/Mertink. Zu verdanken habe ich die kompakte Darstellung Leser Helmut Kasimirowicz.

Dort ist auf Seite 26 ein Brennabor des Typs P von 1920 (!) mit Motorisierung 9/24 PS (statt 8/24 PS) zu sehen, der heute noch existiert (Besitzer damals: Karl Heinz Pohl, Bonn). Als Besonderheit weist er neben dem größeren Hubraum einen Spitzkühler auf!

Genau solch einen Wagen mit allen Merkmalen des Brennabor Typs P – ebenfalls mit Spitzkühler – konnte ich nun in meinem Bestand ungeklärter Autofotos identifizieren:

Brennabor Typ P 8 oder 9/24 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier ist übrigens ein weiteres Merkmal aller Brennabor-Wagen des P-Typs besonders gut zu erkennen: das nach hinten versetzte – nur ansatzweise der Radform folgende – Vorderschutzblech.

Bei nochmaliger Betrachtung der weiter oben gezeigten Wagen wird man dieses Detail ebenfalls bemerken.

Zwar ist die Brennabor-Plakette auf dem Kühler auch im Original nicht klar lesbar. Doch lässt sich trotz des dem Vorbild von Benz nachgebildeten Kühler ein Benz-Wagen ausschließen – das Fehlen von Luftschlitzen ist dabei entscheidend.

Dieses Foto und die Aufnahme in der erwähnten Broschüre spricht dafür, dass Brennabor direkt nach dem 1. Weltkrieg die damals hierzulande noch gängige Spitzkühlermode vorübergehend aufgriff.

Damit scheint ein etwas größerer Motor der 9/24 PS-Klasse kombiniert worden zu sein, wenn man der Broschüre von 1995 trauen kann. Zu vermuten ist, dass man 1921 mit der Verwendung des 8/24 PS-Motors auch den Flachkühler einführte.

Natürlich stehen diese Annahmen unter Vorbehalt.

Denkbar ist, dass die Angabe 9/24 PS statt 8/24 PS für den Brennabor mit Spitzkühler in der Broschüre ein Fehler ist. Möglichweise waren Spitz- und Flachkühler anfänglich parallel erhältlich – wie das bei den Benz-Wagen jener Zeit der Fall war.

Sachkundige Ergänzungen und Korrekturen sind wie immer willkommen. Gerade im Hinblick auf Brennabor kann jedes Detail zu neuen Erkenntnissen oder zur Absicherung bisheriger Vermutungen führen.

Das war nun ein Thema, das wohl nur die Brennabor-Freunde erfreuen oder ggf. auch in Wallung bringen kann. Doch auf alle Leser, die bis hier durchgehalten haben, wartet eine Belohnung!

Auch wenn es fast ein Kandidat für den Fund des Monats wäre, will ich ein weiteres Foto eines Spitzkühlermodells des Brennabor P-Typs nicht für mich behalten:

Brennabor Typ P 8 oder 9/24 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese sicherlich von einem Berufsfotografen angefertigte Aufnahme zeigt eine Familie von Urlaubern mit ihrem Brennabor vor der Kaiser-Friedrich-Seebrücke im Ostsee-Badeort Misdroy auf der Insel Wollin (heute Polen).

Bei diesem Dokument handelt es sich um das detailreichste Foto eines Brennabor-Spitzkühlermodells, das mir bislang in der Literatur oder auch im Netz begegnet ist.

Hier die Frontpartie in der Ausschnittsvergrößerung:

Alle zuvor erwähnten Feinheiten des Modells sind hier in wünschenswerter Deutlichkeit zu erkennen. Die Stoßstange mit modernem Teleskop-Aufprallschutz war ein zeitgenössisches Zubehör – nicht schön, aber wirksam.

Etwas unheimlich wirkt der ansonsten komplett dunkel gehaltene Brennabor hier schon. Tatsächlich birgt dieses Modell ein Geheimnis, das bislang nicht gelüftet worden ist.

Befand sich unter der glattflächigen Haube, die ganz ohne Luftschlitze auskam, tatsächlich der nur in der Brennabor-Broschüre von 1995 erwähnte 9/24 PS Motor oder das in der sonstigen Literatur erwähnte 8/24 PS-Aggregat?

Und baute Brennabor vor 1921 wirklich schon Exemplare des P-Typs hier mit Spitzkühler? Auf der einschlägigen Brennabor-Website heißt es nämlich, dass der P-Typ zwar 1919 vorgestellt wurde, die Fertigung aber erst 1921 begann.

So bleibt diese Episode der abwechslungsreichen und bis heute unaufgearbeiteten Geschichte der Brennabor-Automobile vorerst ein dunkles Geheimnis.

Unklar ist auch, wer sich einst mit dem Brennabor am Ostseestrand hat ablichten lassen:

Das waren zweifellos gutsituierte Leute, die sich für den Urlaub an der See und diese Aufnahme feingemacht hatten.

Hier war sicher die formatfüllende Mutter in der Mitte tonangebend – als einzige lässt sie den Blick selbstbewusst in die Ferne gehen. Was mag sie in diesem Moment beschäftigt haben?

War womöglich eines der Kinder auf dem Familienfoto ihr eigenes dunkles Geheimnis? Natürlich ist es nur eine Mutmaßung, aber der großgewachsene Jüngling mag so gar nicht zu den übrigen Geschwistern passen…

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Da hilft nur Schneeschippen! Ein NAG im 1. Weltkrieg

Während der Alpenraum im Schnee versinkt, zeigte sich der Winter in der hessischen Wetterau heute wie gewohnt mild. Dennoch waren bei 7-8 Grad Celsius viele junge Männer mit Wollmützen und Handschuhen zu beobachten.

Frieren die wirklich oder tun die bloß so, weil gerade ein verweichlichter Männertyp als „angesagt“ gilt, dem nur noch der Bart als maskulines Attribut erlaubt ist?

Wie auch immer, wenn’s mal wieder richtig frostig wird, werden sich diese Bübchen richtig warm anziehen müssen…

Die Herrschaften auf folgender, über 100 Jahre alten Aufnahme scheinen jedenfalls in jeder Hinsicht für den Winter gewappnet gewesen zu sein und machen dabei noch einen recht entspannten Eindruck:

NAG Chauffeur-Limousine; originale Feldpostkarte aus Sammlung Michael Schlenger

Verschickt wurde dieses ungewöhnliche Foto einst als Feldpostkarte im 1. Weltkrieg.

Zwar ist das genaue Datum nicht vermerkt, doch ist dem Text zu entnehmen, dass sie ein Kraftfahrer der Feldflieger-Abteilung 51 an seinen Bruder Viktor sandte, der damals bei einer Familie Bingler in Ober-Ingelheim bei Mainz wohnte.

Die Aufnahme zeigt sechs Männer mit Fahrerbrille, die eine nicht mehr ganz taufrische Chauffeur-Limousine freischaufeln, die sich irgendwo im Schnee festgefahren hat.

Bei dem Wagen handelt es sich eindeutig um ein Fahrzeug der Berliner AEG-Tochter NAG, die vor dem 1. Weltkrieg einen hervorragenden Ruf für ihre Wagen genoss.

NAGs jener Zeit sind leicht an dem ovalen Kühler zu erkennen, auf dem hier überdies zwei Buchstaben des Markenschriftzugs zu entziffern sind, der in einem Dreieck auf dem Kühlergrill angebracht ist:

Dass die Aufnahme tatsächlich im Krieg entstanden ist, darauf deutet der geschulterte Karabiner des Soldaten hinter dem NAG hin. Am Koppel trägt er zudem mehrere Patronentaschen mit Munition zum Nachladen.

So eindeutig ist, dass diese Aufnahme im 1. Weltkrieg unweit der Front entstand, so schwer fällt die genaue Identifikation des NAG-Modells, das wir hier von uns sehen.

Klar ist folgendes:

  • Der Aufbau ist der einer Chauffeur-Limousine, bei der das Passagierabteil geschlossen war, während der Fahrer außerhalb, aber überdacht saß.
  • Die Haube trifft ohne Übergang im rechten Winkel auf die Schottwand, die den Innenraum vom Motorraum abgrenzt.
  • Die Positionsleuchten sind noch nicht elektrifiziert, vielmehr handelt es sich um Petroleumlampen.

Diese Details deuten zusammengenommen auf einen NAG aus der Zeit vor 1910 hin.

Danach hätte der Wagen über einen als Windlauf bezeichneten, nach oben geschwungenen Übergang zwischen Motorhaube und Innenraum verfügt, außerdem über elektrische Positionslichter.

Das sah dann so aus wie auf dieser Reklame aus dem Jahr 1912:

NAG-Reklame von 1910; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Mit diesem ab 1910 bei den meisten deutschen Autoherstellern gängigen Erscheinungsbild hatte die formale Entwicklung einen beträchtlichen Sprung getan. Erstmals wurden „windschnittige“ Elemente zum Standard im Serienbau.

Damit hätten wir als spätestes Entstehungsdatum des im Schnee festgefahrenen NAG das Jahr 1909. Unternehmen wir nun den Versuch, das frühestmögliche Baujahr zu bestimmen.

Leider gibt es bis heute kein umfassend bebildertes NAG-Standardwerk. Die letzte Annäherung in diese Richtung unternahm H.O. Neubauer vor über 35 Jahren mit seinem Buch „Autos aus Berlin: Protos und NAG“, Verlag Kohlhammer.

So sind wir im 21. Jh. immer noch auf eigene Vermutungen anhand des bisherigen Bestands an Prospektabbildungen und Fotos angewiesen. Leider herrscht auch seitens der deutschen Automobilhistoriker in Sachen NAG bislang Fehlanzeige.

Vielleicht ändert sich dies ja künftig – Material ist jedenfalls reichlich vorhanden – das heute vorgestellte Foto und die stetig wachsende NAG-Galerie in meinem Blog liefern jedenfalls Beispiele dafür.

Auf dieser Grundlage lässt sich die frühestmögliche Entstehung des NAG auf der Feldpostkarte aus dem 1. Weltkrieg einengen. Dabei hilft diese Aufnahme:

NAG Landaulet um 1907, Abbildung aus Braunbecks Sportlexikon von 1910 (Faksimile-Ausgabe aus Sammlung Michael Schlenger)

Hier haben wir einen NAG mit vergleichbaren Dimensionen in der Ausführung als Landaulet. Er besitzt aber noch flügelartig gestaltete Vorderschutzbleche, wie sie bis etwa 1907 verbreitet waren.

Die Abbildung stammt zwar aus dem damals sehr renommierten Braunbeck’schen Sportlexikon von 1910, zeigt aber eindeutig ein früher entstandenes NAG-Modell.

Es gehörte laut Bildunterschrift Charlotte Erbprinzessin von Sachsen-Meiningen – sie war nebenbei Stifterin von Preisen für die bedeutenden Automobilwettbewerbe „Prinz-Heinrich-Fahrt“ und „Herkomer Konkurrenz“.

Vergleiche mit dem Bildmaterial in der spärlichen Literatur legen nahe, dass es sich um das damalige Spitzenmodell von NAG handelt, den Typ B2 29/55 PS. Gebaut wurde dieser Vierzylinder mit 8 Litern Hubraum von 1905 bis 1908.

Bis 1907 wurde der Wagen als 40/45 PS-Typ angesprochen. Diese Bezeichnung bezog sich auf die Dauerleistung von 40 PS und die kurzfristig abrufbare Höchstleistung von 45 PS, die 1908 auf 55 PS erhöht wurde.

Für das hier abgebildete Landaulet waren einst 25.000 Goldmark zu berappen. Daneben gab es etwas kleineres 5,2 Liter-Modell (Typ B1) mit 24 bzw. ab 1908 32 PS, das 15.000 Mark kostete.

Das Jahr 1908 markierte auch in Sachen Kraftübertragung eine Zäsur bei den beiden großen NAG-Typen B1 und B2. Damals wurde der Kettenantrieb durch eine zeitgemäße Kardanwelle abgelöst.

Gut möglich, dass NAG 1908 parallel zur Erhöhung der Leistung und der Einführung der bis heute gängigen Kardanwelle auch formal eine Überarbeitung vornahm.

Dies könnte erklären, weshalb die Vorderschutzbleche auf dem NAG im Schnee moderner ausgeführt waren. Ob wir nun einen NAG des Typs B1 oder B2 vor uns haben, lässt sich bis auf weiteres nicht genau sagen.

Doch einer der beiden Typen um 1908 war es nach der Lage der Dinge wahrscheinlich. Dass das bei Kriegseinbruch nicht mehr moderne Auto dennoch zum Militäreinsatz eingezogen wurde, wird dem Mangel an Fahrzeugen geschuldet gewesen sein.

Gerade im Hinterland der Front konnte ein solcher zuverlässiger NAG noch gute Dienste verrichten. Dass der Wagen nicht auf einer „Lustfahrt“ steckenblieb, verraten die Gepäckstücke auf dem Dach, darunter ein Dreieckskanister mit Benzin:

Merkwürdig ist die schildartige Fläche an der Gepäckreling. Auch auf dem Originalabzug ist dort nichts zu lesen, sie wird also nicht die Bezeichnung der Militäreinheit getragen haben, zu der dieser NAG einst gehörte.

Was mag dort ursprünglich gestanden haben, bevor der Wagen seinen wohl letzten Weg ins Inferno des 1. Weltkriegs antrat? Wo mag er zuletzt eingesetzt worden sein, und was wurde aus den sechs Männern, die uns hier anschauen?

Diese Fragen lassen sich nicht mehr beantworten, doch nach über 100 Jahren mag die winterliche Aufnahme des NAG als weiteres Puzzlestück dazu dienen, irgendwann die Frühgeschichte dieser Berliner Marke besser dokumentieren zu können…

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Vor 90 Jahren: Coole Typen mit Horch 10/50 PS

Mein heutiger Blogeintrag führt uns genau 90 Jahre zurück in die Vergangenheit. Das Foto, um das diesmal geht, entstand nämlich im Januar 1929.

Der Wagen, der darauf zu sehen ist, erweist sich zwar oberflächlich betrachtet als alter Bekannter, doch im Detail treten Besonderheiten zutage, die auch Kennern nicht unbedingt geläufig sein dürften.

Hier nun das Dokument, das eine imposante Sechsfenster-Linousine zusammen mit fünf Spaßvögeln in winterlicher Umgebung zeigt:

Horch 10/50 PS Limousine; Originalfoto aus  Sammlung Michael Schlenger

Die Situation ist natürlich inszeniert – dazu hat sich einer der Herren die Mühe gemacht, im Schnee unter den Wagen zu kriechen.

Das Sujet des gerade überfahrenen, aber dennoch gut aufgelegten Fußgängers findet sich auf Privataufnahmen mit frühen Automobilen öfters.

Während in unseren Tagen das Märchen von tausenden Feinstaub- und Stickoxidtoten erzählt wird, um aus ideologischen Motiven den motorisierten Individualverkehr zurückzudrängen, war einst die Gefahr, als Passant von einem Automobil verletzt zu werden, sehr real und ganz erheblich.

Filmaufnahmen wie die folgende von 1906 (!) zeigen, welchen heute unvorstellbaren Risiken Fußgänger in Großstädten mit starkem Verkehr ausgesetzt waren:

 

 

Gemessen an diesen anarchistischen Verhältnissen war der Straßenverkehr in den 1920er Jahren weitgehend so geregelt, wie wir das heute kennen. Dennoch waren aktive und passive Sicherheit aus heutiger Sicht nur sehr begrenzt.

Immerhin setzte sich um 1925 auf breiter Front die Vierradbremse durch, in den USA mitunter bereits hydraulisch betätigt. Über die zuvor nur als Zubehör erhältlichen Vorderradbremsen verfügte auch der Wagen auf dem heutigen Foto:

Den entscheidenden Hinweis auf den Hersteller des Wagens liefert auf diesem Ausschnitt der geflügelte Pfeil auf dem Kühler – er wurde auf Modellen der sächsischen Luxuswagenmanufaktur Horch ab 1928 verbaut.

Doch wie so oft ist eine Kühlerfigur allein nicht zuverlässig, wenn es um die Datierung und Identifikation des genauen Typs geht. Zwar haben wir es mit einem Horch zu tun (dazu gleich noch ein weiteres Indiz), doch stammt das Auto von 1926.

Wie lässt sich das so genau sagen? Nun, mit dem Blick für’s Detail, der bei historischen Automobilfotos häufig unerlässlich ist. Schauen wir also genauer hin:

Zum einen erkennen wir auf der Mütze des Fahrers das gekrönte „H“, seit 1925 das Markenemblem von Horch, das sich auch auf der Kühlerfront wiederfand. Dass Chauffeure solche „Markenkleidung“ trugen, war keineswegs selten.

Zum anderen sieht man eine unterteilte Frontscheibe, deren unterer Abschluss außerdem der dreieckigen Kontur der Haube folgte.

Das findet sich so nur beim Horch 10/50 PS, der von 1924-26 gebaut wurde. Dabei handelte es sich um den letzten Vierzylindertyp der Marke, die anschließend zu Achtzylindern allerfeinster Bauart überging.

Demnach wurde dieser Horch nachträglich mit der erst 1928 eingeführten Kühlerfigur ausgestattet. Wer Zweifel an der Zuschreibung hegt, sei auf die folgende Aufnahme des gleichen Typs verwiesen, die ich bereits vor längerer Zeit vorgestellt habe:

Horch 10/50 PS Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier ist nicht nur das gekrönte „H“ auf dem Kühlergehäuse zu sehen, man kann auch die erwähnte Kontur der Haubenpartie nachvollziehen, in der sich der dreieckige obere Abschluss des Kühlers spiegelt.

Die Frontscheibe ist ebenfalls unterteilt, wenn auch nur horizontal und nicht zusätzlich noch vertikal – das will aber nicht viel heißen. Entscheidend ist, dass es dieses Erscheinungsbild der Frontopartie nur beim Horch 10/50 PS bis 1926 gab.

Die später gebauten Achtzylinder wiesen weichere Formen an der Front auf und die Windschutzscheibe war in der Regel einteilig.

Dennoch bereitet ein weiteres Detail zunächst Schwierigkeiten, das auf folgendem Ausschnitt zu erkennen ist:

Während die Gestaltung des Trittschutzblechs am Schweller zum Vierzylindertyp Horch 10/50 PS bis 1926 passt, trifft dies auf das Speichenrad scheinbar nicht zu.

Es entspricht formal dem mit Auslaufen der Vierzylindertypen 1926 eingeführten „Kapezet“-Stahlspeichenrad, das die bis dato verbauten Holzspeichenräder ablöste.

Die Literatur – „Horch – Typen, Technik, Modelle“ von Kirchberg/Pönisch, 2. Auflage 2011, S. 152 – stellt dazu fest, dass die von der Kronprinz AG gefertigten Stahlspeichenfelgen über fünf Radbolzen verfügten.

Man sieht die entsprechende Ausführung dieser Räder und die fünf Radbolzen auch auf Fotos der ab 1927 gebauten Achtzylindertypen wie diesem:

Horch 303, 304 oder 305: Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier ist auch die gegenüber dem 10/50 PS-Typ abgerundete Frontpartie der ersten Horch-Achtzylinders nachzuvollziehen.

Doch mit sechs Radbolzen wie auf der winterlichen Aufnahme des Horch 10/50 PS konnte ich diese Stahlspeichenfelgen in der Horch-Literatur bislang noch nicht finden.

Vermutlich montierte Horch an den Vierzylinderwagen des Typs 10/50 PS bei Produktionsende 1926 bereits die neuen „Kapezet“ Stahlspeichenräder, ließ sie aber wie bei den Holzspeichenrädern noch mit sechs Bohrungen versehen.

Für diese These spricht ein weiteres Detail auf dem Winterfoto des Horch 10/50 PS:

Dieser Horch 10/50 PS besitzt Linkslenkung. Die gab es aber ausweislich der Literatur nur in den letzten Produktionsmonaten von Anfang Oktober bis Ende Dezember 1926.

Nur selten kann man den konkreten Produktionszeitraum eines Vorkriegswagens auf einem historischen Foto so genau bestimmen. Jedenfalls würde zu einem der letzten von 2.330 gebauten Horch 10/50 PS passen, wenn er bereits mit den Rädern des in den Startlöchern stehenden Achtyzlinder-Nachfolgers angeboten wurde.

Man mag solche Detail für unerheblich halten, doch sind es gerade Feinheiten wie diese, die eine genaue Datierung erschweren oder erleichtern können. Sollte meine These bezüglich der Räder des späten Horch 10/50 PS zutreffen, würde dies den bisherigen Stand der Literatur passend ergänzen.

Festzuhalten ist, dass es ganz schön coole Typen gewesen sein müssen, die einst nichts Besseres zu tun hatten, als mit ihrem Horch in Eis und Schnee geduldig für die Nachwelt zu posieren.

Dass sie nach 90 Jahren immer noch so viel Aufsehen erregen, hätten sich die fünf Herren vermutlich nicht träumen lassen. Eventuell waren ihre Gedanken ganz profan: „Nun mach‘ schon das verdammte Foto – mir ist kalt!“

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Alles für den extraschicken Auftritt: Hansa 1100 / 1700

Zu den Vorkriegsautomodellen aus deutscher Produktion, von denen zumindest ich nicht genug bekommen kann, gehört der elegante Hansa 1100/1700, der als Vier- bzw. Sechszylinder von 1934-39 entstand.

Die Freunde des konkurrierenden Adler Trumpf Junior mögen es mir verzeihen, aber der Hansa kam bei gleichem Preis raffinierter daher, vor allem als Coupé:

Hansa 1100/1700, Reklame von 1936/37; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Sicher: Der Grafiker hat hier dem flotten Hansa Proportionen angedichtet, die eines Horch-Achtyzlinder würdig gewesen wären. Auch die kühn zugeschriebene „unerhörte Leistung“ hielt sich eher im zeittypischen Rahmen (28 bzw. 40 PS).

Doch blechseitig hatte die seit 1929 zum Konzern von Carl Borgward gehörende Bremer Traditionsmarke durchaus etwas Besonderes auf die Beine gestellt und dazu eine eigene Karosseriefertigung eingerichtet.

An eigenwilligen Details wie der schräg nach hinten geneigten B-Säule und der distinguierten Heckgestaltung sieht man, dass dieser Aufbau kein Massenprodukt von Ambi-Budd war, wie das beim Adler Trumpf Junior der Fall war:

Hansa 1100; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die erwähnte Neigung der B-Säule entsprach annähernd derjenigen der Frontscheibe, was der Karosserie eine dynamische Anmutung verlieh. Dagegen wirkte der Adler Trumpf Junior deutlich behäbiger.

Schön nachvollziehen lässt sich die Linienführung anhand der folgenden Aufnahme, die ich vor einiger Zeit hier präsentiert habe. Dabei sind auch die Luftklappen in der Haube gut zu erkennen, deren Zahl die Motorisierung erkennen ließ.

Vier Klappen besaß der 1100ccm messende Vierzylinder, beim 1,7 Liter-Sechszylinder waren es fünf. Hier ist zudem ein ungewöhnliches Zubehör zu sehen:

Hansa 1100 Coupé; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ich hatte seinerzeit die Frage aufgeworfen, ob jemand mehr zu dem der Entlüftung des Innenraums dienenden Element sagen kann, das oben am Seitenscheibenrahmen angebracht ist.

Kurze Zeit später erhielt ich Post von einem Blogleser, der etwas Großartiges beizutragen wusste – und zwar in Form eines originalen Hansa-Zubehörprospekts, in dem genau dieses Teil aufgeführt ist.

Wie so oft bei Dokumenten zu deutschen Vorkriegsmodellen hat dieses Faltblatt in Ostdeutschland überlebt, wo es die Wegwerfmentalität des Westens nicht gab – sieht man von einmal von den Abrissorgien des sozialistischen Regimes ab.

Leider meinte irgendwann jemand, auf dem Titelfoto herumkritzeln zu müssen:

Hansa-Zubehörbroschüre; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Wir können dieses Manko verkraften wie auch einige Wasserflecken im Innern – die entscheidenden Abbildungen sind durchaus präsentabel. Einige davon zeige ich heute.

Im Original ist das Faltblatt übrigens teilweise farblich gehalten, die entscheidenden Bildausschnitte sind aber in Schwarz-Weiß, weshalb ich mich der Blog-Ästhetik entsprechend für eine entsprechene Wiedergabe entschieden habe:

Meine Auswahl aus diesem reichhaltigen Zubehör (weitere Optionen sind übrigens auf der Rückseite genannt, aber nicht abgebildet) ist natürlich subjektiv.

Sollte jemand als Besitzer eines solchen Hansa Interesse an weiteren Detaildarstellungen haben, stelle ich diese gern zur Verfügung.

Bevor wir zu dem bereits erwähnten Belüftungselement kommen, fangen wir der Einfachheit am Kühler an. So war das Kühlergitter in der Basisausstattung dunkel lackiert, weshalb hier eine silberne Ausführung als Alternative angeboten wurde:

Daneben war eine weitere Variante mit senkrechten Stäben verfügbar – ebenfalls silbern lackiert. Die Einfassung der Kühlermaske war bereits ab Werk verchromt, jedenfalls sind mir bislang keine das Gegenteil beweisende Aufnahmen begegnet.

Fast schon ein Muss für den Hansa-Fahrer war der Erwerb einer im Winter nützlichen Kühlermanschette zur Reduzierung des Luftdurchsatzes. Als Material wird hier eine Art Kunstleder mit der Bezeichnung „Autoduck“ genannt:

„Dreifach verstellbar“ bedeutet hier wohl folgendes:

  • Stellung 1  – ganz geschlossen: zur raschen Aufwärmung des Kühlwassers direkt nach dem Start bei sehr tiefen Temperaturen
  • Stellung 2 – halb aufgeknöpft: zum dauerhaften Betrieb bei großer Kälte
  • Stellung 3 – ganz aufgeknöpft: für Dauerbetrieb bei niedrigen Temperaturen

Hier nun für den Betrieb in der warmen Jahreszeit die erwähnte Entlüftungsvorrichtung zur seitlichen Montage:

Aus Aluminium gearbeitet war nur der Rahmen, die nach außen weisenden Elemente waren dagegen wohl aus Plexiglas, da sie auf dem weiter oben gezeigten Foto durchsichtig erscheinen.

Es muss sich hierbei um ein Hansa-spezifisches Zubehör gehandelt haben, das an den Scheibenrahmen angepasst wurde; leider wird nichts zur Befestigung gesagt. Denkbar, dass es von unten in den Scheibenrahmen gesteckt und dann mit Nieten befestigt wurde.

Ein weiteres Originalfoto eines Hansa mit zeitgenössischem Zubehör ist das folgende, das einen Typ 1700 mit Hamburger Zulassung zeigt:

Hansa 1700 Coupé; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sehen wir als Extras für den besonders schicken Auftritt zwei Chromhupen sowie einen üppig dimensionierten Nebelscheinwerfer.

Entsprechendes Zubehör findet sich auch in unserem zeitgenössischen Faltblatt, wenngleich sich die Ausführung im Detail unterscheidet.

Hier haben wir zunächst ein als Extra angebotenes Hupenpaar von Bosch:

Auf den ersten Blick scheint das derselbe Hupentyp zu sein wie auf dem zuvor gezeigten Foto des Hansa mit Hamburger Zulassung.

Jedoch scheint bei der in Fahrtrichtung rechten Hupe beim Ausstanzen der unteren Schlitze in der vorderen Abdeckung etwas schiefgelaufen zu sein, wie der Vergleich mit der anderen Hupe zeigt.

Oder haben wir es hier mit einer verunglückten Retusche im Zuge der Erstellung des Zubehörfaltblatts zu tun? Nicht eindeutig sagen lässt sich zudem, ob die Hupen des Hansa auf dem Foto auch den BOSCH-Schriftzug tragen, das Original lässt kein Urteil zu.

Sicher ein anderes Teil als im Zubehörfaltblatt wurde an dem Hansa aus Hamburg in Form des Nebelscheinwerfers verbaut. Hansa bot u.a. diese Ausführung an:

Immerhin verrät der Text, dass weitere Varianten erhältlich waren. Kein Wort wird dagegen zu dem Bügel verloren, an dem der Nebelscheinwerfer montiert wurde.

Die Ausführung im Faltblatt wurde offenbar am vorderen Rahmenende befestigt, wo auch die Stoßstange angebracht war.

Auf dem Foto des Hamburger Hansa sehen wir dagegen eine andere, aufwendigere und raffiniertere Ausführung des Haltebügels:

Hier ist besagter Bügel nicht nur verchromt, sondern auch weit eleganter in die Frontpartie integriert. Ich vermute, dass es sich hierbei um eine individuelle Anfertigung handelte, für die Bohrungen in der Karosserie erforderlich waren.

Das Emblem auf dem Kühlergrill ist das des DDAC, in dem nach 1933 die deutschen Autoclubs von den Nationalsozialisten zwangskollektiviert wurden.

Auch in solchen Details offenbarte sich eine auf Ausschaltung von Individualität und Pluralismus abzielende, antibürgerliche Ideologie – übrigens eine latente Gefahr.

Die betrüblichen Zeitumstände, unter denen die schönen Hansa-Wagen entstanden, sollten einen aber nicht von einer eingehenden Beschäftigung damit abhalten.

Einige dieser Fahrzeuge haben die Zeiten überdauert und heutige Besitzer sind möglicherweise dankbar für alle originalen Dokumente, die Einblicke in Details erlauben, die sonst nirgends dokumentiert sind.

Am Ende fragt man sich, weshalb sich der schicke Hansa 1100 bei identischem Preis, gleicher Leistung und ähnlichen Abmessungen schlechter verkaufte als der Adler Trumpf Junior.

Sicher, der Adler konnte mit Frontantrieb auftrumpfen, doch der war manchem Autoenthusiasten in den 1930er Jahren noch suspekt. Zudem bot der Hansa hydraulische Vierradbremsen, nicht nur Seilzugbremsen.

Möglich, dass Adler aus Frankfurt das größere Prestige besaß, im deutschen Sprachraum über eine bessere Präsenz verfügte und logistisch zu größeren Stückzahlen imstande war.

Dafür sollte Hansa bzw. der Borgward-Konzern nach dem Krieg noch zu großer Form auflaufen, während sich Adler wie Hanomag aus schwer nachvollziehbaren Gründen gegen eine Wiederaufnahme der PKW-Produktion entschied…

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Start ins Neue Jahr: Ein Packard Sedan von 1926

Den Start ins Jahr 2019 zelebriere ich in meinem Blog für Vorkriegsautos auf alten Fotos der Einfachheit halber mit einer Aufnahme, die mit zupackender Dynamik daherkommt:

Packard Sedan von 1926; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Sechsfenster-Limousine, die hier kraftvoll vom Bürgersteig wegbeschleunigt, ist an sich leicht zu identifizieren. Doch ein solch gelungener Schnappschuss findet sich nicht alle Tage – ein Grund mehr, ihm etwas Aufmerksamkeit zu widmen.

Zwar ist ein Packard der 1920er Jahre stets zuverlässig am markant geschwungenen Oberteil des Kühlers zu erkennen, das Opel seinerzeit ziemlich dreist kopierte. Doch die genaue Datierung verlangt etwas Spürsinn.

Zum Glück liegt mit dem „Standard Catalog of  American Cars“ von Kimes/Clark ein Werk vor, das die meisten US-Vorkriegsmodelle mit wünschenswerter Akribie bespricht. Außerdem enthält die US-Autogalerie meines Blogs ausreichend Vergleichsmaterial.

Nehmen wir als Ausgangspunkt zur Einordnung dieses schöne Exemplar, das im April 1935 vor dem Berliner Dom abgelichtet wurde:

Packard Roadster von 1927/28; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Kühlerform und Trommelscheinwerfer entsprechen auf den ersten Blick denjenigen auf der eingangs gezeigten Aufnahme.

Wichtige Unterschiede stellen jedoch folgende Details dar:

  • die verchromten Enden der Doppelstoßstange,
  • die rundlicher geformten Vorderschutzbleche,
  • die schlichteren Scheibenräder mit kleineren und zahlreicheren Radbolzen sowie
  • die Zierleiste am hinteren Haubenende mit den Positionsleuchten.

Diese Elemente tauchen erst bei den Packard-Modellen von 1927/28 auf. Ab 1929 wurden übrigens schüsselförmige Scheinwerfer verbaut, weshalb sich der Packard aus Berlin genau datieren lässt.

Alle genannten Elemente fehlen an der Packard-Limousine:

In der Frontansicht sind es vor allem die kantigeren Vorderschutzbleche und die unauffälliger gehaltenen Stoßtangen, die den Wagen älter wirken lassen.

Gleichzeitig liefert die aus einem Teil bestehende Frontscheibe einen Hinweis auf die frühestmögliche Entstehung dieses Packard: 1925.

Nicht gleich zu Beginn der Produktion dieses Modells, doch noch vor ihrem Ende im Spätsommer 1926, löste die einteilige Frontscheibe die geteilte ab. Unabhängig von diesem Detail besaßen alle Packards seit 1924 serienmäßig Vierradbremsen. 

Während die Datierung der mächtigen Limousine mit 1925/26 als gesichert angesehen werden kann, muss die Motorisierung offen bleiben.

Verfügbar waren großvolumige Sechs- bzw. Achtzylinderaggregate mit 60 bzw. 85 PS. Doch abgesehen von Radstand und Niveau der Standardausstattung scheinen sich die beiden Motorenvarianten kaum unterschieden zu haben.

Beide Modelle waren mit zwölf (!) verschiedenen Aufbauten ab Werk erhältlich. Auch die besonders geräumige siebensitzige Limousine, die wir hier vor uns sehen, gab es mit sechs und acht Zylindern.

Vom Sechsyzlindertyp entstanden rund fündmal so viele Exemplare wie vom Achtzylinder, doch das erlaubt letztlich keine Aussage über die Motorisierung „unseres“ Packard.

Wer sich seinerzeit einen solchen Wagen leisten konnte, für den lag auch die teure Achtzylinderausführung im Rahmen des Erreichbaren. Sie stellte sogar ein besonderes Abgrenzungsmerkmal dar.

In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre wurden im deutschsprachigen Raum mangels ausreichenden heimischen Angebots in hoher Zahl US-Wagen importiert, die in der Regel bereits in der Basismotorisierung über 6 Zylinder verfügten.

Wo aber entstand eigentlich das Foto der Packard-Limousine? Die Antwort scheint auf auf den ersten Blick leicht – in der Schweiz:

Das Schweizerkreuz auf dem Nummernschild und die erhaben geprägten Ziffern sprechen zwar für eine eidgenössische Zulassung. Aber: die DAS-Plakette auf dem Kühler verweist auf eine Versicherung bei der erst 1928 in Berlin gegründeten Gesellschaft.

Wieso sollte ein Schweizer seinen Packard von 1925/26 ab 1928 plötzlich bei einem deutschen Anbieter versichert haben? Er wird doch vorher bereits Kunde einer schweizerischen Assekuranz gewesen sein.

Kann es sein, dass es sich bei dem Packard um das Fahrzeug eines deutschen Besitzters handelte, der geschäftlich oder in öffentlicher Funktion länger in der Schweiz zu tun hatte und für die Zeit seines Aufenthalts ein Sonderkennzeichen erhalten hatte?

Das „D“ nach der Ziffernfolge könnte auf eine solche Konstellation hinweisen. Sachkundige Hinweise dazu sind wie immer willkommen.

Man sieht: Auch gut dokumentierte Vorkriegsautos wie dieser Packard können durchaus Rätsel aufgeben, die die Altautofraktion gemeinsam lösen kann. Insofern ist das doch ein vielversprechender Auftakt für 2019!

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