Besuch aus Hamburg: Ein Brennabor in Friedberg

Heute haben wir es mit einem ganz besonderen Foto zu tun – zumindest aus Sicht des Verfassers. Doch vielleicht macht die Aufnahme auch dem einen oder anderen Freund von Vorkriegsautos aus dem Norden der Republik Freude.

Auf den ersten Blick sieht man nichts Spektakuläres und denkt vielleicht: „Naja, irgendein offener Wagen der späten 1920er Jahre irgendwo auf einer Landstraße, noch dazu unvorteilhaft schräg von hinten festgehalten.

Brennabor_AK_oder_ASK_bei Friedberg_Hessen_Galerie

Brennabor Typ AK oder ASK; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Doch das so unscheinbare und nicht sonderlich gut erhaltene Dokument hat es im wahrsten Sinne des Wortes in sich.

Eigentlich hatte der Verfasser diesen Abzug nur aus lokalpatriotischen Motiven erworben und dachte lange nicht, dass auch das Auto darauf eine nähere Betrachtung wert sei, geschweige denn sich identifizieren lasse.

Auf Anhieb klar war, dass die Aufnahme die Ansicht von Friedberg im Wetteraukreis zeigt, die sich einem darbietet, wenn man von Rosbach vor der Höhe (d.h. dem Taunus) kommend auf die einstige Freie Reichstadt (mit römischen Wurzeln) zufährt.

Das verrät dem Einheimischen die unverwechselbare Silhouette der mächtigen gotischen Hallenkirche mit dem auffallend kurzgeratenen Turm:

Das für einen Ort mit weniger als 30.000 Einwohnern ungewöhnlich große Bauwerk kündet von der einstigen Bedeutung der hochmittelalterlichen Kaufmannsstadt und überragt noch heute die Silhouette der Stadt.

Nur die großzügigen Bürgerhäuser des frühen 20. Jahrhunderts, die man auf dem Foto im Vordergrund sieht, sind inzwischen durch moderne Bebauung verdeckt.

Leider ist die gut erhaltene spätmittelalterliche Altstadt heute durch an Primitivität schwer zu überbietende „Geschäfte“ oft bis ins erste Geschoss verschandelt und lässt kaum mehr etwas vom Einzelhandel ahnen, der noch intakt war, als der Verfasser hier in den 1980er Jahren die Augustinerschule besuchte.

Zum Zeitpunkt der Aufnahme des Fotos war Friedberg dagegen ein wohlhabendes Zentrum des Bürgertums inmitten der von kleinteiliger Landwirtschaft geprägten Wetterauregion.

Mag sein, dass die Zeugen der fast 2.000-jährigen Geschichte von Friedberg einst die Reisenden anzogen, die sich hier bei einem Halt kurz vor der Stadt ablichten ließen:

Das Kennzeichen bedarf wohl keiner Erklärung – hier waren tatsächlich unerschrockene Herrschaften aus der Hansestadt Hamburg in einem offenen Zweisitzer-Cabrio mit „Schwiegermuttersitz“ unterwegs.

Der aufmerksame Betrachter wird die kahlen Bäume und die Schneereste am Straßenrand registriert haben – was die Gäste aus dem Norden nicht davon abhielt, mit offenem Verdeck zu fahren.

Während heute Ende März bei 12 Grad Plus und Sonnenschein vor allem junge Zeitgenossen noch mit Wollmützen und geschlossenen „Funktionsjacken“ unterwegs sind, waren unsere Altvorderen hinreichend abgehärtet und trugen bei Bedarf wirklich wärmende Kleidung aus Wolle statt Kunststoff.

Nur so waren solche Touren an der frischen Luft in der kalten Jahreszeit auszuhalten. Mit zwei Passagieren im Heckabteil blieb einem auch nichts anderes übrig, da diese bei geschlossenem Verdeck kaum etwas von der Gegend mitbekommen hätten.

Was aber war das für ein 2+2 Cabriolet, mit dem einst die wackeren Hamburger Jungs und Mädel(s) unterwegs waren?

Nun, ein paar Anhaltspunkte haben wir: geschüsselte Scheibenräder mit vier Radbolzen, trommelförmige, lackierte Frontscheinwerfer und zwei auffallend weit auseinanderliegende Zierleisten an der Flanke.

Opel und andere Verdächtige waren rasch ausgeschlossen. Übrig blieb nur ein Brennabor des Sechszylindertyps AK bzw. ASK von 1928/29, an dem sich alle genannten Details wiederfinden.

Der massige Wagen (über 1,5 Tonnen Leergewicht) wurde auf kurzem Radstand (daher das „K“ in der Typbezeichnung) mit 2,5 Liter und mit 3 Liter Hubraum (45 bzw. 55 PS) angeboten. Verfügbar war auch eine Langversion mit Pullman-Aufbau (Typ AL bzw. ASL), die noch schwerer und behäbiger war.

Das zweisitzige Cabrio mit 2 Notsitzen gab es nur in der Kurzversion, daher die Ansprache als  Typ AK oder ASK. Die Ausführung ist in der spärlichen Literatur zu Brennabor erwähnt, aber fotografisch kaum dokumentiert.

So gesehen hat es diese schöne Aufnahme vielleicht auch für die Freunde der einst so erfolgreichen Automarke aus Brandenburg an der Havel „in sich“. Ansonsten kommen hier die Hamburger wie die Wetterauer Lokalpatrioten auf ihre Kosten…

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

 

Der Berg ruft – kein Problem: Buick „Six“ von 1930

Wer Werbeanzeigen früher Automobile studiert, stößt bei höherwertigen Modellen immer wieder auf das Attribut „idealer Bergsteiger“.

Das war ein Hinweis darauf, dass man im Mittel- oder Hochgebirge auch vollbesetzt ohne Überhitzung des Motors fahren konnte. Bis in die 1950er Jahre war eine Alpenüberquerung beispielsweise für viele Autos eine Herausforderung.

Der Ruhm des Volkswagens rührt nicht zuletzt daher, dass sich mit ihm auch die fiesesten Paßstraßen problemlos bewältigen ließen. Der Verfasser erinnert sich gern an die Überquerung des Gotthard mit seinem 1200er Käfer bei strahlendem Sonnenschein.

Vor dem Aufkommen luftgekühlter Motoren brauchte es vor allem reichlich Leistung, um unbeschwert nach Italien zu gelangen, wenn man sich nicht für einen Autoreisezug entschied:

Autoreisezug in Airolo; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese außergewöhnliche Aufnahme zeigt einen Autoreisezug in Airolo (Tessin) südlich des Gotthardpasses.

Neben einem mächtigen Mercedes (zweiter von links) sehen wir unter anderem ein Horch 8 Typ 350 Sedan-Cabriolet (vierter von links), von dem wir hier schon einige Fotos gezeigt haben.

Abseits der Eisenbahnhauptstrecken musste der Besitzer solcher schweren Wagen aber schon selbst Hand anlegen. Da ist es kein Wunder, dass Aufnahmen aus bergigen Urlaubsregionen immer wieder gut motorisierte US-Modelle zeigen.

Folgender Bildausschnitt ist ein Beispiel dafür:

Buick „Six“ und Minerva; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Vor einem Alpengletscher sehen wir hier an einem Aussichtspunkt irgendwo in der deutschen Schweiz mehrere großzügige Wagen, die den Weg hinauf aus eigener Kraft bewältigt haben müssen.

So reizvoll das offene Modell der belgischen Manufaktur Minerva (zweiter von links) auch ist, beschränken wir uns heute auf die großzügige Limousine am rechten Bildrand mit schweizerischer Zulassung.

Die Form des Kühlers und das zwischen den Scheinwerfern angebrachte Markenemblem verraten, dass es sich um einen Buick „Six“ von 1929 oder 1930 handelt. Ganz genau lässt sich das nicht sagen.

Präzise ansprechen lässt sich der Buick auf dem folgenden Foto, das einst ebenfalls im Alpenraum entstand:

Buick „Six“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Neben den beiden Damen mit Schal und Mantel sehen wir einen ganz ähnlichen Buick wie auf der vorangegangenen Aufnahme. Der Markenschriftzug ist etwas nach unten gerutscht, was für sich nicht viel bedeutet.

Wichtiger für die Eingrenzung sind die vertikalen Kühlerlamellen, die erst 1930 eingeführt wurden. Ihre Stellung wurde über ein Thermostat an den Kühlbedarf des Motor angepasst – im Gebirge eine ideale Lösung.

Noch wichtiger war jedoch die souveräne Motorleistung des Buick. Je nach Radstand wurden drehmomentstarke Reihensechszylinder mit 80 bzw. 99 PS angeboten.

Neben diesen Ausführungen des Buick „Six“ gab es ab 1931 auch einen „Eight“, der mit unterschiedlichen Leistungen angeboten wurde, die bis über 100 PS reichten. Zu erkennen waren diese Modelle an einer „8“ auf dem Kühleinfüllstutzen.

Dieses Detail fehlt auf den bisher gezeigten Aufnahmen ebenso wie auf dieser, die wir den Lesern dieses Blogs nicht vorenthalten möchten:

Buick „Six“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese schöne Privataufnahme wurde vor fast genau 80 Jahren – im Mai 1938 – als Ansichtskarte verschickt.

An dem im Kreis Schwaben (Kennung IIZ) zugelassenen Buick sehen wir deutlich die erwähnten Kühlerlamellen des Modells von 1930. Auch der obere Kühlerabschluss, die Form der Frontschutzbleche und die Doppelstoßstange passen dazu.

Mangels „8“ auf dem Kühler können wir davon ausgehen, dass diese Limousine mit einem der kräftigen Sechszylinder ausgestattet war.

Mit so einem souveränen und gut ausgestatteten Wagen im Gebirge unterwegs zu sein, muss aus damaliger Sicht ein Vergnügen gewesen sein, vorausgesetzt, die mechanischen Vierradbremsen waren richtig eingestellt.

Die Insassen des Buick scheinen jedenfalls ganz vergnügt gewesen zu sein:

Mit dem leistungsstarken Buick war man auch 1938 noch auf der Sonnenseite des Lebens. Was in den darauffolgenden Kriegsjahren aus den Personen auf dem Foto wurde, wissen wir wie so oft nicht.

Auch über das Schicksal des Buick kann man nur spekulieren. Von den einst so zahlreich in Deutschland verkauften „Amerikaner“-Wagen haben nur sehr wenige die Zeiten überdauert…

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Vollendete 2-Takt-Eleganz: DKW F5 Luxus Cabrio

„Oje, wieder eine dieser Zweitaktgurken von DKW“ – was haben da Eleganz und Luxus verloren? Gemach, bislang hat noch jeder Eintrag in diesem Blog für Vorkriegsautomobile das geliefert, was die Überschrift verspricht.

Schauen wir uns einmal ohne Markenvorurteil an, was wir auf folgendem Originalfoto der späten 1930er Jahre sehen:

DKW F5 Front Luxus Cabriolet 4-sitzig; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ein elegantes viersitziges Cabriolet mit gefüttertem Verdeck, Ledersitzen, verchromter Sturmstange und seitlicher Chromleiste, die als Kometenschweif ausläuft. Der Glanz des Lacks verrät, dass die Karosserie ganz mit Blech beplankt ist.

Nichts davon will so recht zu einem DKW der Vorkriegszeit passen, an dem außer Motorhaube und Schutzblechen kaum ein Karosserieteil in Stahl ausgeführt war. Von Ledersitzen und solchermaßen üppigem Chromeinsatz ganz zu schweigen.

Und doch haben wir es eindeutig mit einem DKW zu tun – mit einem Typ F5, um genau zu sein. Die Beweisführung führt über einige reizvolle Nebenstrecken zum Ziel.

Man präge sich dazu folgende Elemente auf obiger Aufnahme ein: die breit auslaufende Chromleiste an der Flanke, die lackierten Drahtspeichenräder und die parallel zu Frontscheibe und A-Säule geneigten Luftschlitze in der Haube.

Fast alles finden wir auf folgendem Foto wieder, das einst in der reizvollen Mittelgebirgslandschaft Thüringens entstand:

DKW F5 Front Luxus Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Man sieht von dem Wagen – hier mit geschlossenem Verdeck – gerade  genug, um die Übereinstimmung zu erkennen.

Vom abweichenden Farbschema abgesehen alles identisch, möchte man meinen. Doch halt: Speichenräder – Fehlanzeige! Stimmt, dafür sieht man ein anderes wichtiges Detail: die durch das obere Türscharnier laufende Chromleiste.

Daran erkennt man ein 4-sitziges Cabriolet des DKW F5 Front Luxus Cabrios. Diese attraktiven Wagen wurden nicht wie die 2-sitzige Version im Horch-Werk in Zwickau gefertigt, sondern bei Baur in Stuttgart.

Die DKW-Luxusversionen mussten sich mit der Leistung von 20 PS begnügen, wie sie herkömmliche F5-Typen in der Ausstattungsvariante „Meisterklasse“ boten.

Im Deutschland der Vorkriegszeit zählte mehr, überhaupt ein Automobil zu besitzen als das schiere Leistungsvermögen. Bei einem Gewicht von rund 800 kg ließ sich so ein DKW nach damaligen Maßstäben durchaus angemessen bewegen.

Vor 80 Jahren diente das DKW F5 Front Luxus Cabrio sogar als Urlaubsfahrzeug. Denn obige in Thüringen entstandene Aufnahme ist eine von mehreren desselben Wagens. Hier haben wir eine weitere davon:

DKW F5 Front Luxus Cabriolet 4-sitzig; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Über den Aufnahmeort verrät dieser Abzug zwar nichts – irgendwo in Mitteldeutschland könnte das Foto entstanden sein – dafür lässt sich auf dem Original das Kennzeichen entziffern: „IC 57664“.

Demnach war der in Thüringen abgelichtete DKW in Ostpreussen zugelassen, also gut 800 km weiter im Osten. Mancher Leser mag sich an die folgende Aufnahme desselben Autos erinnern, das wir vor längerem bereits gezeigt haben:

DKW F5 Front Luxus Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Zwar ist nur ein Teil des Kennzeichens zu erkennen, doch es ist Foto aus derselben Serie, das den DKW aus Ostpreussen nun in der Nähe von Chemnitz zeigt.

Unser kleiner Rückblick auf die bildschönen Luxus-Cabriolets des Typs F5 von DKW ist damit noch nicht zuende. Es gibt eine weitere Aufnahme, die unser „Fotomodell“ zeigt, diesmal in seiner eigentlichen Heimat.

Auf der Rückseite des folgenden Abzugs ist vermerkt „bei Elbing“.

DKW F5 Front Luxus Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Als Absolvent eines hessischen Gymnasiums mit entsprechendem „Bildungsstandard“ war dem Verfasser die Bedeutung der einstigen Hansestadt mit ihren seit 1945 verschollenen bedeutenden Bücher- und Handschriftensammlungen nicht geläufig.

Der ehemals deutsche Osten wurde gemäß hessischen Lehrplänen nicht behandelt, als hätte es ihn nie gegeben.

Als Abkömmling einer Familie mit einschlägigem Hintergrund sind für den Verfasser die Dokumente besonders berührend, die aus den Regionen stammen, aus denen die deutschen Einwohner ab 1945 entweder flohen oder vertrieben wurden.

Der DKW, der hier an einem Sommerabend im Juli 1937 auf einer ostpreussischen Allee bei Elbing abgelichtet wurde, dürfte den Krieg nicht überlebt haben:

Doch seine Besitzer retteten 1945 ihre Fotoalben mit den hier zu sehenden Aufnahmen über Flucht und Vertreibung. So etwas „verlor“ man damals ebensowenig wie Ausweisdokumente.

Damit sind diese Bilder nach über 70 Jahren die letzten Zeugen einst weit im deutschen Osten gelebten Lebens und einer unwiederbringlich verschwundenen Welt…

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Ganz schön extravagant: Mercedes-Benz 200 (W21)

Ein 200er Mercedes und extravagant – das scheint auf den ersten Blick unvereinbar zu sein.

Wer in den 1970/80er Jahren sozialisiert wurde, kann sich an drei Möglichkeiten erinnern, mit denen sich Besitzer eines Mercedes-Benz 200 in ihr Schicksal fügten:

  • Man verzichtete auf die Typenbezeichnung auf dem Kofferraumdeckel
  • oder montierte nachträglich frech die eines 230er bzw. 280er Modells
  • oder stand mutig zu seiner Entscheidung für einen „200 D“ beispielsweise.

Umgekehrt verfielen einige Zeitgenossen auf die Idee, ihren in Wahrheit stärkeren Benz mittels Typenschild als biederen „200er“ auszugeben und dann auf der Autobahn die Maske fallen zu lassen.

Solche Sachen macht man heute nicht mehr – nur eine Minderheit scheint noch der Auffassung anzuhängen, dass man mit Autos Spaß haben darf. Selbst in Italien scheint man die Lust am Fahren verloren zu haben (Taxifahrer in Neapel ausgenommen).

Auch deshalb beschäftigen wir uns so gern mit Wagen der Vorkriegszeit, als ein Automobil noch ein Vergnügen darstellte, selbst wenn es so bieder daherkam wie hier:

Mercedes-Benz 200 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die vier Herren im mittleren Alter, die im Mai 1937 bei Augustusburg in Sachsen auf dem Trittbrett einer braven Limousine des Typs Mercedes-Benz 200 (W21) posierten, sind aus heutiger Sicht selbst Musterexemplare an Biederkeit.

Man stellt sie sich als Beamte, Lehrer und Advokaten vor, vielleicht war auch ein Hausarzt dabei. Draufgängerisches, Sportlichkeit oder Blendertum geht ihnen ab – und das ist durchaus wohlwollend gemeint.

Solcher soliden Stützen der Gesellschaft bedarf es vermutlich mehr als irgendwelcher von Sturm und Drang beseelter Charaktere, die zwar vorübergehend das aufregendere Leben führen mögen, aber kein solides Dasein finanzieren können.

Dann gibt es aber noch eine weitere Kategorie – die des durch Unternehmertum, Erbe oder Glück zu Geld und Unabhängigkeit gekommenen Lebemanns. Einen solchen sieht der Verfasser auf dieser Aufnahme:

Der nach Art eines Großgrundbesitzers gekleidete Herr ist erkennbar mit sich selbst im Reinen – obwohl auch er „nur“ einen 200er Mercedes fährt.

Tatsächlich fällt es schwer zu glauben, dass dieses luxuriös und großzügig anmutende Automobil etwas mit dem braven Gefährt auf dem ersten Foto gemein haben soll.

Tatsächlich wurden beide vom selben 6-Zylinder-Motor mit mageren 40 PS angetrieben, den Mercedes damals seinen Kunden vorsetzte.

Hansa etwa bot dieselbe Leistung bei seinem 6-Zylinder des Typs 1700 aus deutlich weniger Hubraum, BMWs Sechszylindertyp 319 bot 10 % mehr Leistung bei identischem Hubraum – alle bei deutlich geringerem Gewicht.

Aber: eine dermaßen großzügige Karosserie bot in dieser Klasse kaum einer der Konkurrenten – vielleicht vom Wanderer W22 abgesehen.

Hier haben wir eine viertürige Cabriolimousine vor uns, wie es scheint. Doch ein Detail fällt dabei aus dem Rahmen:

Die verchromte Sturmstange ist normalerweise ein Element, das sich an Cabriolets findet. Doch der feste obere Abschluss der Türen ist typisch für eine Cabrio-Limousine.

An sich wird bei einem solchen soliden Aufbau keine Sturmstange zur Stabilisierung des Verdecks benötigt. Doch findet sich dieses Detail in der Vorkriegszeit sogar an Limousinen und Coupés als Dekor.

Der Verfasser konnte bisher keine Vergleichsaufnahme finden, die einen Mercedes 200 des Typs W21 als Cabrio-Limousine mit Sturmstange zeigt. Insofern haben wir es am Ende tatsächlich mit einer extravaganten Ausführung zu tun.

Konnte man eine Sturmstange bei diesem Modell als Zubehör ordern? Oder hat sich hier der prestigebewusste Besitzer eine Spezialversion anfertigen lassen?

Ideen und Hinweise dazu sind wie immer willkommen!

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Treuer Kamerad an allen Fronten: Renault Celtaquatre

Fotos von Zivilautos im Militäreinsatz spielen auf diesem Blog für Vorkriegsautos eine nicht unerhebliche Rolle – vielleicht sind ein paar Bemerkungen dazu angebracht:

  • Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts war in Europa zu einem Großteil vom Krieg geprägt, wobei sich militärische Konflikte nicht auf die Weltkriege beschränkten.
  • Der Krieg hat also das Leben unserer Vorfahren in jener Zeit stark bestimmt und damit die Rolle des Automobils – man kommt auch als friedlich gesinnter Mensch (wohl schon immer die Mehrheit in allen Völkern) nicht daran vorbei.
  • Im 21. Jahrhundert gibt es keine offenen Rechnungen mehr in punkto Weltkrieg. Das Geschehen ist Geschichte, man kann sich damit ungezwungen beschäftigen.
  • Das gilt auch für im Krieg eingesetzte Automobile: requirierte Privatfahrzeuge, Beute-PKW oder auf zivilen Modellen basierende Kübelwagen für’s Militär.
  • Die überlebenden Fahrzeuge und die fotografischen Dokumente ihres Einsatzes sind historische Zeugnisse – es gibt keinen Grund dafür, sie auszublenden oder sie zu verteufeln. In dieser Hinsicht können wir viel von unseren Nachbarn lernen.

Nach dieser Vorrede beginnen wir ganz zivil, werden dann aber zunehmend „militant“, was die Auswahl der heutigen Fotos angeht:

Renault „Celtaquatre“ Typ ADC1; Originalfoto  aus Sammlung Michael Schlenger

Das ist eine schöne Aufnahme, auch wenn der Fotograf den Unterteil des Wagens abgeschnitten hat.

Vermutlich wollte er den bei damaligen Kameras üblichen Abbildungsfehler ausgleichen, der sich bei kurzen Distanzen aus der Position des Suchers oberhalb des Objektivs ergab. Man richtete die Kamera dazu etwas höher aus – hier wurde des Guten wohl zuviel getan.

Dennoch können wir den Wagen identifizieren. Oben auf der Kühlermaske zeichnet sich das rautenförmige Renault-Emblem ab. Die Ausführung des Kühlers verrät, dass wir es mit der Variante ADC1 des ab 1934 gebauten Mittelklassemodells zu tun haben.

Mit seinem 1,5 Liter-Vierzylinder konventioneller Bauart war dieses Automobil ausreichend motorisiert – 32 bis 34 PS genügten für rund 900 kg Wagengewicht.

Der Bursche, der die Fahrertür des Renault auf unserem Foto offenhält, wirkt mit seinen Schulterklappen militärisch, lässt aber sonst alle soldatischen Insignien vermissen. Die Schirmmütze besagt nicht viel – die trugen auch zivile Chauffeure.

Hat ein Leser eine Erklärung für die Situation?

Unterdessen schauen wir uns dasselbe Modell einige Jahre später an – nun im Dienst der deutschen Wehrmacht:

Renault „Celtaquatre“ Typ ADC1; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Den selbstbewusst posierenden Infanterieunteroffizier würde der auf diesem Sektor nur oberflächlich bewanderte Verfasser als Feldwebel ansprechen – Präzisierungen und Korrekturen von sachkundigen Lesern sind wie immer willkommen!

Die Chromteile des Renault sind mattgrau überlackiert wie der übrige Wagen, der vermutlich im Zuge des Frankreichfeldzugs im Sommer 1940 erbeutet wurde.

Der freundlich in die Kamera schauende Gefreite (zu erkennen am Winkel auf dem Ärmel) dürfte der Fahrer des Unteroffiziers gewesen sein.

Sicher ist diese Aufnahme weit hinter der Front entstanden, leider gibt uns der Abzug keine Hinweise auf die Region, in der der Renault einst haltmachte.

Ebenfalls unbekannt ist der Ort, an dem dieser auf deutscher Seite eingesetzte Renault Celtaquatre abgelichtet wurde:

Renault „Celtaquatre“ Typ ADC2; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Verfasser ist geneigt, einen Aufnahmeort irgendwo in Südosteuropa zu vermuten.

Dass wir es mit einem Beutewagen der Wehrmacht zu tun haben, verrät die Aufschrift „WH“ („Wehrmacht Heer“)  auf dem in Fahrtrichtung linken Schutzblech. Das taktische Zeichen auf dem anderen Kotflügel ist unvollständig wiedergegeben.

An einem der Scheinwerfer fehlt der Tarnüberzug, der das Licht bei Nacht so weit dämpfte, dass es aus der Luft kaum sichtbar war- vermutlich war er verlorengegangen und in der Region war nicht mit gegnerischer Luftaufklärung zu rechnen.

Nun aber zum Wagentyp: Hier haben wir den Nachfolger des zuvor gezeigten Renault, nämlich den Typ ADC2, der ab 1936 gebaut wurde. Hauptunterschied zum Vorgänger war der stärker gepfeilt gestaltete Kühler.

An dem Wagen auf dem Foto fehlt ein Großteil der Mittelstrebe des Kühlers, schwer zu erklären angesichts der sonst unbeeinträchtigten Frontpartie.

Aber was wissen wir schon über das Schicksal dieser Wagen im Militäreinsatz, von denen wahrscheinlich nichts geblieben ist als diese über 80 Jahre alten Fotos, die deutsche „Landser“ irgendwo weit hinter der Front geschossen haben.

Übrigens haben wir eine Aufnahme eines ähnlichen Fahrzeugs bereits vorgestellt:

Renault „Celtaquatre“ Typ ADC2; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das taktische Zeichen und das Divisionskennzeichen auf dem linken Kotflügel verraten: Der Renault gehörte zur Panzerjäger-Abteilung 49, die Teil der 4. Panzerdivision war. Diese nahm ab Sommer 1941 am Russland-Feldzug teil.

Da das Divisionskennzeichen ab 1943 ein anderes war, entstand das Bild 1941 oder 1942 in Russland – dem Wuchs des Getreides und dem Schattenwurf nach an einem Frühsommertag um die Mittagszeit.

Die 4. Panzerdivision wurde 1943/44 fast völlig aufgerieben. Dabei dürfte auch der kleine Renault verlorengegangen sein, was aus der Besatzung wurde, wissen wir nicht.

Man sieht: Die Beschäftigung mit Vorkriegsfahrzeugen ist weit mehr als nur Technikgeschichte – sie konfrontiert einen mit menschlichen Schicksalen in einem gigantischen Ringen, von dem der Einzelne kaum etwas überblickte.

Für diese Männer, die sich ihr Los meist nicht ausgesucht hatten, sondern von der Schulbank oder aus der Ausbildung in den Krieg geschickt wurden, waren robuste Wagen wie der Renault Celtaquatre treue Kameraden in dick und dünn.

Wenn heute solch ein vom Militär eingesetztes Auto noch existiert oder wieder auftaucht, verdient es durchaus als Zeitzeuge gewürdigt zu werden.

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Fund des Monats: Ansaldo 8/32 PS mit Reutter-Aufbau

Im letzten Blog-Eintrag gab sich der Verfasser etwas voreilig Hoffnungen auf ein baldiges Nahen des Frühlings hin – vermutlich unter dem verwirrenden Einfluss der beiden Fotomodelle, mit denen Mercedes einst so raffiniert warb.

Leider sind zwischenzeitlich wieder spätwinterliche Verhältnisse in die sonst von mildem Lokalklima geprägte Wetterau zurückgekehrt. Da helfen nur ein Glas Rotwein und ein neuer Beitrag zur Rubrik FUND DES MONATS.

Kurioserweise wirft der heutige Kandidat nicht die geringsten Rätsel auf – die beiden Originalaufnahmen sind akkurat beschriftet und auf den Tag genau datiert.

Bemerkenswert ist aber eines: Da hat tatsächlich jemand im Jahr 1925 bei der renommierten Stuttgarter Karosseriebaufirma Reutter einen großzügigen Aufbau als 6-Fenster-Limousine für einen italienischen Ansaldo bestellt.

In deutschen „Oldtimer“-Magazinen mit ihrem beschränkten Markenhorizont und Hang zu ordinären Gebrauchtwagen der 1980er und 90er Jahre kommt ein solches Fabeltier natürlich selten bis nie vor.

Doch auch eingefleischte Vorkriegsenthusiasten haben vermutlich kaum je ein Fahrzeug dieses Typs zu Gesicht bekommen:

Ansaldo 8/32 PS; Reutter-Werksfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses majestätische Automobil mit großzügigem Passagierabteil – wie wir noch sehen werden – wurde von Reutter im Auftrag des Stuttgarter Autohauses Fuchs & Börner gefertigt.

Leider wissen wir nichts über den Käufer des Wagens. Wer auch immer es war, muss ein Faible für das Außergewöhnliche gehabt haben. Denn Autos des traditionsreichen Turiner Herstellers Ansaldo waren stets teure Manufakturprodukte.

Wer so etwas in Stuttgart Mitte der 1920er Jahre haben wollte, enttäuschte wohl bewusst die Erwartungshaltung seiner schwäbischen Mitbürger – eine Einstellung, die in Zeiten grassierender politischer Korrektheit hochaktuell ist.

Die Beschriftung der Werksaufnahme von Reutter verrät uns neben dem Entstehungsdatum „3.8.1925“ auch die Motorisierung des Ansaldo: 8/32 PS.

Demnach haben wir es wahrscheinlich mit einem der „kleinen“ Vierzylindermodelle des Typs 4D von Ansaldo zu tun.

Auf den ersten Blick erscheint das angesichts der Dimensionen des Wagens unglaubwürdig – unter dieser Haube könnte auch ein Sechszylinder stecken:

Viel Vergleichsmaterial ließ sich bislang nicht auftreiben – der Ansaldo-Konzern betrieb ähnlich wie Hanomag – den Automobilbau eher nebenher.

Doch im Fundus des Verfassers fand sich eine Reklame für das Vierzylindermodell Tipo 4D, bei der die Dimensionen des Vorderwagens ganz ähnlich erscheinen.

Unterschiedlich sind hier lediglich die Ausführung der Räder, die fehlenden Vorderradbremsen und die abweichende Gestaltung des Schutzblechs:

Ansaldo-Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Reklame ist etwas älter als die Werksaufnahme des Ansaldo mit Reutter-Karosserie. Dennoch zeigt sie ein Vierzylindermodell mit ganz ähnlichen Proportionen,

Da Ansaldo in den 1920er Jahren auch stärkere Sechszylinderwagen baute, wäre es interessant zu erfahren, ob für die Vierzylinder aus Prestigegründen dasselbe Chassis verwendet wurde.

Für einen 32 PS leistenden Vierzylindermotor wäre jedenfalls ein derartig üppig bemessener Vorderwagen nicht erforderlich gewesen. Möglicherweise war der Klientel von Ansaldo die Motorleistung auch weniger wichtig als eine opulente Erscheinung und großzügige Innenausstattung.

Damit wären wir bei dem zweiten Werksfoto des Wagens, das wir bewusst in voller Größe zeigen. Es zeigt nämlich den Papierstreifen unterhalb des Abzugs mit den bereits erwähnten Daten dieses Ansaldo:

Ansaldo 8/32 PS; Reutter-Werksfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Blick in den Innenraum ist eine Offenbarung – das Wertegefüge war einst auch in automobiler Hinsicht ein anderes. Wer über die „bloß“ 32 PS dieses Ansaldo lächelt, verstummt angesichts der wohnzimmerhaften Anmutung des Passagierabteils.

Hier gab es kein „fahrerorientiertes Cockpit“, der Chauffeur hatte sich vielmehr mit einem knapp bemessenen Arbeitsplatz zu begnügen. Bei solchen Wagen stand vielmehr der Komfort der Reisenden im Mittelpunkt.

Dieser Aspekt wird nicht nur bei der Staatsbahn hierzulande schmählich vernachlässigt, auch viele Autobauer meinen, dass Beinfreiheit und großzügiger Rundumblick „von gestern“ seien.

Offenbar will es der gemeine Kunde so, denn Alternativen mit gutem Platzangebot und vorbildlicher Übersichtlichkeit gibt es durchaus. Damit wären wir wieder bei den eingangs geschmähten „Youngtimern“ der 1980er und 90er Jahre.

Aber seien wir ehrlich: Kann eine 30 Jahre alte Mercedes S-Klasse hier mithalten?

Tja, so ändern sich die Zeiten. Hier „stieg“ man noch würdevoll ein und genoss einen Freiraum wie einst in einem D-Zug-Abteil. Aber das kennt ja auch kaum noch einer…

Glauben wir bloß nicht, dass wir in jeder Hinsicht in der besten aller Welten leben.

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Auf in den Frühling – im Mercedes „Stuttgart“ Cabriolet

Heute haben wir den 21. März 2018 und tagsüber war tatsächlich ein Hauch von Frühling in der Luft, zumindest in der Wetterau – der Heimat des Verfassers dieses Blogs für Vorkriegsautos.

Wer würde – ungeachtet der frostigen Nachttemperaturen – keine Frühlingsgefühle angesichts dieser beiden unternehmungslustigen Damen entwickeln, die in den 1930er Jahren für eine Reklamekarte von Daimler-Benz posierten?

Originale Ansichtskarte von Daimler-Benz aus Sammlung Michael Schlenger

Wie elegant und charmant selbstbewusste Weiblichkeit daherkommen kann, daran erinnert ausgerechnet ein Dokument aus der Vorkriegszeit. Natürlich sah die Realität meist anders aus, ein Auto besaß hierzulande ohnehin kaum jemand.

Doch diesen Frauentyp gab es durchaus, und der musste sich unter ganz anderen Bedingungen durchsetzen als moderne Geschlechtsgenossinnen, denen nun wirklich alles offensteht, die aber oft nichts aus ihren Möglichkeiten machen.

Bevor nun ein Proteststurm weiblicher Ingenieure, Straßenbauarbeiter, Dachdecker, Fliesenleger und Schweißer losbricht, halten wir uns lieber ans eigentliche Thema.

Hier haben wir eine im wahrsten Sinne des Wortes historische Aufnahme, die Lust auf einen Ausflug im offenen Wagen macht:

Mercedes 260 „Stuttgart“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Entstanden ist dieses Foto um 1930 im pittoresken Meersburg am Bodensee, das verrät die umseitige Beschriftung des Abzugs.

Mit Unterstützung eines Lesers dieses Blogs ließ sich der Aufnahmeort exakt lokalisieren – der Mercedes hatte unterhalb der Substruktionen des Neuen Schlosses haltgemacht, wo die Rebhänge entlang der Uferpromenade auslaufen.

Auch wenn es vielleicht nicht so wirkt: Die Person, die den offenen Mercedes mitsamt drei Insassen ablichtete, fand darin ebenfalls Platz. Denn das zweitürige Cabriolet verfügte hinten über eine großzügig bemessene Sitzbank:

Lesern dieses Blogs könnte der Wagentyp bekannt vorkommen – ein fast identisches Fahrzeug haben wir hier bereits anhand mehrerer Privatfotos vorgestellt.

Auf jeden Fall handelt es sich um einen Mercedes des 1929 vorgestellten Typs „Stuttgart“, wahrscheinlich in der ab 1932 gebauten Variante mit 2,6 Liter Sechszylinder – zuvor gab es nur eine äußerlich weitgehend identische 2-Liter-Version.

Mit seiner Zweifarblackierung und großzügigem Chromeinsatz kam der Mercedes „Stuttgart“ recht luxuriös daher, während das 50 PS-Aggregat für einen Wagen dieser Klasse eher bescheiden anmutet.

Aber was wissen wir schon im 21. Jahrhundert darüber, was so ein hochkarätiger Wagen für die einstigen Besitzer tatsächlich bedeutete?

Auf eigene Faust die Heimat erkunden, in fremden Ländern auf Reisen gehen, sich im Winter die frische Luft um die Nase wehen zu lassen oder im Frühling den Duft der erwachenden Natur zu genießen – all das war die Verheißung des Automobils vor fast 90 Jahren.

Heute ist ein Mercedes ein Alltagsgefährt wie viele andere – wer einen besitzt, mag beim Anblick des Sterns ab und an daran denken, wo die Wurzeln der Marke liegen und was wir ihr an souveräner und stilvoller Mobilität verdanken:

Mercedes-Benz Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger
© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

Original gesucht: Horch 350 Cabriolet Karosserie Gläser

Dieser Oldtimerblog für Vorkriegsautos hat schon einiges an historisch interessantem Fotomaterial zutagegefördert. Heute geht es aber ausnahmsweise um einen Wagen im Maßstab 1:1 – das heißt, es wird das Original zu einem zeitgenössischen Foto gesucht.

Anlass dafür ist ein atemberaubender Fund, der einem Enthusiasten aus der Nähe von Zwickau vor wenigen Jahren gelungen ist. Er konnte in Tschechien das folgende Fahrzeug erwerben:

Horch 8 Typ 350; Bildrechte: Rudolf Stöhr

Auf den ersten Blick sieht man hier einen schwer mitgenommenen Mannschaftswagen – die grüne Lackierung lässt an ein Polizei- oder Militärfahrzeug denken.

Tatsächlich handelt es sich jedoch um ein ehemaliges Feuerwehrauto, das einst von der tschechischen Karosseriebaufirma Hrcek & Neugebauer in Brünn gefertigt wurde.

Die Basis dafür war – man halte sich fest – ein Achtzylinder-Horch des Typs 350 aus den späten 1920er Jahren.

Nun könnte einer sagen, dass ein Horch 350 zwar bei seiner Vorstellung 1928 ein veritables Luxusgefährt war, aber doch auch keine so große Rarität blieb, dass man viel Aufhebens darum machen müsste.

Es stimmt schon, Fotos des 80 PS starken Horch 350 sind auch nach 90 Jahren gar nicht einmal so selten. Der Fundus des Verfassers gibt da einiges her. Hier hätten wir beispielsweise die Ausführung als Sedan-Cabriolet:

Diesen mächtigen Wagen haben wir bereits anhand diverser Fotos vorgestellt. Bei Interesse einfach „Horch 350“ in der Suchfunktion eingeben.

Hier sieht man sehr gut eines der wesentlichen Merkmale, die den Typ 350 von früheren bzw. späteren Achtzylindermodellen von Horch unterscheidet: das seitlich auf der Motorhaube aufgenietete Blech mit den Luftschlitzen.

Von vorne sah dieser Koloss übrigens so aus:

Horch 350; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese in Bamberg entstandene Aufnahme haben wir zusammen mit weiteren hier besprochen.

Der geflügelte Pfeil schmückte den Kühler des Horch 350 nur zeitweise, er wurde später von einer weniger expressiven geflügelten Weltkugel abgelöst.

Man kann diese auf folgendem Foto erkennen, das wir bislang noch nicht gezeigt haben. Es entstand nicht allzuweit vom Heimatort des Verfassers in der Vogelsbergregion an einem Abzweig der Straße zwischen Schlitz und Bad Salzschlirf:

Der Aufnahmeort lässt sich anhand der Kilometerangaben auf dem Wegweiser noch heute präzise lokalisieren – eine Seltenheit bei historischen Automobilfotos.

Wie die vier Herren vor dem Wagen präsentiert sich selbiger als ziemlich dicker Brocken – wiederum ein Vertreter der Spezies Sedan-Cabriolet mit festen Fenstersäulen und komplett niederlegbarem Verdeck.

In welcher Klasse Horch damals unterwegs war, unterstreicht dieses Beispiel sehr gut. Die Scheinwerfer im Suppenschüsselformat und der riesige Kühler mit vertikalen Lamellen wiesen damals auf ein Automobil der Spitzenklasse hin.

Doch daneben war der Horch 350 auch in hocheleganten Versionen verfügbar und um eine solche geht es heute:

Horch 350; Aufnahme aus: Horch – Prestige und Perfektion, von P. Kirchberg

Diese Aufnahme ist in Paul Kirchbergs Buch „Horch – Prestige und Perfektion“ auf Seite 1926 zu finden.

Das 1928 beim Concours d’Elegance in Wiesbaden entstandene Foto zeigt den Horch 350 als edles 2-türiges Cabriolet mit vier Sitzen.

Gebaut wurde dieses herrliche Fahrzeug von der Manufaktur Gläser in Dresden, seinerzeit eine der ersten Adressen im Karosseriebau im deutschprachigen Raum.

Ein Erkennungsmerkmal der Gläser-Ausführung sind die Drahtspeichenfelgen, die sonst bei keiner der serienmäßigen Versionen des Horch 350 zum Einsatz kamen.

Das sonst recht ähnliche „Sport-Cabriolet“ desselben Typs besaß nur die üblichen Stahlspeichenräder – hier eine bislang unpublizierte Aufnahme:

Horch 350; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

So ähnlich die Cabriolets auf beiden Aufnahmen erscheinen, so sehr unterscheiden sie sich im Detail.

Übrigens war die Besitzerin des von Gläser gebauten Cabriolets auf Basis des Horch 350 die Baronin von Günderrode – eine der letzten Nachfahrinnen der Karoline von Günderrode, die zu den bedeutenden Frauengestalten der deutschen Romantik gehörte.

Was aus dem Wagen der Baronin von Günderrode wurde, ist bis heute ungeklärt. An diesem Punkt wird es spannend. Denn der zum Feuerwehrauto umgebaute Horch 350, den wir eingangs gezeigt haben, verfügt über Drahtspeichenräder.

Der heutige Besitzer geht davon aus, das sein Horch 350 einst ebenfalls eine Manufakturkarosserie als zweitüriges Cabriolet von Gläser aus Dresden besaß.

Nun sucht er den Kontakt zu einem Besitzer genau solch eines Wagens, sollte es irgendwo auf der Welt noch einen geben.

Es geht ihm lediglich darum, an die Maße der Karosserie zu gelangen, um den Originalzustand seines Horch 350 wiederherstellen zu lassen.

Sollten Leser dieses Blogs diesbezüglich weiterhelfen können oder auch weitere Fotos des von Gläser karossierten Horch 350 Cabriolets besitzen, stellt der Verfasser gern diskret den Kontakt zum Besitzer des Restaurationsexemplars her.

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So schön kann der Winter sein: Dixi 6/24 PS Tourer

Wir nähern uns dem Frühlingsanfang des Jahres 2018 – zumindest in kalendarischer Hinsicht. Doch das Wetter zeigt sich kapriziös und sorgt bei Autofahrern wie Gartenbesitzern mit unerwartet winterlichen Verhältnissen für Verdruss.

Doch uns Liebhabern von Vorkriegsautos auf alten Fotos bieten Schnee und teils deftige  Temperaturen einen willkommenen Vorwand, eine alte Aufnahme zu studieren, die in ganz ähnlicher Situation vor rund 90 Jahren entstand:

Dixi 6/24 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ja, so schön kann der Winter sein, wenn man in der warmen Stube sitzt, ein solches Prachtfoto genießen kann und nebenbei der Eisenacher Marke Dixi zugetan ist.

Das Auto selbst stellt uns vor keine großen Rätsel, selten lässt sich ein Tourenwagen der 1920er Jahre so mühelos identifizieren. Der Typ als solcher – ein 6/24 PS-Modell – ist uns auf diesem Blog schon auf einigen Aufnahmen begegnet.

Doch keine davon kann es annähernd mit der Qualität dieses Dokuments aufnehmen. Dabei stand der Wagen vielleicht gar nicht im Mittelpunkt, denn der knapp bemessene Schärfebereich ist auf die Ebene des daneben stehenden Fahrers begrenzt.

Trotzdem sehen wir von dem Auto auf Anhieb alles wesentliche, was die präzise Ansprache erlaubt:

Der gemäßigte Spitzkühler mit dem nach vorn abfallenden Oberteil und dem Aufwärtsschwung des unteren Abschlusses würde auch ohne das Markenemblem genügen, um das Auto als Dixi der 1920er Jahre identifizieren zu können.

Zusammen mit den nach hinten geneigten, recht niedrigen Luftschlitzen in der Motorhaube verweisen diese Details auf den ab 1923 gebauten Typ 6/24 PS.

Technisch unspektakulär, aber sorgfältig konstruiert und einwandfrei verarbeitet erfreute sich das Modell einiger Beliebtheit – bis 1928 wurde es gebaut. Das markante „Gesicht“ und die serienmäßigen Drahtspeichenräder mögen dazu beigetragen haben.

Das Fehlen von Trommelbremsen an der Vorderachse spricht für ein Modell aus der Zeit vor 1925. Dem makellosen Zustand nach zu urteilen könnte es sich um ein beinahe neues Exemplar gehandelt haben – die unterschiedlichen Profile der beiden Vorderreifen sprechen aber dagegen.

Bei guter Lackpflege vermochte der Winter den damaligen Autos auch kaum etwas anzuhaben. Streusalz auf den Straßen gab es nicht, rostanfällige Hohlräume ebenfalls nicht und die Schichtdicke der Lackierungen war beachtlich.

Sicher war dem Fahrer – offenbar ein Chauffeur eines Reichspostbeamten (siehe Kennzeichen) – sehr an einem sauberen Erscheinungsbild „seines“ Wagens gelegen. Der Beruf genoss damals Prestige, wenn man bedenkt, dass die allermeisten Altersgenossen in der Landwirtschaft, im Handwerk oder der Industrie schwere, eintönige oder gefährliche Arbeiten leisten mussten.

Der blutjunge Bursche war sicher stolz auf seine Position und hat sich eigens fotografieren lassen, um Angehörigen und Familie zu zeigen:“Seht her, ich habe es zu etwas gebracht.“

Ruhig und ernst, mit bewusster Haltung schaut er in die Kamera – ein Schnappschuss war das eindeutig nicht. Nur einen Knopf der zweireihigen Lederjacke hat er vergessen zu schließen.

Das ist übrigens ein zeitloses Kleidungsstück, wie es bereits die Kampfflieger des 1. Weltkriegs trugen und bei Automobilisten und Motorradfahrern lange Zeit beliebt blieb.

Deutsche Polizisten trugen bis in die 1970er Jahre solche Lederjacken in bester Qualität. Mit etwas Glück bekommt man noch ein gut erhaltenes Exemplar, das ohne weiteres eine Winterjacke ersetzt, wie der Verfasser aus eigener Erfahrung weiß.

Für Fahrer offener Vorkriegsautomobile und klassischer Motorräder ist dies eine ausgezeichnete Wahl, die das authentische Erscheinungsbild abrundet.

Überhaupt kann man sich auf solchen zeitgenössischen Fotos einiges an Stilsicherheit abschauen, den man in Zeiten von „Funktionskleidung“ in aggressiven Farben vermisst…

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Unheimlich selten: Hanomag 6/32 PS Cabriolet

Heute haben wir es mit einem geheimnisvollen Originalfoto eines alten Bekannten zu tun – das bei näherer Betrachtung ein wenig unheimlich wirkt.

Ganz vermochte der Verfasser das Rätsel dieser Aufnahme nicht zu lösen und hofft auf zündende Ideen der Leserschaft. Wäre nicht das erste Mal, dass jemand eine Erklärung für ein mysteriöses Detail auf einem historischen Foto eines Vorkriegswagens hat.

Entgegen sonstiger Gepflogenheiten zeigen wir erst einmal eine Prachtaufnahme des rätselhaften Automobils und nehmen damit einen Großteil der Lösung vorweg – ein Rest an Geheimnis verbleibt jedoch.

Treue Leser dieses Oldtimerblogs für Vorkriegsautos auf alten Fotos mögen sich an folgende wunderbare Werksaufnahme eines Hanomag 6/32 PS Cabriolets erinnern:

Hanomag 6/32 PS Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Was soll man sagen? Diese Aufnahme ist schwer zu überbieten – nicht nur wegen des charmanten Fotomodells, auf das der Fotograf scharfgestellt hat, während die Kühlerpartie des Wagens im Unschärfebereich liegt.

Ob dieses Foto damals die Gnade der Herren gefunden hat, die das Sagen in der Zentrale des hannoveranischen Maschinenbaukonzerns hatten? Egal, es hat auch so die Zeiten überdauert und macht noch nach über 80 Jahren glücklich.

Denn hier sehen wir eines der raren zweitürigen Cabriolets, die 1933/34 auf Basis des Hanomag 6/32 PS entstanden. Von dem Typ als solchen sind nur wenig mehr als 1.000 Exemplare entstanden – die Cabrioversionen waren noch weit seltener.

Kein Wunder, dass es eine ganze Weile gedauert hat, bis wieder eine Aufnahme dieses Typs in der Ausführung als Zweifenster-Cabriolet auftauchte. Das Foto hat aber etwas Unheimliches an sich, aus dem der Verfasser nicht ganz schlau wird:

Wanderer W10/IV und Hanomag 6/32 PS Cabrio; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nun mag einer sagen, das ist doch ein Wanderer W10/IV im Vordergrund, definitiv kein Hanomag. Volle Punktzahl für die Identifikation des Wanderer-Modells, das wir hier besprochen haben.

Doch was steht da eingeklemmt zwischen dem Wanderer und dem Opel 1,2 Liter (der gelegentlich noch zu würdigen ist)?

Da haben wir besagten unheimlichen Fall, denn dieses Auto erscheint irgendwie unwirklich:

Wir sehen genug von dem Wagen, um ihn als Hanomag 6/32 PS Cabriolet ansprechen zu können.

Da wären der nach unten spitz zulaufende Kühlergrill mit den verchromten Streben und das geflügelte Hanomag-Emblem. Sicher, das gab es auch bei den Modellen 3/18 PS und 4/23 PS der frühen 1930er Jahre.

Doch haben wir es hier mit einer Cabriolet-Version zu tun, bei der häufigeren Cabrio-Limousine war die Oberseite des Frontscheibenrahmens stärker ausgeprägt. Ein Werks-Cabriolet von Hanomag gab es aber nur vom 6/32 Modell (siehe oben).

Auch die nach vorn ausgestellte Frontscheibe unterstützt die Vermutung, dass sich hier eines der raren Werkscabrios des Hanomag 6/32 PS zwischen den Wanderer und den Opel gemogelt hat.

Aber: Betrachtet man das Ausgangsfoto, wirkt der Hanomag, als wäre er auf unheimliche Weise in die Aufnahme hineinprojiziert worden.

Er passt weder von den Größenverhältnissen zwischen den Wanderer und den Opel, noch befindet er sich in einer Ebene mit dem Opel, der deutlich schräger steht.

Haben wir es hier mit einer Mehrfachbelichtung zu tun?

Für diejenigen, die nur Digitalknipsen kennen oder mit ihren „Smartphones“ fotografieren: Bei Analogkameras kam es vor, dass nach erfolgter Belichtung der Filmtransport versagte und dieselbe Filmpartie nochmals belichtet wurde.

Dann können solche geisterhaften Aufnahmen entstehen, auf denen nicht zusammengehörige, bei unterschiedlichen Gelegenheiten oder aus unterschiedlichen Perspektiven aufgenommene Objekte gemeinsam auf einem Bild erscheinen.

Die Identifikation des mysteriösen Hanomag als rares Cabriolet des Typ 6/32 PS dürfte eindeutig sein, doch das unheimliche Erscheinen dieses Wagens auf der Aufnahme harrt einer Erklärung…

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Bella figura – nicht nur am Gardasee: Fiat 509 Zweisitzer

Wenn heute noch irgendeines der zahlreichen und meist hervorragend konstruierten Vorkriegsautos der Turiner Traditionsmarke Fiat bekannt ist, dann ist es der legendäre Typ 500 „Topolino“.

Zwar hatte Fiat bereits Anfang der 1920er Jahre mit dem Typ 501 einen internationalen Erfolg gelandet, doch dieses frühe Beispiel für Großserienfertigung ist heute außerhalb Italiens weitgehend vergessen.

Mit der gestalterischen Raffinesse des 1936 vorgestellten „Topolino“ konnte es allerdings auch kaum ein anderer Wagen in der Einsteigerklasse aufnehmen:

Fiat 500 „Topolino“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nie zuvor – und nach Meinung des Verfassers nie wieder danach – ist es gelungen, eine dermaßen kompakte Karosserie so gefällig zu gestalten – da kommt auch die so beliebte Nachkriegsversion des Fiat 500 nicht mit.

Bevor Fiat ab Mitte der 1930er Jahre bei seinen Typen 500, 1100 und 1500 die fließenden Formen der Stromlinie adaptierte, hatte man Karosserien gefertigt, wie sie klassischer kaum sein konnten.

Vor allem die Frontpartie mit dem Kühler in Form einer antiken Tempelfassade war typisch für die Turiner Produkte der zweiten Hälfte der 1920er Jahre.

Von diesen Wagen aller Größenklassen mit ihren wie gemeißelt wirkenden Frontpartien haben wir schon etliche in historischen Originalfotos vorgestellt, doch tauchen immer wieder „neue“ reizvolle Beispiele dafür auf.

Eines davon versteckt sich auf dieser alten Postkarte vom Gardasee, die im September 1932 den Weg nach Deutschland fand:

Fiat 509 Zweisitzer; Ansichtskarte aus Sammlung Michael Schlenger

Kommt hier nicht spontan Urlaubsstimmung auf? Was gäbe man dafür, die meisterhaft angelegten Straßen rund um den Gardasee heute so ungestört genießen zu können?

Die Demokratisierung der Automobilität hat nun einmal ihren Preis und in jeder Zeit gibt es Licht und Schatten – dafür mag die obige Aufnahme mit ihrem fast schmerzhaften Kontrast sinnbildlich stehen.

Schauen wir uns genauer an, was da für ein Wagen an der Böschungsmauer hoch über dem Seeufer haltgemacht hat:

Wenn nicht alles täuscht, muss das ein 2-sitziges Cabriolet des Typs Fiat 509 sein. Typisch für die Fiats in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre war die Fortsetzung des giebelartigen Kühleroberteils in der Motorhaube bis hin zur Schottwand.

Die kompakten Abmessungen deuten auf das Basismodell 509 mit 20 PS leistendem 1 Liter-Vierzylinder hin, während der stärkere (1,5 Liter, 25 PS) Typ 503 etwa größer ausfiel.

Die aus heutiger Sicht moderat erscheinenden Leistungen täuschen über zweierlei hinweg: Zum einen wogen diese Wagen zumindest in der offenen Ausführung nicht viel, zum anderen besaßen sie außerordentlich drehfreudige und zugleich standfeste Aggregate – schon damals eine Spezialität von Fiat.

Die kopfgesteuerten Motoren dieser braven Volumenmodelle lieferten auch die Basis für hochgezüchtete Sportwagen, was ihre Qualitäten unterstreicht.

Kein Wunder, dass die kleinen, aber feinen Fiat-Modelle jener Zeit auch in Deutschland etliche Liebhaber fanden – hier haben wir einen 509 in genau der Ausführung als offener Zweisitzer wie auf der Postkarte vom Gardasee:

Fiat 509, 2-sitziges Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese schöne Aufnahme entstand im März 1929, also vor beinahe 90 Jahren. Die drei wie aus dem Ei gepellten Herren machen hier mindestens ebenso „bella figura“ wie der kleine Fiat, auf dessen Trittbrett sie posieren.

Dass man mit heutigen Autos solche Fotos nicht mehr machen kann, unterstreicht den formalen Reiz von Vorkriegsautos.

Sie sind grundlegend anders als alles, was in späterer Zeit folgte und deshalb fallen sie inmitten der herrlichsten Nachkriegswagen sofort auf, ganz gleich welche bescheidene Rolle sie in der Autohierarchie zur Zeit ihrer Produktion einnahmen.

Gleichzeitig hat hier mancher sein Aha-Erlebnis, wer klare, konzentrierte Formen für ein Privileg der 1960er Jahre hält. Schon die Autos der 1920er Jahre weisen eine Sachlichkeit der Linienführung auf, die mitunter ins Belanglose abgleitet.

Doch bei den italienischen Wagen jener Zeit – nicht nur Fiat, sondern auch Ansaldo, Ceirano und O.M. – finden wir eine blitzsaubere klassische Formgebung, die nichts zu wünschen übrig lässt:

Diese Seitenansicht würde bereits genügen, um den Wagen als Fiat der zweiten Hälfte der 1920er Jahre zu identifizieren – die wie mit dem Lineal geführte, leicht ansteigende Linie vom Kühler, die bis zur Frontscheibe reicht, ist unverwechselbar.

Typisch für die Modelle 509 und 503 ist außerdem die Proportion der Haube mit den eher niedrig angebrachten Luftschlitzen und der breiten Seitenleiste darüber.

Bei den größeren Modellen erzwang der Platzbedarf etwas andere Abmessungen, die nicht mehr ganz so harmonisch wirken. Ein Beispiel dafür – oder besser: zwei – sind die nächsten Fiat-Kandidaten in diesem Blog. Das werden dann zur Abwechslung einmal richtig große Wagen sein!

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Ist das noch ein DKW? Vierzylindertyp „Sonderklasse“

Was verbinden Freunde deutscher Vorkriegswagen typischerweise mit einem DKW?

Nun, in technischer Hinsicht einen 2-Zylinder-Zweitakter, Frontantrieb und mechanische Bremsen. Das Ganze verpackt in ansehnliche, doch wenig robuste Karosserien aus Holz und Kunstleder.

In der Regel liegt man mit diesem Schema richtig. Doch neben den kleinen, aber enorm erfolgreichen Fronttrieblern bot DKW auch erwachsener wirkende Wagen an.

Sie verfügten über einen komplexen V4-Zylinder-Zweitakter mit je einer Ladepumpe pro Zylinderbank, Heckantrieb und hydraulische Bremsen. Sie waren nicht ganz so unverwechselbar gestaltet, boten aber mehr Platz und eine besseres Ausstattung.

Ein Exemplar dieser „großen“ DKWs – den Typ V1001 Sonderklasse – haben wir vor längerem schon einmal zeigen können (Bildbericht):

DKW V1001 Sonderklasse; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das repräsentativere Erscheinungsbild bezahlte der Käufer mit gegenüber den kleineren Zweiyzlindermodellen drastisch erhöhtem Verbrauch an Kraftstoff.

DKW bekam die Trunksucht des V4-Motors nie in den Griff. Da es dennoch eine gewisse Nachfrage nach dem gehobenen Modell gab (rund jeder zehnte DKW-Käufer entschied sich dafür) beschränkte man sich auf formale Überarbeitungen.

Nicht jede dieser optischen Modellpflegemaßnahmen glückte. Auf den klassisch schönen DKW V1001 Sonderklasse auf dem ersten Foto folgte 1934 die Version „Schwebeklasse“, die vom Ideal der Stromlinie beeinflusst war (Bildbericht):

DKW „Schwebeklasse“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses Gefährt – daraüber kann die hübsche Beifahrerin nicht hinwegtäuschen – wirkt so unharmonisch wie ein Eigenbau aus Teilen verschiedener Spenderwagen.

Rustikal wie hier die einzelnen Elemente zusammengesetzt sind, war die „Schwebeklasse“ kein Ruhmesblatt der verantwortlichen Gestalter.

Zum Glück besann man sich bei DKW anschließend wieder klassischer Tugenden und brachte die Sonderklasse 1937 mit abermals neuer Karosserie heraus – das Ergebnis sah dann so schnittig aus wie auf dieser Aufnahme:

DKW „Sonderklasse“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch dieser Wagen wurde wie sein Vorgänger auf dem vorangegangenen Aufnahme nach dem 2. Weltkrieg aufgenommen – im März 1950 bei Bamberg.

Abgesehen von dem verlorengegangenen Auto-Union-Emblem – normalerweise an der Miittelstrebe des Kühlergrills angebracht – scheint der Wagen den Krieg recht gut überstanden zu haben. Die Stoßstangenhälften entsprechen dem Original, sind hier aber wohl silbern lackiert statt ursprünglich verchromt.

Die sehr gelungene Frontpartie erinnert an zwei andere zeitgenössische Wagen. Der eine ist der elegante Fiat 1100, der seinerzeit auch in Deutschland gefertigt wurde. Hier haben wir eine Aufnahme dieses Typs, die wir bislang noch nicht gezeigt haben:

Fiat 1100; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wer eine Idee zur Bedeutung des merkwürdigen Kennzeichens hat, möge dazu die Kommentarfunktion nutzen.

Wir wenden uns unterdessen dem tatsächlichen Vorbild für die harmonische Karosserie des DKW Sonderklasse zu, dem Wanderer W 24.

Dieser Typ der ebenfalls zum Auto-Union-Verbund gehörende Traditionsmarke spendete nicht nur den Aufbau, sondern auch das Chassis. Damit erhielt die DKW Sonderklasse erstmals eine Blechkarosserie und einen klassischen Rahmen als Unterbau.

Äußerlicher Hauptunterschied des Wanderer W24 gegenüber dem DKW war die weniger fließend gestaltete, dafür markantere Kühlerpartie:

Wanderer W24; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme eines Wanderer W24 entstand übrigens 1939 kurz nach Kriegsausbruch – daher die vorgeschriebenen Tarnüberzüge auf den Scheinwerfern.

Ob diese schöne viertürige Limousine und ihr Besitzer auch später dem Einsatz bei der Wehrmacht entgangen ist, wissen wir nicht. Nicht völlig auszuschließen ist, dass der Wagen mit der Zulassung im Kreis Dresden-Bautzen noch existiert.

Überlebende der äußerlich an den Wanderer W24 angelehnten DKW „Sonderklasse“ dürften dagegen seltener sein, ihre unwirtschaftlichen Motoren waren nach dem Krieg erst recht ein Problem. Mit Schönheit allein war kein Staat mehr zu machen…

Ein ausführliches Porträt des Wanderer W 24 und seiner weitverzweigten Verwandschaft folgt gelegentlich…

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Ford Model C aus Köln: Porträt des Typs „Rheinland“

Klar, das Model A von Ford ist Freunden von Vorkriegsautos so geläufig wie das legendäre Model T – sie waren Beispiele für echte Volkswagen, als Automobile in Deutschland nur für einen winzigen Teil der Bevölkerung erschwinglich waren.

Beide Typen wurden ab 1926 auch hierzulande montiert, vom Model A entstanden bis 1932 fast 20.000 Stück – bis 1931 in Berlin übrigens. Hier haben wir eines davon:

Ford Model A Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Doch schon der Nachfolger des Model A dürfte heute kaum noch jemandem etwas sagen. Dieses Model B war ein Übergangstyp, das etwas mehr Leistung und eine modernere Karosserie bot.

Fotos eines Ford Model B aus Deutschland sind sehr selten – keine 2.000 Stück davon entstanden hierzulande. Einem Leser verdanken wir die folgende Originalaufnahme aus dem Nachlass der Aachener Unternehmerfamilie Faensen-Löwe:

Auf dem Foto sehen wir Peter-Josef Faensen, den wir vor einiger Zeit bereits als stolzen Insassen eines Dixi G1 6/18 PS kennenlernen durften.

Zwischen jener Aufnahme und der obigen von 1932 liegen rund zehn Jahre. Inzwischen hatte Peter-Josef Faensen eine Familie gegründet. Neben ihm seine Frau Katarina und Tochter Maritta, ganz links vermutlich seine Schwester Leni.

Der Ford B mit der abgerundeten Kühlerpartie und den lackierten Stahlspeichenrädern muss damals so gut wie neu gewesen sein. 1932 wurden in Köln die ersten 600 Exemplare des Typs gefertigt.

Ob es sich um die gegenüber dem Model A leistungsgesteigerte Variante 13/50 PS mit 3,3 Liter Hubraum oder den Typ 8/40 PS mit 2-Liter-Motor handelt, ist von außen nicht zu erkennen. Die auf dem europäischen Markt angebotene schwächere Ausführung scheint ansonsten mit der stärkeren identisch gewesen zu sein.

Bereits nach zwei Jahren erhielt das Ford Model B einen vor allem optisch abermals überarbeiteten Nachfolger – um dieses Model C geht es heute.

In Deutschland wurde der Wagen – der übrigens immer noch das 3,3 Liter-Aggregat des Model A besaß – als Typ 13/50 PS „Rheinland“ angeboten. Gegenüber dem parallel angebotenen etwas mickrigen Ford 4/21 PS „Köln“ war das ein großzügiges Auto.

Hier sehen wir eines davon in der Frontalansicht:

Natürlich ist nicht die Rede von dem Opel 2 Liter, der rechts vorbeifährt – besagter Ford Rheinland ist links am Bordstein geparkt. Das Brandenburger Tor im Hintergrund sagt alles über Ort und Zeitpunkt der Aufnahme.

Was macht uns so sicher, dass wir es mit einem Ford Rheinland in Berlin zu tun haben? Nun, die mittig nach unten geschwungene Stoßstange verweist schon einmal auf den Stil amerikanischer Wagen jener Zeit.

Die leicht herzförmig gestaltetete, schrägstehende Kühlermaske ist ein Erkennungsmerkmal von Ford-Wagen zur Mitte der 1930er Jahre. Man findet sie sogar bei Nutzfahrzeugen der Marke wie diesem bulligen 3-Tonner:

Diese Aufnahme aus Siebenbürgen aus einem privaten Familienalbum hätte es normalerweise nicht in diesen auf Personenwagen beschränkten Blog geschafft, würde sie nicht so gut die „Familienähnlichkeit“ im Ford-Programm illustrieren.

Man sieht hier, dass Lastwagen häufig aus besonders robusten PKW-Typen entwickelt wurden und entsprechend moderate Dimensionen aufwiesen. Interessant auch das Erscheinungsbild der Arbeiter, die hier wohl im Straßenbau tätig waren.

Zurück zu unserem Ford „Rheinland“: Auf einer weiteren Aufnahme, die nach dem 2. Weltkrieg entstand, sehen wir ein Exemplar aus fast identischer Perspektive:

Ford „Rheinland“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Oberhalb der improvisiert wirkenden Kühlermanschette, die in der kalten Jahreszeit für eine ausreichende Betriebstemperatur des Motors sorgte, kann man immerhin Teile des Namenszugs lesen: „…einland“

Ob die zweite Hupe verlorengegangen ist oder nur als Extra verfügbar war, wissen wir nicht. Die Altford-Freunde können dazu sicher etwas sagen.

Unklar ist auch, ob die Verchromung am Frontscheibenrahmen abgeblättert ist, oder ob diese unter einer ehemaligen Tarnlackierung wieder hervorgekommen  ist – was für einen einstigen Wehrmachtswagen sprechen würde. Allerdings würde man dann ähnliche Spuren an Stoßstange und Scheinwerfern erwarten.

Wie dem auch sei, dieser Ford Rheinland hat zumindest bis in das Jahr 1948 überlebt – die kaum lesbare Zahl am unteren Rand des Besatzungskennzeichens verrät es.

Der Rest des „Rheinland“-Schriftzugs auf dem Kühler findet sich auf einer anderen Aufnahme, die uns wieder in die Vorkriegszeit zurückführt:

Ford „Rheinland“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Allzuviel ist nicht zu sehen von dem Wagen, dessen Besitzer wenig begeistert von den zu entfernenden Schneemengen zu sein scheint.

Gerechnet hatte er wohl nicht mehr mit dem weißen Segen, sonst hätte er die Kühlermanschette montiert gelassen. Kein Wunder, denn „An Ostern“ steht lapidar auf der Rückseite des Abzugs…

Für uns ein Glück, denn so können wir den sonst verdeckten Schriftzug einwandfrei lesen. Spätetens mit diesem Vergleichsexemplar dürfte die Identifikation des ersten Wagens aus Berlin gesichert sein.

Einziger Unterschied ist der Aufbau – zunächst als Cabriolet (vermutlich von Drauz) und zuletzt als Limousine (wohl Ambi-Budd, Berlin).

Besonders das wohlproportionierte Cabriolet war ein durchaus elegantes Gefährt, das über die konservative Technik hinwegsehen ließ. Dass ein solcher Vorkriegsford heute eine außerordentliche Rarität darstellt, wer hätte das gedacht?

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Erstaunlich vielseitig: Der Brennabor Typ P 8/24 PS

Den ersten Volumenerfolg eines deutschen Autoherstellers nach dem 1. Weltkrieg landete keineswegs Opel, wie man meinen könnte.

Nach Stückzahlen führend war Anfang der 1920er Jahre vielmehr die Marke Brennabor aus Brandenburg an der Havel.

Dass die Autoproduktion der einst so vielseitigen Firma heute kaum noch bekannt ist, dürfte auch daran liegen, dass ein überzeugendes Standardwerk dazu bislang fehlt.

Im Internet finden sich ebenfalls nur wenige in die Tiefe gehenden Informationen und Originalfotos. Die äußerlichen Veränderungen der Brennabor-Typen während ihrer Produktionsdauer sind daher für Außenstehende nur mühsam nachzuvollziehen.

Dass es solche Veränderungen gab, liegt bei einer bis 1927 dauernden Produktion des ersten Nachkriegstypen „P“ auf der Hand. Wenn der Eindruck nicht täuscht, gab es nicht nur Unterschiede in der Motorisierung (8/24 und 8/32 PS), sondern auch in Details wie Ausführung und Zahl der Luftschlitze, Scheinwerferform usw.

Von daher dürfte jedes „neue“ Foto eines solchen P-Typs, von dem immerhin rund 10.000 Exemplare entstanden, auch für die Brennabor-Freunde ein Gewinn sein. Wie vielseitig dieses Modell daherkommen konnte, sehen wir beispielsweise hier:

Brennabor Typ P; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Zwar ist auch auf dem Originalabzug die Kühlerplakette nicht eindeutig zu erkennen. Doch deren Platzierung und Größe sowie das geschwungene Oberteil der Kühlermaske sprechen stark für einen Brennabor.

Einen Hinweis auf die genaue Datierung könnten die trommelförmigen Scheinwerfer, die demontierbaren Felgen, die Form des Vorderschutzblechs und die mindestens acht Luftschlitze in der Haube geben:

Für konkrete Hinweise von Brennabor-Spezialisten wäre der Verfasser ausgesprochen dankbar. Von den Dimensionen und dem Erscheinungsbild her tippt er auf einen Typ P 8/24 PS der frühen 1920er Jahre.

Dabei handelte es sich um ein technisch konventionelles Modell mit 2,1 Liter großem Vierzylindermotor.

Immerhin ist dokumentiert, dass es den Typ P auch in Nutzfahrzeugvarianten gab wie der hier abgebildeten. Der Beschriftung nach diente das Auto einst dem Leipziger Koffer- und Lederwarenhersteller Kleemann als Lieferwagen.

Viel war über die Firma nicht herauszufinden. Sie wurde 1842 gegründet und scheint in der Zwischenkriegszeit als F.C. Kleemann GmbH an der repräsentativen Adresse Brühl 37 existiert zu haben.

Vielleicht weiß ein Leser, was aus der Firma nach dem Krieg wurde – heute scheint sie jedenfalls nicht mehr zu existieren. Der besondere Reiz dieser Aufnahme liegt aus Sicht des Verfassers ohnehin in einem anderen Detail:

Wann hat man in einem so profanen Gefährt eine so hübsche und gutgekleidete junge Dame gesehen? War sie vielleicht eine Büroangestellte der Firma Kleemann, die in der Mittagspause auch einmal in einem Automobil posieren wollte?

Der Verfasser hat einen anderen Verdacht: Dies könnte die Tochter des Firmeninhabers gewesen sein, denn einer Angestellten hätte man vermutlich nicht die Mitnahme eines kleinen Hunds erlaubt.

Wer ihn übersehen hat, darf noch einmal nachsehen, er sitzt tatsächlich auf ihrem Schoß – mit einer überdimensionierten Hundemarke um den Hals.

Nicht zuletzt sind es solche liebenswerten Details, die die Magie historischer Originalaufnahmen von Vorkriegsautos ausmachen. Da ist es manchmal gar nicht so wichtig, auch noch den genauen Wagentyp herauszufinden…

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

 

 

Rarer Vorgänger des „Standard 6“: der Adler 10/50 PS

Heute beschäftigen wir uns mit einem Modell, das auch eingefleischte Freunde der Frankfurter Traditionsmarke Adler allenfalls vom Hörensagen kennen.

Die Rede ist vom Vorgänger des 1927 vorgestellten Adler „Standard 6“, des bis dahin größten Erfolgs der Firma.

Zwar haben wir schon etliche Originalfotos des ersten deutschen Wagens mit hydraulischen Vierradbremsen gezeigt. Doch der großzügige Wagen mit seinem 2,5 später 2,9 Liter messendem Sechsyzlinder ist immer wieder ein schöner Anblick.

Davon kann man gar nicht genug bekommen, zumal die Ausführung als 7-sitziger Tourenwagen, die wir hier haben, eher selten ist:

Adler „Standard 6“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nebenbei ist diese einst am Westensee in Schleswig-Holstein entstandene Aufnahme ein Beispiel für eine untergegangene Kunst – das lässige Posieren rund um ein Automobil.

Dabei wirkt jede der sieben wie von einem Regisseur um den Wagen herum positionierten Charaktere vollkommen gelassen – man möchte fast an einen Betriebsausflug einer Theatertruppe denken.

Bevor es weitergeht, schauen wir uns die Herrschaften näher an – der Adler ist hier Nebensache:

Nach damaligen Maßstäben sportlich wirkt der Herr ganz links mit Pullunder, Krawatte und Manschettenhemd. Der Verzicht auf ein Jackett, das umgehängte Fernglas und der Siegelring an der linken Hand weisen ihn als besonders stilbewusst aus.

Ganz anders der bullige Typ mit Schmiss, der in die Ferne schaut. Ihm geht jede Sportlichkeit ab, er scheint vielmehr seinen stattlichen Bauch mit Stolz zu tragen. Mit kleinem Hut und Knickerbockerhosen hat er sich für eine Landpartie ausstaffiert.

Ein eigener Charakter scheint auch der junge Mann mit dem dunklen Teint auf dem Trittbrett zu sein. Mag sein, dass er einer militärischen oder politischen Organisation seiner Zeit angehörte – Lederriemen über der Brust und Gamaschen sprechen dafür.

Besonders gut gefallen dem Verfasser aber die drei Grazien auf diesem Ausschnitt – da muss der junge Mann mit dem bademantelartigen Oberteil hintanstehen:

Alle drei Damen tragen kräftige Zöpfe – vermutlich sind es Schwestern – doch vom Typ her könnten sie kaum unterschiedlicher sein:

  • Links haben wir die Intellektuelle mit der Brille – sie hat bestimmt das beste Abitur und wird Medizinerin.
  • In der Mitte die Unternehmungslustige mit keck sitzender Mütze – sie verkehrt vielleicht in Kreisen, wo auch die Damen rauchen und trinkfest sind.
  • Ganz außen die Verschlagene, die darüber sinniert, wie sie die nächste Intrige einfädelt – ob in der Familie, in der Schule oder auf der Arbeit.

Diese Charakterisierungen sind natürlich reine Phantasie. Genug davon, denn eigentlich geht es ja um diesen raren Vogel:

Adler 10/45 oder 10/50 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wie es der Zufall will, sind hier wieder sieben Personen und ein Tourenwagen zu sehen, doch im Unterschied zur ersten Aufnahme ist das Arrangement weniger gelungen. Auch ist auf den ersten Blick kein Hinweis auf Marke und Typ zu erkennen.

Ein Wagen mit Flachkühler – spricht für die späten 1920er Jahre – schmale senkrechte Luftschlitze – für sich genommen wenig aussagefähig – Drahtspeichenräder und Vierradbremsen – das muss ein gehobenes Modell sein.

Dann wären da noch das glänzende Schutzblech auf dem Schweller unterhalb der Vordertür und die senkrecht stehenden Türgriffe. Durchaus markant, doch schien diese Aufnahme lange Zeit ein hoffnungsloser Fall zu sein.

Bei der Identifikation von Vorkriegsautos auf alten Fotos helfen Geduld, Glück und Gleichgesinnte. Hier lieferten zwei Fotos aus der Sammlung eines Oldtimerfreundes, der schon länger der Marke Adler verfallen ist, den Schlüssel zur Lösung:

Adler 10/45 oder 10/50 PS; Originalfoto aus Sammlung Rolf Ackermann

Diese fröhliche Gesellschaft scheint aus Spaß einen Adler-Tourenwagen anzuschieben – das dreieckige Markenemblemauf dem Kühler ist gerade noch zu erkennen. Könnte hier dasselbe Modell zu sehen sein?

Nun, immerhin besitzt auch dieser Wagen Speichenräder, besagtes Schwellerschutzblech und mit etwas gutem Willen ahnt man zwei senkrecht stehende Türgriffe. Aber besitzt dieser Wagen ebenfalls Vierradbremsen?

Aus dieser Perspektive ist das nicht eindeutig zu beurteilen. Zum Glück findet sich in der Sammlung von Rolf Ackermann ein weiteres Bild desselben Autos:

Adler 10/45 oder 10/50 PS; Originalfoto aus Sammlung Rolf Ackermann

Auf dieser raren Heckansicht ist die Bremstrommel am linken Vorderrad klar zu erkennen – demnach spricht auch hier alles für den Sechszylindertyp 10/45 oder 10/50 PS, der 1925-26 gebaut wurde.

Von diesem Vorgänger des Adler „Standard 6“ entstanden keine 1.000 Exemplare. Entsprechend selten begegnen einem Vorkriegsfotos dieses stattlichen Wagens, dessen Radstand von 3,35 Meter deutlich länger war als der des Nachfolgers.

Der Adler „Standard 6“ war zwar in mancher Hinsicht moderner und erzielte angesichts der starken Konkurrenz amerikanischer Wagen in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre einen Achtungserfolg.

Doch von den schieren Dimensionen war erst der Adler „Standard 8“ ein würdiger Nachfolger des Typs 10/45 bzw. 10/50 PS von der Mitte der 1920er Jahre – auf den mächtigen Achtzylinder kommen wir gleich zurück.

Hier noch einmal der Adler 10/45 bzw. 10/50 PS von dem ersten Foto in der Ausschnittsvergrößerung:

 

Er war tatsächlich um einiges größer als der Nachfolger Adler „Standard 6“. Wer genau hinschaut kann nun auch die stilisierte Adler-Kühlerfigur erkennen.

Heute existiert möglicherweise kein einziger Vertreter dieses raren Sechszylindertyps von Adler mehr – oder weiß es jemand besser?

Hier schließt sich übrigens der Kreis, denn Rolf Ackermann, dem wir die beiden anderen Fotos dieser Rarität verdanken, gehört zu den glücklichen Besitzern eines heute fast ebenfalls völlig ausgestorbenen Adler-Typs – des erwähnten „Standard 8“, der ab 1928 neben dem „Standard 6“ (oder besser: oberhalb davon) angeboten wurde:

Adler Standard 8; Bildrechte: Michael Schlenger

Das war nun ein weiter Weg vom Adler „Standard 6“ zum „Standard 8“ – und noch dazu ging es eigentlich um einen anderen Typ der ehemals stolzen Adlerwerke.

Doch manchmal kommt man nur auf solchen Umwegen ans Ziel – und wie bei einer gelungenen Oldtimerausfahrt sind die weniger bekannten Nebenrouten oft die reizvollsten…

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Urlaubsfoto mit Stoewer R-140 Rolldach-Limousine

Es ist Anfang März 2018 und wenn nicht alles täuscht, haben wir den Winter hinter uns. In der klimatisch begünstigten Wetterau nördlich des Rhein-Main-Gebiets erreichten die Temperaturen tagsüber bereits wonnige 15 Grad.

Bei strahlendem Sonnenschein stellten sich schnell Urlaubsgefühle ein – wenn man nicht gerade an Schreibtisch oder Werkbank gefesselt war. Im Osten erinnerte der noch schneebedeckte Vogelsberg wohl ein letztes Mal an die hinter uns liegende Frostperiode.

Da erwärmt man sich gern an einem historischen Foto wie diesem, das im Sommer 1933 an Nord- oder Ostsee entstand:

Stoewer R-140 Cabriolimousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch wenn die sonnengebräunten Insassen Urlaubsatmosphäre verströmen, will der abgebildete Wagen trotz langer Motorhaube nicht so recht Begeisterung auslösen.

Das liegt vor allem daran, dass das Auto auf der Aufnahme Teile der Front- und Heckpartie eingebüßt hat. Vorteilhaftere Aufnahmen des Typs sind schwer zu finden, es entstanden nur wenig mehr als tausend Stück davon.

Fast dasselbe Modell konnten wir vor längerer Zeit auf diesem Foto dingfest machen:

Stoewer R-150; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dem aufmerksamen Betrachter werden zwei Unterschiede ins Auge fallen: Der Wagen auf dem zweiten Foto verfügt über ein Ersatzrad im Vorderschutzblech und über vier Türen, die sich an der nicht vorhandenen Mittelsäule treffen.

Das heute vorgestellte Fahrzeug besitzt einige Ähnlichkeit damit, ihm fehlt aber anscheinend das Ersatzrad und es verfügt über nur zwei Türen. Außerdem ist es mit einem Rolldach ausgestattet.

Davon abgesehen handelt es sich weitgehend um das gleiche Auto: einen Stoewer R-140 bzw. R-150 aus der ersten Hälfte der 1930er Jahre.

Beide verfügten über den damals hochmodernen Frontantrieb – tatsächlich war die angesehene Nischenmarke aus Stettin die erste, die hierzulande einen serienmäßigen Fronttriebler vorstellte – den Typ V5.

Dessen V-Vierzylinder erwies sich als unkultiviert, weshalb der ab Ende 1932 gebaute Nachfolger R-140 wieder einen Reihenmotor erhielt, der unverändert 30 PS leistete.

Anfänglich war die Limousinenausführung des R-140 nur als Zweitürer erhältlich – wie bei dem Stoewer auf unserem Urlaubsfoto. Die viertürige Limousine ohne Mittelpfosten wurde erst etwas später gebaut – auf unverändertem Radstand.

Was aber hat es mit dem „fehlenden“ Ersatzrad auf sich?

Nun, der Stoewer R-140 besaß nur eines davon, das auf dem rechten Vorderschutzblech montiert war. Danke an Manfried Bauer vom Stoewer-Museum für den entsprechenden Hinweis.

Hier wirkt die Haube des Wagens noch länger als von anderen Seite her betrachtet. Gefälliger gestaltet war allerdings die Karosserie des Nachfolgetypen Stoewer R-150, die wir demnächst ebenfalls anhand eines Originalfotos vorstellen werden.

Leider waren diese technisch überzeugenden und ausgezeichnet gefertigten Stoewer-Fronttriebler zu teuer, um über ein Nischendasein hinauszukommen. Das macht sie heute zu Raritäten und für den Liebhaber des Besonderen zu einer Alternative zu den frontgetriebenen Modellen von Adler und DKW.

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An der Tankstelle ein König: Hanomag „Kommissbrot“

Was haben ein Horch-Achtzylinder und ein Hanomag „Kommissbrot“ gemeinsam? Außer dem „H“ als Anfangsbuchstaben und vier Rädern nicht viel, will es scheinen.

Doch in einer Hinsicht waren der mächtige Luxuswagen aus Zwickau und das kuriose Kleinstauto aus Hannover in den 1920er Jahren Wesensverwandte: sie mussten mehr oder minder häufig an die Tankstelle.

Entsprechende Aufnahmen sind rar und werden einem oft von Sammlern mit einschlägigem „Forschungs“gebiet vor der Nase weggeschnappt. Doch manchmal hat man Glück und in einem Konvolut aus Familienfotos findet sich so etwas:

Horch 350 Sedan-Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier lässt es sich der Fahrer eines Horch 8 Typ 350 Sedan-Cabriolet nicht nehmen, assistiert vom Tankwart, selbst Hand anzulegen und das 90 Liter messende Benzinreservoir aufzufüllen.

Zwei Fragen mögen den Betrachter dieses schönen Schnappschusses bewegen:

  • Was trägt der freundlich in die Kamera schauende Herr auf dem Kopf?
  • Was erlaubt eine derartig präzise Ansprache des Wagentyps?

Bei der Beantwortung der ersten Frage hilft diese Ausschnittsvergößerung:

Offenbar trägt unser Horch-Besitzer zu einer Leder- oder Baumwollkappe eine schirmartige Sonnenblende, die möglicherweise leicht lichtdurchlässig war. Als Material dafür käme Zelluloid ein Frage, ein damals vielseitig eingesetzter Kunststoff.

Die sich uns zuwendende Dame im Hintergrund soll nicht unerwähnt bleiben – sie sitzt übrigens am Steuer – wir sehen sie gleich wieder.

Im Fundus des Verfassers gibt es nämlich eine Reihe von Ausflugsfotos, auf denen wir das Auto und die Insassen wiedersehen. Diese haben wir vor längerer Zeit bereits vorgestellt, nur das Tankstellenbild musste noch auf eine passende Gelegenheit warten.

Hier haben wir denselben Horch in aller Pracht

Horch 8 Typ 350; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Vermutlich hat dieses Foto der Besitzer selbst geschossen – dass die Gattin nicht eigens dafür ans Lenkrad gerückt ist, dafür spricht die vorherige Aufnahme.

Die Horch-Freunde unter den Lesern werden das mächtige Cabriolet als 8-Zylinderwagen des ab 1928 gebauten Typs 350 mit 80 PS erkennen.

Mit seinem von zwei obenliegenden Nockenwellen gesteuerten Reihenachter gehörte der Horch 8 Typ 350 seinerzeit zum Feinsten, was der deutsche Automobilbau hergab.

Besonders repräsentativ ist die hier zu sehende Ausführung als Sedan-Cabriolet.

Im Unterschied zum Tourenwagen bot sie den Komfort seitlicher Kurbelscheiben und eines üppig gefütterten Verdecks. In geschlossenem Zustand war der Wagen somit fast so behaglich wie eine Limousine (einst auch als Sedan bezeichnet).

Das andere Ende der automobilen Stufenleiter markierte einst der Hanomag 2/10 PS, landläufig auch als Kommissbrot bekannt:

Hanomag 2/10 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das 1925 vorgestellte Miniaturmobil mit der damals als unschön empfundenen Pontonkarosserie musste sich mit einem 1-Zylinder-Motor begnügen. Dieser wurde übrigens per Seilzug links vom Fahrer gestartet.

Bereits dieses Detail lässt ahnen, warum der Traum vom Volksautomobil mit dem Hanomag „Kommissbrot“ ein solcher bleiben musste. Das Vehikel war schlicht zu primitiv, so liebenswert es auch daherkam.

Wie ein wirklich für die Motorisierung breiter Schichten geeigneter Wagen auszusehen hatte, das hatten erst Ford, später dann Austin und Citroen vorgemacht. Da half auch die rationelle Fertigung bei Hanomag nicht.

Nach nur etwas mehr als 15.000 Exemplaren endete 1928 die Fertigung des auch als „rasender Kohlenkasten“ titulierten Hanomag 2/10 PS – also im gleichen Jahr, als der Horch Typ 350 vorgestellt wurde.

Doch den Besitzer des Hanomag scheint die Konkurrenz der „richtigen“ Autos nicht angefochten zu haben. Er scheint sich auf dem Foto im offenen Zweisitzer durchaus wohlzufühlen.

Tatsächlich war er in einer Hinsicht mit seinem Wagen ungekrönter König – beim Benzinverbrauch. Während sich der schwere Horch an die 20 Liter genehmigte, bei Reisen ins Gebirge auch deutlich mehr, kam der Hanomag mit 5 Litern aus.

Kein Wunder, dass der Hanomag-Fahrer mit sich und der Welt im Reinen scheint, steht er doch gerade an einer Dorftankstelle, wo er für einen überschaubaren Betrag volltanken konnte.

Die Zapfsäule im Hintergrund ist leicht zu übersehen, daher auch hier eine Ausschnittsvergrößerung:

Interessant ist die senkrechte Beschriftung „SHELL“, die auf dem rechts angebrachten Schild zu sehen ist.

Die niederländische Firma war bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts am deutschen Markt aktiv, sodass eine Shell-Zapfsäule keine Seltenheit war. Doch solche Fotos mit einem Vorkriegsauto davor sind recht rar.

Ein Wunsch bleiben dürfte eine Aufnahme, die einen Horch 8 und einen Hanomag 2/10 PS gleichzeitig beim Tanken zeigt. Ganz ausschließen sollte man das jedoch nicht.

Eine ähnliche Konstellation – wieder unter Beteiligung des hier gezeigten Horch 8 Typ 350 Sedan-Cabriolet – konnten wir nämlich bereits hier präsentieren, nur nicht an der Tankstelle…

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Frühjahr 1916: Ein „bodenständiger“ Mercedes…

Vor gut 100 Jahren war ein Mercedes natürlich alles andere als „bodenständig“ – im Unterschied zu unseren Tagen war es kein Massenfabrikat, sondern für 99 % der Bevölkerung ein unerreichbarer Luxusgegenstand – und ein Manufakturprodukt.

Vor 100 Jahren war überhaupt einiges anders: Politiker wurden noch nicht in gepanzerten Wagen umherkutschiert, das bis dahin verbreitete Elektroauto hatte sich als dem Verbrenner gegenüber heillos unterlegen entpuppt, unterdessen konnte man von Effizienzwundern wie modernen Dieselmotoren in Kraftwagen nur träumen.

Der diesbezügliche Feldzug von Fanatikern, der sich letztlich gegen die Individualmobilität und damit gegen Wohlstand und Freiheit ihrer Mitbürger richtet, soll hier eigentlich nicht weiter kommentiert werden.

Nur eines: Wenn nach über 100 Jahren der Vervollkommung des Automobils dieses mit haltlosen Behauptungen auf einmal als mörderische Massenvernichtungswaffe dargestellt wird, scheint unsere Gesellschaft keine echten Probleme mehr zu haben.

Unsere Vorfahren vor 100 Jahren mussten wirklich um Leib und Leben fürchten, denn es herrschte Krieg zwischen den Völkern Europas.

Im Frühjahr 1916, als folgende Aufnahme entstand, tobte die Schlacht um Verdun, die bis Ende des Jahres rund eine halbe Million Männer das Leben kosten sollte:

Wir wissen nicht genau, wo dieses Foto gemacht wurde, doch steht es sinnbildlich für die verfahrene Situation, in der sich damals die Kriegsparteien im Westen befanden – es ging sprichwörtlich weder vorwärts noch rückwärts.

Gut möglich, dass sich der Wagen auf der Aufnahme nicht in Frankreich, sondern irgendwo an der Ostfront im auftauenden Boden festgefahren hatte.

Die aufgeweichten Wege – von Straßen konnte man damals vielerorts kaum sprechen – waren für Autos ein größeres Problem als heftige Minusgrade. Auf gefrorenem Boden und selbst im Schnee fuhr es sich besser als unter diesen Verhältnissen.

Für den Militäreinsatz entwickelte PKW gab es damals noch keine – praktisch alle im 1. Weltkrieg genutzten Automobile waren zivile Modelle.

Zwar boten diese dank großer Bodenfreiheit eine gewisse Geländegängigkeit, doch war man erst einmal bis zu den Achsen eingesunken, ging nichts mehr.

Hier hat es einen Mercedes erwischt – zu erkennen am dreizackigen Stern auf dem Kühler. Bei aller Qualität der Daimler-Wagen – im Kriegseinsatz wurde der stolze Fahrer bzw. der privilegierte Passagier oft auf den Boden der Tatsachen geholt.

Dessen ungeachtet war der Einsatz von Automobilen noch so ungewöhnlich, dass auch solche unerfreulichen Situationen gern fotografisch festgehalten wurden – fernab der Front konnte man sich diesen Luxus leisten.

Zu welcher Militäreinheit der Wagen gehörte, lässt sich vielleicht anhand der Kennung auf der Motorhaube ermitteln. Auf dem Originalabzug zeichnet sich in der oberen Zeile „K.F.A.C“ ab, wobei speziell das „A“ unsicher ist. Darunter könnte die Ziffernfolge „359“ oder „350“ stehen, sicher sind davon nur die ersten beiden.

Was lässt sich zum Typ sagen? Ganz genau herausfinden lässt sich dieser nicht, doch ein paar Indizien haben wir:

  • geprägter dreizackiger Stern auf der Front der Kühlermaske: ab 1909
  • Windlauf zwischen Motorhaube und Frontscheibe: ab 1910
  • elektrische Frontscheinwerfer, als Extra ab etwa 1912

Später als 1912 dürfte dieser Mercedes kaum entstanden sein, da ab dann meist Spitzkühler verbaut wurden; allerdings war der Flachkühler weiterhin verfügbar. Der relativ steile Windlauf spricht aber gegen eine wesentlich spätere Entstehung.

Die kurze Motorhaube mit den vorne liegenden Luftschlitzen lässt vermuten, dass wir eines der kleineren Mercedes-Modelle vor uns haben. Um 1912 kommen dafür vor allem die kompakten Vierzylindertypen 8/20 PS und 10/25 PS in Frage.

Mit 1,9 bzw. 2,6 Litern Hubraum waren sie weit unterhalb der großen Vierzylinder von Mercedes angesiedelt, die über Hubräume von 5 bis 10 Litern verfügten.

Viel mehr können wir zu dem Tourenwagen von Daimler derzeit nicht sagen. Interessant ist vielleicht der seitlich angebrachte Suchscheinwerfer, der der Form nach zu urteilen eventuell noch gasbetrieben war:

Selten zu sehen ist auch die Ausführung der Polster auf der Rückbank des Wagens. Hier haben wir nicht die übliche rautenförmige Polsterung mit Knöpfen, sondern glatte, gerundete Lederflächen.

Wie es scheint, waren auf der Rückbank drei Sitze nebeneinander angebracht, wobei der mittlere am höchsten nach oben ragt und der in Fahrtrichtung rechts befindliche nicht zu sehen ist. Oder täuscht der Eindruck?

Jedenfalls haben wir hier einen Mercedes, der für meisten Zeitgenossen heute unzumutbar bodenständig wäre – geringe Leistung, unsynchronisiertes Getriebe, Hinterradbremsen, schmale Reifen, keine Heizung und kein bruchsicheres Glas.

Tja, unsere Altvorderen lebten gemeingefährlich mit solch einem Automobil, sollte man meinen. Jedoch war genau das für 99 % der Bevölkerung ein unerreichbarer Luxus – nicht nur im Kriegseinsatz, auch im Frieden.

Der über 100 Jahre erarbeitete Lebensstandard der breiten Masse, der maßgeblich mit dem Automobil zusammenhängt, wird hierzulande auf einmal von Fanatikern in Frage gestellt und auf militante Weise bekämpft.

Kann man uns wenigstens diesen sinnlosen Krieg ersparen, wenn das vor 100 Jahren schon nicht möglich war?

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