Charakterkopf mit vielen Facetten: Wanderer W21/22

Heute treffen wir einen alten Bekannten mit viel Charakter, dem sich immer wieder neue Facetten abgewinnen lassen. Die Rede ist von den 6-Zylindertypen W21/22 der sächsischen Traditionsmarke Wanderer.

Die beiden 35 bzw. 40 PS leistenden Modelle wurden von 1933 bis 1935 gebaut – zu einer Zeit also, als die im Auto-Union-Verbund zusammengefassten Herstellern Audi, DKW, Horch und Wanderer nur noch bedingte Unabhängigkeit genossen.

Doch tatsächlich profitierte das Profil der Marken von dem Zusammenschluss. Unter der Federführung des Horch-Gestaltungsbüros bekamen die Fahrzeuge der vier Marken ein durchweg hochkarätiges Erscheinungsbild verpasst.

So erhielten die neuen Wanderer-Typen W21/21 eine Kühlerpartie, die eigentlich für einen Horch-Luxuswagen vorgesehen war. Kennzeichnend waren die V-förmig nach oben weisenden Doppelstreben in der dynamisch gezeichneten Kühlermaske sowie die zwei Reihen schräggestellter Luftschlitze:

Wanderer_W21_und W22_Reklame_Galerie

Reklame für die Wanderertypen W21/W22 von 1933; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Diese raffinierte Reklame ließ das neue Modell besonders sportlich und die Konkurrenz – speziell von Mercedes – alt aussehen.

Hier beginnt bereits unser Rundgang durch die facettenreiche Karosseriepalette, die die die beiden Typen W21/22 von Wanderer auszeichnete.

Die oben abgebildete vierfenstrige Limousine war dem schwächeren 35 PS-Modell W21 vorbehalten. Beim 40 PS leistenden W22 wurde die Limousinenausführung dagegen mit sechs Fenstern geliefert:

Wanderer W22 Limousine; originales Zigarettenbild aus Sammlung Michael Schlenger

Das obige Zigarettensammelbild ist ein interessantes Beispiel dafür, dass man zeitgenössischen Zeichnungen von Vorkriegsautos nicht immer trauen kann. Hier ist nämlich nur eine Reihe durchgehender Luftschlitze in der Haube zu sehen.

Dass es das bei den Wanderer-Typen W 21/22 nicht gab, weiß man spätestens, wenn man das hervorragend bebilderte Standardwerk „Wanderer-Automobile“ von Erdmann/Westermann (Verlag Delius-Klasing, 2011) studiert hat.

Man ist deshalb gut beraten, sich an Originalfotos im Alltag betriebener Fahrzeuge zu orientieren. Selbst Werksfotos können Details zeigen, die es in der Serie nicht gab.

Zum Glück können wir mit einer Vorkriegsaufnahme der 6-Fenster-Limousine des Typs W22 aufwarten:

Wanderer W22 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wir hatten diese reizvolle, an einer DEROP-Tankstelle in Sachsen entstandene Aufnahme hier bereits besprochen.

Selbst auf einem technisch schlechten Foto wie dem folgenden erlaubt die Zahl der Seitenfenster (bzw. der Mittelsäulen auf der Fahrerseite) die Identifikation als Wanderer des Typs W22 8/40 PS:

Übrigens wurde der Wanderer einst vor dem Schiffshebewerk Niederfinow abgelichtet, das 1934 in Betrieb genommen wurde und noch heute (2018) seinen Dienst verrichtet (danke an Leser Klaas Dierks für diese Detailinformation).

Ebenfalls nur beim stärkeren Wanderer W22 gab es ein zweitüriges Cabriolet, dessen Aufbau bei Gläser in Dresden entstand. Leider konnten wir davon bislang nur ein Exemplar auf folgender Ausschnittsvergrößerung ausfindig machen:

Das reizvolle, weit größere Originalfoto und die Besprechung sind hier zu finden.

Eine weitere offene Version war der Tourenwagen, der ebenfalls nur beim Wanderer W22 verfügbar war. Den Aufbau dieses in den 1930er Jahren meist nur noch von Behörden bestellten Karosserietyps lieferte Buhne aus Berlin.

Wanderer W22 Phaeton in Paris; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Mehr zu diesem bemerkenswerten 1940/41 in Paris entstandenen Foto findet sich hier.

Aufmerksame Leser werden bemerkt haben, dass bislang nur alte Bekannte besprochen wurden, wenn auch in einer Zusammenstellung, deren Leitmotiv die unterschiedlichen verfügbaren Karosserievarianten sind.

Alle davon können wir noch nicht anhand zeitgenössischer Originalfotos dokumentieren. Zum einen fehlt die Cabrio-Limousine des W21, zum anderen die bei W21 und 22 verfügbare (sehr seltene) Kombi-Version mit großer Heckklappe.

Wer bisher Kombis für eine Nachkriegserfindung hielt, wird erkennen: alles schon früher dagewesen.

Kommen wir nun zum eigentlichen Höhepunkt des heutigen Blog-Eintrags. Denn es gibt eine weitere Karosserievariante des Wanderer W21/22, die wir noch nicht anhand eines historischen Originalfotos dokumentiert haben.

Die Rede ist von der 4-Fenster-Limousine des W21, die auf der eingangs gezeigten Wanderer-Reklame zu sehen ist. Da haben wir etwas Feines im Angebot

Wanderer W21 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Mal ehrlich: Besser hätte auch eine Werksfotografie die Schokoladenseite des Wanderer W21 kaum einfangen können. Hier glaubt man gern, dass diese majestätische Frontpartie einst einem Horch-Luxusmodell zugedacht war.

Sehr wirkungsvoll die Positionierung des prachtvollen Wanderer am Rand einer einsamen Landstraße mit karger Herbst- oder Winterlandschaft als Hintergrund.

Kontrast und Tiefenschärfe sind perfekt, dabei ist das bloß eine Privataufnahme, die auf einem winzigen Abzug erhalten geblieben ist. Doch wie soll man hier erkennen, dass das eine 4-Fenster-Limousine des Wanderer W21 ist?

Nun, zusammen mit dieser schönen Aufnahme wurde ein weiteres Foto mitgeliefert, das bei derselben Gelegenheit entstand:

Wanderer W21 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier ist deutlich zu erkennen, dass wir es mit einer Vierfenster-Limousine zu tun haben, die es nur in der schwächeren Version als Wanderer W21 7/35 PS gab.

Da dem Wagen die ab Mitte 1934 auf der Mittelstrebe der Kühlermaske montierten Auto-Union-Ringe fehlen, lässt sich dieser Wagen als frühes Exemplar des Wanderer W21 ansprechen.

Nur wenige tausend Stück davon entstanden in Manufaktur – übrigens im Zwickauer Horch-Werk. Selbst auf historischen Fotos findet man das Modell daher eher selten.

Doch wenn nicht alles täuscht, ist auf folgender Postkarte aus Hamburg in der Mitte ein Exemplar davon zu sehen:

Wanderer W22 Cabriolet vor dem Hamburger Hauptbahnhof; Ansichtskarte aus Sammlung Michael Schlenger

Da es sich um ein Cabriolet handelt, muss es ein Wanderer des Typs W22 8/40 PS mit Karosserie von Gläser sein. Die einstige sächsische Autobaukunst wurde demnach auch von den sonst so nüchternen Hanseaten geschätzt…

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Als noch jede Pferdestärke zählte: Mercedes 200

Regelmäßige Leser dieses Blogs für Vorkriegsautos auf alten Fotos wissen: Nicht alle Wagen, die nach dem Zusammenschluss der Traditionsmarken Mercedes und Benz im Jahr 1926 entstanden, lösen beim Verfasser Begeisterung aus.

Sicher, einem Mercedes, der einem auf so anmutige Weise untergejubelt wird wie auf folgender Aufnahme, kann man kaum sinnlichen Reiz absprechen:

Reklame von Mercedes-Benz um 1935 aus Sammlung Michael Schlenger

Hier hatten die Werbeleute aus Stuttgart bereits in den 1930er Jahren perfekt umgesetzt, was auch in unseren Tagen gängige Praxis ist – das Produkt wird scheinbar zur Nebensache, während das dadurch ermöglichte Erlebnis im Mittelpunkt steht.

Heute wird diese Erkenntnis unserer Vorväter als „customer experience“ neu verkauft – klar: auf Englisch klingt auch Banales und Altbekanntes aufregend anders.

Tatsächlich sind viele Dinge bereits vor langer Zeit derartig perfektioniert worden, dass man kaum weiß, was man daran besser machen soll.

Kaum zufällig sind es die großzügigen Gründerzeitviertel unserer Städte, sofern sie noch existieren, die die zahlungskräftigste Klientel anziehen und nicht die einst als modern angepriesenen Hochhaus-Ghettos der 1960/70er Jahre.

Zurück zu den Autos der Vorkriegszeit: Während Mercedes in den 1930er Jahren in formaler Hinsicht fast alles richtig machte (was man im 21. Jh. nicht gerade behaupten kann…), blieb man in einer Hinsicht hinter den Möglichkeiten zurück.

Gemeint sind die Pferdestärken, die im heutigen Blog-Eintrag im Mittelpunkt stehen – im technischen Sinne, aber auch in ganz konkreter Hinsicht:

Mercedes-Benz 200; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme der 1930er Jahre ist nebenbei ein Zeugnis einer Epoche, in der sich aus handwerklichem Können, lokalen Materialien und gewachsenem Formempfinden Gebäude ergaben, die funktionell, schön und dauerhaft sind.

Die beiden mächtigen Fachwerkbauten stehen nach schätzungsweise 150 Jahren wahrscheinlich heute noch und haben das Zeug, weiteren Generationen zu dienen und zugleich den Betrachter zu erfreuen.

Der Verfasser ist geneigt, diese ohne Architekten und Statiker entstandenen Bauten irgendwo in Norddeutschland zu verorten. Vielleicht kann ein Kenner lokaler Bautradition Genaueres dazu sagen.

Leider ist das Kennzeichen der Limousine verdeckt, die auf dem Abzug abgebildet ist:

Mercedes-Benz 200; Ausschnitt eines Originalfotos aus Sammlung Michael Schlenger

Anfänglich dachte der Verfasser, hier einen der Mercedes-Wagen des Vierzylindertyps 170V vor sich zu haben, der von 1936 bis in die Nachkriegszeit sehr häufig gebaut wurde.

Doch die fast senkrecht stehende Frontscheibe und das Fehlen seitlicher Schürzen an den Vorderschutzblechen sprachen letztlich für einen Mercedes 200 mit 6-Zylindern, der von 1933-36 in eher überschaubaren Stückzahlen entstand.

Leistungsmäßig waren beide Typen ausgesprochen sparsam: Mit 38 bzw. 40 PS musste sich der Käufer begnügen. Dass auch in der Großserie damals deutlich mehr an standfester Leistung drin war, zeigte damals der auch hierzulande gebaute Fiat 1500.

Der nur 1,5 Liter messende Sechszylinder aus Turin warf solide 45 PS ab. Damit und der windschnittig gezeichneten Front erreichte der Italiener eine weit überlegene Geschwindigkeit von über 110 km/h.

Fernab der Autobahn, irgendwo auf dem flachen Land müssen die einstigen Besitzer des braven Mercedes-Benz 200 dennoch einst sehr stolz darauf gewesen sein:

So präsentierte man sich eigens mit der viertürigen Limousine – zu erkennen an dem auffallend verspielten Abschluss der hinteren Tür oberhalb des hinteren Kotflügels.

Bemerkenswert ist die Mischung der hier abgebildeten Personen. Während der junge Bursche ganz links in einen großstädtischen Anzug mit Krawatte gekleidet ist, trägt der barfüßige Nebenmann ein weit aufgeknöpftes Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln am Oberkörper. Neben ihm ruht sein treuer Schäferhund, wenn nicht alles täuscht.

Der ältere Herr neben dem Mercedes versucht, seinen Hund dazu zu bewegen, ebenfalls in die Kamera zu schauen – doch der hat gerade anderes im Sinn. Auffallend ist die Ähnlichkeit der Gesichtszüge des zweiten stehenden Mannes:

In Arbeitskluft gekleidet posiert er zwar bloß mit zwei Pferdestärken, aber diese scheinen von besonders edlem Geblüt zu sein.

Das sind keine Ackergäule, sondern wahrscheinlich edle Rennpferde und deshalb machen sie neben dem Mercedes so gute Figur. Die Leute auf dieser ungewöhnlichen Aufnahme waren sich ganz offenbar noch jeder Pferdestärke bewusst, die ausgiebig gepflegt sein wollte und bei der unnötige Kilos vermieden wurden.

Heute dagegen fahren geschmacklos gestaltete, überdimensionierte Gefährte umher, mit deren PS-Zahlen man einst Rennen gewinnen konnte. Dennoch reicht es bei vielen überforderten Zeitgenossen oft nur für Tempo 70 auf der Landstraße…

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Einer der letzten echten Stoewer: Typ R-150 Cabrio

Von den hunderten Automarken, die es einst im deutschsprachigen Raum gab, sind die meisten weitgehend vergessen. Doch einige davon geben auch über 70-80 Jahre nach ihrem Ende immer noch deutliche Lebenszeichen von sich.

Viel hängt davon ab, ob die Traditionspflege in den richtigen Händen liegt bzw. ob sich überhaupt jemand berufen fühlt, sich um die Firmenhistorie zu kümmern.

Im Fall einst bedeutender Marken wie NAG, Presto und Protos herrscht leider völlige Fehlanzeige – obwohl die Archive überquellen.

Bei anderen Herstellern wie Brennabor werden die Aktivitäten der Markenspezialisten dem einstigen Rang noch nicht gerecht. Was Einzelkämpfer auf dem Sektor zustandebringen, zeigt das Wirken von Michael Schick, der sich die Historie von Steiger aus Burgrieden zur Herzensangelegenheit gemacht hat.

Eine weitere lobenswerte Ausnahme ist das Stoewer-Museum, dessen Leiter Manfried Bauer die Flamme der Marke aus Stettin eindrucksvoll am Lodern hält.

Tatsächlich gehört die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichende Geschichte von Stoewer zu den faszinierendsten Kapiteln im deutschen Automobilbau. Dem Verfasser ist kein anderes Beispiel bekannt, in dem zwei Brüder die Geschicke ihrer Firma von den Anfängen über mehr als 30 Jahre bestimmten.

Von 1899 bis zum Kontrollverlust 1934 begleiteten (und prägten) die Gebrüder die Genese des Automobils vom exotischen Zeitvertreib Vermögender bis zum alltagstauglichen Fahrzeug für die Mittelschicht.

Welche Umwälzungen und Fortschritte in diesen 35 Jahren stattfanden, wird vielleicht deutlich, wenn man einen frühen Stoewer als Ausgangspunkt betrachtet:

Stoewer-Reklame aus Braunbeck’s Sportlexikon von 1910; Faksimile-Ausgabe aus Sammlung Michael Schlenger

Im famosen Braunbeckschen Sportlexikon aus dem Jahr 1910 war einst auf Seite 897 diese Reklame von Stoewer abgedruckt.

Sie zeigt ein letztes Mal einen Stoewer im Erscheinungsbild der automobilen Frühzeit – faktisch sehen wir hier noch eine Kutsche mit davorgesetztem Motor.

Doch schon im Jahr darauf verfügten Stoewer-Wagen über den modernen Windlauf, der erstmals Motorraum und Fahrgastzelle miteinander harmoniosch verband:

Nur drei Jahre später – im Januar 1914 – beeindruckt Stoewer dann mit in einem formal wie technisch hochmodernen Luxuswagen – dem Modell F4 mit 8,6 Liter Hubraum und satten 100 PS.

Dass davon nur fünf Exemplare entstehen sollten, verrät die zeitgenössische Reklame zwar nicht, dafür liefert sie zusätzlich die Abbildung eines Rekordwagens mit stromlinienförmiger Karosserie:

Stoewer Reklame von Januar 1914; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Werbeanzeige überrascht vielleicht, da man Stoewer nicht unbedingt mit Sportaktivitäten verbindet. Doch der Eindruck täuscht.

Vor allem mit den Sechszylindern des Typs D5, später auch mit dem Vierzylindertyp D 10, errangen Privatfahrer auf Stoewer viele Siege bei Wettbewerben.

Folgende Anzeige aus dem Jahr 1924 kündet eindrucksvoll davon – die für die Gestaltung zuständige Werbeagentur hatte sich den treffenden Namen „Propaganda Stuttgart“ zugelegt:

Stoewer-Reklame von 1924; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Man erkennt links oben auf der Anzeige die stilisierte Frontpartie eines Stoewer D-Typs mit dem damals im deutschsprachigen Raum modischen Spitzkühler.

In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre sollte sich die Formensprache radikal ändern – nun war strenge Sachlichkeit angesagt in gestalterischer Hinsicht oft kein Gewinn. Stoewer musste sich ebenfalls der neuen Linie der vermeintlichen Vernunft anpassen.

Die bis dato so schnittig daherkommenden Stettiner Wagen wirkten selbst in der spektakulären Motorisierung mit Achtzylinder auf einmal beliebig. Da half auch der Verweis auf angebliche Eleganz nicht:

Stoewer-Reklame von 1928; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Anzeige stellt den mächtigen 8-Zylindertyp G14 in der repräsentativen Ausführung als Pullman-Limousine in den Mittelpunkt, der 1928 entstand.

Dass eine Manufaktur wie Stoewer einen Achtender mit 70 PS-Motor und hydraulischer Vierradbremse zeitgleich mit Horch zustandebrachte, unterstreicht den Ausnahmecharakter der Marke und das Können der Gebrüder Stoewer.

Von den Achtzylindertypen entstanden freilich bei Stoewer nur einige hundert Stück – ähnlich wie die einheimische Konkurrenz hatte man kaum Chancen gegen die industriell gefertigten, hochmodernen US-Luxuswagen.

Stoewer ließ sich nicht beirren und konzentrierte sich fortan auf ein völlig anderes Segment: Anfang der 1930er Jahre präsentierten die Stettiner mit dem Typ V5 Deutschlands ersten Frontantriebswagen mit Schwingachsen.

Auch folgte man der wieder gewandelten Formensprache, die nicht mehr dem willkürlichen Diktat reiner Sachlichkeit gehorchte, sondern die Dynamik des Automobils zum formalen Leitmotiv machte.

Damit sind wir endlich bei dem Wagen angelangt, den wir heute anhand eines Originalfotos zeigen wollen, das uns einmal mehr Leser Marcus Bengsch aus seiner umfangreichen Sammlung zur Verfügung gestellt hat:

Stoewer R-150 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

So muss ein deutscher Wagen der 1930er Jahre aussehen, wird jetzt mancher Vorkriegsfreund denken.

Selbst in automobiler Hinsicht unbeleckte Zeitgenossen wissen die fließenden Linien und sinnlichen Schwünge dieser oft noch in Handarbeit entstandenen Aufbauten zu schätzen.

Dass sich hinter der unverwechselbaren Vorderpartie mit der herzförmigen Kühlermaske ein Frontantriebswagen verbarg, dürfte den meisten nicht bewusst sein.

Frontantrieb halten viele Zeitgenossen für eine Errungenschaft der Nachkriegszeit, ebenso wie die meisten Leute glauben, dass Elektroautos eine Innovation unser Tage seien (dabei gab’s selbst Hybridantrieb schon vor über 100 Jahren…).

Die Gebrüder Stoewer blieben auch über 30 Jahre nach ihrem ersten Automobil dem Fortschritt zugewandt. Dass es ihnen gelang, selbst die Inflationszeit und die Weltwirtschaftskrise der 1920er Jahre zu überstehen, unterstreicht ihren Rang.

Doch 1934 verloren sie die Kontrolle über das Unternehmen, dem sie über so lange Zeit ihren Stempel aufdrücken konnten. Einer der letzten echten Stoewer-Wagen ist auf dem Foto von Marcus Bengsch zu sehen.

Ganze 1.150 Stück entstanden davon. Am reizvollsten war das zweitürige Cabriolet, an das wir heute erinnern. Wer diesen Blog schon länger verfolgt, dem wird folgende Aufnahme des sehr ähnlichen Vorgängertyps R-140 (1932-34) bekannt vorkommen:

Stoewer R-140 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sehen wir die expressiven Linien, die die besten Entwürfe von Stoewer – oft aus der Hand von Bernhard Stoewer persönlich – auszeichneten.

Lange Haube, weit nach hinten reichende Kotflügel, niedrige Frontscheibe, kompakte Fahrgastzelle, kurzes Heck – so sieht der ideale Vorkriegswagen aus!

Nicht lange nach diesem wunderbaren Entwurf mussten die Gebrüder Stoewer die von ihrem Vater im 19. Jahrhundert gegründete Firma verlassen – Finanzen und rationelle Produktion waren nicht ihre Stärke.

Vielleicht ist es gut, dass Emil und Bernhard Stoewer das Ende der Marke im Frühjahr 1945 nicht mehr erleben mussten. Gern wüsste man aber, ob es Zeugnisse aus der Zeit nach ihrem Ausscheiden gibt, in denen sie einen Rückblick auf ihr Schaffen geben…

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ein Fall für Zwei: Heiteres Schrauben am DKW F5

Nach dem gestern vorgestellten Fund des Monats – einem raren Dux 6-Zylinderwagen des Typs R 17/60 PS – kehren wir in die Niederungen des Vorkriegsalltags zurück.

Wieder einmal muss dafür ein DKW herhalten, im Deutschland der 1930er Jahre neben den Opel-Wagen das populärste Automobil aus heimischer Fertigung.

Am verbreitetsten waren die ab 1931 gebauten Fronttriebler (F-Typen), die zwar nur 2-Zylinder-Zweitakter mit 18-20 PS besaßen, aber ein gediegenes Äußeres boten.

Diese Wagen sahen trotz gerade einmal 600 bzw. 700 ccm Hubraum richtig erwachsen aus und boten 4 Personen Platz, was nicht unwesentlich zu ihrem Erfolg beitrug.

Hier haben wir ein bisher unveröffentlichtes Foto eines dieser Brot-und-Butter-Autos in der beliebten Ausführung als Cabrio-Limousine:

DKW F5 „Reichsklasse“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme lief im Jahr 1937 als private Postkarte nach Bergisch-Gladbach. Sie zeigt einen DKW des Typs F5 in der Basisausstattung „Reichsklasse“.

Zu erkennen war der zum Jahreswechsel 1934/35 eingeführte Typ F5 an den nun bis zum unteren Schwellerabschluss reichenden Türen.

Die Reichsklasse-Variante besaß im Unterschied zur opulenteren Ausstattung des Modells „Meisterklasse“ nur eine lackierte Kühlermaske, teilverchromte Scheinwerfer und ab 1936 lackierte Radkappen.

Man präge sich insbesondere die Gestaltung der Kühlerpartie ein und auch die Position der Winker am unteren Ende des Frontscheibenrahmens – diese Details werden bei dem Foto, um das heute geht, von Bedeutung sein.

Weniger wichtig ist, dass der oben abgebildete DKW des Typs F5 „Reichsklasse“ nur einen Scheibenwischer besitzt, denn auf Wunsch waren auch zwei erhältlich.

Jetzt aber zu der Aufnahme, zu der wir nicht umsonst den Titel „Ein Fall für Zwei – heiteres Schrauben am DKW F5“ gewählt haben:

DKW F5 „Reichsklasse“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das ist ein bemerkenswertes Dokument – eine außergewöhnliche Situation im rechten Moment eingefangen, das Ganze in herausragender technischer Qualität und dann noch ein Auto, dessen genaue Identifikation detektivischen Spürsinn verlangt.

Dass einer der frontgetriebenen DKWs der Vorkriegszeit Rätsel aufgibt, ist schwer zu glauben. Schließlich sind diese verbreiteten Wagen selbst in den ungewöhnlichsten Karosserievarianten ausgezeichnet dokumentiert.

Dennoch macht die frontale Perspektive diesen Fall zu einer harten Nuss. Die Kühlermaske ist hier fast das Einzige, was gut zu erkennen ist – bloß hat sich diese vom Typ F2 (ab 1932) bis zum Typ F7 (ab 1936) kaum verändert.

Die Unterschiede der einzelnen Typen sind praktisch nur von der Seite erkennbar. Wir werfen dennoch nicht die Flinte ins Korn, sondern machen uns ans Werk:

Ganz rechts ist neben dem unteren Abschluss des Scheibenrahmens das außen angebrachte Gehäuse eines Winkers zu erkennen.

Damit können wir schon einmal den Typ F7 (ab Ende 1936) ausschließen, bei dem die beiden Ausstattungsversionen „Reichsklasse“ und „Meisterklasse“ eine einheitliche Karosserie mit in der B-Säule versenktem Winker erhielten.

Festzuhalten ist zudem, dass wir hier einen DKW der Basisausstattung Reichsklasse vor uns haben – das verrät die lackierte (und nicht verchromte) Kühlerumrahmung.

Der mittig angebrachte Nebelscheinwerfer ist ein nachträglich montiertes Zubehörteil. Weiter geht’s etwas weiter unten an der Frontpartie des DKW:

Nebenbei: Auf DKW verweist das hier nicht leserliche Emblem auf dem oberen Abschluss des Kühlers – der Schriftzug „Auto Union“ steht für die Zugehörigkeit von DKW zum gleichnamigen Verbund.

Historische Fotos solcher DKWs werden von ahnungslosen Zeitgenossen gern als Aufnahmen von Auto-Union-Wagen – oder noch besser: Audi – angepriesen. Wer kann es ihnen verdenken? In der Oldtimerpresse hierzulande sind Vorkriegswagen eine vom Aussterben bedrohte Spezies – man gibt sich auch hier gnadenlos progressiv…

Das weit nach unten gezogenene und fast waagerecht abschließenden Vorderschutzblech spricht gegen den frühen Typ F2 (ab 1932). Die Stoßstange müssen wir ignorieren – sie ist ebenso nachgerüstet wie der erwähnte Nebelscheinwerfer.

Ab Werk besaßen die DKWs der Basisvariante „Reichsklasse“ gar keine Stoßstange. Gegen Aufpreis lieferbar waren zweigeteilte Stoßstangen, bei denen das Kennzeichen mittig montiert war.

Nach bisherigem Stand haben wir es wahrscheinlich mit einem DKW des Typs F5 in der Ausführung „Reichsklasse“ zu tun. Davon entstanden zwischen Ende 1934 und Mitte 1938 knapp 75.000 Exemplare – bis dato der größte Erfolg von DKW.

So unglaublich es bei dieser Aufnahme klingt, können wir den Entstehungszeitraum dieses DKW F5 auf gut 12 Monate eingrenzen. Möglich ist das, weil das Originalfoto noch einige weitere Details enthält, die wir bisher absichtlich ausgeblendet haben:

Dieses Stilleben aus Werkzeug, Pflegemitteln und diversen Getränkebehältnissen muss man genießen. Der Verfasser ist sich nach wie vor nicht sicher, ob es sich dabei um einen echten Schnappschuss handelt oder um eine gekonnte Inszenierung. 

Jedenfalls haben uns die zwei Schelme, die hier akribisch an ihrem DKW zu arbeiten scheinen, mit dem Sammelsurium einen Riesengefallen getan.

Denn ob das Ganze inszeniert ist oder nicht – sie haben auf diesem 1939 entstandenen Foto etwas platziert, das uns eine recht genaue Datierung des DKW erlaubt.

Der Blick schweift über die herumliegenden Werkzeuge und Reinigungsmittel, die Sidol-Flasche (die Marke gibt es noch) und die Flasche mit Kirschwasser, die für ein entsprechend heiteres Schrauben gesorgt haben dürfte.

Doch was liegt da zwischen der Wurzelbürste und besagter Spirituose? Eine verchromte Radkappe mit DKW-Schriftzug!

So etwas wurde am DKW F5 „Reichsklasse“ nur von Ende 1934 bis Ende 1935 verbaut, danach gab’s ab Werk bloß noch lackierte Radkappen.

Nun könnte einer sagen: Auch die Chromradkappen wurden nachträglich angebracht wie einiges anderes an dem DKW. Doch die einfachere und damit wahrscheinlichere Erklärung ist die, dass die Teile zur Originalausstattung gehörten.

Während wir, was den genauen DKW-Typ angeht, letztlich nur einen Indizienbeweis führen können, lässt sich aus dem Kennzeichen folgendes sicher ableiten:

Der DKW war einst im niederschlesischen Landkreis Grünberg zugelassen. Dieser gehörte bis 1945 zum Regierungsbezirk Liegnitz.

Von dort stammt auch die Mutter des Verfassers dieses Blogs. Sie floh damals mit 14 Jahren vor der heranrückenden Roten Armee – im Koffer neben dem Nötigsten das Fotoalbum.

Auf ähnliche Weise wird damals wohl die hier besprochene DKW-Aufnahme in den Westen gelangt sein. Das auf Fotopapier gebannte bisherige Leben ließ niemand auf der Flucht zurück (Ausweise „verlor“ man schon gar nicht…).

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Fund des Monats: Ein Dux Typ R 17/60 PS Tourer

Unter den Leser dieses Blogs für Vorkriegautos ist die Rubrik „Fund des Monats“ besonders beliebt.

Wen wundert’s – hier gibt es oft historische Originalfotos von Automobilen zu bestaunen, die man bestenfalls vom Hörensagen kennt und von denen es in der Literatur kaum vergleichbare Aufnahmen gibt.

Heute haben wir wieder so einen Fall – dank eines Lesers, der dem Verfasser ein Foto zur Identifikation des abgebildeten Wagens zusandte.

Bei dem Fahrzeug, das wir zeigen wollen, sprach das Bauchgefühl für einen Wagen aus der Mitte der 1920er Jahre von einem deutschen Hersteller der zweiten Reihe.

Also die Standardwerke zu deutschen Vorkriegsautos bis 1945 durchgeblättert und siehe da: Auf S. 133 von „Autos in Deutschland 1920-1939“ von Heinrich von Fersen wird man fündig – es ist ein Dux!

Dux – aha, was soll das sein? Weil selbst in der Vorkriegsfraktion nur die wenigsten etwas damit anfangen können, erzählen wir erst einmal die Markengeschichte, bevor wir das Prachtstück selbst zeigen.

Die (Vor)Geschichte der Dux-Wagen beginnt im Jahr 1896, als ein gewisser Ransom Eli Olds im US-Bundesstaat Michigan sein erstes benzingetriebenes Auto fertigstellt.

Bis 1900 entwickelte Olds zahlreiche neue Modelle, darunter wie damals üblich auch elektrisch betriebene. Den Durchbruch brachte aber erst das preisgünstige 7 PS-Einzylindermodell „Oldsmobile Curved Dash“, das ab 1901 reißenden Absatz fand.

Dieser Erfolg sprach sich auch in Deutschland herum, wo ab 1904 die Polyphon-Musikwerke aus Leipzig-Wahren neben Grammophonen und Präzisionsinstrumenten eine Lizenzproduktion des Oldsmobile aufzogen.

Früh begann man dort, die US-Konstruktion weiterzuentwickeln und ab 1908 fertigte man eigenständige Wagen unter dem Markennamen Dux.

In „Braunbeck’s Sportlexikon“ von 1910 (übrigens als Faksimile erhältlich) findet man auf Seite 885 folgende Reklame für repräsentative Dux-Limousinen:

Dux-Reklame aus „Braunbecks Sportlexikon“ 1910; Faksimile-Ausgabe, dbm Media-Verlags, 1994

Die Abbildung zeigt ein letztes Mal ein Dux-Automobil mit übergangslos auf die Schottwand stoßender Motorhaube.

Schon ein Jahr später – 1911 – verbaute man dem allgemeinen Trend bei deutschen Herstellern folgend einen „Windlauf“, der für einen strömungsgünstigeren und gefälligen Übergang von der Haube zur Fahrerkabine sorgte:

Dux-Reklame von 1911; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Der aufmerksame Leser wird bemerkt haben, dass die Leistung der angepriesenen Modelle unterdessen von 16 bzw. 24 PS auf 18 bzw. 26 PS gestiegen war.

Das stärkste vor dem 1. Weltkrieg angebotene Modell war der Typ G10 10/30 PS, der eine (theoretische) Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h ermöglichte. Die Karosserien für  die großzügigen Dux-Wagen bauten die Polyphon-Werke übrigens selbst.

Folgender Werbung aus dem Jahr 1914 kann man das Selbstbewusstsein entnehmen, mit dem man in Leipzig-Wahren inzwischen Automobilbau betrieb:

Dux-Reklame von Januar 1914; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Wie die obige Anzeige verrät, baute man ab 1914 auch Lastkraftwagen, auf die sich die Dux-Fahrzeugfertigung ab Kriegsausbruch konzentrierte.

Noch kurz vor Kriegsende entstand eine grafisch wie drucktechnisch aufwendige Reklame, auf der neben einem einen Lastwagen für das Heer auch ein schnittiger Tourenwagen mit modischem Spitzkühler zu sehen ist:

Dux-Reklame aus „Motor“ von Mai 1918; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Offenbar wollte man sich und potentiellen Käufern Hoffnung auf eine baldige Wiederaufnahme der PKW-Produktion machen. Tatsächlich ließ das Kriegsgeschehen nach der Niederlage von Russland und Rumänien noch 1918 zeitweilig einen Sieg von Österreich/Ungarn und Deutschland erwarten.

Bekanntlich kam es aufgrund des Eingreifens der USA in den europäischen Konflikt anders. Dennoch konnte der mittlerweile als Dux-Automobilwerke firmierende Hersteller schon 1919 die PKW-Produktion wiederaufnehmen.

Die Angaben in der Literatur zur Nachkriegsproduktion von Dux widersprechen sich zwar in mancher Hinsicht, aber klar ist: In den frühen 1920er Jahren konzentrierten sich die Dux-Automobilwerke auf großvolumige, eindrucksvolle Wagen.

Nun kommt auch das Foto zu seinem Recht, das wir Leser Raoul Rainer verdanken, der auf seiner Flickr-Präsenz schöne Vintagefotos zeigt (darunter auch viele Vorkriegsautos):

Dux Typ R 17/60 PS; Originalfoto aus Sammlung Raoul Rainer

Dieser mächtige Tourenwagen, der Platz für sechs bis sieben Personen bot, wirkt auf den ersten Blick wie eines der zahlreichen Spitzkühlermodelle, die vor allem im deutschsprachigen Raum nach dem 1. Weltkrieg entstanden.

Wie soll man hier den Hersteller, geschweige denn den Wagentyp identifizieren? Nun, wie so oft hilft ein genaues Studium der Frontpartie in Kombination mit einer gut sortierten Automobilbibliothek:

Was auf dem oberen Abschluss des Spitzkühlers zunächst wie eine Spiegelung wirkt, ist tatsächlich eine vernickelte und polierte Partie, die genau in der Mitte des in Wagenfarbe lackierten Kühlergehäuses unterbrochen ist.

Dieses markante Gestaltungselement findet man nur bei Dux-Automobilen der 1920er Jahre. Übrigens meint man auf der Nabenkappe des Rads den Dux-Schriftzug in Teilen erkennen zu können, der auf obiger Reklame zu sehen ist.

Da sich in der Literatur gleich zwei (mutmaßliche) Prospektabbildungen von Dux-Automobilen der 1920er Jahren mit identischer Kühlerpartie finden, darf die Identifikation als Dux-Tourenwagen als gesichert gelten.

Wie verhält es sich aber mit dem genauen Typ? Nun, hier müssen wir uns zwar vorerst mit einem Indizienbeweis begnügen, doch so oder fällt das Ergebnis eindrucksvoll aus.

In Frage kommen der wohl bereits 1917 entwickelte 4,7 Liter-Vierzylindertyp „S“ mit 50 PS und das ab 1923/24 verfügbare 4,4 Liter-Sechszylindermodell „R“ mit 60 PS.

Dass der später vorgestellte Motor trotz geringeren Hubraums eine höhere Spitzenleistung erreichte, ist nicht verwunderlich, wohl aber die unlogisch erscheinende Abfolge der Typbezeichnungen S und R.

Da die spärlichen Literaturangaben zu den Dux-Wagen der 1920er Jahre ohnehin widersprüchlich sind, ist hier ein Fehler nicht auszuschließen. Anhand von Originalprospekten oder -reklamen wird sich das eines Tages klären lassen.

Bleibt die Frage: Waren die Herrschaften auf dem schönen Foto von Raoul Rainer mit dem Vierzylinder- oder dem Sechszylindertyp unterwegs?

Für den moderneren Sechszylinder spricht die große Zahl der Luftschlitze in der Haube.

Die Abbildungen des Vierzylindermodells in der Literatur lassen nur zehn davon erkennen, auf dem Foto dürften es aber zwölf oder noch mehr sein, was zu einem länger bauenden Sechszylinder mit leistungsbedingt größerer Abwärme passt.

Der Sechszylindertyp von Dux gehörte damals zu den stärksten deutschen Serienwagen. Er besaß zudem Vierradbremsen , während beim Vierzylinder die Vorderräder ungebremst waren.

Wenn nicht alles täuscht, sind am in Fahrtrichtung linken Vorderrad des Dux auf unserem Foto innen große Bremstrommeln zu sehen – dann hätten wir hier tatsächlich einen Typ R 17/60 PS vor uns!

Was den Radstand angeht, nahmen sich die beiden Motorenvarianten nicht viel – satte 3,50 bzw 3,55 Meter ermöglichten speziell für die rückwärtigen Insassen großzügige Platzverhältnisse.

Viel mehr lässt sich zu dem prachtvollen Dux-Tourenwagen – von dem keinerlei Angaben zu den Stückzahlen überliefert sind – gegenwärtig nicht sagen. Nur eine Sache noch: Das Foto ist auf der Rückseite wie folgt beschriftet:

„Zur Erinnerung an die schöne Autopartie zur großen Schleuse, 23. Juli 1932“.

Die Person, die das einst auf den Abzug geschrieben hat und die wahrscheinlich auf dem Foto zu sehen ist, hat sich wohl kaum vorstellen können, dass dieses Dokument noch über 85 Jahre nach seiner Entstehung die Gemüter der Nachfahren bewegt…

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Ganz schön eingesaut: Austro-Daimler ADM Limousine

Zufälle gibt’s! Fast auf den Tag genau vor einem Jahr wurde in diesem Blog für Vorkriegsautos hier ein wunderbares Originalfoto desselben Wagentyps besprochen, mit dem wir uns heute – wieder einmal – befassen.

Die beiden Fahrzeuge und auch die Aufnahmesituation könnten aber kaum unterschiedlicher sein.

Damals hatten wir es mit einem Foto zu tun, auf dem jemand die Atmosphäre eines Sommerabends festgehalten hatte – mit einem Austro-Daimler ADM in der Ausführung als offener Tourenwagen:

Austro-Daimler Typ ADM Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der selbstbewusste Herr im ländlichen Outfit täuscht nicht darüber hinweg, dass wir hier einen veritablen Luxuswagen vor uns haben, von dem nur einige hundert Exemplare in Manufaktur entstanden.

Der Typ ADM war das letzte Modell von Austro-Daimler, das auf eine Konstruktion von Ferdinand Porsche zurückging, der die Firma 1923 wieder verließ.

Motorisiert war der Wagen mit einem kopfgesteuerten 6-Zylinder mit Aluminiumblock, der 45 PS Höchstleistung aus 2,6 Liter Hubraum schöpfte. Das wahre Potential dieses hochkarätigen Aggregats zeigte sich freilich erst in den weit stärkeren Sportversionen.

Für die damaligen Käufer der Serienausführung zählten dagegen die anstrengungslose Kraftentfaltung des elastischen Antriebs und das für damalige Verhältnisse ausgezeichnete Fahrwerk mit den zupackenden Vierradbremsen.

Hier ein zeitgenössischer Bericht aus der Allgemeinen Automobil Zeitung von 1923, frei wiedergegeben nach „Austro Daimler“ von Franz Pinczolits, Weilburg Verlag, 1986:

„Mit der Lautlosigkeit eines Elektromobils setzte sich der Wagen in Bewegung…Je weiter wir aus der Stadt kamen, desto deutlicher ließ er die Vorzüge seiner Federung erkennen, denn die Güte der Fahrbahn nahm immer weiter ab…Reichlicher Regen hatte aus den Straßen einen Superlativ an Miserabilität gemacht… Dennoch ging es im Sturm die steile und enge Straße bergauf, durch Pfützen und über bloßgelegten Schotter. Die leere Straße gestattete ein beherztes Loslegen, die Räder jagten ganze Sturzseen von Pfützwasser in die Hecken…“

Auch wenn der Bericht ganz schön dick aufträgt, verrät er die Begeisterung, die der neue Sechszylindertyp ADM bei den Zeitgenossen weckte. Er lässt auch die Unbekümmertheit erkennen, mit denen ein solches Luxusautomobil über die damals kaum befestigten Pisten gescheucht wurde.

Die Beschreibung dieser Testfahrt über aufgeweichte Landstraßen hinauf auf den Kahlenberg bei Wien ist die ideale Überleitung zu dem Foto, das wir heute präsentieren wollen:

Austro-Daimler Typ ADM Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Obwohl dieser hochwertige Wagen ebenfalls von einer Fahrt durch Pfützen und Schlamm ganz schön eingesaut ist, macht man wie selbstverständlich eine Aufnahme des Prachtstücks und das auch noch mit Blick auf den verdreckten Innenkotflügel.

Dabei machte der Austro-Daimler vom Schmutz abgesehen einen fast neuwertigen Eindruck und befand sich noch nicht bei irgendwelchen Zweit- oder Drittbesitzern mit wenig Sinn für Fahrzeugpflege.

Wir können daraus schließen, dass es für die Eigner dieser Luxuslimousine keinen Makel darstellte, wenn das teure Gefährt so daherkam. Kein Wunder – bei den damaligen Straßen sahen die Autos in der regenreichen Jahreszeit eigentlich ständig so aus.

Versehentlich hatte der Fotograf die Zone der größten Schärfe auf den verdrecktesten Teil des Wagens gelegt. Dennoch erkennen wir auf den übrigen Partien genug, um den Typ genau identifizieren zu können:

Oben auf der Kühlermaske lässt sich das typische verschlungene Markenemblem von Austro-Daimler erkennen. Die Position der runden Reibungsstoßdämpfer spricht ebenso für das Modell ADM wie die Ausführung der Vorderschutzbleche.

Auf den mächtigen Trommeln der Vorderradbremsen zeichnet sich deutlich die der besseren Wärmeabfuhr dienende Verrippung ab. Die Drahtspeichenräder waren wie bei anderen österreichischen Herstellern jener Zeit serienmäßig.

Insgesamt ein Automobil der obersten Klasse, mit dem man in allen Belangen glücklich sein konnte. Dennoch scheint die Dame daneben alles andere als begeistert:

Warum sie wohl so ernst und abwesend schaut? Was sie bedrückt oder beschäftigt hat, werden wir nicht mehr erfahren. Auch gut betuchte Menschen können bekanntlich mit ihrem Schicksal hadern oder Sorgen haben.

Der großgewachsene Mann neben ihr dürfte der Ähnlichkeit nach zu urteilen der Sohn sein. Auch ihn scheint gerade anderes zu beschäftigen, er schaut jedoch in die Ferne.

Leider ist der Abzug umseitig nicht beschriftet, sodass wir weder Näheres zu den abgebildeten Personen noch zu Aufnahmeort oder -anlass wissen. Das Kennzeichen gibt immerhin etwas preis: Dieser Austro-Daimler Typ ADM war einst in Wien zugelassen.

Da es nicht viele von diesen teuren Wagen gegeben hat, lässt sich vielleicht durch Zufall doch mehr darüber in Erfahrung bringen. Am Ende existiert er sogar noch…

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Spitzkühler-Ästhetik in Reinform: Benz 14/30 PS

Die Welt der Vorkriegswagen bietet auch im 21. Jahrhundert ein unerschöpfliches Feld an Betätigungsmöglichkeiten – es macht bloß kaum jemand kaum Gebrauch davon hierzulande.

Während im britischen Vintage Car-Magazin „The Automobile“ fast jeden Monat neue englische oder auch französische Literatur zu obskuren Marken und Persönlichkeiten der automobilen Welt der Vorkriegszeit vorgestellt wird, herrscht im deutschsprachigen Raum diesbezüglich von Ausnahmen abgesehen Sendepause.

Dabei gibt es unaufgearbeitetes Material ohne Ende, wie der Verfasser aus eigener Anschauung weiß. Hunderte historische Aufnahmen bislang nicht identifizierbarer Vorkriegsfahrzeuge schlummern in seinem Fundus.

Wir sprechen hier nicht von reizvollen Fällen wie dem folgenden, wo vom Auto praktisch kaum etwas zu erkennen ist:

unbekannter Tourenwagen, aufgenommen 1927 in Thüringen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch wenn es vom eigentlichen Thema ablenkt – Veteranenfreunde haben doch Zeit, oder? – ist das eine hinreißende Aufnahme, die zu studieren sich lohnt. So gingen unsere Großeltern und Urgroßeltern mit ihren Autos um, wenn sie denn eins besaßen…

Doch selbst bei Aufnahmen, die alle Details des Fahrzeugs erkennen lassen, bleibt oft völlig offen, was da einst abgelichtet wurde.

Das gilt beispielsweise für zahlreiche deutsche Wagen, die nach dem 1. Weltkrieg einen der modischen Spitzkühler nach Vorbild von Benz verpasst bekamen – entweder ab Werk oder als nachträglich montiertes Zubehörteil.

Damit verwandelten sich brave Automobile von Herstellern der zweiten Reihe mit einem Mal in schnittige Gefährte, die vom unbedarften Betrachter gleich eine Kategorie höher eingeschätzt wurden.

Ein typisches Beispiel dafür zeigt folgende Aufnahme:

unbekannter Tourenwagen der frühen 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nein, das ist kein Benz, denn es fehlt die markentypische Plakette auf der Vorderseite des Kühleroberteils – ein Beispiel dafür, wie das aussehen muss, folgt gleich.

Vier kurze Luftschlitze in der Motorhaube sind ansatzweise zu erkennen. Dann wäre da noch das markante Blech zwischen den beiden vorderen Rahmenauslegern, das möglicherweise den Kühler vor Steinschlag schützen sollte.

Hat ein Leser eine Idee, um was für einen Wagen eines wohl deutschen Herstellers aus der ersten Hälfte der 1920er Jahre es sich hier handeln könnte? Dann würden wir dieses formal durchaus überzeugende Fahrzeug gelegentlich eigens vorstellen.

Sucht man nach den Vorbildern für solche Spitzkühler-Tourenwagen einstiger Nischenhersteller, landet man unweigerlich bei der ehrwürdigen Traditionsmarke Benz, die bis zur Fusion mit Daimler 1926 eigenständig war.

Noch 1914 – kurz vor Beginn des 1. Weltkriegs –  hatte man bei Benz wie bei einigen anderen deutschen Herstellern ebenfalls – damit begonnen, seine Modelle mit schnittigen Spitzkühlern auszustatten.

Zwar blieben auf Wunsch weiterhin Flachkühler lieferbar, doch bevorzugten die meisten Kunden die modischen Spitzkühlerversionen, die an den Bug von Schnellbooten erinnerten und die Wagen schon im Stand schnell aussehen ließen.

Ein bislang unveröffentlichtes Foto aus dem Fundus des Verfassers lässt diesen bis Mitte der 1920er Jahre gepflegten Stil in Reinform erkennen:

Benz 14/30 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Sehr wahrscheinlich haben wie hier den Chauffeur des offenbar fast neuen Benz vor uns, der vor dem repräsentativen Portal des herrschaftlichen Hauses abgelichtet wurde, in dem die Besitzer des Wagens residierten.

Derartige Aufnahmen wurden häufig bei Ankunft eines neuen Wagens beim Eigentümer angefertigt und der Fahrer erhielt ebenfalls einen Abzug davon.

Das wissen wir aus Beispielen, wo solche Fotos in den Alben der einstigen Chauffeure überlebt haben. Was aber macht nun diese Aufnahme zum perfekten Beispiel für einen Spitzkühler-Benz?

Dazu werfen wir einen Blick auf folgenden Bildausschnitt:

Bislang ist dem Verfasser noch keine Aufnahme ins Netz gegangen, auf der ein derartig vollkommen gezeichneter Benz-Tourenwagen der frühen 1920er Jahre zu sehen ist.

Die scharfen Konturen des Spitzkühlers werden hier in den wie gemeißelt wirkenden Linien der Motorhaube weitergeführt und spiegeln sich in der gepfeilten Windschutzscheibe wider.

Eine so dynamische, schlüssige und zugleich reizvolle Gestaltung findet man nach dem Abschied vom Spitzkühler in den oft arg sachlichen späten 1920er Jahren kaum.

Übrigens sind hier auch die acht Luftschlitze zu erkennen, die das letzte – im Jahr 1922 gebaute 14/30-Modell von Benz kennzeichneten, dessen rückwärtiger Aufbau freilich moderner ausfiel (vgl. Benz & Cie, Zum 150. Geburtstag von Karl Benz, hrsg. von der Mercedes-Benz AG, 1994, S. 108).

Daher dürfen wir annehmen, dass „unser“ Benz entweder kurz nach dem 1. Weltkrieg  oder möglicherweise noch 1914 entstand und dann später mit elektrischen Scheinwerfern ausgestattet worden war.

Ein noch vollkommeneres Beispiel für eine Spitzkühlerausführung des Benz 14/30-Modells wird man schwerlich finden. Selbst das in der Regel gut bestückte Online-Archiv von Mercedes-Benz liefert kein einziges Beispiel dafür (siehe hier).

Wie eingangs bemerkt: Es gibt genügend Material für die gründliche Aufarbeitung der Geschichte deutscher Vorkriegswagen, selbst im Fall hochkarätiger Marken. Es müsste sich bloß mal einer an den britischen Automobilhistorikern ein Vorbild nehmen…

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Abschied vom Sommer: Audi Typ 225 Cabriolet

Pünktlich zum kalendarischen Herbstanfang am 21. September verabschiedete sich hierzulande der grandiose Sommer des Jahres 2018. Von nun an werden die Nächte wieder länger als die Tage – günstige Voraussetzungen für diesen Oldtimerblog…

Bevor es herbstlich wird – auch auf den hier gezeigten Fotos von Vorkriegsautos – darf sich die Leserschaft an einem letzten Gruß des scheidenden Sommers erfreuen:

Audi Typ 225 Luxus, 2-Fenster-Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Ignorieren wir für einen Moment den Drang, das prächtige Cabriolet zu identifizieren. Ist dies nicht ein traumhaftes Automobil, wie es typisch für die 1930er Jahre war?

Sparen wir uns den Vergleich mit dem, was heutzutage an offenen Wagen produziert wird. Die Ära solcher Manufakturwagen ist lange vorbei und Fotografien wie diese entstanden zuletzt vor 80 Jahren.

Dann kam die Katastrophe des 2. Weltkriegs und danach sollte nichts mehr so sein wie zuvor. Zu dokumentieren, was dabei verlorenging, das ist eine der vielen Motivationen dieses Blogs für Vorkriegsautos auf alten Fotos.

Blenden wir zurück ins Frühjahr 1936: Die zum Auto-Union-Verbund gehörende Marke Audi stellte damals eine technisch wie formal überarbeitete Version ihres seit 1933 gebauten Frontantriebsmodells vor.

Wer Frontantrieb für eine Errungenschaft der Nachkriegszeit hält, hält wohl auch Elektroautos eine Innovation des 21. Jahrhunderts. Fronttriebler bauten damals neben Audi erfolgreich unter anderem Adler, Citroen und DKW.

Die Audi Front-Modelle waren allerdings stückzahlenmäßig ein Misserfolg. Doch sie gehörten zum Elegantesten, was die deutsche Automobilindustrie in den 1930er Jahren zustandebrachte. Nur einige tausend Stück davon entstanden in Manufaktur.

Die am häufigsten gebaute Version war das Vierfenster-Cabriolet, das wir hier vorgestellt haben:

Hier sieht man deutlich die auf der Kühlermaske thronende „1“, ab 1923 das Markenzeichen von Audi – die heute verwendeten vier Ringe waren dagegen das Emblem der Auto-Union, zu der Audi ab den 1930er Jahren gehört.

Die „1“ findet sich ebenso auf dem ersten Foto wieder wie die zwei Reihen Luftschlitze in der Haube, die tropfenförmigen Frontscheinwerfer und die elegant geformten Positionsleuchten auf den Schutzblechen – das sind die Hauptunterschiede des Audi 225 Luxus gegenüber dem Vorgänger:

Im Unterschied zu ersten Aufnahme haben wir hier jedoch das seltenere Zweifenster-Cabriolet des Audi 225 Luxus.

Die genauen Stückzahlen dieses ebenfalls von Gläser/Dresden gefertigten Aufbaus scheinen nicht bekannt zu sein. Mehr als einige hundert werden es nicht gewesen sein.

Das hochelegante Fahrzeug verfügte über einen kultivierten Sechszylindermotor mit 2,3 Liter Hubraum, der ab 1936 für deutsche Verhältnisse beachtliche 55 PS abwarf.

An die 110 km/h Spitzengeschwindigkeit waren damit drin – genug für die Autobahn – allerdings wurden nur seilzugbetriebene Bremsen geboten, damals schon veraltet.

Von höherer Leistung nahm man wohl auch aus Rücksicht auf die noch recht verschleißanfälligen Gelenke des Frontantriebs Abstand. Wer wollte außerdem mit einem derartigen Prachtexemplar auch rasen?

Wer sich so etwas leisten wollte, musste gut betucht sein – 6.675 Reichsmark waren für das 2-fenstrige Cabriolet hinzulegen. Die Positionsleuchten kosteten 22,50 Mark extra.

Die jungen Damen in dem Audi werden sich ihres privilegierten Status bewusst gewesen sein:

Doch dann kam der Zweite Weltkrieg, der am Ende (fast) alle gleich machte. So wissen wir wie so oft nicht, was aus den einst so glücklichen Autobesitzern auf diesen alten Fotos in den stürmischen folgenden Jahren geworden ist.

Von dem prachtvollen Zweifenster-Cabriolet, das wir heute bewundern durften, hat offenbar nur ein einziges Exemplar überlebt

Literatur: Peter Kirchberg/Ralf Hornung: Audi-Automobile 1909-1940, Verlag Delius Klasing, 2015

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Kein Grund zur Begeisterung: DKW „Schwebeklasse“

Freunden der sächsischen Marke DKW wird der heutige Blogeintrag möglicherweise Ungemach bereiten.

Normalerweise machen die kleinen Zweitakter aus Zwickau auf alten Fotos ausgesprochen gute Figur – vor allem in der mondänen Ausführung als „Front Luxus Cabriolet“, die wir hier bereits vorgestellt haben:

DKW F5 Front Luxus Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nie wieder sollte ein Kleinwagen mit bloß 20 PS Leistung solche Eleganz ausstrahlen.

Dabei profitierte DKW allerdings von der Zugehörigkeit zur Auto Union, die auch den Luxushersteller Horch umfasste. Das DKW Front Luxus Cabriolet war nicht nur im Horch-Werk gezeichnet worden, sondern wurde auch dort gebaut. Nicht ohne Grund hieß das Modell im Volksmund „Der kleine Horch“.

Doch einige Jahre zuvor, als DKW noch in Zschopau und Spandau produzierte, leistete man sich einen kapitalen Fehlgriff, der das sonst so erfolgreiche Unternehmen eine Menge Geld kostete.

So ließ man sich von der Anfang der 1930er Jahre grassierenden „Stromlinien“-Mode anstecken, die zeitweilig die Automobilgestaltung dominierte, obwohl damit kaum eine wirtschaftlich relevante Reduzierung des Luftwiderstands einherging.

Speziell in Deutschland entstanden damals monströse Gefährte, die rein formal der Stromlinie huldigten, aber tatsächlich nur eine Modeerscheinung waren. Ein Beispiel dafür war der Maybach-Stromlinienwagen von 1932:

Originales Zigaretten-Sammelbild aus Sammlung Michael Schlenger

Interessanterweise hatte DKW bereits 1933 Prototypen mit Heckmotor und Stromlinienkarosserie erprobt – das Konzept des späteren Volkswagens lag damals in der Luft und war keineswegs ein Plagiat, wie manche Tatra-Freunde gern verbreiten…

Doch verfolgte DKW diesen Ansatz nicht weiter, sondern entschied sich für eine konventionelle Konstruktion mit Frontmotor und Heckantrieb sowie von der Stromlinie „inspirierter“ Formgebung.

Dabei beging man gleich zwei Fehler: Zum einen verbaute man weiterhin den kapriziösen 4-Zylinder-Ladepumpenmotor des Vorgängers „Sonderklasse“, der durch hohen Kraftstoffverbrauch und mangelnde Drehzahlfestigkeit auffiel.

Zum anderen staffierte man das neue als DKW „Schwebeklasse“ beworbene Modell mit einer Karosserie aus, die man sich nicht schönsehen kann, egal wie flott die junge Dame daneben wirkt:

DKW „Schwebeklasse“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch diese Aufnahme, die ab 1948 in der amerikanischen Besatzungszone Württemberg („AW“ auf dem Kennzeichen) entstand, haben wir bereits einmal präsentiert (hier).

Die Ähnlichkeit mit der Karosserie des oben gezeigten Stromlinienwagen von Maybach ist nicht zu übersehen.

Interessanterweise sind der sonst wünschenswert detaillierten Literatur („DKW Automobile 1907-1945“ von Thomas Erdmann, Verlag Delius-Klasing, 2012) keine Hinweise darauf zu entnehmen, wie es zu dieser Monstrosität gekommen ist.

Vermutlich will nachträglich niemand die Verantwortung dafür übernommen haben und eigenständige Autodesigner gab es in der Vorkriegszeit von Ausnahmetalenten wie Flaminio Bertoni abgesehen ohnehin noch nicht.

Machen wir es kurz: Die DKW Schwebeklasse wurde ein kolossaler Flop, der das Unternehmen enorme Summen für Garantiearbeiten und ständige Nachbesserungen (die die technischen Probleme lange Zeit nicht lösten) kostete.

Nach rund 7.000 Exemplaren war 1937 Schluss. Warum man so lange versuchte hatte, diese automobile Fehlgeburt am Leben zu halten, ist schwer zu begreifen.

Parallel setzte DKW nämlich die annähernd zehnfache Stückzahl des adretten und unproblematischen Frontantriebstyps F4 ab, den wir hier sehen:

DKW F4 Cabrio-Limousine aus Berlin; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Doch so wie es auf der Chefetage bei DKW Leute gegeben haben muss, die von den Qualitäten des Vierzylinder-Wagens mit der „modernen“ Karosserie überzeugt waren, scheint es auch Kunden gegeben haben, die das ebenso sahen.

Ob der einfache Wehrmachts-Soldat auf der folgenden Aufnahme wegen des DKW so begeistert war oder sich nur über ein paar Tage Heimaturlaub freute, wissen wir nicht:

DKW Schwebeklasse; Originalfoto aus Sammlung von Michael Schlenger

Der Wagen gibt aus dieser Perspektive wahrlich keinen Anlass zur Begeisterung.

Die Frontpartie schwankt unentschieden zwischen klassischer Trennung von Motorraum und Kotflügeln sowie Verschmelzung von Haube und Radhäusern, wie das bei modernen Pontonkarosserien Standard werden sollte.

Übrigens lässt sich der Wagen anhand der spitz zulaufenden unteren Frontscheibenecken als Vertreter der letzten Serie identifizieren, die 1936/37 gebaut wurde. Der Fairness halber sei angemerkt, dass man zu diesem späten Zeitpunkt die Motorprobleme in den Griff bekommen hatte.

Doch längst war die Automobilmode über diesen Stil hinwegegangen. Dennoch ist dieses Foto interessant. So ist es auf der Rückseite auf März 1940 datiert. Zu diesem Zeitpunkt war der 2. Weltkrieg längst im Gange.

Polen war besiegt und besetzt worden. Frankreich hatte Deutschland daraufhin zwar formal den Krieg erklärt, unternahm aber nichts, um den Aggressor zu bändigen.

So konnte man im Frühjahr 1940, als das Foto entstand, den trügerischen Eindruck relativer Ruhe im Westen gewinnen. Vielleicht war unser Heeressoldat deshalb so gut gelaunt, da die Sache für ihn bisher glimpflich ausgegangen war.

Wie aber passt ein DKW mit Kölner Zulassung ohne die seit Kriegsbeginn vorgeschriebenen Tarnscheinwerfer zu der Situation, noch dazu mit Birken am Wegesrand, die nicht gerade typisch für das Rheinland sind?

Könnte die Aufnahme irgendwo im Osten des Reichs entstanden sein, wohin gegnerische Flugzeuge nicht gelangen konnten, weshalb dort auf die Tarnbeleuchtung verzichtet werden konnte?

Aber was hatte der DKW aus Köln dort verloren? Weder verfügt er über den vorgeschriebenen Winkel auf dem Nummernschild, der weiterhin zivil bewegte Fahrzeuge kennzeichnete, noch besitzt er eine Kennung der Wehrmacht.

Während speziell hinter der Front etliche der zuverlässigen und anspruchslosen Frontantriebswagen von DKW unterwegs waren, scheint die anfällige Schwebeklasse nicht ins „Beuteschema“ des Militärs gehört zu haben.

Vielleicht war es schlicht so, dass jemand den Wagen nach Kriegsbeginn stillgelegt hatte und dieser nur als dekoratives Beiwerk auf das Foto gelangte.

Hat ein Leser vielleicht eine überzeugendere Erklärung für die Situation? Dann wäre das Foto am Ende ja doch ein Grund zur Begeisterung…

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Perfekt zu Anzug oder Badehose: Horch 10/50 PS-Modell

Die Marke Horch aus dem sächsischen Zwickau weckt Assoziationen an eine automobile Opulenz, wie sie es auf deutschem Boden nach 1945 nie wieder geben sollte.

Selbst auf einer alten Postkarte aus der Goethestadt Weimar sticht der Horch rechts unten sofort als Vertreter der absoluten Luxusklasse hervor:

Horch 850 oder 853 Cabrio, Ausschnitt aus einer Ansichtskarte aus Sammlung Michael Schlenger

Dass in unserem heute von Funktionalität besessenen Land einst solche sinnlichen Kreaturen aus Blech entstanden, macht die Beschäftigung mit Vorkriegsautos noch faszinierender, als sie es ohnehin ist.

Natürlich werden wir uns noch mit diesem Typ 850 oder 853 aus dem Hause Horch anhand historischer Originalfotos befassen – der Fundus des Verfassers gibt genug her.

Doch heute widmen wir etwas Zeit einem auf den ersten Blick banaleren Horch-Modell aus der Ära vor den legendären Achtzylindern. Die Rede ist vom Typ 10/50 PS, der von 1922-26 gebaut wurde.

Wir haben schon einige Aufnahmen dieses Vierzylindermodells gezeigt, dessen Ventiltrieb mit obenliegender Nockenwelle und Königswelle damals einsame Spitze war – und noch heute durch seine Laufruhe beeindruckt.

Eines der wenigen überlebenden Fahrzeuge dieses Typs war übrigens 2018 bei den Classic Days auf Schloss Dyck zu bewundern (Bildbericht), was einmal mehr den Rang dieser Veranstaltung unterstreicht.

Auf Vorkriegsfotos begegnet man dem mit 4,50 Meter Länge nicht gerade kompakten Horch 10/50 PS meistens in Situationen wie dieser:

Horch 10/50 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Näheres zur Identifikation dieses Wagens ist hier nachzulesen. Festgehalten sei an dieser Stelle nur, dass bereits der Vierzylinder-Horch des Typs 10/50 PS von der „besseren Gesellschaft“ gefahren wurde, die nicht ohne Schlips und Hut vor die Tür ging.

Die zeitgenössische Werbung von Horch betonte genau diesen Aspekt, ohne den Leser  mit schnöden technischen Details zu belästigen, wie das die meisten anderen deutschen Hersteller taten. Hier haben wir die passende Originalreklame dazu:

Horch-Werbeanzeige für das 10/50 PS-Modell; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Für Hinweise, welcher Grafiker sich hinter dem geschwungenen Schriftzug rechts unten verbirgt, wäre der Verfasser übrigens dankbar. Auch in diesem Sektor gibt es noch entschieden zu viele Unbekannte.

Nach dieser umständlichen, aber notwendigen Herleitung kommen wir nun zu der eigentlichen Aufnahme, die wir heute erstmals präsentieren wollen.

Eines vorab: Allzuviel vom Horch 10/50 PS gibt es darauf nicht zu sehen, dafür zwei junge Herren im zeitgenössischen Badedress – wer sich dadurch belästigt fühlt, beschäftigt sich vielleicht besser mit politisch korrekten Elektroautos, die sich preislich aber zwangsläufig ebenfalls in der Luxusklasse bewegen…

Hier nun das Foto, das beweist, dass man auch in der Badehose gute Figur in bzw. auf einem Horch 10/50 PS abgab:

Horch 10/50 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Entstanden ist diese kuriose Aufnahme im Jahr 1930 wohl an der Ostsee. Das Kennzeichen des Horch – man erkennt hier sehr gut das gekrönte „H“ auf dem Kühlergehäuse –  verweist auf eine Zulassung im Raum Kiel.

Wo genau das Foto entstand, lässt sich nicht mehr in Erfahrung bringen. Gern wüsste man auch, wer die Aufnahme gemacht hat – wir heutigen Betrachter nehmen ja genau die Perspektive dieser Person ein.

Eines wissen wir dank dieses Dokuments aber genau: Mit einem Horch 10/50 PS gab man einst immer eine gute Figur ab, ob im Anzug oder Badedress… 

Nachtrag: Leser Klaas Dierks verdanken wir den Hinweis, dass die beiden Herren wahrscheinlich ein Ruderer-Outfit tragen.

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Elegantes Intermezzo: Adler „Favorit“ Weinsberg

Zu den bedeutenden deutschen Automarken, die aus kaum verständlichen Gründen immer noch einer zeitgemäßen Aufarbeitung der Typengeschichte harren, gehört Adler aus Frankfurt am Main.

Sicher, es gibt das Standardwerk von Werner Oswald „Adler Automobile 1900-1945“, doch diese Darstellung ist bald vierzig Jahre alt und ist speziell für die Zeit vor 1925 ziemlich lückenhaft, was das Bildmaterial angeht.

Selbst die Adler-Galerie dieses Blogs, der gerade einmal seit 2015 besteht, enthält wesentlich mehr Originalfotos ganz früher Adler-Wagen (und im Fundus des Verfassers schlummert noch einmal mindestens die gleiche Zahl).

Einigermaßen vollständig und zuverlässig ist das Oswaldsche Opus hingegen, was die ab 1925 gebauten Typen angeht – Lücken fallen freilich auch dort ins Auge.

Immerhin zeichnet das Werk die Geschichte des Wagentyps gut nach, um den es heute (wieder einmal) geht. Die Rede ist vom Vierzylindermodell „Favorit“ 8/35 PS, der ab 1928 parallel zum Standard 6 und dem noch größeren Standard 8 angeboten wurde.

Allgemein lassen sich zwei Entwicklungsstufen dieses Typs unterscheiden – hier der erste, dem wir bereits ein ausführliches Porträt gewidmet haben:

Adler „Favorit“, Bauzeit: 1928-30; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Erkennen lässt sich die erste Generation des Adler „Favorit“ an folgenden Details:

  • fünf Radbolzen (Standard 6 und Standard 8 besaßen sieben davon),
  • zweiteilige Vorderschutzbleche mit starker umlaufender Profilierung,
  • zwei Reihen horizontaler Luftschlitze,
  • Kühlermaske mit in das Kühlernetz hineinragendem Adler-Emblem.

Zum Einprägen nachfolgend die genannten Details in der Ausschnittsvergrößerung:

Übrigens wurde diese Ganzstahlkarosserie nach amerikanischem Vorbild vom Presswerk Ambi-Budd in Berlin bezogen und entsprach weitestgehend der des Adler Standard 6 (Radstand und Reifengröße unterschieden sich allerdings).

Auch bei der zweiten Modellgeneration des Adler „Favorit“ lieferte Ambi-Budd die behutsam modernisierten Karosserien.

Zur Illustration dieser Generation des Adler „Favorit“ zeigen wir eine bisher unveröffentlichte Aufnahme aus der Nachkriegszeit:

Da hatte doch tatsächlich ein Adler „Favorit“ in der Ostzone überlebt – von den Kommunisten zynisch als Deutsche Demokratische Republik (DDR) tituliert.

Der Herr neben dem gut erhaltenen Adler war vermutlich nicht der Besitzer, wusste aber offenbar zu schätzen, was im Zentrum einer unbekannten ostdeutschen Stadt parkte.

Im Hintergrund sehen wir einen Lebensmittelladen der staatlichen Handelsorganisation („HO“) und ein Geschäft für Güter des täglichen Bedarfs, das von einer Konsumgenossenschaft betrieben wurde, daher die Bezeichnung „Konsum“.

An dem stattlichen Adler, der in fast jeder Hinsicht alles übertraf, was die sozialistische Mangelwirtschaft an fahrbaren Untersätzen zustandebrachte, lässt sich das Erscheinungsbild der zweiten Generation des „Favorit“ studieren:

Folgende Elemente zeichnen diese ab 1931 montierten Aufbauten aus:

  • Einteilige Vorderschutzbleche ohne Profilierung, vorne gerundet
  • eine durchgehende Reihe senkrechter Luftschlitze in der Motorhaube
  • in das Oberteil der Kühlermaske intgeriertes Adler-Emblem

Nach wie vor besaß der Adler „Favorit“ fünf Radbolzen, doch damit unterschied er sich nun nicht mehr vom Standard 6. Der war fast nur noch an der von einer Raute eingeschlossenen „6“ vor dem Kühler zu erkennen.

An dieser Stelle würde eines der gedruckten „Oldtimer“-Magazine wohl abbrechen  man braucht schließlich noch Platz für die vierseitige Besprechung des VW Golf III von 1991-1997, der garantiert ein Klassiker der Zukunft wird (Ironie aus).

Dieses Beispiel stammt übrigens aus der „Oldtimer-Praxis“, Ausgabe 10-2018, in der kein einziges Vorkriegsauto besprochen wird (der Mercedes 170 von 1950 zählt nicht). Wenigstens widmet man sich am Schluss dem famosen Motor des Ford Model T…

Zurück zum Adler „Favorit“, mit dem wir noch lange nicht fertig sind, denn natürlich gab es in der Vorkriegszeit stets mehr als nur die Standardtypen von Serienwagen, auch bei Adler. Einige Spezialversionen wollen da noch vorgestellt werden.

So gab es beim grundsoliden Adler „Favorit“ Abweichungen von der Norm, die für den Vorkriegsenthusiasten das Salz in der Suppe sind. Nehmen wir dieses Cabriolet etwa:

Adler „Favorit“ Cabriolet, Baujahr: 1930/31; Originalfoto aus Archiv Thomas Ulrich

Diese reizvolle Aufnahme verdanken wir Thomas Ulrich, der sich unter anderem auf Vorkriegsfahrzeuge aus seiner Heimatstadt Berlin spezialisiert hat und zu den rührigen Mitgliedern der deutschen Automobilhistorischen Gesellschaft (AHG) gehört.

Als Erstes fällt an dem Adler auf, dass ihm die Erdenschwere der Limousine fehlt – das liegt nicht nur an dem luftigen Aufbau als zweitüriges Cabriolet, sondern auch am raffinierten Schwung des Karosserieabschlusses oberhalb des Schwellers.

Die Vemeidung der öden Geraden ist es häufig, die Vorkriegsautos davor bewahrt, so sachlich daherzukommen wie ein beliebiges Industrieprodukt. Was fällt außerdem noch auf an diesem eleganten Adler? Schauen wir näher hin:

Hier gibt es Bemerkenswertes festzuhalten:

  • Die zweiteiligen, profilierten Vorderschutzbleche entsprechen noch der ersten Modellgeneration,
  • Anordnung und Ausführung der Haubenschlitze verweisen auf die zweite Generation
  • Das Adler-Emblem auf der Kühlermaske ist nach oben gewandert, doch scheint der obere Abschluss des Kühlerausschnitts noch gewölbt zu sein.

Dieses Nebeneinander von Elementen der ersten und der zweiten Generation des Adler „Favorit“ findet sich ähnlich in Werner Oswalds Adler-Standardwerk auf S. 53.

Dort ist das Foto einer Limousine abgebildet, deren Karosserie genau in der Übergangszeit zwischen den beiden Generationen des Adler „Favorit“ angesiedelt ist. Geliefert wurde sie vom Karosseriewerk Weinsberg aus der Region Heilbronn.

Altmeister Werner Oswald liefert uns noch eine Information dazu, und zwar in seinem weiteren Standardwerk „Deutsche Autos 1920-45“.

Dort heißt es, dass die Karosseriewerke Weinsberg 1930/31 rund 100 solcher Zwitter-Aufbauten für den Adler Favorit gefertigt hätten. Allerdings spricht er nur von Limousinen.

Nun stellt sich die Frage: Bauten die Karosseriewerke Weinsberg im Zuge dieses Intermezzos auch offene Versionen wie auf dem Foto von Thomas Ulrich? Denkbar ist natürlich alles, zumal die Firma Weinsberg in Manufaktur arbeitete.

Wie so oft ist es bedauerlich, dass wir nur die alten Aufnahmen als Zeugen solcher Spezialaufbauten haben, die einstigen Besitzer uns aber nichts mehr dazu sagen können:

Die beiden Insassen, die uns hier über einen Abstand von über 85 Jahren selbstzufrieden anschauen, hätten wohl einiges zu den Besonderheiten ihres Adler-Cabriolet zu berichten gewusst.

Leider ist von dem Wagen wie von seinen Besitzern wohl nichts geblieben als dieser alte Abzug aus den frühen 1930er Jahren. Oder kann jemand doch noch etwas mehr zu diesem raren Adler-Cabriolet aus mutmaßlicher Weinsberg-Produktion sagen?

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Charmantes Modell mit 15 PS: Wanderer W8 von 1923

Am reizvollsten Ansicht ist bei Vorkriegsautomobilen in der Regel die Ansicht von vorne – idealerweise aus spitzem Winkel, der auch den Verlauf der Seitenpartie erkennen lässt.

Das erscheint banal, doch wenn man Prospektabbildungen früher Automobile betrachtet, wird klar, dass diese Sichtweise alles andere als selbstverständlich ist.

In den meisten Fällen wurden Wagen der Zeit vor dem 1.Weltkrieg in Reklamen und Prospekten nämlich von der Seite gezeigt.

Das erschwert in vielen Fällen die Identifikation früher Automobile, obwohl die überlieferten Abbildungen dessen ungeachtet von allergrößtem Reiz sein können wie im Fall folgender NSU-Werbeanzeige von etwa 1914:

NSU-Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir ein frühes Beispiel dafür, wie man das beworbene Fahrzeug in einen Kontext stellt, der es attraktiv erscheinen lässt, obwohl es selbst gar nicht im Mittelpunkt steht.

Wir erfreuen uns heute natürlich an solchen Kabinettstückchen unserer Vorfahren, doch bleibt das Problem, dass auf solchen Dokumenten von den Fahrzeugen jener Zeit oft kaum genug zu erkennen ist, um zur Identifikation von Autos auf historischen Fotos etwas beizutragen.

Umso willkommener sind originale Fotografien, auf denen die Wagen aus der erwähnten Idealperspektive zu sehen sind wie dieses hier:

Wanderer Typ W8 5/15 PS; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Diese zauberhafte Aufnahme verdanken wir Leser Marcus Bengsch, der uns immer wieder an Fotografien aus seiner Sammlung teilhaben lässt – weiteres reizvolles Material wird hier in den nächsten Monaten nach und nach veröffentlicht.

Das Foto ist ganz ähnlich wie die NSU-Reklame ein Beispiel dafür, dass es nicht immer das Auto als solches ist, das uns die Szene reizvoll erscheinen lässt. Seien wir ehrlich: Wer kann sich dem leicht koketten Blick der jungen Dame am Lenkrad entziehen?

Sie ist es, die unseren Blick nach 95 Jahren noch magisch anzieht, erst dann ist das Auto an der Reihe, das im Jahr 1923 von Wanderer auf den Markt gebracht wurde.

Die Identifikation der Marke fällt aus dieser Perspektive nicht schwer. Etwas anspruchsvoller ist jedoch die Ansprache des genauen Typs.

Die Kühlerpartie entspricht noch weitgehend derjenigen des Erstlings von Wanderer – des 1913 vorgestellten Typs W3 5/12 PS, auch als „Puppchen“ bekannt.

Dieser leichte, für seine Zuverlässigkeit hochgeschätzte Kleinwagen wurde nach dem 1. Weltkrieg – in dem er als Kurier- und Aufklärungsfahrzeug zum Einsatz kam – im Detail überarbeitet.

Der Motor erhielt strömungsgünstig im Zylinderkopf hängende Ventile, die Karosserie wurde geräumiger gestaltet und der Käufer erhielt die Option auf einen elektrischen Anlasser anstatt der Kurbel zum Anwerfen des Motors.

Formal unterschied sich der neue Wanderer des Typs W8 5/15 PS unter anderem durch die vorn abgerundetene Schutzbleche, die nun seitlich mit dem Rahmen verbunden waren. Damit verlor der Wagen endgültig die Anmutung eines Cycleacrs.

Auch wenn Seitenansichten erklärtermaßen nicht unsere Favoriten sind, wollen wir dem Betrachter nicht die gestalterischen Elemente der Seitenpartie vorenthalten, die auf der obigen Aufnahme nur ansatzweise zu erkennen sind

Gemeint sind der vorn auf dem Trittbrett montierte Batterie- oder Werkzeugkasten und die weit hinten angebrachte, vorn angeschlagene Tür, die auf folgender Aufnahme erkennbar ist:

Wanderer W8 5/15 PS; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses Foto lässt ahnen, als wie spektakulär ein Automobil im Deutschland der frühen 1920er Jahre wahrgenommen wurde. Wir haben es vor längerer Zeit bereits besprochen – nun erfüllt es abermals seinen Zweck.

Die Kühlerpartie ist noch knapp zu erkennen – ganz klar ein Wanderer wie auf dem vorigen Foto. Die Seitenpartie zeigt ebenfalls alle dort erkennbaren typischen Elemente, außerdem die kastenartige Verkleidung der Rahmenpartie, den Schweller.

Interessant ist die nach vorne umgelegte Frontscheibe, die wie die gesamte Situation auf einen gerade absolvierten Sporteinsatz des kleinen Wanderers hindeutet.  Übrigens sind Ideen willkommen, was die Funktion des Sacks am unteren Ende des Frontscheibenrahmens angeht.

Auch wenn die hier mit einem Wanderer W8 5/15 PS abgebildeten Herrschaften dem Charme der ersten Aufnahme des Typs wenig entgegenzusetzen, handelt es sich um ein reizvolles Zeugnis.

Tatsächlich wurde der leichte und zuverlässige Wanderer W8 gern zu Wettbewerbszecken in der 5 PS-Klasse eingesetzt. Wanderer unterstützte diese Aktivitäten durch Angebot eines Werkssportmodells.

Selbst an der legendären Targa Florio nahmen Wanderer-Rennversionen teil.

Doch das Foto von Marcus Bengsch belegt, dass das 5/15 PS-Modell seinen Charme wie so oft aus den Menschen bezieht, die damit einst abgelichtet wurden…

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Vor 85 Jahren: Hamburger Deern im Hanomag 3/18 PS

Mancher Leser dieses Blogs für Vorkriegswagen auf alten Fotos fiebert vielleicht dem nächsten Eintrag entgegen in der Hoffnung auf „neue“ Sensationen.

Wer auf obskure Marken oder ungewöhnliche Karosserien aus ist, muss sich aber meist bis zum „Fund des Monats“ gedulden. In der Zwischenzeit befassen wir uns mit Alltagswagen, die im deutschsprachigen Raum der Vorkriegszeit unterwegs waren.

Fotos solcher Brot-und-Butter-Gefährte besitzen jedoch oft ihren eigenen Reiz – das hat viel damit zu tun, wie sich ihre einstigen Besitzer damit präsentierten.

Richtig in Szene gesetzt kann ein banaler Kleinwagen zum Luxusvehikel mutieren:

Hanomag 3/18 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Macht diese Cabriolimousine nicht mächtig Eindruck? Vor lauter blitzendem Chrom in der spätnachmittaglichen Sonne ist man fast geblendet.

Dass es abgesehen vom Kühlergrill tatsächlich doch eher sparsam zuging, verrät erst der zweite Blick auf die schwarz lackierte Hupe auf der Mittelstange zwischen den ebenfalls nur lackierten Frontscheinwerfern.

Der leicht schräg gestellte vollverchromte Grill ist letztlich der einzige Luxus, den dieses ab 1931 gebaute Auto in formaler Hinsicht zu bieten hatte.

Das Flügelemblem verrät, dass es sich um ein Produkt des Maschinenbaukonzerns Hanomag handelt, der Autos eher nebenher baute, das aber grundsolide.

Hinter dem opulenten Kühler verbarg sich in der Regel ein 1,1 Liter „großer“ Vierzylinder konventionellster Bauart – also mit seitlich stehenden Ventilen, die direkt von der untenliegenden Nockenwelle betätigt wurden.

Gerade einmal 23 PS warf dieses Hanomag-Modell ab, doch es ging noch sparsamer. Das sieht man dem Wagen auf dem obigen Foto freilich nicht an. Vielmehr macht er dank der beiden flotten Damen auf dem Rücksitz ausgesprochen gute Figur:

Der Fahrer gibt sich eher bedeckt und mag denken: „Mädels, nun tut mal nicht so, als wärt Ihr Ufa-Stars, sieht doch jeder, dass Ihr bloß in einem Hanomag unterwegs seid“.

Die beiden Damen konnten es zum Aufnahmezeitpunkt – im September 1933 – nicht wissen – hatten aber intuitiv recht: Selbst mit einem Kleinwagen von Hanomag hatte man das Zeug zum Filmstar. So sollte 1939 die blutjunge Hannelore Schroth mit einem Hanomag Roadster in Spiel im Sommerwind“ Furore machen.

Das ist aber eine andere Geschichte. Wir bleiben im September des Schicksalsjahrs 1933, dessen fatale Bedeutung den meisten Deutschen erst später aufging.

Noch ging es bei den Besitzern des Hanomag unbeschwert zu, wie auch die zweite Aufnahme desselben Wagens zeigt:

Hanomag 3/18 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlengger

Hier haben wir das Auto aus günstigerer Perspektive, die uns den entscheidenden Hinweis auf die tatsächliche Motorisierung des Wagens gibt – doch der Reihe nach.

Festzuhalten ist zunächst, dass der Hanomag in Hamburg zugelassen war (manche historische Gegebenheiten ändern sich nicht – und das ist gut so). Offenbar war der Wagen zusammen mit einem weiteren Auto auf einer sandigen Piste unterwegs.

Man darf vermuten, dass diese Aufnahme in einem mondänen Badeort entstand, die großzügige Architektur des Hauses im Hintergrund würde dazu passen. Erkennt jemand den Aufnahmeort?

So reizvoll auch die Situation und das Erscheinungsbild der Insassen sind, interessiert uns vor allem ein Detail an dem Auto:

Hier sieht man deutlich, wie die Vorderkante der leicht geöffneten Tür schräg nach vorn geneigt ist und auf den senkrechten hinteren Abschluss der Motorhaube zuläuft.

Wenn nicht alles täuscht, findet sich dieses Detail nur an der Sparversion 3/18 PS von Hanomag mit 900 ccm kleinem Motor – an die 80 km/h Spitze waren damit möglich.

Wie beim stärkeren 4/23 PS-Modell, das zwar 20 % teurer, aber kaum schneller war, bekam der Käufer immerhin hydraulische Bremsen. Das Fahrwerk blieb mit Starrachsen vorn und hinten traditionell.

Hauptvorteil gegenüber den günstigeren DKW-Fronttrieblern war das größere Platzangebot und die solidere Karosserie. An den Verkaufserfolg von DKW kam Hanomag jedoch nicht annähernd heran, die Wagen waren wohl zu teuer.

So blieb ein Hanomag selbst in der Basisausführung 3/18 PS ein exklusives Vergnügen, mit dem sich die Besitzer selbstbewusst in der Öffentlichkeit zeigten. Hier eine weitere Aufnahme dieses Typs, die das erwähnte Karosseriedetail erkennen lässt:

Hanomag 3/18 PS; Originalfoto aus  Sammlung Michael Schlenger

Auch dieser Wagen, den wir vor längerer Zeit bereits gezeigt haben, verfügt über den in Deutschland einst so beliebten Aufbau als Cabrio-Limousine – hier jedoch mit geschlossenem Verdeck.

Ganz offene Varianten dieses Hanomag-Modells gab es ab Werk nicht, doch taucht vielleicht einmal eine Spezialkarosserie auf. In Verbindung mit dem luxuriösen Chromkühler könnte das eine spannende Verbindunug ergeben haben…

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Alte Erinnerungen aufgefrischt: Stoewer Typ D3

Wer diesen Blog für Vorkriegsautos auf alten Fotos schon länger verfolgt, wird dem Wagentyp öfters begegnet sein, an den wir heute mit gleich zwei Fotos erinnern.

Rund 2.000 Stück wurden einst davon gebaut und immerhin zehn davon haben wir hier inzwischen dokumentiert (die heutigen Aufnahmen eingeschlossen).

Zugleich erinnern wir daran, dass einst auch weit im deutschen Osten Automobile entstanden, die international hochangesehen waren. Das gilt nicht nur für Komnick aus Elbing in Ostpreussen, sondern besonders für die Wagen von Stoewer aus Stettin.

Kein anderer deutscher Autohersteller blieb so lange – über eine Spanne von 35 Jahren, von 1899 bis 1934 – unter maßgeblichem Einfluss seiner Gründer. Vor allem nach dem 1. Weltkrieg zeichneten sich Stoewer-Wagen durch eigenständige Linienführung aus.

Auf dem ersten Foto, das wir heute zeigen, ist dies nur bedingt nachzuvollziehen, doch erkennen wir genug darauf, um den Typ zu identifizieren, von dem wir dann eine ganz ähnliche, aber detailreichere Aufnahme sehen werden:

Stoewer Typ D3; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Diese Aufnahme hat einmal mehr Leser Klaas Dierks beigesteuert, dem an dieser Stelle herzlich für die inzwischen zahlreichen Beiträge aus seiner Sammlung von Vintage-Fotos gedankt sei. In seinem Fundus schlummert noch einiges, soviel sei angemerkt…

Das im Raum Lüneburg zugelassene Auto hatte zum Aufnahmezeitpunkt schon einige Jahre harten Einsatzes hinter sich.

Doch trug der Wagen diese „Kampfspuren“ mit Würde, auch die Insassen scheinen sich des mitgenommenen Zustands ihres fahrbaren Untersatzes nicht zu schämen. So sah nun einmal ein Automobil im Alltagseinsatz vor über 90 Jahren aus – vielleicht macht das den einen oder anderen Vertreter der „Besser als neu“-Mentalität nachdenklich.

Was gibt uns auf der Aufnahme Hinweise auf die Identifikation von Marke und Typ?

Zu nennen wäre vor allem der Spitzkühler mit – wie es scheint – ovalem Ausschnitt und obenliegendem Markenemblem. Markant ist auch die recht kurze und hohe Haubenpartie mit den auffallend weit unten angebrachten Luftschlitzen.

Festzuhalten ist zudem die nach Art einer Blüte sich nach oben hin weitende „Tulpenkarosserie“, wie sie bei deutschen Wagen typisch für die Zeit vor und kurz nach dem 1. Weltkrieg typisch war.

Der Betrachter präge sich außerdem die seitliche Belüftungsklappe und die Gestaltung des Rahmens der nach vorn ausstellbaren Frontscheibe sowie Form und Position des Werkzeugkastens auf dem arg lädierten Trittbrett ein.

Alle diese Elemente sehen wir gleich wieder – doch nun zusammen mit weiteren Details, die eine eindeutige Ansprache des Wagens erlauben:

Stoewer Typ D3; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir denselben Wagentyp aus ähnlicher Perspektive abgelichtet.

Nun sehen wir aber die Kühlermmaske in voller Pracht, die eindeutig auf Stoewer verweist (bei NAG z.B. wäre der Kühlerausschnitt komplett oval gewesen). Das Kennzeichen ist hier weiter unten angebracht und verweist auf eine Zulassung im württembergischen Esslingen.

Sicher ein nachgerüstetes Zubehörteil ist die einteilige Stoßstange, die hier ihrem Namen noch alle Ehre macht – an heutigen Autos (er)kennt man so etwas nicht mehr.

Alle übrigen Details stimmen vollkommen mit dem Wagen auf dem ersten Foto überein – abgesehen vom zusätzlichen Kasten auf dem Trittbrett.

Hier zum Genießen nochmals die unverwechselbare Frontpartie des Stoewer Typ D3:

Eindrucksvoll ist nicht nur die geschmackvoll gestaltete Kühlerpartie, die an Wagen des französischen Luxusherstellers Voisin erinnert. Faszinierend ist auch die spannungsreiche Gestaltung des Übergangs von der Motorhaube zum Türansatz.

Das alles wirkt nicht wie aus einer seelenlosen Stanze gefallen, sondern ist reines Handwerk – hier wurde noch jeder Falz und jede Wölbung von Könnerhand aus dem Blech getrieben.

Bei soviel gestalterischer Vollendung der Frontpartie soll nicht unerwähnt bleiben, was sich unter der Motorhaube verbarg: Ein robuster 2,1 Liter-Vierzylinder mit 24 PS, der bei guter Pflege jahraus, jahrein klaglos seinen Dienst verrichtete.

Und doch landeten von den rund 2.000 gebauten Stoewer-Wagen des Typs D3 die allermeisten am Ende auf dem Schrottplatz. Wenn man einmal vor einem der raren Überlebenden gestanden hat, ist das schwer vorstellbar.

Betrachtet man diese alten Fotos, wird jedoch klar, dass die bereits vom Alltagseinsatz gezeichneten Qualitätswagen bald zum alten Eisen gehörten. Zehn Stück davon leben aber in der Stoewer-Fotogalerie weiter – und es werden weitere dazukommen.

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1910/11: Opel nimmt Abschied von der Motorkutsche

Das Jahr 1910 markiert eine wichtige Zäsur in der gestalterischen Entwicklung des Automobils – vor allem im deutschsprachigen Raum.

Inspiriert von Entwicklungen im Rennsport ab etwa 1908 verbauten die meisten Hersteller auf einmal auch bei Serienwagen ein Karosserieelement, das den Luftwiderstand senken bzw. Verwirbelungen für die Insassen reduzieren sollte.

Die Rede ist vom sogenannten Windlauf – einst auch Torpedo genannt – der einen strömungsgünstigen Übergang von der Motorhaube zum Fahrerraum schafft.

Sehr gut zu erkennen ist dieses haubenartige Bauteil auf der folgenden Originalreklame von Opel von ca. 1908/09:

Opel-Reklame aus Sammlung Michael Schlenger

Diese grafisch äußerst reizvolle Darstellung macht trotz gestalterischer Freiheiten die Funktion des Windlaufs augenfällig: Bei Sportwagen, die keine Frontscheibe besaßen, war der Fahrer damit besser vor Wind und Staub geschützt.

Gleichzeitig konnte die Luft besser über den Fahrerraum strömen, was höhere Geschwindigkeiten ermöglichte. Auch die minimalistischen Schutzbleche und die kleinen Positionslichter dienten der Verringerung des Luftwiderstands.

Was sich im Sporteinsatz bewährt hatte, hielt schon vor über 100 Jahren rasch Einzug in der Serienfabrikation. So dienten vor dem Ersten Weltkrieg die unzähligen Rennen und Langstreckenfahrten vor allem dem Nachweis, dass die noch junge Motorkutsche für Alltag und individuelle Fernreisen hervorragend geeignet war.

Wer sich damals eines der enorm teuren Manufakturautos leisten konnte, erwartete zurecht, dass ihm ausgereifte Technik bereitgestellt wurde, sonst hätte er weiterhin die Eisenbahn vorgezogen, die einst den letzten Winkel des Deutschen Reichs erschloss.

Interessant ist zu sehen, wie das neuartige Element des Windlaufs zunächst noch mit überkommenen Bauformen kombiniert wurde. Folgende Aufnahme macht deutlich, dass die formale Tradition des Kutschbaus 1910 noch nicht ganz überwunden war:

Opel Doppel-Phaeton von 1910/11; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wer übrigens meint, die Qualität des Fotos beanstanden zu müssen, sollte erst einmal den unretuschierten Originalabzug sehen…

Die zeitraubenden Korrekturen waren den Aufwand wert. So ist hier der Moment festgehalten, in dem bei Opel ein letztes Mal die formale Tradition des Kutschbaus dominiert, doch schon in Kombination mit dem modernen Element des Windlaufs.

Außerdem werden wir sehen, dass wir es hier mit einem ganz großen Modell des einst hochangesehenen Rüsselsheimer Herstellers zu tun haben.

Was aber verrät uns, dass wir überhaupt einem Opel vor uns haben? Dazu werfen wir einen näheren Blick auf die Frontpartie des eindrucksvollen Wagens:

Für einen Opel aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg sprechen neben der Form des Kühlergehäuses vor allem die schräggstellten Luftschlitze in der Haube. Sieben davon sind zu erkennen, vermutlich sind hinter dem Kotflügel weitere verborgen.

Deutlich sieht man hier, wie der nach oben weisende Windlauf am hinteren Ende der Motorhaube nachträglich aufgesetzt ist. Das spricht für eine Entstehung dieses Opel im Jahr 1910 bzw. spätestens 1911, als das Element noch neu war.

Länge und Höhe der Motorhaube verweisen auf einen der Opels mit Hubräumen von gut vier bis über sieben Liter – alles Vierzylinder wohlgemerkt. Ob wir hier nun eines der damaligen Modelle mit 35, 50 oder 65 PS sehen, bleibt ungewiss.

Letztlich ist es auch unerheblich, weil alle diese Wagen souveräne Fahrleistungen boten, was damals vor allem bedeutete, vollbesetzt und am Berg schaltfaul unterwegs sein zu können. Idealerweise nutzte man die unteren Gänge nur zum Anfahren.

Werfen wir zum Schluss noch einen Blick auf das Passagierabteil und die Insassen:

Eine beinahe identische Karosserie von 1911 findet sich auf S. 48 der Opel-Fahrzeugchronik, Band 1 von Barthels/Manthey, bloß ist der dort unten links abgebildete Wagen etwas kleiner.

Auffällig ist, wie niedrig die Einstiegstür zum Fahrerraum ist. Das findet sich in besagtem Buch ähnlich auf S. 40 bei einem Opel Doppel-Phaeton von 1910.

So spricht viel für eine Datierung des Wagens auf dem Foto ins Jahr 1910/11. Ab 1912 verschwanden die Kutschbau-Anleihen und die Opel-Aufbauten wurden glattflächiger. Mit dem hier abgebildeten Wagen sagte Opel der Ära der motorisierten Kutsche adieu.

Der Zukunft zugewandt war auch der Herr, der mit Zigarette im Mund lässig auf dem Trittbrett posiert. Er wäre noch in den frühen 1950er Jahren modisch nicht aufgefallen.

Ganz anders die sieben Damen im Opel. Sie erscheinen bis zur Halskrause eingepackt, wobei die Hüte und Tücher zum Schutz der aufwendigen Frisuren ihr Übriges tun. Da war man um 1800 schon liberaler und im wahrsten Sinne des Wortes offenherziger.

Doch die Befreiung der Frauen aus den Ganzkörperverkleidungen und von der Männerherrschaft sollte nicht mehr lange auf sich warten lassen (Vorsicht: Ironie!):

Leider kam vorher noch der Erste Weltkrieg dazwischen – der in jeder Hinsicht eine noch größere Zäsur markierte als das Jahr 1910, in dem man von der heraufziehenden Katastrophe in Europa nichts ahnte…

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1925 ein letztes Mal mit Spitzkühler: NSU 14/40 PS

Bei Autos aus der Zeit kurz nach dem 1. Weltkrieg gibt es ein beinahe untrügliches Indiz für die Herkunft aus dem deutschsprachigen Raum – den Spitzkühler.

Noch vor Kriegsbeginn 1914 begannen deutsche und österreichische Hersteller ihre Wagen oft mit schnittigen Kühlermasken auszustatten, die an den Bug von Schnellbooten erinnerten.

Spitzkühler wurden nicht nur ab Werk angeboten, sondern auch als Zubehörteil, was uns im 21. Jahrhundert einige Schwierigkeiten beschert, was die Identifikation der Wagen auf alten Fotos angeht.

Die nachfolgende Collage zeigt Beispiele solcher Spitzkühlermodelle, die der Verfasser bislang keiner Marke zuordnen konnte, darunter einige Fotos von Lesern:

Dieses Bilder-Potpourri vermittelt eine Vorstellung von der unglaublichen automobilen Vielfalt in der Vorkriegszeit, von der wir heute nur träumen können.

Wer meint, dass die Fälle keine Probleme bereiten, bei denen das Firmenemblem auf dem Spitzkühler lesbar ist, muss sein Urteil heute womöglich revidieren.

Ein Leser aus Australien, dem wir bereits ein herrliches Foto eines Komnick-Tourers (und einiges mehr, was noch vorgestellt wird) verdanken, hat nämlich folgende Aufnahme eingereicht, die auf den ersten Blick unproblematisch erscheint:

NSU 40 PS-Modell; Originalfoto aus Sammlung Jason Palmer

Klar ist, dass wir es hier mit einem NSU aus der Zeit von 1921-25 zu tun haben, als man auch in Neckarsulm der Mode folgend Spitzkühler an seinen Autos verbaute.

Allerdings wird sich trotz der guten Qualität dieses über 90 Jahre alten Abzugs die genaue Ansprache des Wagens als schwierig erweisen.

Dass wir es tatsächlich mit einem NSU zu tun haben, verrät uns folgende Ausschnittsvergrößerung, auf der nicht nur das Kühleremblem, sondern auch der Schriftzug auf der Nabenkappe des Vorderrads lesbar ist:

Der aufmerksame Leser wird hier neben den zehn Luftschlitzen in der Haube die Bremstrommeln an den Vorderrädern registrieren.

Diese Details verraten uns schon einmal, dass wir keinen der populären NSUs der kleinen Typen 5/15 PS oder 8/24 PS vor uns haben.

Laut Literatur besaß nur das seit 1921 gebaute 14/40 PS-Spitzenmodell von NSU Vorderradbremsen – das war auch angemessen, denn dieser Typ erreichte ein Tempo von an die 100 km/h.

Jetzt könnte man es dabei bewenden lassen, doch ein Detail lässt einen stutzen:

Auf dem Dunlop-Reifen ist die Größenangabe 820×120 zu lesen.

Dieses Reifenformat wurde laut Literatur (Klaus Arth: NSU Automobile, S. 302) erst ab 1926 am 8/40 PS-Modell von NSU montiert. 1926 besaßen NSU-PKW jedoch einen Flachkühler und keinen Spitzkühler mehr.

Was schließen wir daraus? Zwei Möglichkeiten kommen in Betracht:

  • Wir haben hier eines der neuen 8/40 PS-Modelle vor uns, das noch mit dem Spitzkühler des Vorgängers 14/40 PS ausgestattet wurde.
  • Es handelt sich um einen 14/40 PS-Typ, der aus welchen Gründen auch immer mit dem Reifenformat des Nachfolgers umherfuhr.

Für die zweite Variante spricht, dass das Erscheinungsbild des NSU von den Reifen abgesehen vollständig den Gegebenheiten beim großvolumigen 14/40 PS-Typ entspricht.

Der spätere Typ 8/40 PS mit seinem kompakteren Aggregat (2,1 Liter) wies nicht nur einen Flachkühler auf, sondern auch eine Reihe schmaler (und zahlreicherer) Luftschlitze in der Haube, was in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre zeitgemäß war.

Das auf der Website von Audi abgebildete angebliche NSU 14/40 PS-Modell von 1921 ist tatsächlich ein solches späteres Flachkühlermodell…

Übrigens wird in der Literatur die tatsächliche Leistung des NSU 14/40 PS mit 54 Pferdestärken angegeben – ein eindrucksvoller Wert im damaligen Deutschland.

Viele Exemplare des „großen“ NSU, der stolze 13.000 Reichsmark kostete, werden nicht entstanden sein. Doch die wenigen Besitzer konnten stolz auf den geräumigen Wagen sein, der mit seinem 80 Liter messenden Tank und markentypischer Zuverlässigkeit ein idealer Reisewagen war.

Wer sich in der ersten Hälfte der 1920er Jahre ein derartiges Qualitätsauto leisten konnte, hatte häufig auch einen angestellten Fahrer – wie auf dem Foto:

Die Schirmmütze gehörte damals gewissermaßen zum „Dienstanzug“ von Chauffeuren und trug häufig das Emblem der Wagenmarke. Hier ist es leider nicht zu erkennen, dafür sieht man aber die außenliegenden Betätigungshebel für Gangschaltung und Handbremse – weitere Hinweise auf eine frühe Entstehung des NSU.

Wer genau hinschaut, kann außerdem oberhalb des Schwellers das Emblem der Karosseriewerke Weinsberg (KW) erahnen, wo die Serienaufbauten von NSU entstanden.

Der tiefe Glanz des Lacks spricht dafür, dass der NSU zum Aufnahmezeitpunkt noch recht neu war. Solche Fotos machte man häufig, wenn das Auto gerade frisch angeliefert worden war.

Wenn man sich vergegenwärtigt, dass wir es hier mit einem Manufakturauto der gehobenen Klasse zu tun haben, ist schwer zu begreifen, dass vermutlich keines davon in der hier zu sehenden Ausführung überlebt hat.

Wieder einmal erzählt ein über 90 Jahre altes Foto davon, was alles an einstiger Pracht verlorengangen ist, und das nicht nur in automobiler Hinsicht…

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Der kolossale Reiz des Kapitalismus: Packard von 1927

Wenn Auktionshäuser heutzutage Vorkriegsautos anbieten, dann meist mit Fotos, die die Fahrzeuge in möglichst neuwertigem Zustand in einer Umgebung zeigen, die wenig mit der Welt zu tun hat, in der sie einst unterwegs waren.

Die Autos sollen makellos erscheinen, Bezüge zur Vergangenheit werden vermieden, besonders hierzulande, wo man sich gern fortschrittlich gibt.

Ganz anders ist das Bild, das historische Automobilfotos zeichnen. Dort kommt man an den zeittypischen Gegebenheiten nicht vorbei.

So begegnet man Vorkriegswagen im deutschsprachigen Raum oft im Kontext des aufstrebenden nationalsozialistischen Regimes oder im Inferno des 2. Weltkriegs.

Später trifft man sie wieder als Überlebende in der frühen Bundesrepublik oder als Relikte in der zweiten sozialistischen Diktatur auf deutschem Boden, der DDR.

Dabei ergeben sich erstaunliche Konstellationen wie die auf folgendem Foto, das in den 1960er Jahren in Ostdeutschland entstand:

Packard „Eight“ von 1927; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir zwei „Genossinnen“, wie sie im sozialistischen Jargon von „der Partei“ angesprochen wurden – einige Jahre zuvor hätten sie „der Partei“ noch als Volksgenossinnen gegolten…

Jedenfalls sind die beiden in der DDR in den 1960er Jahren neben einem Luxuswagen abgelichtet worden, den Offizielle des braunen wie des roten sozialistischen Regimes ganz klar als amerikanisches Kapitalistenauto gebrandmarkt hätten…

Dieser dicke Brocken ist tatsächlich ein veritables Kapitalistengefährt – ein Packard von 1927 mit Reihenachtyzlinder und über 100 PS Leistung.

Identifikation und Datierung des Typs sind anhand der Kühlerform (typisch Packard), den seitlichen Luftklappen in der Haube, den trommelförmigen Scheinwerfern, den vorn abgerundeten Kotflügeln und den schüsselförmigen Scheibenrädern mit acht Bolzen möglich.

Somit bewegten sich die beiden jungen DDR-Untertanen auf dem Foto einst ganz klar in den gefährlichen Gefilden des kapitalistischen Klassenfeinds:

Eine solche mächtige Sechsfenster-Limousine war so ziemlich das Letzte, was „der Partei“ für die Genoss/innen vorschwebte. Für die allwissenden Parteivertreter galten natürlich andere Regeln…

Dass jemand unter den bescheidenen Bedingungen des „real existierenden Sozialismus“ offenbar einen dicken Dampfer wie diesen Packard aus dem Jahr 1927 am Laufen hielt, das verdient höchste Anerkennung.

Viel kaputtgehen konnte allerdings an dem Wagen auch nicht viel. Neun Kurbelwellenlager und 6,3 Liter Hubraum sorgten für ein langes Motorenleben.

Die mechanischen Vierradbremsen dürften ebenfalls kaum für Kopfzerbrechen gesorgt haben, so etwas lässt sich auch ohne Originalersatzteile in Betrieb halten.

Vermutlich existiert dieses grandiose Auto heute noch. Statten wir bei der Gelegenheit Dank ab bei unseren ostdeutschen Landsleuten, denen wir das Überleben so vieler eindrucksvoller automobiler Zeugen der Vergangenheit verdanken.

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Ein wackerer Preuße in Bayern: Komnick 8/45 PS

Im Bayrischen genießen die Preussen bekanntlich nicht den besten Ruf – das einschlägige Schimpfwort braucht an dieser Stelle braucht nicht wiederholt zu werden.

Allerdings scheint die Bezeichnung „Preißn“ ursprünglich nicht automatisch abwertend gewesen zu sein, sondern man verstand darunter schlicht alle im Norden und Osten angesiedelten Deutschen.

So musste der aus dem fernen Ostpreußen stammende Wagen, den es einst nach Bayern verschlug und den wir heute anhand zweier Originalfotos präsentieren, sicher nicht mit dem Unmut der Eingeborenen rechnen, eher mit wohlwollender Neugier.

Das erste Foto zeigt das wackere Automobil, um das es geht, in der fränkischen Fachwerkperle Miltenberg am Main: 

Presto Typ D 9/30 PS und Komnick 8/45 PS

Dass die Aufnahme tatsächlich in Miltenberg entstand, verrät der handschriftliche Vermerk auf der Rückseite des Abzugs.

Das Gebäude im Hintergrund ist rasch als „Gasthaus zum Riesen“ identifiziert, das seit über 400 Jahren die Einmündung der Riesengasse in die Hauptstraße überragt.

Lesern dieses Blogs wird womöglich der Tourenwagen mit geschlossenem Verdeck im Hintergrund eher vertraut anmuten als das offene Fahrzeug davor. Schauen wir uns beide Automobile näher an:

Der hintere Wagen mit dem schnittigen Spitzkühler, dem oben tropfenförmig auslaufenden Kühlergehäuse und den nach hinten versetzten Luftschlitzen in der Haube ist in der Tat unschwer als Typ D 9/30 PS von Presto aus Chemnitz zu erkennen.

Von diesem markanten Wagen entstanden zwischen 1919 und 1925 einige tausend Exemplare – entsprechend oft sind historische Fotos davon zu finden, auch in diesem Blog. Hier haben wir zum Vergleich einen Ausschnitt aus einer solchen Aufnahme:

Presto Typ D 9/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Vom bis 1927 gebauten Nachfolger Presto Typ E 9/40 PS unterscheidet sich der D-Typ  äußerlich vor allem durch das Fehlen von Vorderradbremsen, das nur nebenbei.

Was aber ist das für ein Fahrzeug, das vor dem Presto zu sehen ist und sicher das eigentliche Motiv der Aufnahme aus Miltenberg war? Schauen wir uns auch diesen eindrucksvoll dimensionierten Tourenwagen nochmals genauer an:

Der eine oder anderen Leser wird sich an ein ganz ähnliches Fahrzeug erinnern, das wir hier im Mai 2018 als Fund des Monats präsentiert hatten.

Dabei handelte es sich um einen Wagen des Typs 8/30 PS der im ostpreußischen Elbing ansässigen Maschinenbaufabrik Komnick. Abgebildet war er auf einem historischen Foto, das uns ein australischer (!) Leser zur Verfügung gestellt hatte.

Hier haben wir das Prachtstück:

Komnick Typ 8/30 PS; Originalfoto bereitgestellt von Jason Palmer

Auf dieser außergewöhnlich schönen Aufnahme sehen wir den Kühler, der die Komnick-Wagen der 1920er so unverwechselbar machte.

Das leicht spitz zulaufende Kühlergehäuse beherbergt ein Kühlernetz in Form des Wappens der Deutschordensritter, die im 13. Jahrhundert die Stadt Elbing in Ostpreußen gründeten, in der Komnick bis 1945 seinen Sitz hatte.

Dieselbe markante Kühlerpartie findet sich an dem Tourer in Miltenberg. Dass sich die Gestaltung der Vorderschutzbleche der beiden Wagen unterscheidet, will nicht viel heißen. Dieser Unterschied kann baujahrsbedingt oder schlicht auf einen anderen Karosserielieferanten zurückzuführen sein.

Wichtiger ist, dass der in Miltenberg abgelichtete Komnick im Unterschied zu dem Typ 8/30 PS auf dem ersten Foto vorne über Trommelbremsen verfügt.

Dieses Detail spricht dafür, dass wir es mit dem sonst äußerlich sehr ähnlichen Typ 8/45 PS haben, der von 1925-27 bei Komnick erhältlich war.

Damit hätten wir nun schon das zweite Originalfoto eines Komnick-Automobils aus der Zeit nach dem 1. Weltkrieg, was trotz mäßiger Qualität bereits eine Rarität darstellt.

Es kommt aber noch besser: Es hat nämlich eine weitere, ganz hervorragende Aufnahme desselben Komnick die Zeiten überdauert –  sie entstand einst in Würzburg:

Komnick Typ 8/45 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier können wir den Komnick 8/45 PS aus ähnlichem Winkel bewundern wie auf der Aufnahme des Vorgängertyps 8/30 PS.

Abgesehen von der bereits erwähnten Kotflügelausführung fällt hier die glattflächige Gestaltung der Seitenpartie auf, die gut zur etwas späteren Entstehungszeit passt. Die Zahl der Luftschlitze in der Haube (acht) ist aber trotz höherer Leistung dieselbe.

Wie im Fall des Typs 8/30 PS sind Originalfotos des Komnick 8/45 PS in der dürftigen Literatur kaum zu finden. Umso großartiger ist diese Aufnahme, deren Qualität ein näheres Studium des Typs erlaubt.

Daher zum Schluss eine Ausschnittsvergößerung des Wagens, die dem einzigartigen Charakter dieses seltenenen Vertreters aus Preußen in Bayern gerecht wird:

Komnick Typ 8/45 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

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Kein Cyclecar mehr: Ein Amilcar CGSS aus Berlin

Zu den besonders reizvollen Automobilkreationen der  Zwischenkriegszeit, zu denen Hersteller aus dem deutschsprachigen Raum kaum etwas beitrugen, gehört die Gattung der Cyclecars.

In Frankreich und England dagegen gab es dutzende von Herstellern dieser kleinvolumigen offenen Wagen in Leichtbauweise, die mit schmalen Rädern und (meist) mitlenkenden Vorderschutzblechen auch optisch eine Klasse für sich waren.

Die größte Verbreitung auf dem Kontinent dürften die Cyclecars der Marke Amilcar gefunden haben, die erst nach dem 1. Weltkrieg gegründet wurde und bis Ende der 1920er Jahre einige tausend Wagen mit sportlicher Anmutung an den Mann brachte, auch in Deutschland.

Dabei trifft die Bezeichnung Cyclecar nur auf den ersten von Amilcar gebauten Typ CC (ab 1921) zu. Die Nachfolger bauten zwar darauf auf, fielen aber allein schon aufgrund des höheren Gewichts in die Kategorie der Voiturettes und waren damit ernstzunehmende Fahrzeuge, auch im Sporteinsatz.

Die Rennversionen von Amilcar (siehe hier) erzielten einige Sporterfolge, und auch Privatfahrer setzten gern „heißgemachte“ Amilcars bei lokalen Veranstaltungen ein. Folgende Aufnahme zeigt einen solchen Wagen des Typs CS (oder den stärkeren CGS) im vollen Einsatz vermutlich irgendwo im deutschen Raum:

Amilcar CS oder CGS im Sporteinsatz; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die herkömmlichen Straßenversionen kamen von der Papierform her zahmer daher. Doch boten sie neben rassiger Optik für damalige Verhältnisse durchaus ansprechende Fahrleistungen.

Die sportliche Anmutung in Kombination mit einem zuverlässigen, nicht überzüchteten Antrieb scheint einst auch diesen glücklichen Besitzer überzeugt zu haben:

Amilcar Typ CGSS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Fahrer, der sich hier hat tief in den Sitz gleiten lassen, scheint dem Erscheinungsbild nach zu urteilen keine sportlichen Ambitionen gehabt zu haben.

Der elegante Hut lässt eher auf ein gemächliches Tempo bei einer Überlandfahrt denken, für die so ein Amilcar auch heute noch gut ist.

Berichten zufolge scheint sich der Motor bei eher moderater Gangart wohlzufühlen und dann erst wieder bei deutlich erhöhten Drehzahlen – dazwischen gibt es eine Phase zu überwinden, in der das Aggregat eher widerwillig auf den Gasfuß reagiert.

Wer die Höchstleistung ausschöpfen wollte, musste den Wagen also schon beherzt rannehmen. Von welchen Größenordnungen sprechen wir hier?

Nun, das hängt von der Ausführung ab:

  • Das ab 1922 gebaute Modell CS mit 1-Liter-Vierzylinder leistete lediglich 23-25 PS, was eine Höchstgeschwindigkeit von bis zu 100 km/h ermöglichte (die Angaben dazu variieren stark).
  • Ab 1924 wurde jedoch parallel eine deutlich verbesserte Version angeboten, das Modell C „Grand Sport “ – kurz CGS. Hier war der Hubraum auf 1,1 Liter erhöht und der Brennraum überarbeitet worden.
  • Dank des Übergangs bei der Ölversorgung des Motors von Schleuderschmierung zu Druckschmierung war das CGS-Aggregat stärker belastbar.
  • Die Leistungsangaben für das Modell CGS schwanken zwischen 30 und 35 PS. Damit war ein Spitzentempo von 115 km/h erreichbar.

Ähnlich leistungsfähig, doch optisch noch raffinierter kam ab 1926 das Modell CGSS daher. Es zeichnete sich äußerlich durch eine windschnittige Ausbuchtung vor dem Fahrer sowie ein recht kurzes steil abfallendes Heck aus.

Wenn nicht alles täuscht, haben wir auf dem obigen Foto genau solch ein Modell vor uns:

Daneben wurde später eine Karosserie ohne den charakteristischen „Windabweiser“ und dafür mit gepfeilter Frontscheibe angeboten. Ein solches Fahrzeug werden wir gelegentlich anhand einer Originalaufnahme vorstellen.

Lieferant der Standard-Karosserien für die Typen CGS und CGSS war übrigens die Firma Charles Duval, die ursprünglich in derselben Straße in Paris ansässig war wie Amilcar.

Bei Duval konnten Amilcar außerdem Sonderaufbauten ordern, die von Amilcar „freigegeben“ waren. Das erklärt das oft unterschiedliche Erscheinungsbild von Amilcars desselben Typs.

Wie das äußerlich weniger markante Modell CGS bot auch das Modell CGSS serienmäßige Vorderradbremsen – mit von auf 22,5 auf 26 cm vergößerten Bremstrommeln.

Damit ermöglichte das Modell CGSS bei grundsätzlich vergleichbarer Leistungscharakteristik eine sportlichere Fahrweise.

Hier sehen wir die zwecks besserer Wärmeableitung verrippten Vorderradbremsen:

Neben dem Kennzeichen für den Großraum Berlin („I A“) fallen hier die noch gut profilierten, doch unterschiedlichen Vorderreifen auf.

So etwas findet sich nicht selten auf Fotos der Vorkriegszeit – man war offenbar froh, wenn überhaupt passende Reifen vor Ort verfügbar waren. Möglicherweise machten sich die unterschiedlichen Profile angesichts der noch recht primitiven Radaufhängung (Starrachse) auch kaum zusätzlich negativ bemerkbar.

Eine wirklich umfassende Aufarbeitung der Modellhistorie vom Amilcar in Buchform gibt es nach Wissens des Verfassers nur auf Englisch:

  • Gilles Fournier/David Burgess-Wise, Amilcar, erweiterte Ausgabe von 2006.

Das akribisch recherchierte und eindrucksvoll bebilderte Werk ist nur noch antiquarisch erhältlich, lohnt aber die Anschaffung trotz des hohen Preises.

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Alter Bekannter: Ein Brennabor Typ S 6/20 PS Tourer

Heute ist ein alter Bekannter an der Reihe, den wir vor längerer Zeit schon einmal hier vorgestellt haben – der Typ S 6/20 PS der Marke Brennabor aus Brandenburg an der Havel.

Wer mit dem Hersteller bislang nur Zweiräder und Kinderwagen verbindet, wird überrascht zur Kenntnis nehmen, dass Brennabor nach dem 1. Weltkrieg zeitweilig Deutschlands größter Autohersteller war.

Hier eine aufwendig gestaltete Reklame aus dem Jahr 1919, die vom Selbstbewusstsein der Marke als Autohersteller kündet:

Originalreklame aus der Zeitschrift „Motor“ (1919), aus Sammlung Michael Schlenger

Wie Konkurrent Opel, der später davonzog, hatte man in Brandenburg die Zeichen der Zeit erkannt und setzte auf Fließbandfertigung nach amerikanischem Vorbild.

Die daraus resultierenden Stückzahlen blieben gegenüber US-Marken aber auch den europäischen Herstellern Citroen und Austin zwar vergleichsweise gering.

Gemessen an den Verhältnissen des weit weniger entwickelten deutschen Markts waren die fünfstelligen Stückzahlen, die Brennabor mit den Typen P 8/24 PS und R 6/25 PS zuwegebrachte, blieb der von 1922-25 gebaute Typ S 6/20 PS recht selten.

Einen der wenigen überlebenden Wagen dieses Typs konnten wir bereits anhand eines Fotos der späten 1960er Jahre präsentieren:

Brennabor Typ S 6/20 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme entstand in Ostberlin anlässlich eines Oldtimertreffens und – wie es scheint – lichtete bei dieser Gelegenheit ein Brennabor-Freund seine mutmaßlich bessere Hälfte neben dem Auto ab.

Unterdessen ist eine zweite Aufnahme desselben Autos aufgetaucht, die sehr wahrscheinlich am selben Tag, jedoch aus etwas anderer Perspektive entstanden ist.

Der Zustand des Brennabor ist praktisch identisch – man beachte beispielsweise die abgefahrenen Reifen, außerdem scheint auch er das Sonderkennzeichen „510“ zu tragen, das den Wagen nach DDR-Usus als historisches Kraftfahrzeug auswies.

Die Bodenbeschaffenheit sowie der Maschendrahtzaun im Hintergrund sprechen ebenfalls für eine identische Aufnahmesituation.

Etwas besser als auf dem ersten Foto sieht man hier die wahrscheinlich nicht originalen Scheinwerfer, die eine Spur zu groß sind. Zudem sitzt nun auf einmal auf der Rückbank ein gelangweilt – oder entrückt – wirkendes Mädchen.

Ob sich bei ihr später doch eine Beziehung zu dem Brennabor der Familie eingestellt hat?

Nun, da der Wagen sicher noch existiert und angesichts der geringen Zahl der überlebenden Exemplare in der Szene bekannt sein dürfte, wird sich vielleicht klären lassen, wer die junge Dame ist – vielleicht gehört ihr das Auto ja sogar heute…

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.