Auf den Hund gekommen: Mathis EMY4 8CV

Für den Ausgang von Kriegen, für politische Fehlentscheidungen und Wendepunkte der Geschichte gilt gleichermaßen: Nachher ist man immer schlauer.

Letztlich kamen die Dinge, wie sie kamen. Oft waren Entwicklungen und Kräfte am Werk, denen man nichts entgegenzusetzen hatte, selbst wenn man sie erkannte.

Das gilt auch für die Automobilhistorie. Wieviele Marken sind in der Zwischenkriegszeit untergegangen – es müssen hunderte gewesen sein!

Die haben aber nicht gemeinsam beschlossen unterzugehen. Was sich vollzog, war ein gnadenloser Ausleseprozess, in dem selbst Hersteller unter die Räder kamen, die die Notwendigkeit industrieller Fertigung begriffen hatten.

Fließbandproduktion war kein Garant dafür, sich am Markt durchsetzen zu können. Diese Erfahrung musste einst auch Brennabor machen. Auf diese selten beleuchtete Marke gehen wir hier demnächst öfters ein.

Heute befassen wir uns mit dem Wagen eines französischen Herstellers, der ebenfalls in den 1930er Jahren seine besten Zeiten hinter sich hatte – Mathis:

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Mathis EMY4 8 CV, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der angegriffene Zustand des Abzugs steht sinnbildlich für den abschüssigen Pfad, auf dem sich Mathis seit Ende der 1920er Jahre befand.

Man darf das äußere Erscheinungsbild dieses Wagens wohl als misslungen bezeichnen. Französische Autos der 1930er Jahre waren ja meist hochelegant oder zumindest auf reizvolle Weise eigenwillig.

Wer nun dieses Fahrzeug noch nie gesehen hat, ist in guter Gesellschaft. Es handelt sich um einen Mathis EMY4 8 CV, wie er 1932/33 gebaut wurde.

Der Verfasser hat den Wagen mit seiner bemerkenswert hässlichen Karosserie nur zufällig identifizieren können, nämlich beim Durchblättern von Nick Georganos Werk „The Complete Encyclopedia of Motorcars“ aus den 1960er Jahren.

Die verunglückte Gestaltung der Frontpartie steht in denkbar großem Kontrast zur zeitgemäßen Technik unter dem Blech:

Hinter den grotesk überdimensionierten Luftschlitzen – dem zuverlässigsten Merkmal des Typs –  muss man sich einen konventionellen Vierzylinder vorstellen, der aus 1,4 Liter Hubraum standfeste 30 PS schöpfte.

Von der Spitzenleistung vergleichbare deutsche Wagen von Hanomag, Opel, Mercedes und Wanderer benötigten dafür durchweg größere Hubräume.

Mathis wollte mit dem EMY4 ein volkstümliches Auto mit ordentlicher Leistung und mit attraktiver Ausstattung anbieten. So waren immerhin zwei der vier Gänge synchronisiert, ließen sich also ohne Zwischenkuppeln und -gas schalten.

Spätere Versionen erhielten außerdem eine Einzelradaufhängung vorne und eine ansprechende Karosserie. Dennoch endete bereits 1935 die Produktion – die Konkurrenz von Peugeot und Renault war mittlerweile zu stark.

Mathis versuchte, den Absatz seiner Wagen durch Einbau des legendären Ford V8-Motors anzukurbeln, hatte aber die Geschäftstüchtigkeit der Amerikaner unterschätzt, die bloß ihre eigenen Modelle in den Markt drücken wollten.

Im 2. Weltkrieg endete die Autoproduktion bei Mathis in Straßburg für immer.

Unser Foto ist vermutlich kurz nach dem Krieg entstanden. Der Mathis sieht schon recht mitgenommen aus und hat seine verchromten Radkappen eingebüßt.

Der mit dem Wagen gealterte Besitzer konnte sich dennoch glücklich schätzen – und das nicht nur wegen seines anhänglichen Vierbeiners:

In der frühen Nachkriegszeit einen eigenen PKW zu besitzen, war ein Glücksfall. Die Planwirtschaft der von sozialistischen Ideen besessenen Technokraten in Paris verhinderte einen raschen Anstieg der Autoproduktion.

Die staatliche Zuteilung wichtiger Ressourcen wie Stahl sorgte dafür, dass selbst Marken mit intakten Produktionsanlagen ohne Draht zu Politbonzen keine Überlebenschance hatten. Der Traditionshersteller Licorne ist ein Beispiel dafür.

Möglicherweise hätten Hersteller der zweiten Reihe in Frankreich zu einem Wirtschaftswunder wie in Deutschland beitragen können, woran bekanntlich etwa Borgward einigen Anteil hatte. Das gehört aber nicht mehr in diesen Blog…

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Sächsischer Polizeiwagen: Audi Typ E 22/55 PS

Die heutige Präsenz von Audi-PKW auf der linken Spur der Autobahnen Europas steht in keinem Verhältnis zur Bedeutung dieser Marke in der Vorkriegszeit.

Tatsächlich hat die heutige Firma außer dem Namen nichts mit der einst in Sachsen vom genialen Konstrukteur August Horch geschaffenen Luxusmarke zu tun.

Es gibt auch keine historische Kontinuität, die die heutigen Wagen mit den vier Ringen der 1945 untergegangenen Auto-Union verknüpft. Man darf aber sagen, dass Audi auf dem Sektor der Traditionspflege vorbildliche Arbeit leistet.

Dass die Historie der einst so bedeutenden Marken der Auto-Union bei Audi in guten Händen sind, beweist die hervorragende Literatur zu den vier Marken, die dank der Unterstützung der Audi AG entstanden ist.

Der Verfasser dieses Oldtimerblogs hegt keine besondere Sympathie für heutige Audis – immerhin meiden sie bisher gestalterische Exzesse – und hat auch keinen Werbevertrag abgeschlossen, der ihn zum Lob verpflichtet.

Es ist einfach so: Die vom Verlag Delius-Klasing mit Audi-Unterstützung publizierten Bücher zu den vier 1932 in der Auto-Union zusammengeschlossenen Marken suchen ihresgleichen.

Ohne das brilliante Werk „Audi-Automobile 1909-1940“ von Kirchberg/Hornung könnten wir den Wagen auf folgendem großartigen Foto kaum einordnen:

Audi 22/55 PS, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dass es ein Audi ist, das ließe sich mit scharfem Blick und etwas Erfahrung noch erkennen. Doch der flache Kühler und die martialisch wirkende Aufmachung des gut aufgelegten Chauffeurs würden einen auf die falsche Fährte bringen.

Die Kombination aus zweireihigem Wollmantel mit Pelzkragen und ebenfalls gedoppelter Lederjacke sowie die Schirmmütze mit Fahrerbrille erinnern an den 1. Weltkrieg, als erstmals Automobile als Verbindungsfahrzeuge eingesetzt wurden.

Damals verfügten weit weniger Soldaten über eine Kamera als im 2. Weltkrieg.Doch von den Männern, die das Glück hatten, nicht in den Materialschlachten an der Front verheizt zu werden, gibt es viele Aufnahmen in oft sehr guter Qualität.

Hier haben wir ein Beispiel dafür – ein Ausschnitt aus einem Originalfoto von November 1916,  das gelegentlich ausführlich besprochen werden soll:

Hier haben wir dieselben Elemente: lange, wärmende Schurwollmäntel mit Pelzkragen, Schirmmützen und Fahrerbrillen – nur einen Schnauzbart wie die beiden Herren trägt der Chauffeur auf dem ersten Foto nicht.

Nebenbei: der Wagen mit dem niedrigen Kühler ist ein Panhard-Levassor – höchstwahrscheinlich ein beim französischen Gegner erbeuteter Wagen. Demnach dürfte das Foto einst an der Westfront entstanden sein.

Zurück zum Ausgangsbild: Bei aller Ähnlichkeit im Erscheinungsbild des Fahrers haben wir es hier mit einer Situation im Frieden und auch nicht beim Militär zu tun, sondern bei der sächsischen Polizei um 1925!

Dafür sprechen die Indizien auf folgendem Bildausschnitt:

Der Flachkühler mit Audi-Emblem wäre zwar eher bei einem Modell vor Beginn des 1. Weltkriegs zu erwarten. Die elektrischen Scheinwerfer sprechen aber für ein Nachkriegsmodell.

Dumm nur, dass Audis ab 1918 durchweg eine messerscharfen, nach vorn geneigten Kühler trugen. Das galt grundsätzlich auch für die weitergebauten Vorkriegsmodelle wie den mächtigen 5,7 Liter-Typ 22/55 PS.

Dieser über 100 km/h schnelle Wagen wurde jedoch ab 1924 in einer Sonderausführung für die sächsische Polizei gebaut, die statt des modischen Spitzkühlers einen flachen Kühler trugen.

Im Audi-Buch von Kirchberg/Hornung ist auf Seite 59 ein halbes Dutzend dieser Wagen abgebildet. Sie tragen wie der Wagen auf unserem Foto Scheibenräder mit acht Radmuttern, ein sonst nicht zu findendes Detail an Audis jener Zeit.

Merkwürdig ist nur: „Unser“ Audi weist eine Tourenwagenkarosserie auf, während die an die sächsische Polizei bis 1928 gelieferten Fahrzeuge Mannschaftswagen ohne Türen waren:

So ist zu vermuten, dass es vom Audi 20/55 PS für die sächsische Polizei neben den Mannschaftswagen auch einen Tourenwagen gab.

Diese Sonderserie wurde ohnehin nicht von Audi fertiggestellt, sondern erhielt ihren Aufbau bei der Karosseriefirma Schumann & Co. in Zwickau. Von daher spricht nichts gegen weitere Sonderausführungen dieses Polizeiwagens.

Übrigens wurde unser Abzug im September 1935 als Erinnerungsstück versandt. Wie lange diese Wagen bei der Polizei in Sachsen dienten, wissen wir nicht. Über den 2. Weltkrieg hinaus wurden sie wahrscheinlich nicht eingesetzt.

Wenn ein Leser mehr zu diesem interessanten Fahrzeug weiß, bitte die Kommentarfunktion nutzen. Weiterführende Hinweise werden im Blogeintrag verarbeitet.

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Fund des Monats: Perl „Suprema“ im Renneinsatz

Freunde österreichischer Vorkriegswagen werden in der einschlägigen Presse kurz gehalten. Gut, man muss nicht jeden Monat ein Fabeltier von einer Luxusmarke wie Gräf & Stift bringen, die die meisten nur vom Hörensagen kennen.

Doch schaut man sich die Fülle an Originalfotos von Herstellern wie Austro-Daimler und Steyr aus den 1920/30er Jahren an, ist schwer verständlich, warum diese attraktiv gezeichneten und oft gut motorisierten Wagen so selten besprochen werden.

Das ist auf diesem Oldtimerblog anders, denn hier geht es nicht um heutige Prestige- und Spekulationsobjekte. Hier zählen alle Marken und Typen entsprechend ihrer einstigen Verbreitung.

Wenn man sich so breit mit Vorkriegsautos beschäftigt, laufen einem immer wieder Exotenwagen über den Weg, von deren Existenz man keine Ahnung hatte. So etwas kann man nicht suchen, diese Autos finden einen auch so!

Im österreichischen Raum kann das mal ein WAF-Tourer sein oder ein Cyclecar von GROFRI (Amilcar-Lizenz). Eine weitere solche Rarität können wir heute präsentieren:

Perl „Suprema“ 4/17 PS, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Was uns hier entgegenkommt, ist keiner der schweren deutschen Tourenwagen, mit denen in den 1920er Jahren Amateurfahrer bei Wettbewerben antraten.

Es ist auch kein hochgezüchteter Kleinwagen, wie ihn Fiat mit den Sportmodellen des Typs 509 anbot, die 30 PS und mehr aus weniger als 1 Liter Hubraum quetschten.

Nein, das ist ein auf dem Papier braves 17-PS-Auto, das die Wiener Firma Perl Mitte der 1920er Jahre eine Weile absetzte. Wer nie von Perl gehört hat, ist in guter Gesellschaft – der Verfasser wusste bis vor kurzem auch nichts von dieser Marke.

Im vorliegenden Fall hatte aber einst jemand auf dem Foto vermerkt: „Perl Suprema, bei Garmisch-Partenkirchen“. Sonst wäre die Recherche wohl erfolglos geblieben.

Der 1911 gegründete Wiener Nutzfahrzeughersteller Perl begann 1922 mit der Fertigung eines Cyclecar mit 800 ccm-Motor. Mit diesem 10 PS-Mobil belegte man beim Semmerring-Bergrennen die beiden ersten Plätze in seiner Klasse.

1924 folgte bei gleichem Hubraum ein 3/14 PS-Typ und im Folgejahr unser 4/17 PS-Modell mit Aluminiumkolben. Man wüsste gern, welches Gewicht diese Wagen hatten und welche Fahrleistungen sie boten.

Vielleicht kann ein Leser mehr über diese in Vergessenheit geratenen Sportwagen sagen, die nach der Übernahme von Perl durch Gräf&Stift keine Nachfolger fanden.

Möglicherweise hat jemand aber auch eine Idee, was die Zweige bedeuten, die beiderseits der Windschutzscheibe des Perl Suprema angebracht sind:

Den Gruß des Fahrers an den Fotografen an der Strecke – nebenbei: eine Spitzenaufnahme  – dürfen Vorkriegsautofreunde jedenfalls auch auf sich beziehen.

Fahrvergnügen gab es schon, lange bevor dieser Begriff zu einem Werbeslogan einer gewissen Marke aus Bayern wurde. Mehr inspirierende Berichte über solche Exoten davon in der hiesigen Oldtimerpresse, das wünscht man sich…

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Dicker Brummer aus Berlin: NAG-Protos 14/70 PS

„Mal wieder NAG„, wird sich mancher Leser dieses Vorkriegs-Oldtimerblogs denken. „Bestimmt bringt er bloß ein weiteres Tourenwagen-Foto aus den 1920ern.“

Das könnte man in der Tat mal wieder; es ist nämlich ein besonderes Exemplar des NAG Typ C4 aufgetaucht, der hier bereits öfters behandelt wurde. Aber dieser rasante „Special“ muss noch warten.

Stattdessen geht es hier um eines der großen Sechszylindermodelle, die die Berliner Siemens-Tochter NAG in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre in Kleinserie baute.

Die ursprünglich als D6- bzw. D7-Typen bezeichneten Autos wurden nach Übernahme des ebenfalls in Berlin ansässigen Konkurrenten Protos als NAG-Protos vermarktet.

Ein frühes Exemplar dieser mächtigen Wagen haben wir hier vorgestellt. Heute geht es um das weiterentwickelte Modell, das von 1928-30 gebaut wurde. Hier ein Exemplar, das 1932 in der Nähe von Passau aufgenommen wurde:

NAG-Protos 14/70 PS aus Sammlung Michael Schlenger

Ins Auge fällt zuerst das enorme Sitzfleisch des Herrn, der uns den Rücken zuwendet. Für ihn kamen die großzügigen Platzverhältnisse in der 5 Meter langen Pullman-Limousine gerade recht.

Diese Karosserieausführung hilft uns bei der Bestimmung der Motorisierung. Denn wenn man der spärlichen Literatur zu NAG trauen kann,  gab es den Aufbau als Pullman-Limousine ab Werk nur bei der 14/70 PS-Ausführung des NAG-Protos.

Neben diesem 3,6 Liter Wagen gab es eine 12/60 PS-Ausführung, deren 3,1 Liter Aggregat mit dem schweren Aufbau wohl überfordert gewesen wäre.

Dass es sich überhaupt um einen Wagen der Marke NAG-Protos handelt, ist auf dem Foto nicht ohne Weiteres zu erkennen. Wir können das aber herleiten.

Dazu werfen wir einen genaueren Blick auf die Frontpartie:

Man sieht auf den ersten Blick wenig, was die Identifikation erleichtert. Das könnte irgendein amerikanischer Wagen sein oder ein davon inspiriertes deutsches Auto. 

Doch halten wir folgende Details fest: 1. Mehr als 10 waagerechte Luftschlitze in der Motorhaube, angeordnet in zwei Reihen. 2. Scheibenräder mit kleinem Lochkreis und Nabenkappe mit sechseckigem Emblem, 3. Kühlermaske mit leicht abwärts geschwungener Einfassung, 4. Lange, oben abgerundete Schwellerschutzbleche.

Für sich genommen wäre keines dieser Elemente typisch. Doch wenn sie alle nebeneinander auftauchen, will das schon etwas heißen, und das ist auf folgender Aufnahme von 1929 der Fall:

NAG-Protos 14/70 PS aus Sammlung Michael Schlenger

Auch ohne Vergrößerungsglas sieht man, dass das ebenfalls eine Pullman-Limousine mit Scheibenrädern und waagerechten Haubenschlitzen in zwei Reihen ist.

Auf den zweiten Blick stimmen auch die Schutzbleche am Schweller unterhalb der Türen überein.

Endgültige Gewissheit liefert dann die Frontpartie:

Der „NAG“-Wimpel auf dem rechten Vorderschutzblech bestätigt schon einmal die Berliner Abkunft des Wagens, so amerikanisch er auch sonst wirkt.

Wer angesichts der Scheibenräder an Adler der Typen „Standard 6 bzw. 8“ denkt, vergleiche Lochkreis und Ausführung der Nabenkappe. Letztere gibt den entscheidenden Hinweis: Das sechseckige Emblem darauf ist das von NAG-Protos.

Das NAG-Emblem wurde nach Übernahme von Protos unten um den Schriftzug „Protos“ ergänzt und von einem entsprechend verlängerten Sechseck eingerahmt.

Alle übrigen Details passen ebenfalls zu einem NAG-Protos 14/70 PS, wie er von 1928 bis 1930 in einigen hundert Exemplaren gebaut wurde. Das über 2 Tonnen schwere Prachtstück war also schon immer eine Rarität.

So etwas fuhren Leute, die 13.500 Reichsmark auszugeben bereit waren für ein Fahrzeug, das noch seltener, um fast ein Drittel teurer und zugleich langsamer war als ein Adler 8-Zylinder – von US-Wagen ganz zu schweigen.

Der dicke Besitzer auf dem ersten Foto kehrt uns also nicht zufällig den Rücken. Dem ging die Meinung der Masse am A… vorbei – und das macht ihn sympathisch.

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Überraschend vielseitig: Der Hanomag „Sturm“

Ein Oldtimerblog für Vorkriegsautos, der sich ganz auf zeitgenössische Originalfotos stützt, ist im deutschsprachigen Raum einzigartig.

Das hat weniger damit zu tun, dass hiesige Klassikerfreunde sich vor allem für schwäbische Massenprodukte der Nachkriegszeit begeistern (lassen). Liebhaber echter Autoantiquitäten und -raritäten gibt es durchaus zahlreiche.

Nein, die Sache ist einfach mit erheblicher Arbeit und Überlegung verbunden, für die viele Kenner keine Zeit haben. Manche wollen ihre Schätze auch bloß unter Verschluss halten, hat man den Eindruck.

Man stelle sich vor, man hat einen Fundus aus Vorkriegsautofotos in vierstelliger Zahl, der digitalisiert vorliegt. Was wählt man davon aus? Welche Überschrift passt? Welche Geschichte lässt sich dazu erzählen?

Was macht man etwa, wenn man mehrere Bilder von ein und demselben Fahrzeug hat – aufgenommen aus identischer Perspektive?

Nehmen wir als Beispiel für dieses Problem folgenden Hanomag „Sturm“:

Hanomag „Sturm“, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ja gut, werden die Hanomag-Freunde sagen, hier sieht das Spitzenmodell des Maschinenbauers aus Hannover ja fast so langweilig aus wie in der Originalwerbung.

Zugegeben, da ist etwas dran. Die lange Haube mit dem 2,3 Liter Sechszylinder wirkt vor der massigen Fahrgastzelle wie ein Fremdkörper.

Das ist aber nicht unbedingt die Schuld von Hanomag, die diesen mächtigen Wagen 1934, also keine zehn Jahre nach ihrem 10-PS-Erstling „Kommissbrot“ auf die Beine stellte und bis 1939 in knapp 5.000 Exemplaren baute.

Die von Ambi-Budd in Berlin gelieferte Standardkarosserie harmonierte nun einmal besser mit einem kürzeren Vorbau wie beim Vierzylindertyp „Rekord“.

Kaum verwunderlich, dass die Hanomag-Werbung einst kein Wort über die formalen Qualitäten ihres kühn benamten Topmodells „Sturm“ verlor:

Hanomag „Sturm“, Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger

Ob sich die junge Dame auf unserem Foto – nennen wir sie Fräulein Freya – wohl deshalb etwas unwohl in dem Wagen fühlte? Nein, der Grund für ihre gebremste Begeisterung war ein anderer.

Ihr Verehrer Vincenz nervte mal wieder mit seiner Fotoverrücktheit:

„Fräulein Freya, bevor die anderen anrücken, muss ich noch ein Bild von Ihnen schießen. Glauben Sie’s oder nicht, aber ich habe mich bei Hanomag als Werbefritze beworben. Bitte nicht zu sehr lächeln, das schätzen die Niedersachsen nicht.“

„Mensch Vincenz, nun machen Sie endlich das vermaledeite Foto. Hätten Sie was Anständiges gelernt, bräuchten Sie sich nicht als brotloser Künstler zu verdingen“.

Dabei hat Verehrer Vincenz eigens in die neueste Kamera investiert – eine Contax! Doch Fräulein Freya interessiert sich nicht für die Brennweite seines Zeiss-Objektivs.

Auf der nächsten Aufnahme – mit Selbstauslöser – hat es Vincenz immerhin neben sie geschafft und kann seine Begeisterung nicht verhehlen.

Hanomag „Sturm“, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Fräulein Freya schaut hier dennoch ganz entspannt, denn inzwischen ist der Rest der Gesellschaft ebenfalls eingetroffen.

Der andere Bursche neben ihr ist Cousin Kurt, der schon im Sandkasten der einzige war, der ihr vertraut die Hand aufs Bein legen durfte.

Hinter dem Hanomag fürchtet unterdessen Hausfreund Hannes um seine Chancen. Er hat seine ganz eigenen Vorstellungen von einem vergnüglichen Aufenthalt bei Fräulein Freya auf dem Lande mitgebracht.

Über die Dinge erhaben ist nur Onkel Otto, der mit seinen 1,85 m den nicht gerade kleinen Hanomag um einiges überragt.

So knisternd die Atmosphäre auch ist, am Ende geht die Sache gut aus. Das beweist das dritte Foto aus dieser Reihe:

Hanomag „Sturm“, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die anderen haben sich zum Kaffee zurückgezogen, und Verehrer Vincenz hat sich erboten, weitere Aufnahmen von Fräulein Freya im Hanomag zu machen.

Die besteht aber darauf, dass Herr Hannes mit auf’s Bild kommt. Denn er ist ein gefeierter Schauspieler im „Sturm und Drang“-Fach…

Und geben die beiden kein schönes Paar ab? Tja, damit hätten die bei Hanomag mal Werbung machen sollen. Durchgefallen ist die Aufnahme bei den strengen Herren in Hannover wohl nur wegen der zwei etwas unscharfen Damen im Hintergrund…

Wie die Geschichte weitergeht? Nun, Herr Hannes hat sich von seiner letzten Gage ebenfalls einen Hanomag gegönnt: 

„Fräulein Freya, Sie sind die Erste, die’s erfahren soll. Ich bin schwer verliebt und habe mir aus lauter Leidenschaft ebenfalls einen „Sturm“ zugelegt, aber als rassigen Roadster von Hebmüller. Darin kann man die Schmetterlinge im Bauch freilassen!“

Ob Herr Hannes mit solch‘ billiger Lyrik Fräulein Freya am Ende gewonnen hat?

Leider gibt es nur ein etwas unscharfes Foto, das die beiden mit einem Hanomag „Sturm“ Roadster an einer Autobahntankstelle zeigen könnte:

Hanomag „Sturm“ Roadster (Karosserie Hebmüller), aus Sammlung Michael Schlenger

Damit beginnt eine andere – wirklich wahre – Geschichte um einen besonders raren Hanomag „Sturm“, der einst am Ostseestrand abgelichtet wurde.

Das ist nun etwas ganz Feines, das wir uns eine Weile aufheben müssen, weil die Recherchen dazu noch nicht abgeschlossen sind.

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DKW Front Luxus Cabrio trifft alten Wanderer

Als Betreiber eines Oldtimerblogs für Vorkriegswagen ohne Markenbindung hat man es nicht leicht: Weit über tausend Hersteller gab es einst allein in Europa. Da kann man nicht auch noch Ahnung von zeitgenössischen Autos haben.

Das ist vermutlich der Grund dafür, dass der Verfasser moderne Wagen der letzten – sagen wir zehn – Jahre nicht auseinanderhalten kann.

Aufgefallen ist ihm zwar, dass die Karosserien immer gestaltloser, die Namen immer abstruser und die Materialien immer aseptischer werden – doch einen aktuellen Peugeot zum Beispiel kann er nach wie vor nicht vom Vor-Vorgänger unterscheiden.

Merkwürdig: Bei den Automobilen der Vorkriegszeit machten zwei Modellgenerationen oder zehn Jahre Welten aus – formal wie technisch.

Das folgende Foto aus den 1930er Jahren, das zwei typische Wagen aus deutscher Produktion zeigt, macht das anschaulich:

DKW F5 Front Luxus Cabriolet und Wanderer W10-1 Tourenwagen

Links haben wir ein satt auf der Straße liegendes Cabriolet mit großzügigem Einstieg und elegant geschwungenen Radkästen. Die filigranen Speichenräder glänzen mit Chromkappen, dahinter großdimensionierte Bremstrommeln. Kühler, Frontscheibe und Heckpartie sind strömungsgünstig geneigt.

Rechts dagegen ein hochbeiniges Gefährt mit rustikalen Felgen, kleinen Bremsen (immerhin vier!) und primitiven Schutzblechen. Der Einstieg führt durch schmale Türen über ein Trittblech nach oben. Frontpartie und Winschutzscheibe stehen senkrecht im Wind. Am unförmigen Heck ist das Reserverrad lieblos montiert.

Jetzt die Preisfrage: Wieviele Jahre liegen zwischen diesen Autos, die beide in Sachsen entstanden und hier einträchtig an einer Tankstelle haltmachen?

20 Jahre? 15, 10? Die richtige Antwort lautet: 8 (in Worten: acht). Tja, solche Entwicklungssprünge waren bei Großserienautos in der Vorkriegszeit normal. Und da reden wir bisher nur von Äußerlichkeiten.

Beginnen wir mit dem älteren der beiden Wagen, einem Wanderer W10-I von 1927:

Auf die Marke Wanderer kam der Verfasser, weil er sich an ein Foto eines Wagens der Marke erinnerte, das ein ganz ähnliches Heck aufwies, das Modell W8 5/20 PS.

Dessen 1926 vorgestellter Nachfolger W10 war zwar in mancher Hinsicht moderner – so besaß er Vierradbremsen und leistete 30 PS. Doch der Tourenwagen besaß nach wie vor das unglücklich gestaltete Heck mit dem senkrecht angehängten Reserverrad.

Die übrigen Details – die farblich abgesetzten Schweller, Form und Anordnung der Luftschlitze in der Motohaube, selbst die Zahl der Radbolzen – passen ebenfalls zum Wanderer W 10-I, wie er bis 1927 gebaut wurde.

1928 legte Wanderer angesichts der Konkurrenz aus den USA nach und steigerte die Leistung des W-10 drastisch auf 40 PS. Damit gingen auch äußerliche Änderungen einher- doch das ist eine andere Geschichte, die des Wanderer W10-II.

Machen wir nun einen Sprung ins Jahr 1935:

Hier haben wir es – wie schon beschrieben – mit einem völlig neuen Konzept zu tun.

So stellt man sich einen deutschen Serienwagen der 1930er Jahre vor: Wohlproportioniert, jedoch nicht extravagant, mit ein paar feinen Details wie der als Kometenschweif auslaufenden Seitenleiste und der Einfassung des Ersatzrads.

Wer auf diesem Blog die Einträge zur Marke DKW verfolgt hat, weiß sofort Bescheid: Das ist das Front Luxus Cabriolet, das auf Basis des Modells F5 bei Horch in Zwickau mit Stahlkarosserie gebaut wurde.

Dies war nicht nur die eleganteste, sondern auch die haltbarste Variante der populären Zweitakt-Wagen von DKW, die schon Frontantrieb besaßen. Damit ließen sie fahrwerkstechnisch den Wanderer W10 „alt“ aussehen.

Mit gerade einmal 20 PS war der DKW dem 50 % stärkeren Wanderer zwar auf dem Papier unterlegen. Doch im Spitzentempo von 85 km/h lag er gleichauf, und das bei rund 30 % geringerem Verbrauch.

Deshalb brachten die aus heutiger Sicht schwachen deutschen Wagen der 1930er Jahre im Alltag erhebliche Vorteile gegenüber ihren schweren Vorgängern der 20er mit sich.

Und in puncto Fahrkomfort machten die gerade einmal acht Jahre, die die beiden Wagen auf unserem Foto voneinander trennten, Welten aus. Müsste sich der Verfasser für einen der beiden entscheiden, würde er dennoch beide nehmen wollen…

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Verblichener Glanz: Ein Benz 11/40 PS Tourenwagen

Bei der Beschäftigung mit Vorkriegsautos anhand alter Originalfotos stößt man im Idealfall auf sonst nicht dokumentierte Typen und Karosserieversionen. Doch die Aufnahmen selbst haben oft ihre eigene Magie. 

Zwar gibt es Abzüge, die dank geschützter Aufbewahrung auch nach 100 Jahren das längst vergangene Motiv getreu bewahrt haben. Die meisten dagegen zeigen schon Spuren fortgeschrittenen Zerfalls – dieses hier etwa:

Tourenwagen um 1910 auf einer britischen Postkarte, eventuell Sunbeam

Diese Zeugnisse lassen sich durch Digitalisierung vor dem Verschwinden bewahren, bis vielleicht die Technologie unserer Zeit einst obsolet ist. Daher gilt es, parallel auf jeden Fall auch die analogen Originale aufzubewahren.

Lichtgeschützt überleben sie im Zweifelsfall selbst technologische Umbrüche – so wie die Bücher aus alten Bibliotheken, die oft fünf und mehr Jahrhunderte überstanden  haben und möglicherweise die zuverlässigsten Zeugen ihrer Zeit bleiben.

Bei der Beschäftigung mit historischen Automobilfotos kommt man am Thema Vergänglichkeit und Bewahrung von Zeugnissen für die Zukunft nicht vorbei. Das gilt übrigens für die noch existierenden Originalfahrzeuge ebenso.

Auch wenn es hierzulande unpopulär sein dürfte: Ein weitgehend neu aufgebauter Wagen der Vorkriegszeit -mag er noch so gut gemacht sein – ist kein historisches Original, sondern lediglich eine Nachschöpfung.

Zugegeben: Der Verfasser hat ebenfalls eine Schwäche für die oft reizvollen „Specials“ unserer Tage, die auf Basis von Vorkriegswagen entstehen:

„Protos“-Rennwagennachbau, aufgenommen bei den Classic Days auf Schloss Dyck

Doch seien wir ehrlich: Niemand würde ein Gemälde der Renaissance original nennen, das zu 90 % nachgemalt wurde und bei dem nur noch die Signatur des Künstlers und der Rahmen aus der Entstehungszeit stammen.

Alte Fotos aus der Zeit, als die Wagen noch im Alltag genutzt wurden, lehren uns, was unter „original“ zu verstehen ist – jedenfalls nicht der nur ganz kurz gegebene Neuzustand, der das unerreichbare Ziel vieler „Restaurierungen“ ist.

Repräsentativ ist eher der Zustand, der sich über mehrere Jahre der Nutzung einstellte. Dazu gehören neben normalen Gebrauchsspuren und Alterserscheinungen auch zeitgenössische Umbauten. 

Gerade der rasante Umbruch zwischen den beiden Weltkriegen lässt sich an den Autos jener Zeit auf alten Aufnahmen ablesen. Hier haben wir ein Beispiel:

Benz Tourenwagen, wahrscheinlich 11/40 PS Typ

Auf den ersten Blick irritiert das Foto. Links im Vordergrund liegt Gerümpel, der Wagen steht eingezwängt zwischen zwei Zäunen und der Hintergrund wirkt konfus.

Das Auto hat offenbar seine besten Zeiten hinter sich und wurde für dieses Foto nicht mehr eigens in Szene gesetzt. Dabei handelte es sich einst um einen Wagen aus bestem Hause!

Spitzkühlermodelle gab es nach dem 1. Weltkrieg in Deutschland jede Menge, doch dieses hier ist etwas ganz Feines. Blenden wir das unerfreuliche Drumherum aus und schauen wir genauer hin:

Das ist ein Tourenwagen mit einem Radstand von weit über 3 Metern und einer so langen Haube, dass man hier von einem Sechszylinderwagen ausgehen muss.

Dafür kamen in Deutschland in den frühen 1920er Jahren nicht viele Hersteller in Frage. Die markante Kühlermaske mit der runden Markenplakette gab es genau so nur bei der Traditionsfirma Benz.

Aufnahmen von 6-Zylinder-Benz der Zeit nach dem 1. Weltkrieg sprechen für das ab 1923 gebaute 11/40 PS-Modell als wahrscheinlichsten Kandidaten.

Dabei handelte es sich um den kleinen Bruder des 16/50 PS Benz, der der letzte Typ in der Geschichte des Hauses vor dem Zusammenschluss mit Daimler werden sollte. Ein Porträt dieses mächtigen Wagens gibt es auf diesem Blog hier.

Leistungsmäßig bewegten sich die letzten Benz-Modelle oberhalb deutscher 4-Zylinderwagen von Adler, Opel, NAG und Presto, die mit 25 bis 30 PS daherkamen.

Bäume ausreißen ließ sich damit nicht, doch das war auch nicht der Anspruch der Käufer solcher Autos. Gediegene Qualität und repräsentatives Erscheinungsbild, darauf kam es Benz-Fahrern an.

Ab Mitte der 1920er Jahre sahen die Erzeugnisse deutscher Marken aber zunehmend „alt“ aus. Hersteller aus den USA machten fast alles besser und obendrein billiger.

Unser Foto zeigt nun ein Detail, das auf das modische Vorbild amerikanischer Wagen verweist, die nachträglich montierte Doppelstoßstange:

Man kann ein solches Zubehör für geschmacklos halten. Doch findet man auf Autoaufnahmen aus der Zwischenkriegszeit Hinweise darauf, dass viele Besitzer versuchten, so mit der Zeit zu gehen.

Wer heute das Glück hätte, solch einen herrlichen Spitzkühler-Benz in unberührtem Zustand zu ergattern, würde wahrscheinlich die Stoßstange als erstes entsorgen – aber: Wenn sie schon 90 Jahre dran ist, gehört sie doch zu dem Wagen!

Ein altes Haus, ein antikes Möbelstück, ein historisches Automobil, das man erwirbt, trägt oft die Spuren jahrzehntelanger Nutzung durch mehrere Generationen.

Man ist gut beraten, im ersten Schritt noch vorhandene Originalsubstanz zu erhalten – bei einem Haus etwa die Tondachziegel, die Holzfenster und -türen, wie das in England selbstverständlich ist, während hierzulande alles weggeworfen wird.

Im zweiten Schritt kann man überlegen, ob spätere Veränderungen ebenfalls erhaltenswert sind – sei es , weil sie den Charakter ausmachen, sei es, weil sie sinnvoll sind, sei es, weil sie selbst schon Seltenheitswert genießen.

Merke: Alles auf neu machen, kann man jederzeit – nur ist dann alles Originale unwiederbringlich verloren. „It’s original only once“, sagen die Briten. Davon kann man sich einiges abschauen, nicht nur im Hinblick auf alte Autos…

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Alte Liebe rostet nicht: DKW PS 600 Sport um 1960

Die Vorkriegswagen von DKW haben heute noch viele Freunde – sie stehen für gefällige,  bezahlbare und anspruchslose Klassiker.

Speziell das erste PKW-Modell von DKW – der Typ P 15 PS von 1928 – war allerdings noch ein sehr simples Gefährt – an so etwas wie „Sport“ denkt man da zuallerletzt:

DKW Typ P 15 PS, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

So behäbig wie die drei Herren in dieser 3-sitzigen DKW Cabriolimousine, die ab 1929 verfügbar war, muss man sich auch das Leistungsvermögen vorstellen.

Der 2-Zylinder-Zweitakter mit knapp 600 ccm brachte es auf ganze 15 PS, je nach Aufbau waren damit maximal 80 km/h drin. Doch für viele DKW-Käufer, die vom Motorrad kamen, war dies das erste Auto überhaupt und damit eine Offenbarung.

Bis zu den herrlichen DKW Front Luxus Cabriolets, die wir auf diesem Oldtimerblog schon öfters vorgestellt haben war es freilich noch ein langer Weg.

Doch ließ es sich DKW nicht nehmen, von seinem Erstling schon ab 1929 auch eine Sportversion anzubieten, das Modell PS600 mit 18 PS – genug für Tempo 100!

Man mag heute darüber lächeln, doch optisch war der Wagen jedenfalls ein großer Wurf, der offenbar noch 30 Jahre später Besitzer und Betrachter begeisterte:

DKW PS 600 Roadster; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Mit Reifen in Motorraddimension, dünnen Schutzblechen und minimalistischer Roadsterkarosserie war der DKW PS600 ein später Vertreter der Gattung „Cyclecar“, die in Deutschland nie so verbreitet war wie bei unseren französischen Nachbarn.

Mit diesem Gerät trat DKW 1930 sogar bei der Rallye Monte Carlo an. Der Wagen startete in Reval (Estland) und absolvierte die rund 2.800 km lange Strecke anstandslos. Hut ab vor den Insassen!

Wir dürfen davon ausgehen, dass die Automobilisten jener Zeit generell härter im Nehmen waren als viele heutige Liebhaber, die reine Schönwetterfahrer sind. Der Verfasser nimmt sich dabei selbst keineswegs aus.

Der Besitzer des DKW PS 600 auf unserem Foto war vermutlich noch ein junger Mann, als er den Wagen um 1930 kaufte. 30 Jahre später, als die Aufnahme entstand, scheint er immer noch damit glücklich gewesen zu sein: 

Der Abzug trägt auf der Rückseite den Stempel eines Fotogeschäfts aus dem Ostberliner Stadtteil Pankow. So können wir davon ausgehen, dass diese schöne Aufnahme bei einem Oldtimertreffen in der einstigen DDR entstand.

Es gibt noch ein weiteres Klassikerfoto, das bei derselben Gelegenheit geschossen wurde und hier gelegentlich vorgestellt wird. Das Erscheinungsbild der Besucher auf dieser Aufnahme spricht ebenfalls für eine Entstehung um 1960.

Zu diesem Zeitpunkt hatten die Ostdeutschen wie ihre Landsleute im Westen die Not der Nachkriegsjahre hinter sich gebracht. Zugleich hatten Planwirtschaft und staatliche Unterdrückung noch nicht ihre volle Wirkung entfalten können.

So fällt auf, dass die DDR-Bewohner auf Fotos vor dem Mauerbau oft gesünder, zufriedener und selbstbewusster wirkten, als dies später der Fall war. Die zunehmende Mangelwirtschaft und die seelischen Zerstörungen, die das sozialistische Regime anrichten sollte, machten sich erst nach und nach bemerkbar.

So bedrückend es ist zu wissen, dass die Ostdeutschen auf den Fotos jener Zeit noch Jahrzehnte der Unfreiheit und politischen Terrors vor sich hatten, so erfreulich sind die Zeugnisse, die vom Willen vieler erzählen, sich zumindest die herrlich unvernünftigen Autos der Vorkriegszeit nicht nehmen zu lassen.

In vielen Fällen war ein Vorkriegs-Auto ohnehin die bessere Wahl als die staatlich verordneten Vehikel, die den Fähigkeiten der Konstrukteure und den Bedürfnissen der Bürger gleichermaßen Hohn sprachen.

Wer im Arbeiter- und Bauernstaat etwa einen 6-Zylinderwagen fahren wollte, musste entweder ein Politbonze sein – dann galten natürlich andere Regeln als für die übrigen „Genossen“ – oder musste zusehen, dass er an einen der raren BMWs, Opels oder Mercedes herankam, die den Krieg überstanden hatten.

Dem Enthusiasmus und dem Improvisationsvermögen der Oldtimerliebhaber in der DDR hat die deutsche Klassikerszene jedenfalls das Überleben von Wagen zu verdanken, die im Westen fast ausnahmslos verschrottet wurden.

Interessant wäre es zu erfahren, wieviele der nur 500 (!) jemals gebauten DKW PS 600 Sport-Roadster in Ostdeutschland überlebt haben und wieviele im Westen.

Wie es der Zufall will, haben wir hier vor längerer Zeit bereits ein Nachkriegsfoto desselben Typs vorgestellt:

DKW Typ PS 600, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme entstand ebenfalls um 1960 in Ostberlin und zeigt höchstwahrscheinlich dasselbe Auto in voller Fahrt an einem regnerischen Tag.

Der hervorragende Zustand des DKW-Roadsters auf beiden Fotos lässt vermuten, dass dieser Wagen heute noch existiert. Vielleicht weiß jemand mehr darüber…

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Halbstarker Auftritt: Opel 8/25 PS Sport-Zweisitzer

Selbst Kenner von Opel-Vorkriegsmodellen zucken oft mit den Schultern, wenn es um Typen geht, die vor Beginn der Fließbandfertigung des legendären 4 PS-„Laubfrosch“ im Jahr 1923 gebaut wurden.

Kein Wunder, wie andere europäische Hersteller auch stellte Opel seine Wagen zuvor in Manufaktur her – entsprechend niedrig waren die Stückzahlen. Doch was man auf den Markt brachte, war auf der Höhe der Zeit und von bester Qualität.

Tatsächlich verschafften diese frühen Prestigefahrzeuge – und etliche Rennerfolge – der Rüsselsheimer Marke einen ausgezeichneten Ruf. Leider gibt es nur wenige überlebende Fahrzeuge aus dieser großen Epoche in Opels langer Geschichte.

Raritäten sind auch historische Aufnahmen, weshalb selbst ein Standardwerk wie das von Barthels/Manthey (Opel Fahrzeug-Chronik Band 1, 2012) für die Typen bis zum Ende des 1. Weltkriegs meist auf alte Prospektabbildungen zurückgreift.

Dieser Oldtimerblog soll dazu beitragen, unzureichend dokumentierte Vorkriegstypen wieder in Erinnerung zu bringen, und zwar mit bisher unpublizierten Originalfotos!

So finden sich in der Opel-Bildergalerie bereits einige außergewöhnliche Aufnahmen ganz früher Opel-Modelle. Heute können wir eine weitere hinzufügen:

Opel 8/25 Sport-Zweisitzer, aufgenommen 1925 in Langelsheim (Niedersachsen)

Auch wenn jemand einst den Abzug beschnitten und in ein Fotoalbum geklebt hat, ist das in mehrfacher Hinsicht eine großartige Aufnahme.

Hier hat sich im Jahr 1925 ein junger Mann in selbstbewusster Pose und aus kühner Perspektive im offenen Wagen fotografieren lassen. Wer auch immer dieses Bild im niedersächsischen Langelsheim geknipst hat, verstand etwas von Inszenierung – der Wagen mit seinem messerscharfen Spitzkühler wirkt enorm dynamisch.

Bei näherer Betrachtung zeigt sich zwar, dass wir es hier eher mit einem „halbstarken“ Auftritt zu tun haben, doch das schmälert den Reiz der Situation nicht.

Um den Wagen richtig einzuordnen, werfen wir erst einmal einen näheren Blick auf die schnittige Frontpartie:

Von den vielen deutschen Herstellern, die ab 1913 der Spitzkühlermode huldigten – Adler, Audi, Benz, Dürkopp, NAG, Presto, Simson, Steiger, Stoewer usw. – hatte Opel erkennbar eine der „schärfsten“ Varianten im Programm.

Den Anfang in dieser Hinsicht machte 1916 – mitten im 1. Weltkrieg – der Typ 18/50 PS. Das war der erste 6-Zylinderwagen von Opel, mit dem man zeigte, wie sich die Erfahrungen aus dem Flugmotorenbau auf PKW übertragen ließen.

Von diesem eindrucksvollen Gefährt wurden nur wenige Exemplare gebaut. Doch legte der Opel 18/50 PS technisch wie stilistisch die Grundlage für die Nachkriegszeit.

So taucht seine aggressive Optik in identischer Form beim Opel 8/25 PS wieder auf, der ab 1921 gebaut wurde. Allerdings war das rassige Aussehen mit nur noch halb so starker Motorisierung und einem 2-Liter-Vierzylinder verbunden…

Vom 8/25 PS-Modell haben wir auf diesem Oldtimerblog bereits zwei Exemplare in Originalfotos dokumentiert, wobei wir eine Aufnahme einem Leser zu verdanken haben, dessen Großvater einst solch einen Wagen fuhr (Bildbericht).

Das Besondere an dem Exemplar auf dem heute präsentierten Foto erschließt sich auf folgendem Bildausschnitt:

Unser beherzt nach dem außenliegenden Schalthebel greifender Sportsmann sitzt nämlich offenbar nicht in einem Tourenwagen – der gängigsten Variante des Opel 8/25 PS (wie anderer Autos jener Zeit auch).

Nein, dieser Ritter der Landstraße war einst stolzer Besitzer des raren Sport-Zweisitzers des 8/25 PS-Typs. Dank geringeren Gewichts wies der Opel damit eine dynamischere Charakteristik als der Tourenwagen auf.

Viel mehr als 80 km/h waren damit zwar nicht drin. Das war aber auch gut so – mit Starrachsen und ohne Vorderradbremse brauchte es schon Verwegenheit, um einen solchen Wagen auf den damaligen Straßen auszufahren.

Unser Opel-Pilot wirkt aber bereits im Standbild enorm schnell – und wir erfreuen uns heute nach über 90 Jahren an diesem seltenen Dokument eines „Halbstarken“…

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Rarität mit Frontantrieb: Stoewer R-150 Limousine

Warum betreibt man einen Oldtimerblog für Vorkriegswagen? Ist das nicht ein Nischenthema?

Nun, gemessen an der Häufigkeit – oder besser: Seltenheit – mit der in einschlägigen Klassikermagazinen hierzulande wirklich alten Autos ein Auftritt neben Massenware und „Youngtimern“ gegönnt wird, lautet die Antwort: ja!

Ein Grund mehr, sich diesem Nischenthema zu widmen. Zudem erreicht man im Internetzeitalter die Altautofreunde so gut wie nie zuvor – und zwar weltweit.

So gehört die englische Adler-Fotogalerie auf diesem Blog zu den Seiten, die international am häufigsten angesteuert werden.

Bevor die Adler-Freunde jetzt sinnlich werden – heute ist ein anderer deutscher Hersteller an der Reihe, der noch etwas interessanter ist: Stoewer aus Stettin.

Keine Sorge, es wird nicht schon wieder ein D-Typ-Tourenwagen aus den 1920er Jahren präsentiert, auch wenn der Fotofundus diesbezüglich noch einiges hergibt.

Nein, hier nehmen wir etwas ganz anderes in’s Visier:

Stoewer R-150 Limousine, Aufnahme der späten 1930er Jahre

Wer immer diese Aufnahme vor über 80 Jahren fabrizierte, hatte wohl etwas Malerisches im Sinn: Vordergrund, Mittelgrund, Hintergrund – klassischer Bildaufbau.

Dumm nur, dass der Vordergrund recht wenig zu bieten hat. Die von oben herunterhängenden Zweige sind ebenfalls gut gemeint, doch des Guten zuviel. Im Hintergrund dann die Signalanlage an einer Bahnstrecke – ernüchternd.

Für die Komposition vergeben wir gerade noch Note 3. In einer Hinsicht bewies der Lichtbildner jedoch Geschmack: Denn im Fokus des unbekannten Kamerabesitzers stand ein besonderes Gefährt – dafür Note 1!

So attraktiv die DKWs und Adler der 1930er Jahre waren – Opel mit ihrer US-Linienführung lassen wir mal aus – so reizvoll wirkt dieser Stoewer.

Ist es die lange Haube mit den waagerechten Luftschlitzen, das das Hinterrad überdeckende Schutzblech oder die schlichte Symmetrie der Türgriffe an der Limousine ohne Mittelpfosten?

Schwer zu sagen: Stoewer-Wagen zeichneten sich oft durch eine eigene Magie aus. Ein Grund dafür war das Talent von Bernhard Stoewer, der die Fähigkeiten eines genialen Ingenieurs und Gestalters in sich vereinte.

Kommen wir zu den Fakten. Hier haben wir es mit einem Stoewer des Typs R-150 zu tun, wie er von 1934-35 in bloß 1.150 Exemplaren gebaut wurde.

Mit dem Vorgänger R-140 (Baujahr: 1932-34) teilte er Aussehen und Frontantrieb. Vor allem die stärkere Motorisierung – 35 PS aus 1,5 Liter Hubraum – unterschieden ihn vom R-140.

Nun mag einer einwenden: Das könnte ebenso ein Stoewer R-140 sein.

Äußerlich unterschieden sich die beiden Versionen aber in einem Detail, das auf dem hier gezeigten Bild kaum zu erkennen ist. Der Stoewer R-150 besaß nämlich eine markante Kühlerfigur in Form eines stilisierten Greifs.

Auf dem analogen Originalabzug zeichnet sich ganz schwach die Kühlerfigur ab. Die digitalisierte Kopie unterschlägt dieses Detail leider…

Übrigens: Eine seltene Sportvariante des Stoewer R-Typs haben wir hier bereits besprochen.

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Alter Opel im neuen Gewand – Reutter sei Dank…

Was sich heutzutage in der Welt der Automobilhersteller abspielt, ist auf diesem Oldtimerblog normalerweise kein Thema.

Da produzieren gut ein Dutzend Anbieter aufgeblasene Gefährte mit meist chaotischer Linienführung außen und wenig Platz innen – der Mangel an Übersichtlichkeit wird durch Assistenzsysteme wettgemacht (?).

Wer heute einen 20, 30 Jahre alten Wagen aus gutem Hause fährt, fragt sich wo der Fortschritt geblieben ist, abgesehen vom Internetanschluss und steigenden Preisen.

Begeisterung und Leidenschaft ziehen ohnehin nur noch alte Autos auf sich. Wen interessiert es da, wenn aktuell eine Langweilermarke wie Opel von einem anderen Massenproduzenten wie Peugeot geschluckt werden soll?

Die Zeiten, da Opel und Peugeot für Innovationskraft, für technisch und formal herausragende Qualität standen, sind ohnehin lange vorbei.

Ignorieren wir daher weiter das Tagesgeschehen und wenden uns dieser Aufnahme eines alten Opel zu, der einst Gegenstand einer freundlichen „Übernahme“ war:

Opel 21/50 PS mit Landaulet-Aufbau von Reutter (Werksaufnahme von 1921)

Dieses eindrucksvolle Landaulet wäre ein schwerer Fall, wenn mit dem alten Abzug nicht auch die Details zu dem Wagen und seiner Verwandlung mitgeliefert worden wären.

Dass es sich um einen Opel der Zeit kurz nach dem 1. Weltkrieg handelt, verrät der Spitzkühler mit dem ovalen Markenemblem, das der kunstsinnige Großherzog (und Opel-Enthusiast) Ernst-Ludwig von Hessen einst skizzierte.

Wer genau hinsieht, wird das legendäre Opel-Auge auch auf der Nabenkappe des Vorderrads entdecken:

Der übrige Aufbau gibt zwar keinen Hinweis auf den genauen Wagentyp. Doch wer auch immer einst dieses Foto gemacht hat, ging vorbildlich dokumentarisch vor.

Denn die Aufnahme zeigt ein Bild aus dem alten Werksarchiv der Stuttgarter Karosseriewerk Reutter & Co. GmbH. Dort wurden in den 1920er und 30er Jahren individuelle Aufbauten für anspruchsvolle Kunden mit Qualitätswagen gefertigt.

Im vorliegenden Fall handelte es sich um einen Opel des Typs 21/50 PS, einst ein ausgewiesenes Oberklasse-Automobil. Sein Sechszylindermotor mit 5,6 Liter Hubraum ging auf eine im Kriegsjahr 1916 vorgestellte Entwicklung zurück.

Von 1919 bis 1923 war der Typ 21/50 PS neben dem 30/75 PS das Spitzenmodell der Rüsselsheimer Firma. Die explodierende Inflation jener Jahre brachte schließlich die Produktion des mächtigen Wagens zum Erliegen.

Offenbar fand aber im Jahr 1921 noch jemand Gefallen an dem Wagen. So ließ der Besitzer bei Reutter in Stuttgart den filigranen Aufbau schneidern, den wir hier sehen:

Dem heutigen Betrachter fallen zuerst die großen Fensterflächen ins Auge.

Spektakulär muss außerdem das Platzangebot im Heckabteil gewesen sein, in das man einstieg wie in einen Eisenbahnwaggon. Dort gab es damals noch den Luxus intimer Abteile, der in unseren Tagen auch bei der Bahn auf der Strecke bleibt.

Bei näherer Betrachtung scheint es sich bei dem Aufbau um kein echtes Landaulet zu handeln. Denn die Dachpartie über der Rückbank wurde zwar in Kunstleder ausgeführt, doch öffnen konnte man sie wohl nicht.

Hier legte jemand Wert auf eine traditionelle Optik, begnügte sich aber mit dem Zitat des althergebrachten Aufbaus. Dafür eigens eine „neue“ Karosserie schneidern zu lassen – das ist Snobismus im besten Sinne.

So etwas kann sich nur eine unabhängige Persönlichkeit leisten, die es nicht nötig hat, mit der Zeit zu gehen. Motto: Der sogenannte Fortschritt kommt von ganz alleine, da muss ein souveräner Mensch nicht vorne mitmarschieren…

Für dieses bemerkenswert unzeitgemäße Fahrzeug sei Reutter gedankt – und ebenso der unbekannten Person, die die auf 1921 datierte Aufnahme aus dem Werksarchiv irgendwann abfotografiert hat.

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1961 noch ein heißer Feger: Fiat 508 S Sport Spyder

Wer bei der Jahreszahl im Titel zusammenzuckt, kann beruhigt sein – dieser Oldtimerblog bleibt ganz der wunderbaren Welt der Vorkriegswagen treu.

Allerdings: Das Weiterleben von Veteranen nach dem Krieg – bevor sie als Sammelobjekt entdeckt wurden – gehört auf jeden Fall mit zum Thema.

Mal sind es aus der Not geborene Nachkriegsumbauten, die auf ihre Weise das Attribut „original“ verdienen. Ein anderes Mal sind es Exoten, mit denen man kaum gerechnet hätte. Genau so ein Exemplar haben wir hier:

Fiat 508 S Sport Spyder, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ein perfider Zufall will es, dass der Fahrer dieses kleinen Sportwagens an Erich Honecker erinnert, den letzten Leiter des Großgefängnisses namens „DDR“.

Im März 1961, als dieses Foto entstand, war Genosse Honecker aber anderweitig  beschäftigt: Als „Sicherheitssekretär“ des Regimes war er mit der Vorbereitung des Baus der Berliner Mauer ausgelastet, die dem Schutz der DDR-Insassen diente…

Nein, der ältere Herr am Volant dieses flotten Roadsters wird kaum zu den linientreuen Genossen gehört haben – am Ende könnte sein Wagen gar als Fluchtfahrzeug gedient haben, wer weiß?

Dazu wäre das Auto jedenfalls hervorragend geeignet gewesen. Denn was hier wie ein Spielzeug wirkt, war in den 1930er Jahren das heißeste Gerät der 1-Liter-Klasse, das man als Volksgenosse im damals noch braunen Sozialismus erwerben konnte.

Für Kenner der auch im deutschen Sprachraum populären Fiat-Wagen jener Zeit gibt die Frontpartie bereits genug Aufschluss, um den Typ zu identifizieren:

Speichenfelgen und langgestreckte Vorderschutzbleche gab es auch bei Roadstern von DKW oder Adler. Doch der Kühlergrill mit der markanten Chromnase findet sich nur bei Fiats des Typs 508.

Eine Limousine des Fiat 508 A, die im Westdeutschland jener Jahre unterwegs war, haben wir vor einiger Zeit vorgestellt (Bildbericht), außerdem einen wunderschönen 508 Spider, der in Ostdeutschland überlebt hat.

Gewissheit darüber, dass wir es mit einer besonderen Variante des von 1932-37 gebauten Turiner Erfolgmodells 508 zu tun haben, gibt die markante Heckpartie:

Die Rückenfinne, die respektlose Zeitgenossen als Entenbürzel ansprechen werden, ist klarer Hinweis auf den Fiat 508 S Sport Spyder, eine ab Werk verfügbare „heißgemachte“ Version.

Wer sich heute nicht unter 150 PS auf die Landstraße traut – um dort dann oft mit 70 km/h herumzuzockeln – wird diesen genialen Giftzwerg von der Papierform her unterschätzen.

Zunächst sei angemerkt, dass das Gefährt gerade einmal 600 kg wog.

In Zeiten des“Downsizings“, bei dem der eine oder andere der Laufkultur zuträgliche Zylinder auf der Strecke bleibt, dürfte auch das überraschen: Fiat quetschte vor über 80 Jahren standfeste 36 PS aus einem 995 ccm „großen“ Vierzylinder.

Das Triebwerk war dank hängender Ventile enorm drehfreudig. Außer BMW bot in Deutschland niemand Seriensportwagen solcher Charakteristik an. Auch Lenkung und Straßenlage galten als herausragend.

Abgespeckte Varianten des Fiat 508 S waren schon 1933 bei der Mille Miglia kaum langsamer als zweieinhalbmal so starke MGs und erreichten über die Gesamtstrecke ein Durchschnittstempo von fast 90 km/h – auf öffentlichen Straßen wohlgemerkt.

Wer nicht glaubt, dass solch ein heißer Feger aus dem Hause Fiat heute noch Freude machen kann, wird bei folgender Bergprüfung im Elsass eines Besseren belehrt:

© Videoquelle YouTube; Urheberrecht: Christian Lesueur

Man muss das Video nicht bis zum Ende ansehen – schon kurz nach dem Start wird deutlich, wie gern das Motörchen gedreht werden will, wie gut es beim Schalten des 4-Gang-Getriebes das Gas annimmt und wie kerngesund es klingt.

Tja, liebe Fiat-Freunde: Bis in die 1970er Jahre hielt man in Turin an dieser Tradition straßentauglicher Rabauken mit sportlichem Charakter fest. Auch für diese gar nicht so weit entfernte Zeit gilt heute: Tempi passati…

Was mag aus dem Fiat 508 S Sport Spyder auf unserem Foto geworden sein? Schwer zu sagen – einige Modifikationen hatte er zum Aufnahmezeitpunkt schon hinter sich:

Woher wohl die stattliche Seitenscheibe stammt? Und wieviel Spachtelmasse der hintere Kotflügel bereits mit sich herumschleppt? Vom Verdeck dagegen ist nur noch das Gestänge übrig, das spart Gewicht…

Und was wurde aus dem Besitzer? Wenn er nicht 1961 die letzte Chance zur Flucht aus dem Arbeiter- und Bauernparadies genutzt hat, musste er noch 28 Jahre warten, bis er endlich einmal das Land besuchen durfte, in dem einst sein Fiat gebaut worden war.

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Exot aus Ohio unterwegs in Europa: Der Chandler

Mit einem Oldtimerblog für Vorkriegswagen bewegt man sich in einer engen Nische. Da wäre es nicht klug, sich auf nur einen Hersteller oder Typ zu fixieren.

Man würde sich selbst und die Leser auch um das Vergnügen bringen, unerwartete Aha-Effekte zu erleben. Lässt man sich dagegen einfach vom Angebot alter Originalfotos leiten, gelingen immer wieder bemerkenswerte Entdeckungen.

Heute geht es um einen der Kleinserienhersteller aus den USA, die in Europa vermutlich keiner mehr kennt, obwohl sie ihre Wagen einst sogar bei uns verkauften.

Dabei ist Kleinserie relativ zu verstehen. In Amerika galt schon als Nischenproduzent, wer nicht Wagen im sechsstelligen Bereich pro Jahr fertigte.

Ein schönes Beispiel dafür sehen wir auf der folgenden – leicht verwackelten, doch perfekt komponierten – Aufnahme:

Chandler, Bauzeit: 1927-29; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ein solchermaßen inszeniertes Auto Foto verdient höchste Anerkennung.

Die Gebäude im Hintergrund mit ihrer abwechslungsreichen und doch harmonischen Architektur sind unverkennbar mitteleuropäisch.

Leser Thomas Reichl konnte inzwischen die Örtlichkeit näher bestimmen: Es ist der Marktplatz der alten Hansestadt Wismar in Mecklenburg. Dazu passt auch das Nummernschild mit der Kennung MI für Mecklenburg-Schwerin.

Doch der Wagen ist eindeutig amerikanisch. Der stämmige Auftritt mit breiter Spur und kräftiger Stoßstange war nach dem 1. Weltkrieg typisch für viele US-PKW. Erst gegen Ende der 1920er Jahre übernahmen deutsche Hersteller wie Adler und Opel diesen Stil.

Zwar ist der Schriftzug auf dem Kühlergrill nicht leserlich, aber die Marke lässt sich auch so eindeutig identifizieren. Eine derartig markante Kühlermaske mit filigranen Mittelstreben gab es nur bei „Chandler“:

Die Chandler Motor Car Company wurde kurz vor dem 1. Weltkrieg in Cleveland (Ohio) gegründet und sollte nur ein kurzes Leben haben.

Mit preisgünstigen Mittelklassewagen war man in den 1920er Jahren eine Weile recht erfolgreich. Den höchsten Absatz erzielte man 1927 mit dem Modell, das auf unserem Foto zu sehen ist: Rund 18.500 dieser Wagen fanden damals einen Käufer.

Für US-Verhältnisse war das zwar verschwindend gering. Doch gemessen an der Gesamtproduktion deutscher Hersteller (1927: ca. 85.000) war es enorm viel. Und so wundert es nicht, dass einige Chandler auf den europäischen Markt gelangten.

Ihre Attraktivität lag in der Kombination aus günstigem Preis und großzügiger Motorisierung, wie sie in Europa praktisch kein Hersteller bieten konnte.

Bereits die Basisausführung „Six“ des Chandler kam ab 1927 mit einem 6-Zylindermotor daher, der aus knapp 3 Liter Hubraum 55 PS leistete. In der Version“Big Six“ wurde ein über 80 PS starker 4,4-Liter Motor verbaut. Alternativ war der Chandler auch mit 8-Zylindern verfügbar.

Nach dem Rekordjahr 1927 investierte Chalmers in weitere Expansion, übernahm sich dabei aber finanziell. 1929 wurde das Unternehmen von der Hupp Motor Company aus Detroit geschluckt, die an den Fertigungsanlagen interessiert war.

Damit war die Marke Chandler Geschichte – zehn Jahre später musste auch Hupp aufgeben, aber das ist eine andere Geschichte…

Reizvoll wäre es zu wissen, ob heute noch ein Chandler wie auf unserem Foto in Europa erhalten ist. Entsprechende Hinweise aus der Leserschaft sind willkommen!

Lauter Charakterköpfe & ein Veteran: Horch 8/24 PS

Betreibt man einen Oldtimerblog für Vorkriegsautos, gehört man hierzulande zu einer raren Spezies. Angeblich interessiert sich ja keiner mehr für diese Fahrzeuge.

Doch stellt man alte Originalfotos von Veteranenwagen ins Netz, bekommt man fast täglich Post von Gleichgesinnten aus dem deutschen Sprachraum.

Manche Leser wollen bloß loswerden, dass ihnen das Stöbern auf diesen Seiten Freude macht – gern geschehen! Andere können etwas Erhellendes beitragen – danke dafür!

Willkommen sind auch Zuschriften, in denen jemand um die Identifikation eines Fotos aus Familienbesitz bittet. Im Idealfall wird dann mit etwas Detektivarbeit die Welt der Altvorderen wieder lebendig.

Überhaupt sind Bilder, auf denen alte Autos zusammen mit Menschen zu sehen sind, dem Verfasser die liebsten. Manchmal stößt man auf Dokumente, die schlicht grandios sind, obwohl man das Fahrzeug darauf kaum wird identifizieren können:

Landaulet eines unbekannten Herstellers; Foto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier posieren 17 Mitglieder einer Familie vor einem herrlichen Landaulet – der für das Arrangement verantwortliche Hund im Vordergrund sei ebenfalls erwähnt.

Was für eine Aufnahme! Wir sehen Vertreter von vier Generationen, die ältesten davon wurden noch zu einer Zeit geboren, als niemand etwas von Automobilen ahnte.

Entstanden sein muss diese großartige Aufnahme kurz nach dem 1. Weltkrieg. Keine der Damen trägt mehr einen Hut; einen Bart hat sich nur der alte Herr ganz links aus der untergegangenen Kaiserzeit hinübergerettet.

Die selbstbewusste junge Frau neben ihm ist vielleicht der eindrucksvollste Zeuge einer neuen Epoche. Eine berührende Aufnahme – leider lässt sich derzeit nicht sagen, was das für ein Wagen im Hintergrund ist.

So wenden wir uns einem anderen Foto zu, auf dem ebenfalls jede Menge Charakterköpfe zu sehen sind. Hier kommen die Veteranenfreunde auf ihre Kosten:

Veteranenwagen um 1925; Foto aus Sammlung Michael Schlenger

Nein, wir werden jetzt nicht auf jedes der Automobile eingehen und auch nicht die Aufmachung der 15 Herren erörtern, die vor über 90 Jahren ins Objektiv schauten.

Für eine Datierung um 1925 spricht der Opel ganz links. Das majestätische Fahrzeug in der Mitte dagegen gibt noch Rätsel auf  – wer hat eine Idee?

Interessant ist auf jeden Fall der Wagen auf der rechten Seite. Er lässt sich genau identifizieren und stellt durchaus eine Überraschung dar. Denn als diese Aufnahme entstand, gehörte das Fahrzeug eigentlich schon zum alten Eisen.

Solche birnenförmigen Flachkühler gab es kurz vor dem 1. Weltkrieg bei einigen Automobilen aus deutscher Produktion, beispielsweise bei NSU.

Auch der hier zu erkennende Aufbau mit „windschlüpfrig“ ansteigender Abdeckung über der Schottwand ist typisch für viele Wagen der Zeit um 1910. 

Die zeitgenössische Bezeichnung „Torpedoform“ für diese dynamische neue Linienführung wird aus der frontalen Perspektive besonders nachvollziehbar.

Die Identifikation der Marke ermöglicht letzlich nur ein kleines Detail, das auf folgendem Ausschnitt zu sehen ist:

Auf der ovalen Plakette unterhalb des Kühlwasserstutzens kann man mit etwas gutem Willen den Schriftzug „Horch“ erahnen.

Diese Emblem in Verbindung mit dem birnenförmigen Flachkühler verweist auf das ab 1911 gebaute Modell Horch 8/24 PS. Ein Belegfoto findet sich auf S. 123 des Standardwerks „Horch“ von Kirchberg/Pönisch aus dem Verlag Delius-Klasing.

Ignorieren muss man in diesem Zusammenhang die elektrischen Scheinwerfer des Wagens auf unserem Foto. Diese sind wohl nachgerüstet worden; immerhin war der Horch zum Aufnahmezeitpunkt bereits rund 15 Jahre alt.

Doch war er zumindest nach deutschen Maßstäben noch konkurrenzfähig. In der Klasse bis 25 PS boten damals Hersteller wie Adler und Opel Wagen an, die technisch nicht wesentlich weiter waren; sie sahen bloß moderner aus.

Der Horch 8/24 PS verfügte bis zum Ende seiner Bauzeit (1922!) über einen 2,1 Liter messenden 4-Zylindermotor konventioneller Bauart. In Verbindung mit dem Vierganggetriebe ermöglichte das Aggregat ein Höchsttempo von 70 km/h.

Wer das nicht sonderlich eindrucksvoll findet, bedenkt nicht den Zustand der damaligen Straßen. Selbst Mitte der 1920er Jahre waren hierzulande geschotterte Pisten der Normal- bzw. der Idealfall.

Nur rund 900 Exemplare des Horch 8/24 PS wurden einst gebaut. Daran mag man ermessen, wie selten so ein Auto bereits Mitte der 1920er Jahre war. Heute dürfte es davon – wenn überhaupt – noch eine handvoll geben.

Auch das macht die Beschäftigung mit Veteranenwagen zu einer exklusiven und spannenden Angelegenheit. Selbst ein Foto eines solchen Fahrzeugs inmitten lauter Charakterköpfe ist heute eine Rarität!

Rarer Vogel: Adler 6/25 PS als sportlicher Zweisitzer

Dieser Oldtimerblog lässt die Welt der Vorkriegsautos im deutschsprachigen Raum wiederaufleben – in historischen Fotos aus der Sammlung des Verfassers.

Dabei wird kein Akzent auf Marken- oder Typenebene gesetzt: Gezeigt wird hier alles an Automobilen, was die Fotoalben der Generation hergeben, die in unseren Tagen abtritt. So lässt sich ein repräsentatives Bild des einstigen Fahrzeugbestands und der Rolle zeichnen, die Vorkriegsautos einst spielten.

Zwar ist es betrüblich, wenn die Angehörigen mit den Hinterlassenschaften ihrer Altvorderen nichts anzufangen wissen. Da bleibt am Ende eines langen Lebens ein Stapel von Fotos, die durch dick und dünn behütet wurden, und dann werden die Bilder in alle Winde zerstreut…

Doch so gelangen wir an oft wichtige Zeugnisse aus den frühen Tagen der automobilen Fortbewegung und können zumindest sie der Nachwelt erhalten. Dabei gelingen immer wieder schöne Entdeckungen, selbst bei konventionellen Modellen:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dies beispielsweise ist ein Ausschnitt aus einem Foto, unter das einst jemand mit weißer Tinte „Stadtpartie Dinkelsbühl“ ins Fotoalbum schrieb. Und so treffen wir einen alten Bekannten wieder – den Adler 6/25 PS.

Das von 1925 bis 1928 gebaute Modell ist auf diesem Blog bereits zahlreich vertreten, der einstigen Verbreitung gemäß meist als Tourenwagen wie auf obigem Foto. Allerdings konnten wir auch bereits eine Landaulet-Ausführung dingfest machen.

Das Mittelklassemodell war der erste größere Erfolg von Adler nach dem 1. Weltkrieg. Es zeichnete sich weniger durch technische Kabinettstückchen als durch grundsolide Konstruktion aus. Über 6.000 Stück wurden davon gebaut.

Wirklich selten – damals wie heute – ist aber die Ausführung des Adler 6/25 PS, die wir auf folgendem Foto sehen:

Adler 6/25 PS, 2-sitziges Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Für die Leser, die dem Adler 6/25 PS bisher noch nicht begegnet sind, gehen wir gleich auf die Partien ein, an denen man das Modell als solches erkennen kann.

Dabei sind die Adler-Typen der Zwischenkriegszeit noch recht einfache Fälle. Im Fundus des Verfassers schlummern zahllose Aufnahmen derselben Epoche, bei denen nicht einmal sicher ist, um welchen Hersteller es sich handelt…

Wenn die Leute heute klagen, dass die meisten Autos gleich aussehen, ist ihnen meist nicht bewusst, dass das in der Frühzeit des Automobils nicht viel anders war.

Der Unterschied aus Sicht des Verfassers ist der: Heute wirken viele Großserienautos wie ein grob behauener Klotz, dessen Form ohne erkennbare Logik in alle Richtungen wuchert.

Dagegen weist unser Adler 6/25 PS wie die meisten Fahrzeuge der Zwischenkriegszeit eine wohltuend klare, konzentrierte Linienführung auf:

Die Marke Adler manifestiert sich hier mustergültig auf zweifache Weise: Die in den Kühlergrill hineinragende dreieckige Plakette mit dem stilisierten Adler trugen alle Modelle nach dem 1. Weltkrieg bis Anfang der 1930er Jahre.

Die Adler-Kühlerfigur dagegen findet sich nicht immer. Entweder verzichtete der Besitzer darauf oder er montierte ein Maskottchen seiner Wahl.

Nur beim 6/25 PS-Modell findet sich ein anderes Detail: Links und rechts des Adler-Emblems verläuft der Rand der Kühlermaske zunächst waagerecht, bevor er nach unten „abbiegt“. Bei allen übrigen Flachkühlermodellen von Adler der 1920er Jahren steigt die Linie der Kühlereinfassung zum Adler-Emblem hin an.

Typisch sind außerdem die stark einwärts gewölbten Scheibenfelgen mit kleinem Lochkreis. Die schlanken Proportionen des 6/25 PS-Typs fallen nur im direkten Vergleich mit den größeren Adler-Modellen der 1920er Jahre ins Auge.

Wirklich interessant wird es aber, wenn wir uns die Heckpartie des Adler 6/25 PS auf dem Foto vornehmen:

Diese Partie liegt schon stark im Schatten und außerhalb des Schärfebereichs des Objektivs. Obwohl es ein sehr sonniger Tag war, wählte der Fotograf einst eine kleine Blende mit geringer Tiefenschärfe – das lässt sich nicht mehr korrigieren.

Doch folgen wir mit dem Auge der Karosserielinie, wie sie der Hemdsärmel des Fahrers nachzeichnet: Kurz hinter dem Türende beginnt sich bereits das Verdeck aufzutürmen und darunter fällt das Heck scharf ab.

Kein Zweifel: Das ist keiner der verbreiteten Tourenwagenversionen des Adler 6/25 PS. Hier haben wir es mit einem 2-sitzigen Cabriolet zu tun.

Der Adler 6/25 PS war ab Werk als solch ein offener Zweisitzer verfügbar, wie zeitgenössische Prospekte belegen (danke an Christian Rioth diesbezüglich).

In der spärlichen Literatur zu Adler findet man außerdem einen roadsterähnlichen Sport-Zweisitzer mit Speichenfelgen sowie wuchtiger wirkende Cabriolets mit 2 Sitzen von Karmann und Papler.

Auf zeitgenössischen Fotos findet man diese Ausführungen nur selten, umso erfreulicher ist diese Aufnahme, für die Passagiere und Umstehenden vor über 90 Jahren entspannt posierten:

Hinweise auf überlebende Wagen dieses Typs sind willkommen!

Peugeot 161 „Quadrilette“ schlägt Amilcar!

Die Liebhaber von Vorkriegs-Peugeot sind auf diesem Oldtimerblog bislang eindeutig zu kurz gekommen. Dabei besitzt der Verfasser selbst einen Vorkriegstyp der französischen Traditionsmarke mit dem Löwen-Emblem:

Peugeot 202 UH, Bildrechte: Michael Schlenger

Die Freunde wirklich alter Peugeots haben zum Glück hierzulande bereits eine exklusive Anlaufstelle in Form des Peugeot-Vorkriegsregister.

Nur für wenige Marken gibt es im deutschsprachigen Raum eine derart umfassende und lebendige Präsenz der Vorkriegsmodelle im Netz. Dort gibt es auch ein reizvolles Archiv mit zeitgenössischen Aufnahmen von Peugeot-PKW.

Insofern könnte man es bei dem Verweis auf die genannte Website belassen, gäbe es nicht daneben spannende Entdeckungen wie diese:

Moment, das ist doch kein Peugeot, sondern ein Amilcar Cyclecar der 1920er Jahre – was hat der hier verloren?

Berechtigte Frage: Wie kommt überhaupt einer der als „Bugatti des kleinen Mannes“ begehrten Sportwagen in eine deutsche Kleinstadt um 1960?

Denn auf die frühen 1960er Jahre verweist die elegante Straßenkleidung der Damen, die man bei deren Töchtern heute meist vergeblich sucht… Und dass das Foto einst in Deutschland entstand, verrät der Schriftzug „Kur-Café“ im Hintergrund.

Nun, das Foto ist eines aus einer Reihe ähnlicher Aufnahmen, die einst bei einer Oldtimer-Ausfahrt an der Grenze zu Belgien und den Niederlanden entstanden. Man sieht darauf neben einem Ford A aus Holland auch diesen belgischen Amilcar.

Nichts gegen die Marke als solche, doch gab es bei der Gelegenheit eine weitere Cyclecar-Rarität zu bestaunen, die den Amilcar auf den zweiten Platz verweist:

Peugeot 161 „Quadrilette“, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das, werte Leser, lässt das Herz der Freunde von Vorkriegs-Peugeots schneller schlagen. Denn hier haben wir einen von nur rund 3.500 gebauten Wagen des Typs 161 „Quadrilette„, die zwischen 1920 und 1922 entstanden.

Das 1919 entwickelte Modell stellte den Versuch von Peugeot dar, nach dem 1. Weltkrieg ein relativ kostengünstiges Automobil für Einsteiger anzubieten.

Auch wenn das leichte Gefährt mit seinem 10-PS-Vierzylinder gern als „populär“ bezeichnet wird, kann der Versuch angesichts der geringen Stückzahlen als gescheitert gelten.

Wie man es besser macht, zeigte Citroen ab 1922 mit dem geringfügig stärkeren, aber erwachseneren Typ 5 CV, der nicht ohne Grund von Opel kopiert wurde.

Wie filigran der Peugeot 161 tatsächlich war, wird aus folgender Perspektive deutlich:

Hier sieht man, dass die beiden Passagiere hintereinander saßen und dass die Hinterachse eine deutlich schmalere Spur aufwies als ihr vorderes Pendant.

Durch diesen Kunstgriff ersparte man sich das Differentialgetriebe, das in Kurven die unterschiedliche Umdrehungsgeschwindigkeit der Antriebsräder ausgleicht.

Solche Kompromisse machen deutlich, weshalb der Peugeot 161 „Quadrilette“ kein Publikumserfolg wurde. Das Gefährt war zu weit von einem vollwertigen Automobil entfernt, um den Mehrpreis gegenüber einem Motorrad zu rechtfertigen.

Es mag für die Freunde solcher Kleinstwagen europäischer Produktion wie auch des Hanomag „Kommissbrot“ ernüchternd sein: Der einzige Hersteller, der Anfang der 1920er Jahre ein echtes Volksautomobil anbot, war Ford mit dem Model T.

Umso reizvoller ist aus heutiger Sicht, einer der wenigen überlebenden „Quadrilettes“ von Peugeot zu sehen, noch dazu auf einem Foto der frühen Nachkriegszeit.

Der Wagen macht auf der wohl im Dreiländereck bei Aachen entstandenen Aufnahme einen ausgezeichneten Eindruck und dürfte wahrscheinlich noch heute existieren. Vielleicht weiß ja ein Leser mehr darüber.

Übrigens: Laut Michis Oldtimerblog soll es bei den Classic Days auf Schloss Dyck 2017 einen Sonderlauf für französische Cyclecars geben – ein Grund mehr, die fabelhafte Veranstaltung am Niederrhein zu besuchen!

Im „Baby-Benz“ 8/20 PS durch dick und dünn…

Beim Stichwort „Baby-Benz“ denkt man zuerst an den Mercedes 190 aus den 1980er Jahren, von dem noch etliche unverdrossen im Alltag unterwegs sind.

Hätte die Marke mit dem Stern an dieser Qualität festgehalten, würde sie wohl nicht mehr existieren. Der Anspruch war, einen Kompaktwagen zu bauen, ohne Kompromisse bei Konstruktion und Verarbeitung zu machen. 

Vor über 100 Jahren gab es schon einmal solch‘ einen Baby-Benz und damals war es ein richtiger Benz – der Zusammenschluss der Mannheimer Pionierfirma mit Daimler lag noch in weiter Ferne.

Rückblende ins Jahr 1910: Der Einkaufschef von Benz, Karl Kissel, nervt die Firmenleitung solange mit der Forderung nach einem kompakten Qualitätswagen, bis diese intern einen entsprechenden Wettbewerb ausschreibt.

Heraus kam das Modell Benz 8/20 PS, das bis nach dem 1. Weltkrieg das wichtigste Standbein der Marke blieb. Doch genug der Worte – lassen wir Bilder sprechen!

Benz 8/20 PS, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Zeitumstände wollen es, dass wir von den Benz-Automobilen, die ab etwa 1910 gebaut wurden, vor allem solche Fotos aus dem Einsatz im 1. Weltkrieg haben.

Die Benz-Wagen aus Mannheim waren in etlichen Typen als Stabs- und Kurierfahrzeuge an allen Fronten unterwegs.

Während hohe Offiziere prestigeträchtige Benz der Typen 25/55 PS oder 29/60 PS bevorzugten, die wir gelegentlich ebenfalls vorstellen, wurde das 18/20 Modell in weit größerer Zahl frontnah eingesetzt.

Hier nun der Wagen auf unserem Foto in starker Ausschnittsvergrößerung:

Das Fahrzeug stimmt in allen wesentlichen Details mit dem 8/20 Benz überein, sei es die markante Übergangspartie von Motorhaube zu Frontscheibe, die Form und Anordnung der Luftschlitze, die Kühlermaske oder die Form der Schutzbleche.

Ein Vergleichsexemplar findet sich auf Seite 99 des Standardwerks „Benz & Cie.“, hrsg. von der Mercedes-Benz AG, 1994.

Einziger Unterschied sind die wahlweise verfügbaren Drahtspeichenfelgen und das Gepäck, das vom großen Dreieckskanister auf dem Trittbrett über die Gewehrtasche vor den Reservereifen bis hin zum Wassereimer auf dem Schutzblech reicht.

Die Pickelhauben der Reiter im Hintergrund verraten, dass das Foto in der Anfangsphase des 1. Weltkriegs entstanden sein muss. Der gegen Granatsplitter wirksamere Stahlhelm wurde auf deutscher Seite erst Anfang 1916 eingeführt.

Dass wir uns hier in Frontnähe befinden, lässt die Fracht vermuten, die das Gespann rechts von dem abgestellten Benz transportiert:

Dem Format nach könnte es sich um einen 21cm Mörser von Krupp handeln, der zur Bekämpfung  befestigter Stellungen diente. Der Transport dieser weitreichenden Waffe erfolgte aus Gewichtsgründen in drei Teilen, hier sehen wir den Rohrwagen.

Das spektakuläre Kaliber könnte der Grund für das Foto gewesen sein, auch der Zivilist im Vordergrund schaut gebannt auf das gewaltige Stück Eisen, das von kräftigen Kaltblütern gezogen wurde.

Wir wissen, wie die Sache ausgegangen ist. Jahrelange Materialschlachten und Millionen von Toten hielten die Kriegsparteien nicht ab, bis 1918 ihre Ziele weiterzuverfolgen, bei denen es allen Seiten um die Vorherrschaft in Europa ging.

In mancher Hinsicht markierte der 1. Weltkrieg einen radikalen Schnitt. Das gilt etwa für Kleidung und Rolle der Frauen vor 1914 und nach 1918. In der Autoindustrie ging es aber erst einmal darum, die Fertigung wieder in Gang zu bringen.

Auf deutscher Seite wurden bis Anfang der 1920er Jahre meist Vorkriegsmodelle produziert. Während technisch fast alles beim alten blieb – von elektrischen Scheinwerfern abgesehen – setzte sich formal die Spitzkühlermode durch.

Der Spitzkühlertrend zeichnete sich bei vielen Herstellern im deutschsprachigen Raum bereits ab 1912 ab. Damals hatte der Kunde noch die Wahl zwischen dem konservativen Flach- und dem dynamisch wirkenden Spitzkühler.

Der Benz 8/20 PS scheint nach dem 1. Weltkrieg nur noch mit dem modischen Spitzkühler gebaut worden zu sein. So ein Exemplar sehen wir auf folgendem Foto:

Benz 8/20 PS, Bauzeit 1918-21, Aufnahme um 1930 aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sind die Zeiten der dicken Kaliber offenbar vorbei. Die Herren auf diesem Abzug sind jedenfalls alle gertenschlank – Hinweis auf Zeiten, in denen es in vielerlei Hinsicht sparsamer zuging, fidel war man trotzdem.

Auch der Benz, der diese Gesellschaft aus 10 Herren und 2 Damen transportiert, hat abgespeckt. Vielleicht neigte das Gefährt bei langsamem Betrieb zur Überhitzung, weshalb man für diesen karnevalesken Umzug die Motorhaube entfernt hatte:

Die formalen Details passen genau zum Benz 8/20 PS-Tourenwagen, wie er nach dem 1. Weltkrieg bis 1921 weitergebaut wurde-  nur mit Spitzkühler, wie gesagt.

Außer der Kühlermaske sprechen auch das Erscheinungsbild der Räder, die Form der Frontscheibe und die Gestaltung der Schwellerpartie für einen „Baby-Benz“ um 1920.

Bloß die „Besatzung“ des Benz steht im Gegensatz zu dem altbewährten Modell:

Wahrscheinlich haben wir es hier mit einem Studentenulk anlässlich bestandener Prüfung zu tun. Dafür spricht das einheitliche Alter, der geringe Anteil an weiblichen Insassen und wohl auch die „Karl Marx“-Maske, die einer der Herren trägt.

Zu beanstanden ist nur: Anlässlich solcher Studentenfeten, bei denen es auch um’s Abschneiden alter Zöpfe ging, wurden bis in die 1960er Jahre oft alte Autos reaktiviert und anschließend zum Schrottplatz gefahren.

Dieses Schicksal dürfte auch den 18/20 PS Benz auf unserem Foto ereilt haben…

Ein Bild von einem Wagen: Plymouth PE von 1934

Zu den reizvollen Seiten eines Oldtimerblogs gehört das Phänomen, dass sich manche Beiträge von selbst fortschreiben.

Keine Sorge: Hier übernehmen nicht irgendwelche Schreibroboter die Macht, die in den USA heute bereits einen Großteil der Wetterprognosen, Sportkommentare und Gewinnberichte von Unternehmen schreiben, ohne dass es jemand merkt.

Gemeint ist Folgendes: Man präsentiert einen US-PKW der 1930er Jahre, der einst eingeschneit im Libanon (!) fotografiert wurde (Bericht). Bei der Recherche nach der Automarke (Chrysler) stößt man auf einen ähnlichen Wagen aus demselben Konzern (Plymouth) und löst nebenher ein altes Bilderrätsel.

So war mit einem Mal das Kopfzerbrechen vorbei, das das Auto hinter dem jungen Luftwaffenrekruten auf folgendem Bildausschnitt bereitete (Bericht):

Der unscharf im Hintergrund abgebildete Wagen war kaum als Plymouth PE von 1934 identifiziert, da materialisierte sich das Fahrzeug auf einem weiteren Abzug – diesmal aber in allerbester Qualität.

Dazu muss man sagen, dass Wagen der Chysler-Konzernmarke Plymouth nicht gerade zu den gängigsten US-Autos in Europa zählten. Nach dem bis Anfang der 1930er Jahre anhaltenden Importboom sahen sich US-Hersteller in Deutschland ab 1933 erheblichen Einfuhrhindernissen gegenüber.

Die geschäftstüchtigen Amerikaner reagierten durch Kooperation mit Firmen auf deutschem Boden, die US-Wagen aus zugelieferten Teilen zusammenbauten, die keinen Importbeschränkungen unterlagen.

Die Montage von Plymouth-Wagen übernahm ab 1933 die in Koblenz ansässige gegründete HANKO GmbH, die seit 1924 US-Wagen der Marken Packard, Paige, Nash und Chrysler importierte.

Aus dieser Produktion stammt sehr wahrscheinlich auch dieses Prachtexemplar:

Plymouth PE, Baujahr 1934, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir es eindeutig mit einem in Deutschland – genauer: im Großraum Berlin – zugelassenen Plymouth des Typs PE von 1934 zu tun.

Das mag auf den ersten Blick überraschen, denn dieser Wagen sieht eigentlich so aus, wie man sich einen europäischen Klassiker der frühen 1930er Jahre vorstellt.

Vergegenwärtigt man sich den formalen Fehlgriff, den sich Chrysler mit dem Modell „Airflow“ 1934 leistete, ist dieser zeitgleiche Typ aus demselben Konzern geradezu „ein Bild von einem Wagen“.

Wohl nie wieder verband ein US-Automobil technischen Fortschritt mit einem so klassischen Erscheinungsbild. Denn diese Limousine verfügte bereits über eine Einzelradaufhängung an der Vorderachse und weitere moderne Details.

Der Plymouth PE von 1934 relativiert das Klischee von den gut motorisierten, aber fahrwerksseitig stets rückständigen US-PKW. Dass wir es tatsächlich mit so einem Modell zu tun haben, verrät folgender Bildausschnitt:

Der spannungsreich geformte Kühlergrill trägt nicht nur das traditionelle Plymouth-Emblem auf der Mittelstrebe (ursprünglich eine geflügelte Seejungfrau), sondern auch die 1934 neu eingeführte Kühlerfigur – ein stilisiertes Segelschiff.

Die Scheinwerfer und die Hupen dürften zeitgenössische Anbauteile aus deutscher Produktion sein. Auch die Stoßstange weicht von denjenigen ab, die bei in den USA gefertigten Plymouth-Wagen montiert wurden.

Am Nummernschild könne wir ablesen, dass der Plymouth einst in Berlin zugelassen war (Kombination aus römisch „I“ und lateinisch „A“). Die laufende Nr. 33001 verweist auf die geringe Zahl von Automobilen hin, die in der neben Paris sonst führenden Metropole auf dem europäischen Kontinent zugelassen waren.

Unser Foto scheint aber an einer ländlichen Örtlichkeit entstanden zu sein. Leider wissen wir nichts über den Anlass dieser Aufnahme in einem eher rustikalen Umfeld:

Der Besitzer des Plymouth macht nicht gerade den Eindruck eines unverhofft zu Vermögen gekommenen Bauern oder des obligatorischen Dorfmetzgers, der schon vor dem Krieg bevorzugt Prestigewagen fuhr.

Die Situation wirkt eher so, als sei der vermögende Onkel aus der Stadt zu den Verwandten auf’s Land hinausgefahren und habe sich dort ablichten lassen. Wer aber sollte dort eine Kamera besessen haben, die ein so exzellentes Foto produzierte?

Jedenfalls war die Perspektive, die wir hier genießen, vor über 80 Jahren diejenige einer weiteren Person, über die wir leider nichts wissen. Mit ihr teilen wir den Blick durch den Sucher auf einen klassisch-schönen US-Wagen „Made in Germany“.

Wenn man den Informationen im Netz trauen kann, wurden einst rund 2.000 Plymouth des Typs PE in Deutschland gebaut. Zwei davon soll es noch geben…

Studentenbewegung in den 20er Jahren: Presto D-Typ

Zu den relativ häufigen „Gästen“ auf diesem Oldtimerblog gehören die schnittigen Tourenwagen mit Spitzkühler, die eine Spezialität von Herstellern aus dem deutschsprachigen Raum von etwa 1912 bis Mitte der 1920er Jahre waren.

Renommierte Hersteller wie Adler, Dürkopp und Opel, NAG, Steyr und Stoewer bauten mit Erfolg solche oft sechssitzigen „Schiffe“, deren Optik an Schnellboote der Vorkriegszeit erinnert.

Hier ein Vertreter von Adler aus der Zeit kurz nach dem 1. Weltkrieg (Bericht):

Adler Spitzkühler-Modell um 1920; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Motorisierung solcher Tourenwagen war moderat – mehr als 40-50 PS aus vier Zylindern wurden kaum geboten – meist waren es 25 bis 30 Pferdestärken. Doch ein Tourenwagen war auch nicht zum schnellen Fahren gedacht.

Man wusste ja, dass es bei einem offenen Wagen hinter der Frontscheibe zu Luftverwirbelungen kommt. Die früheste dem Verfasser bekannte Abbildung des ungünstigen Strömungsverlaufs bei Tourenwagen stammt aus einem Buch von 1919.

Für die Passagiere im Heck war daher ein Tempo von rund 70 km/h bereits „das höchste der Gefühle“, wichtiger war eine elastische Motorcharakteristik, die wenig Schaltaufwand mit sich brachte und auch Steigungen gewachsen war.

Deutsche Hersteller hielten recht lang am Konzept des Tourenwagens fest, während sich in den Nachbarländern geschlossene Aufbauten durchsetzten.

Das mag mit den beschränkten finanziellen Möglichkeiten hierzulande nach dem 1. Weltkrieg zu tun haben – Tourenwagen war nun einmal die preisgünstigste Ausführung bei praktisch allen Herstellern.

Dabei ist „preisgünstig“ relativ zu sehen – ein Automobil konnten sich in Deutschland überhaupt nur Betuchtere leisten. Das trifft auch auf die unternehmungslustigen jungen Herren auf der folgenden Aufnahme zu:

Presto D-Typ 9/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Man liegt wohl nicht verkehrt, wenn man hier Studenten auf einem Ausflug mit einem geliehenen Wagen erkennt.

Leider ist die Frontpartie auf dem Abzug recht unscharf abgebildet, sodass hier eine eindeutige Identifikation schwerfällt. Auf der Spitze der Kühlermaske scheint sich jedoch eine schräg nach oben zeigende Plakette abzuzeichnen.

Das würde für einen der Presto-Tourenwagen der Typen D 9/30 PS oder E 9/40 PS sprechen, die der Chemnitzer Hersteller zwischen 1921 und 1927 ohne große äußerliche Änderungen fertigte.

Nicht ganz ausschließen möchte man jedoch zeitgenössische Wagen von Audi und Horch, die nach dem 1. Weltkrieg für kurze Zeit ähnliche Kühler besaßen.

Zum Glück haben wir aber ein weiteres, technisch besseres Foto desselben Wagens, das wohl am gleichen Tag entstand:

Presto D-Typ 9/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Zwar sitzt nun ein anderer Bursche am Steuer, doch finden sich alle Insassen des ersten Fotos wieder. Sie scheinen mit dieser traditionellen Form der Studentenbewegung durchaus zufrieden zu sein…

Auch wenn die Kühlerpartie nicht schärfer ist, sehen wir genug, um die Ansprache als Presto zu rechtfertigen. Die sechs Luftschlitze in der Haube sind typisch für die Tourenwagen der Marke.

Dass wir es nicht mit dem späten – und raren – Presto E-Typ zu tun haben, verrät das Fehlen von Vorderradbremsen. Mit 4-Gang-Getriebe und 12-Volt-Elektrik war der Presto D-Typ aber damals durchaus ein erwachsener Wagen.

Weder Adler noch Opel hatten in dieser PS-Klasse damals etwas Vergleichbares zu bieten. Lediglich NAG war mit dem Typ C4 in derselben Liga vertreten. Kein Wunder, dass wir die Tourenwagen von Presto und NAG recht oft auf alten Fotos finden – wobei auch das relativ ist.

Mangels aktueller Literatur zu den Presto-Wagen – eigentlich eine Schande, dass es hierzu bislang kein Standardwerk gibt – müssen wir davon ausgehen, dass von den Presto-Tourenwagen der 1920er Jahre weniger als 10.000 Stück gebaut wurden.

So vermutete jedenfalls Werner Oswald in seinem 2001 herausgegebenen Standardwerk „Deutsche Autos 1920-45“. Vielleicht wird es ja eines schöne Tages dazu mehr Gewissheit in Form eines Buchs speziell zur Marke Presto geben…