Fund des Monats: Der Metallurgique-Maybach

Den Fund des Monats präsentiere ich für gewöhnlich eher sachlich – das fängt schon beim Titel an. Dieser fällt heute dennoch in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich aus.

Erstens verwende ich den bestimmten Artikel, denn es handelt sich um ein unzweifelhaftes Einzelstück. Zweitens vereint das vorgestellte Vehikel zwei Markennamen, die eigentlich nichts miteinander verbindet. Drittens nenne ich kein Baujahr, weil man sich dann für eines der in Frage kommenden Jahre entscheiden müsste: 1907, 1919 oder 1950.

Den echten Kennern der Vorkriegsszene ist dieses in jeder Hinsicht einzigartige Fahrzeug natürlich bekannt. Ich selbst musste eine Weile recherchieren, bevor ich herausfand, was das für ein Auto war, welches auf der folgenden Aufnahme zu sehen ist.

Diese entstand irgendwann in den späten 1950er Jahren in Westdeutschland, wie die Heckpartie eines DKW aus Nachkriegsfertigung und die deutsche Türaufschrift beweist:

Metallurgique-Maybach; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ungeachtet der furchteinflößenden Dimensionen nähern wir uns diesem Gefährt ganz respektlos und behandeln es wie jeden anderen unbekannten Zeitzeugen auf vier Rädern.

Am Anfang steht – das ist der einfache Part – die Datierung. Die gasbetriebenen Scheinwerfer verweisen schon einmal auf die Zeit vor dem 1. Weltkrieg – ab 1913/14 wurde bei Automobilen der Oberklasse zunehmend elektrische Beleuchtung angeboten.

Das unvermittelte Aufeinanderstoßen der Motorhaube und der Schottwand zum Fahrerabteil verweist auf die Epoche vor 1910. In jenem Jahr starb der englische König Edward VII, der namensgebend für die um 1900 einsetzende Edwardian Era war, die sich in Großbritannien auch auf Autos aus jener Zeit bezieht – die sogenannten „Edwardians“.

Dazu passt der „Aufbau“, der statt einer Karosserie lediglich auf dem Chassis montierte Sitzgelegenheiten umfasst.

Man würde das Erscheinungsbild des Wagens jedenfalls irgendwo zwischen 1905 und 1910 verorten – das wird sich noch als zutreffend und zugleich „nicht ganz richtig“ erweisen.

Unerwartet schwierig wird es, wenn es um die Ansprache des Herstellers geht. Ein sechszackiger Stern auf dem Kühler mit den beiden Großbuchstaben „MM“ darin sollte doch mühelos einem bestimmten Fabrikat zuzuordnen sein, möchte man meinen.

Ist es auch, bloß kam ich erst nicht sofort darauf. Ich hatte mich von dem gedoppelten „M“ auf die falsche Fährte locken lassen. Und nein: „MM“ steht mitnichten für Metallurgique-Maybach, auch wenn es perfekt passt – ein kurioser Zufall, nebenbei.

Zwar war es die belgische Firma Metallurgique, welche ab 1905 das Kürzel „MM“ verwendete, das auf etlichen Bauteilen der damaligen Wagen erscheint. Doch das zweite „M“ stand für den Firmensitz „Marchienne-au-Pont“.

Ebendort hatte man 1907 ein neues Spitzenmodell herausgebracht, welches die Basis des späteren Metallurgique-Maybach darstellen sollte. Die Rede ist vom fast 100 PS leistenden Vierzylindertyp 60/80 CV mit 9,9 Litern Hubraum.

Einer dieser Riesen fand damals einen britischen Käufer und wurde 12 Jahre später – anno 1919 – Gegenstand einer bemerkenswerten „Fusion“. So wurde das Chassis verlängert und der Motor durch etwas ersetzt, was das ursprüngliche Aggregat in den Schatten stellte.

Verbaut wurde ein 6-Zylindermotor aus dem süddeutschen Hause Maybach, der vor dem 1. Weltkrieg als Antrieb für Boote und Luftschiffe gefertigt worden war. Mit gigantischen 21 Litern Hubraum leistete der Motor 180 PS bei einer Drehzahl von weniger als 1500 U/min.

Der in der englischen Grafschaft Norfolk lebende neue Eigner dieser Schöpfung hatte nur zwei Jahre Freude daran – er starb bereits 1921. Fast 30 Jahre schlummerte der Metallurgique-Maybach anschließend einen Dornröschenschlaf.

1951 erfuhr ein ebenfalls in der Region lebender Enthusiast – Gordon Fitzpatrick (1906-1986) von der Wiederentdeckung des Monsters und erwarb es.

Gemeinsam mit einem motorenkundigen ehemaligen deutschen Kriegsgefangenen brachte Fitzpatrick den Wagen wieder zum Laufen und verpasste ihm einen selbstentworfenen Aufbau, da die Ausführung von 1919 nicht mehr nach „Edwardian“ aussah.

Die vom ursprünglichen Metallurgique stammende Haubenpartie wurde beibehalten. Fitzpatrick setzte den 180 km/h schnellen Wagen bei Wettbewerben ein und fuhr außerdem damit durch halb Europa.

Bei einer solchen Gelegenheit muss das heute vorgestellte Foto entstanden sein. Wann und wo genau das war – und wen es am Steuer zeigt – muss bisher offen bleiben.

Der Metallurgique-Maybach wechselte wiederholt den Besitzer, präsentiert sich aber immer noch in dem großartigen Zustand, in den ihn einst Gordon Fitzpatrick versetzt hat. Ob man das Auto nun als echten Edwardian ansieht oder nicht, ist letztlich unerheblich.

Es ist auf jeden Fall ein authentisches Zeugnis vom Weiterleben eines frühen Supersportwagens aus einer Epoche, in der hauptsächlich Hubraum und Haltbarkeit sowie die völlige Furchtlosigkeit der „Insassen“ über die Leistungsfähigkeit bestimmten.

Und nun genießen Sie die Details dieses Fabeltiers, vielleicht werden Sie auch das eingangs erwähnte Kürzel „MM“ dabei wiederentdecken:

Videoquelle: Youtube.com; hochgeladen von Classic Motorcars Holland

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Mehr Sein als Schein? NAG-Protos 14/70 PS Pullman

Bei der Suche nach einem griffigen Titel für meinen heutigen Ausflug ins Berlin der frühen 1930er Jahre haderte ich mit mir: Was war angemessener: „Mehr Schein als Sein„? oder doch eher „Mehr Sein als Schein„?

Ich muss zugeben: So klar mein Votum in Sachen Berlin heute ausfällt – wo ein Juwel wie das Pergamon-Museum wegen Bauarbeiten einfach auf viele Jahre schließt (nicht nur die Stuttgarter wissen, was daraus werden kann…) – so unentschieden bin ich, was das Fahrzeug angeht, was dort einst abgelichtet wurde:

NAG-Protos 14/70 PS Pullman-Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Eine nette Situation, die auch nach über 90 Jahren von der freundlichen jungen Dame lebt, mögen Sie jetzt denken.

Doch die dunkle Limousine, herrje, was mag das schon Besonderes gewesen sein? Irgendeiner der vielen Ami-Schlitten, die seit den späten 1920er Jahren das Straßenbild der Hauptstadt stark prägten…

Tatsächlich findet sich das einzige auffallende Element – die auf zwei Felder aufgeteilten waagerechten Entlüftungschlitze in der Motorhaube – bei dem einen oder anderen US-Modell jener Zeit, wie ich irgendwann beim Durchblättern des einschlägigen „Standard Catalog of American Cars“ von Kimes/Clarke nebenher registriert hatte.

Sehen Sie es mir nach, dass ich gerade keine Lust habe, das rund 1.600 Seiten starke Werk nochmals zu konsultieren, das selbst die Bemühungen der Briten bei der Dokumentation der heimischen Automobilfabrikation weit in den Schatten stellt.

Jedenfalls hatte sich der Hersteller dieses Gefährts an den damals führenden Gestaltungsprinzipien der amerikanischen Großserienhersteller orientiert. War „Mehr Schein als Sein“ das Resultat?

Nun, zumindest was die Dimensionen und die Motorisierung angeht, kann davon keine Rede sein. Ein Radstand von 3,40 Metern, eine Höhe von 2 Metern und ein 70 PS starker Sechszylindermotor mit im Kopf hängenden Ventilen – das war absolut konkurrenzfähig.

Wenn Sie sich fragen, wie ich diese Informationen aus dem eingangs gezeigten Foto herausgezogen habe, dann darf ich auf meine stetig wachsende Bilddokumentation von Marken und Typen der Vorkriegszeit in den Galerien meines Blogs verweisen.

Eine dreistellige Zahl von Herstellern aus Europa und Übersee sowie Dokumente im vierstelligen Bereich sind dort für jedermann zugänglich. Ich bin selbst einer der eifrigsten Besucher, denn ich kann längst nicht alles im Kopf behalten, was ich in den letzten knapp 10 Jahren vor die virtuelle Flinte bekommen habe.

So musste ich auch im vorliegenden Fall einen Moment suchen, bis ich beim Berliner Hersteller NAG fündig wurde, der unter der Marke NAG-Protos zwischen 1928 und 1930 diesen repräsentativen Wagen in Manufaktur fertigte:

NAG-Protos 14/70 PS Pullman-Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Über die vollkommene Übereinstimmung der beiden Fahrzeuge muss ich sie nicht belehren. Eventuell handelt es sich sogar um denselben Wagen, auch wenn zwischen dem Erwerb der Fotos mehrere Jahre liegen.

Nun verstehen wir auch, warum sich die Dame auf der eingangs gezeigten Aufnahme so zu dem mächtigen Wagen hingezogen fühlte, als sei es ihrer: „Mehr Schein als Sein“ – in diesem Fall ein sympathischer Reflex.

So konnte man es der buckligen Verwandschaft auf dem Lande einmal richtig zeigen, die außer dem Opel des Hausarztes kaum je ein Automobil zu Gesicht bekam.

Was haben wir aber von dem NAG-Protos selbst zu halten? Ich „weiß“ auch nur das Wenige, was in der Literatur zu der Marke zu lesen ist – etwa, dass darin eine kuriose halbautomatische Kupplung verbaut wurde, deren Nutzen zweifelhaft scheint.

In der Praxis zählte neben dem schönen Schein ohnehin etwas anderes – der Preis im Vergleich zu den damals dominierenden „Amerikanerwagen“. Und spätestens kommt man doch nicht umhin festzustellen: „Mehr Schein(e) als Sein„.

So waren für die Pullman-Limousine des NAG-Protos 14/70 PS atemberaubende 13.500 Reichsmark hinzublättern. Der amerikanische Buick 15/75 PS – ebenfalls mit 6-Zylindermotor (ohv) und wie der NAG-Protos mit mechanischen Bremsen – war als 6-Fenster-Limousine für 8.350 Mark zu bekommen, bot allerdings nicht so viel Platz.

Ob der Pullman-Aufschlag wirklich gerechtfertigt war, das könnten uns nur die Käufer von einst sagen. Sie kannten die US-Konkurrenz kannten und entschieden sich dennoch für den NAG-Protos.

Speziell für Käufer mit anatomisch bedingt erhöhtem Platzbedarf lautete das Fazit wohl am Ende doch ganz praktisch „Mehr Sein als Schein“ und der NAG machte das Rennen…

NAG-Protos 14/70 PS Pullman-Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Traumschiff anno 1927: Studebaker Big Six „Victoria“

Das letzte Mal, dass ich „Das Traumschiff“ sah, muss bald 40 Jahre zurückliegen. Damals wohnte ich als Schüler noch zuhause und kam in den Genuss solcher Meisterwerke des westdeutschen Staatsfernsehens.

Angeblich gibt es die Serie immer noch, aber da ich seit meinem Auszug nie wieder ferngesehen habe (den Zwangs“beitrag“ zahle ich trotzdem), weiß ich weder, wie der Dampfer heute aussieht noch wer dort als Kapitänsdarsteller fungiert.

Daher kann ich ganz unvoreingenommen (wie es meine Art ist…) an ein Gefährt gehen, welches meiner Vorstellung von einem Traumschiff viel näherkommt als die schwimmenden Massenquartiere mit x Restaurants und Einkaufszentren.

Dazu versetze ich mich in die Situation eines betuchten Paares irgendwo im deutschsprachigen Raum in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre und stelle mir vor, was dieses wohl unter einem Traumschiff verstanden hätte.

Nun, reichlich Platz für zwei plus reichlich Gepäck, perfekten Rundumblick, die Option auf den Himmel über einem und die Aussicht auf die weite Welt direkt vor einem. Angetrieben sein sollte das Schiff von einem kraftvollen Aggregat, das unangestrengt seine Arbeit verrichtet.

Damit ließe sich kommod und elegant auf Reisen gehen, möchte man meinen. Wie das Ergebnis eines solchen schönen Traums damals aussehen konnte, das darf ich heute anhand einer Aufnahme zeigen, die ich erst dieser Tage erworben habe.

An dem Dokument gefällt mir nicht nur die traumhafte Inszenierung irgendwo an einem See im Alpenraum, sondern auch, dass es ein „Traumschiff“ zeigt, das wohl auch altgediente Kenner der Materie noch nicht oft zu Gesicht bekommen haben:

Studebaker „Big Six“ Victoria Modelljahr 1927; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wer auch immer hier einst auf den Auslöser gedrückt hat, verstand sein Handwerk perfekt. Dieses Foto hätte jeden Verkaufsprospekt geadelt und wäre in jedem Gesellschaftsmagazin ein Glanzstück gewesen. Leider ist umseitig nichts vermerkt.

So müssen wir uns wie so oft unsere eigenen Gedanken dazu machen, was aber zum Reiz der Beschäftigung mit diesen Zeugen der Vergangenheit beiträgt.

Hand auf’s Herz: Wer von Ihnen hat schon einmal ein Fahrzeug dieses Typs gesehen? Und wer hat auf Anhieb gewusst, worum es sich handelt?

Dabei war dies kein rares Manufakturmobil, wie man aufgrund der ungewöhnlichen Karosserie vermuten konnte, die sich dadurch auszeichnet, dass sich die hintere Dachpartie wie bei einem Landaulet öffnen lässt – bloß, in Verbindung mit einem Coupé-Aufbau.

„Victoria“ nannte man das in der englischsprachigen Welt. Zufälligerweise fand sich in meinem Fotobestand eine Aufnahme, die einen sehr ähnlichen Wagen zeigt, auf dessen Nabenkappe ein „S“ zu sehen ist, ein Hinweis auf die US-Marke Studebaker:

Studebaker „Victoria“ Modelljahr 1927; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Während die Ansprache als „Studebaker“ von 1927 sicher ist, konnte ich den genauen Typ in diesem Fall noch nicht ermitteln. In Frage kommen die drei Sechszylindermodelle „Standard Six“, „Big Six“ und „President Big Six“ – mit Leistungen zwischen 50 und 75 PS.

Letztlich zählt aber nur, dass diese Aufnahme mir die Identifikation des „Traumschiffs“ als Fabrikat von Studebaker aus South Bend im US-Bundesstaat Indiana ermöglichte. Alle weiteren Details lieferte dann das Ausgangsfoto selbst.

Die Datierung auf 1927 ergibt sich aus Details wie dem langen Dachüberstand (1928 wich er einer verstellbaren Sonnenblende) und die Identifikation als „Big Six“ aus dem Vorhandensein von Scheibenrädern, welche es in dieser Form nicht beim kleineren Standard Six gab:

Den „Victoria“-Aufbau gab es beim noch größeren „President Six“ nicht, allerdings verfügte der „Big Six“ über denselben Antrieb in Form eines seitengesteuerten Reihensechszylinders mit 75 PS Höchstleistung aus satten 5,8 Litern Hubraum.

Man mag jetzt mäkeln, dass der Ventiltrieb technisch überholt war. Doch wenn ich damals die Wahl gehabt hätte zwischen einem sportlichen kleinen Aggregat mit kopfgesteuerten Ventilen und hoher Drehzahlfestigkeit und einem großvolumigen Motor mit massig Drehmoment schon bei niedrigen Touren, hätte ich als Reisewagen stets die US-Lösung bevorzugt.

Speziell auf Alpentouren waren diese bärenstarken Motoren überlegen, wenn es darum ging, schaltarm und mit nur geringer Belastung „über’n Berg“ zu kommen. Nicht zuletzt waren die US-Maschinen konstruktiv auf astronomische Laufleistungen ausgelegt.

Was in den Staaten mit ihren enormen Entfernungen gut war, konnte nicht verkehrt sein, wenn man – sagen wir – von Hamburg nach Salerno fahren wollte, weil man die unweit gelegenen grandiosen griechischen Tempel von Paestum sehen wollte.

Für solche Bildungsbürger-Träume war das Schiff von Studebaker in Form des Big Six wie gemacht und gern macht man sich Gedanken darüber, wohin es dieses junge Paar aus deutschen Landen einst mit ihrem eleganten „Victoria“ einst verschlagen hat:

Nebenbei illustriert dieser Ausschnitt, was Vorkriegswagen so anders macht als Fahrzeuge der Nachkriegszeit.

Ja, das Outfit der beiden lässt sich mit einiger Geduld noch heute rekonstruieren – und aus eigener Erfahrung darf ich sagen: man fühlt sich besonders seriös darin – doch versuchen Sie einmal diese Aufnahme mit irgendeinem Mobil der Neuzeit nachzustellen.

Auch deshalb bleiben diese großartigen vierrädrigen Schöpfungen nach so langer Zeit auf ganz eigene Weise Traumschiffe…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Vorkrieg, Nachkrieg? Nicht zu kriegen? Salmson S4

Keine Sorge – der Titel meines heutigen Blog-Eintrags kommt nur scheinbar kriegerisch daher.

Denn es geht diesmal um ein Automobil, das einen den Krieg glatt vergessen lässt, der zu soviel Elend im 20. Jahrhundert geführt hat und nach der von 1914-1918 geleisteten „Vorarbeit“ dem alten Europa endgültig den Rest gegeben hat.

Dabei gibt es Orte, an denen man glaubt, dass die Zeit in dem Moment stehengeblieben sei, an dem die Gestaltung von Luxusautomobilen zu regelrechten Skulpturen geführt hat. An einem dieser Orte weilte ich vor fast 10 Jahren – Schloss Chantilly nördlich von Paris.

Dort besuchte ich auf dem Weg zum Goodwood Revival in England den alljährlichen Concours d’Elegance, der zu den großartigsten seiner Art in Europa zählt.

Man kann dort neben den üblichen Verdächtigen von Bugatti über Mercedes bis zu Rolls-Royce auch Vertreter der französischen Karosseriebaukunst der 1930er Jahre bestaunen, die man hierzulande selten zu Gesicht bekommt.

Dazu muss man nicht die Displays von Delage oder Delahaye aufsuchen, schon bei einem in der oberen Mittelklasse anzusiedelnden Hersteller wie Hotchkiss kommt man auf seine Kosten.

Wo hat man zuletzt so hinreißende Heckpartien gesehen?

Concours d’Elegance auf Schloss Chantilly 2015; Bildrechte: Michael Schlenger

Angesichts solcher Schönheit – die selbst einen banalen Gegenstand wie ein Reserverad in den Adelsstand zu erheben vermag – vergisst man für einen Moment, dass dies rare Zeugen einer untergegangenen Welt sind.

Zu den wenigen Vorteilen unserer in kultureller und ästhetischer Hinsicht unfruchtbar gewordenen Zeit zähle ich die Möglichkeit, sich auf solche Zeitreisen begeben zu können, sofern man über ein Automobil und etwas Muße verfügt.

Man muss nicht unbedingt im nahegelegenen Chateau de Fosseuse nächtigen, obwohl dieses exklusive Vergnügen es wert ist. Man sollte solche seltenen Gelegenheiten nutzen, das sauer verdiente Geld auch einmal hemmungslos auszugeben.

Günstiger sind die virtuellen Ausflüge in die große Zeit des französischen Automobilbaus, welche die Internet-Technologie ermöglicht.

In dem Zusammenhang ist mir wichtig, meinen Lesern den Zugang zur Autowelt von gestern, den mein Blog bietet, kostenlos und werbefrei zu halten. Ich erinnere ab und zu daran, weil das nicht selbstverständlich ist und mich der Spaß einen Batzen Geld pro Jahr kostet.

Genug von solchen Banalitäten – heute haben wir das Luxusproblem, dass sich nicht sagen lässt, ob diese 1951 entstandene Aufnahme aus meiner Sammlung einen Wagen der Vorkriegszeit zeigt oder ein Nachkriegsfabrikat:

Salmson Typ S4-61, aufgenommen 1951; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Mir war früh klar, dass es sich um ein französisches Modell handeln muss – dermaßen exaltierte Vorderkotflügel findet man eigentlich nur westlich des Rheins.

Nachdem ich Delage und Delahaye ausgeschlossen hatte, die ab Mitte der 1930er Jahre mit solchen eleganten Aufbauten versehen wurden, wusste ich erst einmal nicht weiter.

Zum Glück hatte ich vor einigen Jahren auf Facebook eine auf Vorkriegsautos auf alten Fotos beschränkte Gruppe geschaffen, die inzwischen über 1.500 Mitglieder weltweit hat.

Es dauerte nur ein paar Stunden, bis ein britischer Enthusiast die französische Marke „Salmson“ als Lösung vorschlug. Jetzt können Sie sagen, dass das doch klar ist – ja mag sein, dass Sie das wissen, aber wie erfahre ich davon?

Genau darin liegt der Wert der Online-Medien, mögen diese wie alle Technologien Vor- und Nachteile haben, Nutzen stiften und Risiken bergen wie jedes banale Brotmesser.

Das Stichwort „Salmson“ genügte mir letztlich, um den Rest selbst herauszufinden.

Das Auto auf meinem Foto war ein Typ S4-61, wie er ab 1938 gebaut wurde. Der Wagen besaß einen schon 1932 eingeführten und stetig weiterentwickelten – damals einzigartigen – 1,7 Liter-Vierzylindermotor mit zwei obenliegenden Nockenwellen.

Garniert wurde dieses Aggregat mit synchronisiertem Vierganggetriebe oder optionalem Cotal-Vorwählgetriebe, außerdem unabhängiger Vorderradaufhängung mit Torsionsstabfederung.

Ich wüsste keine vergleichbare Konstruktion aus deutscher Produktion in dieser Hubraumklasse – das stolze Selbstbild der einheimischen Autoindustrie erweist sich bei längerer Beschäftigung mit ausländischen Fabrikaten ohnehin als wenig fundiert.

Eine Sache stellt sich allerdings als problematisch heraus, was den Salmson S4-61 angeht. Das Modell wurde nämlich nach dem 2. Weltkrieg noch eine Weile weitergebaut.

Ob das heute vorgestellte Foto nun aus Vorkriegs- oder Nachkriegsproduktion war, ist aber letztlich egal – Stil und Konstruktion stammten unverkennbar aus den 30er Jahren. Letztlich ist dieses Auto also nicht zu kriegen – zumindest was sein Herstellungsdatum betrifft.

Bemerkenswert ist aber, dass Exemplare dieser in Manufaktur gefertigten Schöheiten in natura doch noch zu kriegen sind – entweder zum Gegenwert eines banalen VW Golf GTI aktueller Produktion oder eines schrottreifen Jaguar E-Type – ein zwar hinreißender Wagen, aber ein immer noch massenhaft verfügbares Großserienfabrikat.

Sollte man dann nicht lieber doch so etwas in Erwägung ziehen – auch wenn man über die Farbgebung streiten kann?

Videoquelle: Youtube.com; hochgeladen von Gentry Lane

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Spurensuche: Beckmann-Automobile (1921-1924)

Schon neigt sich der Mai dem Ende zu, der dieses Jahr leider nicht so wonnevoll ausfällt, wie das seinem Ruf entspricht.

Mit Niederschlag satt setzt sich die Tendenz des Winters fort – man sieht wieder: Das Wetter macht letztlich, was es will und entzieht sich der Prognose über zwei, drei Tage hinaus.

Wenn man nun meint, dass sich in der Vergangenheit mehr Gewissheit findet, der irrt. Das gilt zumindest im Hinblick auf viele verblichene deutsche Automarken, über die nach wie vor viel zu wenige Informationen in geordneter Form vorliegen.

Dass man daran etwas ändern kann, das zeigt die virtuelle Reise auf den Spuren der Breslauer Automarke Beckmann, die ich gemeinsam mit dem vor 80 Jahren noch in Schlesien geborenen Beckmann-Nachfahren Christian Börner seit bald einem Jahr in diesem Blog unternehme.

Die letzte Folge brachte uns in die Zeit kurz nach dem 1. Weltkrieg – daran knüpfen wir heute an.

Das Kriegsende bedeutete bei aller Erleichterung über das Ende des Gemetzels an der Front für den Großteil der Bürger in Deutschland neue Härten – Hunger, drohenden Bürgerkrieg, wirtschaftliche Ausplünderung durch die Siegermächte, nicht zuletzt explodierende Inflation. Ich übergebe nun an Christian Börner:

„Der Wiederanlauf der Produktion von Automobilen verlief zäh, die einst zahlungskräftige Kundschaft der gehobenen Mittel- und Oberschicht war ausgedünnt.

Die Hersteller hatten ihre Belegschaften meist nicht auf dem Vorkriegsstand halten können. So erging es auch Beckmann. In ihrer Blütezeit – etwa von 1907 bis 1912 – hatte die Breslauer Firma bis zu 500 Beschäftigte; nach dem Krieg waren es nur noch 200, Tendenz fallend.

Wie bei anderen deutschen Fabrikaten wurde produktionsseitig erst einmal an Bewährtem angeknüpft. Wieder angeboten wurde der robuste 8/20 PS-Vierzylindermotor in Monoblock-Bauweise mit 2,1 Litern-Hubraum. Er sollte es auf elf Produktionsjahre bringen (von 1912 bis 1922), wobei es auch eine modernisierte Version 8/24 PS gab.

Mit diesem Aggregat bewegte sich Beckmann auf Augenhöhe mit dem ebenfalls noch vor dem Krieg entwickelten Benz 8/20 PS – nun in Verbindung mit einer Linienführung, die um 1920 typisch für den deutschen Karosseriestil war:

Beckmann 8-20 PS Tourenwagen aus Prospekt von 1920; via Christian Börner

Modisch war in deutschen Landen – und auch bei den österreichischen Nachbarn – die Verwendung eines mehr oder weniger schnittigen Spitzkühlers, aber auch die markante Zweifarblackierung mit dunkel vom Wagenkörper abgesetzter „Schulter“ (so der Fachbegriff) fand sich damals öfters.

In meinem Fundus an unveröffentlichten Fotos jener Zeit befindet sich diese Aufnahme, die ein dem Beckmann von Anfang der 1920er Jahre sehr ähnliches Automobil zeigt. Das könnte glatt ein solcher Typ 8/20 PS aus Breslauer Fertigung sein, fehlte hier nicht das ovale Markenemblem auf dem Kühlergehäuse:

Beckmann-ähnlicher Tourenwagen um 1920; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die Aufnahme soll illustrieren, wie wahrscheinlich es ist, dass sich auf den vielen tausenden erhaltenen Autofotos dieser Epoche noch der eine oder andere bislang unerkannte Beckmann-Wagen versteckt.

In dem Zusammenhang wären speziell Aufnahmen oder Prospektabbildungen nützlich, welche die Kühlerpartie von Beckmann-Autos aus so einer Perspektive zeigen.

Bei Beckmann blieb man angesichts der Konkurrenz stärkerer 30 PS-Modelle von Apollo, NAG, Presto, Protos und Selve nicht untätig und bot ab 1919 auch einen 10/30 PS-Vierzylinder an. Laut Christian Börner war dies noch ein selbstentwickeltes Aggregat.

Verbaut wurde es insbesondere in Tourenwagen, deren Gestaltung der bereits erwähnten neuen Linie folgte – wobei man ab 1921 zu einem noch stärker ausgeprägten Spitzkühler überging. Vermutlich spiegelte dieser auch die anderen thermischen Verhältnisse des mit 2,6 Litern wesentlich größeren 30 PS-Aggregats wider:

Beckmann 10-30 PS Tourenwagen aus Prospekt von 1921; via Christian Börner

Hier sieht man nun in wünschenswerter Deutlichkeit das dem „Opel-Auge“ ähnelnde Markenemblem von Beckmann, das beiderseits der Kühlerspitze angebracht war.

An Deutlichkeit in dieser Hinsicht sehr zu wünschen übrig lässt indessen die folgende Aufnahme aus meiner Sammlung, die ich gleichwohl zeigen will, da sie einen weiteren Kandidaten für einen Beckmann-Wagen zeigt.

Außerdem ist dies ein Dokument von großem menschlichem Reiz:

Beckmann-ähnliche Pullman-Limousine um 1920; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Während die beiden kleinen Strolche auf dem Kühler allerliebst in die Kamera schauen, wirft ihnen die Mutter – oder vielleicht das für sie verantwortliche Kindermädchen – einen strengen Blick zu nach dem Motto: „Benehmt Euch bloß, sonst setzt es was!

Der wackere Chauffeur mit dem messerscharfen Scheitel und fahrertypischer „Uniform“ wahrt unterdessen die Contenance – er wusste sich selbstredend zu benehmen als gut bezahlter Angestellter bei Herrschaften, die sich solch ein Luxusautomobil leisten konnten.

An dieser Stelle schaltet sich Christian Börner ein und erinnert mich daran, dass wir besser beim Thema Beckmann bleiben, bevor ich weiter abschweife. Das kommt aber davon, wenn er sich zwischenzeitlich mitsamt Gattin nach Italien absentiert und mir die Aufbereitung des Materials überlässt – dann machen sich meine Gedanken gern selbständig.

Doch Christian Börner weiß diese von mir eingeschmuggelte Aufnahme gewiss zu schätzen, ist sie doch die ideale Vorbereitung für die nächste Abbildung eines Beckmann-Wagens der frühen 1920er Jahre:

Beckmann Pullman-Limousine von 1923/24; Original: Sammlung H. Wulff

Verflixt„, höre ich Christian Börner jetzt sagen, „wäre die Kühlerpartie auf dem Schlengerschen Foto nicht verdeckt, könnte das glatt so eine Pullman-Limousine sein wie die, welche Beckmann für eine sehr vermögende Kundschaft ebenfalls anbot.“

Diese beeindruckend dimensionierte Limousine war großzügig verglast; ich zähle 8 Seitenfenster, dazu noch die wohl zweigeteilte Frontscheibe und eine, allerdings recht kleine Heckscheibe. Macht in der Summe (mindestens) 10.

Wenn es richtig überliefert ist, besaß dieses Luxusgefährt den nach dem 1. Weltkrieg neu entwickelten Beckmann-Motor 12/40 PS. Die Karosserie stammte allerdings nicht aus dem Hause Beckmann sondern von der bekannten Firma Schebera aus Rostock.

Was die Besitzer einst für dieses repräsentative Automobil auf den Tisch geblättert haben, sei dahingestellt. Vielleicht brachten sie mit dem Kauf noch einige Milliarden Mark in Sicherheit, wie das auf dem Höhepunkt der Inflationsspirale anno 1923 der Fall war.

Dann zahlten sie möglicherweise sogar stilgerecht mit Breslauer Inflationsgeld wie diesem:

Inflationsgeld aus Breslau von 1923; via Christian Börner

Die Käufer hätten aber genauso gut aus Berlin stammen können, wo laut Christian Börner eine Firma Markwald für den Vertrieb der Breslauer Wagen zuständig war – soviel zur Behauptung in der älteren Literatur, die Marke sei nur lokal in Schlesien präsent gewesen.

Pünktlich zum Ende des Inflationswahnsinns gab es im Programm von Beckmann ab 1923/24 auch ein 8/32 PS-Modell, das nun jedoch einen von Basse & Selve zugekauften Motor besaß. Die Linien dieses Wagens waren entschieden nüchterner:

Beckmann Typ 8/32 PS von 1924; via Christian Börner

Das Modell 8/32 PS markiert den Beginn der letzten Phase des Beckmann-Automobilbaus.

Gemeinsam mit Christian Börner will ich das Schlusskapitel der Marke im nächsten Monat angemessen würdigen – wobei ich schon jetzt ankündigen darf, dass es dabei noch einmal rasant zugehen wird – wie zu Zeiten der Blüte vor dem 1. Weltkrieg…

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Gut genug für 20 Jahre: Stoewer „Greif“

Genug von den 20er Jahren? Ist es das, was Sie vielleicht denken? Natürlich nicht in Bezug auf die Gegenwart – es ist ja alles perfekt wie nie zuvor in unseren Tagen, nicht wahr?

Aber die 1920er, die werden in meinem Blog vielleicht dem einen oder anderen zuviel. Auch wenn ich diesen unbeabsichtigten Schwerpunkt erklären kann:

Die 30er haben zwar die großartigeren Karosserie-Kreationen hervorgebracht – doch die Markenvielfalt war schon damals infolge der Auslese der Weltwirtschaftskrise arg reduziert.

Gleichzeitig bietet die Frühzeit bis zum 1. Weltkrieg zwar die größte Auswahl an Konzepten und Fabrikaten, doch aufgrund der geringen Stückzahlen ist das noch vorhandene Material nicht so umfangreich – so ergibt sich ein natürlicher Fokus auf die 20er Jahre.

Dennoch soll es heute um eine andere Ausprägung von 20 Jahren gehen – nicht als Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, sondern schlicht als Zeitraum von 20 Jahren.

Paradoxerweise wird die Welt in diesem Zeitraum zwar einmal auf den Kopf gestellt – doch eine Konstante begleitet uns dabei und bleibt erstaunlich auf der Höhe der Zeit.

Das Auto, das sich als „gut genug für 20 Jahre“ erwies, war der 1935 eingeführte Stoewer „Greif“ – anfänglich als „Greif Junior“ bezeichnet. Die aus der Insolvenzmasse von Röhr übernommene Konstruktion stammte ursprünglich von Tatra und ist kaum noch bekannt:

Ein luftgekühlter Vierzylinder mit 34 PS – war das nicht die Spezifikation des VW Käfer ab den 1960er Jahren? Nur mit dem Unterschied, dass der Hubraum 1,5 Liter statt 1,2 Liter beim VW betrug und der Stoewer „Greif“ nur 100 km/h schnell war – verglichen mit knapp 120 km/h beim Käfer (mein gut eingestellter 1200er schaffte das jedenfalls).

Aber: Anno 1935 gab es den VW nur als Vorserienexemplar und mit sparsamen 22 PS aus 1 Liter Hubraum. Damals war Stoewers Greif also eindeutig das bessere Auto und zudem tatsächlich zu kaufen, wenn auch für den Normalbürger unerschwinglich.

Dass der „Greif“ von Stoewer gut genug für die nächsten 20 Jahre war, das will ich mit einer Bilderserie illustrieren – die entgegen sonstiger Gewohnheit mit wenigen Worten auskommt.

Dabei unternehmen wir zugleich eine Zeitreise durch 20 Jahre deutscher Geschichte. Stellen Sie sich auf einige erstaunliche Begegnungen ein. Den Anfang macht diese elegante Limousine mit Berliner Zulassung:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Das Modell gab es außerdem als schicke Cabriolet-Limousine mit besonders schnittiger Optik, wie an diesem Exemplar aus Süddeutschland zu besichtigen:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Doch auch ein vollwertiges Cabriolet ohne die feststehenden Seitenteile der Cabriolimousine war zu bekommen – hier ein Beispiel wiederum aus dem Raum Berlin:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ein adrettes Automobil war das, finden Sie nicht? Dabei kennt ihn heute kaum einer mehr.

Der Stoewer Greif wurde sogar in einem zeitgnössischen Tankstellenaushang eigens hervorgehoben – und zwar in ziemlich rasanter Form – bei dem es um Kraftstoffe für die damals in Deutschland gebräuchlichen Autotypen ging:

Standard-Reklame mit Abbildung einer Stoewer „Greif“-Limousine; Original: Sammlung Michael Schlenger

Eine weitere Aufnahme aus meinem Fundus zeigt wieder eine im Raum Berlin zugelassene Limousine dieses Typs. Hier gefällt mir vor allem der unzeitgemäße Haarschnitt des jungen Manns auf der Fahrerseite in Verbindung mit der verwegenen Krawatte:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ein weiteres hübsches Dokument, das einen Stoewer „Greif“ in Friedenszeiten zeigt, ist das folgende, welches im schlesischen Liegnitz entstand. Zum Aufnahmezeitpunkt ging meine Mutter dort noch auf die Grundschule, während diese junge Dame schon volljährig war:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Damit hätten wir die ersten fünf Jahre der Karriere des Stoewer Greif abgedeckt.

Zwar endete im Jahr des Kriegsausbruchs 1939 die Produktion des Wagens – Stoewer baute von nun an Militärfahrzeuge – doch das Modell sollte noch ein langes Leben vor sich haben, auch wenn die Umstände denkbar ungünstig waren.

Hier sehen wir nun ein frisch für die Wehrmacht beschlagnahmtes ziviles Exemplar wohl im Jahr 1940 während des deutschen Angriffs auf Frankreich:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Zwei deutsche Soldaten bei der Morgenwäsche – was hier noch friedlich wirkt, stellt sich beim nächsten Dokument schon ganz anders dar. Hier sehen wir nämlich einen Stoewer Greif inmitten einer deutschen Militärkolonne während des Kriegs gegen die Sowjetunion:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wie die Sache ausgeht, wenn es mit deutscher Arroganz gegen die angeblich primitiven Ostvölker geht, scheint heute bei vielen Zeitgenossen in Vergessenheit geraten zu sein.

Deshalb kann man nicht oft genug daran erinnern, was man auslöst, wenn man sich einmal leichtfertig auf die militärische Option (sofern man eine hat..) einlässt.

Daran ändert auch die vermeintliche Harmlosigkeit vieler Privataufnahmen aus Kriegszeiten nichts. Diese hier entstand im Mai 1944 – also vor genau 80 Jahren – irgendwo in Deutschland und zeigt einen Stoewer Greif im Dienst einer Luftwaffeneinheit:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Zu diesem Zeitpunkt war das Kriegsende nur noch ein Jahr entfernt, doch bis dahin sollte es auf deutscher Seite mehr Opfer geben als im gesamten bisherigen Kriegsverlauf.

Ob der bieder wirkende ältere Militär rechts – wohl ein Veteran des 1. Weltkriegs – „seine Jungs“ nach Möglichkeit schonte oder sie rücksichtslos verheizte, als die Front näherrückte – wer kann das wissen?

Der Krieg entfaltet seine eigene unheilvolle Dynamik – schon allein deshalb gilt es ihn möglichst zu vermeiden, sofern es nicht um das blanke Überleben eines Volkes geht.

Im Mai 1945 – rund 10 Jahre nach Erscheinen des Stoewer Greif – schwiegen zumindest in Europa die Waffen. Nicht allzulange Zeit danach entstand irgendwo in Hessen dieses Dokument, das zeigt, dass das Leben weiterging:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Selbst im zerbombten und in den letzten Kriegswochen zerschossenen Berlin oder dessen Umland scheint der andere oder andere Stoewer Greif irgendwie überlebt zu haben.

Jedenfalls sehen wir hier ein Exemplar, das 1952 im Grunewald abgelichtet wurde:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die Cabrio-Limousine scheint die Kriegswirren gut überstanden zu haben, obwohl das Modell gern für das Militär einkassiert worden war und nur selten heil die Zeit überstand.

Noch bemerkenswerter finde ich aber etwas anderes: Der Wagen wirkt auch auf diesen Nachkriegsaufnahmen keineswegs „aus der Zeit gefallen“ oder einfacher gesagt: veraltet.

Erinnern wir uns: Anfang der 1950er Jahre war der VW Käfer nach mühsamem Beginn dank britischer Starthilfe allmählich ins Laufen gekommen. Aber damals war er immer noch dem Stoewer in vielen Belangen unterlegen.

Neben der besseren Motorisierung bot der Stoewer auch hydraulische Bremsen, während der Volkswagen – wenn ich mich nicht irre – noch mit seilzugbetätigten Bremsen unterwegs war. Natürlich funktioniert das, aber es hat schon seinen Grund, weshalb sich die Hydraulikbremse ab den 1920er Jahren – da sind sie wieder! – durchzusetzen begann.

Wie gut der Stoewer Greif auch nach 20 Jahren noch in die Zeit passte – von seiner Eleganz her – das illustriert das für heute letzte Foto, das Mitte der 1950er Jahre entstand:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

So sehr ich meinen Käfer für seine langjährigen Alltagsdienste (er gab erst bei 220.000 km mit erstem Motor auf) schätzte, könnte ich mir vorstellen, dass nach dem 2. Weltkrieg genausogut der Stoewer Greif das Rennen hätte machen können.

Doch das Werk in Stettin war ein Opfer des Kriegs geworden und nicht auf Großserienproduktion ausgelegt gewesen. Nur 4.000 Wagen des Stoewer Greif wurden zwischen 1935 und 1939 gebaut.

Eine ganze Reihe davon haben wir heute auf ihrem Weg durch die Zeiten begleitet und man darf wohl das Fazit ziehen, dass diese Konstruktion ohne weiteres „gut genug für 20 Jahre“ war, ohne dabei irgendwie alt auszusehen.

Sehen Sie es mir nach diesem Ausflug durch bewegte Zeiten nach, dass mich der nächste Blog-Eintrag wieder in die 20er Jahre zurückführt. Das ist auch nicht meine Schuld, vielmehr will der nächste Abschnitt der „Beckmann-Spurensuche“ angegangen werden…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Big in Japan: Ein Franklin „Six“ von 1930

Wer glaubt, dass wir heute einen Retro-Trip in die 1980er Jahre unternehmen – irgendwie mit einem Umweg in die Vorkriegszeit verknüpft – den muss ich enttäuschen.

Mancher wird zwar bei „Big in Japan“ an den gleichnamigen Hit der westdeutschen Popgruppe „Alphaville“ denken, die damals wie viele andere hiesige Musiker auch international geschätzt wurde – heute unvorstellbar – doch geht es um etwas anderes.

Dass wir am Ende doch bei einem musikalischen Phänomen landen werden, welches das Prädikat „Big in Japan“ verdient, ist nicht unbeabsichtigt.

Doch bevor wir die Reise ins Land der aufgehenden Sonne unternehmen, das in den Nachrichten komplett ausgeblendet wird (weil es von dort nicht gewisse Probleme zu berichten gibt, die sich der Westen selbst geschaffen hat) geht es nach Syracuse.

Nein, dies ist keiner meiner vielen Flüchtigkeitsfehler, die der fortgeschrittenen Stunde geschuldet sind, zu der ich meinen Blog fortschreibe – es ist nicht das antike Syracus bzw. das moderne Siracusa in Sizilien gemeint.

Wir begeben uns tatsächlich nach Syracuse im US-Bundesstaat New York, wo der Wagen einst gebaut wurde, den wir dann „Big in Japan“ sehen – also „Erfolgreich in Japan.“

In dieser für amerikanische Verhältnisse eher kleinen Großstadt war von 1902-1934 die Fertigung des erfolgreichsten US-Autos mit luftgekühltem Motor beheimatet. Die lange Geschichte dieser einzigartigen Marke will ich Ihnen ersparen.

Das Wichtigste lässt sich im Netz nachlesen – festzuhalten ist an dieser Stelle nur, dass die für ein amerikanisches Fabrikat schwach motorisierten Sechszylinderautos 1925 eine (funktionslose) Kühlerfront erhielten, die sie wie einen „normalen“ Wagen aussehen ließen.

Die Franklins erhielten dadurch ein beeindruckendes Aussehen, was eine gewisse Kompensation für die geringe Leistung darstellte, welche sich aus bauartbedingten Grenzen für die Zylinderbohrung ergab. Noch 1928 leistete ein Franklin nur 46 PS.

Doch 1929 gelang es, ein 60 PS starkes Aggregat zu installieren, was nun perfekt zu seinem Auftritt „Big in Japan“ passt:

Franklin, Modelljahr 1929; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Darauf, dass diese Aufnahme in Fernost entstanden sein könnte, kommt man vielleicht nicht gleich. Kleine Indizien dafür liefern die Straßenlaternen und das eng geschnittene Kleid der Dame, die sich anschickt, in den Wagen auf der rechten Seite einzusteigen.

Wer weiß ich ob ich solche Feinheiten überhaupt bemerkt hätte, wenn nicht auf der Rückseite in deutscher (!) Sprache festgehalten worden wäre, dass es sich um eine Situation im japanischen Yokohama handelte.

Die zweitgrößte Stadt Japans war als schon damals bedeutendes Industrie- und Handelszentrum auch für westliche Geschäftsleute interessant.

Eine zeitgenössische Aufnahme dieser als Benten-Dori bekanntne Einlaufsmeile fndet sich hier – dort sieht man neben den markanten Straßenlaternen auch ein Automobil mit entsprechend gestaltetem Kennzeichen.

Wie nun der Franklin des Modelljahrs 1929 dorthin gekommen war, den wir uns zugewandt sehen, sei dahingestellt – vermutlich gehörte er nicht zu der Dame ganz links, da der Fahrer noch den Verschlag aufzuhalten scheint:

Angesichts der noch sehr begrenzten heimischen Autoproduktion – zu nennen ist vor allem Datsun (heute: Nissan) machten um 1930 vor allem US-Fabrikate das Rennen in Japan.

Wie „Big in Japan“ dabei Franklin war, dessen Produktion anno 1929 weniger als 20.000 Exemplare betrug (für US-Verhältnisse vernachlässigbar), muss offen bleiben. Vielleicht sehen wir hier den einzigen Franklin, der damals auf japanischen Straßen fuhr – wer weiß?

Damit endet unsere heutige Autotour, doch das Thema „Big in Japan“ soll am Ende doch noch eine unerwartete Wendung bekommen – nämlich in musikalischer Hinsicht. Zwar bin ich ein starrköpfiger Vertreter der Ansicht, dass die letzten 500 Jahre mehr Großartiges in dieser Hinsicht bieten als unsere kleine Gegenwart.

Doch registriere ich gewisse Leistungen auf diesem Sektor durchaus mit Wohlwollen, auch wenn sie es nicht mit Monteverdis „Orfeo“ oder Streichquartetten von Schubert aufnehmen können. Von zeitgenössischer Musik habe ich eigentlich keine Ahnung, doch bilde ich mir ein, dass ich handwerkliche und kompositorische Qualität zeitübergreifend erkenne.

Ein Beispiel dafür stellen die japanischen Damen vom Ensemble Tokyo Groove Jyoshi dar, welche nicht nur in ihrer Heimat „Big“ sind, sondern von Kennern weltweit ob ihres phänomenalen Könnens geschätzt und bewundert werden.

Und nein: Sie kopieren nicht einfach nur, sie verstehen diese eigentlich im Westen verwurzelte Musik vollkommen und interpretieren diese perfekt auf eigene Weise.

Ausgewählt habe ich ein Stück, das stilistisch gut zur Vorkriegszeit passt. Doch wenn sie einmal selber schauen, werden sie feststellen, dass diese adretten Damen (und speziell Juna Serita) auch in den Metiers Funk und Groove es mit sämtlichen Könnern aufnehmen:

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Blick unter die Haube: Mathis Typ MY Limousine

Freuen Sie sich bloß nicht zu früh, liebe Leser, wenn Sie meinen, dass der Titel meines heutigen Blog-Eintrags spannende Einblicke unter die Haube eines exotischen Vorkriegswagens in Aussicht stellt.

Wie immer ist die Überschrift die reine Wahrheit, meint aber eigentlich etwas anderes…

Dabei hätte ich in Sachen „Blick unter die Haube“ eigentlich etwas zu bieten, wenn ich nur wüsste, worum es sich handelt und wenn man etwas erkennen könnte.

Denn Leser Jörg Pielmann hat mir vor längerer Zeit in digitaler Form dieses Foto zugespielt:

unbekannter Zweisitzer um 1910; Originalfoto: Sammlung Jörg Pielmann

Diese bemerkenswerte Aufnahme ist in den 1960er Jahren in der DDR entstanden und dokumentiert die neben der Simson „Schwalbe“ für mich größte Errungenschaft des Sozialismus: Die frühzeitige Organisation und Präsentation eines großen Oldtimerbestands zu einer Zeit, als freudlose Ordnungsfanatiker im Westen jeden argwöhnisch beäugten, der sich für altes Blech (auch historische Möbel, Häuser usw.) begeisterte.

Im Osten unseres Landes hat sich über die Jahre des Wiederaufbaus eine Vorkriegsautoleidenschaft erhalten, die in der alten BRD ihresgleichen suchte. Ihr verdanken wir den Erhalt unglaublicher Schätze, auch wenn das DDR-Regime ab den 1970er Jahre aggressiv gegen Besitzer hochkarätiger Wagen wurde, die den am Rande der Pleite entlanglavierenden Planwirtschaftlern in Ostberlin als wertvolle Devisenbringer galten.

Nebenbei: Wer eine Idee hat, was wir für ein Automobil auf dem eingangs gezeigten Foto sehen, ist eingeladen, sein Wissen über die Kommentarfunktion kundzutun. Ich habe zwar einen Verdacht, kann diesen aber bislang nicht verifizieren – also nur zu!

Unterdessen gehen wir der Frage nach, was denn noch gemeint sein könnte mit dem angekündigten „Blick unter die Haube“ in Verbindung mit der französischen Automarke Mathis, die ein durchaus häufiger Gast in meinem Blog ist.

Wer mich ein wenig kennt, ahnt bereits, dass es sich um eine Szenerie ganz anderer Art handeln muss, bei der jemand – aus welchen Gründen auch immer – gerade unter die Haube gekommen ist, wie der Volksmund so schön sagt, wenn geheiratet wurde, wie das hier unübersehbar der Fall ist:

Mathis Typ MY; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

So gelungen die Komposition des Fotos ist und so erfreulich zunächst die Tatsache scheint, dass sich hier zwei für’s Leben zusammengefunden haben, muss ich doch einer gewissen Skepsis Raum geben.

Da es das Institut der Ehe seit Jahrtausenden bei allen Völkern gibt, darf man vermuten, dass es einen wichtigen Zweck erfüllt und sich im Großen und Ganzen bewährt hat – jedenfalls was den Arterhalt angeht, dem vornehmsten Ziel jeder Spezies.

Das Knüpfen enger, nicht ohne weiteres auflösbarer Bande zwischen Mann und Frau war und ist eine wichtige Voraussetzung für eine vordergründig sichere Aufzucht des Nachwuchses.

Gar nicht so selten scheint der Fall, dass der einzige Grund für eine Heirat war bzw. ist, dass ein Kind „unterwegs“ ist. Ich muss das wissen, denn genau so war es nach Aussage meiner Mutter im Fall ihrer eigenen Verehelichung.

Vielleicht nicht das Beste, was ein Kind erfahren möchte, aber glauben Sie mir: Man kommt damit zurecht und muss nicht zwangsläufig zum Psychopathen heranreifen. Die Dämonen der eigenen Vergangenheit lassen sich nie ganz vertreiben, aber als Erwachsener sollte man sie irgendwann unter Kontrolle haben.

Jedenfalls war mir früh klar, dass für mich ein solches Arrangement nicht in Frage kommt, ganz gleich mit wem, und ich darf feststellen, dass ich sehr glücklich damit bin. Die wenigen Beispiele gelungener Ehen, die ich kenne, bestätigen für mich die Regel, wonach eine wirklich fundierte Partnerschaft kein staatliches oder kirchliches Gütesiegel braucht.

Genug dazu – sicher wollen Sie jetzt einen näheren Blick „unter die Haube“ werfen, auch wenn es dort keinen Motor der Vorkriegszeit zu sehen gibt. Nähern wir uns der Sache behutsam an und schauen, was sich dennoch in Sachen Auto sagen lässt:

Mathis Typ MY; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der Kenner ahnt bereits, mit was für einem Hersteller wir es zu tun haben: Das große runde Emblem auf dem Kühlergrill war typisch für Wagen der elsässischen Marke „Mathis„, die in den 1920er Jahren eine bemerkenswerte Typenvielfalt produzierte.

Das abgelichtete Exemplar müsste nach meinen Recherchen ein Typ MY sein, der von 1926 bis 1930 gebaut wurde (Quelle). Dabei handelte es sich um einen technisch unauffälligen Kleinwagen mit 1,2 Liter-Vierzylinder (seitengesteuert).

Die Mathis-Automobile fanden nach dem 1. Weltkrieg speziell im Südwesten Deutschlands weiterhin Absatz.

Alte Verbindungen ins Elsass spielten dabei ebenso eine Rolle wie die Unfähigkeit der produktionstechnisch rückständigen deutschen Automobilindustrie der zunehmenden Nachfrage gerecht zu werden, was sich viele ausländische Hersteller zunutze machten.

Ein nettes Detail – bzw. dessen Fehlen – erlaubt die Datierung dieses Wagens auf die Zeit vor Herbst 1928. Damals erhielt der Mathis MY nämlich eine Kühlerfigur in Flammenform. Diese ist hier nicht zu sehen, dafür können wir aber endlich unter die Haube schauen:

Nur am Rande bemerkt der Betrachter das Nummernschild mit der auf den Raum Stuttgart verweisenden Kennung „IIIA“.

Sodann gilt es festzuhalten, dass ich auf Fotos jener Zeit selten ein so ansehnliches Paar Frauenbeine gesehen habe. Die zeittypisch kurzen Kleider standen wahrlich nicht jeder Maid dermaßen gut – doch hier haben wir ein Beispiel, zu dem man sagen muss: „Hut ab“!

Der Bräutigam hat bereits entsprechend den Zylinder gelupft und hält diesen nun etwas verlegen in der Hand, während der Fotograf sein Werk verrichtet. Wir wollen ihm nicht anlasten, dass er arg ernst für den Anlass dreinschaut – vielleicht verbat ihm schwäbisch-protestantischer Ernst, an diesem Tag zu sehr aus sich herauszugehen.

Interessanter finde ich ohnehin den Kopfschmuck der Braut, der mich ein wenig an die Krone der britischen Queen erinnert – vielleicht findet sich jemand, der etwas zu dieser speziellen Tracht zu sagen weiß (bitte Kommentarfunktion nutzen).

Werfe ich nun endlich einen Blick unter die Haube, mache ich allerdings eine Beobachtung, die mich einigermaßen irritiert: Die Braut ist doch dem Bräutigam wie aus dem Gesicht geschnitten – oder bilde ich mir das ein?

Hat hier einer seine Cousine geehelicht oder solange gesucht, bis er sein „alter ego“ in weiblich gefunden hat? Man darf nichts ausschließen, wenn es um kuriose Paarungen im Einzelfall geht – bislang hat die Menschheit noch alles durch schiere Masse überstanden.

So muss auch das Ergebnis dieses Blicks unter die Haube offenbleiben wie im Fall des eingangs gezeigten. Eine Bitte hätte ich dennoch: Weiß jemand mit Ortskenntnis, zu welcher Kirche das schöne gotische Portal gehörte, vor dem der Mathis einst stand?

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Bad in der Menge: Presto D 9/30 PS Sport-Tourer

Normalerweise entspricht das Bad in der Menge nicht meinem Geschmack. Mit einer Masse an Zeitgenossen anderen Leuten beim Sport oder Musizieren zuzusehen, gehört nicht zu meinen bevorzugten Beschäftigungen.

Allein mit sich zu sein – tagsüber auf dem Fahrrad oder im Garten und nachts beim Bloggen am Schreibtisch – oder allenfalls mit wenigen ausgewählten Personen die schönen Dinge des Lebens zu genießen, das entspricht eher meinen Neigungen.

Eine Ausnahme aus meiner zweiten Heimat – dem italienischen Umbrien – möchte ich bei der Gelegenheit nicht unerwähnt lassen: das Historienspektakel Giostra della Quintana in Foligno, das mich bereits bei meinem ersten Aufenthalt vor über 30 Jahren begeisterte..

Dass sich Masse und Klasse auch in automobiler Hinsicht nicht immer ausschließen, dafür möchte ich heute ein schönes Beispiel anführen. Das Anschauungsmaterial dazu liefert einer der meistgebauten deutschen Wagen der ersten Hälfte der 1920er Jahre.

Die Rede ist vom Typ D 9/30 PS, welchen der sächsische Hersteller mit dem nach Italien klingenden Namen „Presto“ von 1921 bis 1925 in einigen tausend Exemplaren fertigte. Rund 50 zeitgenössische Dokumente dieses technisch zwar konventionellen, aber schnittig aussehenden Modells konnte ich bisher in meiner Presto-Galerie versammeln.

Nach amerikanischen Maßstäben wäre der Presto eine exklusive Erscheinung gewesen – in den Staaten musste man schon einige zehntausend Exemplare pro Jahr unters Volk bringen, um als Massenfabrikat wahrgenommen zu werden.

Doch im Deutschland der Zeit nach dem 1. Weltkrieg blieb das Automobil ein reines Luxusgut – ganz gleich, was in der Literatur von seinerzeit angeblich „populären“ Modellen erzählt wird. Für den Normalbürger war noch der primitivste PKW unerschwinglich.

So blieb auch der unverwechselbar gezeichnete Presto D 9/30 PS trotz vergleichsweise hoher Stückzahlen letzlich ein rares Gut. Hier hat wohl ein Mechaniker die Gelegenheit dazu genutzt, sich am Steuer einer Tourenwagenversion ablichten zu lassen:

Presto Typ D 9/30 PS; Originalfoto von 1929 aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Diese schöne Aufnahme, die mir Leser Matthias Schmidt aus Dresden in digitaler Form übersandt hat, zeigt sogar eine besondere Rarität: Hier ist der Presto nämlich nicht nur mit montierten Verdeck zu sehen, was selten ist. Er besitzt auch die erst im letzten Produktionsjahr 1925 eingeführten Vorderradbremsen.

Nun werden Sie als vielleicht langjähriger Konsument meiner nächtlichen Blogeinträge schon oft genug mit dem Presto dieses Typs konfrontiert worden sein.

Doch erinnern Sie sich: Ich hatte eingangs ein Bad in der Menge versprochen und auch angemerkt, dass ich ein solches nur dann schätze, wenn wirklich Außergewöhnliches geboten wird. Das ist heute ganz eindeutig der Fall.

Vorausschicken möchte ich, dass ich erst durch meine Bildrecherchen für den Blog auf eine spezielle Version des Presto D 9/30 PS aufmerksam geworden bin, die in der mir bekannten Literatur völlig übergangen wird – den Sport-Tourer:

Presto Typ D 9/30 PS Sport-Tourer; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Zu erkennen ist diese sportliche Variante an den Drahtspeichenrädern, dem hochgelegten Tritttbrett, dem niedrigeren Aufbau und der weiter nach hinten gezogenen Motorhaube.

Ob sich unter derselben ab Werk ein leistungsgesteigertes Aggregat befand, ist mir nicht bekannt. Zur der einst bedeutenden Marke Presto gibt es meines Wissens wie bei so vielen deutschen Wagen der 1920er Jahre keine hinreichend detaillierten Informationen in der Literatur oder im Netz. Es scheint sich keiner mehr dafür zu interessieren.

Immerhin konnte ich selbst herausfinden, dass es den Sport-Tourer serienmäßig von Presto gab, denn es haben sich inzwischen etliche Fotos davon materialisiert – dazu brauchte ich nicht einmal systematisch danach zu suchen.

Was für spannendes Material quasi auf der Straße liegt und bloß für symbolische Beträge aufgesammelt und mit ein paar Handgriffen aufgearbeitet werden will, das zeigt mein neuster Fund in Sachen Presto Typ D 9/30 PS.

Dass niemand sonst mit solchen Zeitdokumenten etwas anzufangen weiß – jedenfalls nicht, dass ich davon wüsste – unterstützt zwar meinen Kulturpessimismus, verstärkt aber zugleich meinen Willen, diese Relikte den wenigen zugänglich zu machen, die Freude daran haben.

Hier haben wir nun besagten Fund und nach dem bisher Gesagten sollten Sie meine Zuschreibung des kaum erkennbaren Wagens nachvollziehen können. Angesichts der schieren Masse an Individuen kapituliere ich und erspare Ihnen entgegen meinen sonstigen Gewohnheiten, über die abgebildeten Personen zu spekulieren.

Für dieses „Bad in der Menge“ gibt es keine Anleitung – genießen Sie es einfach nach Lust und Laune und machen sich Ihre eigenen Gedanken zu den Charakteren und finden Sie Ihre eigenen Favoriten (m/w/d…) darunter:

Presto Typ D 9/30 PS Sport-Tourer; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

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Nach reiflicher Überlegung: Ein Benz 27/70 PS

Zu den einst bedeutenden deutschen Marken, von denen ich eher selten Fotos vorstelle, gehören ausgerechnet die beiden vielleicht bekanntesten – Daimler und Benz.

Am Mangel an Material liegt das nicht, wohl aber daran, dass es oft schwerfällt, die Typen anzusprechen, speziell bei den frühen Modellen vor dem Zusammenschluss anno 1926.

Insbesondere die Benz-Wagen, welche kurz vor und kurz nach dem 1. Weltkrieg entstanden, sind praktisch nur an den Proportionen auseinanderzuhalten. Die Gestaltung folgte ansonsten einem sehr ähnlichen Schema.

In einigen Fällen hat man die Chance, durch Größenvergleiche den Radstand abzuschätzen, vor allem bei Aufnahmen von der Seite. Bisweilen erlaubt die Relation zwischen Wagengröße und Insassen eine ungefähre Einordnung.

So konnte ich diese große Benz-Limousine einst hier als Typ 16/50 oder sogar Typ 27/70 PS der frühen 1920er Jahre eingrenzen:

Benz 27/70 PS Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieser 6-Zylinder-Koloss mit über 7 Litern Hubraum war ein Relikt der Zeit vor dem 1. Weltkrieg – technisch veraltet, aber immer noch leistungsfähig genug, um souveräne Fortbewegung auf Fernreisen zu ermöglichen.

Mit diesem Gerät, dessen Motorblock noch paarweise gegossene Zylinder besaß und das seine Kraft hauptsächlich dem gigantischen Hubraum verdankte, konnte man – von steilen Anstiegen abgesehen – praktisch durchweg im großen Gang fahren.

Um zu verstehen, wie sich das Drehmoment solcher Riesenaggregate bemerkbar machte, kann man mit einem auf dem Papier PS-starken modernen Wagen der Klasse unter 2 Litern Hubraum den Versuch unternehmen, im 4. Gang anzufahren…

Mein 150 PS leistendes Alltagsauto mit 1,3 Litern Hubraum tut sich da schon im 2. Gang schwer – er entfaltet seine Kraft erst bei Drehzahlen ab 3.000 U/min, lässt sich dann aber im sechsten Gang elastisch zwischen etwa 130 und 180 km/h bewegen.

Der Benz 27/70 PS brachte es gerade auf 95 km/h Spitze, war also von der Übersetzung im großen Gang ganz anders ausgelegt. Vor über 100 Jahren war das zwar nicht mehr der Stand der Technik, aber für die meisten Kunden völlig ausreichend.

So konnte man auch nach dem 1. Weltkrieg noch eine Weile mit einem Benz dieser Spezifikation glücklich werden. Dass ich mich nach reiflicher Überlegung entschlossen habe, heute wieder eines dieser Prachtexemplare vorzustellen, hat zwei Gründe.

Nr. 1 ist der glückliche Umstand, dass mir Leser Matthias Schmidt aus Dresden dieses schöne Foto eines Tourenwagens dieses Typs in digitaler Form zur Verfügung gestellt hat:

Benz 27/70 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Lassen Sie sich nicht von dem gutgelaunten und großgewachsenen Herrn mit den feschen Ledergamaschen über den Schuhen täuschen.

Nehmen Sie stattdessen Maß an der langen Motorhaube und setzen diese in Relation zu den eher klein wirkenden Insassen. Das war ein mächtiger Wagen, der ohne weiteres Platz für einen großvolumigen Reihensechszylinder vorn und drei Sitzreihen hinten bot.

Ungewöhnlich für die Zeit nach dem 1. Weltkrieg ist der dem Auge schmeichelnde Aufwärtsschwung der nach innen abgekanteten Seitenlinie – m.E. ein Indiz für eine frühe Entstehung des ab 1918 im Benz-Programm vertretenen 27/70 PS-Models.

Dass irgendwann eine kleine Stoßstange nachgerüstet und ein Kätzchen als Kühlermaskottchen installiert wurde, spricht für eine lange Benutzungsdauer dieses Fahrzeugs. Ausgehend von der Kleidung der abgebildeten Personen würde ich die Aufnahme kaum früher als Mitte der 1920er Jahre verorten.

Überliefert ist auf der Rückseite des Abzugs leider nur, dass das Foto in der „Nähe von Karpacz Krummhübel“ entstand, wenn ich es richtig lese. Vielleicht weiß ein Leser etwas damit anzufangen und kann uns via Kommentar entsprechend erleuchten.

Wo aber bleibt Nr. 2 der beiden Gründe, welche eine Ansprache dieses Benz als Typ 27/70 PS erlauben? Nun, ich habe nicht umsonst im Titel angedeutet, dass dem eine „reifliche Überlegung“ zugrundeliegt.

Wer meine Neigung zu Kalauern dieser Güteklasse kennt, ahnt vermutlich, dass ich damit auf das Reifenformat des Wagens anspiele, welches die entsprechende Gewissheit liefert.

Tatsächlich ist vorn die Größenangabe 935 x 135 zu lesen. Während über die Breite selbst Motorradfahrer unserer Tage nur lächeln, ist der Durchmesser (93,5 cm) spektakulär. Er war laut Literatur dem 27/70 PS-Modells von Benz vorbehalten.

Das ist ein nettes Ergebnis in Sachen Benz, welches sich aus reiflicher Überlegung speist.

Es mag etwas dauern, bis sich wieder dem Foto eines Wagens dieser Marke solche Feinheiten entlocken lassen – doch bis dahin vertreiben wir uns die Zeit mit der Fülle des übrigen Materials, das kaum detektivischen Spürsinn verlangt, aber dennoch durch seine schiere Wirkung begeistert…

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Souvenir aus Italien: Ein „Enigma“-Tourer um 1912

Über eine Woche ohne Blog-Eintrag – mir ist bewusst, dass dies für einige meiner Leser eine arge Beeinträchtigung ihrer Alltagsroutinen darstellt.

Ich kann zu meiner Entschuldigung nur vorbringen, dass ich diese Woche brauchte, um mich von einem arbeitsintensiven Jahresauftakt zu erholen, der sich wider Erwarten bis April hinzog.

Dann waren die Batterien erst einmal leer und mussten durch intensive Betrachtung solcher Szenerien in Italien wieder aufgeladen werden:

Valle Umbra bei Spello, Mai 2024; Originalfoto: Michael Schlenger

Eine ordinäre Aufnahme, wie sie jedem im Mai in Mittelitalien gelingt – der Klatschmohn ist dann allgegenwärtig, auch in intensiv bewirtschafteten Gebieten.

Warum diese Pracht, von der mir noch meine Eltern erzählten, in beackerten deutschen Gefilden kaum noch in dieser Fülle zu sehen ist, kann vielleicht ein Leser erklären.

Dass die bisweilen noch mit deutscher Arroganz belächelten Italiener auch sonst vieles besser machen in ihren alten Kulturlandschaften, durfte ich auf der 2-stündigen Fahrt durch die kerngesunden und windindustriefreien Laubwälder feststellen, die den Weg von der Autobahnabfahrt „Cesena Nord“ bis in die Valle Umbra hinein säumen.

Die Probleme, für die minderwertige und standortfremde Nadelbäume bei uns sorgen, sind dort praktisch nicht vorhanden – obwohl die Bau- und Brennholzwirtschaft in Italien sehr intensiv ist.

Wer sich wie ich gern mit dem Rad in den umbrischen Wäldern herumtreibt, sieht sich vom „germanischen“ Baum schlechthin förmlich umzingelt – der Eiche. Sollten die barbarischen Horden aus dem Norden am Ende der Antike doch irgendetwas anderes als sinnlose Zerstörung bewirkt haben? Nein, mitgebracht und hinterlassen haben sie praktisch nichts.

Als teutonischer Nachfahr der Neuzeit spürt man noch denselben Drang nach Süden. Doch diesmal kommt man in Bewunderung dessen, was man vorfindet und wünscht sich, ein wenig zu seinem Erhalt beitragen zu können.

Dazu gehören auch die Zeugnisse der italienischen Automobilbaukultur, welche in einem Land florierte, das – vom Norden abgesehen – lange von großer Armut geprägt war. Mein eigener Beitrag in praktischer Hinsicht beschränkt sich zwar auf einen Fiat 1100 von 1964 und einen Innocenti „Mini t“ von 1967, doch auf dem Papier kann ich mehr bieten.

Als Beispiel möchte ich heute dieses schöne Souvenir aus Italien vorstellen:

Italienischer Tourenwagen um 1912; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieses Foto, das irgendwo an einem Landhaus zwischen den Alpen und Sizilien entstand, lässt sich anhand der Kleidung der abgebildeten Personen auf die Zeit direkt vor dem 1. Weltkrieg oder kurz danach datieren.

Der Tourenwagen mit seiner beeindruckend dimensionierten Kühler- und Haubenpartie war zum Zeitpunkt der Aufnahme wohl schon einige Jahre alt.

Auf eine Entstehung vor dem 1. Weltkrieg deuten die gasbetriebenen Scheinwerfer hin. Bei Automobilen dieser Klasse wichen sie beginnend 1914 elektrisch betriebenen.

Der haubenförmig gestaltete „Windlauf“ zwischen Motor- und Innenraum taucht im Serienbau zwar erst ab 1910 auf, wurde aber oft auch bei älteren Modellen nachgerüstet, was die Typansprache und Datierung in solchen Fällen erschwert:

Die vom Mercedes-Vorbild inspirierte Form des Kühlers findet sich vor dem 1. Weltkrieg bei unzähligen europäische und amerikanischen Automobilen, sie hilft hier nicht weiter.

Begrenzt man die Betrachtung auf italienische Hersteller, kommen in der damaligen Zeit etliche Firmen in Frage. Neben Fiat sind heute weniger bekannte Marken wie beispielswiese Aquila, Diatto, Itala, Isotta-Fraschini, SCAT, SPA und Brixia-Zust in Betracht zu ziehen.

Zwar verfüge ich diesbezüglich über einschlägige Literatur wie „Le piccole grandi Marche Automobilistiche Italiane“ von Augusto Costantino (1983) und habe auch ausgiebig im Netz nach Entsprechungen gesucht.

Dennoch ist mir bislang keine eindeutige Identifkation gelungen. Den Vorschlag eines Mitglieds meiner Vorkriegsauto-Gruppe auf Facebook, das es sich um einen umkarossierten Austro-Daimler aus der Zeit vor 1910 handeln könne, sehe ich vorerst skeptisch.

So kam es, dass ich dieses Souvenir aus Italien bis auf weiteres als Rätselfall klassifizieren muss – daher die geheimnisvolle Ansprache im Titel als „Enigma“.

Nach wie vor meine ich, dass das unscharf wiedergegebene Kühleremblem in Verbindung mit der waagerecht verlaufenden Vorderachse den Schlüssel zur Lösung darstellt.

Nun sind Sie gefragt, verehrte Leser. Denn ich habe mich bereits einige Zeit an diesem Dokument ohne Erfolg abgearbeitet und habe noch anderes zu tun – nicht zuletzt, um im Blog wieder an die alte Schlagzahl anzuknüpfen…

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Schnappschuss auf dem Heimweg: Dixi DA1 3/15 PS

Sollten Sie Anstoß an den oft auf Effekt bemühten Überschriften nehmen, mit denen ich meine Blog-Einträge einzuleiten pflege, dann haben Sie recht. Ich bin diesbezüglich selbst mein schärfster Kritiker.

So ist die Bezeichnung „Schnappschuss“ für das Foto, das ich heute zeigen möchte, die Untertreibung des Jahres – bisher jedenfalls. Tatsächlich handelt es sich um ein kleines Meisterwerk.

Das gilt für das abgebildete Auto ebenso wie für die Inszenierung, die irgendwann um 1950 entstand. Wann genau und wo das war, ist mir nicht bekannt. Die Rückseite des Abzugs trägt den Stempel eines Fotoladens aus Hofheim am Taunus – nicht allzuweit von meinem Heimatort Bad Nauheim in Hessen.

Doch natürlich kann die Aufnahme überall entstanden sein. Dem darauf abgelichteten Auto waren trotz nur 15 PS Leistung nahezu keine Grenzen gesetzt. In England in der ersten Hälfte der 1920er Jahre als Austin 7 entstanden, fand das enorm populäre und wie Fords Model T unverwüstliche Automobil seinen Weg auch in deutsche Lande.

Die Rede ist von der Lizenzproduktion durch die altehrwürdige Eisenacher Fahrzeugfabrik unter der Marke Dixi, welche Ende 1927 begann.

So – jetzt stellen Sie sich vor, Sie gehören zu besseren Gesellschaft in der frühen Nachkriegszeit – sagen wir um 1950. Sie sind bei Leuten auf dem Land eingeladen, die es schon wieder zu Wohlstand gebracht haben oder diesen durch den Krieg retten konnten.

Zumindest das repräsentative zweistöckige Wohngebäude aus dem 19 Jh. mit weitläufigem Garten und gekiestem Vorplatz ist erhalten geblieben und von der Beschlagnahme durch Bonzen des NS-Regimes, Bombenangriffen oder randalierenden Besatzungstruppen verschont geblieben.

Für ein Abendessen mit Kammermusik und Gesang reichen die Mittel und Beziehungen – dass der alte Flügel in den im Winter ungeheizten Räumen verstimmt ist, tut der Stimmung der Gäste selbst keinen Abbruch.

Auch für geistige Nahrung in flüssiger Form ist gesorgt und bis Tagesanbruch wird „getagt“. Draußen ist es noch kühl, doch die Sonne scheint und man macht sich irgendwann auf den Heimweg.

Dabei ergibt sich bei einem jungen Paar, das zu den Teilnehmern der Festivität gehörte, der spontane Wunsch, die denkwürdige Situation inklusive dunklen Augenringen festzuhalten.

Was sucht man sich dazu als dekorativen Hintergrund aus? Schauen Sie einfach selbst:

Dixi Typ DA 1 3/15 PS; Originalfoto der frühen Nachkriegszeit (Sammlung Helmut Kasimirowicz)

Ist es eigentlich völlig daneben, wenn ich hemmungslos begeistert bin von dieser Selbstinszenierung? Für mich ist das eines der eindringlichsten Autoportraits seit langem und es freut mich diebisch, dass ich es für einen einstelligen Betrag bei ebay abstauben konnte.

Der Dixi DA 3/15 PS war als Triumph Gloria von 1935 angepriesen worden, weshalb er bei den Dixi-Enthusiasten durchs Suchraster gefallen war. Da ich „offen“ suche – also alles anschaue, was es in der Billigfraktion an alten Fotos zu kaufen gibt – machte ich das Rennen.

Über diesen Fund freue ich mich diebisch, zumal ich weiß, dass ich damit einem besonderen Oldtimer-Kameraden eine Freude machen kann, in dessen „Beuteschema“ dieser Dixi DA1 3/15 PS von Ende der 1920er Jahre perfekt passt.

Die Identifikation gelingt anhand des schemenhaft erkennbaren alten Dixi-Emblems, das einen vorwärtsstürmenden Kentauren zeigt:

Wo der Wagen mit Kennzeichen aus der amerikanischen Besatzungszone Hessen (ab 1948) zugelassen war, dies festzustellen überlasse ich gern meinen Lesern. Auf das Ergebnis bin ich sehr gespannt! – Nachtrag: Wiesbaden!

Mir ist jetzt aber noch etwas anderes wichtig. Irre ich mich, oder hat unser Paar hier ein Selbstporträt mit zeitverzögertem Auslöser gemacht?

Eine Möglichkeit ist, dass „sie“ hier den Abzug in der linken Hand hält – man sieht allerdings das Übertragungskabel nicht.

Eine andere besteht in einem mit Zeitverzögerung arbeitenden Selbstauslöser, und die beiden wussten, nach wievielen Sekunden die Blende betätigt und das Negativ belichtet wird. Dann könnte ihre Handhaltung Ausdruck der Spannung sein, während der Selbstauslöser ablief.

Wie interpretieren Sie die Szene? Habe ich etwas übersehen? Bitte hinterlassen Sie einen Kommentar, wenn Sie eine Idee dazu haben. Auch ich habe bisweilen einen Tunnelblick.

So kann ich diese Informationen (also auch die zur Zulassung und vielleicht sogar zum Aufnahmeort) – dem Foto mit auf den Heimweg geben. Ja, Sie haben richtig gelesen.

Wie angekündigt sind wir hier Zeuge eines wunderbaren Dokuments „auf dem Heimweg“ – von der Party wie auch zu der Person, welche solchen Zeugen des deutschen Austin-Lizenzbaus Dixi DA1 3/15 PS eine ideale Heimstatt gibt.

Gemeint ist Helmut Kasimirowicz aus Düsseldorf, dem wohl hierzulande bekanntesten Enthusiasten, was dieses letzte Dixi-Modell betrifft, und Betreiber einer einschlägigen Website, die schier unerschöpfliches Material dazu zugänglich macht.

Meine Lieblingskategorie dort sind die historischen Reiseberichte. Besonders gut gefällt mir die Aufbereitung einer Italienfahrt im Dixi DA1 anno 1932.

Während das heute gezeigte Foto nun im Original die Heimreise antritt und bald in Helmut Kasimirowicz‘ Sammlung ihr Zuhause findet, mache ich mich am Wochenende selbst nach Italien auf – zwar nicht im Vorkriegsauto, aber mit derselben Reisefreude wie einst.

Es wird im Blog ein paar Tage keine neuen Einträge geben, aber kommende Woche funke ich dann direkt aus dem Süden. Der Mai in Umbrien mit seiner Blütenpracht ist eine Zeit, die alles vertreibt, was einen sonst im Alltag plagen mag. Daran will ich Sie gern teilhaben lassen…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Fährt auch mit Oberleitung: Simson „Supra So“ 8/40 PS

Die kalauernde Überschrift muss sein. Zudem entspricht es ganz der Wahrheit, dass auch Automobile mit Oberleitung fahren können. Dem kann ich heute sogar eine neue Dimension hinzufügen!

Das älteste mir bekannte Beispiel sind die O-Busse der Vorkriegszeit, von denen mir meine aus dem schlesischen Liegnitz gebürtige Mutter zu berichten wusste. Sie waren einst überall dort stark verbreitet, wo es dank heimischer Kohle oder Wasserkraft Strom satt gab.

Dieses geniale, da nicht schienengebundene Elektro-Verkehrsmittel ist zwar jeder modernen U-Bahn ökonomisch überlegen, aber der Deutsche hat es gern kompliziert und teuer – ob es einen Mehrwert bringt, ist nachrangig.

Damit die Moderne einziehen konnte, musste erst einmal Bewährtes zerstört werden – also verschwanden die O-Busse, dann die Straßenbahnen und selbst die irre Mühe des Rückbaus des Schienennetzes der Bahn scheute man nicht.

Nach diesem jahrzehntelangen Feldzug konnten „Experten“ dann die Stromzufuhr aus der Oberleitung als Neuerung verkaufen, die freilich erst einmal erprobt werden muss, weil damit ja keine Erfahrungen vorliegen…

So in etwa – stelle ich mir vor – müssen die Politprojekte zu LKW-Oberleitungen auf den deutschen Autobahnen entstanden sein, die an bisher drei Abschnitten gebaut wurden. Eine davon bestaune ich seit Jahren regelmäßig auf der A5 vor Darmstadt.

190 Millionen Euro hat der Steuerzahler für diese Possen berappen müssen. Das Geld ist aber nicht weg, es haben jetzt bloß die ausführenden Firmen und Zulieferer sowie Heerscharen von Planern und – vermutlich – Provisionsempfängern in der Politik.

Da inzwischen der Rückbau der ersten dieser Schildbürger-Anlagen ansteht, will ich dem Thema Oberleitung in Sachen Auto eine neue Facette hinzufügen – diese hier:

Simson Typ So 8/40 PS; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Beigesteuert hat dieses prachtvolle Dokument zum Thema Automobil mit Oberleitung Leser Matthias Schmidt (Dresden). Er ist es auch, dem ich bislang die meisten Aufnahmen des abgebildeten Autotyps in meinem Blog verdanke (siehe Simson-Galerie).

Die Rede ist vom Simson Typ Supra So 8/40 PS – einem von 1925-29 in Suhl (Thüringen) gebauten Modell, hinter dessen Spitzkühler sich ein bemerkenswerter Motor verbarg.

Das nur knapp 2 Liter messende Aggregat leistete dank strömungsgünstig im Zylinderkopf hängender Ventile und Steuerung über obenliegende Nockenwelle 40 PS. Dafür waren damals sonst größere und kostspieligere Motoren mit 2,5 bis 3 Liter Hubraum erforderlich.

Damit war der Simson Typ So bis zu 100 km/h schnell, was ihn in Verbindung mit den Vierradbremsen in Deutschland auch noch Anfang bis Mitte der 1930er Jahre zu einem durchaus leistungsfähigen Fahrzeug machte.

Nun mögen Sie sich fragen, wie ich darauf komme, dass dieser einst von der „Oberleitung“ einer Radrennveranstaltung genutzte Simson erst in den 30ern abgelichtet wurde.

Ich gebe zu, dass es einiger Recherchen bedurfte, welche sich interessanterweise aber nicht auf den Wagen, sondern das daneben abgebildete Rennrad bezogen:

Die Vorkriegsfahrrad-Experten unter Ihnen werden es erkennen, aber mir zunächst nicht klar, dass dieses Rad einen präzisen Hinweis auf seine frühestmögliche Entstehung liefert.

Schaut man genau hin, weist das Rad am hinteren Ausfallende einen drahtseilbetätigten „Umwerfer“ auf, mit dem auf einem dreiteiligen Zahnkranz am Hinterrad unterschiedliche Übersetzungen gewählt werden konnten. Zum Ausgleich war weiter vorne ein Kettenspanner vorgesehen.

Diese Konstruktion entspricht genau der 1932 erstmals vorgestellten „Super Champion“-Schaltung des Schweizer Radrennfahrers Oscar Egg (1890-1961). Er soll auch einer der ersten gewesen sein, welche die auf dem Foto zu sehenden Trinkflaschenhalter einsetzten.

Damit haben wir die frühestmögliche Datierung für den Simson „mit Oberleitung“. Wohl einen Vertreter derselben sehen wir im Hintergrund in Form eines feisten Herrn mit merkwürdig kleinen Händen, dem ich nichts Positives abgewinnen kann.

Solche unangenehmen Typen bekamen ab 1933 Oberwasser und nutzten zielsicher das Angebot an Ämtern und Titeln, welche das neue Regime für Zivilversager und opportunistische veranlagte Vertreter des bisherigen Establishments zu bieten hatte.

Meine Sympathie gilt ganz dem jungen Fahrer mit den erkennbar trainierten Unterarmen – jawohl, Radfahren ist nicht nur Beinarbeit – der Vertreter einer von Kampfgeist beseelten Generation war, die man einige Jahre später in den 2. Weltkrieg hetzte.

Leider ist nichts über den Radler und die Umstände der Aufnahme bekannt – wie gerne würde man dem Thema „Auto mit Oberleitung“ am Ende doch noch Konkretes und Erhellendes abgewinnen…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.