Die besten Dinge im Leben sind entweder einzigartig und sollen es bleiben – oder sie vertragen beliebig häufige Wiederholungen.
Was für einen in die beiden Kategorien fällt, ist meist eine sehr persönliche Sache. Doch wenn es um Vorkriegsautos auf alten Fotos geht, sind wir uns wohl einig: Wiederholungen sind höchst willkommen, denn eigentlich sind sie in diesem Metier gar keine, auch wenn es um das gleiche Automodell gehen mag.
Es ist die einstige Situation, in der ein noch so bekanntes Modell festgehalten ist, die es jedesmal zu etwas Besonderem macht. Oft genug nimmt das Auto dabei sogar nur eine Statistenrolle ein.
Aber doch nicht bei einem Horch Achtzylinder des Typs 375, mag jetzt mancher denken. Nun, gewiss war das eines der prestigeträchtigsten deutschen Automobile Ende der 1920er Jahre überhaupt.
Kein anderer Hersteller hierzulande bot einen derartig hochentwickelten Reihenachtzylinder, dessen 80 PS Leistung es mit den amerikanischen Luxusmodellen aufnehmen konnten, die damals den Markt beherrschten. Dasselbe galt für die elegante Linienführung.
Man könnte zwar sagen, dass der Horch 375 die perfekteste Kopie der damaligen Cadillacs war, die jemand wagte, doch das wird dem Auto nicht ganz gerecht. Im Detail entfaltete sich bei diese Modell eine Prachtentfaltung, die doch Horch-typisch war bzw. werden sollte.
Das 1929 eingeführte Modell unterschied sich vom Typ 350 (mit identischem Motor) vor allem durch Stylingelemente wie die Radkappen und die opulente dreiteilige Stoßstange:
![](https://i0.wp.com/vorkriegs-klassiker-rundschau.blog/wp-content/uploads/2024/06/Horch_375_Zul_Leipzig_Galerie1.jpg?resize=584%2C390&ssl=1)
Lassen Sie sich von dem hier überwiegend griesgrämigen Personal nicht ablenken und prägen sie sich die Details der Frontpartie ein – darunter auch die auf die hinteren zwei Drittel beschränkten Haubenschlitze. Die gab es ganz genauso beim Cadillac, aber nicht beim sonst äußerlich fast identischen Horch 500.
So weit so sachlich, aber das haben Sie gleich überstanden.
Zum unterhaltsamen Teil führt nun diese Aufnahme über – wie die vorherige eine bisher nicht präsentierte aus meiner Sammlung:
Erwachsene Männer in Lederhosen bringen mich immer zum Schmunzeln. Man muss schon über solides Selbstbewusstsein oder Selbstironie verfügen, um sich dergestalt in der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Immerhin bleibt einem bei dieser geschichtlich kuriosen (weil einst vom bayrischen König als „traditionell“ verordneten) Variante der Herrenverkleidung behaartes Gebein weitgehend erspart bleibt. Dieses möchte wirklich niemand sehen, es wird einem heute aber ständig präsentiert.
Damit wir uns recht verstehen: Gestählte Sportlerwaden, gebräunt und schweißglänzend und vom Haare befreit lasse ich mir gefallen – die alten Griechen haben in ihrer Kunst in der Hinsicht früh Idealvorstellungen entwickelt, die ich für ästhetisch anschlussfähig halte.
Ansonsten sind kurze Hosen für mich Kinderkleidung. Damit mache ich mir im 21. Jh. wenig Freunde, es passt aber zu dem , was ich nun zum Thema Horch 375 präsentieren werde.
Ich lade Sie ein zu einem tierischen Vergnügen, welches einst mit dem Besitz eines dieser prächtigen Luxusautomobile verbunden war. Der Anlass dafür liegt schon einige Monate in Form eines kleinformatigen Fotoalbums auf meinem Schreibtisch.
Das erklärt die Katzenhaare, welche aufmerksame Beobachter darauf bemerken werden, denn zu später Stunde leistet mir eine Dame namens Ellie Gesellschaft, welche ihr betörenden vier langen Beine dann unter der Schreibtischlampe ausstreckt:
Dieses bemerkenswerte Dokument wurde lange im Netz angeboten und ich hatte es wegen zwei Autofotos unter Beobachtung genommen. Ich wusste, dass sie einen Horch 375 zeigen, zögerte aber erst wegen des verlangten Preises.
Dieser nahm aber irgendwann verträgliche Maße an, denn niemand wollte dieses kleine Album mit gerade einmal 20 Fotos haben. Ich fand es schade, dass es möglicherweise ganz verlorengeht und kaufte es schließlich für kleines Geld.
Das habe ich nicht bereut und ich bin sicher, es wird Ihnen am Ende ebenso eine tierische Freude machen wie mir. Angefertigt wurde es 1932 von einer vermögenden Familie in der schwäbischen Kleinstadt Salach nahe Göppingen:
Wer die Empfänger waren – Verwandte oder Freunde – und wo diese lebten, darüber weiß ich nichts. Auch ist mir nichts Näheres über die Familie bekannt, deren schöne Villa wahrscheinlich noch in Salach existiert.
Doch finden sich in dem Album hervorragende Fotos von Mitgliedern der Familie, die uns eine Vorstellung davon geben, was das für Leute waren, die sich inmitten der desolaten wirtschaftlichen Lage um 1930 einen Horch Achtzylinder des Typs 375 leisten konnten.
So sah das Paar aus, aus dessen Leben wir im Folgenden ein paar Schnipsel zu sehen bekommen:
Ein verdammt cooles Foto würde man heute sagen – weniger wegen des winterlichen Umfelds, sondern weil die beiden darauf einfach perfekte Figur machen.
„Er“ ist ein schönes Beispiel dafür, dass ein Mann mit einem lässigen Hut fast immer smart aussieht, wie die Briten sagen. Man muss dazu allerdings ein gewisses Format mitbringen, denn der Hut allein macht aus einem kleinen Ganoven noch keinen Gentleman.
„Sie“ posiert hier ganz wunderbar angelehnt, beinahe schutzsuchend. Dabei ist diese Haltung einfach Ausdruck von tiefer Zuneigung, wie wir noch sehen werden.
Dieses Paar begegnete sich nämlich eindeutig auf Augenhöhe:
Ich vermute, dass der Spazierstock auf eine Kriegsverwundung oder ein anderes Handicap hinweist – vielleicht Relikt eines Unfalls aus der Sturm-und-Drang-Zeit des Herrn.
Damit wäre immerhin schon einmal ein theoretischer Bezug zur Welt der Kraftfahrzeuge hergestellt, falls Sie den an diesem Punkt vermissen.
Dass die beiden nicht nur aneinander Gefallen fanden, sondern auch am tierischen Vergnügen, das lässt die nächste Aufnahme vermuten:
Verflixt, immer noch kein Bild vom Horch 375, dabei war der doch der Auslöser meines Interesses an dem Album.
Aber Sie haben es bisher nicht bereut, dabeigeblieben zu sein, oder? Falls doch, erhalten Sie umgehend Entschädigung für die erlittene Ungemach.
Denn unser sympatisches Paar aus Salach hatte nicht nur ein Faible für Vierbeiner – wir kommen darauf zurück – sondern auch für achtzylindrige Automobile aus Sachsen:
Na, habe ich zuviel versprochen? Auch wenn das im Original sehr kleine Foto etwas unscharf ist, werden Sie dank der Aufnahmen und Anmerkungen eingangs mühelos in der Lage sei, das Cabriolet als einen weiteren Horch des Typs 375 zu identifizieren.
Die Zulassung im Raum Göppingen passt perfekt zum Wohnort der Familie im nahegelegenen Salach und vermutlich ließe sich – wenn man wollte – noch herausfinden, wer diese äußerst gut situierten Leute waren.
Mir ist aber wichtiger, etwas von dem tierischen Vergnügen zu vermitteln, welches mit dem Besitz eines derartigen Fahrzeugs und des dazu nötigen Vermögens verbunden war.
So gehörte zum Haushalt offenbar auch ein wohlgenährter Kater:
Ob die junge Dame die Tochter des Hauses und die deutlich ältere Schwester (oder Cousine?) des Jungen neben ihr war, das lässt sich nicht genau sagen.
Wir begegnen den zwei noch einige Male in diesem schönen Album.
Hier vergnügen sich beide mit dem zutraulichen Kater, dessen Pose mehr als nur Dankbarkeit für’s Füttern ausdrückt – nämlich echte Zuneigung, wie erfahrene Katzeneltern wissen:
Was der Bub uns mit dem Fisch sagen will, muss dagegen offenbleiben. Zwar bin ich als Kind mit allerlei Stofftieren aus dem Hause Steiff verwöhnt worden, die heute noch in meinem Kleiderschrank schlummern, doch einen Fisch hätte ich nicht gemocht.
Aber gut, die Geschmäcker sind zum Glück auch auf diesem Sektor verschieden.
Wie es scheint, hatte der Bub noch einen Bruder, der hier im freundschaftlichen Umgang mit der Hauskatze abgelichtet wurde:
Man sieht: Tierisches Vergnügen scheint in der ganzen Familie eine wichtige Rolle gespielt zu haben. Das aber nicht nur daheim, sonden auch draußen in Feld und Flur.
Hier haben wir einen der Buben – wohl den ersten – zusammen mit dem Haushund in den Wiesen vor den Toren von Salach (so ist es überliefert):
Wer an dieser Stelle schon wieder auf Entzug ist und auf eine weitere Aufnahme des vierrädrigen Hausgenossen wartet, der auf den Namen „Horch“ hörte, dem sei in Aussicht gestellt, dass es schon bald so weit sein wird.
Denn um das nächste Beweisfoto eines tierischen Vergnügens anfertigen zu können, wird unsere Familie aus Salach den eigenen Wagen bemüht haben, für alle Fälle mit Schneeketten an Bord:
Der geduldige Bernhardiner mag ein lokales „Fotomodell“ gewesen sein, das an irgendeinem Wintersportort für die vermögende Klientel bereitstand. Wo das war, ist leider nicht überliefert – dafür sind im Hintergrund merkwürdige Skiakrobaten zu sehen.
Na, was sagen Sie zu diesen tierischen Vergnügungen, die vor über 90 Jahren nur für einen winzigen Teil der deutschen Bevölkerung denkbar waren?
Von der Armut der breiten Masse, die sich oft bestenfalls ein Fahrrad leisten konnte und ein Leben lang den Wohnort nicht verließ, machen wir uns heute gar keine Vorstellung.
Mit diesem Gedanken kehren wir am Ende zurück zum Horch der Familie aus Salach.
Bevor sie aus der Geschichte verschwand, hat sie uns wie zum Abschied eine Aufnahme hinterlassen, die für mich die bisher ungewöhnlichste und berührendste ist, die ich von einem Horch 8 des Typs 375 gesehen habe:
„Wie mag es von hier an weitergehen?“ – das scheinen uns die beiden zu fragen, die einer ungewissen Zukunft entgegenblicken.
Die Heckansicht des grandiosen Horch ist wohl das letzte Dokument dieses Wagens, das noch existiert. Das Auto selbst dürfte längst unter die Räder der Geschichte gekommen sein. Was aus den Insassen wurde, kann man sich nicht ausmalen.
Wenn am Ende dennoch ein tierisches Vergnügen an diesen Dokumenten zurückbleibt, war es den Aufwand wert, dieses kleine Album zu retten und seinen Inhalt aufzubereiten…
Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.