Einst ein tierisches Vergnügen: Horch „8“ Typ 375

Die besten Dinge im Leben sind entweder einzigartig und sollen es bleiben – oder sie vertragen beliebig häufige Wiederholungen.

Was für einen in die beiden Kategorien fällt, ist meist eine sehr persönliche Sache. Doch wenn es um Vorkriegsautos auf alten Fotos geht, sind wir uns wohl einig: Wiederholungen sind höchst willkommen, denn eigentlich sind sie in diesem Metier gar keine, auch wenn es um das gleiche Automodell gehen mag.

Es ist die einstige Situation, in der ein noch so bekanntes Modell festgehalten ist, die es jedesmal zu etwas Besonderem macht. Oft genug nimmt das Auto dabei sogar nur eine Statistenrolle ein.

Aber doch nicht bei einem Horch Achtzylinder des Typs 375, mag jetzt mancher denken. Nun, gewiss war das eines der prestigeträchtigsten deutschen Automobile Ende der 1920er Jahre überhaupt.

Kein anderer Hersteller hierzulande bot einen derartig hochentwickelten Reihenachtzylinder, dessen 80 PS Leistung es mit den amerikanischen Luxusmodellen aufnehmen konnten, die damals den Markt beherrschten. Dasselbe galt für die elegante Linienführung.

Man könnte zwar sagen, dass der Horch 375 die perfekteste Kopie der damaligen Cadillacs war, die jemand wagte, doch das wird dem Auto nicht ganz gerecht. Im Detail entfaltete sich bei diese Modell eine Prachtentfaltung, die doch Horch-typisch war bzw. werden sollte.

Das 1929 eingeführte Modell unterschied sich vom Typ 350 (mit identischem Motor) vor allem durch Stylingelemente wie die Radkappen und die opulente dreiteilige Stoßstange:

Horch „8“ Typ 375; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Lassen Sie sich von dem hier überwiegend griesgrämigen Personal nicht ablenken und prägen sie sich die Details der Frontpartie ein – darunter auch die auf die hinteren zwei Drittel beschränkten Haubenschlitze. Die gab es ganz genauso beim Cadillac, aber nicht beim sonst äußerlich fast identischen Horch 500.

So weit so sachlich, aber das haben Sie gleich überstanden.

Zum unterhaltsamen Teil führt nun diese Aufnahme über – wie die vorherige eine bisher nicht präsentierte aus meiner Sammlung:

Horch „8“ Typ 375; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Erwachsene Männer in Lederhosen bringen mich immer zum Schmunzeln. Man muss schon über solides Selbstbewusstsein oder Selbstironie verfügen, um sich dergestalt in der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Immerhin bleibt einem bei dieser geschichtlich kuriosen (weil einst vom bayrischen König als „traditionell“ verordneten) Variante der Herrenverkleidung behaartes Gebein weitgehend erspart bleibt. Dieses möchte wirklich niemand sehen, es wird einem heute aber ständig präsentiert.

Damit wir uns recht verstehen: Gestählte Sportlerwaden, gebräunt und schweißglänzend und vom Haare befreit lasse ich mir gefallen – die alten Griechen haben in ihrer Kunst in der Hinsicht früh Idealvorstellungen entwickelt, die ich für ästhetisch anschlussfähig halte.

Ansonsten sind kurze Hosen für mich Kinderkleidung. Damit mache ich mir im 21. Jh. wenig Freunde, es passt aber zu dem , was ich nun zum Thema Horch 375 präsentieren werde.

Ich lade Sie ein zu einem tierischen Vergnügen, welches einst mit dem Besitz eines dieser prächtigen Luxusautomobile verbunden war. Der Anlass dafür liegt schon einige Monate in Form eines kleinformatigen Fotoalbums auf meinem Schreibtisch.

Das erklärt die Katzenhaare, welche aufmerksame Beobachter darauf bemerken werden, denn zu später Stunde leistet mir eine Dame namens Ellie Gesellschaft, welche ihr betörenden vier langen Beine dann unter der Schreibtischlampe ausstreckt:

Dieses bemerkenswerte Dokument wurde lange im Netz angeboten und ich hatte es wegen zwei Autofotos unter Beobachtung genommen. Ich wusste, dass sie einen Horch 375 zeigen, zögerte aber erst wegen des verlangten Preises.

Dieser nahm aber irgendwann verträgliche Maße an, denn niemand wollte dieses kleine Album mit gerade einmal 20 Fotos haben. Ich fand es schade, dass es möglicherweise ganz verlorengeht und kaufte es schließlich für kleines Geld.

Das habe ich nicht bereut und ich bin sicher, es wird Ihnen am Ende ebenso eine tierische Freude machen wie mir. Angefertigt wurde es 1932 von einer vermögenden Familie in der schwäbischen Kleinstadt Salach nahe Göppingen:

Wer die Empfänger waren – Verwandte oder Freunde – und wo diese lebten, darüber weiß ich nichts. Auch ist mir nichts Näheres über die Familie bekannt, deren schöne Villa wahrscheinlich noch in Salach existiert.

Doch finden sich in dem Album hervorragende Fotos von Mitgliedern der Familie, die uns eine Vorstellung davon geben, was das für Leute waren, die sich inmitten der desolaten wirtschaftlichen Lage um 1930 einen Horch Achtzylinder des Typs 375 leisten konnten.

So sah das Paar aus, aus dessen Leben wir im Folgenden ein paar Schnipsel zu sehen bekommen:

Ein verdammt cooles Foto würde man heute sagen – weniger wegen des winterlichen Umfelds, sondern weil die beiden darauf einfach perfekte Figur machen.

„Er“ ist ein schönes Beispiel dafür, dass ein Mann mit einem lässigen Hut fast immer smart aussieht, wie die Briten sagen. Man muss dazu allerdings ein gewisses Format mitbringen, denn der Hut allein macht aus einem kleinen Ganoven noch keinen Gentleman.

„Sie“ posiert hier ganz wunderbar angelehnt, beinahe schutzsuchend. Dabei ist diese Haltung einfach Ausdruck von tiefer Zuneigung, wie wir noch sehen werden.

Dieses Paar begegnete sich nämlich eindeutig auf Augenhöhe:

Ich vermute, dass der Spazierstock auf eine Kriegsverwundung oder ein anderes Handicap hinweist – vielleicht Relikt eines Unfalls aus der Sturm-und-Drang-Zeit des Herrn.

Damit wäre immerhin schon einmal ein theoretischer Bezug zur Welt der Kraftfahrzeuge hergestellt, falls Sie den an diesem Punkt vermissen.

Dass die beiden nicht nur aneinander Gefallen fanden, sondern auch am tierischen Vergnügen, das lässt die nächste Aufnahme vermuten:

Verflixt, immer noch kein Bild vom Horch 375, dabei war der doch der Auslöser meines Interesses an dem Album.

Aber Sie haben es bisher nicht bereut, dabeigeblieben zu sein, oder? Falls doch, erhalten Sie umgehend Entschädigung für die erlittene Ungemach.

Denn unser sympatisches Paar aus Salach hatte nicht nur ein Faible für Vierbeiner – wir kommen darauf zurück – sondern auch für achtzylindrige Automobile aus Sachsen:

Horch „8“ Typ 375: Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Na, habe ich zuviel versprochen? Auch wenn das im Original sehr kleine Foto etwas unscharf ist, werden Sie dank der Aufnahmen und Anmerkungen eingangs mühelos in der Lage sei, das Cabriolet als einen weiteren Horch des Typs 375 zu identifizieren.

Die Zulassung im Raum Göppingen passt perfekt zum Wohnort der Familie im nahegelegenen Salach und vermutlich ließe sich – wenn man wollte – noch herausfinden, wer diese äußerst gut situierten Leute waren.

Mir ist aber wichtiger, etwas von dem tierischen Vergnügen zu vermitteln, welches mit dem Besitz eines derartigen Fahrzeugs und des dazu nötigen Vermögens verbunden war.

So gehörte zum Haushalt offenbar auch ein wohlgenährter Kater:

Ob die junge Dame die Tochter des Hauses und die deutlich ältere Schwester (oder Cousine?) des Jungen neben ihr war, das lässt sich nicht genau sagen.

Wir begegnen den zwei noch einige Male in diesem schönen Album.

Hier vergnügen sich beide mit dem zutraulichen Kater, dessen Pose mehr als nur Dankbarkeit für’s Füttern ausdrückt – nämlich echte Zuneigung, wie erfahrene Katzeneltern wissen:

Was der Bub uns mit dem Fisch sagen will, muss dagegen offenbleiben. Zwar bin ich als Kind mit allerlei Stofftieren aus dem Hause Steiff verwöhnt worden, die heute noch in meinem Kleiderschrank schlummern, doch einen Fisch hätte ich nicht gemocht.

Aber gut, die Geschmäcker sind zum Glück auch auf diesem Sektor verschieden.

Wie es scheint, hatte der Bub noch einen Bruder, der hier im freundschaftlichen Umgang mit der Hauskatze abgelichtet wurde:

Man sieht: Tierisches Vergnügen scheint in der ganzen Familie eine wichtige Rolle gespielt zu haben. Das aber nicht nur daheim, sonden auch draußen in Feld und Flur.

Hier haben wir einen der Buben – wohl den ersten – zusammen mit dem Haushund in den Wiesen vor den Toren von Salach (so ist es überliefert):

Wer an dieser Stelle schon wieder auf Entzug ist und auf eine weitere Aufnahme des vierrädrigen Hausgenossen wartet, der auf den Namen „Horch“ hörte, dem sei in Aussicht gestellt, dass es schon bald so weit sein wird.

Denn um das nächste Beweisfoto eines tierischen Vergnügens anfertigen zu können, wird unsere Familie aus Salach den eigenen Wagen bemüht haben, für alle Fälle mit Schneeketten an Bord:

Der geduldige Bernhardiner mag ein lokales „Fotomodell“ gewesen sein, das an irgendeinem Wintersportort für die vermögende Klientel bereitstand. Wo das war, ist leider nicht überliefert – dafür sind im Hintergrund merkwürdige Skiakrobaten zu sehen.

Na, was sagen Sie zu diesen tierischen Vergnügungen, die vor über 90 Jahren nur für einen winzigen Teil der deutschen Bevölkerung denkbar waren?

Von der Armut der breiten Masse, die sich oft bestenfalls ein Fahrrad leisten konnte und ein Leben lang den Wohnort nicht verließ, machen wir uns heute gar keine Vorstellung.

Mit diesem Gedanken kehren wir am Ende zurück zum Horch der Familie aus Salach.

Bevor sie aus der Geschichte verschwand, hat sie uns wie zum Abschied eine Aufnahme hinterlassen, die für mich die bisher ungewöhnlichste und berührendste ist, die ich von einem Horch 8 des Typs 375 gesehen habe:

Wie mag es von hier an weitergehen?“ – das scheinen uns die beiden zu fragen, die einer ungewissen Zukunft entgegenblicken.

Die Heckansicht des grandiosen Horch ist wohl das letzte Dokument dieses Wagens, das noch existiert. Das Auto selbst dürfte längst unter die Räder der Geschichte gekommen sein. Was aus den Insassen wurde, kann man sich nicht ausmalen.

Wenn am Ende dennoch ein tierisches Vergnügen an diesen Dokumenten zurückbleibt, war es den Aufwand wert, dieses kleine Album zu retten und seinen Inhalt aufzubereiten…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Die größte Pfeife in Luzern: Cottin & Desgouttes

Zurück aus Italien gilt es, in allerlei Routinen zurückzufinden.

Dazu zählen neben dem Mähen des wild gewucherten Rasens die regelmäßige Betätigung des Blinkers und die grobe Einhaltung der Tempolimits (heute stark erleichtert durch einen Mercedes, der mit unter 60 km/h auf der Landstraße vor mir herzockelte).

Es ruft zudem die Pflicht, im Blog wieder in den alten Trott zurückzufinden, denn es gibt ungeduldige Leser (m/w/d), zu deren Tagesablauf es gehört nachzuschauen, was es Neues aus der Welt der Vorkriegsfotos auf alten Autos (oder so ähnlich) gibt.

Tatsächlich habe ich gleich zwei hübsche Sachen aus dem Süden mitgenommen bzw. unterwegs aufgelesen.

Die eine davon hat merkwürdigerweise nicht nur mit Italien, sondern auch mit Belgien zu tun. Irgendwo dazwischen liegt bekanntlich die Schweiz und dort steht zur zusätzlichen Komplikation ein Auto aus Frankreich – sowie die größte aller Pfeifen.

Wie das alles zusammengeht, weiß ich im Moment selbst noch nicht, aber es wird schon gelingen – also halten Sie durch!

Beginnen wir in Italien – immer eine gute Standortwahl:

Fiat 509 Tourenwagen am Gardasee; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Als ich diese schöne Aufnahme aus den 1920er Jahren aufstöberte, sagte mir mein Bauchgefühl gleich, dass diese an einem der oberitalienischen Seen entstanden sein muss. Nur an welchem, das konnte ich zunächst nicht sagen.

Es gibt freilich einen darunter, den ich nur vom Hörensagen und aus Goethes Italienischer Reise kenne – Deutschlands südlichsten See, auch bekannt auch als Lago di Garda.

Er liegt nicht auf meiner bevorzugten Einfallsroute nach Süden, welche statt über den Brenner über den Gotthardpass führt (dorthin begeben wir uns übrigens demnächst).

Jedenfalls bestätigte sich meine Vermutung, dass sich die markant auf einem Kap liegende Burganlage dort befindet – wo genau, habe ich vergessen, aber ein Leser wird es wissen:

Warum die majestätischen Zypressen, die sich in Italien allerorten finden, in deutschen Landen nur geringer Beliebtheit erfreuen, verstehe ich nicht.

Sie sind frostfest, völlig anspruchslos, bedürfen keinerlei Pflege und wachsen einfach ihr ganzes langes Leben immer weiter gen Himmel – zwei davon zieren seit längerem meinen eigenen Garten und sie legen um rund 20 Zentimeter pro Jahr zu.

Wenn kein teutonischer Tannenfetischist sie eines Tages fällt, werden sie noch in 200 Jahren in edler Einfalt und stiller Größe gen Himmel ragen und damit selbst meinen Blog überdauern.

Der Tourenwagen vor dieser dramatischen Kulisse ist schnell als Fiat 509 identifiziert.

Das Turiner Meisterstück – ein in Massenproduktion nach US-Vorbild gefertigter Kleinwagen mit drehfreudigem 1-Liter Motor mit obenliegender Nockenwelle – war zum Zeitpunkt der Einführung anno 1925 konkurrenzlos und wurde auch in Deutschland gern gekauft.

Wo das am Gardasee abgelichtete Exemplar zugelassen war, lässt sich wohl nicht mehr feststellen:

Ja, ist ja alles schön, aber nichts Neues – das Modell hatten wir im Blog schon öfters.

War im Titel nicht etwas französisch Klingendes angekündigt, wenn auch etwas respektlos als „die größte Pfeife“?

Gewiss, aber wie im richtigen Leben wäre es langweilig, wenn man immer gleich zur Sache käme. So muss ich noch einige Zwischenstationen absolvieren, bevor wir ans Ziel gelangen.

Die erste führt uns nach Belgien, wo es eine bemerkenswerte Comic-Tradition gibt (übrigens mit einer ausgeprägten Seitenlinie in Sachen Automobile).

Vermutlich hat die desaströse Anwesenheit deutschen Militärs gleich zweimal im 20. Jh. den Belgiern das starke Bedürfnis eingeprägt, sich dem Schicksal mit gnadenlosem Humor zu stellen. Ein sympathischer Zug, dem wir Meisterwerke wie die Figur „Gaston“ verdanken.

Dieser liebenswerte Chaot bringt zwar in seinem Bürodasein nichts Konstruktives zuwege, aber er fährt einen Fiat 509 und das zeugte Mitte der 1950er Jahre, als der Comic entstand, von echtem Charakter.

Wie der Autor von „Gaston“ darauf gekommen war, der immerhin 40 Jahre lang seine Kunstfigur durch die Absurditäten des Daseins begleitete, weiß ich nicht. Er wird wohl selbst einen Bezug dazu gehabt haben – vielleicht weiß auch dazu ein Leser mehr.

Mit dem Fiat 509 von Gaston und dem vom Gardasee verlassen wir nun freilich den Süden. Auf dem Heimweg liegt – jedenfalls für mich – die Schweiz. Dort wurde in etwa zur gleichen Zeit das im Titel angekündigte französische Gefährt aufgenommen.

Tja, wie kriegt man nun die Kurve von Fiat-Enthusiast Gaston aus Belgien zu einem Franzosen in der Eidgenossenschaft – und das noch dazu auf dem Rückweg aus Italien?

Ganz einfach, man muss nur einen kleinen Sprung zu Gastons „alter ego“ machen – einer ebenfalls belgischen Parodie auf den sympathischen Loser. Allein das kündet schon von Humor, eine Karikatur zu karikieren.

Ich weiß wenig darüber, außer dass diese Figur statt „Gaston“ nun „Baston“ hieß und von etlichen namhaften Vertretern der Comic-Kunst in die skurrilsten Rollen hineinpersifliert wurde wie etwa Rocker, Firmenpatriarch, Weiberheld usw.

Das weiß ich aber alles nur zufällig, denn von diesem Genre habe ich wenig Ahnung. Ich bin darauf gestoßen, weil das erwähnte Machwerk den hübschen deutschen Titel „Baston, die größte Pfeife aller Zeiten“ trägt.

Mit den größten Pfeifen kenne ich mich wiederum recht gut aus – aber nicht weil ich Raucher wäre oder mir Mitglieder der selbsternannten Priesterkaste in Brüssel nahestünden. Nein, mich faszinieren schlicht große Orgeln und deren einzigartige physische Überwältigungsmacht.

Statt eines Riesenorchesters braucht es im besten Fall nur eine Person an den Manualen und Pedalen, um über ein Instrumentarium zu gebieten, das in die tausende gehen kann.

Nicht zufällig gibt es nur kaum befriedigende Aufnahmen von Orgelmusik. Selbst die teuersten Hifi-Anlagen scheitern an der physikalischen Herausforderung, das den gewaltigen Basspfeifen entsprechende Luftvolumen hinreichend hörbar in Bewegung zu setzen. Die Frequenz als solche ist dabei nicht das Problem, sondern die erforderliche Energie.

Wem das zu abstrakt ist, dem kann geholfen werden, und zwar anhand der größten Pfeife aller Zeiten. Die ist nun nicht mehr eine kuriose Kunstfigur aus Belgien namens Baston.

Um ihr zu begegnen und sie zu erleben, muss man sich vielmehr an einen Ort in der Schweiz begeben, wo einst dieser Tourer parkierte:

Cottin & Desgouttes in Luzern; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Aha, da haben wir endlich den angekündigten Cottin & Desgouttes! Sicher werden Sie jetzt das eine oder andere über ihn erfahren wollen.

Nun, da muss ich Sie enttäuschen und kann nur auf das Porträt eines anderen Wagen dieses Herstellers verweisen, das in meinem Blog hier zu finden ist. Sehr ergiebig ist das aber nicht.

Ist das vielleicht der Grund für das abschätzige Urteil „die größte Pfeife“ nach dem Motto: Über den Wagen lässt sich nichts irgendwie Interessantes sagen?

Nein, das gewiss nicht. Ich habe bloß nicht die geringste Ahnung, was diese Marke der zweiten Reihe (und hunderte andere aus Frankreich) angeht.

Also muss ich auf das Orgelthema zurückkommen und zuvor kurz auf historische Architektur:

Cottin & Desgouttes in Luzern; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der Cottin & Desgouttes war nämlich vor einer Kirche abgestellt, die mittelalterliche Türme mit einem Renaissance-Portal und einen barocken Giebel darüber vereint.

Umwerfend ist das Ergebnis zwar nicht, aber immerhin sehen wir hier rund 500 Jahre stilistischer Entwicklung in einem einzigen Bauwerk, das dennoch harmonisch wirkt.

Vielleicht sollte man „moderne“ Architekten erst einmal die Standards der Vergangenheit beherrschen lassen, bevor sich sich an etwas Eigenes wagen – sonst kommen weiterhin immer nur diese banalen Schuhkartons in Beton mit Glas heraus wie seit 100 Jahren.

Das eigentlich Interessante befindet sich ohnehin in der Kirche selbst, die manche unter Ihnen bereits als die Hofkirche im schweizerischen Luzern erkannt haben. Diese weiß nicht nur durch ihre kühnen Turmhauben zu beeindrucken, welche ihresgleichen suchen:

Cottin & Desgouttes in Luzern; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Drinnen befindet sich die in Teilen noch originale Orgel aus dem 17. Jahrhundert, welche trotz Umbauten über die Zeit mit einer Sensation aufwarten kann: Der größten Orgelpfeife der Welt.

Dieses am Ende des 30-jährigen Kriegs (1648) entstandene Monstrum misst über 10 Meter an Höhe. Wer mag, kann einmal recherchieren, welche Bassfrequenz damit erzeugt wird und welches kolossale Luftvolumen darin in Schwingung versetzt wird.

Das Erlebnis des Originals entzieht sich jedenfalls der technischen Reproduktion mit heutigen Mitteln. Da gibt es nichts zu „digitalisieren“ und auch die KI wird Ihnen sagen: „Nö, zwecklos.“

Genauso verhält es sich mit Automobilen aus längst vergangenen Zeiten – das Original ist nicht zu ersetzen und ist es einmal verloren, kann man es nicht mehr herstellen, nur sich ihm rein oberflächlich annähern.

Bloß auf alten Fotos können die verschwundenen Zeugen der Vergangenheit noch ein bisweilen spannendes Schattendasein in Schwarz-Weiß weiterführen…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ist das denn noch „Vorkrieg“? Ein Pontiac Six von 1939

Bisweilen erhalte ich freundliche Hinweise von Lesern, dass sie meine Ausflüge in die Welt der Vorkriegsautos zwar gerne lesen, aber zugleich eine stärkere Konzentration auf die Fragen der Entwicklung, Technik und Gestaltung wünschen.

Anders gesagt: Meine bisweilen mäandernden Hinführungen zum eigentlichen Thema gefallen nicht jedem. Das verstehe ich, kann und will es aber nicht ändern.

Ich verfasse hier keine Auftragsarbeiten, bei denen es irgendjemandes Wünsche zu berücksichtigen gilt – ein Blog ist eine subjektive Ausdrucksform und weil ich die Chose produziere und bezahle, bestimme ich auch Inhalt und Herangehensweise.

Mehr Grundsätzliches dazu in meinem Kommentar zum vorangegangenen Blog-Eintrag. Konkreteres in der Hinsicht heute anhand der Frage „Was ist eigentlich ein Vorkriegsauto?“

Diesen Beitrag hatte ich ohnehin geplant, und jetzt nutze ich die Gelegenheit dazu darzulegen, dass es beim Thema „Vorkriegsautos auf alten Fotos“ nicht um nüchterne akademische Abhandlungen geht – die finden Sie ggf. anderswo (oder auch nicht…).

Vielmehr kommt man oft nicht umhin, sich für eine ganz persönliche Sicht zu entscheiden, Sie zu erläutern und auch zur Diskussion zu stellen.

Jetzt werden manche sagen: Ist doch ganz klar, das hier ist ein Vorkriegswagen:

Adler 18/35 PS „Präsidentenwagen“ des ASC im Juni 2024 in Butzbach; Bildrechte: Michael Schlenger

Dieses herrliche Gefährt durfte ich kürzlich bei einer Ausfahrt des „Allgemeinen Schnauferl Clubs“ (ASC) in meinem Nachbarort Butzbach (Hessen) live erleben.

Wer angesichts eines solchen Meisterwerks des frühen Automobilbaus stur sachlich bleiben möchte, der ist ein armer Tropf, behaupte ich.

Dieses fast 120 alte, einst in den Adlerwerken zu Frankfurt am Main entstandene 18/35 PS-Modell ist eine Erscheinung aus einer anderen, längst untergegangenen Welt. Es in Bewegung zu erleben, ist ein geradezu mystisches Erlebnis.

Die Männer, die es geschaffen haben, die Menschen, die es einst im Alltag erlebten – sie sind allesamt verschwunden so wie weite Teile der Welt von damals – die großartigen und ebenso die verstörenden. Doch der Adler ist noch da, als wäre nichts gewesen.

Noch dazu begeistert der Umstand, dass er von jungen Leuten gefahren wird, wo diese sich doch angeblich nicht mehr für’s alte Blech interessieren. Im vorliegenden Fall weiß ich, dass das reine Erziehungssache ist – schon mit der Bemerkung mache ich mir nicht nur Freunde.

Kein Zweifel: Dies ist ein Vorkriegswagen, denn er verfügt über freistehende Kotflügel, eine klar davon abgegrenzte Hauben- und Kühlerpartie und überhaupt ist er aus einzelnen funktionellen Elementen zusammengesetzt.

Ganz anders dieses Fahrzeug, das ich bei derselben Gelegenheit aufgenommen habe. Es gehört einem ortsansässigen Enthusiasten, den ich nach Jahren wieder einmal zufällig traf. Er entschuldigte sich dafür, dass sein Wagen nicht perfekt sei, doch sehen Sie selbst:

Jaguar XK 120 in Butzbach im Juni 2024; Bildrechte: Michael Schlenger

Ein herrliches Auto – der Jaguar XK120 Roadster – aus meiner Sicht eines der schönsten der späten 1940er Jahre aus europäischer Produktion.

Doch auch wenn es motorenseitig das Aufregendste war, was damals zu bekommen war (2,4 Liter DOHC-Sechszylinder mit 160 PS) wirkt die Form noch von Vorkriegsautos beeinflusst.

Für mich gehört dieses Gerät zu den vollkommensten Beispielen der Synthese des Besten aus der Welt von Gestern und der Moderne. Dass der Jaguar XK 120 Ergebnis einer Nacht-und-Nebel-Aktion war, bestätigt meine Überzeugung, dass die besten Dinge unter großem Druck entstehen – er setzt die wirklich kreativen Kräfte des Menschen frei.

Das war schon wieder so eine unsachliche Behauptung – na und? So geht das nämlich dauernd, wenn man sich mit diesen Skulpturen aus Blech auseinandersetzt, die für manchen der eigentliche Ausdruck künstlerischer Meisterschaft der Neuzeit sind.

Wie schwierig es ist, eine objektive Grenze zwischen Vor- und Nachkriegsautos zu ziehen, das wurde mir (wieder einmal) klar, als ich bei einem kürzlichen Zwischenhalt aus dem Fenster des Hotels am Vierwaldstättersee in der Schweiz schaute:

Wagen des Luxemburger Morgan-Clubs in Beckenried, Juni 2024: Bildrechte: Michael Schlenger

Noch so eine unnötige Schleife in die Gegenwart, zudem aus der Perspektive unseres disziplinlosen Blog-Warts – das denkt jetzt vielleicht einer.

Gewiss, aber bis hier haben Sie doch durchgehalten, oder? Bleiben Sie dran, es geht am Ende schon in die Welt von Schwarz-und-Weiß, auch wenn das Thema sich als schwierig erweisen wird – soviel vorab.

Doch erst einmal nähern wir uns diesen Sportwagen des britischen Traditionsherstellers Morgan, der seit über 90 Jahren im Geschäft ist. Gebaut wurden und werden diese Wagen (teilweise) noch immer in Vorkriegsmanier, also mit blechbeplanktem Holzrahmen.

Das Ergebnis sah und sieht wie folgt aus:

Morgan-Roadster in Beckenried, Juni 2024: Bildrechte: Michael Schlenger

Aha, da haben wir einen in Deutschland zugelassenen Morgan, der sich der Ausfahrt der Luxemburger Kollegen angeschlossen hat, über die ich sonst nichts weiß – alles Zufall.

Mit Vergnügen nutze ich solche Beobachtungen am Wegesrande meines Daseins, um sie in meine Betrachtungen einzuflechten.

Was meinen Sie? Sind das nun Vorkriegswagen oder nicht? Formal sind sie jedenfalls deutlich früher als der 1948er Jaguar XK120 anzusiedeln, irgendwo in den 1930ern.

Doch nicht nur die Nachkriegsmotoren und der Komfort, den die Morgans boten und bieten, machen sie zu Schöpfungen der Nachkriegszeit.

So großartig das Fahrgefühl in diesen Wagen auch sein mag. Eines fehlt ihnen genau wie den zuhauf angebotenen Rekonstruktionen von Vorkriegswagen. Sie waren nicht „dabei“.

Was meine ich damit?

Jeder, der ein Faible für wirklich historische Gegenstände hat, Bücher des Barock, Musikinstrumente des 19. Jahrhunderts oder Artefakte aus dem Jugendstil, kennt die Magie des Antiken und kennt die Frage: Wer mag das einst besessen haben?

Und daran anknüpfend die menschliche Frage schlechthin: Was wurde aus den Besitzern, was ist ihnen in den Katastrophen der Vergangenheit widerfahren?

So, damit sind wir nun endlich dort angelangt, wohin ich eigentlich wollte – aber es ging nur auf diesem Umweg, sonst würde Ihnen das folgende Foto vielleicht banal vorkommen:

Pontiac Six im Mai 1939; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ja, ist das denn noch ein Vorkriegswagen? Nach den bisherigen Betrachtungen fällt die Antwort wie in vielen existenziellen Fragen ambivalent aus: ja und nein.

Die Frontpartie dieses Autos wirkt bereits wie aus einem Guss, ein Kühler ist eigentlich nicht mehr als eigenständiges Element zu erkennen – die Kotflügel sind nicht mehr freistehend.

Dieser Wagen ist weit näher am Nachkriegs-Jaguar XK 120 als an den optisch auf Vorkrieg getrimmten Morgans – was kein Werturteil sein soll, ich mag die Dinger.

Aber: Der Datierung der Aufnahme nach ist der Fall klar. Das Auto wurde im Mai 1939 fotografiert und sein Konterfei gelangte per Post an die Verwandtschaft in Deutschland – wo es die Zeiten bis in unsere Tage überdauerte, mehr wissen wir nicht.

Entstanden ist dieses Zeitdokument in Fremont im US-Bundesstaat Nebraska, während der Wagen selbst im Bundesstaat Iowa zugelassen war. Identifizieren konnte ich das Auto als Pontiac „Six“ des Modelljahrs 1939 – der Wagen war also noch ziemlich neu.

Was macht diesen Pontiac bei aller Modernität der Erscheinungsform zu einem Vorkriegswagen? Das ist die zeitgeschichtliche Komponente, an der hier kein Weg vorbeiführt.

Denn wir dürfen annehmen, dass etwas mehr als fünf Jahre später – im Juni 1944 – irgend ein Mann, der diesen Pontiac gefahren oder gesehen oder in der Umgebung gelebt hat, an der Landung der US-Truppen in der Normandie beteiligt war.

Dort gab es einen nach der größten Stadt Nebraskas – Omaha – benannten Strandabschnitt. Was sich dort am 6. Juni an Horror auf beiden Seiten abspielte, ist schwer zu erfassen.

Die jungen US-Soldaten liefen aus den Landungsbooten ungedeckt in das deutsche Abwehrfeuer hinein – während ihre Gegner, mit denen sie in manchen Fällen verwandt waren, keine andere Wahl hatten, als die eigenen Stellungen und das eigene Leben zu verteidigen.

Das ist die Assoziation, die nur ein Foto eines Vorkriegsautos auszulösen vermag. Es ist der historische Ballast, den so ein Wagen mit sich schleppt, nicht Technik oder Formgebung.

Daher wird der perfekteste Neuaufbau nie ein Vorkriegsauto werden und umgekehrt ist selbst der erbärmlichste, x-fach umgebaute Überlebende immer noch ein Relikt der Vorkriegszeit.

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Das ist ja die Höhe! Auto-Markenvielfalt vor 90 Jahren

Geht Ihnen der Zeitgeistbegriff der „bunten Vielfalt“ auch auf die Nerven? Als ob die Welt das nicht schon immer gekannt und (in dosierter Form) geschätzt hätte. Darüber musste nicht ständig geredet werden.

Kein Kulturvolk wäre ohne Vielfalt der Ideen, Talente und Ziele ein solches geworden. Nehmen wir das antike Griechenland – ein Flickenteppich stolzer Städte, der es nie zu einem gemeinsamen Staat brachte, aber die Kulturgeschichte Europas bis heute so geprägt hat wie nur ein weiteres Volk – die Römer.

Die haben es das erste und einzige Mal geschafft, von Portugal bis Kleinasien, von Britannien bis Ägypten eine über Jahrhunderte weitgehend friedliche und prosperierende, lokale Traditionen achtende Gesellschaft zu schaffen die zugleich flächendeckend Überlegenes bot. Zwar wurde erst einmal alles zusammenerobert, aber Machtstreben ist eine weitere Konstante.

Das Ergebnis war „Multikulti“ unter dem Dach einer omnipräsenten und mit enormen Vorteilen verbundenen Leitkultur. Mit einem einheitlichen Wirtschaftsraum ohne Zölle, Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit, einer edelmetallgedeckten Währung, Frei- und Fernhandel, überschaubaren Steuern, bester Infrastruktur, robuster Grenzsicherung und minimaler Intervention ins Privatleben. Klingt auch heute nicht schlecht, oder?

Das Übel der Sklaverei darf dabei nicht unerwähnt bleiben, welches freilich auch in der sich als christlich dünkenden Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert als legitim galt. Vielfalt.

Heute geben wir uns einmal ganz reaktionär und stellen der „bunten Vielfalt“ unserer Tage, die bemerkenswert autoritär propagiert wird, die vermeintlich schwarz-weiße Einfalt von einst gegenüber und schauen, was es damit wirklich auf sich hat.

Dabei geht es ziemlich hoch hinaus, wie wir in mehrfacher Hinsicht sehen werden:

Monte Subasio (Umbrien), Juni 2024; Bildrechte: Michael Schlenger

Das ist ja die Höhe – ein Foto ganz ohne Autos! Nicht ganz, meines stand unweit geduldig auf der weißen Schotterpiste, über die ich an diesen Ort gelangt war.

Zu sehen ist hier der Gipfel des Monte Subasio – mit knapp 1300 Metern Höhe und seiner markanten abgerundeten Form ein landschaftsbeherrschender Berg im italienischen Umbrien. Der Blick geht über die Valle Umbra – also die Ebene zwischen Perugia und Spoleto – in Richtung Süden.

Besagte Römer haben das Sumpfland im Tal in generationenlanger Arbeit trockengelegt und urbar gemacht. Sie waren auch die ersten, die im Tal verkehrsgünstig Städte anlegten, alle älteren Siedlungen befinden sich auf den umliegenden Hügeln.

Das römische Vermessungsnetz ist an vielen Stellen bis heute zu erkennen – Straßen, Felder- und Flurgrenzen folgen ihm. Selbst das Gewerbegebiet von Foligno ist in das antike Rechteckraster eingefügt. In Foligno verbrachte übrigens der spätere Stauferkaiser Friedrich II. seine ersten Lebensjahre – die Umbrer betrachten und verehren ihn als einen der ihren.

Dass im damals von Deutschland bis Sizilien reichenden Imperium Vielfalt pur herrschte, weiß jeder, der sich einmal mit dieser bedeutenden Epoche beschäftigt hat. Die in der Nähe meines Heimatorts stehende doppeltürmige Münzenburg (von der A5 aus südlicher Richtung aus zu sehen) und das völlig anders geartete Castel del Monte in Apulien stehen bis heute sinnbildlich für die Pole der Vielfalt in der mittelalterlichen Welt der Staufer.

Das ist ja die Höhe, was einem heute an geschichtlichen Exkursen zugemutet wird, mögen Sie jetzt denken. Mag sein, aber ich bin im kleinen Reich meines Blogs der Imperator und Sie sind alle freiwillig da. Also bitte, ich habe bisher noch immer die Kurve bekommen zum alten Blech (selbst hier, wenn auch erst ziemlich spät).

Bei mir bleiben Sie stets ganz auf der Höhe, was Vorkriegsautos auf alten Fotos angeht – so auch diesmal. Und das im besten Wortsinn:

Wiener Höhenstraße; originale Postkarte aus Sammlung Michael Schlenger

Speziell meine Leser in Österreich werden sofort wissen, wo diese Aufnahme entstand.

Wir blicken hier von der Wiener Höhenstraße auf den Leopoldsberg mit seiner schönen Barockkirche, die trotz schwerer Bombenschäden (Februar 1945) heute wieder in alter Pracht erstrahlt.

Bei meinen Recherchen stellte ich fest, dass dieser Abschnitt der Wiener Höhenstraße erst 1935 freigegeben wurde. Gern hätte ich die Aufnahme nur anhand der darauf abgebildeten Autos datiert – das ist nämlich erstaunlich präzise möglich, auch wenn hier noch viel Material aus den 1920er Jahren vertreten ist.

Großartig finde ich die Vielfalt an Marken und Baujahren, die auf diesem Zeugnis versammelt sind. Dieses Nebeneinander – aber auch das Fehlen bestimmter Modelle – ist es, was das Foto trotz des Mangels an Farbe so faszinierend macht.

Keine Sorge, ich werde nicht jedem der abgebildeten Wagen ein ausführliches Porträt widmen. Etliche davon habe ich schon einmal im Blog präsentiert – sie sind über die Suchfunktion oder in meinen Markengalerien zu finden.

Wer zu dem einen oder anderen Auto Details oder auch andere Einschätzungen ergänzen möchte, ist wie immer willkommen, dies über die Kommentarfunktion zu tun.

Beginnen wir ganz rechts, dort finden sich die Vertreter der „Veteranen“-Fraktion:

Sind Ihnen die geisterhaften Schatten am oberen Bildrand aufgefallen? Sie stammen von wegretuschierten Personen, die sich während der Belichtung dieser Aufnahme bewegt haben.

Der Fotograf hatte am Objektiv eine kleine Blende gewählt, um möglichst viel Schärfentiefe (manche sagen: Tiefenschärfe) zu erhalten. Entsprechend musste er eine etwas längere Belichtungszeit wählen, zumal da das Bild am späten Nachmittag bei sinkender Sonne entstanden zu sein scheint.

Das ist ja die Höhe – Bildmanipulation gab es also auch früher schon! Ja natürlich, und zwar seitdem es die Fotografie gibt.

Ein Foto ist mitnichten ein präzises Abbild der Wirklichkeit, sondern immer Ausschnitt und Interpretation derselben. Es zeigt nur eine bestimmte Perspektive und einen konkreten Augenblick, das Objekt wird in ein möglichst günstiges oder ungünstiges Licht gerückt, Unerwünschtes wird ausgeblendet oder gar wegretuschiert, Proportionen betont oder verfälscht, Kontraste werden verstärkt oder weichgezeichnet usw.

Das mache ich mit fast jedem Foto in meinem Blog ebenfalls, und Sie bekommen das Meiste davon nicht mit, da Sie im Regelfall das Ausgangsmaterial nicht kennen.

Letztlich geht es mir um die Wirkung der Situation und die Aussagefähigkeit, was den Hersteller oder das Modell des abgebildeten Fahrzeugs angeht.

Jetzt stürzen wir uns aber wirklich in die automobile Vielfalt von damals:

Der Mercedes vorne in der Mitte ist wohl das älteste Fahrzeug, das hier zu sehen ist. Er trägt noch den dreigezackten Stern auf beiden Seiten des Spitzkühlers und ist sicher vor dem Zusammenschluss von Daimler und Benz entstanden.

Ich würde den Wagen als Mercedes des Typs 15/70/100 PS in der Ausführung von 1924-26 ansprechen – ein kolossales Fahrzeug, das noch lange nach dem Ende seiner Bauzeit den Besitzern äußerst komfortable und mühelose Fortbewegung ermöglichte.

Direkt neben ihm steht ein deutlich kleinerer Citroen des Typs C6 (vom C4 durch die Radkappen zu unterscheiden), wie er von 1928-32 gebaut wurde.

Mit etwas Abstand geparkt hat auf der anderen Seite ein US-Modell – entweder ein Studebaker von 1930 oder (wahrscheinlicher) ein Graham-Paige von 1929.

In der zweiten Reihe dahinter haben sich einträchtig zwei Austro-Daimler eingefunden. Den linken Wagen halte ich für einen Typ ADR (Bauzeit: 1927-31), während der rechte der ältere Typ ADM (Bauzeit: 1923-28) sein könnte und damit dem Mercedes Konkurrenz in punkto Alter machen würde.

Moderner geht es nun in der zweiten Bildhälfte zu, jedenfalls überwiegend. Beginnen wir mit dem rechten Teil derselben:

Bei dem Mercedes-Benz rechts oben würde ich auf den Typ 200 (Bauzeit: 1933-36) tippen. Der wesentliche größere Wagen daneben ist sehr wahrscheinlich ein US-Fabrikat aus der zweiten Hälfte der 1920er Jahre – auf einen Versuch der Identifikation verzichte ich hier.

Was aber könnte das für ein 4-Fenster-Cabriolet (oder Cabrio-Limousine) ganz vorne rechts sein? Ich denke hier an den Steyr Typ XX (1928/29), allerdings passen die seitlichen Parkleuchten aus meiner Sicht nicht dazu.

Schauen wir nun noch auf den zweiten Part der linken Bildhälfte:

Bei diesen Fahrzeugen befinden wir uns ganz nahe am Entstehungszeitpunkt der Aufnahme.

Links haben wir einen modernisierten Steyr des Typs 430, wie er von 1933-35 gebaut wurde. Hier die luxuriöse Ausführung als 4-Fenster-Cabriolet.

Deutlich darüber angesiedelt war indessen die weit voluminösere Limousine daneben. Er besaß mit seiner schon fast wie aus einem Stück bestehenden Frontpartie die wegweisendsten Formen aller hier zu sehenden Wagen.

Außerdem dürfte er von der effektiv nutzbaren Leistung das stärkste Auto im Feld gewesen sein. Wir haben es nämlich mit einem 1934er Hudson zu tun, der ausschließlich mit 8-Zylindermotoren (Reihe) verfügbar war, die zwischen 100 und 120 PS leisteten.

Dieses Gerät – nebenbei ein typischer 8-Zylinder-Amerikaner, der sich auch heute noch souverän im Verkehr bewegen lässt – ist das Fahrzeug, anhand dessen ich die Aufnahme auf Mitte der 1930er Jahre datiert hätte. Passt perfekt zum Baufortschritt der Höhenstraße.

Bemerkenswert diese Vielfalt an Herstellern, Modellen, Aufbauten und Baujahren auf diesem zufälligen Zeitdokument, nicht wahr? Was aber fehlt bei aller Vielfalt?

Was wir vermissen, sind die typischen Kleinwagen jener Zeit, die in Deutschland vor allem von DKW und Opel gefertigt wurden, aber auch in großer Zahl exportiert wurden.

Waren diese im damaligen Österreich eher selten oder hatten deren Besitzer schlicht Besseres zu tun, als sich abends am Blick auf den Leopoldsberg und (in der Ferne) Wien zu erbauen und dafür „sinnlos“ Benzin zu verbrauchen?

Wie so oft in der Kulturgeschichte sind auch hier die „kleinen Leute“ unterrepräsentiert, die vielleicht keine grandiosen Eingebungen haben und über besondere Talente verfügen, die aber den Laden unauffällig am Laufen hielten und halten.

Das waren in der Antike die, welche die Schiffe bauten, mit denen die Griechen den Mittelmeeraum besiedelten, die, welche in römischer Zeit die Infrastruktur zur Entwässerung sumpfiger Ebenen bauten, die, welche im Hochmittelalter Burgen und Kathedralen hochmauerten und die, welche einst am Hochofen standen, in denen der Stahl für die Automobile entstand, die wir heute so bewundern.

Diese echte Vielfalt an Können, Planen und Arbeiten auf allen Ebenen ist es, welche das Leben eines Kulturvolk ausmacht – keine bloßen Propagandaparolen – das gilt heute wie einst.

Das ist ja die Höhe, dass es am Ende wieder grundsätzlich wird. Ja, aber auch darum geht es (mir) bei der Beschäftigung von Vorkriegsautos auf alten Fotos…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Spurensuche: Beckmann-Automobile (1925-1927)

Vor wenigen Stunden bin ich wieder einmal mit dem Auto an meinem Feriendomizil im italienischen Umbrien angekommen.

Die knapp 1200 km sind schnell vergessen, südlich der Alpen war es frühsommerlich warm, Schäfchenwolken glitten über den blauen Himmel – die Landschaft leuchtet nach den ergiebigen Regenfällen der letzten Monate im üppigsten Grün.

Nur von der herrlichen Blütenpracht an Feldern und Olivenhain, die von den hiesigen Landwirten geschont wird und noch im Mai zu bewundern war, ist kaum etwas geblieben. Dafür hat jetzt der Ginster das Regiment übernommen.

Auch wenn morgen etwas Arbeit ansteht – als Freiberufler kann man nie „offline“ sein – steht mir der Sinn nach Aufarbeitung der jüngsten Folge der Spurensuche in Sachen Beckmann, die ich gemeinsam mit Christian Börner unternehmen darf.

Als noch im schlesischen Breslau geborener Urenkel von Paul Beckmann – Chef der dort ansässigen Beckmann-Automobilwerke – verfügt er quasi über einen direkten Draht in die Vergangenheit, wie das kaum mehr möglich ist.

Er hatte noch Gelegenheit, seine Großtante Ilse Beckmann auszufragen, das wohl berühmteste Familienmitglied und wie Christian Börner eine Persönlichkeit mit großer Leidenschaft für das Autofahren – das schnelle Fahren, damit wir uns recht verstehen.

Doch bevor wir zu dieser bemerkenswerten Dame kommen, von der man sich in unseren Tagen eine Wiedergängerin vergeblich wünscht, gebietet es die Chronistenpflicht, erst einmal dort anzuknüpfen, wo wir zuletzt (hier) stehengeblieben waren.

Das war anno 1924, als die Firma Beckmann diesen Tourenwagen der gehobenen Mittelklasse mit Motorisierung 8/32 PS (zugekauft von Basse & Selve) herausbrachte:

Beckmann 8/32 PS von 1924/25; Prospektabbildung via Christian Börner

Formal war dieser Wagen vollkommen zeittypisch – man findet viele ähnliche deutsche Wagen kurz vor Mitte der 1920er Jahre und mein Fotofundus umfasst einige Kandidaten, die sehr nahe an diesem Modell sind, aber leider doch nicht ganz passen wollen.

Das kann durchaus der Tatsache geschuldet sein, dass die Wagen damals in natura etwas anders ausfielen, als auf solchen gezeichneten Prospektabbildungen.

Daher die Bitte an die Leserschaft mit eigenem Fotobestand, noch einmal im eigenen Archiv nachzuschauen – es muss da draußen noch Aufnahmen solcher Beckmann-Wagen geben.

Eine davon – leider nur in einem größeren Kontext – erhielt Christian Börner im Zuge seiner Recherchen vom Betreiber der Website http://www.motopedia.info in digitaler Form übermittelt.

Zu sehen ist hier der Stand von Beckmann auf der Berliner Automobil-Ausstellung 1925:

Berliner Automobil-Ausstellung 1925; Originalfoto: http://www.motopedia.info (Axel Klug), via Christian Börner

Christian Börner berichtet hierzu:

„Laut Allgemeiner Automobil-Zeitschrift Nr. 1/1926 waren von Beckmann nur zwei Autos des Typs 8/32 PS ausgestellt. Bei näherer Betrachtung ist am Beckmann-Stand aber ein drittes Fahrzeug zu erkennen, das quer zu den anderen aufgestellt ist.

Es könnte sich dabei um eine Limousine der in der vorigen Folge beschriebenen Pullman-Type 12/40 PS gehandelt haben.“

Ich selbst würde die Möglichkeit ins Spiel bringen, dass es sich bei dem dritten Wagen um eine Limousinenausführung besagten Typs 8/32 PS handelt. Denn klein waren diese Beckmann-Tourer ja nicht gerade – auf deren Chassis sollte auch ein großer Limousinenaufbau passen.

So oder so zeigt das Beispiel: Zeitgenössische Evidenz ist zwar besser als keine, aber das heißt nicht, dass sie auch akkurat oder vollständig sein muss.

Auf der Berliner-Ausstellung anno 1925 war übrigens kein Platz für ein weiteres Beckmann-Modell, welches zwar ebenfalls bereits 1924 entstanden war, aber weiterhin aktuell war, wie wir gleich sehen werden.

Denn vom Motorenlieferanten Basse & Selve war in derselben Hubraumklasse ein leistungsgesteigertes Aggregat 8/40 PS verfügbar (siehe auch diesen Selve-Blog-Eintrag). Damit ausgestattet bot Beckmann das sportliche Model 40 SL an.

Die Motorleistung wurde bei unveränderter Bezeichnung in der Praxis immer weiter gesteigert – sodass faktisch einige Pferdchen mehr unter der Haube des Beckmann 40 SL darauf warteten, die Sporen zu bekommen.

Dafür war dann Christian Börners Großtante persönlich zuständig, die in den 1920er Jahren bekannte Sportfahrerin Ilse Beckmann, im damaligen Deutschland eine der wenigen ihrer Zunft neben Clärenore Stinnes.

Auch gegen diese trat „Fräulein Ilse Beckmann auf Beckmann“ an, eine der beiden Schwestern des Junior-Firmenchefs Otto Beckmann (die andere war Christian Börners Großmutter).

Hier haben wir die eilige Ilse kurz vor dem Einsatz:

Ilse Beckmann auf Beckmann SL40 im Jahr 1925; Originalfoto via Christian Börner

Dass Ilse Beckmann „Benzin im Blut“ hatte, wie es damals hieß, das weiß Christian Börner wie gesagt noch aus ihren späteren Erzählungen – vielleicht mit einem überraschenden Detail:

„In den frühen 1920er Jahren absolvierte Ilse Beckmann einige ihrer Wettbewerbsfahrten noch mit einem Beifahrer („Schmiermaxe“ genannt). Anno 1921 war ein- oder zweimal ein gewisser Rudolf Caracciola ihr Beifahrer. Der war drei Jahre jünger als sie und volontierte gerade als Ingenieurstudent bei den Fafnir-Werken (Aachen).

Kurz darauf (1922), mit dem Gewinn seines ersten Rennens auf einem Fafnir, begann Caracciolas eigene große Rennfahrerkarriere. Der Job als Novize an Bord bei Ilse Beckmann scheint ihm also nicht geschadet haben.“

Aus logistischen Gründen bestritt Ilse Beckmann etliche ihrer Wettbewerbe im damaligen ostdeutschen Raum, was dazu beigetragen haben mag, dass sie heute nicht mehr den Bekanntheitsgrad genießt wie vor 100 Jahren.

Für einen aufmerksamkeitsstarken Auftritt sorgte nicht zuletzt der Umstand, dass ihr flotter Beckmann SL40 eine leuchtendrote Lackierung besaß. So ist es überliefert und ausnahmsweise bedauern wir es, dass die zeitgenössischen Fotos von Vorkriegsautos diese fast immer (es gibt wenige Ausnahmen) in schwarz-weiß zeigen:

Ilse Beckmann auf Beckmann SL40; Originalfoto via Christian Börner

Auch wenn man sich das Feuerwehrrot hier dazudenken muss, glaubt man gern, dass sich dieses Gerät mit langer Motorhaube und sparsamem Aufbau (die Türen sind eher Dekor) durchaus flott bewegen ließ, wenn es sein musste und man es konnte wie Ilse Beckmann.

Nebenbei ist dies die beste Aufnahme, die mir bislang untergekommen ist, auf der man den Beckmann-Kühler um Mitte der 1920er Jahre erkennt. Auch dies mag eine Motivation sein, noch einmal nachzuschauen, was sich in der Hinsicht auf alten Fotos finden lässt, die bisher unidentifizierte deutsche Fabrikate der 1920er Jahre zeigen.

An dieser Stelle übergebe ich wieder Christian Börner das Wort; immerhin ist er heute quasi der Chef vom Janzen in Sachen Beckmann – auch wenn die Firma als solche längst aus dem Handelsregister gelöscht ist.

„Ilse Beckmanns sportliche Erfolge konnten das Ende der Firma nicht aufhalten. Beckmann schrieb zunehmend rote Zahlen und war übernahmereif.

Mit Opel fand sich ein solventes Unternehmen, das den attraktiven Beckmann-Standort in der Großstadt Breslau 1927 mitsamt den 150 Mitarbeitern zu guten Konditionen übernahm und zur zentralen schlesischen Opel-Werksniederlassung mit Reparaturwerk umwandelte.“

Hier der (auf wundersame Weise, siehe unten) bis heute erhaltene Bau in einer zeitgenössischen Aufnahme:

Beckmann-Firmengebäude nach Übernahme durch Opel, Tauentziehnstr. 124, Breslau; Archivfoto: Architekturmuseum Wroclaw (via Christian Börner)

Doppeltes Glück hatte dabei Otto Beckmann: Zum einen avancierte er zum Geschäftsführer dieser Opel-Niederlassung und blieb in der Position bis zur Flucht bzw. Vertreibung der Deutschen aus Schlesien 1945. Zum anderen konnte er nach der Übernahme noch einige auf Halde produzierte Beckmann-Wagen unter dem alten Firmennamen verkaufen.“

So fand die Automobilfabrikation von Beckmann nach rund 30 Jahren einen würdigen Abschluss. Weniger erbaulich ist das weitere Schicksal der Fabrikgebäude mit einstiger Breslauer Adresse Tauentzienstraße 124. Dazu berichtet Christian Börner:

„Die alten, großen Fabrikgebäude, die Paul Beckmann 1898 hatte errichten lassen und welche den 2. Weltkrieg leidlich überstanden hatten, wurden 2019/2020 abgerissen.“

An dieser Stelle sei angemerkt, dass die Zerstörung solcher an Dauerhaftigkeit kaum überbietbaren Bauten der Gründerzeit auch im kriegsversehrten Deutschland bis in unsere Tage anhält.

Das Bauen im und mit dem historischen Bestand überfordert viele zeitgenössische Architekten und Entwickler – und das vor dem Hintergrund der gerade modischen Parole „Nachhaltigkeit“.

Beckmann-Nachfahr Christian Börner weiß aber noch mehr zu berichten:

Ausgenommen blieb das straßenseitige Büro- und Empfangsgebäude, weil es mir mit lokalen Unterstützern gelungen war, es unter Denkmalschutz stellen zu lassen. Nach Renovierung konnte ich 2023 eine von der Denkmalbehörde der Stadt angebrachte Erinnerungstafel im Beisein von Honoratioren, Presseleuten und vielen Interessenten enthüllen.

Beckmann-Erinnnerungstafel am einstigen Firmengebäude in Breslau (Wroclaw); via Christian Börner

Ein großartiger, bleibender Erfolg für den Beckmann-Erben Christian Börner.

Aber damit nicht genug: Der auch im übertragenen Sinne sportlich veranlagte Großneffe von Ilse Beckmann hat sich nämlich schon vor langer Zeit auf ein weiteres Projekt gestürzt und an etwas mitgewirkt, worauf seine Vorfahren ebenso stolz gewesen wären.

Die Rede ist von der Wiederbelebung des letzten noch existierenden Beckmann-Automobils. Davon wird uns Christian Börner aus aktuellem Anlass berichten und das aus allererster Hand!

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Retro-Chic war schon mal modern: Delage Type CO

Seit ich mich für Autos interessiere, waren es fast immer ältere oder zumindest klassische Modelle, für die ich mich erwärmen konnte. Mag sein, dass dies seinen Ursprung in der elterlichen Garage hatte.

Dort stand neben dem 1963er Volkswagen meiner Mutter in der schicken Exportversion mit Faltschiebedach und Doppelstoßstangen anfänglich auch ein Mercedes Heckflosser. Eine elend lahme Kiste mit Rost an allen Ecken – doch der opulente Chromschmuck in massiver Verarbeitung hatte es mir angetan – der hässliche Bandtacho im Armaturenbrett weniger.

Den Wagen von Daimler-Benz bekam es meist nicht, wenn man sich um modische Akzente bemühte – zum Glück verschwanden die Heckflossen bald wieder und bis in die späten 1980er Jahre war bei Mercedes zeitlos klassische Optik angesagt.

Das einzige Mercedes-Modell, das mich in jüngerer Zeit noch einmal angesprochen hat, war der hinreißend unpraktische CLS „Shooting Break“ – eine Hommage an längst vergessene Styling-Exzesse als die Haube nicht lang genug, die Frontscheibe nicht niedrig genug und der Einstieg nicht schwierig genug sein konnte. Das Ganze als Kombi – sagenhaft!

Wenn sich so eine Skulptur auf Rädern dann noch modernster Technik bedient und großzügig motorisiert ist, dann schlägt das Herz all derer höher, für die Kultur dann beginnt, wenn Notwendigkeiten in den Hintergrund rücken und kontrollierter Unvernunft weichen.

Dass man dabei mit bewährten formaler Lösungen der Vergangenheit einen Nerv trifft, das zeigen nicht nur Kleinwagen wie der neu aufgelegte Fiat 500 und freche Sportler wie der immer noch aufregende Mini, sondern auch aktuelle Musclecars wie Ford Mustang oder Dodge Charger – am besten mit großvolumigem V8.

Solche Retro-Tendenzen hat es schon immer gegeben. Der Orientierung am Besten der Vergangenheit verdanken wir ganze Epochen wie die augusteische Klassik der Römerzeit, die Renaissance, den Klassizismus und zuletzt den Historismus des späten 19. Jh.

Darin spiegelt sich keine Einfallslosigkeit oder Rückständigkeit wider – sondern schlicht die Einsicht, dass bestimmte Gestaltungsformen das Auge besonders fesseln und bestimmte Proportionen als besonders harmonisch empfunden werden.

Dass dies im Automobilbau schon vor über 100 Jahren so war, das zeigt ein großartiges Foto, welches mir Leser Klaas Dierks in digitaler Form zur Verfügung gestellt hat:

Delage Type CO; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Wie so oft bei alten Aufnahmen fesselt hier der Blick des jungen, glattrasierten Mannes mit modischer Ballonmütze am Steuer. Mit seiner für die 1920er Jahre typischen Aufmachung steht er in merkwürdigem Kontrast zu dem scheinbar antiken Gefährt.

Das beeindruckend dimensionierte Auto besitzt nämlich einen stockkonservativen Aufbau als Chauffeur-Limousine, bei der die Passagiere in einer geschlossenen Kabine sitzen, während der Fahrer noch außerhalb sitzt – wie das Kutscher seit Urzeiten gewohnt waren.

Um das Bild einer auf den ersten Blick vorgestrigen Optik zu vervollständigen, sind sogar noch seitliche Positionslampen nach Art alter Gas- oder gar Petroleumleuchten montiert:

Wenn man nun meint, dass hier der bedauernswerte Fahrer irgendwelcher älterer Herrschaften zu sehen ist, die auch nach dem 1. Weltkrieg stur an ihrem betagten Vehikel festhielten, dann könnte man falscher kaum liegen.

Denn dieses Prachtstück von Automobil gehörte zu seiner Entstehungszeit zum avanciertesten, was auf dem europäschen Kontinent in motorisierter Form zu bekommen war. Der Wagen war nämlich ein Delage des Typs CO, wie er erst ab 1919 gefertigt wurde.

Zwar war das CO-Modell mit seinem 4-Liter großen Sechszlindermotor dem Grundsatz nach bereits 1916 eingeführt worden. Doch erst nach dem 1. Weltkrieg erhielt er neben einer Leistungssteigerung auf opulente 70 PS das, was ihn zu einem der modernsten Wagen seiner Zeit machte.

Was das war, ist auf dem Foto von Klaas Dierks zu sehen – es fällt vor lauter „Retro-Optik“ nur erst einmal nicht auf:

Haben Sie’s erkannt? Ja, die riesigen Trommelbremsen an den Drahtspeichenrädern waren so früh nach dem Krieg noch eine absolute Seltenheit.

Vorderradbremsen galten mit Blick auf die Lenkbarkeit bei Bedenkenträgern lange als problematisch, was in der Praxis aber widerlegt wurde. Man findet sie ab 1920 zunehmend bei hochwertigen Automobilen europäischer Hersteller. In Deutschland kamen sie aber in den meisten Fällen erst ab 1925 serienmäßig zum Einsatz.

Tatsächlich waren die drehmomentstarken Delage-Wagen vom Beginn der 1920er Jahre in Europa fast ohne Konkurrenz und sie genossen einen Ruf, der bis heute nachhallt.

Man sieht daran: Retro-Chic und zeitgemäße Technik vertragen sich ganz ausgezeichnet – leider machen deutsche Hersteller so gut wie keinen Gebrauch davon und lassen sich von den oben erwähnten Fabrikaten das Geschäft wegnehmen.

Der verwegene Versuch, einen Luxuswagen mit Mercedes-Optik ausgerechnet als „Maybach“ zu vermarkten, musste scheitern und der VW „Beetle“ war eher eine Karikatur als ein würdiger Wiedergänger des „Käfers“.

So müssen wir uns weiter an die Originale von einst halten, aber das ist ohnehin meist das Beste…

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Souverän durch’s Chaos: Adler 1,7 & 2 Liter Cabriolet

Als Schulbub hatte ich in der Familie den Ruf als Leseratte weg. Irgendwie hatte ich schon vor der Grundschule zu lesen gelernt – wohl hatte ich meinen älteren Bruder bei den Hausaufgaben genervt, bis er mir verriet, wie das ging.

Ich las alles, dessen ich habhaft werden konnte – erst im heimischen Bücherschrank, später in der Stadbibliothek. Zu den Werken, die neben Archäologie und Science Fiction früh Eindruck bei mir hinterließen, gehörten Gustav Schwabs „Sagen des Klassischen Altertums“.

Darin waren die Mythen der alten Griechen und Römer in komprimierter Form enthalten – wenn ich mich recht entsinne im klassischen Stil von Johann Heinrich Voss (1751-1826). Irgendwann las ich auch dessen komplette Übertragung von Homers Ilias und Odyssee – der Werke, die am Anfang der europäischen Literatur stehen und bis heute fortwirken.

Der König von Ithaka, der mit seiner List den Griechen vor Troja nach 10 Jahren Belagerung zum Sieg verhalf, gehört für mich zu den großartigsten Figuren der Literaturgeschichte. Denn nach der Überwältigung der Trojaner sollte er auf dem Heimweg nach und nach alles verlieren, seine Flotte, seine Kameraden und beinahe das nackte Leben.

10 Jahre irrte er umher, den Launen der Götter unterworfen, nur mit Athene als Verbündeter. Praktisch mittellos landete er schließlich an den heimischen Gestaden.

Wie er von alten Weggefährten erkannt wird und schließlich mit tödlicher Präzision unter den Freiern aufräumt, die seine Frau bedrängen, und am Ende einen einzigen verschont, das gehört zu den atemberaubendsten Episoden in der Literatur.

Souverän durchs Chaos des Daseins – das gilt für meinen Heros Odysseus ebenso wie für das Fahrzeug, das ich heute anhand eines Bilderreigens präsentiere, der Sie am Ende hoffentlich ebenso sprachlos zurücklässt wie mich einst die Lektüre Homers.

Eine ehrgeizige Nummer, werden Sie jetzt denken. Und Sie haben recht: Denn die Modelle 1,7 bzw. 2 Liter des Traditionshauses Adler aus Frankfurt am Main boten neben dem Frontantrieb technisch nichts, was sie irgendwie vor der Konkurrenz auszeichnete.

Und trotz der modern gestalteten Kühlerpartie erschien die Limousinenausführung wenig aufregend – die mittig geteilte Frontscheibe wirkte schroff und der Aufbau abweisend:

Adler 1,7 Liter Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Gleichwohl hatte der 1936 in dieser Form vorgestellte Adler unzweifelhafte Nehmerqualitäten – der Dulder Odysseus lässt an dieser Stelle das erste Mal grüßen.

Dieses um 1960 entstandene Foto zeigt ein Exemplar mit geschlossener Karosserie und niederländischer Zulassung. Bei der Gelegenheit sei angemerkt, dass die glatten Scheibenräder der einzige Hinweis auf die Motorisierung sind.

Die 1938 eingeführte stärkere 2 Liter-Version ist praktisch nur dadurch zu unterscheiden, dass sie gelochte Felgen besaß. Das sah dann so aus:

Adler 2 Liter Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ein nettes Foto irgendwo an einer Tankstelle aufgenommen kurz vor oder nach dem 2. Weltkrieg. Der Adler wirkt hier trotz untadeliger Proportionen immer noch wenig einladend.

Das wird sich gleich ändern, denn auf der mindestens 10-jährigen Odyssee, die ich nun gemeinsam mit Ihnen unternehmen will, begegnet uns der Adler nur noch in der Erscheinungsform als Cabriolet, die eine Klasse für sich war.

Man bekommt eine erste Ahnung davon auf dieser Abbildung:

Adler 1,7 Liter Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Befreit von dem düsteren Dachaufbau präsentiert sich der Adler hier mit einem Mal fast luftig und leicht – die Heiterkeit der jungen Dame davor tut ein übriges.

Sie war offenbar mit der besseren Hälfte unterwegs auf Urlaubsreise und wir begegnen ihr gleich noch einmal.

Hätte ich nicht beide Aufnahmen zusammen erworben, wäre ich vermutlich nie darauf gekommen, dass auch dieses Foto einen solchen Adler zeigt:

Adler 1,7 Liter Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier ging es einst hoch hinaus und man konnte sich damals nicht ausmalen, welche Odyssee einem in den nächsten Jahren bevorstand.

Doch bis dahin war man frohen Mutes, denn es ging vermeintlich herrlichen Zeiten entgegen in deutschen Landen – wenn man nicht zum Feindbild der Herrschenden zählte. .

Dieser junge Herr konnte sein Glück kaum fassen, war er doch nicht nur mit einem schicken Adler-Cabrio unterwegs, hier sogar in der sportlichen 2-Fenster-Ausführung – sondern hatte gleich zwei Grazien als Begleiterin – was konnte da noch schiefgehen?

Adler 1,7 Liter oder 2 Liter Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ob es diese spezielle Ausführung nicht nur für den Adler 1,7 Liter, sondern auch die spätere 2-Liter-Version gab, das werden sicher sachkundige Leser beantworten können (bitte Kommentarfunktion nutzen).

Motorenseitig war man mit der 2-Liter-Ausführung natürlich weit angemessener unterwegs – mit 45 PS statt lediglich 38 PS war nun echtes Autobahntempo möglich.

Das Cabrio bewegte der Kenner freilich bevorzugt auf Landstraßen, wo es entschieden mehr zu sehen gab wie in diesem Fall eine Burg am Rhein:

Adler 2 Liter Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Was könnte einem hier schon die gute Laune verderben – es läuft doch gerade alles so gut, man ist Herr über Raum und Zeit und es gibt kein Hindernis, das man nicht mit List und der notwendigen Härte überwinden könnte, nicht wahr?

So wie Odysseus und seine Kameraden sich in ihrem Sieg über die Trojaner sonnten und nicht an das Morgen dachten, so selbstgewiss wirken diese Herren, die an der Ostfront – ich vermute anno 1939 in Polen – die Relikte zurückliegender Kämpfe besichtigen:

Adler 2 Liter Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Das Adler 2-Liter Cabriolet trägt das deutsche Hoheitszeichen, um nicht der eigenen Luftwaffe zum Opfer zu fallen – ein klares Indiz für die Frühphase des Kriegs, in der umfassende militärische Überlegenheit gegeben war.

Ob das verwahrloste Pferd im Vordergrund kurz zuvor noch als Zugtier für das verlassene Artilleriegeschütz dienen musste, ist ungewiss. Vielleicht hatte jemand es aus Mitleid losgebunden.

Vielleicht gehörte es aber auch zu einem Hof in der Nähe, dessen Bewohner vor der Walze deutschen Vernichtungswillens geflohen waren, der im Osten gnadenlos war.

Im selben Kontext ist folgende Aufnahme zu verorten, die einen im aufgeweichten Boden festgefahrenen Adler 2 Liter des deutschen Heers zeigt – wieder in der Ausführung als 4-Fenster-Cabrio:

Adler 2 Liter Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Grundsätzlich waren die Fronttriebler unter solchen Bedingungen eher im Vorteil. Nicht zufällig wurden nach der Kapitulation Frankreichs anno 1940 zahllose Citroen mit Vorderradantrieb in den Fuhrpark des deutschen Militärs eingegliedert.

Irgendwann im weiteren Kriegsverlauf entstand ein weiteres Foto, das den Adler eines Arztes zeigt – mit Zulassung im Landkreis Turek im besetzten Polen.

Der Name des Bubs auf dem Kühler ist überliefert – er wurde Kläuschen gerufen:

Adler 1,7 Liter oder 2 Liter Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Das schöne Foto darf nicht darüber hinwegtäuschen, wie die polnische Bevölkerung damals unter der deutschen Militärherrschaft litt – speziell Menschen jüdischer Herkunft wurden als Arbeitssklaven ausgebeutet (wie im nahegelegenen Ghetto Litzmannstadt) und in der Spätphase des Kriegs zu Hunderttausenden ermordet.

Das macht nicht jeden Zeitgenossen auf solchen Fotos zum Verbrecher, schon gar nicht die KInder. Doch die Ungeheuerlichkeiten, die im Osten von Deutschen en masse begangen wurden, sollten bis in unsere Tage im Bewusstsein bleiben und zu äußerster Zurückhaltung mahnen, was Belehrungsinstinkte gegenüber den Völkern Osteuropas betrifft.

Irgendwann war der deutsche Siegeszug am Ende, und wendete sich mit ebensolcher Härte und Unerbittlichkeit gegen die einstigen „Herrenmenschen“. Mit den vereinten Kräften der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion wurden die deutschen Aggressoren zurückgeschlagen – im günstigsten Fall kehrten sie mittellos heim.

Während Odysseus aus seiner Tragödie am Ende einen Sieg machte, galt es für die Überlebenden des Chaos der Zeit nach 1945 ihr Leben wieder in zivile Bahnen zu lenken.

Nur wenige hatten das Glück, dabei auf einen Überlebenden der automobilen Gattung zurückgreifen zu können – hier wieder ein Adler 2 Liter Cabrio mit österreichischer Nachkriegszulassung:

Adler 2 Liter Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Was kann nach dieser 10-jährigen Reise durch die Wirren der Zeit noch kommen?

Nun, ein Dokument, das positiver ist als das deprimierende Fazit deutschen „Wirkens“ im Osten Europas und anderswo, welches unsere nach dem Krieg formulierte Verpflichtung zum Frieden begründete, aber in diesen Tagen in Vergessenheit zu geraten droht .

Erinnern wir uns nochmals an den tragischen Helden Odysseus, dem erst 10 Jahre nach Kriegsende die Heimkehr beschieden sein sollte – wie einst den letzten deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion.

Bei ihrer Rückkehr war die Welt eine andere geworden und man hatte nichts als Kampf und Chaos erlebt – nichts gelernt, was konstruktiv und kreativ war.

Doch zuhause wartete vielleicht jemand auf einen – wie einst Penelope auf Odysseus.

Sie war nach so langer Zeit nicht mehr die Jugendfrischeste, um es vorsichtig auszudrücken. Das Drama der Jahre hatte auch sie gezeichnet und doch: Ihre Zuversicht war unverbrüchlich, dass „Er“ eines Tages zurückkehren wird.

10 Jahre hatte sie gewartet und sie hatte die ganze Zeit über den alten Adler 2 Liter in der Cabrio-Ausführung gehütet – vor den Häschern versteckt, die scharf auf ihn waren.

Damit hatten die beiden einst die schönsten Reisen unternommen und wenigstens das sollte aus der Welt von gestern erhalten bleiben und einen Neuanfang ermöglichen.

So, jetzt lachen sie bitte nicht, denn die Penelope in meiner heutigen Geschichte lebte nicht auf Ithaka, sondern in Schmadebeck im Landkreis Rostock und sie hieß schlicht Rosa Köpcke.

Sie war eine biedere Landfrau, als sie in den 1950er Jahren (oder später) vor diesem Adler posierte.

Adler 2 Liter Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wir machen uns keine Vorstellung davon, was sie in den Jahren davor erlebt hatte – also stellen wir uns einfach vor, dass an diesem Tag ihr Mann zurückkehrte.

Der Adler ist hier wie aus dem Ei gepellt und zeugt vom menschlichen Willen, dass auch nach dem Chaos irgendwann wieder die schönen Dinge des Lebens Einzug halten sollen – und sei es in Form eines alten Autos, mit dem man gemeinsame Erinnerungen verknüpft…

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Hausbacken – oder nicht? Mercedes 170 V Cabrio A

Eines vorab: Auch wenn ich in meinem Blog gern meinungsstark auftrete – in diesem subjektiven Genre kann niemand seriöse Literatur erwarten – so stammt die Zuschreibung „hausbacken“ für den heutigen Star aus dem Hause Daimler-Benz nicht von mir und ich distanziere mich in bester Zeitgeistmanier ausdrücklich von ihr.

Es war Altmeister Werner Oswald, der einst in seinem Standardwerk „Deutsche Autos 1920-1945“ diese Ansicht äußerte – gemünzt auf eine spezielle Ausführung des damaligen Volumenmodells der Schwaben: das Cabriolet A auf Basis des 170 V.

Tatsächlich hausbacken finde ich aber nur die Standardausführungen des Ende 1935 eingeführten Mercedes-Benz 170 V, was auch das brave Cabriolet B einschließt:

Mercedes-Benz 170 V Cabriolet B; Modeaufnahme aus Budapest; Originalfoto: Michael Schlenger

So schön dieses Zeitzeugnis aus Ungarns Hauptstadt auch ist, so kommt mir der Mercedes-Benz 170 V grundsätzlich bieder-solide vor wie das Paar davor – auch wenn dieses nach heutigen Maßstäben (gibt es die noch?) als „overdressed“ gelten würde.

Doch gemessen an den Standards der „guten Gesellschaft“ der späten 1930er Jahre war das Erscheinungsbild der beiden lediglich Standard, mit dem man nichts falsch machen konnte.

So in etwa würde ich auch das Gesamtpaket beschreiben, welches der Mercedes 170 V repräsentierte. Zu diesem Urteil komme ich ausnahmsweise nicht durch willkürliche Geschmacksurteile, sondern durch nüchterne Betrachtung der Fakten.

Im Folgenden beschränke ich mich auf das Angebot deutscher Serienhersteller in dieser Hubraumklasse. Zuvor seien kurz die wichtigsten Daten des Mercedes festgehalten:

1,7 Liter Vierzylindermotor (seitengesteuert) mit 38 PS, Heckantrieb, Höchstgeschwindigkeit: 105 km/h; hydraulische Bremsen, Karosserie in Gemischtbauweise

Nichts davon war in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre am deutschen Markt auch nur annähernd bemerkenswert – bemerkenswert war eher, dass Daimler-Benz sich damals eine so konventionelle Auslegung leisten konnte und bei der Kundschaft enormen Erfolg hatte.

Das muss seine Gründe gehabt haben – neben dem Mercedes-Nimbus konnte ich in der Literatur immerhin den kultiviert laufenden Motor und das komfortable Fahrwerk finden.

Versetzen wir uns einmal in die Lage derer, die sich in Deutschland vor dem 2. Weltkrieg ein Automobil dieser Kategorie leisten konnten. Dabei gehen wir alphabetisch vor.

Den Anfang macht somit der Adler Trumpf 1,7 Liter – hier ein Exemplar mit niederländischem Kennzeichen, das wohl in den 1960er Jahren aufgenommen wurde:

Adler Trumpf 1,7 Liter; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Mit seiner abgerundeten und in die Karosserie integrierten Kühlerpartie, dem Verzicht auf Trittbretter und dem modernen Frontantrieb repräsentierte der Adler in mancher Hinsicht das zeitgemäßere Konzept als der Mercedes.

Leistung und Höchstgeschwindigkeit waren annähernd identisch, allerdings mussten Adler-Käufer sich noch mit seilzugbedienten Bremsen begnügen und der Mercedes bot einen etwas größeren Innenraum. Mein Fazit: Unentschieden.

Kommen wir zu einem weiteren Fahrzeug, das man von der Machart her als Konkurrenten des Mercedes 170 V betrachten könnte. Die Rede ist vom Hanomag „Rekord“:

Hanomag „Rekord“ Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der Hanomag besaß zwar nur einen 1,5 Liter-Vierzylinder, bot aber mit 35 PS und Spitze von knapp 100 km/h kaum weniger Leistung.

Wie der Mercedes kam er mit Hydraulikbremsen daher, hatte im Unterschied zu diesem bei ähnlichen Abmessungen aber eine moderne Ganzstahlkarosserie.

Die Luftklappen in der Haube sorgten für ein markantes Erscheinungsbild, welches das Fehlen einer prestigeträchigen Kühlerfigur verschmerzen lässt. Gleichwohl bewegte sich der in kleineren Stückzahlen gebaute Hanomag preislich in ähnlichen Sphären wie der Mercedes und man darf bezweifeln, dass er dieselbe Wertigkeit besaß.

Allerdings wurde der Hanomag von vielen für seine Nehmerqualitäten geschätzt. Viele Exemplare überstanden den Krieg und blieben noch lange im Alltag präsent.

Mein Fazit: Der Hanomag war vermutlich das vernünftigere Auto für denjenigen, dem Prestige und Komfort gleichgültig waren und der einen Wagen für’s Leben suchte. Und die schicken Cabriolets auf Basis des Hanomag „Rekord“ überzeugten auch formal.

Der nächste Vergleichskandidat in der 1,7-Liter-Klasse wäre der Hansa 1700:

Hansa 1700 Cabrio-Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Interessanterweise kam der Hansa 1700 mit einem 1,6 Liter-Aggregat aus, das dennoch immerhin 40 PS leistete und zudem ein 6-Zylinder war.

Formal wirkte der Hansa eleganter und bot ähnliche Abmessungen, allerdings keinen 4-Türer wie der Mercedes 170 V. Dafür besaß er eine Ganzstahlkarosserie und war billiger.

Mein Fazit: In der Klasse hätte ich den Hansa bevorzugt, weil er das vom Konzept her exklusivere Fahrzeug war, ohne freilich von den Fahrleistungen überlegen zu sein. Auch wird das Finish des Mercedes im Detail wesentlich besser gewesen sein, das hat mich aber noch nie interessiert, solange das Fahrzeug seinen Dienst verrichtet, gut aussieht und Spaß macht.

Nun möchte ich noch einen Exoten ins Spiel bringen, der in der Klasse gern übersehen wird – den Stoewer R-180:

Stoewer R-180; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Diese nur in geringen Stückzahlen gebauten Wagen des Stettiner Traditonsherstellers gehörten zum raffiniertesten, was Ende der 1930er Jahre in Deutschland in dieser Klasse gebaut wurde.

Der Motor des Stoewer war mit 1770 ccm kaum größer als der des Mercedes, aber er bot die Leistung, die man in dieser Klasse erwarten würde: 45 PS. Das Stuttgarter Angebot entsprach dagegen eher dem Stand im 1,5 Liter-Segment.

Kombiniert mit Frontantrieb und Hydraulikbremse war das Stoewer-Paket das technisch zeitgemäßeste, nicht zuletzt dank der autobahntauglichen Geschwindigkeit von 110 km/h.

Mein Fazit: Den Stoewer hätte ich ohne weiteres dem Mercedes vorgezogen, zum einen weil sein hoher Preis durch seine avancierte Technik und beste Verarbeitung gerechtfertigt war, zum anderen weil Stoewer dank der limitierten Stückzahlen die Exklusivität bot, welche beim über 70.000mal gebauten Mercedes definitiv nicht gegeben war.

Sie sehen, der Funke will bei mir nicht überspringen, was den kernsoliden Mercedes 170 V mit seinem üppigen Chromornat und der detailversessenen Machart betrifft.

„Hausbacken“ kommt er mir in den gängigen Ausführungen vor, was nichts Verkehrtes sein muss – wer wüsste nicht einen daheim gebackenen Kuchen zu schätzen? Doch der Duft der großen weiten Welt, die Eleganz einer schnittigen Karosse, der stilvolle Auftritt – all‘ das will sich nicht so recht einstellen.

Und nun kommt das Cabriolet A auf Basis des Mercedes-Benz 170V daher, und wirft alle bisherigen Einschätzungen und Meinungen über den Haufen – und das obwohl Meister Oswald ausgerechnet diese Version als „eher hausbacken“ bezeichnete:

Mercedes-Benz 170 V Cabriolet A; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wie, das soll ein Mercedes 170 V sein? – Der offene Zweitürer sieht doch richtig schick aus, auch wenn der Bub ganz vorn eine säuerliche Schnute zieht.

Als ich dieses Foto für kleines Geld erwarb – die 5 EUR-Kategorie ist mein bevorzugtes Jagdrevier – dachte ich an alles Mögliche von DKW über Steyr bis Wanderer.

Doch als ich das Original näher betrachtete, erkannte ich die Radkappen mit dem Stern in der Mitte, wie sie sich auch an diesem braven Mercedes 170 V aus Kriegszeiten finden:

Mercedes-Benz 170 V Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der Kontrast könnte kaum größer sein – und doch besaßen die beiden Wagen das gleiche Chassis, wenn auch wohl verkürzt im Fall des Cabriolet A.

Letzteres teilte sich den Aufbau mit einer ebenfalls erhältlichen Roadster-Variante, welche sich hauptsächlich durch das minimalistische Verdeck abgrenzte.

Offenbar musste jemand bei Daimler-Benz die Notwendigkeit gesehen haben, den Standardversionen die eine oder andere exklusivere Ausführung zur Seite zu stellen.

Da scheint im Fall des 170 V Cabriolet A ebenso gelungen zu sein, wie noch einige Male später in der Geschichte des Hauses. Ich erinnere mich in dem Zusammenhang an den elend lahmen Mercedes-Diesel des Typs W123, den der Vater eines Grundschulkameraden besaß.

Das allenfalls als Taxi erträgliche Gerät hatte einen zum Luxus tendierenden Cousin, der mir Jahre später in Form eines 280er Coupé auf Basis des W123 begegnete – wieder der Wagen eines Schulkameraden, aber nun mit dem Stil, den man sich von einer Marke dieses Kalibers wünscht.

Man könnte jetzt noch auf das Angebot von Wanderer in der 1,7 Liter-Klasse eingehen, doch dafür fehlt mir heute die Zeit. Am Gesamtbild würde das nichts ändern.

So endet an dieser Stelle meine Odyssee durch die Welt der deutschen 1,7-Liter-Klasse der späten 1930er Jahre am Ende glücklich und das ausgerechnet mit einem Mercedes 170 V. Doch auch der homerische Held fand einst nur auf Umwegen den rechten Weg…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ein Fall für Forscher: Selve Sport-Zweisitzer um 1925

Haben Sie schon einmal vom Flieger und Forscher Gunther Plüschow gehört? Nein? – Ich auch nicht, bis ich heute auf seinen Namen stieß.

Seine Vita bietet genügend Stoff für einen Roman oder einen Abenteuerfilm – leider ein Genre, auf das man sich hierzulande nicht versteht. Vermutlich gilt es als „nicht intellektuell genug“ im Land der kompliziertesten und unverständlichsten Denker.

Dass ich die oberflächliche Bekanntschaft dieses faszinierenden Charakters machen konnte, der im 1. Weltkrieg das Kunststück vollbrachte, aus der Gefangenschaft in England zu entkommen, und der Ende der 1920er Jahre als erster mit dem Flugzeug die Feuerlandregion in Südamerika erkundete, das verdanke ich einem anderen Forscher.

Ich weiß nicht, ob er diese Bezeichnung für sich in Anspruch nehmen würde, aber was Wolfgang Spitzbarth auf seiner Internet-Präsenz zum Automobilkonstrukteur Karl Slevogt zusammengetragen hat, ist für mich jedenfalls das Ergebnis jahrelangen Forschergeistes.

Slevogt hinterließ Spuren bei mindestens acht Autoherstellern aus dem deutschsprachigen Raum und stellt damit ähnlich „bewegte“ Kollegen wie Ferdinand Porsche oder auch Paul Henze in den Schatten.

Mir begegnete er jüngst wieder bei der Beschäftigung mit der heute kaum noch bekannten Marke Selve, unter der in Hameln von 1919-29 Automobile entstanden, die mit Motoren der Muttergesellschaft Basse & Selve (Altena) ausgerüstet wurden.

Einige Reihe von Fotos der frühen Modelle aus der ersten Hälfte der 1920er Jahre konnte ich bereits präsentieren – hauptsächlich die Vierzylindertypen 6/20 bzw. 6/24 PS.

Man erkennt die Selve-Wagen der frühen 20er Jahre an dem markanten Emblem. welches auf einer geneigten Fläche auf der „Nase“ des Kühlergehäuses angebracht war. Wie das Emblem selbst aussah, das vermittelt vorbildlich die Website von Claus Wulff aus Berlin, dessen Sammlung von Kühleremblemen die wohl am besten für das breite Publikum aufbereitete ist – ich profitiere immer wieder davon.

Hier haben wir nun beispielhaft die Aufnahme eines sochen frühen Selve:

Selve 6/20 PS oder 6/24 PS, Bauzeit: 1919-1923; zugelassen in Westfalen, Originalfoto aus Familienbesitz (Peter Graß)

Für die Identifikation als Selve wichtige Details sind die bei deutschen Autos jener Zeit einzigartigen Parkleuchten am Ende der Motorhaube und die sonst nur bei Hansa zu findenden hoch angebrachten Griffmulden in der Haube. Wie bei deutschen Autos jener Zeit Standard, besaß auch dieser Selve noch keine Vorderradbremsen.

Erstaunlich anders präsentiert sich nun ein Selve, der nur kurz danach entstand – ich datiere ihn auf etwa 1925/26. Das Foto verdanke ich Leser Matthias Schmidt, auf seine Weise ebenfalls ein langjähriger Forscher auf den Spuren deutscher Vorkriegswagen.

Nur das erwähnte Markenemblem sowie dessen Anbringung und Platzierung ermöglichten hier die Ansprache als Selve – ansonsten ist dieser Wagen ohne Vergleich, auf den ersten Blick jedenfalls:

Selve Sport-Zweisitzer von ca. 1925/26; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Ein Selve ist das der Kühlerpartie nach zu urteilen eindeutig. Keine Einwände von sachkundigerer Seite? Gut, doch damit verlassen wir auch schon das gesicherte Gelände.

Wenn es an die „terra incognita“ – also die unbekannten Gefilde geht, die noch keiner je zu Gesicht bekommen hat und die auf alten Karten gern mit wilden Phantasiekreaturen bevölkert wurden, dann sind echte Forscher gefragt.

Im vorliegenden Fall gilt das ganz besonders, wie wir noch sehen werden.

Doch zunächst gilt es festzuhalten, was wir hier außer der vertrauten Kühlerpartie sehen: Ins Auge fallen vielleicht zuerst die Bremstrommeln an den Vorderrädern – von wenigen Ausnahmen abgesehen bei deutschen Fabrikaten erst ab 1925 in der Breite verfügbar.

Wie es der Zufall will, war damals der eingangs erwähnte Karl Slevogt als neuer Konstrukteur bei Selve verpflichtet worden (ab Oktober 1924) und er sorgte schon 1925 für neue Modelle mit verbesserten Chassis und Fahrwerken sowie stärkeren Motoren.

Verfügbar waren nun die Motorisierungen 8/35 bzw. 9/36 PS in Verbindung mit Vierradbremsen. Doch auch eine ältere Sportausführung mit Spezifikation 8/40 PS war im Angebot und Karl Slevogt setzte diese persönlich erfolgreich bei diversen Rennen ein.

Das wirft aus meiner Sicht die Frage auf, womit wir es bei dem auf dem Foto von Matthias Schmidt abgebildeten Selve zu tun haben, den wir hier endlich in Gänze sehen:

Selve Sport-Zweisitzer von ca. 1925/26; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

So muss ein Sportwagen aussehen, nicht wahr? Langer Vorderwagen, endlose Motorhaube und ein auf’s Nötigste beschränktes Piloten-Cockpit sowie Tank und Reserverräder in der hinteren Hälfte.

In der gedruckten Literatur konnte ich nichts Entsprechendes finden – nur eines fiel mir auf: der Vorderwagen mit den 10 großen Entlüftungsschlitzen in der Motorhaube findet sich fast exakt so bei den erwähnten neuen Selve-Modellen 8/35 PS bzw. 9/36 PS sowie bei der 6-Zylinderversion 11/45 PS, welche ebenfalls von Karl Slevogt geschaffen wurde.

Aber: Der Radstand des Zweisitzers auf dem Foto von Matthias ist erheblich kürzer als bei den Serienausführungen der erwähnten Selve-Typen.

Das eröffnet aus meiner Sicht zwei Möglichkeiten: Entweder bot man auf verkürztem Chassis eine sportlich aussehende Ausführung der von Slevogt entwickelten Typen 8/35 bzw. 9/35 PS an oder die bereits vorhandene Sportversion 8/40 PS wurde weitergebaut.

Dazu würde passen, dass diese über einen kürzeren Radstand verfügte (3,10 m statt 3,25), wobei mir diese Differenz immer noch zu gering vorkommt. Überhaupt sieht mir das Gerät stark nach einer Spezialversion aus, wie sie vielleicht nur auf Wunsch gefertigt wurde.

An dieser Stelle kommen wir wieder auf das Thema „Forscher“ zurück. Denn es gibt ein Foto des eingangs erwähnten Gunter Plüschow in seinem Selve-Sportwagen, der über eine identische Karosserie verfügt zu haben scheint.

Allerdings bezieht sich dies nur auf diesen Ausschnitt:

In einer ganz ähnlichen Situation findet sich Flieger und Forscher Gunther Plüschow auf einem Foto, das ihn in seinem Selve zeigt.

Um es zu finden, muss man selbst etwas Forschergeist an den Tag legen, denn es versteckt sich im Abschnitt „Selve 1924-28“ auf Wolfgang Spitzbarths Website zu Karl Slevogt.

Da ich an diesem Punkt das Territorium einigermaßen gesicherten Wissens verlasse, übergebe ich an dieser Stelle an die Forscher unter meinen Lesern – vielleicht kann uns jemand genau sagen, was es mit dem mysteriösen Selve Sport-Zweisitzer auf sich hat.

Es wird doch am Ende nicht Gunther Plüschow selbst darin sitzen? Das wäre ein fabelhaftes Ergebnis von Forschergeist. Aber auch jede andere fundierte Einschätzung ist mir willkommen – bitte dafür wie immer die Kommentarfunktion nutzen.

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Das Rätsel vom Furka-Pass: Wanderer W51/52

Gibt es im Jahr 2024 noch Bahnhofsbuchhandlungen? Ich frage deshalb, weil ich – einst passionierter Bahnfahrer – die deutsche Staatseisenbahn seit gut 10 Jahren mit Ignoranz strafe. Die Gründe dafür sind, sagen wir: vielfältig, und bedürfen keiner Vertiefung.

In meinem früheren Pendlerdasein ergab sich öfters die Gelegenheit, mir die Zeit bis zur Abfahrt im Bücherangebot auf dem Hauptbahnhof zu Frankfurt am Main zu vertreiben. Meist landete ich in der Ecke mit Reiseführern und Kartenmaterial. Doch auf dem Weg dorthin kam ich nicht umhin, die Titel typischer Trivialliteratur zur Kenntnis zu nehmen.

Das ging etwa nach diesem Schema: „Die Mumie aus dem Moor„, „Der Heiler vom Berg“ „Das Grauen im Spiegel“ usw. Sollte ich jemals in die Verlegenheit geraten, meinen Lebensunterhalt mit der Fließbandproduktion von Kriminal-, Geister- oder Ärzteromanen verdienen zu müssen, weiß ich schon einmal, wie man einen zugkräftigen Titel findet.

So sind sie doch auch schon ganz begierig zu erfahren, was es mit dem „Rätsel vom Furka-Pass“ auf sich hat, nicht wahr?

Sie werden es nicht bereuen, darauf hereingefallen zu sein und können sogar eine hübsche Aufgabe lösen, an der ich aus Zeitmangel gescheitert bin. Das ist tatsächlich der einzige Preis, den Sie bisweilen bezahlen müssen, um weiter in den kostenlosen Genuss meiner nächtlichen Berichte aus der Wunderwelt der Vorkriegsautos zu gelangen.

Los geht’s – wir haben noch einen hübschen Weg vor uns, also ist nur Zeit für einen kurzen Schnappschuss, bevor wir uns zum Furka-Pass aufmachen:

Wanderer W51 oder W52; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Na, würden Sie hier bereits Hersteller und Typ des Autos erkennen, dessen Frontpartie so wirkungsvoll in diese Gruppenaufnahme einbezogen wurde?

Rein von der Chronologie her betrachtet, liefert uns der seitlich weit heruntergezogene Kotflügel eine grobe Orientierung. Solche Kotflügel“schürzen“ finden sich erstmals beim amerikanischen Graham „Blue-Streak“ des Modelljahrs 1932.

Schon ab 1933 findet man kaum noch ein deutsches Fabrikat, das etwas auf sich hielt, welches nicht ebenfalls dieses neue Detail aufwies, das einer von vielen kleinen Schritten zur modernen Karosserie war, wie sie noch vor Kriegsende in den Staaten definiert wurde.

Bloß bei der Identifizierung hilft uns diese Beobachtung nicht weiter. Doch vielleicht haben Sie das schemenhaft erkennbare geflügelte „W“ auf der Radkappe des Ersatzrads bemerkt – Hinweis auf einen „Wanderer“ aus dem deutschen Auto Union-Verbund.

Jetzt wissen wir schon einmal, wo wir weitersuchen müssen. Zwei Dinge liefern die entscheidenden Hinweise. Im Unterschied zu den bisher vorgestellten Modellen von Wanderer, zuletzt dem Typ W21 bzw. W22 von anno 1933, wartete der Hersteller ab 1936 mit einem komplett neugestalteten Sechszylinderwagen auf.

Dieses neue Modell W51 (2,3 Liter, 55 PS) bzw. später W52 (2,6 Liter, 62 PS) bot neben autobahntauglicher Dauergeschwindigkeit von deutlich über 100 km/h eine Karosserielinie, die sich am Vorbild damaliger US-Vorbilder orientierte.

Dazu gehörte eine bullige Kühlerpartie, die nichts mehr mit der klassischen Formgebung der Vorgänger gemein hatte. Wie das von vorne aussah? Geduld, wir kommen am Ende dazu.

Erst einmal gilt es, zum Furka-Pass zu gelangen, welcher die Verbindung von der südwestlichen Schweiz in Richtung Andermatt und Gotthard herstellt. Dort sehen wir den eingangs noch etwas scheuen Wanderer nun auf gesamter Länge:

Wanderer W51 oder W52 Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Moment einmal, mögen Sie jetzt sagen: Der Wagen hat hier ja ganz andere Felgen und auch die Chromradkappen sind abhandengekommen.

Gewiss, aber die beiden Damen sind dieselben wie die in der Mitte auf dem ersten Foto, nicht wahr? Rätselhaft..

Ich habe diese Fotos zusammen mit einem dritten erworben, und sie alle zeigen einen Wanderer W51 bzw. W52 (äußerlich kaum zu unterscheiden) von 1936/37.

Es müssen einige Jahre zwischen den Aufnahmen liegen. Die zusammengewürfelte Kleidung der jüngeren der beiden Damen sowie der Zustand des Autos sehen mir nach früher Nachkriegszeit aus.

Nun fragt man sich: Woher kam dieser Wanderer, als er auf der Furka-Pass in der Schweiz fotografiert wurde?

Einen Hinweis gibt der umseitige Stempel eines Fotoladens aus Schönheide in Sachsen. Das war freilich in der Ostzone, die man auch vor dem Bau der Mauer nicht ohne weiteres verlassen konnte, außerdem brauchte man für so eine Auslandstour rare Devisen.

Sie verstehen nun sicher, warum ich mich für den Titel „Das Rätsel vom Furka-Pass“ entschieden haben – oder Sie haben eine Erklärung, auf die ich nicht gekommen bin.

Den Schlüssel zur Lösung sollte letztlich das dritte Bild aus dieser kleinen Reihe enthalten, das jedoch zugleich ein neues Rätsel aufgibt:

Wanderer W51 oder W52 Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Was meinen Sie? Ein großartiges Foto auf jeden Fall, meine ich, auch wenn es für mich mehr Fragen aufwirft als beantwortet.

Sicher kann jemand über das Nummernschild herausfinden, wo dieser alte Wanderer zugelassen war. Als Datierung der Situation würde ich „um 1960“ vorschlagen, wobei ich mich vor allem an der Frisur der jungen Dame ganz links orientiere.

Das Auto war zum Aufnahmezeitpunkt rund 25 Jahre alt, es muss aber noch so zuverlässig gewesen sein, dass seine Besitzer ihm eine solche Fernreise in den Süden zutrauten. Dass wir uns irgendwo in einer großen Hafenstadt in Südfrankreich oder Italien – vielleicht Ligurien – befinden, das ist meine vorläufige Einschätzung.

Aber wo entstand dieses Foto wirklich? Das Gebäude im Hintergrund mit den orientalisch anmutenden Spitzbögen sollte den entscheidenden Hinweis geben.

Ich bin gespannt, was an Lösungsvorschlägen für das heutige „Rätsel vom Furka-Pass“ eintrudelt – nutzen Sie bitte dazu die Kommentarfunktion. Und wenn Ihnen auch sonst noch etwas ein- oder auffällt, nur zu!

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Noch rechtzeitig ausgewandert: Ein Dixi von 1914

Im Sommer 1914 spielten die sogenannten Eliten Europas mit dem Feuer – und konnten schon bald die Flammen, die sie mit auf Konfrontation angelegten Bündnissen und naiver Selbstüberschätzung entfacht hatten, nicht mehr löschen.

Am Ende standen fast alle Kriegsparteien als Verlierer da – vielleicht abgesehen von Italien und Rumänien, die ihr Territorium ab 1918 auf fragwürdige Weise erweitern konnten.

Zu den Gewinnern zählten neben den Vereinigten Staaten letztlich nur diejeinigen, die rechtzeitig ausgewandert waren – sofern sie nicht von den Kolonialmächten England und Frankreich als Kanonenfutter wieder zurück nach Europa geschickt wurden.

Dieses finstere Kapitel in der Geschichte Kanadas, Australiens und Neuseelands sowie Indiens und etlicher afrikanischer Staaten wird gern übergangen, dabei sprechen die Soldatenfriedhöfe in Frankreich auch in der Hinsicht eine erschütternde Sprache: Eine ganze Generation junger Männer aus aller Welt wurde für einen Krieg verheizt, dessen Ziel schon nach den ersten Monaten keiner der Schreibtischtäter mehr benennen konnte.

Dass Kriege eine fatale Eigendynamik entwickeln, aus der schwer bis unmöglich wieder herauszukommen ist, weil die Entscheider davon nicht direkt betroffen sind, sollte auch den neuerdings in Europa wieder fleißigen Kriegsertüchtigern zu denken geben.

Doch leider lehrt die Geschichte nur eines: dass die Menschen nur aus dem lernen, was sie am eigenen Leib erfahren haben – und die letzte Generation, für die das noch gilt, verlässt uns gerade. So mag man auf den Teppichetagen von heute wohl die Fehler von anno 1914 wiederholen oder andere kolossale Dummheiten begehen, die Dritte bezahlen müssen.

Genug davon – wir wollen uns heute mit einem Zeitzeugen beschäftigen, der im Sommer 1914 noch einmal davon gekommen ist – während es seinem Kameraden nicht gelungen ist.

Die Rede ist von einem Tourenwagen der Eisenacher Fahrzeugwerke, deren Automobile unter dem griffigen Markennamen Dixi verkauft wurden. Hier sehen wir einen davon:

Benz und Dixi-Tourenwagen ab 1914; Originalfoto: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Moment mal, werden jetzt die Kenner sagen – hier ist doch eindeutig ein Benz zu sehen und links daneben ein Opel oder Dürkopp – jedenfalls der Kühlerform nach zu urteilen.

Tja, was den Benz betrifft, ist der Fall in der Tat klar. Die Marke zählt neben Daimler, NAG, Opel, Protos, Stoewer und Wanderer zu den häufigsten, die auf deutschen Fotos aus dem 1. Weltkrieg vertreten sind.

Speziell Benz-Automobile wurden so oft abgelichtet, dass ich noch längst nicht alle entsprechenden Fotos aus meinem Fundus oder dem von Sammlerkollegen hier gezeigt habe – das wäre auf die Dauer langweilig, so unglaublich das klingt.

Im vorliegenden Fall wollen wir aber auch dem Benz Gerechtigkeit zuteil werden lassen – offenbar ein mittelgroßes Flachkühlermodell aus der Zeit ab 1913/14, worauf die elektrischen Parkleuchten unterhalb der Windschutzscheibe hindeuten:

Die Interpretation von Details wie der Kennung vor dem Kühler und des runden Gegenstands neben dem in Fahrtrichtung links befindlichen Vorderrads überlasse ich gern sachkundigen Lesern – ich schätze fundierte Ergänzungen und auch Korrekturen sehr.

Vielleicht findet ja sogar jemand heraus, in wessen „Garage“ das deutsche Heer hier irgendwo in Belgien oder Frankreich ungebeten „eingezogen“ war.

Noch spannender bleibt aber die Frage, was es mit dem zweiten Wagen auf sich hat, der am Rand der Szene steht, aber für mich das viel interessantere Gefährt ist.

Jason Palmer aus Australien – selber Sammler von Vorkriegsfahrzeugen und Kenner früher europäischer Fabrikate – ist der Ansicht, dass wir hier einen Dixi von anno 1914 sehen:

Naja, wird jetzt vielleicht einer selbstgewiss denken, ein Opel oder Dürkopp hatte doch einen ganz ähnlichen Kühler und überhaupt: Wo findet man denn Dokumente, die zeigen, dass Dixi damals ebenfalls so einen birnenförmigen Kühler verbaute?

Wer sich leichtfertig auf die bisher verfügbare (teils veraltete) Literatur verlässt, der kann leicht übersehen, das Dixi ab 1913/14 tatsächlich zu einer neuen Kühlerform überging. Ob das bei allen Modellen der Fall war und ob womöglich – wie bei Benz – neue und alte Form parallel angeboten wurden, das kann ich bislang nicht sagen.

Jedenfalls fand ich in der Literatur (Dixi-Kapitel aus: H. Schrader, BMW-Automobile) nur eine einzige Prospektabbildung, die einen Dixi aus der Zeit kurz vor dem 1. Weltkrieg mit genau so einem Kühler zeigt (Typ S 16).

Das ist vielleicht etwas dünn, um als Beleg zu gelten, zumal reine Prospektabbildungen stets mit Vorsicht zu genießen sind, sind sie doch oft idealisierend oder zeigen in etlichen Fällen Ausführungen, die zwar angeboten, doch nie verkauft wurden.

Heute sind wir aber in der glücklichen Lage, dass uns Jason Palmer als Eigner des Fotos aus dem 1. Weltkrieg auch die Evidenz mitgeschickt hat, die den Fall sonnenklar macht.

Und nun halten Sie sich fest: Gerade noch rechtzeitig vor Ausbruch des 1. Weltkriegs verließ im August 1914 ein Dixi des Mittelklasse-Typs R12 per Schiff Europa und kam nach einigen Wochen im fernen Australien an, wo sein Aufbau von der Firma TJ Richards & Son in Adelaide vervollständigt wurde.

Das wissen wir deshalb so genau, weil dieses Auto noch im Originalzustand existiert:

Dixi-Tourenwagen Typ R12 von 1914; Bildrechte: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Man sieht: Wer seinerzeit das Glück hatte, nach „down under“ auszuwandern, hatte eindeutig die besseren Überlebenschancen – zumindest, wenn es sich um einen automobilen Zeitgenossen handelt.

Überhaupt hat sich Australien – noch so ein Land, aus dem man in Europa praktisch nichts erfährt, außer wenn irgendwo mal wieder der Busch brennt – geradezu als „Safe Haven“ für heute rare europäische und speziell deutsche Wagen aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg erwiesen. Wir kommen bei Gelegenheit darauf zurück.

Ob nun der Dixi auf dem Foto aus dem 1. Weltkrieg ebenfalls ein Typ R12 oder ein anderes Modell aus der breiten Dixi-Palette anno 1914 war, sei dahingestellt. Jedenfalls hat die Einschätzung, dass es sich um einen Dixi und nichts anderes handelt, einiges für sich.

Damit übergebe ich das Wort an die Markenspezialisten…

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