Fund des Monats: Chiribiri „Monza“ von 1925

Was ich heute in meiner Rubrik „Fund des Monats“ präsentiere, kommt auf den ersten Blick unscheinbar daher. Doch entpuppte sich der Wagen, um den es geht, nach einiger Recherche als veritabler Leckerbissen.

Entdeckt hat das Originalfoto ein Leser und zuverlässiger „Lieferant“ von Qualitätsaufnahmen der Vorkriegszeit: Klaas Dierks aus Hamburg. Selbst in der Welt von Fotografie und Film zuhause, hat er ein Auge für handwerklich hochwertige Aufnahmen und zugleich einen Instinkt für Rares auf vier Rädern.

Falls er einmal nicht weiß, was er an Land gezogen hat, fragt er mich gern um meine Meinung. Oft kann ich auf Anhieb weiterhelfen, genauso oft muss ich aber voerst passen.

So war das auch bei diesem schönen Dokument:

Chiribiri „Monza“; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

So schlicht sahen viele Tourenwagen um die Mitte der 1920er Jahre aus. Vorbei war damals bei vielen Herstellern – auch im deutschsprachigen Raum – die Zeit der opulenten Tulpenkarosserien und schnittigen Spitzkühler.

Eine nüchterne, mitunter ans Belanglose grenzende Formensprache hatte Einzug gehalten – nicht zufällig parallel zur Tendenz hin zu Sachlichkeit in der Architektur.

Leider ist das Markenemblem auf dem Kühler auch auf dem Originalabzug nicht fein genug aufgelöst, um lesbar zu sein.

Auch die Kühlerfigur hilft nicht weiter – ein Buddha, den der Besitzer vermutlich selbst angebracht hat – vermutlich in ironischer Absicht, denn „In-sich-ruhen“ war bei diesem Wagen überhaupt nicht angezeigt, wie noch zu sehen sein wird:

Feiner gestaltet als bei vergleichbaren Tourern jener Zeit sind die Vorderkotflügel. Auch fiel mir eine gewisse Ähnlichkeit der Seitenteile der Motorhaube mit zeitgenössischen Fiat-Modellen auf.

Mein vorläufiges Votum war daher: „um die Mitte der 1920er Jahre, wahrscheinlich ein italienischer Nischenhersteller„. Das sollte sich am Ende auch als richtig erweisen, nur auf die Marke wäre ich selbst nie gekommen.

An dieser Stelle kommt Claus Hinrich Wulff aus Berlin ins Spiel. Er ist Spezialist für Kühlerembleme obskurer Autohersteller, die er auf seiner Website präsentiert.

Auf meine Frage, was das für ein Wagen auf dem Foto von Klaas Dierks sein könne, wusste er eine Antwort – sie lautete: Chiribiri. Was wie eine Fantasiebezeichnung klingt, ist schlicht ein italienischer Familienname (ausgesprochen „Kiribiri“).

Ab 1905 begegnen wir einem aus Venedig stammender Techniker dieses Namens – Antonio Chiribiri – bei mehreren italienischen Automobilherstellern: Isotta Fraschini, Brixia-Züst und Fabbrica Junior Torinese Automobili (ja, die hieß wirklich so).

Bei keinem Unternehmen hielt es ihn lang. Chiribiri entdeckte 1909 seine Leidenschaft für das neu erfundene Flugzeug und gründete nach kurzem Aufenhalt bei Italiens erstem Flugzeugbauer Officine Miller in Turin 1911 eine eigene Firma für Luftfahrzeuge, die Fabbrica Torinese Velivoli Chiribiri.

Chiribiri baute ab 1912 kurzzeitig selbstentwickelte Flugzeuge, nach Ausbruch des 1. Weltkriegs dann französische Gnome-Rhone-Flugmotoren in Lizenz.

Noch 1914 war Chiribiri außerdem in den Automobilbau eingestiegen. Die Produktion von Wagen der 1,1- und 1,3-Liter-Klasse endete jedoch 1917.

Ab 1919 brachte Chiribiri dann den neuentwickelten 1,6-Liter-Typ „Unico“ heraus, der sich durch ein am Hinterachsdifferential angeflanschtes Getriebe auszeichnete – wohl der erste Vertreter dieser Bauweise überhaupt.

Mit Sportversionen dieses Typs heimste Chiribiri bis 1922 einige Erfolge ein, bevor man das neue Modell „Roma“ herausbrachte. Damit setzte niemand Geringeres als Tazio Nuvolari – einer der besten Rennfahrer aller Zeiten – die Erfolgsgeschichte von Chiribiri fort.

Schon 1923 gab es einen Nachfolger, nun mit aufwendiger Ventilsteuerung über zwei obenliegende Nockenwellen. Bereits die Serienausführung leistete beachtliche 45 PS aus nur 1500 ccm Hubraum – die höherdrehende Sportversion „Spinto“ kam auf 65 PS.

Chiribiri erlangte mit den Rennerfolgen und den auch „zivil“ erhältlichen Wagen einiges Renommee. Selbst in Deutschland gab es offensichtlich eine Vertriebsgesellschaft:

Chribiri-Reklame um 1925, Grafik von R. Zopf; Quelle: https://poster-auctioneer.com/realisierte_preise/view_real_price/Zopf-R-Chiribiri-112527

Auch wenn der Chiribirri auf dieser grafisch reizvollen Reklame stark stilisiert ist, hat der Künstler ein wichtiges Detail getreu wiedergegeben – die Vorderradbremsen.

Welche Früchte der Vertrieb des Chiribiri „Monza“ in Deutschland getragen hat, dürfte nicht mehr in Erfahrung zu bringen sein. Doch zumindest das Foto von Klaas Dierks ist ein Beleg dafür, dass dieser leistungsfähige Wagen auch hierzulande Freunde fand.

Zwar ist das Nummernschild nicht zu erkennen, man wird aber nicht fehlgehen, in dem jungen Mann am Lenkrad keinen Italiener, auch keinen Franzosen oder Briten zu sehen:

Ich würde hier bei aller Vorsicht auf eine norddeutsche Abkunft des ernst in die Ferne schauenden Mannes mit typischer zweireihiger Lederjacke und Ballonmütze tippen.

Auf diesem Ausschnitt fühlt man sich wohl nicht zufällig an den zeitgleichen Lancia Lambda erinnert, der sich ebenfalls durch einen sehr niedrigen Aufbau auszeichnete. Bei deutschen Herstellern findet sich eine so schlanke Linienführung damals nur selten.

Für diejenigen, die noch Zweifel an der Identifikation des Wagens als Chiribiri „Monza“ gehen, sei auf folgende Reklame von 1925 verwiesen, die präzise dieses Modell zeigt:

Chribiri-Reklame von 1925; Quelle: https://www.drive2.com/b/758788/

Das abgebildete Auto stimmt ganz mit dem Wagen auf dem heute vorgestellten Foto überein – auch die Vorderradbremsen sind in beiden Fällen zu erkennen.

Der in der Reklame neben dem „Monza“ erwähnte Chiribiri „Milano“ war eine einfachere Ausführung, deren 1,5 Liter-Motor einen konventionellen Ventiltrieb (seitengesteuert) besaß und auch optisch behäbiger daherkam.

Da es unwahrscheinlich ist, das Chiribiri in der Reklame von 1925 ausgerechnet dieses Basimodell mit kaum mehr als 20 PS zeigte, darf man die Ansprache des Chiribi auf dem Foto als die sportlichere Ausführung „Monza“ für sehr wahrscheinlich halten.

Im übrigen ließ sich Chiribiri seine äußerst sorgfältig verarbeiteten Wagen (ein Erbe der einstigen Flugzeugproduktion) teuer bezahlen. Für das nicht gerade mit Temperament gesegnete Modell „Milano“ gab es am deutschen Markt genügend Alternativen.

Nein, hier hatte sich jemand bewusst für einen rassigen Chiribiri „Monza“ entschieden und als Herrenfahrer posierend ablichten lassen.

Was mag aus dem Wagen geworden sein? Hat jemand zumindest den feinen kopfgesteuerten Motor ausgebaut, als das Auto auf dem Schrott landete? Vielleicht schlummern ja noch irgendwo Teile davon – so etwas soll es geben.

Sicher ist nur, was aus der Firma von Antonio Chiribiri wurde. Nachdem man mit der Rennversion „Monza Corsa“ ein 180 km/h schnelles Geschoss auf die Räder gestellt hatte, das unter anderem bei der Targa Florio auf Sizilien antrat, ging es wirtschaftlich mit dem Unternehmen bergab.

Die Straßenversion des „Monza“ wurde 1927 eingestellt, der bravere „Milano“, seinerzeit von Taxifahrern für seine Zuverlässigkeit geschätzt, lief 1928 aus. 1929 erfolgte dann die Liquidation der Firma.

Die Fabrik bestand unter anderer Regie fort, doch musste Antonio Chriribirri zum Glück nicht mehr erleben, dass sie bei einem alliierten Bombenangriff auf Turin 1943 mitsamt dem Firmenarchiv zerstört wurde.

So sind Fotos wie das hier gezeigte neben alten Reklamen und einer handvoll überlebender Wagen die letzten Zeugen des einst so ambitionierten Schaffens von Chiribiri.

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

1938: Unterwegs auf Probefahrt im Packard „6“

Bei meiner Beschäftigung mit Vorkriegsautos lerne ich immer noch „Neues“ hinzu. Das betrifft nicht nur obskure Marken und rare Karosserien, sondern auch das weite Feld der Kennzeichenkunde, das zum Glück von Spezialisten wie Andreas Herzfeld beackert wird.

Welche Bedeutung ein scheinbar schnödes Nummernschild bekommen kann, das soll meine heutige Reise in die Vergangenheit zeigen, als die von uns bewunderten „Oldtimer“ noch Neuwagen oder gute Gebrauchte waren.

Eine weitere Einleitung kann ich mir diesmal sparen. Denn das Foto, um das es geht, lässt eigentlich alles in wünschenswerter Klarheit erkennen – oder vielleicht doch nicht?

Packard „Six“, Modelljahr 1936; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier scheint der Fall eindeutig: Ein Vorkriegs-Packard in einer Aufnahme der späten 1940er oder frühen 50er Jahre, möchte man meinen.

Auf jeden Fall nach dem 2. Weltkrieg, denn vorher hätte in deutschen Landen (wo dieses Foto im weitesten Sinne einst entstand) eine anständige Maid doch gewiss Tracht oder zumindest ein Kostüm oder Kleid getragen.

So kann man sich täuschen. Die Welt der 1930er Jahre war vielschichtiger – soll ich sagen: bunter? – als sie damals von der Staatspropaganda dargestellt wurde. Vieles davon wirkt in den Köpfen fort – man glaubt hierzulande immer noch treu, was von oben kommt.

Was das Auto angeht, ist die Sache eindeutig: Der markant geformte Spitzkühler – seinerzeit längst von gestern – verweist auf die amerikanische Oberklassemarke Packard.

Details wie die geteilte Frontscheibe verraten, dass wir einen Packard von 1938/39 vor uns haben. Optisch gibt es kaum Unterschiede zwischen den beiden Modelljahren.

Packard deckte damals das gesamte Spektrum vom Sechszylinder über Achtzylinder bis hin zu Zwölfzylindern ab.

Wer hier Vierzylinder vermisst, muss verstehen, dass so etwas in den USA der 1930er kaum verkäuflich war. Eine der wenigen Ausnahmen war die amerikanische Lizenzfertigung des Austin Seven – damals als Zweitauto ähnlich populär wie heute das Elektromobil für die Einkaufstour der Arztgattin – nur ohne Subvention aus den Steuern der Arzthelferin…

Der Packard auf obigem Foto dürfte – der Ausführung der seitlichen Haubenschlitze nach zu urteilen – die Basismotorisierung als 6-Zylinder mit 4 Litern Hubraum besessen haben. Man kann sich vorstellen, dass dieser seine 100 PS anstrengungslos hergab.

Zwar hatten amerikanische Wagen Ende der 1930er Jahre nicht mehr den Marktanteil hierzulande wie 10 Jahre zuvor, doch fanden immer noch Liebhaber des Besonderen Gefallen an US-Automobilen – so national war man gar nicht gesinnt in dieser Hinsicht.

Kommen wir aber nun zur entscheidenden Frage: Wann entstand diese Aufnahme?

Nun, den objektiven Hinweis liefert das Nummernschild mit der Kennung „A“ und den arabischen Ziffern „49027“ in weiß auf schwarzem Grund – der ab 1930 in Österreich geltenden Konvention entsprechend.

Laut Literatur wurde dieses Kennzeichen über die Angliederung Österreichs ans Deutsche Reich im März 1938 hinaus im Zulassungsbezirk Wien ausgegeben. Erst im Frühjahr 1939 erhielten Autos in der nunmehrigen „Ostmark“ neue Kennzeichen nach deutschem Vorbild.

Das spricht stark für einen Packard des Modelljahrs 1938, meine ich. Da Kennzeichen mit Ziffernfolge 49000 bis 49999 im Raum Wien für Probefahrten vorgesehen waren, dürfen wir schließen, dass unser Foto anlässlich einer solchen Fahrt entstand.

Nach dieser nüchternen Analyse werfen wir abschließend noch einen Blick auf die junge Dame neben dem Packard, die einen dazu verleiten könnte … nun, das Foto auf die Nachkriegszeit zu datieren:

Der Kontrast könnte kaum größer sein zwischen ihr mit ziemlich kurzem Hosenrock und geometrisch bedrucktem Oberteil sowie dem traditionell gekleideten Fahrer, der in die Ferne schaut, als würde er überlegen, ob er den Packard nun kaufen soll oder nicht.

Das Einzige, was mich bei dieser Aufnahme nachdenklich stimmt, ist der viele Staub auf dem Wagen. Ein neuer Packard des Modelljahrs 1938 hätte bei einer Probefahrt doch nicht so ausgesehen, oder?

Kann es sein, dass Österreich nach Ende der sowjetischen Besatzung der Wiener Region wieder zu den alten Nummernschildkonventionen der Vorkriegszeit zurückkehrte? Dann wäre diese Aufnahme eventuell doch erst nach 1947 entstanden.

Sicher kann ein Leser diesen Punkt klären – auch wenn dann unter Umständen meine Geschichte in Teilen hinfällig wäre…

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Wirkt überhaupt nicht aufgesetzt: NAG C4 10/30 PS

Das Foto, das ich heute vorstelle und das ich dem ergiebigen Fundus von Leser Matthias Schmidt aus Dresden verdanke, wäre in den Anfängen meines Blogs gut für die Rubrik „Fund des Monats“ gewesen.

Doch bei allen außergewöhnlichen Qualitäten ist es letztlich zu bodenständig. Denn der Wagen, um den es geht, ist auch nur eines von etlichen tausend Exemplaren des Typs C4 10/30 PS der Berliner Marke NAG.

Aus meiner Sicht ist dieses technisch unauffällige Modell, das NAG von 1920-24 als einziges fertigte, jedoch ein reizvoller Vertreter der Spitzkühlermode, die in Deutschland bis etwa Mitte der 1920er Jahre anhielt.

In der folgenden Seitenansicht (Originalfoto aus meiner Sammlung) mag das noch nicht so recht deutlich werden:

NAG Typ C4 10/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Immerhin kommt hier die von mir so geschätzte „Tulpenkarosserie“ mit der sich wie eine Blüte öffnenden Heckpartie sehr schön zur Geltung.

Die dreidimensionale Wirkung dieser von Meisterhand aus dem Blech getriebenen Aufbauten erschließt sich einem nur „in natura“. Doch gibt es auf alten Fotos durchaus Annäherungen aus verschiedenen Perspektiven.

Ein ungewöhnliches Beispiel dafür hatte ich vor geraumer Zeit hier präsentiert:

NAG Typ C4 10/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese außergewöhnliche Aufnahme vermittelt eine Ahnung davon, welche Ansprüche die Gestaltung einer einer solchen Tulpenkarosserie einst an das Können der Handwerker stellte, die diese dreidimensionalen Wölbungen in Manufaktur schufen.

Festzuhalten sind hier aber auch zwei wichtige Merkmale, die kennzeichnend für den NAG Type C4 10/30 PS sind:

Da ist zum einen der ovale Kühler, der im Unterschied zu den vor 1920 gebauten Modellen nicht flach, sondern spitz zuläuft, wie es bei anderen deutschen Marken bereits ab 1914 Mode wurde. Je nach Perspektive (etwa auf dem ersten Foto) besteht eine gewisse Verwechslungsgefahr mit den zeitgleichen D-Typen von Stoewer aus Stettin.

Doch in der Vorderansicht ist der NAG-Kühler in der ersten Hälfte der 1920er Jahre einzigartig. Die Markenidentität wird zudem durch das sechseckige NAG-Emblem betont, das mittig auf der Verbindungsstange zwischen den Scheinwerfern angebracht ist.

Nun wird es höchste Zeit für den eigentlichen Gegenstand des heutigen Blog-Eintrags:

NAG C4 10/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Auch wenn sich dieser Wagen letzlich „nur“ als ein weiterer NAG C4 10/30 PS entpuppt, verleiht ihm sein Aufbau etwas Eigenwilliges – um nicht zu sagen: Einzigartiges.

Mir ist bislang keine zweite Aufnahme mit einem NAG C4 begegnet, der eine solche Karosserie besitzt. Diese wirkt auf den ersten Blick irriterend anders als alles, was man von dem Modell gewohnt war.

Doch zeigt sich bei näherer Betrachtung einiges Bekanntes:

Die Frontpartie entspricht vollkommen derjenigen beim Tourenwagen, der mit Abstand die meistverkaufte Version des NAG Typ C4 10/30 PS war.

Während beim Kühler aus diesem Blickwinkel – wie oben bereits erwähnt – eine gewisse Verwechslungsgefahr mit den Stoewer D-Typen besteht – sagt die typische Markenplakette alles, so unscharf sie auch ist. Vielleicht ein nützlicher Hinweis für Besitzer ähnlicher Fotos deutscher Vorkriegswagen, die rätseln, was sie da vor sich haben.

Auch am übrigen Wagen findet sich durchaus Vertrautes:

Denkt man sich nämlich den Aufbau oberhalb der Gürtellinie weg, bleibt die markante Form der „Tulpenkarosserie“ übrig, die die frühen Ausführungen des ab 1920 gebauten NAG Typ C4 10/30 PS zierte.

Meine Vermutung ist daher, dass wir es hier mit einem Beispiel für eine „Aufsatzkarosserie“ zu tun haben, die einem offenen Tourenwagen übergestülpt werden konnte, wenn man mit geschlossenem Aufbau fahren wollte.

Natürlich erforderte eine solche Lösung für die Türen aufsetzbare Oberteile mit Fensterglas, während der Tourer bei geschlossenem Verdeck dort nur Steckscheiben aus Zelluloid mit Kunstlederrahmen besaß.

Während bei anderen Wagen mit Aufsatzkarosserie meist eine Fuge zwischen der Gürtellinie des Tourenwagens und der Dachpartie zu sehen ist, scheint der Aufbau hier wie aus einem Guss.

Dass das Ganze hier gerade nicht wie „aufgesetzt“ wirkt, spricht für eine besonders raffinierte Lösung. Ich bezweifle, dass wir es mit einem festen Limousinenaufbau zu tun haben, dafür ist der gestalterische Kontrast zwischen dem Unterbau in klassischer Tulpenform und der kantigen Dachpartie zu groß.

Was ebenfalls nicht „aufgesetzt“ wirkt, ist die Pose der jungen Dame. Zwar sitzt sie auf dem Kasten am Ende des Trittbretts, in dem sich die vordere Aufnahme der Blattfeder befindet (vgl. das erste Foto am Anfang dieses Blog-Eintrags).

Sie scheint aber nicht auf eine besondere Wirkung aus zu sein. Entweder war sie mit den Gedanken woanders oder ihr war schlicht kalt und sie wartete ungeduldig das Foto ab.

Auch nicht aufgesetzt – eher lässig – wirkt die Pose des am Wagen lehnenden Mannes mit Fliege. Er lässt zum Glück genug von der Frontscheibe erkennen, die mittig geteilt ist und pfeilförmig zuläuft.

Bei der Tourenwagenausführung des NAG Typ C4 10/30 PS ist mir – außer bei speziellen Sportversionen – jedoch noch keine gepfeilte Frontscheibe begegnet.

Das kann zweierlei bedeuten: Entweder war die Frontscheibe Teil der Aufsatzkarosserie, und die flache Scheibe des Tourenwagens musste vor Montage weichen. Oder ich liege falsch, und es handelt sich doch nicht um einen aufgesetzten, sondern festen Limousinenaufbau.

So oder so richtige liege ich aber mit dem Titel meines heutigen Blog-Eintrags: An diesem Foto, das einst bei einer Landpartie entstand, wirkt gar nichts künstlich „aufgesetzt“, sondern vollkommen natürlich – wenn auch hübsch inszeniert …

NAG C4 10/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

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Das muss Liebe sein: Ein Willys „Six“ von 1932

Das Foto, das ich heute vorstelle, schlummert schon eine ganze Weile in meinem Fundus.

Es ist ein typisches Beispiel für mein Vorgehen bei der Suche nach Autoaufnahmen der Vorkriegszeit: Die Qualität des Abzugs ist mäßig und weder der Anbieter noch ich wussten, was darauf abgebildet ist – zusammengenommen gute Voraussetzungen, um ungewöhnliche Funde für kleines Geld zu machen.

Natürlich kann dabei nicht immer eine große Rarität herausspringen, aber doch oft genug etwas nicht Alltägliches – zumindest nach hiesigen Maßstäben. Genauso verhält es sich bei dem Wagen, der auf folgender Aufnahme zu sehen ist:

Willys „Six“, Modelljahr 1932; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Zwar verfolgen meinen Blog eine ganze Menge Markenspezialisten, die von den Objekten ihrer Leidenschaft weit mehr wissen als ich und die mir immer wieder wertvolle Hinweise geben (umgekehrt aber auch anhand meiner Fotos manchen neuen Einblick gewinnen).

Dabei handelt es sich aber mit ein, zwei Ausnahmen um Enthusiasten, die sich für Vorkriegswagen aus Europa begeistern. Von daher würde es mich wundern, wenn jemand (außer besagten ein, zwei Ausnahmen…) auf Anhieb sagen könnte, was das für ein Wagen auf obiger Aufnahme ist.

Ich selbst habe einige Zeit mit der Identifikation zugebracht, die mir am Ende dank meines Literaturfundus gelang, der auch im Internetzeitalter unersetzlich ist.

Der Aufwand mag in keinem Verhältnis zum letztlich prosaischen Ergebnis stehendas muss halt Liebe sein, wenn man sich in eine solche Aufnahme so „hineinkniet“, als zeigte sie eine bislang undokumentierte Spezialausführung einer Marke von Rang.

Das Auto kam mir trotz des mitteleuropäisch anmutenden Umfelds (ich tippe auf die Niederlande) „spanisch“ vor – was in diesem Fall „amerikanisch“ bedeutet. Eine klassische Limousine ohne jede Extravaganz, die mit Drahtspeichenräder daherkommt, das war um 1930 auf dem europäischen Kontinent die Ausnahme, nicht aber in den USA.

Damit war die Richtung der Recherche vorgegeben: Es galt, das Standardwerk zu US-Vorkriegsautos durchzuarbeiten – den „Standard Catalog of American Cars“ von Kimes/Clark – dessen Umfang von gut 1.600 dichtbeschriebenen und reich bebilderten Seiten nicht gerade einladend wirkt (was auch der Druckqualität geschuldet ist).

Dabei hilft es nicht, wenn man die üblichen Verdächtigen von Chrysler, Ford und General Motors (die „Big Three“) von vornherein ausschließen kann, denn um 1930 gab es in den USA noch an die hundert Autohersteller (noch früher waren es tausende…).

So wurde ich erst nach über 1.550 Seiten fündig (hätte ich mal hinten angefangen…) und stieß auf eine Limousine mit sehr ähnlicher Kühlerpartie und denselben horizontalen Entlüftungsschlitzen in der Haube:

Fast genau so sah der Willys „Six“ aus, den das seit 1904 bestehende Unternehmen im Modelljahr 1931 produzierte.

Der Hersteller – anfänglich Overland, später Willys-Overland und zuletzt Willys – hatte damals den 1926 eingeführten Overland „Whippet“ bereits in Rente geschickt, der ein Riesenerfolg gewesen war und von dem ich bereits einige in Deutschland aufgenommene Exemplare gezeigt habe – ich komme gelegentlich darauf zurück.

Die ab 1930 gebauten Willys-Wagen waren Weiterentwicklungen des mit vier und sechs Zylindern gebauten Whippet ohne größere Auffälligkeiten – solide, leistungsfähig, ordentlich ausgestattet und vor allem billig.

Daneben gab es zwar auch eine Baureihe mit deutlich stärkeren ventillosen Motoren nach Knight-Patent, die aber ebenso wie eine Version mit von Continental zugekauftem Reihenachtzylinder nur eine Nebenrolle spielten.

Die einzige Neuerung, die Willys im Folgejahr 1932 brachte, war ein (vermutlich nur teilweise) synchronisiertes Getriebe – damals die Ausnahme in diesem Segment. Für das Modelljahr 1932 wurde aber auch die Kühlerpartie behutsam überarbeitet, was man erst beim Vergleich mit Fotos aus dem Netz erkennt.

So konnte ich am Ende mit den kombinierten Qualitäten des klassischen Autobuchs und den unendlichen, doch oft unstrukturierten Ressourcen des Internets den Wagen auf meinem Foto als Willys „Six“ des Modelljahrs 1932 identifizieren.

Nicht auszuschließen ist, dass es sich statt der Basisversion mit konventionellem 65 PS-Motor um die Ausführung mit ventillosem Knight-Schiebermotor mit 87 PS handelt.

Äußerlich scheint diese sich vor allem durch den rund 25 Zentimeter längeren Radstand vom 65-PS-Modell unterschieden zu haben. Ob der Willys auf dem heute vorgestellten Foto nun über einen kurzen oder langen Radstand verfügte, lässt sich kaum sagen, da diese Partie weitgehend verdeckt ist.

„Schuld“ an diesem Zustand sind die beiden Zeitgenossen, die es sich auf dem Trittbrett vor dem hinteren Kotflügel bequem gemacht haben:

Nun, dass muss Liebe sein – und angesichts dieses glücklich festgehaltenen Moments gerät der Willys „Six“ zur bloßen Staffage – wer interessiert sich da noch für den Radstand?

Solche Fotos kann man mit heutigen Automobilen einfach nicht mehr machen. Einmal mehr zeigt sich für mich: Das menschliche Element hat erheblichen Anteil am Zauber der Vorkriegswagen auf alten Fotos

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Kleinwagen mit Sex-Appeal: Hanomag 3/16 PS

„Länge läuft“ – das pflegen nicht nur Kenner von Segelyachten zu sagen. Auch Gestalter von Automobilen lieben seit jeher die „himmlischen Längen“ großer Wagen, die reichlich Platz für ausschweifende Linienführung lassen.

Allein in der Heckpartie dieses französischen „Hotchkiss“ aus den 1930er Jahren könnte man glatt die Hälfte des Wagens unterbringen, um den es heute geht:

Hotchkiss-Markentreffen auf Schloss Chantilly 2015; Bildrechte: Michael Schlenger

Umso mehr zu bewundern ist es, wenn es einst gelang, selbst Kleinwagen so zu gestalten, dass sie nicht nur schnöden Nutzen als Transportmittel stifteten, sondern auch das Auge von Besitzer und Mitmenschen erfreuten.

Ein schönes Beispiel dafür ist aus meiner Sicht das adrette Cabriolet, das Hanomag auf Basis des von 1929-31 gebauten Typs 3/16 PS anbot. Nach dem skurrilen 2/10 PS-Modell mit dem Spitznamen „Kommissbrot“ war das endlich ein Wagen, mit dem man sich sehen lassen konnte, ohne als Exzentriker zu gelten.

Und so zogen die Werbeleute bei Hanomag alle Register, um das Auto trotz nur 800ccm messenden Motors als erwachsenen und ansprechenden Wagen zu präsentieren:

Hanomag 3/16 PS Cabriolet; Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger

Wie so oft bei den damaligen Werbegrafiken fiel der Wagen in Wirklichkeit nicht ganz so großzügig und elegant aus. Während die Linien bis ins Detail stimmen, wurde bei den Proportionen auf obiger Reklame etwas „nachgeholfen“.

Zudem wurde darauf verzichtet, den Hanomag 3/16 PS in vollbesetzter Ausführung zu zeigen. Die Realität war in dieser Hinsicht schon etwas prosaisch, wie folgendes Foto von Leser Klaas Dierks zeigt:

Hanomag Typ 3/16 PS Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Während wir heute angesichts des beengten Platzangebots mitleidig lächeln mögen, war bereits ein solcher technisch unauffälliger Kleinwagen aus dem Hause Hanomag im Deutschland der frühen 1930er Jahre ein Luxusgegenstand.

So war der Motorisierungsgrad hierzulande selbst im Vergleich zu benachbarten Ländern wie Frankreich und den Niederlanden noch sehr niedrig – ganz zu schweigen von den USA, wo sich nahezu jede Familie ein Auto leisten konnte.

Das erklärt, weshalb auch so bescheiden anmutende Wagen wie der Hanomag 3/16 PS von ihren Besitzern mit erkennnbarem Stolz auf Fotos verewigt wurde, auf dass die bucklige Verwandtschaft etwas zu staunen hat…

Wer übrigens dieses Auto statt als Cabriolet eher als Cabriolimousine ansprechen würde, liegt durchaus richtig. Denn ein echtes Cabrio hätte versenkbare Seitenscheiben ohne festen Rahmen besessen.

Doch war man auch bei den Typbezeichnungen mitunter kreativ, wenn es darum ging, einem Auto mehr Prestige zuzusprechen, als es von der Papierform her verdiente.

Die Besitzer taten ebenfalls alles, um sich und ihren Schatz auf vier Rädern mondän daherkommen zu lassen. Kürzlich erwarb ich eine Aufnahme, die das auf reizvolle Weise illustriert und den Titel „Kleinwagen mit Sex-Appeal“ durchaus rechtfertigt, wie ich finde:

Hanomag 3/16 PS Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Viel besser lässt sich dieses Wägelchen mit gerade einmal 16 PS und Spitze 75 km/h doch kaum inszenieren, oder?

Wer bekommt hier nicht spontan Lust darauf, sich sonntags in charmanter Begleitung die Sommerluft um die Nase wehen zu lassen? Vielleicht macht man Halt an einem Badesee, parkt dort „wild“ wie ein paar andere Automobilisten und springt ins kühle Nass.

Spätestens montags ging es für die Besitzer wieder zurück in einen Alltag, von dessen Beschwernissen die heutige Jugend mit Berufsziel „Work-Life-Balance“ nichts ahnt – die aber trotzdem meint, sich über Unzuträglichkeiten im Hier und Jetzt beschweren zu müssen.

Wenn das Automobil als Ergebnis eines täglich grotesker werdenden Kreuzzugs gegen die Individualmobilität wieder ein Luxusgut ist, dann beginnen herrliche Zeiten für die Besitzer eines übriggebliebenen Exemplars eines solchen Hanomag 3/16 PS-Modells

„Arm aber sexy“, ist dann die Devise, wie es schon heute das Motto von Berlin ist – der einzigen Hauptstadt der entwickelten Welt, die den Wohlstand ihres Landes nach unten zieht – vielleicht ein Menetekel des Kommenden

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Deutschland-Achter: Ansichten des Röhr 8 Typ RA

Der Deutschland-Achter genießt unter Freunden des Rudersports seit Jahrzehnten hohes Ansehen. Es gibt wenige Sportarten, in denen die deutsche Nationalmannschaft seit über 50 Jahren fast durchgängig Leistungen auf Weltklasseniveau bietet.

Vermutlich ist die Zusammensetzung des deutschen Ruderteams für Diversitäts-Fanatiker eine mindestens so große Provokation wie diejenige der Handball-Nationalmannschaft.

Solche „Kritik“ wird meist von Zeitgenossen erhoben, die selbst nichts können außer ganz selbstverständliche Zustände anzuprangern – außer bei US-Basketballteams, natürlich. Merkwürdige Zeiten, in denen Hautfarbe und Herkunft wieder problematisiert werden…

Um einen Deutschland-Achter ganz anderer Art geht es in meinem heutigen Blog-Eintrag, wenngleich ich am Ende noch die Kurve zum Rudersport zu kriegen beabsichtige…

Zunächst ganz unscheinbar kommt das Objekt daher, das heute im Mittelpunkt steht:

Röhr 8 Typ RA; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Von diesem nicht nur auf den ersten Blick sehr amerikanisch wirkenden Automobil sind drei Aufnahmen erhalten, die mir Leser Marcus Bengsch zur Verfügung gestellt hat.

Foto Nr. 1 lässt zwar technisch sehr zu wünschen übrig, doch zeigt es alle Merkmale eines US-Wagens der späten 1920er und frühen 1930er Jahre. Damals gaben die preisgünstigen und gut ausgestatteten „Amerikaner-Wagen“ den Ton an hierzulande, nicht nur stückzahlenmäßig, sondern auch in formaler Hinsicht.

Wer als einheimischer Hersteller etwas gegen die Konkurrenz aus Übersee ausrichten wollte, musste sich eng am Vorbild der hochmodernen US-Autoindustrie orientieren. Dazu gehört neben dem akribischen Kopieren amerikanischer Linienführung das Angebot von Sechs- und Achtzylindermotoren.

Während die meisten hiesigen Autobauer passable Sechszylinder zustandebekamen – so etwas hatten vor allem Opel und Protos schon vor dem 1. Weltkrieg in Serie gebaut – stellte die Konstruktion eines Achtzylinders eine Herausforderung dar.

Dem sächsischen Horch-Werken gelang es mit hohem Investitionsaufwand, auf diesem Feld glänzene Ergebnisse zu erzielen, doch für eine Massenfabrikation nach US-Vorbild reichte es am Ende auch dort nicht.

Der Wagen, um den es heute geht, ist ein weiteres Beispiel für den Versuch, es den Amerikanern auf dem Gebiet des Achtzylinders gleichzutun. Und solch ein Auto ist auf dem eingangs gezeigten Foto zu sehen.

Hier nun dasselbe Fahrzeug in einer deutlich besseren Aufnahme:

Röhr 8 Typ RA; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Man muss zugeben – dieses Auto macht einiges her und man könnte es glatt für ein amerikanisches Importfahrzeug halten.

Dass es sich „nur“ um das Produkt einer Manufaktur aus dem südhessischen Ober-Ramstadt handelte, möchte man kaum glauben. Die Rede ist von der Röhr Auto AG.

Namensgeber Hans Gustav Röhr war wie viele Köpfe in der Automobilgeschichte ein Naturtalent, was Neuerungen angeht. Für die Umsetzung im Detail hatte er einen begabten Ingenieur an seiner Seite, der ihn zeitlebens begleitete: Joseph Dauben.

Nach einigen Stationen im Anschluss an den 1. Weltkrieg verfolgten die beiden das Projekt eines neuartigen Automobils, das geringes Gewicht, niedrigen Schwerpunkt und überlegene Straßenlage durch Schwingachsen vereinte.

Die Serienfertigung begann in der 1926 übernommenen Fabrik der insolventen Falcon-Autowerke in Ober-Ramstadt bei Darmstadt. Statt des ursprünglich vorgesehenen Sechszylinders entschied man sich für die Entwicklung eines eigenen Achtzylinders.

So hervorragend der ab 1927 gebaut Röhr 8 in punkto Straßenlage war, so größenwahnsinnig war der Anspruch, die US-Autoindustrie auf einem Feld anzugreifen, auf dem sie viele Jahre Vorsprung hatte – dem Achtzylinder.

Offenbar war man bei Röhr – wie übrigens auch bei Adler und Brennabor – auf dem betriebswirtschaftlichen Auge weitgehend blind. So hätte bei nüchterner Betrachung klar sein müssen, dass die Amerikaner mit ihren gigantischen Stückzahlen auch in der Achtzylinder-Kategorie unerreichbare Skalenvorteile hatten.

So verspielte man den Wettbewerbsvorteil eines Chassis mit einzigartiger Straßenlage und hervorragendem Passagierkomfort, den die Amerikaner nicht bieten konnten, indem man sich mit einem Achtzylinder verausgabte, der sich als Fehlkonstruktion erwies.

Es half auch nicht, dass man den ursprünglichen Motor mit nur 2 Liter Hubraum und 40 PS – das entsprach der Leistung des vierzylindrigen Ford Model A – Anfang der 1930er Jahre auf 2,5 Liter Hubraum vergrößerte, sodass zuletzt wenigstens 55 PS anfielen.

Genau diese Ausführung – einen Röhr 8 Typ RA – zeigen die Fotos von Marcus Bengsch. Hier das dritte Exemplar, das nun auch das Kühleremblem erkennen lässt – eine „8“ mit angedeuteten Schwingen:

Röhr 8 Typ RA; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Hier sieht man den Lamellenkühler und die einteiligen, glattflächigen Vorderkotflügel, die für das Modell RA typisch waren, das ab 1931 gebaut wurde.

Das ist ein sehr schönes, melancholisch stimmendes Bild. Fast meint man, dass die junge Dame, die auf der Doppelstoßstange Platz genommen hatte, und der „nachdenklich“ zur Seite schauende Hund geahnt hätten, was mit diesem Wagen etwas zuendeging.

Denn bis Produktionsende 1933 konnten nur 322 Stück des Röhr 8 Typ RA abgesetzt werden. Mit diesem Modell war auch der Traum von einer eigenen Automobilproduktion von Hans Gustav Röhr und Joseph Dauben vorbei.

Wie es mit den beiden und den Röhr-Werken weiterging, ist in einem älteren Blog-Eintrag zu lesen (hier).

Mit dem Debakel des Röhr-Achtzylinders im Hinterkopf kehre ich nochmals zum Thema „Deutschland-Achter“ zurück. Es steht nämlich zumindest in der Vorkriegszeit für das Scheitern an der eigenen Ambition.

So wie es – vielleicht mit Ausnahme von HorchEnde der 1920er Jahre keinem deutschen Hersteller gelang, den amerikanischen Achtzylinder-Wagen Ebenbürtiges mit größeren Stückzahlen entgegenzusetzen, so erlitt auch der Deutschland-Achter wenige Jahre später Schiffbruch im Wettkampf mit den USA – bei der Olympiade 1936.

Folgender Film hält die Niederlage des Deutschland-Achter gegen das US-Team fest. Die amerikanische Perspektive ist zeittypisch nicht frei von Propaganda.

Dennoch ist es ein sehenswertes Dokument, das amerikanisches Filmmaterial mit den dynamischen Filmaufnahmen von Leni Riefenstahl verknüpft, die selbst kurz zu sehen ist und die für das Ambivalente jener Zeit steht wie nur wenige andere:

Hochgeladen von David Trujillo; Videoquelle: YouTube

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Ein Bild von einem Mann: Der General fährt Benz

Nach längerer Abstinenz kommt heute wieder einmal die altehrwürdige Marke Benz zu ihrem Recht. Der Wagen, um den es geht, ist zweifellos sehr eindrucksvoll, doch wird er von einem einstigen Passagier förmlich in den Schatten gestellt.

Man muss das Handwerk, das dieser Mann einst ausübte, nicht mögen – er war Berufssoldat und war ab 1910 General in der Bayerischen Armee – doch die Zeiten vor über 100 Jahren waren andere als im Deutschland des 21. Jahrhunderts.

Wie man noch sehen wird, verdiente er jedenfalls auf seine Weise Respekt. Die Rede ist von der Persönlichkeit, die das folgende Foto aus meiner Sammlung beherrscht:

Benz Tourenwagen mit General Felix von Bothmer; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch wer sich vorrangig für den Tourenwagen interessiert, der den Großteil dieser Aufnahme ausfüllt, wird die eindrucksvolle Erscheinung des Offiziers daneben bemerken.

Der großgewachsene Mann mit Bart und Schutzbrille, der soeben dem Wagen neben ihm entstiegen sein dürfte, war „General von Bothmer“ – so ist von alter Hand auf der Rückseite dieses Abzugs vermerkt, leider ohne Ortsangabe und Datum.

Doch bin ich zuversichtlich, dass ein Kenner anhand der Auszeichnungen des hochdekorierten Generals zumindest den frühestmöglichen Zeitpunkt nennen kann, ab dem diese Aufnahme entstanden sein muss.

Zunächst jedoch sei das Automobil näher betrachtet, der sich hier mit schlammbedeckten Reifen präsentiert:

Zweifellos handelt es sich um einen Benz – die Marke begegnet einem in Fotos aus dem 1. Weltkrieg neben Adler ,Opel, Hansa und Protos sehr oft.

Leider bereitet die genaue Typansprache häufig Schwierigkeiten, so auch hier. Die parallel erhältlichen Benz-Typen unterscheiden sich meist nur in der Größe.

Allenfalls die Zahl der Radspeichen gibt einen groben Hinweis auf die Motorisierung. Die 12 Speichen des Wagens auf obiger Aufnahme finden sich nicht bei den kleinen Benz-Typen der 20- bis 30-PS-Klasse, wenn man zeitgenössische Aufnahmen zugrundelegt.

Ab 1912 bot Benz mehrere Mittelklassetypen mit 40 bis 60 PS an, die offenbar meist 12 Radspeichen aufwiesen, sofern sie keine sportlichen Drahtspeichenräder besaßen.

1912 halte ich auch als Baujahr des Benz von General Bothmer für wahrscheinlich – davor ragte die Windkappe (auch „Windlauf“) zwischen Motorhaube und Frontscheibe steiler nach oben und danach verlief sie fast in einer Ebene mit der Haube.

Die elektrischen Positionsleuchten verweisen ebenfalls auf eine Entstehung ab 1912/13, zuvor erfüllten Petroleumleuchten den Zweck des nächtlichen „Standlichts“.

Damals hatte die PKW-Produktion von Benz ihren Höchststand erreicht. So entstanden 1912 über 3.000 Wagen, Konkurrent Daimler brachte es auf nur knapp 1.900 Stück. Das erklärt die weit größere Verbreitung von Benz-Wagen als Offiziersauto auf Fotos aus dem 1. Weltkrieg.

Leider lässt sich zu dem Benz-Tourer, mit dem General von Bothmer unterwegs war, aus meiner Sicht nicht mehr sagen. Dafür wissen wir über den General einiges. Hier haben wir ihn in einer Ausschnittsvergrößerung, auf der er zweifellos gute Figur macht:

Zum Zeitpunkt der Aufnahme muss der 1852 geborene Felix von Bothmer mindestens 62 Jahre alt gewesen sein. Für einen Mann seines Alters muss er in sehr guter Form gewesen sein. Nur der graue Bart ist verräterisch – die zahlreichen Orden ebenso.

Der aus niedersächsischem Uradel stammende von Bothmer wurde in München geboren und schlug wie viele seiner Vorfahren die Militärlaufbahn ein – in seinem Fall bei der Armee des Königreichs Bayern.

Ab März 1915 zeichnete er sich als kühl kalkulierender Taktiker an der Ostfront aus und hatte die Führung eines Großverbandes inne, der als Korps Bothmer bezeichnet wurde. Der Durchbruch der russischen Stellungen in der Ukraine brachte ihm den Orden „Pour Le Mérite“ ein, den von Bothmer auf dem heute vorgestellten Foto trägt.

Diese militärisch wichtigen Erfolge waren natürlich vor allem dem Einsatz und Mut der „kleinen Leute“ zu verdanken, die den schmutzigen Teil des Kriegshandwerks verrichten mussten. Einer dieser namenlosen und meist ohne Orden und Rang gebliebenen Männer kehrt uns auf dem Bild den Rücken zu.

In den Folgejahren war es dem Geschick von General von Bothmer und seinen Männern zu verdanken, dass die aus deutschen und österreichisch-ungarischen Truppen gebildete Südarmee russischen Vorstößen widerstand.

Das brachte ihm 1916 und 1917 wiederum Orden ein – das Großkreuz zum Militär-Max-Joseph-Orden und das Eichenlaub zum Orden Pour le Mérite. Ob von Bothmer diese Auszeichnungen auf dem hier gezeigten Foto trägt, kann ich nicht beurteilen.

Nachtrag: Ein sachkundiger Leser weist mich darauf hin, dass die Orden eine Datierung des Fotos auf den Zeitraum Juli 1915 bis Anfang November 1916 erlauben, der Vegetation nach zu urteilen eher bis Spätsommer 1916.

Dass die im Osten blutig erkämpften Erfolge gegen die russische Armee und am Ende auch der Friedensvertrag mit Russland, der Polen, Litauen und Kurland ihre Selbstbestimmung wiedergab, letztlich vergeblich waren, konnte damals keiner wissen.

Jedenfalls schied General von Bothmer Ende 1918 aus dem Dienst aus, nicht ohne zuvor weitere Orden erhalten zu haben, mit denen ich meine Leser nicht langweilen will.

1937 starb von Bothmer in München mit 85 Jahren. Gegen den Willen seiner Familie wurde vom nationalsozialistischen Regime ein Staatsbegräbnis arrangiert. Immerhin beschränkte sich der Fahnenschmuck auf alte kaiserliche und königliche Flaggen.

So ist das heute präsentierte Foto ein Dokument einer längst untergegangenen Welt. Felix von Bothmer war noch im Kutschzeitalter großgeworden und hatte als junger Mann die Erfindung und Ausbreitung des Automobils erlebt.

Im 1. Weltkrieg leisteten ihm ein großzügiger Benz und ein unbekannter Fahrer treue Dienste. Über beide würde man gern erfahren, doch das wird nichts mehr.

Was von den Mühen und Opfern geblieben ist, ist ein Stück altes Papier. Doch auch bei pazifistischer Einstellung wird man zugeben müssen: es zeigt „ein Bild von einem Mann“.

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In jeder Hinsicht fotogen: Neues vom Fiat 1500

Rund eine Woche ist seit meinem letzten Blog-Eintrag vergangen. Einige Leser haben schon besorgt nachgefragt, woran das denn liege.

Offenbar scheint die Lektüre meiner kleinen Bildergeschichten aus der Welt des Vorkriegsautos etlichen Zeitgenossen zur Gewohnheit geworden zu sein – das ist für ein solches Nischenthema (zumindest hierzulande) ein erfreulicher Befund.

Nun, es war schlicht ein außergewöhnliches Arbeitspensum zum Jahresauftakt, das mich als Freiberufler noch zu den nächtlichen Stunden gefordert hat, die ich sonst den Zeugen historischen Mobilität in Form alter Fotos zu widmen pflege.

Heute kehre ich wieder zu meiner spätabendlichen Routine zurück und zugleich zu einem alten Bekannten, den ich überaus schätze.

Die Rede ist vom 1935 vorgestellten Fiat 1500 – für mich einer der attraktivsten Wagen, die im damaligen Europa in der gehobenen Mittelklasse zu bekommen waren.

Mir ist kein anderes Auto bekannt, das seinerzeit einen kopfgesteuerten Sechszylinder bot, der aus nur 1,5 Liter immerhin 45 PS schöpfte und dank aerodynamisch optimierter Karosserie beachtliche 115 km/h Spitze erreichte – echtes Autobahntempo, also.

Zu loben sind außerdem das komfortable Fahrwerk und der passagierfreundliche Einstieg dank Verzichts auf eine Mittelsäule bei der viertürigen Limousine. Auch in formaler Hinsicht war Fiats bis 1941 gefertigtes Spitzenmodell ein Leckerbissen.

Eine erste Ahnung davon vermittelt folgende jahreszeitlich passende Aufnahme, die ich vor längerer Zeit vorgestellt habe.

Fiat 1500 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Vergleichbar elegant kamen in dieser Klasse nur die Peugeots der 02er Reihe sowie zeitgleiche BMWs und Steyr-Automobile daher. Mercedes wie auch Hanomag dagegen pflegten einen ausgeprägten Konservatismus, während Opel und Ford eine sehr amerikanische Optik boten, die nicht jedermanns Sache war.

Damals wie heute war eine ansprechende Gestaltung der Heckpartie eine große Herausforderung. Die Italiener bewältigten diese im Fall des Fiat mit Bravour – nur ganz wenige Wagen jener Zeit kamen aus der rückwärtigen Perspektive so fotogen daher:

Fiat 1500 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bei der Gelegenheit sei bemerkt, dass Wagen des Typs Fiat 1500 mit deutschem oder österreichischen Kennzeichen in der Regel im Heilbronner Zweigwerk entstanden, das einst die PKW-Fertigung von NSU beherbergte, daher die Bezeichnung als Fiat-NSU.

Die reizvolle Heckpartie lässt natürlich an den populären Brezelkäfer denken, der vielleicht die vollkommenste Umsetzung der damals als strömungsgünstig vermarkteten abfallenden Hecklinie bot. Ein hübsches Detail sind die hell abgesetzten Gummieinfassungen der Kotflügelöffnung, durch die die Stoßstangenhalter ragen.

Interessant ist auf obiger Aufnahme, wie Rücklicht und Kennzeichenbeleuchtung zusammengefasst sind – eine vergleichbare Lösung ist mir noch nicht untergekommen.

Völlig anders wirkt die Ausführung des Fiat 1500 auf folgendem Foto:

Der Verzicht auf eine Zweifarblackierung lässt den Wagen hier deutlich massiver und fast etwas unheimlich wirken. Ohne das kleine Mädchen, das hier in die Sonne blinzelt, wäre diese Aufnahme vielleicht arg düster ausgefallen.

Fiat 1500 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dennoch wirkt der Wagen auch hier auf mich durchaus fotogen. Der Fotograf, dessen Schatten wir am unteren Ende sehen, hat wohl bewusst die beiden Vordertüren geöffnet, um das Bild aufzulockern.

Mit dem Mädchen im hellen Kleid auf der rechten Seite korrespondieren das große weiße Nummernschild links und das darunter angebrachte Nationalitätskennzeichen.

Dazwischen ist als einzige rückwärtige Beleuchtung eine tropfenförmige Lampe mit FIAT-Schriftzug zu sehen, die wohl auch Nummernschild und D-Schild anstrahlte. Ob dies ein ab Werk verfügbares Teil war oder aus dem schon damals sehr reichhaltigen Zubehörhandel stammte, ist mir nicht bekannt.

Verzichtet hat der Besitzer dieses Fiat 1500 mit Zulassung im thüringischen Erfurt auf die optionale Reserveradabdeckung, die auf dem vorherigen Foto zu sehen ist.

So fotogen die Heckpartie des Fiat 1500 auch ist – das Glanzstück ist der Vorderwagen. Dass hier ein Reihensechszylinder unter der Haube werkelt, sieht man dem Auto keineswegs an – wenn nicht gerade das kleinere Schwestermodell 1100 danebensteht.

Hier wirkt der Fiat auch deshalb klein, weil der stolze Besitzer daneben recht stattlich ist:

Fiat 1500 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ausgehend von der Dachhöhe des Fiat von 1,54 Meter dürfen wir die Größe des gutgelaunten Herrn im sommerlichen Anzug auf gut 1,75 m schätzen. Im Unterschied zum kompakten „Topolino“ bot der Fiat „Millecinquecento“ auch größeren Menschen Platz.

Ihren Reiz bezieht diese Aufnahme nicht nur aus dem vorbildlich getroffenen Fiat, der eine Zweifarblackierung besessen zu haben scheint, eventuell in Schwarz-Weinrot.

Ganz zauberhaft ist hier die junge Dame, die im Begriff ist, durch’s Bild zu spazieren und möglicherweise die schussbereite Kamera gar nicht – oder zu spät – bemerkt hat.

Ich hatte erst erwogen, sie wegzuretuschieren, doch ist sie es, die dem Foto Leben verleiht. Man meint förmlich, der Szene beizuwohnen, die eine ungeplante Dynamik besitzt, die hier wie eingefroren wirkt.

Näher können wir den Menschen nicht mehr kommen, die sich einst an einem heiteren Sommertag am Besitz des schönen und souveränen Fiat 1500 erfreuten, mit dem man damals so schnell auf Deutschlands Autobahnen unterwegs sein konnte wie nur wenige.

Im Raum Königsberg im fernen Ostpreussen war dieses Auto einst zugelassen, wie das Kennzeichen verrät. Der Fiat wird den Krieg kaum überstanden haben, doch spricht das Foto dafür, dass seine Besitzer im Winter 1944/1945 in den Westen fliehen konnten und außer dem blanken Leben auch ihr Fotoalbum retten konnten.

Dass wir uns im 21. Jahrhundert immer noch an diesem Dokument eines unbeschwerten Tags in den späten 1930er Jahren erfreuen können, hätten sie sich nicht träumen lassen.

Von dem Weg, den dieses Foto hinter sich hat, wissen wir nichts. Doch der Fiat 1500 hat auch in mehr als 80 Jahren nichts von seinen bemerkenswerten Qualitäten verloren…

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Ein Belgier aus Berlin: Metallurgique von 1914

Belgien und Berlin – nicht gerade die naheliegendste Verbindung. Fast sieben Stunden ist man heute mit der Bahn zwischen Bruxelles Central und Berlin Hbf unterwegs.

Kein Wunder, dass die moderne Politikerkaste, die den lästigen Untertan am liebsten in öffentlichen Verkehrsmitteln eingepfercht sieht, auf der Achse Brüssel-Berlin selbst das Flugzeug bevorzugt…

Dabei gab es schon vor über 100 Jahren eine ausgezeichnete Verbindung zwischen den beiden Städten – und zwar in automobiler Hinsicht.

So baute der Berliner Elektrokonzern Bergmann, der damals unter anderem ganz ohne Subventionen Batterieautos in Serie fertigte, ab 1909 in Lizenz Wagen des renommierten belgischen Herstellers Metallurgique.

Zwei Metallurgique-Wagen habe ich bisher anhand historischer Fotos vorgestellt, zuletzt war der Tourenwagen auf folgender Aufnahme an der Reihe (Porträt hier):

Bergmann-Metallurgique um 1912; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ich hatte diesen adretten Tourer mit dem markentypisch vorn abfallenden Spitzkühler seinerzeit als um 1912 gefertigten Bergmann-Metallurgique identifiziert.

Dafür sprach die Ausführung des Vorderwagens mit fließend an die Motorhaube anschließendem Windlauf – was zum Zeitpunkt der Aufnahme im Jahr 1913 bei in Belgien gefertigten Metallurgique-Wagen noch nicht üblich gewesen zu sein scheint.

Diese formale Abweichung vom belgischen Original ist keineswegs verwunderlich. Bergmann-Metallurgique bezog nur in der Anfangsphase der Lizenzfertigung Vorprodukte aus Belgien. Ab etwa 1912 baute man die Wagen in Berlin ganz in Eigenregie.

Daher folgte auch der nächste Bergmann-Metallurgique, den ich vorstellen möchte, formal vollkommen den gestalterischen Tendenzen im deutschen Automobilbau. So fand 1914 bei etlichen im Deutschen Reich gefertigten Automobilen ein weiterer Entwicklungsschritt in formaler Hinsicht statt.

Der bis dato von der Motorhaube mehr oder weniger steil aufsteigende und so optisch von dieser separierte Windlauf, verlief nun bei vielen Modellen in einer Ebene mit der Haube. Genau das ist bei dem Bergmann-Metallurgique auf folgendem Foto der Fall:

Bergmann-Metallurgique; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Was verrät aber, dass wir es hier noch mit einem späten Vorkriegsmodell zu tun haben? Schließlich wirken die Insassen nicht unbedingt wie typische Vertreter der 1918 untergegangenen Epoche.

Tatsächlich ist als Aufnahmedatum „Juli 1921“ auf der Rückseite des Abzugs überliefert. Könnte es sich nicht um einen Bergmann-Metallurgique der frühen Nachkriegszeit handeln? Immerhin hatte man den Lizenzvertrag 1920 erneuert (er lief bis 1922).

Nun, dagegen spricht ganz klar das Erscheinungsbild der Frontpartie:

Der Wagen besitzt eindeutig noch gasbetriebene Scheinwerfer, die bei Neuwagen noch während des 1. Weltkriegs von elektrischen Leuchten abgelöst wurden.

Wer die Form der Scheinwerfer für keinen zwingenden Beweis ansieht, sei auf den typischen Gasgenerator auf dem Trittbrett verwiesen. In dieser kompakten Chemiefabrik wurde durch Reaktion von Calciumcarbid und Wasser das Acetylengas erzeugt, das in den Gaslampen verbrannt wurde.

Nach dem 1. Weltkrieg wurden solche Anlagen nicht mehr an neuen Fahrzeugen montiert, blieben aber an älteren Wagen noch für eine Weile im Einsatz. Genau das scheint hier der Fall gewesen zu sein.

Mit welcher Motorisierung wir es bei diesem Exemplar zu tun haben, lässt sich nur grob eingrenzen. Metallurgique bot seine Wagen ab 1912 in fünf Leistungsklassen an, wobei durchweg Vierzylinder verbaut wurden.

Die Bandbreite reichte von einem kompakten 10CV-Modell mit nur 1,7 Litern Hubraum über die mittleren 12CV- und 16CV-Typen bis hin zu Hubraumriesen der Klassen 26CV und 40CV.

Anhand der Proportionen würde ich hier die ganz großen Modelle ebenso ausschließen wie den Einstiegstyp 10CV. Die genaue Motorisierung lässt sich kaum klären, aber das tut dem Reiz der Aufnahme keinen Abbruch. Dazu tragen wie so oft die Insassen bei:

Drei Generationen einer Familie sehen wir hier. Ganz links und rechts außen haben wir die Großeltern, die modisch am Stil der Vorkriegszeit festgehalten haben.

Am Steuer befindet sich Sohn oder Schwiegersohn, der mit einer beiden jüngeren Damen mit weißer Bluse verheiratet sein dürfte – ich tippe auf die uns freundlich anlächelnde hinter ihm. Einer der beiden Klappsitze zwischen vorderer und hinterer Sitzreihe hat das Töchterchen eingenommen, das etwas schüchtern in die Kamera schaut.

Dieses Mädchen mit der Schleife im Haar mag im Sommer 1921 im Vorschulalter gewesen sein. Es kann sein, dass dieses 2019 von mir erworbene Foto noch aus ihrem Fotoalbum stammt, wenn sie vor kurzem hochbetagt von uns gegangen ist.

Was mögen die Insassen noch alles erlebt und erlitten haben, nachdem diese Aufnahme vor bald 99 Jahren entstand? Und was wurde aus dem schönen Bergmann-Metallurgique, der sich hier noch eindrucksvoll und durchaus gepflegt präsentiert?

Das werden wir nicht mehr erfahren. Solche Fotos sind leider oft alles, was von der automobilen Welt von damals erhalten geblieben ist. Irgendwo mag es noch den einen oder anderen Bergmann-Metallurgique geben – mir ist aber noch keiner begegnet…

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Rätselhaft und reizvoll: Renault Viva/Nerva von 1935/36

Mit über 120 Jahren Geschichte gehört die französische Marke Renault zu den ältesten noch existierenden Automobilproduzenten. Zwar fällt mir zu den neuzeitlichen Modellen nach dem minimalistischen R4 nichts mehr ein, doch zum Glück gibt es ja die mal majestätischen, mal skurrilen Vorkriegstypen, an denen man sich abarbeiten kann.

Dabei stößt man auf eine sinneverwirrende Vielfalt an Typen und Bezeichnungen, die sich nur schwer erschließen. Dazu trägt das Fehlen überzeugender Literatur zu den Vorkriegsmodellen bei – auch das Netz hilft hier nur bedingt weiter.

Das ist schwer verständlich, denn Renault hat bis zum 2. Weltkrieg eindrucksvolle und sehr leistungsfähige Wagen entwickelt (siehe meinen Bericht zum Modell Grand Sport).

So ist eine genaue Ansprache mancher Renaults auf historischen Fotos oft kaum möglich – allenfalls das Baujahr lässt sich recht gut eingrenzen. Dies gilt auch im Fall der Aufnahme, die ich heute vorstelle, die zudem ein weiteres Rätsel aufgibt:

Renault Viva oder Nerva von 1935/36; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bei diesem voluminösen Wagen ohne Trittbretter und mit halb im Karosseriekörper versenkten Schweinwerfern fühlte ich mich zunächst an die eigenwilligen Modelle eines anderen Urgesteins der französischen Automobilgeschichte erinnert: Panhard.

Doch Panhard konnte ich anhand des Standardwerks Panhard & Levassor: Entre tradition et modernité rasch ausschließen.

So blieb als zweiter Kandidat Renault, obwohl ich mich bislang nur mit den kompakten Limousinen der Marke einigermaßen vertraut gemacht hatte.

Der dicke Brocken auf obigem Foto dagegen musste in der gleichen Leistungsliga angesiedelt sein wie das erwähnte Modell „Grand Sport“. Zur Erinnerung das seinerzeit besprochene, in Salzburg aufgenommene Foto eines offenen Modells (rechts):

Renault Viva oder Nerva Grand Sport; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Ähnlichkeit der Frontpartie erlaubt allerdings nur eine zeitliche Einordnung.

So verweisen die mittig nach unten weisende Stoßstange und der annähernd ovale Kühler zusammen mit den fünf waagerechten Luftschlitzen auf eine Entstehung zwischen Herbst 1935 und Herbst 1936.

Für Motorisierung und Typenbezeichnung kommen dagegen etliche unterschiedliche Varianten in Betracht. Die Details der Frontpartie finden sich in praktisch identischer Form beim Sechszylindermodell „Viva“ und beim Achtzylindertyp „Nerva“.

Je nach Radstand und Aufbau kommen dann Varianten wie „Vivastella“, „Vivasport“ und „Viva Grand Sport“ sowie „Nervastella“, „Nervasport“ und „Nerva Grand Sport“ in Betracht.

Wenn ich es richtig sehe, besaßen die Sportversionen von Sechs- und Achtzylinder einen kürzeren Radstand als die Normalausführungen. Zudem unterschieden sich Sechs- und Achtzylinder in der Gesamtlänge – was ohne Vergleichsmaßstab nicht hilft.

Daher muss ich es bei der heutigen Aufnahme offenlassen, welche Variante des Renault „Viva“ oder „Stella“ von 1935/36 wir hier genau vor uns haben. Vielleicht hat ein Leser Zugang zu einer (ggf. auch französischen) Quelle, die weiteren Aufschluss liefert.

Fesselnd ist das Foto dennoch – und das aus gleich zwei Gründen. So ist aus meiner Sicht rätselhaft, wo es entstanden ist. Dabei sollte man sich nicht von dem Herrn mit Baskenmütze neben dem Renault in die Irre führen lassen.

Auf dem Originalabzug sind nämlich noch einige andere Herrschaften zu sehen:

Die seitlich im Hintergrund stehenden Männer tragen Pelzkappen, wie sie für osteuropäische Länder üblich waren, auch ihre rundlichen Gesichter wollen mir wenig französisch erscheinen, wenn eine solche Einordnung erlaubt ist.

Denkbar wäre eine Aufnahme in den Karpaten beispielsweise – leider gibt das Nummernschild des Renault in punkto Zulassung wenig her. Nicht auszuschließen ist, dass der Wagen und sein Besitzer Gäste aus Frankreich waren.

Vorschläge zur Erläuterung dieser für mich rätselhaften Situation sind willkommen, am besten über die Kommentarfunktion, dann haben auch andere Leser etwas davon.

Zum Abschluss möchte ich aber noch auf ein weiteres Detail eingehen, das vielleicht dem einen oder anderen Betrachter aufgefallen ist:

Weist die Heckpartie mit der Radverkleidung nicht eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit derjenigen der späteren „Ente“ von Citroen auf?

Tatsächlich wurzelt die Gestaltung des legendären „2CV“ in der Vorkriegszeit und ist so französisch wie das Erscheinungsbild der Renaults und Panhards der 1930er Jahre.

Vermutlich hat der brilliante Schöpfer der Linien der „Ente“ – Flaminio Bertoni – bewusst an solche Traditionen angeknüpft, wie es auch die freistehenden Vorderkotflügel zeigen, die bei Erscheinen des 2CV schon von gestern waren.

Ich habe lange gebraucht, um die wahren Qualitäten der „Ente“ zu begreifen, was mit dem ungepflegten Erscheinungsbild vieler Insassen zu tun hatte. So war das jedenfalls Ende der 1980er Jahre, als die „Grünen“ das Auto noch nicht ganz für tabu erklärt hatten und gern den Citroen „2CV“ fuhren, meist mit „Atomkraft? – nein danke“-Aufkleber.

Doch bei der Betrachtung dieses Renault, der einer ganz anderen Leistungsklasse entstammt, wird meines Erachtens deutlich, dass Citroens „2CV“ gestalterisch konservativ war und ich muss sagen, dass mir das nicht nur an der Ente gefällt…

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Sinn für’s Detail: Mercedes-Benz 290 Cabriolet D

Mancher Leser meines Blogs für Vorkriegsautos auf alten Fotos mag sich fragen, warum ich die Marke Mercedes-Benz eher selten streife. Nun, das ist keineswegs einer Abneigung geschuldet.

Es ist bloß für mich als Universalisten ausgesprochen schwer, bei einer hervorragend dokumentierten Marke etwas Interessantes oder Neues zu bieten, was nicht andernorts längst aufbereitet wurde.

Doch mitunter mache ich Fotofunde, die auch Mercedes-Kennern eine außergewöhnliche Sicht auf ihre Lieblinge eröffnen. Und bisweilen ist es die schiere Schönheit eines Mercedes, die Erholung von anstrengenden Besprechungen wirklicher Exoten erlaubt.

Heute kann ich mit ein und demselben Mercedes-Typ gleich beides bieten. Den Anfang macht eine Aufnahme von hervorragender Qualität, die einen Mercedes-Benz 290 nicht gerade dort zeigt, wo man ihn so prominent festgehalten erwarten würde:

Mercedes-Benz 290 Cabriolet D; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ob diese von Könnerhand sorgfältig komponierte Aufnahme während einer Militärübung oder im Zweiten Weltkrieg entstanden ist, kann ich nicht mit Gewissheit sagen. Leider sind keine Informationen zu Aufnahmeort und -datum überliefert.

Zwei Dinge bewogen mich zum Kauf dieser in automobilhistorischer Hinsicht eher unbedeutenden Aufnahme.

Zum einen ist der nicht mehr ganz junge Offizier, den wir hier im Profil sehen, meinem Paderborner Großonkel Ferdinand aus dem Gesicht geschnitten – auch wenn der es nur bis zum Unteroffizier gebracht hat:

Das Band im Knopfloch der Uniformjacke weist den Offizier, der hier wohl Meldungen von Unteroffizieren entgegennimmt, als Träger des Eisernen Kreuzes aus.

Denkbar ist, dass er es bereits als junger Mann im 1. Weltkrieg erhalten hat, dann könnte es sich in der Tat um eine Manöveraufnahme aus Friedenszeiten handeln.

Vielleicht kann ein sachkundiger Leser aber auch anhand von weiteren Details bestimmen, ob dieses Foto erst nach Kriegsbeginn 1939 entstanden ist.

So oder so fällt die außergewöhnliche Qualität der Aufnahme auf. Dies ist kein Schnappschuss eines Landsers, der in einer Marschpause auf Fotorpirsch war. Er hätte auch eher das Auto ins Visier genommen als die Vorgesetzten.

Man fragt sich, was den unbekannten Fotografen dazu bewogen hat, in diese Szene das Heck eines Mercedes-Benz Cabriolets einzubeziehen.

Wollte er der Situation eine interessante Note geben oder gefielen ihm schlicht die gestalterischen Details des Mercedes?

Die Identifikation als Mercedes gelingt auch dem Laien anhand des dreizackigen Sterns auf der Radkappe.

Doch wer den genauen Typ ermitteln will, muss Sinn für’s Detail haben – und über umfassende Literatur zu den Mercedes-Typen der 1930er Jahre verfügen.

Letztlich sind es vier Details, die zusammengenommen am Ende eine eindeutige Identifikation ermöglichen:

  • der am Ende des Trittbretts liegende Ausschnitt für die Wagenheberaufnahme, bei der die Abdeckung derselben fehlt – vermutlich ging diese oft verloren
  • die weit nach hinten reichende Tür, die auf eine viertürige Version schließen lässt
  • die wie ein Kometenschweif auslaufende seitliche Zierleiste, die kurz vor dem hinteren Kotflügel abbricht
  • der wie angesetzt wirkende große Kofferraum, der nicht der allgemein abfallenden Linie der Heckpartie folgt

Diese Details sind es, die eine genaue Ansprache des Typs erlauben, so unwahrscheinlich dies auf den ersten Blick erscheint. So handelt es sich bei dem Mercedes in mattgrauer Wehrmachtslackierung um ein Cabriolet D (lang) auf Basis des Modells 290.

Der Mercedes-Benz 290 mit Sechszylindermotor war 1933 dem neu eingeführten Vierzylindertyp 200 zur Seite gestellt worden. Wie dieser bot er mit Ausnahme der vorderen Einzelradaufhängung technisch kaum Neues.

Der anfänglich nur 60 PS leistende Motor war ein konventioneller Seitenventiler und war mit dem Wagen überfordert. Das galt umso mehr für die über 1,8 Tonnnen schweren Karosserieversionen auf verlängertem Chassis.

Hinzu kam, dass selbst ein achtzylindriger Horch günstiger zu haben war als ein solcher Mercedes 290. Der umwerfend leistungsfähige Ford V8 kostete gar nur die Hälfte und war damals einer der schnellsten Wagen auf Deutschlands Autobahnen.

Doch muss für die Käufer eines solchen Mercedes das dürftige Spitzentempo von etwas mehr als 100 km/h durch andere Qualitäten mehr als ausgeglichen worden sein.

Ohne ein besonderer Mercedes-Kenner zu sein,vermute ich, dass es neben der aufwendigen Innenausstattung die eleganten Manufakturaufbauten waren, die Mercedes-Käufer alle Vernunft fahren ließen.

Hier haben wir ein besonders schönes Exemplar – diesmal ein Cabriolet B auf Basis Mercedes-Benz 290 (lang):

Mercedes-Benz 290 Cabriolet B (lang); Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch hier ist mit Sinn für’s Detail und aussagefähigen Vergleichsfotos eine eindeutige Identifikation möglich.

Dazu zählen die seitlichen „Schürzen“ an den Vorderschutzblechen, die noch wie nachträglich angebracht erscheinen – dieses Detail taucht überhaupt erst 1932 beim legendären Graham „Blue Streak“ auf und setzt sich ab 1933 allgemein durch.

Weitere Elemente sind die leicht geneigte Kühlerpartie, die flache und schrägstehende Frontscheibe sowie die hinten angeschlagenen langen Türen, über die hinweg eine geschwungene Chromleiste läuft, die dem Wagen eine hinreißende Seitenlinie gibt.

Der große Abstand zwischen hinterem Türabschluss und Radhaus ist ein klarer Hinweis darauf, dass dieses Cabriolet B auf dem ab Herbst 1934 verfügbaren langen Chassis entstand.

11.500 Reichsmark rief Daimler-Benz für diese Schönheit auf. Das entsprach in etwa dem siebenfachen Jahreseinkommen eines sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmers mit durchschnittlichem Verdienst.

Auf die heutigen Verhältnisse umgemünzt (Durchschnittsentgelt ca. 40.500 EUR p.a.) entspräche dies über 280.000 EUR und damit dem Gegenwert eines kleinen Hauses oder einer einfachen Eigentumswohnung außerhalb der Ballungsgebiete.

Kein Wunder, dass vom Mercedes 290 mit langem Chassis bis 1937 nur 3.900 Stück gebaut wurden. Viele davon sind als Offizierswagen (siehe erstes Foto) im Krieg eingesetzt und meist zerstört oder verschlissen worden.

Heute ist ein solches Cabriolet auf Basis Mercedes-Benz 290 erst recht ein Traum und etwas für Menschen, die sich nicht für Leistungswerte auf dem Papier interessieren, sondern Sinn für’s schöne Detail haben…

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Lässt keine Wünsche offen: Austro-Daimler 6-17

Freunde österreichischer Vorkriegswagen dürfen sich heute über ein Wiedersehen mit einem Automobil der Spitzenklasse freuen, das ich in meinem Blog erst einmal präsentieren konnte (hier).

Die Rede ist vom Austro-Daimler Typ AD 6-17, der ersten Neukonstruktion der Marke nach dem 1. Weltkrieg, für die seinerzeit Ferdinand Porsche verantwortlich zeichnete.

1920 wurde der Wagen mit seinem hochfeinen Sechszylinderaggregat vorgestellt – aus 4,4 Liter gewann es 60 PS, den Ventiltrieb besorgte eine obenliegende Nockenwelle, die ihrerseits von einer Königswelle angetrieben wurde – filigraner geht es kaum.

Hier nochmals der im seinerzeitigen Blogeintrag präsentierte Wagen:

Austro-Daimler AD 6-17; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser prachtvolle Tourenwagen entspricht in allen sichtbaren Details dem Erscheinungsbild des Austro-Daimler AD 6-17.

Doch auch wenn die Proportionen für das neue Sechszylindermodell sprechen, ist nicht ganz auszuschließen, dass es sich um eines der nach dem 1. Weltkrieg weitergebauten Vierzylindermodelle 6/25 bzw 15/35 PS handelt.

Aus dieser Perspektive sind der neue große Sechszylindertyp und die nur optisch modernisierten Vierzylindermodelle schwer auseinanderzuhalten.

Solche Fälle gibt es bei frühen Vorkriegswagen öfters, da bei etlichen Herstellern der Grundentwurf für Typen mit unterschiedlicher Motorisierungen oft derselbe war und lediglich der Größe nach variiert wurde.

Doch wie es scheint, gibt es im Fall der frühen Nachkriegsmodelle von Austro-Daimler ein Detail, das aus günstiger Perspektive eine klare Abgrenzung erlaubt.

Ein Foto, das in dieser Hinsicht keine Wünsche offenlässt, hat mir Leser Matthias Schmidt aus Dresden zur Verfügung gestellt, der ein hervorragendes Archiv mit frühen Automobilfotos speziell aus Mittel- und Ostdeutschland besitzt:

Austro-Daimler AD 6-17; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Im Original war der Abzug stark verblichen und stark beschädigt, doch ließ sich mit einigen Anpassungen und Retuschen der großartige Tourenwagen „wiederbeleben“, der einst in Thüringen ein Zuhause bei vermögenden Leuten gefunden hatte.

Betrachtet man die Seitenpartie mit dem beachtlichen Abstand zwischen den Türen und die recht entfernte Sitzposition der Dame auf der Rückbank, ahnt man bereits, dass man hier mit einem Automobil der Oberklasse zu tun hat.

Tatsächlich unterschieden sich die beiden Vierzylindertypen von Austro-Daimler und das neue Sechszylindermodell AD 6-17 äußerlich insbesondere durch den Radstand: 2,80 m bzw. 3,11 m im Fall der kleinen Modelle und 3,45 m im Fall des AD 6-17.

Doch was sagt uns eigentlich, dass dieser Wagen überhaupt ein Austro-Daimler ist? Immerhin wurden solche Spitzkühlerwagen nach dem 1. Weltkrieg von fast jedem Hersteller im deutschsprachigen Raum angeboten.

Nun, hier verschafft einem der genaue Blick auf die Frontpartie Klarheit:

Das verschlungene Emblem auf dem Oberteil der Kühlereinfassung ist zwar unscharf wiedergegeben, doch ist es hinreichend markant, um die Ansprache des Wagens als Austro-Daimler zu ermöglichen.

Die sportlichen Drahtspeichenfelgen und die Ausführung der Radnabenmutter passen ebenfalls – bei Austro-Daimler waren diese Elemente Standard (bei deutschen Herstellern eher die Ausnahme).

Besonders interessant ist aber ein anderes Detail: So ist unterhalb des Nummernschilds eine stark abwärtsgeschwungene Vorderachse zu erahnen. Mein Eindruck ist, dass diese dem großen und schweren Sechszylindermodell AD 6-17 vorbehalten war.

Die parallel erhältlichen Vierzylindertypen 6/25 PS und 15/35 PS scheinen über eine deutlich flachere Vorderachse verfügt zu haben. Dies kann Platzgründe gehabt haben, doch sind auch Überlegungen in punkto Federungskomfort nicht auszuschließen.

Vielleicht kann ein Austro-Daimler-Spezialist sagen, ob die Ausführung der Vorderachse der verschiedenen Typen in den frühen 1920er Jahren tatsächlich unterschiedlich war.

Mir bleibt zum Abschluss ein Blick in das Passagierabteil des Austro-Daimler. Der Abstand zwischen dem Chauffeur vor dem mächtigen Lenkrad und der zweifellos der Besitzerfamilie angehörigen Dame ganz hinten könnte kaum größer sein:

Interessant finde ich außer den Insassen die beiden Wartungsklappen im Schweller: Die hintere wird Zugang zur Blattfeder der Hinterachse verschafft haben. Wozu diente aber die andere auf Höhe des Endes der Vordertür?

Wenn ich die Konstruktionszeichnungen des Austro-Daimler Typ AD 6-17 richtig interpretiere, war die vordere Aufnahme der hinteren Blattfeder ungewöhnlich weit vorne angebracht und die mittige Aufnahme befand sich noch deutlich vor der Vorderachse.

Schade, dass wir uns darüber nicht mehr mit dem Chauffeur unterhalten können, der laut Abschmierplan des AD 6-17 diese Stellen vor jeder Fahrt warten musste. Alle 3.000 km war außerdem das Öl des Motors und alle 5.000 km das Differentialöl zu wechseln.

Von Arbeiten wie diesen wusste die feine Dame auf dem Rücksitz vermutlich nichts, sie verließ sich auf die Kompetenz des Fahrers, der dafür seinerzeit ein Salär erhielt, das sich im Vergleich zu den Löhnen in Landwirtschaft und Fabriken sehen lassen konnte.

Nach der Inflationszeit Mitte der 1920er Jahre und der Wirtschaftskrise gegen Ende des Jahrzehnts mussten sich Chauffeure eine neue Betätigung suchen. Das wird nicht immer leicht gewesen sein, war aber letztlich eine Vorbedingung für die Demokratisierung des Automobils.

Als sich immer weitere Kreise einen Wagen leisten konnten, waren auch die Tage solcher aufwendig konstruierten Manufakturautomobile vorbei.

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ideal getroffen: Ein Brennabor Typ N 7/30PS

Heute kann ich eine Lücke in der Dokumentation der PKW-Typen der einst hochbedeutenden Marke Brennabor aus Brandenburg schließen.

Wenn ich es richtig sehe, gilt das nicht nur für meine stetig wachsende „Brennabor“-Galerie, sondern auch für die bislang erschienene – ziemlich dürftige – Literatur zu den bis 1933 gebauten Automobilen der Traditionsmarke.

Diesen Lückenschluss verdanke ich Leser Marcus Bengsch, der bereits viele Fotoraritäten aus seiner Sammlung beigesteuert hat.

Auch diesmal handelt es sich um Bilder, bei denen das Automobil eher als Staffage für Momentaufnahmen von großem Reiz dient. Hier hätten wir Nr. 1:

Brennabor Typ N 7/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Diese hübsche Situation entstand einst auf einer Flussfähre – erkennt jemand die Landschaft im Hintergrund?

Das Kennzeichen verweist auf eine Zulassung im Raum Bochum, aber das muss nicht zwingend ein Hinweis auf den Entstehungsort des Fotos sein.

Dass wir hier einen Brennabor vor uns haben, verrät auf Anhieb das „B“ auf der eindrucksvoll dimensionierten Kühlermaske. Das gesamte Erscheinungsbild ist stark von US-Automobilen der späten 1920er Jahre geprägt.

Dies gilt auch für die auf zwei Gruppen pro Seite verteilten waagrechten Entlüftungsschlitze in der Motorhaube. Wer sich ein wenig mit den Brennabor-Modellen jener Zeit auskennt, könnte spontan an ein Exemplar des Typs Z 6/25 PS denken.

In der Tat besteht auf den ersten Blick einige Ähnlichkeit mit diesem 1928/29 gebauten Vierzylindermodell konventioneller Bauart:

Brennabor Typ Z 6/25 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Treuen Lesern meines Blogs wird diese schöne Aufnahme bekannt vorkommen – ich habe sie hier anlässlich der ausführlichen Besprechung des Brennabor Z-Typs gezeigt.

Dem aufmerksamen Betrachter werden vor allem zwei Details auffallen, die den Brennabor Typ Z 6/25 auszeichnen, aber auf dem eingangs gezeigten Foto fehlen:

  • die Frontschutzbleche bestehen aus zwei Teilen und weisen eine umlaufende Prägung auf – beim ersten Foto sind die Kotflügel einteilig und glatt ausgeführt,
  • die Luftschlitze reichen in der Haubenseite nicht so weit hinauf, es sind beim Z-Typ nur fünf pro Gruppe, während auf dem ersten Foto deutlich mehr zu sehen sind.

Für die Frontpartie des eingangs gezeigten Wagens kommt der Literatur nach zu urteilen scheinbar der Brennabor Typ C der frühen 1930er Jahre in Betracht.

Doch dieser besaß verchromte Nabenkappen und war zudem nicht mit einem so aufwendigen Aufbau verfügbar:

Dieser Wagen ist als viertürige Cabrio-Limousine mit zwei ovalen Heckfenstern ausgeführt, die ich bislang an keinem deutschen Serienwagen jener Zeit gesehen habe.

Der von der Frontpartie her ähnliche Brennabor Typ C war nur als Cabrio oder zweitürige Limousine erhältlich. Was also ist das für ein Modell?

Nun, allein auf Grundlage der Abbildungen in der mir vorliegenden Literatur hätte ich dies nicht sicher ermitteln können – es gibt dort keine vergleichbare historische Aufnahme.

Doch zum Glück liefert Foto Nr. 2 desselben Wagens den gewünschten Aufschluss:

Brennabor Typ N 7/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Worauf der Herr rechts deutet, wissen wir nicht, doch davon lassen wir uns nicht ablenken.

Die Lösung des Rätsels findet sich in entgegengesetzter Richtung und trat erst bei der Aufbereitung des ziemlich mitgenommenen Abzugs zutage.

Nebenbei wird man hier bemerken, dass Kennzeichen und Kühlerschmuck ganz dem eingangs gezeigten Wagen entsprechen. Vor allem aber ist hier mit einem Mal etwas zuvor Verborgenes zu lesen:

Ins Auge fällt vielleicht zuerst das zuvor halb verdeckte Emblem mit dem mir bis dato unbekannten Kürzel „VDAD“. Leser Hans-Jürgen Wolter gab mir den Hinweis, dass es für den Verband der Automobilbesitzer Deutschlands steht – wieder etwas gelernt!

Weiter unten findet man rechts die Eichel mit Eichenblatt, die nach Wunsch der deutschen Autoindustrie in Deutschland gefertigte Wagen kennzeichnen sollte – als ob die Deutschen ihre heimischen Marken damals nicht kennen und wiedererkennen konnten…

Im unteren Teil des Kühlergehäuses ist der geprägte Markenname „BRENNABOR“ zu sehen. Wirklich interessant ist aber der oval ausgeführte Schriftzug „IDEAL“ in der Mitte darüber.

Das war nämlich die Verkaufsbezeichnung des Brennabor Typ N 7/30 PS, der 1929 den Vorgängertyp Z 6/25 PS ablöste.

Dass die Buchstaben der einzelnen PKW-Typen von Brennabor keiner Logik folgten, ist symptomatisch für die zunehmend chaotische Modellpolitik der kurz nach dem 1. Weltkrieg so vielversprechenden Marke, die Mitte der 1920er Jahre ihren Zenit überschritten hatte und von Opel überflügelt wurde.

Als Fazit festzuhalten bleibt, dass Bilder wie diese dazu beitragen können, allmählich Klarheit und Ordnung in die aus meiner Sicht nirgends überzeugend aufbereitete Historie der Brennabor-Automobile zu bringen.

Erfreulich ist nicht zuletzt, dass mindestens ein Brennabor „Ideal“ überlebt hat und von einem Enthusiasten aus Verden an der Aller in vorbildlichen Zustand versetzt wurde. Dass er senkrechte (und nicht horizontale) Luftschlitze aufweist, wirft neue Fragen auf – doch auch diese werden sich über kurz oder lang beantworten lassen…

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Ein Luxusauto aus Schottland: Albion 24-30 hp

Luxus und Schottland – das mag auf den ersten Blick nicht zusammengehen. Jedem Klischee liegt ein wahrer Kern zugrunde, sonst würde es sich nicht halten – so stehen die Schotten nicht grundlos im Ruf, besonders knauserig zu sein.

Schottland fehlte es historisch an den Ressourcen, die das Leben im südlich davon gelegenen England so viel angenehmer machten.

Die Römer wussten, warum sie ihre Provinz Britannia an der Grenze zum wilden Schottland – damals Caledonia genannt – enden ließen. Diesseits des Hadrianswalls stieß die römische Landwirtschaft auf günstigere klimatische Bedingungen.

Man hätte die keltischstämmigen Schotten auch später in Ruhe lassen können, doch wie wir aus der Geschichte wissen, wollten die Engländer aus der Insel partout ein „Großbritannien“ machen, das die Schotten einbezog, ob sie wollten oder nicht.

Vielleicht hatte man sich davon inspirieren lassen, dass schon antike griechische Schriftsteller das spätere England und Schottland unter einer Bezeichnung zusammenfassten: Albion.

Ursprung und Bedeutung der wohl von frühen Seefahrern mitgebrachten oder erfundenen Bezeichnung „Albion“ sind ungeklärt. Jedenfalls hielt sie sich bis in die Neuzeit als Synonym für die Gesamtheit von England und Schottland.

Aus welchen Gründen auch immer wählten 1899 zwei Schotten namens Murray und Fulton „Albion“ zum Namen einer Automobilmarke mit Sitz in Glasgow.

Nach bescheidenen Anfängen mit Zweizylinderwagen baute man ab 1906 „richtige“ Autos – hier haben wir eines davon auf einer einsamen Landstraße:

Albion 24/30 hp; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese mit Sicherheit gut 110 Jahre alte Aufnahme wirkt auf den ersten Blick unspektakulär – nicht zuletzt aufgrund der kargen Landschaft.

Doch lässt sie erahnen, wie früh das Automobil seine privilegierten Besitzer dazu inspirierte, sich die Welt nach eigenem Gusto und Tempo zu erschließen. Damit war das Auto das perfekte Vehikel für betuchte Individualisten.

Auch wenn die heutige Fahrzeugdichte – unter anderem Ergebnis einer seither stark gestiegenen Bevölkerungsdichte – diese Freiheit nur noch selten erlebbar macht, ist die Faszination des eigenen Wagens allen Unkenrufen zum Trotz ungebrochen.

Noch faszinierender ist freilich die ungeheure Vielfalt von Konzepten, Marken und Typen, die einst völlig ohne staatliche Intervention eine anfangs unvollkommene Erfindung binnen weniger Jahre zu einer verlässlichen Angelegenheit machte.

Dieser luxuriöse Tourenwagen ist perfekter Ausdruck dieser phänomenalen Entwicklung:

Worum es sich hier handelt, fand ich nur durch Zufall heraus. Den Originalabzug aus meiner Sammlung hatte ich wiederholt unter die Lupe genommen, doch fehlte es mir an Hinweisen, in welche Richtung ich forschen sollte, um den Hersteller herauszufinden.

An dieser Stelle zeigte das gute alte Autobuch mal wieder, wozu es gut ist.

Denn beim ziellosen Durchblättern meiner schon reichlich zerfledderten Ausgabe von Nick Georganos „Complete Encyclopedia of Motorcars“ von 1973 stieß ich auf Seite 81 auf eine Aufnahme genau dieses Fahrzeugs.

Es handelt sich um einen Albion 24/30 hp Tourer, wie er ab 1906 als erstes Vierzylindermodell der gerade einmal sieben Jahre alten Marke aus Glasgow gebaut wurde. Der Motor übertrug seine Kraft über eine Kette vom Getriebe auf die Hinterachse.

Wer auf folgender Ausschnittsvergrößerung genau hinsieht, kann nach vollziehen, dass dieser Wagen mit dem markanten Kühlerausschnitt tatsächlich kettengetrieben war:

Im Netz finden sich zwar etliche zeitgenössische Fotografien dieses Typs, die die Ansprache als Albion 24/30 hp unterstützen, doch Informationen zu weiteren technischen Details und Stückzahlen konnte ich nicht finden.

Schon 1913 endete die Geschichte der PKW-Produktion unter der Marke Albion. Man verlegte sich auf Nutzfahrzeuge, die man noch über Jahrzehnte unter eigenem Namen weiter produzieren sollte, von 1951 bis 1972 im Leyland-Konzern.

1980 endete die Fahrzeugproduktion im Albion-Werk im Glasgower Stadtteil Scotstoun. Doch Liebhaber von Nutzfahrzeugen der ehrwürdigen Marke kennen bis heute Albions Motto „Sure As The Sunrise“, einst das Versprechen verlässlicher Mobilität.

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Nicht nur in Berlin ein Exot: Oldsmobile F28 Tourer

Wohl kein anderer Markenname klingt für unsere Ohren mehr nach „Oldtimer“ als die einst in Lansing im US-Bundesstaat Michigan gegründete Marke „Oldsmobile“.

Das konnte ihr Schöpfer mit dem schillernden Namen Ransom Eli Olds nicht ahnen, als er nach mehrjährigen Experimenten 1897 die Olds Motor Vehicle Company schuf und die von ihm konstruierten Wagen ab 1901 Oldsmobile taufte.

Schon 1902 konnten rund 2.500 Oldsmobile-Wagen abgesetzt werden, im Jahr darauf fast 4.000 – damals eine enorme Zahl.

Ab 1905 wurde das nach der geschwungenen Frontpartie „Curved Dash“ bezeichnete Basismodell auch am deutschen Markt angeboten, wie folgende Reklame beweist:

Oldsmobile-Reklame von 1905; Orignal aus Sammlung Michael Schlenger

Dass die Marke damals bereits in fünf deutschen Großstädten Vertretungen unterhielt, spricht Bände über die Unfähigkeit der Hersteller im Mutterland des Automobils, zeitgemäße Wagen in ausreichender Stückzahl herzustellen.

Bei der wirtschaftlichen Verwertung und der laufenden Weiterentwicklung der neuen Erfindung waren ab etwa 1900 die Franzosen, Briten und letztlich auch die Amerikaner an den meist behäbigen deutschen Herstellern vorbeigezogen.

Das einfache Curved Dash“-Modell – auf der Reklame von 1905 oben links zu sehen – konnte für 650 Dollar angeboten werden. Damit war es unter Berücksichtigung der damaligen Kaufkraft für die obere Mittelschicht erschwinglich und wurde das erste in Großserie hergestellte amerikanische Auto.

In der Anzeige sind auch leistungsfähigere Modelle abgebildet, vor allem der mehrsitzige Tourenwagen mit 20 PS starkem Zweizylinder-Boxermotor. Dieser war 1905 eingeführt worden, was die Datierung der Reklame ermöglicht, denn schon 1906 wich das „Curved Dash“-Basismodell einer aufwendigeren Ausführung.

Nur rund 15 Jahre später – also Anfang der 1920er Jahre – sah ein typischer Oldsmobile bereits so aus:

Oldsmobile Model 47 von 1921/22; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser siebensitzige Tourenwagen besaß einen V8-Motor mit gut 50 PS aus 3,8 Litern Hubraum.

In den Vereinigten Staaten zu Geld gekommene deutsche Auswanderer hatten sich dieses eindrucksvolle Automobil geleistet und ein Foto davon in die alte Heimat geschickt, wie die umseitige Beschriftung von alter Hand verrät.

Solche Tourenwagenaufbauten verloren in den USA ab Mitte der 1920er Jahre rasch an Verbreitung. Immer mehr Käufer entschieden sich dort für geschlossene Aufbauten.

Im infolge des verlorenen Weltkriegs und der Lasten des Versailler „Vertrags“ verarmten Deutschland blieb ein Tourenwagen mit seinem vergleichsweise günstigen Aufbau dagegen selbst für Betuchte oft die einzige Möglichkeit, überhaupt ein Auto zu fahren.

Damit wäre ich beim eigentlichen Gegenstand meines heutigen Blogeintrags, den ich einmal mehr dem Blick für Qualität von Leser Klaas Dierks verdanke:

Oldsmobile Typ F28 Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Es ist kein Zufall, dass dieser Tourer in raffinierter Zweifarblackierung in Deutschland abgelichtet wurde und nicht in den USA.

Ein solcher zugiger Tourenwagen wurde zum Aufnahmezeitpunkt in den Staaten kaum noch gekauft. So wurden von diesem 1928 angebotenen Aufbau nur gut 800 Stück gebaut, während vom Basismodell F28 im selben Jahr rund 85.000 entstanden.

In Deutschland dagegen waren solche Tourenwagen damals noch stärker gefragt. So fand eines dieser raren Modelle einst im Raum Berlin einen Käufer, wie die Kennung „IA“ auf dem Nummernschild verrät:

Die Scheibenräder waren alternativ zu Holz- oder Drahtspeichenrädern erhältlich – vermutlich waren sie die billigste Ausführung. Auch das Fehlen der aufpreispflichtigen seitlichen Ersatzräder passt dazu.

Raffiniert ist das Zweifarbschema, das den zeittypisch sehr schlicht gezeichneten Wagen gefällig macht. Der vom dunklen Chassis hell abgesetzte Aufbau wirkt beinahe elegant und die breite Zierleiste am oberen Rand der Türen lässt diese niedriger erscheinen.

Nicht zuletzt verleiht der kecke Schwung der Zierlinie von der A-Säule zum unteren Rand der Motorhaube dem Wagen in der Seitenansicht eine gewisse Dynamik.

Soweit anhand dieses Abzugs zu beurteilen, war der Wagen zum Aufnahmezeitpunkt noch neuwertig. Vermutlich nahm man eine der ersten Ausfahrten zum Anlass, sich mitsamt dem Vierbeiner auf der Rückbank fürs Fotoalbum ablichten zu lassen.

Auch die Verwandten wird man mit Kopien dieses schönen Dokuments bedacht haben, die in den meisten Fällen schwer beeindruckt gewesen sein dürften, denn ein solcher „Amerikaner“-Wagen war für die allermeisten Deutschen unerreichbar – selbst in der Basisausführung als Tourenwagen ohne große Extras.

Der Sechszylinder mit 55 PS war ein Schmankerl, das im Vergleich zu einheimischen Angeboten relativ günstig zu haben war. Kein Wunder, dass ausländische Fabrikate Ende der 1920er Jahre einen Marktanteil in Deutschland von 40 % erreichten.

So verschwindend klein der Anteil der Bevölkerung war, der sich hierzulande überhaupt ein Auto leisten konnte, so bemerkernswert ist die Unfähigkeit der heimischen Hersteller, auch nur diesen winzigen Markt zu bedienen.

So machten damals vor allem die Amerikaner das Rennen, die sich damals nicht mit Primitivgefährten wie Hanomags „Kommissbrot“ verzettelten oder nur luxuriöse Nischen besetzten – stattdessen bauten sie schlicht Autos, die gefragt waren

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Start in die 20er Jahre: Adler-Spitzkühlertypen

Anfang Januar 2020 – nun beginnen die 20er Jahre, „unsere“ 20er Jahre.

Was mögen sie bringen? Golden werden sie vielleicht ebensowenig sein wie es die 1920er – der Nostalgie zum Trotz – im Alltag für die meisten unserer Vorfahren waren.

Leider scheinen unsere 20er Jahre erneut vom Kampf zwischen bürgerlichem Individualismus und dem Kollektivwahn der Sozialisten beherrscht zu sein. Der Konflikt erlebte 1989 nur einen Waffenstillstand – gerade beginnt eine neue Runde, fürchte ich.

Blenden wir 100 Jahre zurück – unter welchen Vorzeichen stand damals der Auftakt der 20er Jahre? Nun, zumindest in punkto Automobil entsprachen die Verhältnisse im wesentlichen denen von 1914.

Das will ich heute anhand von Dokumenten und Fotos der Frankfurter Marke Adler zeigen. Den Beginn macht die folgende Reklame von 1914:

Adler-Reklame von 1914; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Auf dieser Annonce sehen wir einen Adler mit dem gerade neu eingeführten Spitzkühler – der Zahl der Luftschlitze nach zu urteilen hat man sich an einem großen Modell orientiert.

In Frage kommen die Typen 28/55, 30/70 und 35/80 PS. Während des Ersten Weltkriegs wurden diese Giganten mit 6,5 bis 9 Liter Hubraum weiterproduziert, wenn man der folgenden Reklame von 1917 glauben darf:

Adler Reklame von 1917; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Vermutlich hat der Grafiker der Adlerwerke einfach die Verhältnisse von 1914 fortgeschrieben.

Doch das Erscheinungsbild der Adler-Wagen sollte noch nach Kriegsende bis in die 1920er Jahre so bleiben, wie diese ab 1920 entstandene Aufnahme illustriert:

Adler-Tourenwagen um 1920: Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ob es nun ein Fahrzeug aus der Zeit kurz vor dem 1. Weltkrieg oder aus der Zeit danach ist, lässt sich kaum feststellen. Elektrisch betriebene Scheinwerfer wurden schon 1914 angeboten und nach 1918 baute Adler eine ganze Weile alte Modelle weiter.

Mittlerweile konnte ich etliche Fotos solcher Wagen dingfest machen – bloß lassen sie sich mangels aussagefähiger Literatur zu den Adler-Modellen um 1920 keinem bestimmten Typ zuordnen – eigentlich unglaublich, bedenkt man die einstige Bedeutung der Marke.

Hier haben wir gleich den nächsten Kandidaten, wiederum einen mächtigen Tourenwagen, vermutlich mit einer Motorisierung zwischen 40 und 60 PS:

Adler Tourenwagen um 1920; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Normalerweise wäre jedes dieser Prachtexemplare, die nach dem 1. Weltkrieg unvorstellbare Luxusobjekte darstellten, eine ausführliche Besprechung wert, doch – wie gesagt – gibt es praktisch keine publizierten Dokumente dazu.

Allerdings glaube ich, dass sich in Sammlerhand genügend Prospekte, Zeitungsberichte und Reklamen befinden, die näheren Aufschluss über diese Typen geben könnten. Wer etwas in dieser Richtung beisteuern kann, würde damit zum Schließen eaklatanter Lücken in der Adler-Automobilhistorie beitragen.

Neben obigen Aufnahmen desselben Typs hat Leser Matthias Schmidt aus Dresden ein weiteres Spitzenfoto beigesteuert. Es zeigt wohl keinen Vorkriegswagen mehr , sondern eine darauf basierende, äußerlich modernisierte Version:

Adler Tourenwagen, frühe 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt

An diesem Exemplar, das mit seiner schrägstehenden und mittig unterteilten Frontscheibe eine beinahe sportliche Anmutung hat, ist das typische Adler-Emblem weit besser zu erkennen als an den bisherigen Fotos.

Wie man sieht, war das dreieckige Emblem im Lauf der Zeit an unterschiedlichen Stellen angebracht. Hier ist es in der Mitte des Kühlergrills montiert; bei den vorherigen Aufnahmen war es ansatzweise am oberen Ende des Kühlernetzes zu erkennen.

Weitere Unterschiede, die auf ein gehobenes Modell schließen lassen, sind die größere Zahl an Radspeichen (ein Hinweis auf ein schwereres Chassis) und die Blechverkleidung an den vorderen Rahmenauslegern.

Den Adler-Freunden sollte bei solchen Zeitzeugen eigentlich das Herz aufgehen – gleiches hoffe ich von den sicher existierenden privaten Archiven.

Zufällig bin ich zum 1. Januar 2020 Mitglied des Adler Motor Veteranen Clubs (AMVC) geworden, sodass ich zuversichtlich bin, in Zukunft endlich auch sachkundig über die großartigen Adler-Spitzkühlermodelle der frühen 1920er berichten zu können.

Zumindest insofern hoffe ich auf ein goldenes Jahrzehnt, das vor mir und meinen geschätzten Lesern liegt, denen ich Anregungen und Bildmaterial, Ergänzungen und Korrekturen sowie nicht zuletzt Zuspruch für dieses Blog-Projekt verdanke!

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